Table.Briefing: Climate

Gipfel in New York, Streik weltweit + Zukunft des Green Deal + Methan-Plan wackelt

Liebe Leserin, lieber Leser,

Es ist Mitte September, und rund um Klima und Nachhaltigkeit herrscht Hochbetrieb: In New York tagt die UN-Generalversammlung und widmet sich der Erderhitzung und ihren Folgen. Deshalb liefern wir Ihnen dazu die Hintergründe: Ein Interview zur Halbzeitbilanz der zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen der UN mit Fokus auf den Klimaschutz; eine Übersicht, welche Ereignisse beim Gipfel Sie nicht verpassen sollten; eine Detailanalyse, was genau die große Klima-Zwischenbilanz, das “UN Global Stocktake” jetzt bedeutet.

Gleichzeitig zieht die Klimabewegung wieder auf die Straße. Wir liefern einen Überblick, wo die Aktionen stattfinden, was sie gebracht haben und was nun kommen soll. Wir schauen außerdem auf die Zukunft des Green Deal der EU und auf die größer werdenden Fragen zur deutschen LNG-Strategie.

Aber die globale Krise spielt sich nicht in klimatisierten Büros ab. Wir berichten deshalb auch über die Verbindung der Hitze im Mittelmeer mit den tödlichen Regenfällen in Libyen. Wir beschreiben, wie der Mensch immer mehr “planetare Grenzen” überschreitet – und wie man das konkret in den Waldbränden dieses Sommers auf der Nordhalbkugel nachvollziehen kann.

Ein volles Programm, wir wünschen interessante Lektüre

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

“Ein Schlüssel ist ein CO₂-Preis mit globaler Umverteilung”

Imme Scholz, Co-Vorsitzende des von den UN beauftragten unabhängigen Gremiums zur wissenschaftlichen Begleitung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs)

Frau Scholz, Sie haben gemeinsam mit anderen Forschenden im UN-Auftrag eine Zwischenbilanz der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) gezogen, von denen zwei mit dem Klima zu tun haben: SDG 7 postuliert eine verlässliche, saubere und bezahlbare Energieversorgung für alle Menschen, und SDG 13 verlangt, dass die UN-Mitgliedsstaaten “umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen”. Wo gibt es da gute Fortschritte?

Wir betrachten die 17 Nachhaltigkeitsziele in unserem Bericht nicht isoliert. Sie hängen ja voneinander ab. Zum Beispiel dienen der Ausbau von Wind- und Solarstrom und die Einführung von ressourcenschonenden Produktionsverfahren beide dem Klimaschutz. Umgekehrt gefährden die Auswirkungen des Klimawandels den Kampf gegen Hunger und Armut. Es ist deshalb nicht sinnvoll, für jedes Ziel getrennte Strategien zu erarbeiten. Viel besser ist es, systemisch vorzugehen. Das tut beispielsweise die Europäische Union, wenn sie den Umbau des Energiesystems hin zu erneuerbaren Quellen mit dem Ziel der Kreislaufwirtschaft kombiniert.

Vorreiter Kenia

Dennoch einmal konkret gefragt: In welchen Ländern ist der Ausbau von Wind- und Solarenergie schon besonders weit?

Im Globalen Süden ist das zum Beispiel Kenia. Das Land bemüht sich schon sehr lange darum, sein Potenzial an erneuerbaren Energien zu erschließen. Es hat sich selbst dafür entschieden, diesen Weg zu gehen, und ist konsequent dabei geblieben, obwohl es zu Beginn auch Skepsis gab. Heute bezieht Kenia rund 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen, und drei Viertel der Haushalte sind ans Stromnetz angeschlossen.

Haben Sie weitere Beispiele?

Indien hat seine Solar- und Windenergie sehr gezielt ausgebaut. Das Land hat zwar immer noch große Kohlekapazitäten, aber es diskutiert darüber, wie der Umbau der Wirtschaft gerade in den vom Kohlebergbau ökonomisch stark abhängigen Bundesstaaten vorangebracht werden kann. In Ländern wie China findet ein enormer Ausbau der erneuerbaren Energien statt, aber zugleich hält das Land an den fossilen Energieträgern fest. Dass der Ausstieg noch nicht schnell genug vorangeht, sehen wir auch in Ländern des Globalen Nordens – auch in Deutschland.

Das Finanzierungsproblem der Entwicklungsländer

Sie sagen, Kenia habe es vor allem aus eigener Entschlusskraft und Beharrlichkeit so weit gebracht. Ist finanzielle Unterstützung von außen zweitrangig?

Eine Transformation braucht beides: Eine klare Strategie, die über mehrere Legislaturperioden hinweg durchgehalten wird, und finanzielle Mittel, um die Investitionen zu stemmen und die sozialen Folgen abzufedern. Es kostet Geld, die Infrastruktur für eine erneuerbare Energieversorgung aufzubauen. Gerade die Anfangsinvestitionen sind oft sehr hoch. Da ist es gut, wenn die internationale Kooperation die Dinge durch Know-how und Geld erleichtert.

Im Moment haben die Entwicklungsländer aber ein ganz anderes Finanzierungsproblem: Viele von ihnen haben in der Corona-Pandemie Kredite auf dem privaten Kapitalmarkt aufgenommen, um die erforderlichen staatlichen Unterstützungsleistungen für ihre Bevölkerung zu finanzieren. Jetzt leiden sie unter hohen Zinsen. Deshalb haben viele im Moment gar nicht die Möglichkeit, in eine nachhaltige Transformation zu investieren – egal ob bei der Energie oder in anderen Bereichen. Auch deshalb spielen Finanzierungsfragen auf den Klimagipfeln derzeit eine so große Rolle.

CO₂-Preis plus Umverteilung “sehr wirkungsvoll gegen die größte Armut”

Woher soll das Geld kommen? Auch in besseren Zeiten haben die Industrieländer ihre Versprechen nicht gehalten. Jetzt stecken sie selbst in der Krise und spüren den Druck steigender Zinsen.

Ein Schlüssel ist ein CO₂-Preis mit globaler Umverteilung. Diese Schlüsselintervention greifen wir in unserem Bericht auch auf. Es gibt Studien, die das berechnet haben: Wenn Länder mit einem hohen fossilen Verbrauch einen CO₂-Preis haben und die Einnahmen daraus nicht nur national umverteilen würden, sondern zumindest teilweise auch global – dann könnte man schon sehr wirkungsvoll etwas gegen die größte Armut in den Entwicklungsländern unternehmen. Der Africa Climate Summit hat kürzlich eine globale CO₂-Steuer gefordert, um damit das Energiesystem umzubauen und auch zu mehr Gleichheit und Wohlstand beizutragen.

Deutschland hat noch nicht einmal das eigene Klimageld umgesetzt, und die Einnahmen aus dem hiesigen CO₂-Preis sind schon anderweitig vergeben. Da soll eine globale Umverteilung gelingen?

Mein persönlicher Eindruck ist: Gerade hört man sehr stark auf Argumente, die das nationale Wohl in den Vordergrund stellen. Es ist fatal, dass die Bereitschaft zur internationalen Kooperation im Klimaschutz dadurch sinkt. Hinzu kommt, dass sich Einkommen und Reichtum global betrachtet sehr stark in den Händen von wenigen Akteuren konzentrieren. Das bedeutet: Nur 1,1 Prozent der Vermögenswerte aller Finanzierungsinstitutionen weltweit würden ausreichen, um den Finanzbedarf der Entwicklungsländer, was die SDGs betrifft, zu decken! Aus meiner Sicht liegt es da nahe, diese Werte zu besteuern. Aber das ist politisch sehr schwierig.

“Mittel mobilisieren, die im Überfluss vorhanden sind”

Woran liegt das?

Diese Vorschläge werden gegenwärtig, wenn überhaupt, vor allem aus dem politisch linken Spektrum gemacht. Das führt dazu, dass man sie nicht unvoreingenommen betrachtet. Sie werden als politisch links angesehen, als etwas, dessen Ziel in erster Linie ist, Reiche zu bestrafen. Dabei dringt gar nicht durch, dass es viel mehr darum geht, Mittel zu mobilisieren, die im Überfluss vorhanden sind, um Lösungen für das Gemeinwohl zu ermöglichen. Hinzu kommt noch das herkömmliche Gegenargument: Wenn ein Land Reichtum besteuert, dann wandern die Vermögen ab. Dabei muss das gar nicht so sein. Auch die Reichen wissen es zu schätzen, wenn die öffentliche Hand dort, wo sie leben, für eine gute Infrastruktur sorgt, und wenn eine sinnvolle Sozialpolitik ein friedliches Zusammenleben fördert.

Helfen die Just Energy Transition Partnerships (JETPs), klimafreundliche und soziale Entwicklung besser zu verbinden?

JETPs sind eine sehr interessante Innovation. Beispielsweise in Südafrika, wo gesagt wurde: In der Transformation kann es nicht nur darum gehen, die Emissionen aus der Energieversorgung zu senken. Arbeitsplätze und die Frage nach mehr Gerechtigkeit sind genauso wichtig – gerade in Südafrika mit seiner Apartheidsgeschichte ist das auf jeden Fall ein sinnvoller Ansatz. Wie gut es dann im konkreten Fall in der Praxis funktioniert, wird man sehen müssen. Aber ich finde es sehr wichtig, dass JETPs die Gerechtigkeitsfrage in die Zukunft gerichtet stellen. Also nicht: Wie kann man die Menschen für die Belastungen der Transformation entschädigen? Sondern: Wie kann man den Umbau so gestalten, dass durch ihn selbst mehr Gerechtigkeit entsteht?

Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, die SDGs 7 und 13 tatsächlich bis 2030 zu erreichen?

Ich denke, an den erneuerbaren Energien führt kein Weg vorbei. Allen Menschen einen stabilen, verlässlichen, nachhaltigen Zugang zu Energie zu ermöglichen, wird aber länger dauern, scheint mir. Und der Fortschritt wird natürlich uneinheitlich sein. Am schnellsten werden die Ziele wohl in den Ländern erreicht, die jetzt schon gute Voraussetzungen haben oder schon sehr weit sind.

Empfehlung: Schuldenerlasse und Schuldenumstrukturierungen

Schon 2019 besagte ein erster Zwischenbericht, dass die Welt auf ihrem Weg zu den SDGs zu langsam vorankommt. Dann kamen die Pandemie und der Ukraine-Krieg. Wie sinnvoll ist es, vor diesem Hintergrund noch an dem Zieldatum 2030 festzuhalten?

In unserem Bericht schlagen wir Schlüsselinterventionen vor, die mehrere Ziele gleichzeitig voranbringen können, so wie beispielsweise den CO₂-Preis inklusive globaler Umverteilung. Oder die rechtliche und ökonomische Gleichstellung von Frauen, die zugleich die Ziele 1, 3 und 4 zur Armutsbekämpfung, Gesundheitsvorsorge und besseren Bildung voranbringt. Ziele 13 und 16, Klimaschutz und Konfliktprävention, helfen auch dabei, Hunger zu bekämpfen, also Ziel 2 zu erreichen. Solche Interventionen können sehr wirkungsvoll sein.

Zudem beschreiben die SDGs die Vorstellung einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft, auf die sich alle Staaten einigen können. Gerade in einer Zeit, in der die multilaterale Kooperation so stark unter Druck steht, ist es umso wichtiger, an ihnen festzuhalten. Dennoch bin ich sehr dafür, jetzt schon darüber nachzudenken, wie man die Ziele über 2030 hinaus fortschreiben kann.

Erwarten Sie konkrete Fortschritte vom SDG-Gipfel in New York?

In der Abschlusserklärung wird es hoffentlich Aussagen zur Reform der internationalen Finanzarchitektur geben. Wir empfehlen den Industrieländern, Schuldenerlasse für Länder mit besonders niedrigen Einkommen und Schuldenumstrukturierungen für die anderen Länder voranzubringen. Denn ohne die notwendigen Mittel können diese die Klima- und Entwicklungsziele nicht erreichen – und das schadet uns allen. Aber damit sie vorankommt, müssen die Regierungen die Erklärung natürlich auch umsetzen. 

Imme Scholz ist Soziologin und war von 2019-2023 Co-Vorsitzende der Independent Group of Scientists, die im Auftrag der Vereinten Nationen die UN-Nachhaltigkeitsziele wissenschaftlich begleitet. Seit 2022 ist sie Co-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, zuvor hat sie als stellvertretende Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) gearbeitet.

  • Klimafinanzierung

Klimastreik: Bewegung in der Krise

Für den morgigen Freitag, 15. September, mobilisieren sich Fridays for Future (FFF) und andere Teile der Klimabewegung wieder zu Demos und Aktionen weltweit. Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation wollen ab Montag die Hauptstadt lahmlegen. Auch in anderen Ländern und bei der UN-Generalversammlung in New York sind Demonstrationen geplant. Sie fordern vor allem den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

Zufrieden sind die oft jungen Aktivistinnen und Aktivisten mit den Konsequenzen ihres Protests nicht: “Die Klimabewegung erlebt eine schwierige Phase”, fasst Greta Waltenberg zusammen. Sie ist 21 Jahre alt und macht Kampagnenarbeit für Fridays for Future. Seit fünf Jahren demonstrieren junge Menschen mit der Bewegung für Klimaschutz. Schaffte es Fridays for Future im Herbst 2019, in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße zu bringen, so sprach die Bewegung selbst nach der letzten Großdemo im März nur noch von 220.000 Teilnehmenden bundesweit.

“Ein harter Kern ist noch dabei, aber wir hatten schon mal die Aufmerksamkeit von mehr Menschen”, meint auch Romie Niedermayer. Die 21-Jährige arbeitet unter anderem mit der Jugendklimabewegung YOUNGO zu internationaler Klimapolitik. Mit der Pandemie brach die Aufmerksamkeit für die Bewegung ein, bis heute haben sich die Zahlen nicht wieder erholt.

Dabei kann die Bewegung in Deutschland Teilerfolge verzeichnen:

Trotzdem scheinen sich immer weniger Menschen für die Proteste zu interessieren: “Zum Teil ist die sinkende Aufmerksamkeit normal für soziale Bewegungen”, erklärt der Protestforscher Dieter Rucht. Erfolg von Protest werde in immer steigenden Zahlen gemessen, schon eine Stagnation sei eine Art von Niederlage. Das demotiviert einige der Aktivisten – und radikalisiert andere.

Mehr Polizei, weniger Akzeptanz

In Deutschland klebt sich die Gruppierung Letzte Generation auf die Straßen, Just Stop Oil oder Exctinction Rebellion wählen in Großbritannien ähnliche Methoden des zivilen Ungehorsams. Mit Folgen: Seit 2020 hat sich weltweit der Anteil von Polizeieinsätzen bei Klimaprotesten fast verdoppelt, das zeigen Daten der Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Event Data Project. Demnach gibt es inzwischen bei knapp 40 Prozent der Proteste Polizeiinterventionen.

Das ist aber nicht die einzige Veränderung: Laut einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation More in Common hat sich die Unterstützung der Klimabewegung in Deutschland von 2021 bis 2023 von 68 auf 34 Prozent halbiert. Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsunternehmen Civey kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Wohl auch wegen solcher Zahlen tun sich viele Teile der Klimabewegung schwer mit Gruppierungen wie der Letzten Generation. Die meisten Aktivisten halten sich mit offener Kritik zurück, bemängeln aber schlechte Kommunikation und mangelnden Kooperationswillen. Nicolò Wojewoda, Regionaldirektor bei der NGO 350.org, kritisiert, ziviler Ungehorsam werde “überbeansprucht”. Protestforscher Rucht ist weniger zurückhaltend mit seiner Kritik: Ziviler Ungehorsam sei zwar grundsätzlich ein legitimes Mittel, die Aktionen der Letzten Generation seien aber schlecht organisiert, nicht zielgerichtet genug und die Symbolik sei “weit hergeholt”.  

Zukunft von Klimaprotest

“Die Klimabewegung steht aktuell an einem entscheidenden Punkt”, sagt Wojewoda. “Klima gehört inzwischen zu den ganz wichtigen Themen und wir haben die Grenzen von dem, was wir mit unseren aktuellen Methoden schaffen können, erreicht“. Es brauche nun andere Ansätze und Lösungen, die politische und vor allem ökonomische Aspekte mit einbeziehen: “Wir müssen den Menschen die positiven Auswirkungen von Klimaschutz zeigen”, erklärt er. Gerade vor dem Hintergrund steigender Kosten müsse die Klimabewegung zeigen, dass sich Klimaschutz auch finanziell lohne. Klimaschutz müsse als Schnittpunkt zu Wohlbefinden und Wohlstand gesehen werden. Wenn die Klimabewegung das fokussiere, könne sie größere Erfolge erzielen.

Wissenschaftler Rucht ist pessimistischer: “Es gibt keinen Königsweg für die Zukunft“, sagt er. Aktuell nehme zwar ein großer Teil der Bevölkerung Klimaschutz als wichtig war, aber immer weniger unterstützen beispielsweise die Methoden der Letzten Generation. Die zunehmende Radikalisierung sei kontraproduktiv. Wenn der gesellschaftliche Rückhalt falle, sänken auch die politischen Handlungsmöglichkeiten. Er glaubt, dass nur “äußere, gravierende Ereignisse”, die die Auswirkungen der Klimakrise zeigen, dafür sorgen können, dass Klimaprotest wieder ernster genommen wird.

Demonstrationen bleiben weltweit wichtig

Trotz allem – viele Aktivistinnen und Aktivisten halten an den großen Demonstrationen als wichtiges Zeichen fest und finden globale Klimastreiks wichtig. Die könnten zeigen, wie viele Menschen hinter den Protesten stehen, so Greta Waltenberg. Für Romie Niedermeyer ist wichtig, dass sich bei den Protesten die Vielfalt der Klimabewegung zeigt: “Wir sind so viel mehr als die Letzte Generation und Fridays For Future”.

Nicht nur in Europa gibt es in den kommenden Tagen Proteste, rund um die Welt organisiert sich die Klimabewegung, um einen raschen Ausstieg aus den fossilen Industrien zu fordern. Darunter sind folgende Aktionen:

  • In Pakistan werden mehr als 3.000 Teilnehmende für den Pakistan Climate March erwartet.
  • In Abuja, Nigeria, sollen rund 100.000 Demonstrierende zum Global March to End Fossil Fuels kommen.
  • Aktivisten und Aktivistinnen in Ecuador wollen am Freitag eine Kommission vorstellen, die die Umsetzung des Referendums zum Stopp von Ölbohrungen im Yasuní-Nationalpark überwacht.
  • In New York, USA, findet am Sonntag ebenfalls ein March to End Fossil Fuels statt. Mehr als 10.000 Menschen werden erwartet.
  • Fridays for Future
  • Proteste

Global Stocktake: Überraschungen im Detail

Wissenschaft und Global Stocktake der UN sind sich einig: Fossile Projekte sprengen das CO₂-Budget.

Es ist die erste offizielle Zwischenbilanz der globalen Klimapolitik, ein Ausblick auf die Entwicklung der nächsten Jahre und die Grundlage für eine der wichtigsten Entscheidungen auf der COP28. Aber der Bericht zum “Global Stocktake” (GST), der vergangene Woche veröffentlicht wurde, hat bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Dabei fordern die UN-Staaten und nicht-staatliche Akteure mit ihm entschlossenes Handeln, einen disruptiven Umbau der Energiesysteme, eine Veränderung der globalen Finanzstrukturen und deutlich mehr Hilfsgelder für die verwundbaren Weltregionen.

Der GST soll als Standortbestimmung auf der COP28 den Blick zurück und nach vorn richten. Aber der mit Spannung erwartete “Synthesebericht zum technischen Dialog” ist bisher medial eher untergegangen: Er wurde vom UN-Klimasekretariat ohne großes Aufsehen am Freitagnachmittag auf der Website veröffentlicht. Eine Pressekonferenz gab es nicht, ein Briefing am Dienstag galt nur den UN-Staaten. Für den designierten COP-Präsidenten Sultan al Jaber gibt er trotzdem eine “klare Richtung vor.” Und UNFCCC-Chef Simon Stiell fordert alle Regierungen auf, das Papier “sorgfältig zu studieren und zu verstehen, was es für sie bedeutet.” Der US-Thinktank World Resorces Institute (WRI) wiederum nannte den Bericht ein “niederschmetterndes Zeugnis” für den Klimaschutz. Die Inselstaaten sehen in ihm “einen weiteren schweren Schlag.”

“Klare Richtung”, aber nicht bei G20

Der aktuelle Bericht der Arbeitsgruppe unter den Co-Vorsitzenden Harald Winkler (Südafrika) und Farhan Akhtar (USA) dient als Vorlage für die abschließende Sitzung des UN-Gremiums zum GST. Das Gremium wird im Oktober in Dubai eine Beschlussempfehlung für die COP28 erstellen. Von der großen Dringlichkeit, die der GST enthält, ist anderswo nicht viel zu spüren: Als er veröffentlicht wurde, konzentrierte sich die globale Aufmerksamkeit auf den G20-Gipfel in Neu-Delhi.

Und während der GST warnt, die Emissionstrends seien “nicht in Übereinstimmung” mit den Klimaschutzzielen des Pariser Abkommens und das Fenster für 1,5 Grad “schließe sich schnell”, kamen die G20-Länder beim Klimaschutz kaum voran. Sie versprachen zwar, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verdreifachen und sich um bessere Klimafinanzierung zu bemühen. Doch zentrale Punkte wie ein Ausstieg aus den fossilen Energien, konkrete Finanzhilfen oder eine Neuordnung des globalen Finanzsystems wurden nicht entschieden. Und auch beim heißen Thema “Loss and Damage” gibt es kaum Fortschritt: Erst letzte Woche waren alle wichtigen Punkte rund um den neuen Loss and Damage-Fonds von dessen Vorbereitungskomitee auf die lange Bank geschoben worden.

Alle fünf Jahre Zwischenbilanz

Der erste Global Stocktake ist laut Pariser Abkommen eine Zwischenbilanz der Anstrengungen, die alle fünf Jahre erfolgt. Seit 2021 hatte ein Gremium Ereignisse und Pläne der UN-Staaten, von Städten, Unternehmen, NGOs und Mitgliedern der Zivilgesellschaft gesammelt. Die grundsätzliche Aussage war schnell klar und wurde etwa vom 6. IPCC-Bericht vorgeprägt: Die Welt ist weit entfernt von ihrem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad in 2100 zu begrenzen. Nur durch sehr rasches und entschlossenes Handeln kann dieses Ziel noch erreicht werden.

Der Synthesebericht fasst die Diskussionen nun zusammen. Im Einzelnen formuliert er “Schlüssel- Ergebnisse”, unter anderen:

  • Die Emissionen sind nicht auf dem Weg, die Pariser Klimaziele einzuhalten.
  • “Viel mehr Ehrgeiz” ist nötig bei nationalen Klimazielen und ihrer Umsetzung, um die Emissionen für das 1.5-Grad-Ziel bis 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 zu senken.
  • Das Ziel von Netto-Null-Treibhausgasen erfordert “System-Transformationen über alle Sektoren und Kontexte”, wie den Aufbau der Erneuerbaren und den Ausstieg (phasing out) aus den fossilen Energien.
  • Finanzmittel für Anpassung und Loss and Damage müssen schnell erhöht werden.
  • Finanzflüsse in Höhe von Billionen US-Dollar müssen mit Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele in Einklang gebracht werden.

Chance: Ein Maßstab für die Politik der Zukunft

Die potenzielle Stärke des Berichts liegt darin, dass er die Grundlage für das offizielle Zwischenfazit der Klimapolitik auf der COP28 sein wird. Alle Staaten, aber auch Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben sich auf diese Ergebnisse geeinigt. Damit kann der GST in Zukunft zur Referenz und zum Maßstab werden.

Der 47-seitige Bericht schlägt dabei wichtige Pflöcke ein:

  • Er fordert – zum ersten Mal in einem offiziellen Papier der UN, heißt es von Experten – mehrfach den umstrittenen Begriff “phase out of unabated fossile fuel” – Ausstieg aus der unverminderten Nutzung fossiler Brennstoffe. Bis 2030 müsse der globale Kohleverbrauch ohne CO₂-Speicherung (CCS) um 67 bis 82 Prozent sinken. CCS wiederum (das von den VAE als COP-Präsidentschaft sehr gepriesen wird) könne einen Beitrag zur Emissionsminderung liefern, treffe aber auf “geophysikalische, ökologische, ökonomische, technologische, soziokulturelle und institutionelle Herausforderungen.”
  • Der Bericht warnt, schon die Emissionen aus den bestehenden und geplanten Anlagen zur fossilen Energieerzeugung überschritten das Emissions-Budget, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Bisher habe sich die Erde bereits um 1,1 Grad Celsius erwärmt. Die Pläne der Staaten (NDCs) reichten dafür nicht aus, und die Umsetzung ihrer Pläne bleibe hinter den Zielen zurück.
  • Im Gegenteil – die Investitionen in Erneuerbare lagen weltweit im Schnitt 2019/2020 pro Jahr bei etwa 800 Milliarden US-Dollar – nicht einmal ein Drittel der benötigten Summe. Über 890 Milliarden US-Dollar flossen dagegen im gleichen Zeitraum als Investitionen in fossile Energien – und zusätzlich noch 450 Milliarden US-Dollar an Subventionen.
  • Die Finanzierung von Anpassung und Schadensbegrenzung in den armen Ländern müsse drastisch ausgeweitet werden. Bis 2030 rechnet er mit einem Finanzbedarf von fast 6 Billionen US-Dollar, doch es fehlten exakte Daten.
  • Er moniert, es gebe kein einheitliches Konzept, um den “fairen Anteil” der jeweiligen Länder an den Klimaschutzbemühungen zu berechnen.

Positive Entwicklungen

Der Bericht nennt aber auch positive Entwicklungen:

  • So sind seit dem Pariser Abkommen die Erwartungen an die globale Erhitzung bis 2100 deutlich gesunken: Noch 2015 ging die Wissenschaft von 3 bis 3,2 Grad Celsius Erhitzung aus. Heute liegt die Erwartung zwischen 1,7 und 2,6 Grad.
  • Der wirtschaftliche Erfolg der Erneuerbaren sei “vielversprechend”: Die Kosten für Öko-Technik haben sich deutlich reduziert, bei Windkraft um 55 Prozent, bei Batterien und Solartechnik um 85 Prozent im letzten Jahrzehnt. Die Produktion von Solarenergie und E-Autos ist um das zehn- bis hundertfache gestiegen.
  • Durch eine globale Energiewende entstünden 2030 etwa 3,5-mal so viele neue Jobs als alte verloren gehen.
  • Auf einer eigenen Plattform werden “best pratice”-Beispiele aus Ländern, Städten und Unternehmen zusammengefasst, um gemeinsam zu lernen.

Einen “Weckruf” zur Zusammenarbeit nennt die Beratungsfirma “Climate Analytics” den Bericht. Die 1,5 Grad-Grenze sei noch zu halten, wenn die Regierungen zusammenarbeiteten und ihre Ziele verschärften: Bis 2030 müssten dafür allerdings weltweit der Verbrauch von Fossilen um 40 Prozent fallen und Erneuerbare insgesamt 70 Prozent des Energiemixes ausmachen.  

  • COP28
  • Global Stocktake
Translation missing.

Zukunft des Green Deal: “Windpaket” und Dialog mit Industrie und Bauern

Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene konservative Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.

Die Kommissionspräsidentin hat den Green Deal also nicht für beendet erklärt, sondern dessen Fortsetzung beteuert und weitere Maßnahmen angekündigt:

  • Einen Energiewende-Dialog mit der Industrie
  • Ein Windkraft-Paket
  • Einen strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU.

Von der Leyen versprach, die europäische Industrie während des Übergangs auch weiterhin zu unterstützen. Er sei für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend. Die Industriestrategie der EU-Kommission sehe vor, für jedes industrielle Ökosystem Risiken und Bedürfnisse individuell zu berücksichtigen. Die Energiewende-Dialoge sollen dabei helfen, in jedem Sektor die Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Dekarbonisierung voranzutreiben.

Windkraft-Paket: Eher Appell statt neuer Ambition

Windenergie kann genau das liefern, was Europas Industrie dringend braucht: günstigen, grünen Strom. Insofern sind von der Leyens Ankündigungen zum Windkraft-Paket folgerichtig:

  • noch schnellere Genehmigungsverfahren
  • verbesserte Auktionssysteme in der gesamten EU
  • Impulse für Qualifizierung, Zugang zu Finanzen und stabile Lieferketten

Allerdings laufen für viele dieser Punkte bereits Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene. Die Worte der Kommissionspräsidentin dürften deshalb vor allem als Appell an die Co-Gesetzgeber zu verstehen sein und als Aufruf an die Mitgliedstaaten, beschlossene Regeln schnell umzusetzen.

Ähnlich sieht es der deutsch-belgische Getriebehersteller ZF Wind Power. “Viele Maßnahmen müssen letztlich in den Mitgliedsstaaten und dort auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt werden. Entscheidend wird sein, dass Europa geschlossen und auf allen Ebenen agiert”, sagt CTO Martin Knops.

Mit der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) etwa steht die EU kurz davor, natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften zu lockern. Es sind deshalb auch keine weiteren planungsrechtlichen Vereinfachungen auf EU-Ebene, die der Verband WindEurope anmahnt, sondern schnellere Verfahren auf nationaler Ebene.

Investorenfreundlichere Auktionsregeln stehen mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) an. Für die Windindustrie soll nicht allein die Höhe der Gebote den Ausschlag geben, es sollen auch qualitative Kriterien einfließen – quasi Bonuspunkte für Kriterien wie Cybersicherheit und Nachhaltigkeit. Damit würde der Kostendruck für die Industrie gesenkt und europäische Hersteller könnten finanzielle Nachteile wettmachen, die sie gegenüber der chinesischen Konkurrenz haben. 

Abhängigkeiten bei seltenen Erden und Kupfer geht die EU mit dem Critical Raw Materials Act an, WindEurope will die Liste der begünstigten Materialien etwa um Glasfasergewebe ergänzen.

Für Investitionen in neue Fabriken hatte die Kommission zuletzt schon den Beihilferahmen für Transformationstechnologien gelockert. “Entscheidend ist aber, dass die EU eigenes Geld auf den Tisch legt“, heißt es bei WindEurope – etwa über den Souveränitäts- und den Innovationsfonds. Auch bei der Finanzierung stört die europäische Industrie aber der ungleiche Wettbewerb mit China. Abnehmer chinesischer Anlagen müssten etwa erst dann zahlen, wenn der Windpark tatsächlich gebaut wurde.

Ob die Kommission mit dem “Windkraft-Paket” also tatsächlich neue Initiativen über die bereits vorgestellten Gesetzesvorschläge hinaus plant, ist unklar. Immerhin: Laut von der Leyen ist das Ziel, dass Europa wieder Heimat der Clean-Tech-Industrie wird.

Agrar-Dialog ohne Kontur

Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen ihre Ausführungen zur Landwirtschaft in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.

Doch sie mahnte auch zu “mehr Dialog und weniger Polarisierung“. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gehen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, ließ sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.

Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen”.

Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), zur neuen Gentechnik, zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt.

Internationale Klimapolitik bleibt unerwähnt

Ebenfalls unerwähnt blieben Europas klimapolitische Anstrengungen auf internationaler Ebene. Auf der anstehenden Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) muss Europa enorme Überzeugungsarbeit leisten, dass auch andere Industrienationen und Schwellenländer ihre Industrie transformieren. Insbesondere angesichts der diesjährigen globalen Bestandsaufnahme GST (Details in diesem Briefing) – dem Hauptinstrument zur Ambitionssteigerung globaler Klimaziele – sei die Abwesenheit des Themas in der Rede verwunderlich, schrieb Linda Kalcher, Exekutivdirektorin des paneuropäischen Thinktanks Strategic Perspectives auf der Plattform X.

Eine mangelnde sozial gerechte Umsetzung des Green Deals beklagt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. “Die Kommissionspräsidentin hat zwar die Industrietransformation als zentrale Herausforderung erkannt, aber sie sollte wesentlich konkreter werden, wie sie den Green Deal als Projekt im Sinne einer sozial gerechten Transformation weiterentwickeln will”, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

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Grünes Methan: Studie zweifelt an Plänen der Bundesregierung

Einweihung LNG-Termina l wilhelmshaven
Dezember 2022: Einweihung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven.

Kritik am Bau der LNG-Terminals in Deutschland weist Wirtschaftsminister Robert Habeck regelmäßig mit dem Hinweis zurück, dass über diese in Zukunft kein fossiles Erdgas mehr importiert werde, sondern “grüne Gase”. Dabei geht es, anders als oft vereinfacht dargestellt, nicht um flüssigen Wasserstoff. Der kann und soll zwar künftig per Pipeline importiert werden; denn ein Transport per Schiff ist technisch zu aufwendig, um wirtschaftlich zu sein.

Was tatsächlich künftig an den LNG-Terminals angelandet werden soll, ist in den meisten Fällen Ammoniak (NH3). Diese Verbindung von Wasserstoff und Stickstoff wird entweder direkt genutzt, etwa zur Herstellung von Dünger. Alternativ wird sie nach dem Import chemisch wieder aufgespalten, um reinen Wasserstoff zu erhalten. Auf ein anderes Konzept setzt die Bundesregierung in Wilhelmshaven: Über das dortige LNG-Terminal soll perspektivisch synthetisches Methan importiert werden.

Dieses Methan, das chemisch identisch mit fossilem Erdgas ist, wird in den Produktionsländern aus grünem Wasserstoff und CO₂ hergestellt. In Deutschland soll es dann – entweder zentral am Importterminal oder dezentral an Kraftwerken oder Industriebetrieben – wieder in Wasserstoff und CO₂ aufgespalten werden. Damit das Verfahren tatsächlich klimaneutral ist, soll das CO₂ aufgefangen und per Schiff zurück in die Produktionsländer transportiert und erneut zur Methanherstellung eingesetzt werden.

Nicht nur Habeck schwärmt vom “Terminal für grünes Gas”, das in Wilhelmshaven entstehen soll. Auch Niedersachsens SPD-Umweltminister Olaf Lies verspricht: “Was heut an fossilem Gas ankommt, wird sehr schnell grünes Gas sein.”

Dieser Optimismus steht allerdings im Gegensatz zu den Ergebnissen einer aktuellen Studie, die die Technische Universität Hamburg für den Thinktank Agora Energie erstellt hat und die Table.Media vorab vorliegt. Die Studie mit dem Titel “Wie Wasserstoff nach Deutschland importiert werden kann” vergleicht die verschiedenen Verfahren. Und sieht beim synthetischen Erdgas (SNG) mit geschlossenem Kohlenstoffkreislauf besonders große Risiken:

  • Technologisch sind viele der benötigten Verfahren noch nicht im kommerziellen Einsatz, warnen die Autoren. Das gelte sowohl für die großtechnische Herstellung von SNG als auch für den Rücktransport des CO₂s per Schiff. Auch das Direct-Air-Capture-Verfahren, mit dem jene CO₂-Mengen ausgeglichen werden sollen, die nicht abgeschieden und recycelt werden können, ist noch nicht kommerziell erprobt.
  • Kommerziell ist unklar, ob das SNG am Markt konkurrenzfähig sein wird. Der Wasserstoffimport per Pipeline würde preiswerter sein, dürfte aber nicht die benötigten Mengen liefern können, heißt es in der Studie. Auch der Wasserstoffimport in Form von NH3 oder flüssigen organischen Wasserstoffträgern, die ebenfalls noch nicht in großem Stil erprobt sind, könnte billiger sein. Zudem könnte die fehlende Planungssicherheit potenzielle Nutzer abschrecken.
  • Regulatorisch ist unklar, wie mit den Restemissionen umgegangen wird, die beim Verfahren entstehen. Für deren Ausgleich gebe es bisher nur freiwillige Verfahren, die von der EU nicht anerkannt werden.
  • In Bezug auf die Infrastruktur könnte die Nutzung von SNG die Umrüstung von Methan-Pipelines zu Wasserstoffpipelines verzögern, weil das synthetische Methan diese Pipelines benötigt. Falls die Technik in größerem Ausmaß genutzt werde, seien zudem neue Pipelines notwendig, um das CO₂ zurück zum Terminal zu transportieren.

Agora Industrie-Direktor Frank Peter sieht den Optimismus der Politik darum skeptisch. “Bei möglichen Importen von Wasserstoffderivaten nach Deutschland muss sichergestellt werden, dass diese vom Preis her zeitnah wettbewerbsfähig sind und tatsächlich klimaneutral erfolgen”, sagte er Table.Media. “Dafür sind teils noch erhebliche technologische Fortschritte bei den Komponenten nötig, die eine Reduktion des CO₂-Ausstoßes sicherstellen sollen.” Dies sei essenziell, um einen fossilen Lock-In zu verhindern. “Es bleibt zu klären, ob diese Fortschritte in gegebener Zeit erfolgen können”, warnt Peter. “Zugleich darf hierdurch die Transformation weg von fossiler Energie nicht verzögert werden.”

Das Unternehmen TES (Tree Energy Solutions), das den Import des SNG nach Wilhelmshaven plant, bleibt dagegen optimistisch. “Die Infrastruktur zum CO₂-Rücktransport wird bis 2030 bereit sein”, sagt CEO Marco Alverà auf Anfrage. Allerdings zeigen auch die Zahlen, die der TES-Chef nennt, dass die Realisierung der Pläne schwieriger ist, als zunächst gedacht: Als das Projekt angekündigt wurde, hieß es, dass im Jahr 2030 bereits 75 Terawattstunden SNG in Wilhelmshaven importiert werden sollen. Aktuell sind für diesen Zeitpunkt nur noch 15 Terawattstunden vorgesehen; das entspricht laut Alverà rund 10 Prozent der Menge, die 2030 insgesamt am LNG-Terminal ankommen soll.

Angesichts der neuen Erkenntnisse klingt auch das Bundeswirtschaftsministerium plötzlich weniger euphorisch. Während das BMWK die Pläne von Betreiber TES für die Anlandung von “grünem Gas” in Wilhelmshaven im vergangenen Jahr in einer Pressemitteilung noch als Tatsache vermeldet hatte, äußert sich das Haus von Robert Habeck jetzt deutlich distanzierter. “Das TES-Konzept ist im BMWK bekannt und wurde vom Unternehmen bei verschiedenen Gelegenheiten vorgestellt”, teilte eine Sprecherin Table.Media mit. “Eine abschließende fachliche Bewertung beziehungsweise Positionierung des BMWK liegt noch nicht vor.

  • LNG
  • Methan
  • Wasserstoff

Termine

5. bis 26. September, New York
Generalversammlung UN General Assembly
Die 78. Generalversammlung der UN wurde am Dienstag eröffnet. Die High-Level-Meetings beginnen am 19. September. Detaillierte Informationen zu den Klima-Events auf und rund um die Generalversammlung haben wir in dieser News zusammengestellt.  Infos

14. September, 13 Uhr, Berlin und Online
Seminar Unternehmen & Verantwortung für die Umwelt: Die neuen OECD-Leitsätze
Auf der halbtägigen Konferenz des BMUV und des OECD Berlin Centre diskutieren Vertreter von OECD und Unternehmen über die Bedeutung der neuen OECD-Leitsätze für Unternehmen, die Zivilgesellschaft und den Staat sowie die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen. Die Aktualisierung des Umweltkapitels soll dabei in den Kontext nationaler und internationaler Entwicklungen gesetzt und Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung der neuen Erwartungen vorgestellt werden. Infos

15. September, weltweit
Demonstration Globaler Klimastreik
Fridays for Future und andere Gruppen der Klimabewegung mobilisieren wieder einmal weltweit zu Demonstrationen für Klimagerechtigkeit. Infos

18. bis 19. September, Bremerhaven
Seminar Zukunftswerkstätten Kultur und Klimaschutz
Kultur und Klimaschutz sind zwei Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Die Klimadebatte wird dem bisher nicht gerecht. Darum lädt die Klima-Allianz Deutschland im Herbst 2023 zu vier Zukunftswerkstätten in Bremerhaven, Berlin, Bonn und Karlsruhe ein. Die Auftaktveranstaltung findet in Bremerhaven statt.  Infos

18. bis 22. September, verschiedene Orte
Aktionswoche Woche der Klimaanpassung
Das Zentrum Klimaanpassung bietet in dieser Woche Vorträge, Workshops und Seminare, um Klimaanpassung in den Fokus zu rücken.  Infos

19. September, 14 Uhr, Online/Berlin
Konferenz Spiegel x BCG Klimakonferenz
Die Redaktion des Magazins Der Spiegel will gemeinsam mit der Unternehmensberatung BCG und Fachleuten ausloten, wie die Bereiche Wohnen, Ernährung, Mobilität und Industrie die Klimawende schaffen können. Infos

19. bis 20. September, Berlin/Online
Tagung Gas 2023 – Moving Forward die Zukunft der Gasindustrie aktiv gestalten
Fossiles Gas spielt als globaler Energieträger weiterhin eine zentrale Rolle in der Energiewirtschaft. Die Dekarbonisierung des Energiesektors erfordert jedoch einen beschleunigten Umstieg von fossilen auf erneuerbare, nachhaltige Energien. Darüber, wie das zusammengehen kann, wird auf der Handelsblatt-Jahrestagung diskutiert.  Infos

21. September, 18 Uhr, Berlin
Diskussion Energiewende oder “Power Drain”? Perspektiven auf Wasserkraft und Wasserstoff in Afrika
Die NGO GegenStrömung diskutiert mit Gästen aus der Demokratischen Republik Kongo sowie verschiedenen deutschen Akteuren über Energiewende im afrikanischen Kontext.  Infos

20. September, 18.30 Uhr, Berlin
Diskussion Erneuerbare Energien, saubere Kraftstoffe, nachhaltige Mobilität – Welche Impulse für die Umstellung der Energiebasis des Verkehrssektors jetzt nötig sind
Das Deutsche Verkehrsforum e. V. (DVF) diskutiert mit Akteuren und Akteurinnen aus verschiedenen Bereichen über Impulse für die Verkehrswende. Infos

21. bis 22. September, Berlin
Workshop Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz
Kultur und Klimaschutz sind zwei riesige Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Doch bisher finden kulturelle Perspektiven in der Klimadebatte zu wenig Gehör. Um einen Anfang zu schaffen, lädt die Klima-Allianz Deutschland gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Yeşil Çember und LIFE Bildung Umwelt Chancengleichheit e. V. zu einer Zukunftswerkstatt in Berlin ein. Infos

News

Klima in Zahlen: Importländer für grüne Energie

Woher sollen die klimaneutralen Energieträger für die Dekarbonisierung der deutschen Industrie am günstigsten kommen? Und was kostet das? Eine Übersicht darüber hat jetzt das Fraunhofer Institut für Solare Energiesystem (ISE) im Auftrag der Stiftung H2Global erstellt. Das Projekt hat 39 Regionen in 12 Ländern untersucht und jeweils für das Jahr 2030 die Kosten für die Herstellung dieser “Power To X”-Treibstoffe plus Transport nach Deutschland berechnet.

Das Ergebnis: Für Ammoniak, Methanol oder Kerosin aus Erneuerbaren Energien sind die günstigsten Importländer Brasilien, Kolumbien und Australien. Die Stoffe müssten dann per Schiff transportiert werden. Bei grünem Wasserstoff ist die günstigste Variante der Transport via Pipeline. Würden diese gebaut, wären Südeuropa oder Nordafrika die besten Importländer. Der Import aus Mexiko, dem südlichen Afrika oder Indien wäre demnach deutlich teurer.

Grafik

Nach den ISE-Berechnungen benötigt Deutschland 2030 Power-to-X-Energieträger im “mindestens einstelligen Terrwattstunden-Bereich“, heimisch erzeugt und importiert. Großer Vorteil der Importländer ist demnach die Kombination aus großen Potenzialen bei Wind- und Sonnenenergie und die mögliche hohe Auslastung der kapitalintensiven Anlagen. Mitgeplant müsse für die Exportländer aber auch der Aufbau einer heimischen Wirtschaft, die auf Erneuerbaren beruht. bpo

Studie: Sechs von neun planetaren Grenzen überschritten

Die Menschheit riskiert immer deutlicher ihre eigenen Überlebensgrundlagen. Das zeigt eine neue, in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie. In dem Paper hat ein internationales Forschungsteam rund um die Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen die planetaren Grenzen erstmals vollständig quantifiziert. Bisher war das nicht in allen Dimensionen möglich gewesen.

Ein wichtiges Ergebnis ihrer aktuellen Untersuchung ist: Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. In mehreren von ihnen befinde man sich bereits “im Hochrisikobereich”, sagt Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitautor der Studie. Überstrapaziert ist das Erdsystem demnach in den Bereichen Klima, Biodiversität, Entwaldung, Schadstoffe/Plastik, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser.

Die erstmals 2009 beschriebenen planetaren Grenzen sollen einen sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit markieren. Je länger und je weiter sie aber überschritten werden, desto instabiler wird das ganze System. Die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwinde, sagt Rockström. “Dies bringt mögliche Kipppunkte näher und verringert die Chance, die wir noch haben, die planetare Klimagrenze von 1,5 Grad einzuhalten.”

Er und Richardson betonen, dass Klimaschutz allein aber nicht ausreicht. Beide fordern ein umfassendes, systemisches Umsteuern der Politik, das alle neun Erdsystemgrenzen schützt. In der Studie analysierten sie und ihr Forschungsteam besonders die Wechselwirkungen zwischen Biosphäre und Klima. Maßnahmen zum Klimaschutz könnten der Biodiversität auch schaden, erklärt Richardson, wenn etwa Produkte, die bisher aus Öl hergestellt werden, durch biologische Materialien ersetzt würden. “Wenn wir auf diese Art weitermachen, werden wir auch das Klimaproblem nicht lösen können.”

Auf der Climate Week in New York wird die Forschergruppe in der kommenden Woche ihre Ergebnisse präsentieren. Richardson hofft, dass die Studie dort als “Weckruf” wahrgenommen wird. Dank der Untersuchung könne man dort “so klar kommunizieren wie nie zuvor”, sagt Rockström. “Aber wir sitzen in New York nicht mit am Verhandlungstisch.” ae

  • Biodiversität

UN-Generalversammlung: Das sind die Klima-Termine

Während der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York gibt es mehrere High-Level-Meetings, die in Sachen Klima besonders relevant sind:

  • 18. bis 19. September, SDG Summit 2023: Staats- und Regierungschefs diskutieren zur Halbzeit die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und überprüfen den Fortschritt bei den 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Ein detailliertes Programm dazu findet sich hier.
  • 20. September, Financing for Development: Auf Grundlage der Aktionsagenda von Addis Abeba soll ein neuer, globaler Rahmen für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung geschaffen werden, indem alle Finanzierungsströme und politischen Maßnahmen an wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Prioritäten ausgerichtet werden.
  • 20. September, Climate Ambition Summit: Um das Handeln von Regierungen, Unternehmen, Finanzinstituten, lokalen Behörden und der Zivilgesellschaft zu beschleunigen und von “Vorreitern und Machern” zu hören, beruft der Generalsekretär der Vereinten Nationen einen Klimagipfel am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York ein. Ergebnis sollen drei Beschleunigungspfade unter den Stichworten Ehrgeiz, Glaubwürdigkeit und Umsetzung sein.
  • 21. September, Preparatory Ministerial Meeting for the Summit of the Future: Im September 2024 soll der “Summit for the Future” stattfinden, um “multilaterale Lösungen für ein besseres Morgen” zu erarbeiten und der Klima- und Biouniversitätskrise zu begegnen. Dafür findet ein Vorbereitungstreffen statt.
  • 22. September, am Rande der Generalversammlung: Der designierte COP28-Präsident Sultan al Jaber ruft seine Amtskolleginnen und Amtskollegen zu Ministerberatungen rund um die Struktur des “Loss and Damage-Fonds” zusammen. Das Vorbereitungskomitee für dieses Gremium hatte in seinen Sitzungen bisher die wichtigsten Fragen nicht klären können.

Parallel zu der UN-Generalversammlung findet die Climate Week NYC vom 17. bis zum 24. September statt. Das Motto ist “We Can. We Will”. Die Zivilgesellschaft organisiert am 17. September einen “March to End Fossil Fuels” – auch als Kritik an der UN-Generalversammlung. kul

  • Klimafinanzierung

Weltbank: Milliarden US-Dollar für fossile Energien?

Die Weltbank hat sich vorgenommen, klimafreundlich zu werden. Doch im vergangenen Jahr hat eine ihrer Töchter rund 3,7 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um internationale Öl- und Gasgeschäfte zu unterstützen. Zu dem Ergebnis kommt ein neuer Report der Umweltorganisation urgewald. Die Zahl ist allerdings eine Schätzung – denn der größte Teil der finanziellen Mittel, 70 Prozent, wird laut Report “im Geheimen” vergeben. Urgewald kritisiert die mangelnde Transparenz: Nicht einmal die Anteilseigner der Bank, also die Regierungen, wüssten, wohin die Mittel flössen. Die Öffentlichkeit habe aber ein Recht darauf, das zu erfahren.

Für den Bericht hat die urgewald-Autorin Heike Meinhardt sich die Weltbank-Tochter Internationale Finanz-Corporation IFC angeschaut. Deren Aufgabe ist es, private Unternehmen zu fördern. Konkret analysierte Meinhardt die Handelsfinanzierung durch die IFC. Deren Umfang sei in den vergangenen drei Jahren stark angestiegen und mache inzwischen mehr als 60 Prozent der jährlichen Förderzusagen aus. Insgesamt schätzt Meinhardt die von der IFC vergebenen Mittel für 2022 auf knapp 14 Milliarden US-Dollar. Davon entfallen laut dem urgewald-Report rund 27 Prozent auf die Finanzierung von Öl und Gas.

Die Organisation kritisiert: Die Weltbank habe zwar versprochen, das Geschäft mit Kohle und mit der Öl- und Gasförderung selbst (“upstream oil and gas”) nicht mehr zu unterstützen. Doch die Verpflichtung gelte nur für die direkte Finanzierung durch die Weltbank – nicht aber für die finanzielle Förderung von Handelsbeziehungen. “Beendet die Weltbank wirklich ihre Unterstützung für fossile Energieträger, oder nennt sie es einfach nur ‘Handelsfinanzierung’?”, fragt der Report deshalb. Urgewald fordert, die Bank müsse alle Geschäfte mit fossilen Energieträgern und damit verbundenen Gütern explizit ausschließen.

USA verursacht am meisten CO₂-Emissionen aus Öl und Gas

Ein weiterer Report, verfasst von der Organisation Oil Change International, sieht derweil die USA als Hauptverantwortlichen für künftige CO₂-Emissionen aus neuen Öl- und Gasförderprojekten, gefolgt von Kanada, Australien, Norwegen und dem Vereinigten Königreich. Schon heute seien die USA der größte Öl- und Gasproduzent der Welt, heißt es in dem Bericht. Die Emissionen, die voraussichtlich aus den bis 205 geplanten neuen Förderprojekten entstünden, seien zu mehr als 30 Prozent auf US-Investitionen zurückzuführen.

Über die Details der Weltbank-Reform wird derzeit noch diskutiert. Erst im Juni hatte die Bank die Staaten aufgefordert, fossile Subventionen in Zukunft für den Klimaschutz zu nutzen. Die Rede war von 1,25 Billionen US-Dollar pro Jahr. ae

  • Erdgas
  • Erdöl
  • IFC
  • Subventionen
  • Weltbank

Erhebung: Rekordemissionen durch Waldbrände in Kanada

Mehr als 1500 Megatonnen Kohlenstoffemissionen (etwa 5500 Megatonnen CO₂) entstanden in diesem Jahr bisher durch Waldbrände weltweit. Der mit Abstand größte Anteil der Emissionen geht demnach mit 410 Megatonnen (rund 1500 Megatonnen CO₂) und 27 Prozent davon auf die Waldbrände in Kanada zurück. Das liegt weit über dem bisherigen Rekord von 138 Megatonnen aus dem Jahr 2014. Zu diesem Ergebnis kommt eine Datenauswertung des Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS).

Da die Waldbrandsaison schätzungsweise noch bis Oktober dauert und es beispielsweise in Kanada noch immer aktive Waldbrände gibt, können sich die Zahlen auch noch weiter erhöhen. Auch wenn Waldbrände jeden Sommer auftreten, so steige doch mit höheren Temperaturen und Trockenheit das Risiko für “katastrophale Waldbrände wie diese in Kanada”, so Marik Parrington Senior Scientist beim CAMS. 

Neben Kanada gab es in dieser Saison auch größere Waldbrände in Russland, besonders in der Arktis, so wie im Mittelmeerraum beispielsweise in Griechenland. Die Auswertung hebt außerdem die Feuer auf Maui in Hawaii und in Spanien und Portugal hervor. Auch wenn es aus Kanada Rekordemissionen gibt – global gesehen sind die Emissionen aus Waldbränden in diesem Jahr eher niedrig. 2003 hatten Waldbrände weltweit beispielsweise mehr als 2400 Megatonnen an Kohlenstoffmissionen (ca. 8800 Megatonnen CO₂) produziert. kul

  • Kanada
  • Russland
  • Waldbrände

Diskussion über Klimawandel nach Überschwemmungen in Libyen

Bei Überflutungen im Nordosten von Libyen sind nach aktuellen Berichten 5.200 Menschen ums Leben gekommen, mindestens 10.000 weitere werden vermisst. Nun haben Diskussionen darüber begonnen, inwiefern die Extremwetterereignisse und der mediterrane Wirbelsturm Daniel durch den Klimawandel beeinflusst wurden: Die Klimaforschung geht davon aus, dass der Klimawandel solche Wirbelstürme seltener, aber stärker und somit zerstörerischer macht.

Zuerst hatte das Sturmtief Daniel in der vergangenen Woche Dörfer und Städte in Griechenland überschwemmt. Danach zog es weiter über das Mittelmeer. Dass aus dem Tiefdruckgebiet dann ein Wirbelsturm wurde, liegt nach verschiedenen Berichten auch daran, dass die Oberflächentemperatur des Mittelmeers in diesem Jahr deutlich erhöht ist. Meteorologe Christian Herold vom Deutschen Wetterdienst sagte beispielsweise, das Mittelmeer sei aktuell um rund vier Grad Celsius wärmer als normal, und er erklärte: “Die hohen Wassertemperaturen heizen auch die Luft auf, die dadurch mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann”.

Auch der Meteorologe Karsten Schwanke erklärte dazu in der ARD, wie sich so ein tropischer Wirbelsturm bilden konnte. In Libyen sei infolgedessen dann an einigen Stellen innerhalb eines Tages dreimal so viel Wasser gefallen wie 2021 bei der Starkregen-Katastrophe im Ahrtal. Damit reihten sich die Regenfälle in eine ganze Gruppe von Wetterextremen in diesem Jahr ein, die von der Klimakrise begünstigt wurden.

Erschwerend komme hinzu, dass Libyen schlecht vorbereitet und deswegen besonders anfällig für die Folgen von Extremwetter sei. Das berichten zum Beispiel die New York Times und die Washington Post. Zusätzlich lebt ein Großteil der Einwohner des Landes in Gebieten, in denen durch den Anstieg des Meeresspiegels bereits ein höheres Risiko für Überflutungen besteht. kul

  • Extremwetter
  • Meeresspiegel

NGOs wollen bei COP28 Menschenrechte thematisieren

Mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben zur anstehenden COP28 in einem offenen Brief gefordert, die Lage der Menschenrechte und den Einfluss der fossilen Wirtschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zu thematisieren. “Klimagerechtigkeit und Menschenrechte sind eng verbunden, es kann das eine nicht ohne das andere geben”, heißt es in dem Schreiben. Die Konferenz in einem “repressiven Petrostaat” abzuhalten und sie von einem Öl-Manager leiten zu lassen, sei “rücksichtslos”. Außerdem zeuge diese Entscheidung von einem offenen Interessenkonflikt und bedrohe die Legitimität des Prozesses.

Regierung und Delegierte sollten darauf drängen, dass:

  • die VAE die COP-Delegierten nicht “ausspionierten” und unrechtmäßige elektronische Überwachung beendeten.
  • alle “Gefangenen aus Gewissensgründen” entlassen würden.
  • die Verletzung von Frauenrechten und den Rechten der LGBTQ+-Gemeinde beendet würde.
  • die Rechte von Arbeitern gewährt würden.
  • die VAE keine Menschenrechtsverletzung in der Golfregion wie etwa im Jemen unterstützten.
  • das “Greenwashing” der VAE und ihre “Heuchelei” rund um fossile Brennstoffe beendet würden.

Unter anderem Sektionen der Friends of the Earth oder des Climate Action Network und viele kleinere Gruppen aus dem Globalen Süden haben das Schreiben unterzeichnet. Es bekräftigt einen ähnlichen Protestbrief vom Jahresanfang. Darin hatten viele NGOs vor allem gegen die Rolle von Sultan al Jaber als COP-Präsident protestiert. Er ist gleichzeitig auch Industrieminister der VAE und Vorstand des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Adnoc. bpo

  • COP28
  • Proteste
Translation missing.

Presseschau

Analyse: Was Klimaschutz mit Impfungen zu tun hat The Telegraph
Hintergrund: Wie die Überflutungen in Libyen mit dem Klimawandel zusammenhängen Washington Post
Interview: Wienerberger baut weltgrößten Elektro-Ofen für Ziegel Energate
Kommentar: Die Katastrophenformel hinter der Zunahme von Wetterextremen Der Spiegel
Analyse: Afrika spricht über die Klimakrise, aber hört der Westen zu? The Guardian
Analyse: Was passierte, als ein Wissenschaftler seine eigene Klimaforschung anprangerte und kritisierte The Washington Post
Interview: Lukas Köhler erklärt, wie liberaler Klimaschutz funktionieren soll Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar: Die Nachfrage nach Fossilen wird noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen – aber nicht schnell genug zurückgehen Financial Times
Hintergrund: Die Geschichte hinter den SDGs nature
Nachricht: Fast die gesamte Weltbevölkerung erlebte in den vergangenen drei Monaten durch die Erderwärmung erhöhte Temperaturen Climate Home News
Reportage: Deutschlands Problembaum Kiefer Die Zeit
Reportage: Gegen den Klimawandel gibt es verschiedene Strategien Die Tagesszeitung

Heads

Friederike Otto: Sie macht den Klimawandel konkret

Erhält den Deutschen Umweltpreis: Attributionsforscherin Friederike Otto

Einen kleinen Teil des Preisgeldes wird Friederike Otto für ihren Garten verwenden. Sie möchte ihn “in etwas verwandeln, in dem Bienen, Schmetterlinge und ich uns wohlfühlen werden”, antwortet die Attributionsforscherin auf eine Anfrage von Table.Media. Der größte Anteil der Summe aber soll in die Forschung fließen. “Ich werde damit die Verträge meines fantastischen Teams hier am Grantham-Institute verlängern”, schreibt Otto, “und mir selbst eine kleine Pause und ein wenig Freiheit von der Suche nach Geld gönnen.”

Die Physikerin und Philosophin Otto, die derzeit am Grantham-Institute des Imperial College London forscht, erhält in diesem Jahr den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Vergeben wird die mit 500.000 Euro dotierte Auszeichnung an Menschen, die sich “entscheidend und in vorbildhafter Weise” für den Umweltschutz einsetzen. Unter den bisher Geehrten sind prominente Persönlichkeiten wie der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der Klimawissenschaftler und Nobelpreisträger Klaus Hasselmann und der verstorbene Außenminister der Marshallinseln Tony de Brum.

Otto teilt sich ihre Auszeichnung mit Dagmar Fritz-Kramer, der Geschäftsführerin des Familienunternehmens Bau-Fritz. Die beiden Frauen sind Pionierinnen auf ihrem Gebiet: Bau-Fritz hat sich auf ökologische Fertighäuser aus Holz spezialisiert. Das Unternehmen wurde dafür mehrfach ausgezeichnet – wie auch seine 52-jährige Chefin Fritz-Kramer selbst.

Eine Welt ohne Klimawandel im Modell

Die 41-jährige Otto gründete im Jahr 2015 gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen niederländischen Kollegen Geert Jan van Oldenborgh die Initiative World Weather Attribution (WWA). Damit trugen die beiden maßgeblich zur Entwicklung der Attributionsforschung bei. Ihnen gelang, woran die Klimawissenschaft zuvor regelmäßig scheiterte: schnell herauszufinden, ob einzelne Extremwetterereignisse – Starkregen, Hitzewellen, Stürme und Dürren – tatsächlich mit der Erderwärmung zusammenhängen. So machten sie den Klimawandel konkret.

Dazu vergleicht die WWA das, was in der Realität passiert, mithilfe von Computermodellen mit den hypothetischen Wetterverhältnissen, die auf einem Planeten ohne Klimawandel herrschen würden. Weil die Ergebnisse möglichst früh veröffentlicht werden sollen, durchlaufen sie keinen zeitaufwändigen Peer-Review-Prozess. Doch die von der WWA genutzten Methoden selbst sind etabliert und im Peer-Review geprüft. Das ermöglicht es der Initiative, schnell valide Ergebnisse zu präsentieren.

Die Frage, welche Aussagen sich anhand wissenschaftlicher Untersuchungen über die Realität treffen lassen, begleitet Otto schon lange. In ihrer Doktorarbeit in Philosophie beschäftigte sich die Forscherin mit der erkenntnistheoretischen Frage, was man aus Klimamodellen lernen kann – und was eben nicht. Bis heute zieht sich das Motiv durch ihre wissenschaftliche Arbeit.

Die Attributionsforschung ist inzwischen etabliert. Im jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, an dem Otto als Leitautorin beteiligt war, spielte der Forschungszweig eine wichtige Rolle. Otto selbst ist zu einem der prominentesten Gesichter der Klimawissenschaft geworden. Je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto häufiger treten extreme Wetterlagen auf – und desto häufiger wird sie gebeten, die Ereignisse in den Medien einzuordnen.

Politisch relevante Forschung ist ihr Ziel

Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), hat den Umweltpreis 2020 erhalten. Er nennt die Forscherin gegenüber Table.Media eine “großartige Preisträgerin”. Otto selbst kommentiert ihre Auszeichnung so: Der Preis sei “eine sehr schöne Anerkennung”, dass ihre Forschung “auch außerhalb der wissenschaftlichen Welt von Bedeutung” sei und dazu beitrage, “dass wir die Auswirkungen extremer Wetterverhältnisse verstehen und etwas dagegen tun können. Aber es ist traurig, dass Geert Jan nicht mehr hier ist, um den Preis zu teilen.”

Otto sagt, sie wolle eine Forschung betreiben, die Politikern und Politikerinnen helfe, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn die WWA ihre Ergebnisse präsentiert, gehören deshalb sehr oft Vorschläge für wirksame Anpassungsmaßnahmen dazu. Beispielsweise gebe es einen “unglaublichen Bedarf” an Hitzeaktionsplänen, sagt Otto, “gerade in Anbetracht von zunehmender Vulnerabilität durch eine alternde Gesellschaft und vermehrter Ungleichheit in der Gesellschaft.” Um akute Klimaschäden im Globalen Süden zu beheben und sich langfristig besser gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen, müsse eher mehr Geld in die betroffenen Regionen fließen als weniger, sagt sie – wichtig sei aber auch, die Mittel passend einzusetzen.

Das Streben nach mehr Gerechtigkeit treibt sie an. “Den Preis für den Klimawandel zahlen diejenigen, die am wenigsten Emissionen verursacht haben”, sagt sie. “Die am verwundbarsten sind – nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in Deutschland und Europa. Aber das ist keine Gesellschaft, in der ich leben möchte.” Also versucht sie, daran etwas zu ändern.

Gerade untersucht Otto mit der WWA-Initiative die jüngsten Überschwemmungen in Spanien, Griechenland und Bulgarien. Daneben analysieren die Forschenden die Waldbrände in Europa von diesem Sommer. Bis Freitag sollen die Ergebnisse zu den Überschwemmungen vorliegen. Die Analyse der Brände wird wohl noch etwas länger dauern. Alexandra Endres

  • Attributionsforschung
  • Extremwetter
  • Klimaanpassung
  • Klimaschutz
  • World Weather Attribution

Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Es ist Mitte September, und rund um Klima und Nachhaltigkeit herrscht Hochbetrieb: In New York tagt die UN-Generalversammlung und widmet sich der Erderhitzung und ihren Folgen. Deshalb liefern wir Ihnen dazu die Hintergründe: Ein Interview zur Halbzeitbilanz der zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen der UN mit Fokus auf den Klimaschutz; eine Übersicht, welche Ereignisse beim Gipfel Sie nicht verpassen sollten; eine Detailanalyse, was genau die große Klima-Zwischenbilanz, das “UN Global Stocktake” jetzt bedeutet.

    Gleichzeitig zieht die Klimabewegung wieder auf die Straße. Wir liefern einen Überblick, wo die Aktionen stattfinden, was sie gebracht haben und was nun kommen soll. Wir schauen außerdem auf die Zukunft des Green Deal der EU und auf die größer werdenden Fragen zur deutschen LNG-Strategie.

    Aber die globale Krise spielt sich nicht in klimatisierten Büros ab. Wir berichten deshalb auch über die Verbindung der Hitze im Mittelmeer mit den tödlichen Regenfällen in Libyen. Wir beschreiben, wie der Mensch immer mehr “planetare Grenzen” überschreitet – und wie man das konkret in den Waldbränden dieses Sommers auf der Nordhalbkugel nachvollziehen kann.

    Ein volles Programm, wir wünschen interessante Lektüre

    Ihr
    Bernhard Pötter
    Bild von Bernhard  Pötter

    Analyse

    “Ein Schlüssel ist ein CO₂-Preis mit globaler Umverteilung”

    Imme Scholz, Co-Vorsitzende des von den UN beauftragten unabhängigen Gremiums zur wissenschaftlichen Begleitung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs)

    Frau Scholz, Sie haben gemeinsam mit anderen Forschenden im UN-Auftrag eine Zwischenbilanz der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) gezogen, von denen zwei mit dem Klima zu tun haben: SDG 7 postuliert eine verlässliche, saubere und bezahlbare Energieversorgung für alle Menschen, und SDG 13 verlangt, dass die UN-Mitgliedsstaaten “umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen”. Wo gibt es da gute Fortschritte?

    Wir betrachten die 17 Nachhaltigkeitsziele in unserem Bericht nicht isoliert. Sie hängen ja voneinander ab. Zum Beispiel dienen der Ausbau von Wind- und Solarstrom und die Einführung von ressourcenschonenden Produktionsverfahren beide dem Klimaschutz. Umgekehrt gefährden die Auswirkungen des Klimawandels den Kampf gegen Hunger und Armut. Es ist deshalb nicht sinnvoll, für jedes Ziel getrennte Strategien zu erarbeiten. Viel besser ist es, systemisch vorzugehen. Das tut beispielsweise die Europäische Union, wenn sie den Umbau des Energiesystems hin zu erneuerbaren Quellen mit dem Ziel der Kreislaufwirtschaft kombiniert.

    Vorreiter Kenia

    Dennoch einmal konkret gefragt: In welchen Ländern ist der Ausbau von Wind- und Solarenergie schon besonders weit?

    Im Globalen Süden ist das zum Beispiel Kenia. Das Land bemüht sich schon sehr lange darum, sein Potenzial an erneuerbaren Energien zu erschließen. Es hat sich selbst dafür entschieden, diesen Weg zu gehen, und ist konsequent dabei geblieben, obwohl es zu Beginn auch Skepsis gab. Heute bezieht Kenia rund 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen, und drei Viertel der Haushalte sind ans Stromnetz angeschlossen.

    Haben Sie weitere Beispiele?

    Indien hat seine Solar- und Windenergie sehr gezielt ausgebaut. Das Land hat zwar immer noch große Kohlekapazitäten, aber es diskutiert darüber, wie der Umbau der Wirtschaft gerade in den vom Kohlebergbau ökonomisch stark abhängigen Bundesstaaten vorangebracht werden kann. In Ländern wie China findet ein enormer Ausbau der erneuerbaren Energien statt, aber zugleich hält das Land an den fossilen Energieträgern fest. Dass der Ausstieg noch nicht schnell genug vorangeht, sehen wir auch in Ländern des Globalen Nordens – auch in Deutschland.

    Das Finanzierungsproblem der Entwicklungsländer

    Sie sagen, Kenia habe es vor allem aus eigener Entschlusskraft und Beharrlichkeit so weit gebracht. Ist finanzielle Unterstützung von außen zweitrangig?

    Eine Transformation braucht beides: Eine klare Strategie, die über mehrere Legislaturperioden hinweg durchgehalten wird, und finanzielle Mittel, um die Investitionen zu stemmen und die sozialen Folgen abzufedern. Es kostet Geld, die Infrastruktur für eine erneuerbare Energieversorgung aufzubauen. Gerade die Anfangsinvestitionen sind oft sehr hoch. Da ist es gut, wenn die internationale Kooperation die Dinge durch Know-how und Geld erleichtert.

    Im Moment haben die Entwicklungsländer aber ein ganz anderes Finanzierungsproblem: Viele von ihnen haben in der Corona-Pandemie Kredite auf dem privaten Kapitalmarkt aufgenommen, um die erforderlichen staatlichen Unterstützungsleistungen für ihre Bevölkerung zu finanzieren. Jetzt leiden sie unter hohen Zinsen. Deshalb haben viele im Moment gar nicht die Möglichkeit, in eine nachhaltige Transformation zu investieren – egal ob bei der Energie oder in anderen Bereichen. Auch deshalb spielen Finanzierungsfragen auf den Klimagipfeln derzeit eine so große Rolle.

    CO₂-Preis plus Umverteilung “sehr wirkungsvoll gegen die größte Armut”

    Woher soll das Geld kommen? Auch in besseren Zeiten haben die Industrieländer ihre Versprechen nicht gehalten. Jetzt stecken sie selbst in der Krise und spüren den Druck steigender Zinsen.

    Ein Schlüssel ist ein CO₂-Preis mit globaler Umverteilung. Diese Schlüsselintervention greifen wir in unserem Bericht auch auf. Es gibt Studien, die das berechnet haben: Wenn Länder mit einem hohen fossilen Verbrauch einen CO₂-Preis haben und die Einnahmen daraus nicht nur national umverteilen würden, sondern zumindest teilweise auch global – dann könnte man schon sehr wirkungsvoll etwas gegen die größte Armut in den Entwicklungsländern unternehmen. Der Africa Climate Summit hat kürzlich eine globale CO₂-Steuer gefordert, um damit das Energiesystem umzubauen und auch zu mehr Gleichheit und Wohlstand beizutragen.

    Deutschland hat noch nicht einmal das eigene Klimageld umgesetzt, und die Einnahmen aus dem hiesigen CO₂-Preis sind schon anderweitig vergeben. Da soll eine globale Umverteilung gelingen?

    Mein persönlicher Eindruck ist: Gerade hört man sehr stark auf Argumente, die das nationale Wohl in den Vordergrund stellen. Es ist fatal, dass die Bereitschaft zur internationalen Kooperation im Klimaschutz dadurch sinkt. Hinzu kommt, dass sich Einkommen und Reichtum global betrachtet sehr stark in den Händen von wenigen Akteuren konzentrieren. Das bedeutet: Nur 1,1 Prozent der Vermögenswerte aller Finanzierungsinstitutionen weltweit würden ausreichen, um den Finanzbedarf der Entwicklungsländer, was die SDGs betrifft, zu decken! Aus meiner Sicht liegt es da nahe, diese Werte zu besteuern. Aber das ist politisch sehr schwierig.

    “Mittel mobilisieren, die im Überfluss vorhanden sind”

    Woran liegt das?

    Diese Vorschläge werden gegenwärtig, wenn überhaupt, vor allem aus dem politisch linken Spektrum gemacht. Das führt dazu, dass man sie nicht unvoreingenommen betrachtet. Sie werden als politisch links angesehen, als etwas, dessen Ziel in erster Linie ist, Reiche zu bestrafen. Dabei dringt gar nicht durch, dass es viel mehr darum geht, Mittel zu mobilisieren, die im Überfluss vorhanden sind, um Lösungen für das Gemeinwohl zu ermöglichen. Hinzu kommt noch das herkömmliche Gegenargument: Wenn ein Land Reichtum besteuert, dann wandern die Vermögen ab. Dabei muss das gar nicht so sein. Auch die Reichen wissen es zu schätzen, wenn die öffentliche Hand dort, wo sie leben, für eine gute Infrastruktur sorgt, und wenn eine sinnvolle Sozialpolitik ein friedliches Zusammenleben fördert.

    Helfen die Just Energy Transition Partnerships (JETPs), klimafreundliche und soziale Entwicklung besser zu verbinden?

    JETPs sind eine sehr interessante Innovation. Beispielsweise in Südafrika, wo gesagt wurde: In der Transformation kann es nicht nur darum gehen, die Emissionen aus der Energieversorgung zu senken. Arbeitsplätze und die Frage nach mehr Gerechtigkeit sind genauso wichtig – gerade in Südafrika mit seiner Apartheidsgeschichte ist das auf jeden Fall ein sinnvoller Ansatz. Wie gut es dann im konkreten Fall in der Praxis funktioniert, wird man sehen müssen. Aber ich finde es sehr wichtig, dass JETPs die Gerechtigkeitsfrage in die Zukunft gerichtet stellen. Also nicht: Wie kann man die Menschen für die Belastungen der Transformation entschädigen? Sondern: Wie kann man den Umbau so gestalten, dass durch ihn selbst mehr Gerechtigkeit entsteht?

    Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, die SDGs 7 und 13 tatsächlich bis 2030 zu erreichen?

    Ich denke, an den erneuerbaren Energien führt kein Weg vorbei. Allen Menschen einen stabilen, verlässlichen, nachhaltigen Zugang zu Energie zu ermöglichen, wird aber länger dauern, scheint mir. Und der Fortschritt wird natürlich uneinheitlich sein. Am schnellsten werden die Ziele wohl in den Ländern erreicht, die jetzt schon gute Voraussetzungen haben oder schon sehr weit sind.

    Empfehlung: Schuldenerlasse und Schuldenumstrukturierungen

    Schon 2019 besagte ein erster Zwischenbericht, dass die Welt auf ihrem Weg zu den SDGs zu langsam vorankommt. Dann kamen die Pandemie und der Ukraine-Krieg. Wie sinnvoll ist es, vor diesem Hintergrund noch an dem Zieldatum 2030 festzuhalten?

    In unserem Bericht schlagen wir Schlüsselinterventionen vor, die mehrere Ziele gleichzeitig voranbringen können, so wie beispielsweise den CO₂-Preis inklusive globaler Umverteilung. Oder die rechtliche und ökonomische Gleichstellung von Frauen, die zugleich die Ziele 1, 3 und 4 zur Armutsbekämpfung, Gesundheitsvorsorge und besseren Bildung voranbringt. Ziele 13 und 16, Klimaschutz und Konfliktprävention, helfen auch dabei, Hunger zu bekämpfen, also Ziel 2 zu erreichen. Solche Interventionen können sehr wirkungsvoll sein.

    Zudem beschreiben die SDGs die Vorstellung einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft, auf die sich alle Staaten einigen können. Gerade in einer Zeit, in der die multilaterale Kooperation so stark unter Druck steht, ist es umso wichtiger, an ihnen festzuhalten. Dennoch bin ich sehr dafür, jetzt schon darüber nachzudenken, wie man die Ziele über 2030 hinaus fortschreiben kann.

    Erwarten Sie konkrete Fortschritte vom SDG-Gipfel in New York?

    In der Abschlusserklärung wird es hoffentlich Aussagen zur Reform der internationalen Finanzarchitektur geben. Wir empfehlen den Industrieländern, Schuldenerlasse für Länder mit besonders niedrigen Einkommen und Schuldenumstrukturierungen für die anderen Länder voranzubringen. Denn ohne die notwendigen Mittel können diese die Klima- und Entwicklungsziele nicht erreichen – und das schadet uns allen. Aber damit sie vorankommt, müssen die Regierungen die Erklärung natürlich auch umsetzen. 

    Imme Scholz ist Soziologin und war von 2019-2023 Co-Vorsitzende der Independent Group of Scientists, die im Auftrag der Vereinten Nationen die UN-Nachhaltigkeitsziele wissenschaftlich begleitet. Seit 2022 ist sie Co-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, zuvor hat sie als stellvertretende Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) gearbeitet.

    • Klimafinanzierung

    Klimastreik: Bewegung in der Krise

    Für den morgigen Freitag, 15. September, mobilisieren sich Fridays for Future (FFF) und andere Teile der Klimabewegung wieder zu Demos und Aktionen weltweit. Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation wollen ab Montag die Hauptstadt lahmlegen. Auch in anderen Ländern und bei der UN-Generalversammlung in New York sind Demonstrationen geplant. Sie fordern vor allem den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

    Zufrieden sind die oft jungen Aktivistinnen und Aktivisten mit den Konsequenzen ihres Protests nicht: “Die Klimabewegung erlebt eine schwierige Phase”, fasst Greta Waltenberg zusammen. Sie ist 21 Jahre alt und macht Kampagnenarbeit für Fridays for Future. Seit fünf Jahren demonstrieren junge Menschen mit der Bewegung für Klimaschutz. Schaffte es Fridays for Future im Herbst 2019, in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße zu bringen, so sprach die Bewegung selbst nach der letzten Großdemo im März nur noch von 220.000 Teilnehmenden bundesweit.

    “Ein harter Kern ist noch dabei, aber wir hatten schon mal die Aufmerksamkeit von mehr Menschen”, meint auch Romie Niedermayer. Die 21-Jährige arbeitet unter anderem mit der Jugendklimabewegung YOUNGO zu internationaler Klimapolitik. Mit der Pandemie brach die Aufmerksamkeit für die Bewegung ein, bis heute haben sich die Zahlen nicht wieder erholt.

    Dabei kann die Bewegung in Deutschland Teilerfolge verzeichnen:

    Trotzdem scheinen sich immer weniger Menschen für die Proteste zu interessieren: “Zum Teil ist die sinkende Aufmerksamkeit normal für soziale Bewegungen”, erklärt der Protestforscher Dieter Rucht. Erfolg von Protest werde in immer steigenden Zahlen gemessen, schon eine Stagnation sei eine Art von Niederlage. Das demotiviert einige der Aktivisten – und radikalisiert andere.

    Mehr Polizei, weniger Akzeptanz

    In Deutschland klebt sich die Gruppierung Letzte Generation auf die Straßen, Just Stop Oil oder Exctinction Rebellion wählen in Großbritannien ähnliche Methoden des zivilen Ungehorsams. Mit Folgen: Seit 2020 hat sich weltweit der Anteil von Polizeieinsätzen bei Klimaprotesten fast verdoppelt, das zeigen Daten der Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Event Data Project. Demnach gibt es inzwischen bei knapp 40 Prozent der Proteste Polizeiinterventionen.

    Das ist aber nicht die einzige Veränderung: Laut einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation More in Common hat sich die Unterstützung der Klimabewegung in Deutschland von 2021 bis 2023 von 68 auf 34 Prozent halbiert. Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsunternehmen Civey kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Wohl auch wegen solcher Zahlen tun sich viele Teile der Klimabewegung schwer mit Gruppierungen wie der Letzten Generation. Die meisten Aktivisten halten sich mit offener Kritik zurück, bemängeln aber schlechte Kommunikation und mangelnden Kooperationswillen. Nicolò Wojewoda, Regionaldirektor bei der NGO 350.org, kritisiert, ziviler Ungehorsam werde “überbeansprucht”. Protestforscher Rucht ist weniger zurückhaltend mit seiner Kritik: Ziviler Ungehorsam sei zwar grundsätzlich ein legitimes Mittel, die Aktionen der Letzten Generation seien aber schlecht organisiert, nicht zielgerichtet genug und die Symbolik sei “weit hergeholt”.  

    Zukunft von Klimaprotest

    “Die Klimabewegung steht aktuell an einem entscheidenden Punkt”, sagt Wojewoda. “Klima gehört inzwischen zu den ganz wichtigen Themen und wir haben die Grenzen von dem, was wir mit unseren aktuellen Methoden schaffen können, erreicht“. Es brauche nun andere Ansätze und Lösungen, die politische und vor allem ökonomische Aspekte mit einbeziehen: “Wir müssen den Menschen die positiven Auswirkungen von Klimaschutz zeigen”, erklärt er. Gerade vor dem Hintergrund steigender Kosten müsse die Klimabewegung zeigen, dass sich Klimaschutz auch finanziell lohne. Klimaschutz müsse als Schnittpunkt zu Wohlbefinden und Wohlstand gesehen werden. Wenn die Klimabewegung das fokussiere, könne sie größere Erfolge erzielen.

    Wissenschaftler Rucht ist pessimistischer: “Es gibt keinen Königsweg für die Zukunft“, sagt er. Aktuell nehme zwar ein großer Teil der Bevölkerung Klimaschutz als wichtig war, aber immer weniger unterstützen beispielsweise die Methoden der Letzten Generation. Die zunehmende Radikalisierung sei kontraproduktiv. Wenn der gesellschaftliche Rückhalt falle, sänken auch die politischen Handlungsmöglichkeiten. Er glaubt, dass nur “äußere, gravierende Ereignisse”, die die Auswirkungen der Klimakrise zeigen, dafür sorgen können, dass Klimaprotest wieder ernster genommen wird.

    Demonstrationen bleiben weltweit wichtig

    Trotz allem – viele Aktivistinnen und Aktivisten halten an den großen Demonstrationen als wichtiges Zeichen fest und finden globale Klimastreiks wichtig. Die könnten zeigen, wie viele Menschen hinter den Protesten stehen, so Greta Waltenberg. Für Romie Niedermeyer ist wichtig, dass sich bei den Protesten die Vielfalt der Klimabewegung zeigt: “Wir sind so viel mehr als die Letzte Generation und Fridays For Future”.

    Nicht nur in Europa gibt es in den kommenden Tagen Proteste, rund um die Welt organisiert sich die Klimabewegung, um einen raschen Ausstieg aus den fossilen Industrien zu fordern. Darunter sind folgende Aktionen:

    • In Pakistan werden mehr als 3.000 Teilnehmende für den Pakistan Climate March erwartet.
    • In Abuja, Nigeria, sollen rund 100.000 Demonstrierende zum Global March to End Fossil Fuels kommen.
    • Aktivisten und Aktivistinnen in Ecuador wollen am Freitag eine Kommission vorstellen, die die Umsetzung des Referendums zum Stopp von Ölbohrungen im Yasuní-Nationalpark überwacht.
    • In New York, USA, findet am Sonntag ebenfalls ein March to End Fossil Fuels statt. Mehr als 10.000 Menschen werden erwartet.
    • Fridays for Future
    • Proteste

    Global Stocktake: Überraschungen im Detail

    Wissenschaft und Global Stocktake der UN sind sich einig: Fossile Projekte sprengen das CO₂-Budget.

    Es ist die erste offizielle Zwischenbilanz der globalen Klimapolitik, ein Ausblick auf die Entwicklung der nächsten Jahre und die Grundlage für eine der wichtigsten Entscheidungen auf der COP28. Aber der Bericht zum “Global Stocktake” (GST), der vergangene Woche veröffentlicht wurde, hat bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Dabei fordern die UN-Staaten und nicht-staatliche Akteure mit ihm entschlossenes Handeln, einen disruptiven Umbau der Energiesysteme, eine Veränderung der globalen Finanzstrukturen und deutlich mehr Hilfsgelder für die verwundbaren Weltregionen.

    Der GST soll als Standortbestimmung auf der COP28 den Blick zurück und nach vorn richten. Aber der mit Spannung erwartete “Synthesebericht zum technischen Dialog” ist bisher medial eher untergegangen: Er wurde vom UN-Klimasekretariat ohne großes Aufsehen am Freitagnachmittag auf der Website veröffentlicht. Eine Pressekonferenz gab es nicht, ein Briefing am Dienstag galt nur den UN-Staaten. Für den designierten COP-Präsidenten Sultan al Jaber gibt er trotzdem eine “klare Richtung vor.” Und UNFCCC-Chef Simon Stiell fordert alle Regierungen auf, das Papier “sorgfältig zu studieren und zu verstehen, was es für sie bedeutet.” Der US-Thinktank World Resorces Institute (WRI) wiederum nannte den Bericht ein “niederschmetterndes Zeugnis” für den Klimaschutz. Die Inselstaaten sehen in ihm “einen weiteren schweren Schlag.”

    “Klare Richtung”, aber nicht bei G20

    Der aktuelle Bericht der Arbeitsgruppe unter den Co-Vorsitzenden Harald Winkler (Südafrika) und Farhan Akhtar (USA) dient als Vorlage für die abschließende Sitzung des UN-Gremiums zum GST. Das Gremium wird im Oktober in Dubai eine Beschlussempfehlung für die COP28 erstellen. Von der großen Dringlichkeit, die der GST enthält, ist anderswo nicht viel zu spüren: Als er veröffentlicht wurde, konzentrierte sich die globale Aufmerksamkeit auf den G20-Gipfel in Neu-Delhi.

    Und während der GST warnt, die Emissionstrends seien “nicht in Übereinstimmung” mit den Klimaschutzzielen des Pariser Abkommens und das Fenster für 1,5 Grad “schließe sich schnell”, kamen die G20-Länder beim Klimaschutz kaum voran. Sie versprachen zwar, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verdreifachen und sich um bessere Klimafinanzierung zu bemühen. Doch zentrale Punkte wie ein Ausstieg aus den fossilen Energien, konkrete Finanzhilfen oder eine Neuordnung des globalen Finanzsystems wurden nicht entschieden. Und auch beim heißen Thema “Loss and Damage” gibt es kaum Fortschritt: Erst letzte Woche waren alle wichtigen Punkte rund um den neuen Loss and Damage-Fonds von dessen Vorbereitungskomitee auf die lange Bank geschoben worden.

    Alle fünf Jahre Zwischenbilanz

    Der erste Global Stocktake ist laut Pariser Abkommen eine Zwischenbilanz der Anstrengungen, die alle fünf Jahre erfolgt. Seit 2021 hatte ein Gremium Ereignisse und Pläne der UN-Staaten, von Städten, Unternehmen, NGOs und Mitgliedern der Zivilgesellschaft gesammelt. Die grundsätzliche Aussage war schnell klar und wurde etwa vom 6. IPCC-Bericht vorgeprägt: Die Welt ist weit entfernt von ihrem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad in 2100 zu begrenzen. Nur durch sehr rasches und entschlossenes Handeln kann dieses Ziel noch erreicht werden.

    Der Synthesebericht fasst die Diskussionen nun zusammen. Im Einzelnen formuliert er “Schlüssel- Ergebnisse”, unter anderen:

    • Die Emissionen sind nicht auf dem Weg, die Pariser Klimaziele einzuhalten.
    • “Viel mehr Ehrgeiz” ist nötig bei nationalen Klimazielen und ihrer Umsetzung, um die Emissionen für das 1.5-Grad-Ziel bis 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 zu senken.
    • Das Ziel von Netto-Null-Treibhausgasen erfordert “System-Transformationen über alle Sektoren und Kontexte”, wie den Aufbau der Erneuerbaren und den Ausstieg (phasing out) aus den fossilen Energien.
    • Finanzmittel für Anpassung und Loss and Damage müssen schnell erhöht werden.
    • Finanzflüsse in Höhe von Billionen US-Dollar müssen mit Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele in Einklang gebracht werden.

    Chance: Ein Maßstab für die Politik der Zukunft

    Die potenzielle Stärke des Berichts liegt darin, dass er die Grundlage für das offizielle Zwischenfazit der Klimapolitik auf der COP28 sein wird. Alle Staaten, aber auch Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben sich auf diese Ergebnisse geeinigt. Damit kann der GST in Zukunft zur Referenz und zum Maßstab werden.

    Der 47-seitige Bericht schlägt dabei wichtige Pflöcke ein:

    • Er fordert – zum ersten Mal in einem offiziellen Papier der UN, heißt es von Experten – mehrfach den umstrittenen Begriff “phase out of unabated fossile fuel” – Ausstieg aus der unverminderten Nutzung fossiler Brennstoffe. Bis 2030 müsse der globale Kohleverbrauch ohne CO₂-Speicherung (CCS) um 67 bis 82 Prozent sinken. CCS wiederum (das von den VAE als COP-Präsidentschaft sehr gepriesen wird) könne einen Beitrag zur Emissionsminderung liefern, treffe aber auf “geophysikalische, ökologische, ökonomische, technologische, soziokulturelle und institutionelle Herausforderungen.”
    • Der Bericht warnt, schon die Emissionen aus den bestehenden und geplanten Anlagen zur fossilen Energieerzeugung überschritten das Emissions-Budget, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Bisher habe sich die Erde bereits um 1,1 Grad Celsius erwärmt. Die Pläne der Staaten (NDCs) reichten dafür nicht aus, und die Umsetzung ihrer Pläne bleibe hinter den Zielen zurück.
    • Im Gegenteil – die Investitionen in Erneuerbare lagen weltweit im Schnitt 2019/2020 pro Jahr bei etwa 800 Milliarden US-Dollar – nicht einmal ein Drittel der benötigten Summe. Über 890 Milliarden US-Dollar flossen dagegen im gleichen Zeitraum als Investitionen in fossile Energien – und zusätzlich noch 450 Milliarden US-Dollar an Subventionen.
    • Die Finanzierung von Anpassung und Schadensbegrenzung in den armen Ländern müsse drastisch ausgeweitet werden. Bis 2030 rechnet er mit einem Finanzbedarf von fast 6 Billionen US-Dollar, doch es fehlten exakte Daten.
    • Er moniert, es gebe kein einheitliches Konzept, um den “fairen Anteil” der jeweiligen Länder an den Klimaschutzbemühungen zu berechnen.

    Positive Entwicklungen

    Der Bericht nennt aber auch positive Entwicklungen:

    • So sind seit dem Pariser Abkommen die Erwartungen an die globale Erhitzung bis 2100 deutlich gesunken: Noch 2015 ging die Wissenschaft von 3 bis 3,2 Grad Celsius Erhitzung aus. Heute liegt die Erwartung zwischen 1,7 und 2,6 Grad.
    • Der wirtschaftliche Erfolg der Erneuerbaren sei “vielversprechend”: Die Kosten für Öko-Technik haben sich deutlich reduziert, bei Windkraft um 55 Prozent, bei Batterien und Solartechnik um 85 Prozent im letzten Jahrzehnt. Die Produktion von Solarenergie und E-Autos ist um das zehn- bis hundertfache gestiegen.
    • Durch eine globale Energiewende entstünden 2030 etwa 3,5-mal so viele neue Jobs als alte verloren gehen.
    • Auf einer eigenen Plattform werden “best pratice”-Beispiele aus Ländern, Städten und Unternehmen zusammengefasst, um gemeinsam zu lernen.

    Einen “Weckruf” zur Zusammenarbeit nennt die Beratungsfirma “Climate Analytics” den Bericht. Die 1,5 Grad-Grenze sei noch zu halten, wenn die Regierungen zusammenarbeiteten und ihre Ziele verschärften: Bis 2030 müssten dafür allerdings weltweit der Verbrauch von Fossilen um 40 Prozent fallen und Erneuerbare insgesamt 70 Prozent des Energiemixes ausmachen.  

    • COP28
    • Global Stocktake
    Translation missing.

    Zukunft des Green Deal: “Windpaket” und Dialog mit Industrie und Bauern

    Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene konservative Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.

    Die Kommissionspräsidentin hat den Green Deal also nicht für beendet erklärt, sondern dessen Fortsetzung beteuert und weitere Maßnahmen angekündigt:

    • Einen Energiewende-Dialog mit der Industrie
    • Ein Windkraft-Paket
    • Einen strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU.

    Von der Leyen versprach, die europäische Industrie während des Übergangs auch weiterhin zu unterstützen. Er sei für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend. Die Industriestrategie der EU-Kommission sehe vor, für jedes industrielle Ökosystem Risiken und Bedürfnisse individuell zu berücksichtigen. Die Energiewende-Dialoge sollen dabei helfen, in jedem Sektor die Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Dekarbonisierung voranzutreiben.

    Windkraft-Paket: Eher Appell statt neuer Ambition

    Windenergie kann genau das liefern, was Europas Industrie dringend braucht: günstigen, grünen Strom. Insofern sind von der Leyens Ankündigungen zum Windkraft-Paket folgerichtig:

    • noch schnellere Genehmigungsverfahren
    • verbesserte Auktionssysteme in der gesamten EU
    • Impulse für Qualifizierung, Zugang zu Finanzen und stabile Lieferketten

    Allerdings laufen für viele dieser Punkte bereits Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene. Die Worte der Kommissionspräsidentin dürften deshalb vor allem als Appell an die Co-Gesetzgeber zu verstehen sein und als Aufruf an die Mitgliedstaaten, beschlossene Regeln schnell umzusetzen.

    Ähnlich sieht es der deutsch-belgische Getriebehersteller ZF Wind Power. “Viele Maßnahmen müssen letztlich in den Mitgliedsstaaten und dort auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt werden. Entscheidend wird sein, dass Europa geschlossen und auf allen Ebenen agiert”, sagt CTO Martin Knops.

    Mit der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) etwa steht die EU kurz davor, natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften zu lockern. Es sind deshalb auch keine weiteren planungsrechtlichen Vereinfachungen auf EU-Ebene, die der Verband WindEurope anmahnt, sondern schnellere Verfahren auf nationaler Ebene.

    Investorenfreundlichere Auktionsregeln stehen mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) an. Für die Windindustrie soll nicht allein die Höhe der Gebote den Ausschlag geben, es sollen auch qualitative Kriterien einfließen – quasi Bonuspunkte für Kriterien wie Cybersicherheit und Nachhaltigkeit. Damit würde der Kostendruck für die Industrie gesenkt und europäische Hersteller könnten finanzielle Nachteile wettmachen, die sie gegenüber der chinesischen Konkurrenz haben. 

    Abhängigkeiten bei seltenen Erden und Kupfer geht die EU mit dem Critical Raw Materials Act an, WindEurope will die Liste der begünstigten Materialien etwa um Glasfasergewebe ergänzen.

    Für Investitionen in neue Fabriken hatte die Kommission zuletzt schon den Beihilferahmen für Transformationstechnologien gelockert. “Entscheidend ist aber, dass die EU eigenes Geld auf den Tisch legt“, heißt es bei WindEurope – etwa über den Souveränitäts- und den Innovationsfonds. Auch bei der Finanzierung stört die europäische Industrie aber der ungleiche Wettbewerb mit China. Abnehmer chinesischer Anlagen müssten etwa erst dann zahlen, wenn der Windpark tatsächlich gebaut wurde.

    Ob die Kommission mit dem “Windkraft-Paket” also tatsächlich neue Initiativen über die bereits vorgestellten Gesetzesvorschläge hinaus plant, ist unklar. Immerhin: Laut von der Leyen ist das Ziel, dass Europa wieder Heimat der Clean-Tech-Industrie wird.

    Agrar-Dialog ohne Kontur

    Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen ihre Ausführungen zur Landwirtschaft in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.

    Doch sie mahnte auch zu “mehr Dialog und weniger Polarisierung“. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gehen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, ließ sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.

    Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen”.

    Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), zur neuen Gentechnik, zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt.

    Internationale Klimapolitik bleibt unerwähnt

    Ebenfalls unerwähnt blieben Europas klimapolitische Anstrengungen auf internationaler Ebene. Auf der anstehenden Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) muss Europa enorme Überzeugungsarbeit leisten, dass auch andere Industrienationen und Schwellenländer ihre Industrie transformieren. Insbesondere angesichts der diesjährigen globalen Bestandsaufnahme GST (Details in diesem Briefing) – dem Hauptinstrument zur Ambitionssteigerung globaler Klimaziele – sei die Abwesenheit des Themas in der Rede verwunderlich, schrieb Linda Kalcher, Exekutivdirektorin des paneuropäischen Thinktanks Strategic Perspectives auf der Plattform X.

    Eine mangelnde sozial gerechte Umsetzung des Green Deals beklagt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. “Die Kommissionspräsidentin hat zwar die Industrietransformation als zentrale Herausforderung erkannt, aber sie sollte wesentlich konkreter werden, wie sie den Green Deal als Projekt im Sinne einer sozial gerechten Transformation weiterentwickeln will”, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

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    Grünes Methan: Studie zweifelt an Plänen der Bundesregierung

    Einweihung LNG-Termina l wilhelmshaven
    Dezember 2022: Einweihung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven.

    Kritik am Bau der LNG-Terminals in Deutschland weist Wirtschaftsminister Robert Habeck regelmäßig mit dem Hinweis zurück, dass über diese in Zukunft kein fossiles Erdgas mehr importiert werde, sondern “grüne Gase”. Dabei geht es, anders als oft vereinfacht dargestellt, nicht um flüssigen Wasserstoff. Der kann und soll zwar künftig per Pipeline importiert werden; denn ein Transport per Schiff ist technisch zu aufwendig, um wirtschaftlich zu sein.

    Was tatsächlich künftig an den LNG-Terminals angelandet werden soll, ist in den meisten Fällen Ammoniak (NH3). Diese Verbindung von Wasserstoff und Stickstoff wird entweder direkt genutzt, etwa zur Herstellung von Dünger. Alternativ wird sie nach dem Import chemisch wieder aufgespalten, um reinen Wasserstoff zu erhalten. Auf ein anderes Konzept setzt die Bundesregierung in Wilhelmshaven: Über das dortige LNG-Terminal soll perspektivisch synthetisches Methan importiert werden.

    Dieses Methan, das chemisch identisch mit fossilem Erdgas ist, wird in den Produktionsländern aus grünem Wasserstoff und CO₂ hergestellt. In Deutschland soll es dann – entweder zentral am Importterminal oder dezentral an Kraftwerken oder Industriebetrieben – wieder in Wasserstoff und CO₂ aufgespalten werden. Damit das Verfahren tatsächlich klimaneutral ist, soll das CO₂ aufgefangen und per Schiff zurück in die Produktionsländer transportiert und erneut zur Methanherstellung eingesetzt werden.

    Nicht nur Habeck schwärmt vom “Terminal für grünes Gas”, das in Wilhelmshaven entstehen soll. Auch Niedersachsens SPD-Umweltminister Olaf Lies verspricht: “Was heut an fossilem Gas ankommt, wird sehr schnell grünes Gas sein.”

    Dieser Optimismus steht allerdings im Gegensatz zu den Ergebnissen einer aktuellen Studie, die die Technische Universität Hamburg für den Thinktank Agora Energie erstellt hat und die Table.Media vorab vorliegt. Die Studie mit dem Titel “Wie Wasserstoff nach Deutschland importiert werden kann” vergleicht die verschiedenen Verfahren. Und sieht beim synthetischen Erdgas (SNG) mit geschlossenem Kohlenstoffkreislauf besonders große Risiken:

    • Technologisch sind viele der benötigten Verfahren noch nicht im kommerziellen Einsatz, warnen die Autoren. Das gelte sowohl für die großtechnische Herstellung von SNG als auch für den Rücktransport des CO₂s per Schiff. Auch das Direct-Air-Capture-Verfahren, mit dem jene CO₂-Mengen ausgeglichen werden sollen, die nicht abgeschieden und recycelt werden können, ist noch nicht kommerziell erprobt.
    • Kommerziell ist unklar, ob das SNG am Markt konkurrenzfähig sein wird. Der Wasserstoffimport per Pipeline würde preiswerter sein, dürfte aber nicht die benötigten Mengen liefern können, heißt es in der Studie. Auch der Wasserstoffimport in Form von NH3 oder flüssigen organischen Wasserstoffträgern, die ebenfalls noch nicht in großem Stil erprobt sind, könnte billiger sein. Zudem könnte die fehlende Planungssicherheit potenzielle Nutzer abschrecken.
    • Regulatorisch ist unklar, wie mit den Restemissionen umgegangen wird, die beim Verfahren entstehen. Für deren Ausgleich gebe es bisher nur freiwillige Verfahren, die von der EU nicht anerkannt werden.
    • In Bezug auf die Infrastruktur könnte die Nutzung von SNG die Umrüstung von Methan-Pipelines zu Wasserstoffpipelines verzögern, weil das synthetische Methan diese Pipelines benötigt. Falls die Technik in größerem Ausmaß genutzt werde, seien zudem neue Pipelines notwendig, um das CO₂ zurück zum Terminal zu transportieren.

    Agora Industrie-Direktor Frank Peter sieht den Optimismus der Politik darum skeptisch. “Bei möglichen Importen von Wasserstoffderivaten nach Deutschland muss sichergestellt werden, dass diese vom Preis her zeitnah wettbewerbsfähig sind und tatsächlich klimaneutral erfolgen”, sagte er Table.Media. “Dafür sind teils noch erhebliche technologische Fortschritte bei den Komponenten nötig, die eine Reduktion des CO₂-Ausstoßes sicherstellen sollen.” Dies sei essenziell, um einen fossilen Lock-In zu verhindern. “Es bleibt zu klären, ob diese Fortschritte in gegebener Zeit erfolgen können”, warnt Peter. “Zugleich darf hierdurch die Transformation weg von fossiler Energie nicht verzögert werden.”

    Das Unternehmen TES (Tree Energy Solutions), das den Import des SNG nach Wilhelmshaven plant, bleibt dagegen optimistisch. “Die Infrastruktur zum CO₂-Rücktransport wird bis 2030 bereit sein”, sagt CEO Marco Alverà auf Anfrage. Allerdings zeigen auch die Zahlen, die der TES-Chef nennt, dass die Realisierung der Pläne schwieriger ist, als zunächst gedacht: Als das Projekt angekündigt wurde, hieß es, dass im Jahr 2030 bereits 75 Terawattstunden SNG in Wilhelmshaven importiert werden sollen. Aktuell sind für diesen Zeitpunkt nur noch 15 Terawattstunden vorgesehen; das entspricht laut Alverà rund 10 Prozent der Menge, die 2030 insgesamt am LNG-Terminal ankommen soll.

    Angesichts der neuen Erkenntnisse klingt auch das Bundeswirtschaftsministerium plötzlich weniger euphorisch. Während das BMWK die Pläne von Betreiber TES für die Anlandung von “grünem Gas” in Wilhelmshaven im vergangenen Jahr in einer Pressemitteilung noch als Tatsache vermeldet hatte, äußert sich das Haus von Robert Habeck jetzt deutlich distanzierter. “Das TES-Konzept ist im BMWK bekannt und wurde vom Unternehmen bei verschiedenen Gelegenheiten vorgestellt”, teilte eine Sprecherin Table.Media mit. “Eine abschließende fachliche Bewertung beziehungsweise Positionierung des BMWK liegt noch nicht vor.

    • LNG
    • Methan
    • Wasserstoff

    Termine

    5. bis 26. September, New York
    Generalversammlung UN General Assembly
    Die 78. Generalversammlung der UN wurde am Dienstag eröffnet. Die High-Level-Meetings beginnen am 19. September. Detaillierte Informationen zu den Klima-Events auf und rund um die Generalversammlung haben wir in dieser News zusammengestellt.  Infos

    14. September, 13 Uhr, Berlin und Online
    Seminar Unternehmen & Verantwortung für die Umwelt: Die neuen OECD-Leitsätze
    Auf der halbtägigen Konferenz des BMUV und des OECD Berlin Centre diskutieren Vertreter von OECD und Unternehmen über die Bedeutung der neuen OECD-Leitsätze für Unternehmen, die Zivilgesellschaft und den Staat sowie die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen. Die Aktualisierung des Umweltkapitels soll dabei in den Kontext nationaler und internationaler Entwicklungen gesetzt und Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung der neuen Erwartungen vorgestellt werden. Infos

    15. September, weltweit
    Demonstration Globaler Klimastreik
    Fridays for Future und andere Gruppen der Klimabewegung mobilisieren wieder einmal weltweit zu Demonstrationen für Klimagerechtigkeit. Infos

    18. bis 19. September, Bremerhaven
    Seminar Zukunftswerkstätten Kultur und Klimaschutz
    Kultur und Klimaschutz sind zwei Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Die Klimadebatte wird dem bisher nicht gerecht. Darum lädt die Klima-Allianz Deutschland im Herbst 2023 zu vier Zukunftswerkstätten in Bremerhaven, Berlin, Bonn und Karlsruhe ein. Die Auftaktveranstaltung findet in Bremerhaven statt.  Infos

    18. bis 22. September, verschiedene Orte
    Aktionswoche Woche der Klimaanpassung
    Das Zentrum Klimaanpassung bietet in dieser Woche Vorträge, Workshops und Seminare, um Klimaanpassung in den Fokus zu rücken.  Infos

    19. September, 14 Uhr, Online/Berlin
    Konferenz Spiegel x BCG Klimakonferenz
    Die Redaktion des Magazins Der Spiegel will gemeinsam mit der Unternehmensberatung BCG und Fachleuten ausloten, wie die Bereiche Wohnen, Ernährung, Mobilität und Industrie die Klimawende schaffen können. Infos

    19. bis 20. September, Berlin/Online
    Tagung Gas 2023 – Moving Forward die Zukunft der Gasindustrie aktiv gestalten
    Fossiles Gas spielt als globaler Energieträger weiterhin eine zentrale Rolle in der Energiewirtschaft. Die Dekarbonisierung des Energiesektors erfordert jedoch einen beschleunigten Umstieg von fossilen auf erneuerbare, nachhaltige Energien. Darüber, wie das zusammengehen kann, wird auf der Handelsblatt-Jahrestagung diskutiert.  Infos

    21. September, 18 Uhr, Berlin
    Diskussion Energiewende oder “Power Drain”? Perspektiven auf Wasserkraft und Wasserstoff in Afrika
    Die NGO GegenStrömung diskutiert mit Gästen aus der Demokratischen Republik Kongo sowie verschiedenen deutschen Akteuren über Energiewende im afrikanischen Kontext.  Infos

    20. September, 18.30 Uhr, Berlin
    Diskussion Erneuerbare Energien, saubere Kraftstoffe, nachhaltige Mobilität – Welche Impulse für die Umstellung der Energiebasis des Verkehrssektors jetzt nötig sind
    Das Deutsche Verkehrsforum e. V. (DVF) diskutiert mit Akteuren und Akteurinnen aus verschiedenen Bereichen über Impulse für die Verkehrswende. Infos

    21. bis 22. September, Berlin
    Workshop Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz
    Kultur und Klimaschutz sind zwei riesige Themenkomplexe, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Doch bisher finden kulturelle Perspektiven in der Klimadebatte zu wenig Gehör. Um einen Anfang zu schaffen, lädt die Klima-Allianz Deutschland gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Yeşil Çember und LIFE Bildung Umwelt Chancengleichheit e. V. zu einer Zukunftswerkstatt in Berlin ein. Infos

    News

    Klima in Zahlen: Importländer für grüne Energie

    Woher sollen die klimaneutralen Energieträger für die Dekarbonisierung der deutschen Industrie am günstigsten kommen? Und was kostet das? Eine Übersicht darüber hat jetzt das Fraunhofer Institut für Solare Energiesystem (ISE) im Auftrag der Stiftung H2Global erstellt. Das Projekt hat 39 Regionen in 12 Ländern untersucht und jeweils für das Jahr 2030 die Kosten für die Herstellung dieser “Power To X”-Treibstoffe plus Transport nach Deutschland berechnet.

    Das Ergebnis: Für Ammoniak, Methanol oder Kerosin aus Erneuerbaren Energien sind die günstigsten Importländer Brasilien, Kolumbien und Australien. Die Stoffe müssten dann per Schiff transportiert werden. Bei grünem Wasserstoff ist die günstigste Variante der Transport via Pipeline. Würden diese gebaut, wären Südeuropa oder Nordafrika die besten Importländer. Der Import aus Mexiko, dem südlichen Afrika oder Indien wäre demnach deutlich teurer.

    Grafik

    Nach den ISE-Berechnungen benötigt Deutschland 2030 Power-to-X-Energieträger im “mindestens einstelligen Terrwattstunden-Bereich“, heimisch erzeugt und importiert. Großer Vorteil der Importländer ist demnach die Kombination aus großen Potenzialen bei Wind- und Sonnenenergie und die mögliche hohe Auslastung der kapitalintensiven Anlagen. Mitgeplant müsse für die Exportländer aber auch der Aufbau einer heimischen Wirtschaft, die auf Erneuerbaren beruht. bpo

    Studie: Sechs von neun planetaren Grenzen überschritten

    Die Menschheit riskiert immer deutlicher ihre eigenen Überlebensgrundlagen. Das zeigt eine neue, in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie. In dem Paper hat ein internationales Forschungsteam rund um die Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen die planetaren Grenzen erstmals vollständig quantifiziert. Bisher war das nicht in allen Dimensionen möglich gewesen.

    Ein wichtiges Ergebnis ihrer aktuellen Untersuchung ist: Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. In mehreren von ihnen befinde man sich bereits “im Hochrisikobereich”, sagt Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitautor der Studie. Überstrapaziert ist das Erdsystem demnach in den Bereichen Klima, Biodiversität, Entwaldung, Schadstoffe/Plastik, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser.

    Die erstmals 2009 beschriebenen planetaren Grenzen sollen einen sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit markieren. Je länger und je weiter sie aber überschritten werden, desto instabiler wird das ganze System. Die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwinde, sagt Rockström. “Dies bringt mögliche Kipppunkte näher und verringert die Chance, die wir noch haben, die planetare Klimagrenze von 1,5 Grad einzuhalten.”

    Er und Richardson betonen, dass Klimaschutz allein aber nicht ausreicht. Beide fordern ein umfassendes, systemisches Umsteuern der Politik, das alle neun Erdsystemgrenzen schützt. In der Studie analysierten sie und ihr Forschungsteam besonders die Wechselwirkungen zwischen Biosphäre und Klima. Maßnahmen zum Klimaschutz könnten der Biodiversität auch schaden, erklärt Richardson, wenn etwa Produkte, die bisher aus Öl hergestellt werden, durch biologische Materialien ersetzt würden. “Wenn wir auf diese Art weitermachen, werden wir auch das Klimaproblem nicht lösen können.”

    Auf der Climate Week in New York wird die Forschergruppe in der kommenden Woche ihre Ergebnisse präsentieren. Richardson hofft, dass die Studie dort als “Weckruf” wahrgenommen wird. Dank der Untersuchung könne man dort “so klar kommunizieren wie nie zuvor”, sagt Rockström. “Aber wir sitzen in New York nicht mit am Verhandlungstisch.” ae

    • Biodiversität

    UN-Generalversammlung: Das sind die Klima-Termine

    Während der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York gibt es mehrere High-Level-Meetings, die in Sachen Klima besonders relevant sind:

    • 18. bis 19. September, SDG Summit 2023: Staats- und Regierungschefs diskutieren zur Halbzeit die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und überprüfen den Fortschritt bei den 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Ein detailliertes Programm dazu findet sich hier.
    • 20. September, Financing for Development: Auf Grundlage der Aktionsagenda von Addis Abeba soll ein neuer, globaler Rahmen für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung geschaffen werden, indem alle Finanzierungsströme und politischen Maßnahmen an wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Prioritäten ausgerichtet werden.
    • 20. September, Climate Ambition Summit: Um das Handeln von Regierungen, Unternehmen, Finanzinstituten, lokalen Behörden und der Zivilgesellschaft zu beschleunigen und von “Vorreitern und Machern” zu hören, beruft der Generalsekretär der Vereinten Nationen einen Klimagipfel am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York ein. Ergebnis sollen drei Beschleunigungspfade unter den Stichworten Ehrgeiz, Glaubwürdigkeit und Umsetzung sein.
    • 21. September, Preparatory Ministerial Meeting for the Summit of the Future: Im September 2024 soll der “Summit for the Future” stattfinden, um “multilaterale Lösungen für ein besseres Morgen” zu erarbeiten und der Klima- und Biouniversitätskrise zu begegnen. Dafür findet ein Vorbereitungstreffen statt.
    • 22. September, am Rande der Generalversammlung: Der designierte COP28-Präsident Sultan al Jaber ruft seine Amtskolleginnen und Amtskollegen zu Ministerberatungen rund um die Struktur des “Loss and Damage-Fonds” zusammen. Das Vorbereitungskomitee für dieses Gremium hatte in seinen Sitzungen bisher die wichtigsten Fragen nicht klären können.

    Parallel zu der UN-Generalversammlung findet die Climate Week NYC vom 17. bis zum 24. September statt. Das Motto ist “We Can. We Will”. Die Zivilgesellschaft organisiert am 17. September einen “March to End Fossil Fuels” – auch als Kritik an der UN-Generalversammlung. kul

    • Klimafinanzierung

    Weltbank: Milliarden US-Dollar für fossile Energien?

    Die Weltbank hat sich vorgenommen, klimafreundlich zu werden. Doch im vergangenen Jahr hat eine ihrer Töchter rund 3,7 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um internationale Öl- und Gasgeschäfte zu unterstützen. Zu dem Ergebnis kommt ein neuer Report der Umweltorganisation urgewald. Die Zahl ist allerdings eine Schätzung – denn der größte Teil der finanziellen Mittel, 70 Prozent, wird laut Report “im Geheimen” vergeben. Urgewald kritisiert die mangelnde Transparenz: Nicht einmal die Anteilseigner der Bank, also die Regierungen, wüssten, wohin die Mittel flössen. Die Öffentlichkeit habe aber ein Recht darauf, das zu erfahren.

    Für den Bericht hat die urgewald-Autorin Heike Meinhardt sich die Weltbank-Tochter Internationale Finanz-Corporation IFC angeschaut. Deren Aufgabe ist es, private Unternehmen zu fördern. Konkret analysierte Meinhardt die Handelsfinanzierung durch die IFC. Deren Umfang sei in den vergangenen drei Jahren stark angestiegen und mache inzwischen mehr als 60 Prozent der jährlichen Förderzusagen aus. Insgesamt schätzt Meinhardt die von der IFC vergebenen Mittel für 2022 auf knapp 14 Milliarden US-Dollar. Davon entfallen laut dem urgewald-Report rund 27 Prozent auf die Finanzierung von Öl und Gas.

    Die Organisation kritisiert: Die Weltbank habe zwar versprochen, das Geschäft mit Kohle und mit der Öl- und Gasförderung selbst (“upstream oil and gas”) nicht mehr zu unterstützen. Doch die Verpflichtung gelte nur für die direkte Finanzierung durch die Weltbank – nicht aber für die finanzielle Förderung von Handelsbeziehungen. “Beendet die Weltbank wirklich ihre Unterstützung für fossile Energieträger, oder nennt sie es einfach nur ‘Handelsfinanzierung’?”, fragt der Report deshalb. Urgewald fordert, die Bank müsse alle Geschäfte mit fossilen Energieträgern und damit verbundenen Gütern explizit ausschließen.

    USA verursacht am meisten CO₂-Emissionen aus Öl und Gas

    Ein weiterer Report, verfasst von der Organisation Oil Change International, sieht derweil die USA als Hauptverantwortlichen für künftige CO₂-Emissionen aus neuen Öl- und Gasförderprojekten, gefolgt von Kanada, Australien, Norwegen und dem Vereinigten Königreich. Schon heute seien die USA der größte Öl- und Gasproduzent der Welt, heißt es in dem Bericht. Die Emissionen, die voraussichtlich aus den bis 205 geplanten neuen Förderprojekten entstünden, seien zu mehr als 30 Prozent auf US-Investitionen zurückzuführen.

    Über die Details der Weltbank-Reform wird derzeit noch diskutiert. Erst im Juni hatte die Bank die Staaten aufgefordert, fossile Subventionen in Zukunft für den Klimaschutz zu nutzen. Die Rede war von 1,25 Billionen US-Dollar pro Jahr. ae

    • Erdgas
    • Erdöl
    • IFC
    • Subventionen
    • Weltbank

    Erhebung: Rekordemissionen durch Waldbrände in Kanada

    Mehr als 1500 Megatonnen Kohlenstoffemissionen (etwa 5500 Megatonnen CO₂) entstanden in diesem Jahr bisher durch Waldbrände weltweit. Der mit Abstand größte Anteil der Emissionen geht demnach mit 410 Megatonnen (rund 1500 Megatonnen CO₂) und 27 Prozent davon auf die Waldbrände in Kanada zurück. Das liegt weit über dem bisherigen Rekord von 138 Megatonnen aus dem Jahr 2014. Zu diesem Ergebnis kommt eine Datenauswertung des Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS).

    Da die Waldbrandsaison schätzungsweise noch bis Oktober dauert und es beispielsweise in Kanada noch immer aktive Waldbrände gibt, können sich die Zahlen auch noch weiter erhöhen. Auch wenn Waldbrände jeden Sommer auftreten, so steige doch mit höheren Temperaturen und Trockenheit das Risiko für “katastrophale Waldbrände wie diese in Kanada”, so Marik Parrington Senior Scientist beim CAMS. 

    Neben Kanada gab es in dieser Saison auch größere Waldbrände in Russland, besonders in der Arktis, so wie im Mittelmeerraum beispielsweise in Griechenland. Die Auswertung hebt außerdem die Feuer auf Maui in Hawaii und in Spanien und Portugal hervor. Auch wenn es aus Kanada Rekordemissionen gibt – global gesehen sind die Emissionen aus Waldbränden in diesem Jahr eher niedrig. 2003 hatten Waldbrände weltweit beispielsweise mehr als 2400 Megatonnen an Kohlenstoffmissionen (ca. 8800 Megatonnen CO₂) produziert. kul

    • Kanada
    • Russland
    • Waldbrände

    Diskussion über Klimawandel nach Überschwemmungen in Libyen

    Bei Überflutungen im Nordosten von Libyen sind nach aktuellen Berichten 5.200 Menschen ums Leben gekommen, mindestens 10.000 weitere werden vermisst. Nun haben Diskussionen darüber begonnen, inwiefern die Extremwetterereignisse und der mediterrane Wirbelsturm Daniel durch den Klimawandel beeinflusst wurden: Die Klimaforschung geht davon aus, dass der Klimawandel solche Wirbelstürme seltener, aber stärker und somit zerstörerischer macht.

    Zuerst hatte das Sturmtief Daniel in der vergangenen Woche Dörfer und Städte in Griechenland überschwemmt. Danach zog es weiter über das Mittelmeer. Dass aus dem Tiefdruckgebiet dann ein Wirbelsturm wurde, liegt nach verschiedenen Berichten auch daran, dass die Oberflächentemperatur des Mittelmeers in diesem Jahr deutlich erhöht ist. Meteorologe Christian Herold vom Deutschen Wetterdienst sagte beispielsweise, das Mittelmeer sei aktuell um rund vier Grad Celsius wärmer als normal, und er erklärte: “Die hohen Wassertemperaturen heizen auch die Luft auf, die dadurch mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann”.

    Auch der Meteorologe Karsten Schwanke erklärte dazu in der ARD, wie sich so ein tropischer Wirbelsturm bilden konnte. In Libyen sei infolgedessen dann an einigen Stellen innerhalb eines Tages dreimal so viel Wasser gefallen wie 2021 bei der Starkregen-Katastrophe im Ahrtal. Damit reihten sich die Regenfälle in eine ganze Gruppe von Wetterextremen in diesem Jahr ein, die von der Klimakrise begünstigt wurden.

    Erschwerend komme hinzu, dass Libyen schlecht vorbereitet und deswegen besonders anfällig für die Folgen von Extremwetter sei. Das berichten zum Beispiel die New York Times und die Washington Post. Zusätzlich lebt ein Großteil der Einwohner des Landes in Gebieten, in denen durch den Anstieg des Meeresspiegels bereits ein höheres Risiko für Überflutungen besteht. kul

    • Extremwetter
    • Meeresspiegel

    NGOs wollen bei COP28 Menschenrechte thematisieren

    Mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben zur anstehenden COP28 in einem offenen Brief gefordert, die Lage der Menschenrechte und den Einfluss der fossilen Wirtschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zu thematisieren. “Klimagerechtigkeit und Menschenrechte sind eng verbunden, es kann das eine nicht ohne das andere geben”, heißt es in dem Schreiben. Die Konferenz in einem “repressiven Petrostaat” abzuhalten und sie von einem Öl-Manager leiten zu lassen, sei “rücksichtslos”. Außerdem zeuge diese Entscheidung von einem offenen Interessenkonflikt und bedrohe die Legitimität des Prozesses.

    Regierung und Delegierte sollten darauf drängen, dass:

    • die VAE die COP-Delegierten nicht “ausspionierten” und unrechtmäßige elektronische Überwachung beendeten.
    • alle “Gefangenen aus Gewissensgründen” entlassen würden.
    • die Verletzung von Frauenrechten und den Rechten der LGBTQ+-Gemeinde beendet würde.
    • die Rechte von Arbeitern gewährt würden.
    • die VAE keine Menschenrechtsverletzung in der Golfregion wie etwa im Jemen unterstützten.
    • das “Greenwashing” der VAE und ihre “Heuchelei” rund um fossile Brennstoffe beendet würden.

    Unter anderem Sektionen der Friends of the Earth oder des Climate Action Network und viele kleinere Gruppen aus dem Globalen Süden haben das Schreiben unterzeichnet. Es bekräftigt einen ähnlichen Protestbrief vom Jahresanfang. Darin hatten viele NGOs vor allem gegen die Rolle von Sultan al Jaber als COP-Präsident protestiert. Er ist gleichzeitig auch Industrieminister der VAE und Vorstand des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Adnoc. bpo

    • COP28
    • Proteste
    Translation missing.

    Presseschau

    Analyse: Was Klimaschutz mit Impfungen zu tun hat The Telegraph
    Hintergrund: Wie die Überflutungen in Libyen mit dem Klimawandel zusammenhängen Washington Post
    Interview: Wienerberger baut weltgrößten Elektro-Ofen für Ziegel Energate
    Kommentar: Die Katastrophenformel hinter der Zunahme von Wetterextremen Der Spiegel
    Analyse: Afrika spricht über die Klimakrise, aber hört der Westen zu? The Guardian
    Analyse: Was passierte, als ein Wissenschaftler seine eigene Klimaforschung anprangerte und kritisierte The Washington Post
    Interview: Lukas Köhler erklärt, wie liberaler Klimaschutz funktionieren soll Frankfurter Allgemeine Zeitung
    Kommentar: Die Nachfrage nach Fossilen wird noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen – aber nicht schnell genug zurückgehen Financial Times
    Hintergrund: Die Geschichte hinter den SDGs nature
    Nachricht: Fast die gesamte Weltbevölkerung erlebte in den vergangenen drei Monaten durch die Erderwärmung erhöhte Temperaturen Climate Home News
    Reportage: Deutschlands Problembaum Kiefer Die Zeit
    Reportage: Gegen den Klimawandel gibt es verschiedene Strategien Die Tagesszeitung

    Heads

    Friederike Otto: Sie macht den Klimawandel konkret

    Erhält den Deutschen Umweltpreis: Attributionsforscherin Friederike Otto

    Einen kleinen Teil des Preisgeldes wird Friederike Otto für ihren Garten verwenden. Sie möchte ihn “in etwas verwandeln, in dem Bienen, Schmetterlinge und ich uns wohlfühlen werden”, antwortet die Attributionsforscherin auf eine Anfrage von Table.Media. Der größte Anteil der Summe aber soll in die Forschung fließen. “Ich werde damit die Verträge meines fantastischen Teams hier am Grantham-Institute verlängern”, schreibt Otto, “und mir selbst eine kleine Pause und ein wenig Freiheit von der Suche nach Geld gönnen.”

    Die Physikerin und Philosophin Otto, die derzeit am Grantham-Institute des Imperial College London forscht, erhält in diesem Jahr den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Vergeben wird die mit 500.000 Euro dotierte Auszeichnung an Menschen, die sich “entscheidend und in vorbildhafter Weise” für den Umweltschutz einsetzen. Unter den bisher Geehrten sind prominente Persönlichkeiten wie der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der Klimawissenschaftler und Nobelpreisträger Klaus Hasselmann und der verstorbene Außenminister der Marshallinseln Tony de Brum.

    Otto teilt sich ihre Auszeichnung mit Dagmar Fritz-Kramer, der Geschäftsführerin des Familienunternehmens Bau-Fritz. Die beiden Frauen sind Pionierinnen auf ihrem Gebiet: Bau-Fritz hat sich auf ökologische Fertighäuser aus Holz spezialisiert. Das Unternehmen wurde dafür mehrfach ausgezeichnet – wie auch seine 52-jährige Chefin Fritz-Kramer selbst.

    Eine Welt ohne Klimawandel im Modell

    Die 41-jährige Otto gründete im Jahr 2015 gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen niederländischen Kollegen Geert Jan van Oldenborgh die Initiative World Weather Attribution (WWA). Damit trugen die beiden maßgeblich zur Entwicklung der Attributionsforschung bei. Ihnen gelang, woran die Klimawissenschaft zuvor regelmäßig scheiterte: schnell herauszufinden, ob einzelne Extremwetterereignisse – Starkregen, Hitzewellen, Stürme und Dürren – tatsächlich mit der Erderwärmung zusammenhängen. So machten sie den Klimawandel konkret.

    Dazu vergleicht die WWA das, was in der Realität passiert, mithilfe von Computermodellen mit den hypothetischen Wetterverhältnissen, die auf einem Planeten ohne Klimawandel herrschen würden. Weil die Ergebnisse möglichst früh veröffentlicht werden sollen, durchlaufen sie keinen zeitaufwändigen Peer-Review-Prozess. Doch die von der WWA genutzten Methoden selbst sind etabliert und im Peer-Review geprüft. Das ermöglicht es der Initiative, schnell valide Ergebnisse zu präsentieren.

    Die Frage, welche Aussagen sich anhand wissenschaftlicher Untersuchungen über die Realität treffen lassen, begleitet Otto schon lange. In ihrer Doktorarbeit in Philosophie beschäftigte sich die Forscherin mit der erkenntnistheoretischen Frage, was man aus Klimamodellen lernen kann – und was eben nicht. Bis heute zieht sich das Motiv durch ihre wissenschaftliche Arbeit.

    Die Attributionsforschung ist inzwischen etabliert. Im jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, an dem Otto als Leitautorin beteiligt war, spielte der Forschungszweig eine wichtige Rolle. Otto selbst ist zu einem der prominentesten Gesichter der Klimawissenschaft geworden. Je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto häufiger treten extreme Wetterlagen auf – und desto häufiger wird sie gebeten, die Ereignisse in den Medien einzuordnen.

    Politisch relevante Forschung ist ihr Ziel

    Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), hat den Umweltpreis 2020 erhalten. Er nennt die Forscherin gegenüber Table.Media eine “großartige Preisträgerin”. Otto selbst kommentiert ihre Auszeichnung so: Der Preis sei “eine sehr schöne Anerkennung”, dass ihre Forschung “auch außerhalb der wissenschaftlichen Welt von Bedeutung” sei und dazu beitrage, “dass wir die Auswirkungen extremer Wetterverhältnisse verstehen und etwas dagegen tun können. Aber es ist traurig, dass Geert Jan nicht mehr hier ist, um den Preis zu teilen.”

    Otto sagt, sie wolle eine Forschung betreiben, die Politikern und Politikerinnen helfe, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn die WWA ihre Ergebnisse präsentiert, gehören deshalb sehr oft Vorschläge für wirksame Anpassungsmaßnahmen dazu. Beispielsweise gebe es einen “unglaublichen Bedarf” an Hitzeaktionsplänen, sagt Otto, “gerade in Anbetracht von zunehmender Vulnerabilität durch eine alternde Gesellschaft und vermehrter Ungleichheit in der Gesellschaft.” Um akute Klimaschäden im Globalen Süden zu beheben und sich langfristig besser gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen, müsse eher mehr Geld in die betroffenen Regionen fließen als weniger, sagt sie – wichtig sei aber auch, die Mittel passend einzusetzen.

    Das Streben nach mehr Gerechtigkeit treibt sie an. “Den Preis für den Klimawandel zahlen diejenigen, die am wenigsten Emissionen verursacht haben”, sagt sie. “Die am verwundbarsten sind – nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in Deutschland und Europa. Aber das ist keine Gesellschaft, in der ich leben möchte.” Also versucht sie, daran etwas zu ändern.

    Gerade untersucht Otto mit der WWA-Initiative die jüngsten Überschwemmungen in Spanien, Griechenland und Bulgarien. Daneben analysieren die Forschenden die Waldbrände in Europa von diesem Sommer. Bis Freitag sollen die Ergebnisse zu den Überschwemmungen vorliegen. Die Analyse der Brände wird wohl noch etwas länger dauern. Alexandra Endres

    • Attributionsforschung
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    • Klimaanpassung
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    • World Weather Attribution

    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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