Table.Briefing: Climate

G20: Steuerpläne für Milliardäre + Klimalabel vor Gericht + ETS II: Wie die Preise steigen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Heute dreht sich bei uns vieles um eine andere Art der Klimafinanzen: Es geht nicht wie sonst um Hilfen für Klimaschutz und Anpassung, sondern zum Beispiel um eine Milliardärssteuer für Superreiche. Die diskutiert man schon lange, jetzt gibt es die ersten Details von der G20-Präsidentschaft Brasilien – mit einigen Überraschungen. Ebenso unsicher ist die Zukunft des deutschen CO₂-Preises für Heizen und Verkehr und wie er in den EU-Emissionshandel integriert werden kann. Die Pläne dafür müssten jetzt vorliegen, was sie aber nicht tun. Ein Vertragsverletzungsverfahren droht – und Preisschocks. Wir blicken auf die Folgen und mögliche Lösungen.

Auch sonst regiert Geld die Klimawelt, mehr oder weniger direkt: Wir berichten unter anderem über eine CO₂-Abgabe auf Kühe in Dänemark, aber auch über die deutsche Energiewende, die Milliarden an Investitionen braucht, wenn die ehrgeizigen Ziele gehalten werden sollen. Und auch beim Streit vor dem höchsten deutschen Gericht um die Frage, ob Fruchtgummis als “klimaneutral” beworben werden dürfen, geht es nicht um eine Geschmacksfrage – sondern um den Umsatz der Herstellerfirma und mögliche Täuschung der Kunden.

Wie immer wünschen wir eine spannende Lektüre!

Ihr
Bernhard Pötter
Bild von Bernhard  Pötter

Analyse

G20: Wie eine globale Milliardärssteuer aussehen soll

Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad treibt im Rahmen der G20 Pläne für eine globale Milliardärssteuer voran
Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad treibt Pläne für eine globale Milliardärssteuer voran.

Brasilien schlägt im Rahmen der G20 eine globale Mindeststeuer für Milliardäre vor, um mehr Geld für den Klimaschutz und den Kampf gegen die Armut zu mobilisieren. Im Auftrag der brasilianischen G20-Präsidentschaft hat der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman vor dem G20-Finanzministertreffen am 25./26. Juli eine “Blaupause” für eine solche Reichensteuer auf Vermögen geschrieben. Das Vorhaben ist ein zentrales Element der brasilianischen G20-Präsidentschaft und wird mittlerweile auch von Frankreich, Spanien und Südafrika unterstützt. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat Zustimmung signalisiert. Zucman, Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts EU Tax Observatory an der Paris School of Economics, zeigt sich überzeugt: Dank der erfolgreich eingeführten Mindeststeuer für multinationale Konzerne und “der jüngsten Fortschritte in der internationalen steuerlichen Zusammenarbeit” sei eine globale Mindeststeuer für Milliardäre “möglich geworden”. Wie groß allerdings der Klimanutzen wäre, ist noch offen.

3.000 Superreiche könnten 250 Milliarden US-Dollar einbringen

Würde man das Vermögen der rund 3.000 globalen Milliardäre mit einem jährlichen Mindestsatz von zwei Prozent besteuern, kämen laut Zucmans Berechnungen zwischen 200 und 250 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen zusammen. Laut dem französischen Steuerforscher wäre die Mindeststeuer keine zusätzliche Abgabe, denn: Superreiche, die schon Steuerzahlungen von über zwei Prozent ihres Vermögens leisten, würden nicht zusätzlich belastet.

Dennoch kommt Zucman auf 200 bis 250 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen. Denn in den aktuellen Steuersystemen der meisten Staaten werden die Vermögen der Superreichen kaum besteuert. Auch zahlen sie häufig weniger Einkommensteuern als Normalverdiener, da sie einen Großteil ihres Einkommens durch Unternehmensbeteiligungen verdienen und hier Schlupflöcher finden, um das zu versteuernde Einkommen gering zu halten. Laut dem amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz und der indischen Ökonomin Jayati Ghosh zahlen beispielsweise US-Milliardäre umgerechnet nur 0,5 Prozent Steuern pro Jahr auf ihr Vermögen. “Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten haben Milliardäre einen niedrigeren effektiven Steuersatz als Amerikaner der Arbeiterklasse”, klagen die beiden Wirtschaftswissenschaftler.

Würden auch Menschen mit einem Vermögen von über 100 Millionen US-Dollar in die Mindeststeuer einbezogen, ergäben sich zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 300 bis fast 380 Milliarden. Bei einer dreiprozentigen Mindeststeuer und der Einbeziehung von Menschen mit einem Vermögen von mehr als 100 Millionen US-Dollar lägen die Einnahmen schon bei 550 bis 690 Milliarden, wie die Berechnungen von Zucman zeigen.

Schwierig: Vermögen beziffern, Steuerflucht verhindern

Laut Zucman gibt es bei der Umsetzung der Milliardärssteuer einige Herausforderungen:

  • Wie hoch ist das Vermögen? Viele Superreiche hielten den größten Teil ihres Vermögens in Form von Unternehmensbeteiligungen. Rund die Hälfte der Beteiligungen wird nicht an Börsen gehandelt, wodurch es schwierig ist, ihren Wert zu beziffern. Die Steuerbehörden könnten diese privaten Unternehmen aber mit öffentlich gelisteten Unternehmen vergleichen und ihren Wert gut schätzen, so Zucman. Selbst mit einer unvollkommenen Annäherung an die realen Vermögenswerte wäre schon viel geleistet, sagt Zucman bei der Vorstellung seines Berichts.
  • Wie wird Steuerflucht verhindert? Um zu verhindern, dass Superreiche ihr Vermögen vor dem Fiskus verstecken, müssten die Staaten noch mehr Vermögens- und Steuerinformationen austauschen. Hier habe es in den letzten Jahren viele Fortschritte gegeben, aber einige Lücken blieben bestehen, so Zucman.
  • Müssen alle Staaten mitmachen, damit es keine Ausweichmöglichkeiten gibt? Laut Zucman gäbe es Möglichkeiten, auch Superreiche zu besteuern, die ihren Wohnsitz nach Einführung der Milliardärssteuer in Länder verlegen, die sich nicht beteiligen. Die Superreichen könnten beispielsweise weiterhin von ihren Heimatländern besteuert werden. Und wie bei der Mindeststeuer für multinationale Unternehmen, die 2021 von über 130 Staaten beschlossen wurde, könnten Superreiche auch dann von teilnehmenden Staaten besteuert werden, wenn ihre Heimatländer sich der globalen Milliardärssteuer nicht anschließen. Das würde laut Zucman jedoch “ausführliche und umfassende Diskussionen” auf internationaler Ebene erfordern und könnte beispielsweise die Nachverhandlung von Doppelbesteuerungsabkommen notwendig machen.

Zucman zeigt sich jedoch überzeugt, dass sich all diese Probleme überwinden lassen, wenn “politischer Wille” aufgebracht werde.

Nutzen für den Klimaschutz noch unklar

Wie viel Geld eine globale Milliardärssteuer für den Klimaschutz einbringen würde, ist hingegen noch offen. Eine solche Steuer sei “nicht so einfach in Klimafinanzierung zu übertragen”. Da sie von den Staaten erhoben werde, “sind neue Verteilungskonflikte zu erwarten“, sagt David Ryfisch, Klimafinanz-Experte von Germanwatch. Die US-Finanzministerin Janet Yellen hat sich beispielsweise schon gegen eine internationale Umverteilung der Einnahmen aus einer globalen Milliardärssteuer ausgesprochen. Gleichzeitig hat US-Präsident Joe Biden einen Plan für eine Milliardärssteuer in Höhe von 25 Prozent – allerdings auf das Einkommen und nicht auf Vermögenswerte – vorgelegt. Laut Zucman ist dieses Vorhaben insgesamt aber “ehrgeiziger” als der G20-Vorschlag Brasiliens.

Jan Kowalzig, Klimafinanz-Experte von Oxfam, hält die Milliardärssteuer für ein “realistisches Instrument, um mehr Geld für die Klimafinanzierung und soziale Fragen zu mobilisieren”. Der Finanzierungsbedarf für den globalen Klimaschutz werde in den nächsten Jahrzehnten sehr groß sein. Deswegen sollte keine Finanzquelle von vornherein ausgeschlossen werden. “Allerdings dürfen eine globale Milliardärssteuer und andere neue Finanzquellen nicht von der Verantwortung des globalen Nordens ablenken. Das sehen auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer so, die auf Unterstützung aus dem Globalen Norden angewiesen sind”, sagt Kowalzig zu Table.Briefings.

Wer bekommt das Geld?

Hinzu kommt: Ein Großteil der Superreichen lebt noch immer im globalen Norden. Ihre Steuerzahlungen würden also tendenziell in die reicheren Industriestaaten fließen. Zwar hat sich die Verteilung der Milliardäre in den letzten Jahren verändert und auch in den Entwicklungs- und Schwellenländer gibt es immer mehr Superreiche. Aber das Steueraufkommen aus einer globalen Milliardärssteuer würde sich dennoch stark auf den globalen Norden und reiche Schwellenländer konzentrieren. Zucman hat in seinem Bericht allerdings nicht aufgeschlüsselt, auf welche Staaten welcher Anteil der 250 Milliarden an neuen Einnahmen entfallen würde.

Auch sei kaum damit zu rechnen, dass eine globale Milliardärssteuer schnell umgesetzt werden könne. Zwischen den Staaten seien lange Verhandlungen absehbar, sagte Felipe Antunes de Oliveira aus dem brasilianischen Finanzministerium bei der Vorstellung von Zucmans Bericht. Brasilien wolle das Thema bei der G20 auch nach seiner Präsidentschaft vorantreiben. Laut Zucman hätten die Verhandlungen um eine globale Mindeststeuer auf multinationale Konzerne neun Jahre gedauert. Allerdings ließe sich darauf aufbauen, sodass eine Milliardärssteuer schneller zu erreichen sei, so Zucman.

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Klimaneutral: Wie das Label seine Relevanz verloren hat

Heute wird das Urteil zur Frage verkündet, ob im Fall der “Grün-Ohr-Hasen” von Katjes die Werbung mit dem Begriff “klimaneutral” gerechtfertigt ist.

Am Donnerstag wird ein Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) im Revisionsverfahren zu dem Begriff “klimaneutral” erwartet. Die Verhandlung dazu hatte bereits im April stattgefunden. Verklagt wurde der Süßwarenhersteller Katjes, der für seine “Grün-Ohr-Hasen” mit dem Slogan: “Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral” geworben hatte. Jetzt wird verkündet, ob dies zulässig war. Katjes wirbt inzwischen nicht mehr mit dem Label.

Um “klimaneutral”-Siegel auf Produkten gibt es schon länger Streit. Der Vorwurf: Die Siegel würden den Verbraucher irreführen und suggerieren, dass bei der Produktion der Produkte keine Emissionen entstanden sind. “Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”, sagt dazu Carsten Warnecke vom Thinktank New Climate Institute zu Table.Briefings. Die Siegel hätten keine Aussagekraft darüber, welche Anstrengungen Firmen zum Klimaschutz unternehmen, weil sie nichts über Emissionsreduzierung und Restemissionen aussagen. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Bemühungen detaillierter und transparenter kommunizieren. Dass Katjes inzwischen – anders als die Konkurrenz – fast ausschließlich vegane Fruchtgummis produziere, sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung, das Siegel “klimaneutral” dagegen nicht. Der Begriff ergebe für Staaten Sinn, die Restemissionen durch Kohlenstoffsenken ausgleichen könnten, für Produkte allerdings nicht, so Warnecke.

Ende 2023 haben etwa die Verbraucherzentralen Klimaaussagen auf 87 Produkten untersucht. Sie registrierten dabei eine Vielzahl von unterschiedlichen Siegeln und Formulierungen und kamen zu dem Ergebnis, dass eine “sichere Beurteilung der Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Klimaaussagen durch Verbraucher:innen derzeit nahezu unmöglich” sei. “Wir müssen uns von der naiven Annahme verabschieden, dass freiwillige Initiativen zur Selbstregulierung für Klimaschutz sorgen”, meint Warnecke. “Stattdessen brauchen wir staatliche Regulierung”.

EU verbietet Werbung mit Klimaneutralität wegen Kompensation

Noch vor der Entscheidung im Katjes-Fall wurde allerdings auf EU-Ebene bereits Klarheit geschaffen: Ende März 2024 trat ein Gesetz gegen Greenwashing in Kraft, durch das irreführende Werbung mit Umweltversprechen verboten wird. Produkte, die Emissionen durch Kompensation ausgleichen, dürften dann beispielsweise nicht mehr als “klimaneutral”, “zertifiziert CO₂-neutral” oder “CO₂-positiv” bezeichnet werden. Die Staaten haben nun zwei Jahre Zeit, diese Regelung in nationales Recht umzusetzen. “Auf Produkten wird der Claim klimaneutral dann wohl nicht mehr verwendet werden”, meint Johanna Wurbs vom Umweltbundesamt zu Table.Briefings.

Mit der Green-Claims-Regelung der EU sollen Werbeaussagen außerdem in Zukunft vergleichbarer und zuverlässiger werden; über sie wird demnächst im EU-Parlament diskutiert. Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hofft, dass eine ambitionierte Fassung der Green-Claims-Regulierung verabschiedet wird. Insbesondere sei dafür wichtig, dass die ex ante Verifizierung von solchen Behauptungen realisiert werde. Das bedeutet, dass Claims vor Veröffentlichung von unabhängigen Prüfstellen gegengecheckt werden.

Gleichzeitig soll der Begriff Klimaneutralität an robuste Standards geknüpft werden. Dazu wurde Ende 2023 die ISO 14068-1 Norm zu “carbon neutrality” veröffentlicht. “Eine wichtige Richtlinie”, meint Wurbs. “Erstmals wird Klimaneutralität damit weltweit als Standard definiert”. Zwar sei die Diskussion innerhalb der EU auf Produktebene weitgehend beendet, auf Unternehmensebene gehe sie aber weiter.

Für das Umweltbundesamt hat die Norm aber auch Schwächen. In einem Factsheet schreibt es beispielsweise, theoretisch könnten auch “Unternehmen mit hohen THG-Emissionen und Unternehmen mit einem auf fossiler Energienutzung basierenden Geschäftsmodell die Norm erfüllen”.

Der deutsche Gesetzgeber drücke sich – anders als die EU – davor, eine aktive Rolle einzunehmen, um diese Missstände anzugehen, meint Warnecke. Es entstehe der Eindruck, die Verbraucherschutzministerien überließen es Verbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), mit viel Aufwand und Ressourcen Klagen gegen Unternehmen zu führen, und schauten selbst nur zu.

Bisherige Entscheidungen zur Werbung mit Klimaneutralität

Gegen Katjes hat im aktuellen Fall aber nicht die DUH geklagt, sondern die Wettbewerbszentrale, die sich für fairen Wettbewerb einsetzt. Obwohl es inzwischen die neuen gesetzlichen Regelungen gibt, legte die Wettbewerbszentrale im Fall Katjes Revision vor dem BGH ein. “Wir wollen damit mehr Rechtssicherheit für die Werbung mit umweltbezogenen Begriffen schaffen”, erklärte Ulrike Gillner von der Wettbewerbszentrale im Gespräch mit Table.Briefings. Klimaneutralität sei ein unscharfer Begriff, daraus gehe nicht hervor, ob Unternehmen tatsächlich selbst Treibhausgase einsparen oder bloß Zertifikate kaufen. Deswegen lässt die Wettbewerbszentrale nun in der Revision überprüfen, ob der Begriff Klimaneutralität gegen das Irreführungsverbot verstößt.

Bisher fehlt eine solche Klarheit. Deutsche Gerichte haben zur Verwendung des Siegels “klimaneutral” in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden. Im Juli 2023 entschied beispielsweise das Landgericht Karlsruhe, dass die Drogeriemarktkette “dm” bestimmte Seifen nicht damit bewerben darf. Im selben Monat hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf allerdings Katjes erlaubt, seine Produkte weiterhin mit dem Label “klimaneutral” anzupreisen.

Die Fälle sind allerdings unterschiedlich: Katjes hatte nicht nur den Zertifizierer Climate Partner genannt, sondern auch noch auf dessen Website verwiesen, wo sich die Kriterien zur Zertifizierung nachlesen lassen. Weil dieser Hinweis bei dm fehlte, beanstandete das Gericht eine “Irreführung durch Unterlassen” verkehrsrelevanter Angaben. Außerdem untersuchte das Landgericht Karlsruhe im Fall von dm zusätzlich, wo das Geld zur Kompensation investiert wurde, darunter ein umstrittenes Waldschutzprojekt in Peru. Das sprach ebenfalls gegen das Etikett: Klimaneutralität sei nicht mit CO₂-Zertifikaten aus Waldschutz vereinbar, argumentierte das Gericht – weil Treibhausgase nur vorübergehend gebunden werden, solange der Wald steht.

Einsicht bei Unternehmen und Zertifizieren

Dm hatte schon während des Verfahrens reagiert und erklärt, Produkte in Zukunft nicht mehr so bewerben zu wollen. Und Katjes verzichtete trotz des positiven Urteils inzwischen ebenfalls darauf, seine Produkte als klimaneutral zu bewerben. Der Justiziar von Katjes sagte der Lebensmittelzeitung daher, dass das Verfahren für das Unternehmen “nicht mehr relevant” sei. Auch die Drogeriemarktkette Rossmann hatte sich schon Anfang 2023 entschieden, nicht mehr mit Klimaneutralität zu werben. “Das Label ist im Grunde tot”, hatte Geschäftsführer Raoul Roßmann damals der Zeit erklärt. Selbst der Zertifizierer Climate Partner scheint das so zu sehen: Er hat den Begriff “klimaneutral” inzwischen durch das Label “Finanzieller Klimabeitrag” ersetzt.

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Was beim Übergang des nationalen Emissionshandels in den ETS II wichtig ist

Unvorbereitet könnte der Übergang in den ETS II zu einem Preisschock führen und damit zu höheren Kosten unter anderem beim Tanken und Heizen.

Am 1. Juli muss Deutschland der EU melden, wie die Zusammenführung von deutschem Emissionshandel und ETS II für Anfang 2027 ablaufen soll. Doch kurz vor dem Stichtag ist völlig unklar, wie sich die Bundesregierung hierzu verhält; sie wird wohl bis zur Frist nicht die erforderlichen Angaben liefern. Deutschland droht daher ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Mittelfristig warnen Experten zudem vor einem Preissprung für Verbraucher.  

Der ETS II löst ab 2027 das nationale Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ab. Bis Ende Juni 2024 muss die Bundesregierung nach ETS-Richtlinie das Gesetz verabschieden, um den Übergang vom nationalen Emissionshandel in den ETS II zu regeln. Beschlossen soll das in einer Novelle des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG) werden. Darüber muss allerdings noch die Regierung abstimmen, teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit. Einen genauen Zeitplan zur Verabschiedung und Vorstellung der Novelle konnte das BMWK nicht nennen. 

Bundesregierung reißt europäische Fristen

Deutschland ist bei der Umsetzung der neuen ETS-Regelungen ohnehin in Verzug. Im Januar 2024 lief eine Frist ab, bis zu der die neuen Regeln im ETS I ins nationale Recht übertragen werden müssten. Ein Vertragsverletzungsverfahren läuft deswegen bereits. Das droht nun auch beim ETS II. “Die Zeit drängt – bis zum Start des ETS II sind es nur noch zweieinhalb Jahre”, sagt Lea Nesselhauf, Projektmanagerin deutsches und europäisches Klimarecht bei Agora Energiewende. 

Durch den neuen europäischen Emissionshandel (ETS II) sollen die Emissionen im Verkehrs- und Gebäudesektor sinken. Vor allem hier braucht es Erfolge, damit die deutschen und europäischen Klimaziele erreicht werden. Die entsprechenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften fasst die Bundesregierung in der TEHG-Novelle zusammen. Damit können auch inhaltliche Punkte zum Übergang des nationalen CO₂-Preises in den ETS II geklärt werden.

Übergang in ETS II könnte zu Preisschock führen 

Hierbei gibt es allerdings ein Problem: Beim Übergang vom deutschen BEHG in den ETS II könnte es große Preissprünge geben. Aktuell liegt der nationale Preis für eine Tonne CO₂ bei 45 Euro und soll bis Ende 2026 auf höchstens 65 Euro steigen. Im europäischen System wird mit deutlich höheren Preisen gerechnet. Deshalb warnen Experten von Agora Energewende und Öko Institut vor einem Preisschock. Als realistisch gilt demnach ein Preisrahmen von 48 bis 300 Euro pro Tonne CO₂.

Bei einem Mittelwert von 200 Euro pro Tonne CO₂ könnte das laut Agora Energiewende zu einem Anstieg um 38 Cent pro Liter Benzin führen – eine große Belastung für einkommensschwache Haushalte. “Wir brauchen zügig ein Konzept für den Übergang vom nationalen zum europäischen Emissionshandel, um sprunghafte Preisanstiege beim Heizen und an der Tankstelle zu vermeiden”, sagt Nesselhauf. 

BMWK: Maßnahmen sind geplant, um Preissprünge zu reduzieren

Auch das BMWK teilt auf Anfrage mit, man gehe von einem unsicheren Preisniveau zu Beginn des ETS II aus. Um einen Preisschock zu verhindern, gebe es bereits Maßnahmen: 

  • Die aktuelle CO₂-Bepreisung sei bereits ein Instrument, um mögliche Preissprünge zu reduzieren.
  • Mit dem Front-Loading stünden ab 2027 zusätzliche Zertifikate zur Verfügung, um den Preis zu stabilisieren. 
  • Aus der Marktstabilitätsreserve (MSR) könnte man unter bestimmten Bedingungen 600 Millionen Zertifikate zusätzlich in den Markt geben. 

Diese Maßnahmen könnten laut Agora Energiewende das Problem verschieben, nicht aber lösen. “Die Auslösemechanismen für die Ausschüttung zusätzlicher Zertifikate sind unserer Analyse nach so festgelegt, dass nur ein Teil von diesen Zertifikaten überhaupt auf den Markt käme”, sagt Lea Nesselhauf. Agora Energiewende schlägt daher einen Preiskorridor vor: Der CO₂-Preis könne etwa ab 2025 zwischen 60 und 80 Euro pro Tonne und 2026 zwischen 90 und 110 Euro liegen. Allerdings würden dadurch die Preise für Wärme und Verkehr steigen, was ohne sozialen Ausgleich wiederum nur schwer den Wählern zu vermitteln wäre.

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Termine

27. Juni, 9.30 Uhr, Berlin
Statuskonferenz Thermische Speicher für die Wärmewende
Auf der Konferenz wird über die Rolle von thermischen Speichern in der Wärmewende diskutiert. Sie wird vom Bundesverband Energiespeicher Systeme e. V. (BVES) ausgerichtet. Information

27. Juni, 10.30 Uhr, Online
Webinar Driverless transformation? Energy Tranistion in Poland
Der polnische Thinktank Forum Energii stellt seine aktuellen Daten und Erkenntnisse zur Energiewende in Polen vor. Information

27. Juni, 14.15 Uhr, Berlin
Diskussion Von den Klimaschutzzielen zur Umsetzung
Der Gebäudesektor – verantwortlich für 30 Prozent des CO₂-Ausstoßes in Deutschland – spielt eine zentrale Rolle für das Erreichen der Klimaschutzziele 2030 und 2045. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diskutiert daher, wie Klimaziele im Gebäudesektor umgesetzt werden können. Information

27. Juni, 16.30 Uhr, Berlin
Diskussion Energiewende und Net Zero Industry Act: Dekarbonisierung, Wertschöpfungsketten und Rohstoffe
Das Deutsch-französische Büro für die Energiewende (DFBEW) veranstaltet in Partnerschaft mit der französischen Botschaft in Berlin einen politischen Abend zum Thema “Energiewende und Net Zero Industry Act: Dekarbonisierung, Wertschöpfungsketten und Rohstoffe”. Information

27. Juni, 17 Uhr, Online
Webinar Green Cities 2035: Lokale Wirtschaft neu denken – Unternehmen und Kommunen auf Klimakurs
Die Heinrich-Böll-Stiftung will auf diesem Online-Event darüber diskutieren, wie Wirtschaftsförderung aussieht, die auch ökologische Faktoren berücksichtigt. Information

27. Juni, 19 Uhr, München/Online
Vortrag Grüner Rasen, Grünes Bewusstsein: Kann Fußball klimafreundlich?
Fußball und Klima – geht das zusammen? Ja, zunehmend mehr. Wie genau und welche Herausforderungen es gibt, wird der Soziologe Tim Frohwein auf diesem Vortrag darstellen. Der Vortrag wird von Protect the Planet organisiert. Information

27. bis 28. Juni, Prenzlau
Seminar Crashkurs klimagerechte Wärmenetze
Die NGO Powershift organisiert diesen Crashkurs dazu, wie eine Wärmewende klimagerecht aussehen kann, und beschäftigt sich dabei auch mit der Frage, welche Rolle Wärmenetze spielen. Information

1. Juli, 11 Uhr, München
Fachtagung Starke Pflanzen im Klimawandel
Wie können Pflanzen fit für den Klimawandel gemacht werden? Darüber wird auf der Fachtagung, die das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gemeinsam mit der Technischen Universität München organisiert, diskutiert. Information

2. Juli, 15 Uhr, Online
Webinar What to Expect at HLPF 2024?
Das International Institute for Sustainable Development richtet dieses Briefing aus. Dabei soll geklärt werden, was vom High-Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) in diesem Jahr erwartet werden kann. Das HLPF findet vom 8. bis zum 18. Juli in New York statt.  Information

3. Juli, 17 Uhr, Berlin
Feier Sommerfest BEE
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) lädt zum Sommerfest ein. Es soll für Dialog zwischen Wirtschaft und Politik sorgen. Information

News

Klima in Zahlen: Die Energiewende braucht mehr Schwung

Nur in einem Punkt geht es mit der Energiewende in Deutschland gut voran: Beim Ausbau des Stroms aus erneuerbaren Energien, der im vorigen Jahr 51,6 Prozent des deutschen Verbrauchs ausmachte (grünes Symbol in der Grafik). In allen anderen Bereichen, warnt die Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring in ihrem am Mittwoch vorgestellten Bericht, sei unsicher, ob die Ziele erreicht werden (gelb) oder eine Verfehlung wahrscheinlich ist (rot). “Eine sichere und preisgünstige Energieversorgung bei gleichzeitiger Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland bis 2045 ist kein Selbstläufer”, sagte der Kommissionsvorsitzende Andreas Löschel.

Dringend müssten vor allem die Netze für Strom und Wasserstoff ausgebaut werden. Auch müssten mehr als die bislang geplanten zehn bis 15 GW an Gaskraftwerken (die auf Wasserstoff umzurüsten sind) gebaut werden und ein Kapazitätsmarkt etabliert werden. Beim dringend benötigten Ausbau der Stromleitungen könne es Kosten sparen, wieder auf Freileitungen statt auf Erdkabel zu setzen. Mit den richtigen politischen Leitplanken werde der Kohleausstieg durch steigende Preise schon gegen 2030 kommen, dringend nötig seien der Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur und Importpläne für den Energieträger.  

Die Kommission lobte die Bundesregierung für die Finanzierung der EEG-Umlage aus staatlichen Mitteln und die Senkung der Stromsteuer für Gewerbe. Diese Steuer müsse aber auch für private Verbraucher sinken, um den Umstieg auf elektrische Mobilität und Wärme zu erleichtern. Nötig sei eine “CO₂-basierte Energiepreisreform“, die fossile Energien teurer und erneuerbare billiger mache. bpo   

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Klimaschutzgesetz: Bündnis droht mit Klage vor Bundesverfassungsgericht

Insgesamt fünf Umweltverbände wollen zusammen mit einigen Einzelpersonen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um gegen das novellierte Klimaschutzgesetz (KSG) und die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung zu klagen. Beteiligt sind die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV). Das novellierte Klimaschutzgesetz ist Mitte Mai von der Bundesregierung beschlossen worden, aber noch nicht rechtskräftig. Im letzten Schritt fehlt noch die Unterschrift von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Verbände fordern ihn auf, die Gesetzesänderung nicht zu unterschreiben. Andernfalls wollen sie Verfassungsbeschwerden einlegen.

“Das historische BverfG-Urteil von 2021 wird gebrochen”

“Aktuell droht eine Vollbremsung in der Klimapolitik”, sagt Anwältin Roda Verheyen, die Germanwatch und Greenpeace juristisch vertritt. Die aktuelle Politik der Bundesregierung sei das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2021 mit seinem historischen Urteil für mehr Klimaschutz gewollt habe. In seiner damaligen Entscheidung hatte das BVerfG geurteilt, dass eine ehrgeizige Klimapolitik nötig sei, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Die Umweltverbände sind der Auffassung, dass das novellierte KSG unter anderem durch die Abschaffung der Sektorziele dagegen verstößt. Zudem müsse die Regierung nach dem neuen Gesetz erst viel zu spät auf eine unzureichende Klimapolitik reagieren. So müssten zum Beispiel dem novellierten Gesetz zufolge in der laufenden Legislaturperiode keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen mehr beschlossen werden, obwohl der Expertenrat für Klimafragen Anfang Juni festgestellt hatte, dass die Klimaziele bis 2030 derzeit nicht eingehalten werden.

Konkret kündigt das Bündnis drei verschiedene Verfassungsbeschwerden an, die sich inhaltlich ähneln. “Es ist eine Medaille mit zwei verschiedenen Seiten”, sagt Remo Klinger, der die DUH in diesem und anderen Verfahren repräsentiert. Auf der einen Seite verstoße das neue KSG gegen den Beschluss des BVerfG, auf der anderen Seite wendeten sich die Verfassungsbeschwerden auch gegen bestimmte Klimaschutzmaßnahmen, die unzureichend seien, zum Beispiel im Verkehrssektor. An der Verfassungsbeschwerde von Greenpeace und Germanwatch können sich auch Privatpersonen beteiligen. Die DUH sammelt symbolisch Unterschriften, um ihre Verfassungsbeschwerde zu unterstützen. seh

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Weltpremiere: Dänemark plant Klimasteuer auf Fleisch und Milch

Dänemark will ab 2030 eine CO₂-Steuer auf Emissionen aus der Viehhaltung einführen. Das teilte die Regierung am Dienstag mit. Sie hofft, dass andere Länder dem Beispiel folgen. Dänemark ist ein wichtiger Exporteur von Schweinefleisch und Milchprodukten. Der Agrarsektor ist die größte Quelle von CO₂-Emissionen im Land. Zugleich gibt es in Dänemark das rechtlich verbindliche Ziel, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 70 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken.

Um dies zu erreichen, hatten Fachleute schon im Februar die Einführung einer CO₂-Steuer im Agrarsektor vorgeschlagen. Nun hat die Regierung einen weitreichenden Kompromiss mit Landwirten, Industrie, Gewerkschaften und Umweltgruppen erzielt, der das ermöglicht. “Wir werden das erste Land der Welt sein, das eine echte CO₂-Steuer für die Landwirtschaft einführt”, teilte der dänische Steuerminister Jeppe Bruus am Dienstag mit.

Der Gesetzentwurf muss noch vom Parlament genehmigt werden. Aufgrund des breiten Konsenses gehen Fachleute aber davon aus, dass die Abgeordneten ihn billigen. Er sieht vor, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im Jahr 2030 mit einer Steuer von 300 dänischen Kronen pro Tonne CO₂ belastet werden, umgerechnet etwa 40 Euro. Bis 2035 soll der Betrag auf 750 Kronen steigen. Im Gegenzug haben Landwirtinnen und Landwirte einen Anspruch auf steuerliche Entlastungen und Subventionen, um die nötigen Anpassungen in den Betrieben zu unterstützen.

Neuseeland hat erst kürzlich Pläne zur Einführung einer ähnlichen Steuer nach Kritik von Landwirten aufgegeben. Die dänischen Landwirte hatten zunächst zwar ebenfalls Bedenken geäußert. Doch nun erklärten ihre Vertreter, der Kompromiss ermögliche es, die Betriebe weiterzuführen. Auch für den EU-Emissionshandel gibt es bereits Vorschläge, wie in diesen die Landwirtschaft einbezogen werden könnte. ae/rtr

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E-Trucks: Preise sinken schneller als erwartet

Batterieelektrisch betriebene Lkw werden im Vergleich zu dieselbetriebenen deutlich schneller wettbewerbsfähig sein als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI), die vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift “Nature Energy” veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler hatten in einer Metaanalyse die Kosten für Schlüsselkomponenten aus über 200 Quellen zusammengetragen und in eine Gesamtkostenrechnung integriert.

Batterieelektrische und Diesel-Lkw in wenigen Jahren gleich teuer

Das Ergebnis: Der Anschaffungspreis für Batteriesysteme wird den Berechnungen zufolge schon bald unter 200 Euro pro Kilowattstunde fallen. Ende der 2040er-Jahre könnte er sogar auf 100 Euro sinken. Damit läge der batterieelektrische Lkw in der Gesamtkostenrechnung bereits um das Jahr 2030 in etwa auf dem Niveau eines Diesel-Lkw, so die Forscher.

“Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass die Kosten für emissionsfreie Lkw erheblich und schneller als erwartet sinken werden”, sagt Wirtschaftsingenieur Steffen Link, Hauptautor der Studie. Deshalb sollten nun zügig entsprechende Produktionskapazitäten aufgebaut werden, um die Marktverfügbarkeit solcher Fahrzeuge sicherzustellen. “Unsere Analyse und der aktuelle Kenntnisstand zeigen, dass batterieelektrische Lkw die techno-ökonomische Wettbewerbsfähigkeit mit heutigen Diesel-Lkw für die meisten Anwendungsfälle in absehbarer Zeit erreichen dürften”, so Link.

Anschaffungspreis schlägt nur mit zehn Prozent zu Buche

Der Anschaffungspreis von Elektro-Lkw liegt heute noch etwa doppelt bis dreimal so hoch wie der Preis eines gleichwertigen Diesel-Lkw. Je nach Marke und Modell geht es schnell um Mehrkosten von einigen 100.000 Euro.

Ein Blick auf die Gesamtkostenrechnung zeigt jedoch, dass sich E-Trucks schon heute rechnen können. Denn der Anschaffungspreis schlägt im gewerblichen Straßengüterverkehr nur mit rund zehn Prozent zu Buche, während die Energiekosten rund 40 Prozent ausmachen. Da die Lkw-Maut seit Ende 2023 an den CO₂-Ausstoß gekoppelt ist und Strom günstiger ist als Diesel, kann ein E-Lkw bei hoher Fahrleistung schon nach wenigen Jahren einen Kostenvorteil erzielen. ch

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Standpunkt

Vor dem EU-Gipfel: Klimaschutz braucht Gerechtigkeit

Laurence Tubiana
Laurence Tubiana auf einer Veranstaltung in Washington im April 2024

Es waren schwierige Wochen für diejenigen von uns, die sich für ein grüneres, fortschrittlicheres Europa einsetzen. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament haben rechtsextreme Parteien rund 20 Prozent der Stimmen erhalten und sich fast ein Fünftel aller Sitze gesichert. In meinem Heimatland Frankreich ging der Rassemblement National als Wahlsieger aus der Europawahl hervor. Er könnte schon bald in der Lage sein, eine Rechtsaußen-Regierung zu bilden, wenn es gelingen sollte, dieses Ergebnis bei den bevorstehenden vorgezogenen Neuwahlen zu wiederholen.

Während die Positionen rechtsextremer Parteien zu Themen wie Einwanderung und Lebenshaltungskosten den größten Teil ihrer Zugewinne ausmachen, stehen viele von ihnen auch der Klimaschutzpolitik offen feindselig gegenüber. Fatalismus wäre jedoch die denkbar schlechteste Reaktion. Die Wahlergebnisse waren keine Absage an eine ehrgeizige grüne Politik, und es wäre ein historischer Fehler, wenn unsere Staats- und Regierungschefs sie so interpretieren würden. Meinungsumfragen zeigen immer wieder, dass die Europäerinnen und Europäer stärkere Maßnahmen gegen den Klimawandel befürworten, wobei eine große Mehrheit (77 Prozent) diesen als sehr ernstes Problem betrachtet.

Lernen von Finnland und der Slowakei

Entgegen einiger Schlagzeilen konnten sich EU-freundliche Parteien in der Gesamtzusammensetzung des Europäischen Parlaments behaupten. Das Mitte-Rechts-Bündnis EVP (Europäische Volkspartei) bleibt größte Fraktion und wird im Mittelpunkt einer noch zu bildenden Koalition stehen. In ihrem Wahlprogramm für 2024 hat sich die EVP verpflichtet, den bahnbrechenden Green Deal der Europäischen Union fortzuführen und weiterzuentwickeln.

Die rechtsextreme Welle war nicht in ganz Europa zu spüren. In der Slowakei schlug die gemäßigte Partei Progressive Slowakei die populistische Regierungspartei dank einer Rekordwahlbeteiligung. In den nordischen Ländern verbuchten progressive Klimaparteien Zugewinne, während rechtspopulistische Parteien tatsächlich an Unterstützung verloren. Das übrige Europa könnte viel von Finnland lernen, wo eine ernsthafte, mehrgleisige Strategie zur Bekämpfung von Fehlinformationen das Land weniger anfällig für Fake News gemacht hat als jedes andere EU-Land.

Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass die Zugewinne der Rechtsaußen-Parteien negative Auswirkungen auf progressive politische Ziele haben werden. Ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen werden nicht mehr die gleiche entschiedene Unterstützung finden wie in den vergangenen fünf Jahren, als es dafür einen breiten Konsens gab. Themen wie Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Migration spielten im Wahlkampf eine große Rolle und werden sicherlich Vorrang vor der Emissionsreduzierung haben. Die Politikgestaltung wird stärker von Geben und Nehmen geprägt sein, und der politische Kuhhandel wird zu einem weniger ideologisch konsistenten Klimaprogramm führen.

Eine grünere Welt ist schöner, gesünder, sicherer

Wie sollen diejenigen von uns, die wollen, dass die EU ihre Führungsrolle im Klimaschutz beibehält, auf diese neuen Realitäten reagieren? Zum Teil stehen wir vor einer kommunikativen Herausforderung. Wir müssen die allgemeinen Vorteile des grünen Wandels aufzeigen: Wie er den Menschen helfen wird, ein gesünderes, sichereres, wohlhabenderes und würdigeres Leben zu führen. Es reicht nicht aus, sich darüber zu beschweren, dass die Rechte die Sorgen und Nöte der Wähler zynisch ausnutzt. Wir müssen eine ansprechendere, positive Vision der Alternative anbieten. Der politischen Polarisierung kann nur mit einer gerechteren Politik begegnet werden und indem wir den Bürgerinnen und Bürgern zuhören – von denen sich viele ignoriert und an den Rand gedrängt fühlen.

Zudem müssen Umweltaktivisten eine stärker nach rechts tendierende EU-Führung davon überzeugen, dass Europas Probleme miteinander verknüpft sind und nicht losgelöst voneinander angegangen werden können. Da der Klimawandel zu anderen Herausforderungen wie geopolitischer Instabilität und Migration beiträgt, muss Klimaschutz ein integraler Bestandteil des europäischen Sicherheitskonzepts sein.

Die Emissionen der Reichen

Diese Wahlergebnisse bestätigen erneut, dass wir die soziale Dimension der Politikgestaltung sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene stärker hervorheben müssen. Wir müssen uns ernsthaft mit den großen Ungleichheiten beim Wohlstand und bei den Emissionen sowie regionalen Disparitäten auseinandersetzen. Diese prägen zunehmend die europäische Gesellschaft und schaffen günstige Bedingungen für die extreme Rechte und den allgemeinen Backlash gegen Klimaschutzmaßnahmen.

Man beachte, dass sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der EU das oberste Dezil, also zehn Prozent der reichsten US-Amerikaner und Europäer, drei- bis fünfmal mehr Emissionen verursachen als eine Person mit mittlerem Einkommen und etwa 16-mal mehr als das ärmste Dezil. Diese Ungerechtigkeit ist den Wählern nicht entgangen. In Frankreich sind 76 Prozent der Befragten der Meinung, dass “Energiesparen nur dem Volk auferlegt wird, nicht aber den Eliten”, und 79 Prozent sind der Meinung, dass “die Ärmsten für die Klima- und Energiekrise zahlen, während die Reichsten dafür verantwortlich sind”.

Demokratie ist Voraussetzung für Klimaschutz

Das berechtigte Gefühl der Öffentlichkeit, ungerecht behandelt zu werden, wird den Fortschritt beim Klimaschutz so lange behindern, wie diese Ungleichheiten nicht beseitigt werden. Wir brauchen ein radikales Umdenken, um soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt der Politikgestaltung zu stellen und die Demokratie selbst zu verteidigen und zu verbessern. In vielen europäischen Ländern werden progressive Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen zunehmend unter Druck gesetzt und sehen sich neuen gesetzlichen Einschränkungen gegenüber, die Teil eines umfassenderen Abbaus demokratischer Freiheiten sind. In einigen Fällen sind wir Zeugen eines dreisten Versuchs, der Zivilgesellschaft ihre Handlungsspielräume zu nehmen.

Die Ergebnisse der Europawahl sollten uns daran erinnern, dass der europäische Green Deal und die europäische Demokratie Voraussetzungen für den Klimaschutz und alle anderen fortschrittlichen Anliegen sind. Lassen Sie uns nicht aufgeben. Ich habe genug Zeit meines Lebens damit verbracht, mich für den Klimaschutz einzusetzen, um zu wissen, dass Fortschritt nicht linear verläuft. Es ist an uns, uns neu zu formieren und unser Bekenntnis zu einer gerechteren, grüneren Zukunft zu erneuern.

Laurence Tubiana, französische Verhandlungsführerin bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015, ist CEO der European Climate Foundation und Professorin an der Hochschule Sciences Po in Paris. Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

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Die entscheidenden Köpfe der Klima-Szene – Thinktanks

Niklas Höhne – Klimawissenschaftler, Co-Gründer, New Climate Institute

Niklas Höhne liefert mit dem New Climate Institute die Zahlen, anhand derer sich beurteilen lässt, wie engagiert Staaten und Unternehmen ihren Treibhausgas-Ausstoß senken. Er gründete den “Climate Action Tracker”, der zeigt, wie viel noch fehlt, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Mit einem Papier über fünf Gründe für Hoffnung auf eine gerechte Klimawende landete er 2023 einen Überraschungserfolg. In den Medien wirbt Höhne unermüdlich für seine wichtigste Botschaft: Die weltweiten Emissionen müssen möglichst schnell und entschlossen auf null. Der Physiker und Professor an der Universität Wageningen trägt seit Jahren zu den Berichten des IPCC bei – in den Niederlanden verhalf eine seiner darin veröffentlichten Tabellen der bahnbrechenden Urgenda-Klimaklage aus dem Jahr 2013 zum Erfolg.

Brigitte Knopf – Klimawissenschaftlerin, Gründerin und Direktorin, “Zukunft KlimaSozial” ZKS

Eigentlich ist Brigitte Knopf Physikerin: Vor 18 Jahren promovierte sie zu Unsicherheiten in der Erdsystemmodellierung. Doch dann widmete sie ihre Arbeitskraft der Suche nach Lösungsstrategien für die Klimakrise und deren Vermittlung in Öffentlichkeit und Politik. Als stellvertretende Vorsitzende des Klima-Expertenrats begutachtet sie regelmäßig die Klimapolitik der Bundesregierung. Sie setzt sich für einen CO₂-Preis ein und debattiert in sozialen Medien – nie polemisch, immer differenziert – über die sozialen Auswirkungen des Klimageldes. Bis Ende 2023 war sie Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Seit kurzem konzentriert sie sich mit dem von ihr gegründeten Thinktank “Zukunft KlimaSozial” ganz darauf, Sozial- und Klimapolitik zusammenzubringen.

Bill Hare – CEO, Climate Analytics

Bill Hare ist seit 1989 Experte, enger Begleiter und Berater im Klimaprozess der UNO und in der internationalen Klimapolitik. Er studierte Physik an der Universität von Westaustralien und berät seit langem Regierungen, vor allem aus kleinen Inselstaaten, zu wissenschaftlichen Themen und Anpassung an den Klimawandel. Er trug bei zur Klimarahmenkonvention UNFCCC, dem Kyoto-Protokoll, dem Pariser Abkommen und dem 4. IPCC-Bericht, für den das Gremium den Nobelpreis bekam. Hare hat maßgeblichen Anteil daran, die Transparenz des UN-Systems und der Wissenschaft zum Klimawandel zu erhöhen und Öffentlichkeit und Medien zu informieren. Seit 2022 ist er Mitglied der Expertengruppe des UN-Generalsekretärs, die die Klimaziele von Unternehmen und anderen nicht-staatlichen Akteuren begutachtet. Als Chef der Beratungsfirma Climate Analytics arbeitet er mit am “Climate Action Tracker”, einer unabhängigen Bewertung der Klimaschutzpolitik wichtiger Staaten.

Yan Qin – Leitende Analystin CO₂-Märkte, London Stock Exchange Group plc

Als “Lead Carbon Analyst” der London Stock Exchange Group ist Yan Qin eine der versiertesten Expertinnen des chinesischen Emissionshandels (ETS). Sie beobachtet die Weiterentwicklung des ETS und seine Mängel und analysiert das Zusammenspiel zwischen dem ETS und dem EU-CO₂-Grenzausgleichsmechanismus. Für Klienten aus dem Energiesektor schreibt sie Prognosen zur Entwicklung von CO₂-Preisen, zum Angebot und der Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten und zu energiepolitischen Entwicklungen. Auf “X” gibt sie regelmäßig Einschätzungen zu energie- und klimapolitischen Entwicklungen in China.

Li Shuo – Direktor China Climate Hub, Asia Society

Li Shuo ist einer der kenntnisreichsten Analysten der chinesischen und internationalen Klimapolitik. Vor seiner aktuellen Position bei der Asia Society in Washington DC war er 13 Jahre lang bei Greenpeace East Asia in Peking für Klimapolitik, Biodiversität und Ozeane zuständig. Er hat eine Ausbildung in internationalen Beziehungen und hält Kontakte zu den wichtigsten Entscheidern im UN-System, in China, den USA und der EU, und in die NGO-Szene. 2015 verbrachte er als Alexander von Humboldt-Fellow ein Studienjahr in Deutschland und ist daher auch vertraut mit der deutschen Debatte um Energiewende und Klimaschutz.

Jan Christoph Steckel – Leiter Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change leitet Jan Christoph Steckel die Arbeitsgruppe “Klimaschutz und Entwicklung”. Fokussiert hat sich Steckel in seiner Forschung auf die Emissionsreduktion von Entwicklungsländern, auf Verteilungseffekte von Klimamaßnahmen, die politische Ökonomie und den Strukturwandel daraus. Er ist zudem Professor für Klima- und Entwicklungsökonomie an der BTU Cottbus, war Autor in drei IPCC-Berichten und Leitautor zum Thema Kohleausstieg im UNEP GAP Report 2017.

Lauri Myllyvirta – Lead Analyst, Centre for Research on Energy and Clean Air

Lauri Myllyvirta beobachtet und analysiert die chinesische Energiewende und Klimapolitik wie kaum ein anderer. Als Mitgründer und Analyst des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) analysiert er die Kohleabhängigkeit der Volksrepublik, ihre Emissionsdaten und die Dekarbonisierung der Industrie in sehr hoher Detailschärfe. Mit Wirtschafts-, Energie- und Emissionsdaten verfolgt Myllyvirta den Emissionspfad Chinas. Laut seinen Analysen könnte der größte Emittent seinen Emissionspeak schon im Jahr 2023 erreicht haben.

Matthias Buck – Direktor Europa, Agora Think Tanks

Lange bevor sich die Ampel-Regierung für den Kohleausstieg 2030 entschied, versuchte Matthias Buck, die europäischen Entscheidungsträger von dessen Machbarkeit zu überzeugen. Er hatte recht – inzwischen zweifelt kaum noch jemand an der Wirkmacht des EU-Emissionshandels, die Nutzung fossiler Energieträger zu reduzieren. Der Jurist beschäftigt sich seit 2005 mit der europäischen Klimapolitik, zunächst in der EU-Kommission, seit 2015 als Direktor für europäische Energiepolitik bei Agora Energiewende. Die Analysen von ihm und seinem Team helfen den Entscheidungsträgern, den effizientesten und kostengünstigsten Weg der Energiewende zu finden.

Linda Kalcher – Generaldirektorin und Gründerin, Strategic Perspectives

Linda Kalcher ist eine Europa-Kennerin mit klarem Klima-Fokus. Seit 13 Jahren lebt sie in Brüssel, arbeitete zunächst im Büro des SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen und wechselte anschließend zur European Climate Foundation. Als Klimaschutzberaterin für UN-Generalsekretär António Guterres lernte sie die UN-Klimaverhandlungen kennen. Als Direktorin des von ihr gegründeten Thinktanks Strategic Perspectives begleitet und analysiert sie die Klimaverhandlungen der COPs sowie die Fortschritte des EU-Green Deals.

Felix Christian Matthes – Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik

Felix Christian Matthes arbeitet seit knapp 30 Jahren beim Öko-Institut. Matthes fällt vor allem für seine Arbeit rund um energiepolitische Fragen auf. Der gelernte Ingenieur hat darüber hinaus in vielen Positionen die Energiepolitik auf deutscher und europäischer Ebene beraten. Zum Beispiel wirkte er an der “Energy Roadmap 2050” der Europäischen Kommission mit.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Heute dreht sich bei uns vieles um eine andere Art der Klimafinanzen: Es geht nicht wie sonst um Hilfen für Klimaschutz und Anpassung, sondern zum Beispiel um eine Milliardärssteuer für Superreiche. Die diskutiert man schon lange, jetzt gibt es die ersten Details von der G20-Präsidentschaft Brasilien – mit einigen Überraschungen. Ebenso unsicher ist die Zukunft des deutschen CO₂-Preises für Heizen und Verkehr und wie er in den EU-Emissionshandel integriert werden kann. Die Pläne dafür müssten jetzt vorliegen, was sie aber nicht tun. Ein Vertragsverletzungsverfahren droht – und Preisschocks. Wir blicken auf die Folgen und mögliche Lösungen.

    Auch sonst regiert Geld die Klimawelt, mehr oder weniger direkt: Wir berichten unter anderem über eine CO₂-Abgabe auf Kühe in Dänemark, aber auch über die deutsche Energiewende, die Milliarden an Investitionen braucht, wenn die ehrgeizigen Ziele gehalten werden sollen. Und auch beim Streit vor dem höchsten deutschen Gericht um die Frage, ob Fruchtgummis als “klimaneutral” beworben werden dürfen, geht es nicht um eine Geschmacksfrage – sondern um den Umsatz der Herstellerfirma und mögliche Täuschung der Kunden.

    Wie immer wünschen wir eine spannende Lektüre!

    Ihr
    Bernhard Pötter
    Bild von Bernhard  Pötter

    Analyse

    G20: Wie eine globale Milliardärssteuer aussehen soll

    Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad treibt im Rahmen der G20 Pläne für eine globale Milliardärssteuer voran
    Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad treibt Pläne für eine globale Milliardärssteuer voran.

    Brasilien schlägt im Rahmen der G20 eine globale Mindeststeuer für Milliardäre vor, um mehr Geld für den Klimaschutz und den Kampf gegen die Armut zu mobilisieren. Im Auftrag der brasilianischen G20-Präsidentschaft hat der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman vor dem G20-Finanzministertreffen am 25./26. Juli eine “Blaupause” für eine solche Reichensteuer auf Vermögen geschrieben. Das Vorhaben ist ein zentrales Element der brasilianischen G20-Präsidentschaft und wird mittlerweile auch von Frankreich, Spanien und Südafrika unterstützt. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat Zustimmung signalisiert. Zucman, Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts EU Tax Observatory an der Paris School of Economics, zeigt sich überzeugt: Dank der erfolgreich eingeführten Mindeststeuer für multinationale Konzerne und “der jüngsten Fortschritte in der internationalen steuerlichen Zusammenarbeit” sei eine globale Mindeststeuer für Milliardäre “möglich geworden”. Wie groß allerdings der Klimanutzen wäre, ist noch offen.

    3.000 Superreiche könnten 250 Milliarden US-Dollar einbringen

    Würde man das Vermögen der rund 3.000 globalen Milliardäre mit einem jährlichen Mindestsatz von zwei Prozent besteuern, kämen laut Zucmans Berechnungen zwischen 200 und 250 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen zusammen. Laut dem französischen Steuerforscher wäre die Mindeststeuer keine zusätzliche Abgabe, denn: Superreiche, die schon Steuerzahlungen von über zwei Prozent ihres Vermögens leisten, würden nicht zusätzlich belastet.

    Dennoch kommt Zucman auf 200 bis 250 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen. Denn in den aktuellen Steuersystemen der meisten Staaten werden die Vermögen der Superreichen kaum besteuert. Auch zahlen sie häufig weniger Einkommensteuern als Normalverdiener, da sie einen Großteil ihres Einkommens durch Unternehmensbeteiligungen verdienen und hier Schlupflöcher finden, um das zu versteuernde Einkommen gering zu halten. Laut dem amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz und der indischen Ökonomin Jayati Ghosh zahlen beispielsweise US-Milliardäre umgerechnet nur 0,5 Prozent Steuern pro Jahr auf ihr Vermögen. “Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten haben Milliardäre einen niedrigeren effektiven Steuersatz als Amerikaner der Arbeiterklasse”, klagen die beiden Wirtschaftswissenschaftler.

    Würden auch Menschen mit einem Vermögen von über 100 Millionen US-Dollar in die Mindeststeuer einbezogen, ergäben sich zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 300 bis fast 380 Milliarden. Bei einer dreiprozentigen Mindeststeuer und der Einbeziehung von Menschen mit einem Vermögen von mehr als 100 Millionen US-Dollar lägen die Einnahmen schon bei 550 bis 690 Milliarden, wie die Berechnungen von Zucman zeigen.

    Schwierig: Vermögen beziffern, Steuerflucht verhindern

    Laut Zucman gibt es bei der Umsetzung der Milliardärssteuer einige Herausforderungen:

    • Wie hoch ist das Vermögen? Viele Superreiche hielten den größten Teil ihres Vermögens in Form von Unternehmensbeteiligungen. Rund die Hälfte der Beteiligungen wird nicht an Börsen gehandelt, wodurch es schwierig ist, ihren Wert zu beziffern. Die Steuerbehörden könnten diese privaten Unternehmen aber mit öffentlich gelisteten Unternehmen vergleichen und ihren Wert gut schätzen, so Zucman. Selbst mit einer unvollkommenen Annäherung an die realen Vermögenswerte wäre schon viel geleistet, sagt Zucman bei der Vorstellung seines Berichts.
    • Wie wird Steuerflucht verhindert? Um zu verhindern, dass Superreiche ihr Vermögen vor dem Fiskus verstecken, müssten die Staaten noch mehr Vermögens- und Steuerinformationen austauschen. Hier habe es in den letzten Jahren viele Fortschritte gegeben, aber einige Lücken blieben bestehen, so Zucman.
    • Müssen alle Staaten mitmachen, damit es keine Ausweichmöglichkeiten gibt? Laut Zucman gäbe es Möglichkeiten, auch Superreiche zu besteuern, die ihren Wohnsitz nach Einführung der Milliardärssteuer in Länder verlegen, die sich nicht beteiligen. Die Superreichen könnten beispielsweise weiterhin von ihren Heimatländern besteuert werden. Und wie bei der Mindeststeuer für multinationale Unternehmen, die 2021 von über 130 Staaten beschlossen wurde, könnten Superreiche auch dann von teilnehmenden Staaten besteuert werden, wenn ihre Heimatländer sich der globalen Milliardärssteuer nicht anschließen. Das würde laut Zucman jedoch “ausführliche und umfassende Diskussionen” auf internationaler Ebene erfordern und könnte beispielsweise die Nachverhandlung von Doppelbesteuerungsabkommen notwendig machen.

    Zucman zeigt sich jedoch überzeugt, dass sich all diese Probleme überwinden lassen, wenn “politischer Wille” aufgebracht werde.

    Nutzen für den Klimaschutz noch unklar

    Wie viel Geld eine globale Milliardärssteuer für den Klimaschutz einbringen würde, ist hingegen noch offen. Eine solche Steuer sei “nicht so einfach in Klimafinanzierung zu übertragen”. Da sie von den Staaten erhoben werde, “sind neue Verteilungskonflikte zu erwarten“, sagt David Ryfisch, Klimafinanz-Experte von Germanwatch. Die US-Finanzministerin Janet Yellen hat sich beispielsweise schon gegen eine internationale Umverteilung der Einnahmen aus einer globalen Milliardärssteuer ausgesprochen. Gleichzeitig hat US-Präsident Joe Biden einen Plan für eine Milliardärssteuer in Höhe von 25 Prozent – allerdings auf das Einkommen und nicht auf Vermögenswerte – vorgelegt. Laut Zucman ist dieses Vorhaben insgesamt aber “ehrgeiziger” als der G20-Vorschlag Brasiliens.

    Jan Kowalzig, Klimafinanz-Experte von Oxfam, hält die Milliardärssteuer für ein “realistisches Instrument, um mehr Geld für die Klimafinanzierung und soziale Fragen zu mobilisieren”. Der Finanzierungsbedarf für den globalen Klimaschutz werde in den nächsten Jahrzehnten sehr groß sein. Deswegen sollte keine Finanzquelle von vornherein ausgeschlossen werden. “Allerdings dürfen eine globale Milliardärssteuer und andere neue Finanzquellen nicht von der Verantwortung des globalen Nordens ablenken. Das sehen auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer so, die auf Unterstützung aus dem Globalen Norden angewiesen sind”, sagt Kowalzig zu Table.Briefings.

    Wer bekommt das Geld?

    Hinzu kommt: Ein Großteil der Superreichen lebt noch immer im globalen Norden. Ihre Steuerzahlungen würden also tendenziell in die reicheren Industriestaaten fließen. Zwar hat sich die Verteilung der Milliardäre in den letzten Jahren verändert und auch in den Entwicklungs- und Schwellenländer gibt es immer mehr Superreiche. Aber das Steueraufkommen aus einer globalen Milliardärssteuer würde sich dennoch stark auf den globalen Norden und reiche Schwellenländer konzentrieren. Zucman hat in seinem Bericht allerdings nicht aufgeschlüsselt, auf welche Staaten welcher Anteil der 250 Milliarden an neuen Einnahmen entfallen würde.

    Auch sei kaum damit zu rechnen, dass eine globale Milliardärssteuer schnell umgesetzt werden könne. Zwischen den Staaten seien lange Verhandlungen absehbar, sagte Felipe Antunes de Oliveira aus dem brasilianischen Finanzministerium bei der Vorstellung von Zucmans Bericht. Brasilien wolle das Thema bei der G20 auch nach seiner Präsidentschaft vorantreiben. Laut Zucman hätten die Verhandlungen um eine globale Mindeststeuer auf multinationale Konzerne neun Jahre gedauert. Allerdings ließe sich darauf aufbauen, sodass eine Milliardärssteuer schneller zu erreichen sei, so Zucman.

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    Klimaneutral: Wie das Label seine Relevanz verloren hat

    Heute wird das Urteil zur Frage verkündet, ob im Fall der “Grün-Ohr-Hasen” von Katjes die Werbung mit dem Begriff “klimaneutral” gerechtfertigt ist.

    Am Donnerstag wird ein Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) im Revisionsverfahren zu dem Begriff “klimaneutral” erwartet. Die Verhandlung dazu hatte bereits im April stattgefunden. Verklagt wurde der Süßwarenhersteller Katjes, der für seine “Grün-Ohr-Hasen” mit dem Slogan: “Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral” geworben hatte. Jetzt wird verkündet, ob dies zulässig war. Katjes wirbt inzwischen nicht mehr mit dem Label.

    Um “klimaneutral”-Siegel auf Produkten gibt es schon länger Streit. Der Vorwurf: Die Siegel würden den Verbraucher irreführen und suggerieren, dass bei der Produktion der Produkte keine Emissionen entstanden sind. “Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”, sagt dazu Carsten Warnecke vom Thinktank New Climate Institute zu Table.Briefings. Die Siegel hätten keine Aussagekraft darüber, welche Anstrengungen Firmen zum Klimaschutz unternehmen, weil sie nichts über Emissionsreduzierung und Restemissionen aussagen. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Bemühungen detaillierter und transparenter kommunizieren. Dass Katjes inzwischen – anders als die Konkurrenz – fast ausschließlich vegane Fruchtgummis produziere, sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung, das Siegel “klimaneutral” dagegen nicht. Der Begriff ergebe für Staaten Sinn, die Restemissionen durch Kohlenstoffsenken ausgleichen könnten, für Produkte allerdings nicht, so Warnecke.

    Ende 2023 haben etwa die Verbraucherzentralen Klimaaussagen auf 87 Produkten untersucht. Sie registrierten dabei eine Vielzahl von unterschiedlichen Siegeln und Formulierungen und kamen zu dem Ergebnis, dass eine “sichere Beurteilung der Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Klimaaussagen durch Verbraucher:innen derzeit nahezu unmöglich” sei. “Wir müssen uns von der naiven Annahme verabschieden, dass freiwillige Initiativen zur Selbstregulierung für Klimaschutz sorgen”, meint Warnecke. “Stattdessen brauchen wir staatliche Regulierung”.

    EU verbietet Werbung mit Klimaneutralität wegen Kompensation

    Noch vor der Entscheidung im Katjes-Fall wurde allerdings auf EU-Ebene bereits Klarheit geschaffen: Ende März 2024 trat ein Gesetz gegen Greenwashing in Kraft, durch das irreführende Werbung mit Umweltversprechen verboten wird. Produkte, die Emissionen durch Kompensation ausgleichen, dürften dann beispielsweise nicht mehr als “klimaneutral”, “zertifiziert CO₂-neutral” oder “CO₂-positiv” bezeichnet werden. Die Staaten haben nun zwei Jahre Zeit, diese Regelung in nationales Recht umzusetzen. “Auf Produkten wird der Claim klimaneutral dann wohl nicht mehr verwendet werden”, meint Johanna Wurbs vom Umweltbundesamt zu Table.Briefings.

    Mit der Green-Claims-Regelung der EU sollen Werbeaussagen außerdem in Zukunft vergleichbarer und zuverlässiger werden; über sie wird demnächst im EU-Parlament diskutiert. Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hofft, dass eine ambitionierte Fassung der Green-Claims-Regulierung verabschiedet wird. Insbesondere sei dafür wichtig, dass die ex ante Verifizierung von solchen Behauptungen realisiert werde. Das bedeutet, dass Claims vor Veröffentlichung von unabhängigen Prüfstellen gegengecheckt werden.

    Gleichzeitig soll der Begriff Klimaneutralität an robuste Standards geknüpft werden. Dazu wurde Ende 2023 die ISO 14068-1 Norm zu “carbon neutrality” veröffentlicht. “Eine wichtige Richtlinie”, meint Wurbs. “Erstmals wird Klimaneutralität damit weltweit als Standard definiert”. Zwar sei die Diskussion innerhalb der EU auf Produktebene weitgehend beendet, auf Unternehmensebene gehe sie aber weiter.

    Für das Umweltbundesamt hat die Norm aber auch Schwächen. In einem Factsheet schreibt es beispielsweise, theoretisch könnten auch “Unternehmen mit hohen THG-Emissionen und Unternehmen mit einem auf fossiler Energienutzung basierenden Geschäftsmodell die Norm erfüllen”.

    Der deutsche Gesetzgeber drücke sich – anders als die EU – davor, eine aktive Rolle einzunehmen, um diese Missstände anzugehen, meint Warnecke. Es entstehe der Eindruck, die Verbraucherschutzministerien überließen es Verbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), mit viel Aufwand und Ressourcen Klagen gegen Unternehmen zu führen, und schauten selbst nur zu.

    Bisherige Entscheidungen zur Werbung mit Klimaneutralität

    Gegen Katjes hat im aktuellen Fall aber nicht die DUH geklagt, sondern die Wettbewerbszentrale, die sich für fairen Wettbewerb einsetzt. Obwohl es inzwischen die neuen gesetzlichen Regelungen gibt, legte die Wettbewerbszentrale im Fall Katjes Revision vor dem BGH ein. “Wir wollen damit mehr Rechtssicherheit für die Werbung mit umweltbezogenen Begriffen schaffen”, erklärte Ulrike Gillner von der Wettbewerbszentrale im Gespräch mit Table.Briefings. Klimaneutralität sei ein unscharfer Begriff, daraus gehe nicht hervor, ob Unternehmen tatsächlich selbst Treibhausgase einsparen oder bloß Zertifikate kaufen. Deswegen lässt die Wettbewerbszentrale nun in der Revision überprüfen, ob der Begriff Klimaneutralität gegen das Irreführungsverbot verstößt.

    Bisher fehlt eine solche Klarheit. Deutsche Gerichte haben zur Verwendung des Siegels “klimaneutral” in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden. Im Juli 2023 entschied beispielsweise das Landgericht Karlsruhe, dass die Drogeriemarktkette “dm” bestimmte Seifen nicht damit bewerben darf. Im selben Monat hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf allerdings Katjes erlaubt, seine Produkte weiterhin mit dem Label “klimaneutral” anzupreisen.

    Die Fälle sind allerdings unterschiedlich: Katjes hatte nicht nur den Zertifizierer Climate Partner genannt, sondern auch noch auf dessen Website verwiesen, wo sich die Kriterien zur Zertifizierung nachlesen lassen. Weil dieser Hinweis bei dm fehlte, beanstandete das Gericht eine “Irreführung durch Unterlassen” verkehrsrelevanter Angaben. Außerdem untersuchte das Landgericht Karlsruhe im Fall von dm zusätzlich, wo das Geld zur Kompensation investiert wurde, darunter ein umstrittenes Waldschutzprojekt in Peru. Das sprach ebenfalls gegen das Etikett: Klimaneutralität sei nicht mit CO₂-Zertifikaten aus Waldschutz vereinbar, argumentierte das Gericht – weil Treibhausgase nur vorübergehend gebunden werden, solange der Wald steht.

    Einsicht bei Unternehmen und Zertifizieren

    Dm hatte schon während des Verfahrens reagiert und erklärt, Produkte in Zukunft nicht mehr so bewerben zu wollen. Und Katjes verzichtete trotz des positiven Urteils inzwischen ebenfalls darauf, seine Produkte als klimaneutral zu bewerben. Der Justiziar von Katjes sagte der Lebensmittelzeitung daher, dass das Verfahren für das Unternehmen “nicht mehr relevant” sei. Auch die Drogeriemarktkette Rossmann hatte sich schon Anfang 2023 entschieden, nicht mehr mit Klimaneutralität zu werben. “Das Label ist im Grunde tot”, hatte Geschäftsführer Raoul Roßmann damals der Zeit erklärt. Selbst der Zertifizierer Climate Partner scheint das so zu sehen: Er hat den Begriff “klimaneutral” inzwischen durch das Label “Finanzieller Klimabeitrag” ersetzt.

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    Was beim Übergang des nationalen Emissionshandels in den ETS II wichtig ist

    Unvorbereitet könnte der Übergang in den ETS II zu einem Preisschock führen und damit zu höheren Kosten unter anderem beim Tanken und Heizen.

    Am 1. Juli muss Deutschland der EU melden, wie die Zusammenführung von deutschem Emissionshandel und ETS II für Anfang 2027 ablaufen soll. Doch kurz vor dem Stichtag ist völlig unklar, wie sich die Bundesregierung hierzu verhält; sie wird wohl bis zur Frist nicht die erforderlichen Angaben liefern. Deutschland droht daher ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Mittelfristig warnen Experten zudem vor einem Preissprung für Verbraucher.  

    Der ETS II löst ab 2027 das nationale Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ab. Bis Ende Juni 2024 muss die Bundesregierung nach ETS-Richtlinie das Gesetz verabschieden, um den Übergang vom nationalen Emissionshandel in den ETS II zu regeln. Beschlossen soll das in einer Novelle des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG) werden. Darüber muss allerdings noch die Regierung abstimmen, teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit. Einen genauen Zeitplan zur Verabschiedung und Vorstellung der Novelle konnte das BMWK nicht nennen. 

    Bundesregierung reißt europäische Fristen

    Deutschland ist bei der Umsetzung der neuen ETS-Regelungen ohnehin in Verzug. Im Januar 2024 lief eine Frist ab, bis zu der die neuen Regeln im ETS I ins nationale Recht übertragen werden müssten. Ein Vertragsverletzungsverfahren läuft deswegen bereits. Das droht nun auch beim ETS II. “Die Zeit drängt – bis zum Start des ETS II sind es nur noch zweieinhalb Jahre”, sagt Lea Nesselhauf, Projektmanagerin deutsches und europäisches Klimarecht bei Agora Energiewende. 

    Durch den neuen europäischen Emissionshandel (ETS II) sollen die Emissionen im Verkehrs- und Gebäudesektor sinken. Vor allem hier braucht es Erfolge, damit die deutschen und europäischen Klimaziele erreicht werden. Die entsprechenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften fasst die Bundesregierung in der TEHG-Novelle zusammen. Damit können auch inhaltliche Punkte zum Übergang des nationalen CO₂-Preises in den ETS II geklärt werden.

    Übergang in ETS II könnte zu Preisschock führen 

    Hierbei gibt es allerdings ein Problem: Beim Übergang vom deutschen BEHG in den ETS II könnte es große Preissprünge geben. Aktuell liegt der nationale Preis für eine Tonne CO₂ bei 45 Euro und soll bis Ende 2026 auf höchstens 65 Euro steigen. Im europäischen System wird mit deutlich höheren Preisen gerechnet. Deshalb warnen Experten von Agora Energewende und Öko Institut vor einem Preisschock. Als realistisch gilt demnach ein Preisrahmen von 48 bis 300 Euro pro Tonne CO₂.

    Bei einem Mittelwert von 200 Euro pro Tonne CO₂ könnte das laut Agora Energiewende zu einem Anstieg um 38 Cent pro Liter Benzin führen – eine große Belastung für einkommensschwache Haushalte. “Wir brauchen zügig ein Konzept für den Übergang vom nationalen zum europäischen Emissionshandel, um sprunghafte Preisanstiege beim Heizen und an der Tankstelle zu vermeiden”, sagt Nesselhauf. 

    BMWK: Maßnahmen sind geplant, um Preissprünge zu reduzieren

    Auch das BMWK teilt auf Anfrage mit, man gehe von einem unsicheren Preisniveau zu Beginn des ETS II aus. Um einen Preisschock zu verhindern, gebe es bereits Maßnahmen: 

    • Die aktuelle CO₂-Bepreisung sei bereits ein Instrument, um mögliche Preissprünge zu reduzieren.
    • Mit dem Front-Loading stünden ab 2027 zusätzliche Zertifikate zur Verfügung, um den Preis zu stabilisieren. 
    • Aus der Marktstabilitätsreserve (MSR) könnte man unter bestimmten Bedingungen 600 Millionen Zertifikate zusätzlich in den Markt geben. 

    Diese Maßnahmen könnten laut Agora Energiewende das Problem verschieben, nicht aber lösen. “Die Auslösemechanismen für die Ausschüttung zusätzlicher Zertifikate sind unserer Analyse nach so festgelegt, dass nur ein Teil von diesen Zertifikaten überhaupt auf den Markt käme”, sagt Lea Nesselhauf. Agora Energiewende schlägt daher einen Preiskorridor vor: Der CO₂-Preis könne etwa ab 2025 zwischen 60 und 80 Euro pro Tonne und 2026 zwischen 90 und 110 Euro liegen. Allerdings würden dadurch die Preise für Wärme und Verkehr steigen, was ohne sozialen Ausgleich wiederum nur schwer den Wählern zu vermitteln wäre.

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    Termine

    27. Juni, 9.30 Uhr, Berlin
    Statuskonferenz Thermische Speicher für die Wärmewende
    Auf der Konferenz wird über die Rolle von thermischen Speichern in der Wärmewende diskutiert. Sie wird vom Bundesverband Energiespeicher Systeme e. V. (BVES) ausgerichtet. Information

    27. Juni, 10.30 Uhr, Online
    Webinar Driverless transformation? Energy Tranistion in Poland
    Der polnische Thinktank Forum Energii stellt seine aktuellen Daten und Erkenntnisse zur Energiewende in Polen vor. Information

    27. Juni, 14.15 Uhr, Berlin
    Diskussion Von den Klimaschutzzielen zur Umsetzung
    Der Gebäudesektor – verantwortlich für 30 Prozent des CO₂-Ausstoßes in Deutschland – spielt eine zentrale Rolle für das Erreichen der Klimaschutzziele 2030 und 2045. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diskutiert daher, wie Klimaziele im Gebäudesektor umgesetzt werden können. Information

    27. Juni, 16.30 Uhr, Berlin
    Diskussion Energiewende und Net Zero Industry Act: Dekarbonisierung, Wertschöpfungsketten und Rohstoffe
    Das Deutsch-französische Büro für die Energiewende (DFBEW) veranstaltet in Partnerschaft mit der französischen Botschaft in Berlin einen politischen Abend zum Thema “Energiewende und Net Zero Industry Act: Dekarbonisierung, Wertschöpfungsketten und Rohstoffe”. Information

    27. Juni, 17 Uhr, Online
    Webinar Green Cities 2035: Lokale Wirtschaft neu denken – Unternehmen und Kommunen auf Klimakurs
    Die Heinrich-Böll-Stiftung will auf diesem Online-Event darüber diskutieren, wie Wirtschaftsförderung aussieht, die auch ökologische Faktoren berücksichtigt. Information

    27. Juni, 19 Uhr, München/Online
    Vortrag Grüner Rasen, Grünes Bewusstsein: Kann Fußball klimafreundlich?
    Fußball und Klima – geht das zusammen? Ja, zunehmend mehr. Wie genau und welche Herausforderungen es gibt, wird der Soziologe Tim Frohwein auf diesem Vortrag darstellen. Der Vortrag wird von Protect the Planet organisiert. Information

    27. bis 28. Juni, Prenzlau
    Seminar Crashkurs klimagerechte Wärmenetze
    Die NGO Powershift organisiert diesen Crashkurs dazu, wie eine Wärmewende klimagerecht aussehen kann, und beschäftigt sich dabei auch mit der Frage, welche Rolle Wärmenetze spielen. Information

    1. Juli, 11 Uhr, München
    Fachtagung Starke Pflanzen im Klimawandel
    Wie können Pflanzen fit für den Klimawandel gemacht werden? Darüber wird auf der Fachtagung, die das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gemeinsam mit der Technischen Universität München organisiert, diskutiert. Information

    2. Juli, 15 Uhr, Online
    Webinar What to Expect at HLPF 2024?
    Das International Institute for Sustainable Development richtet dieses Briefing aus. Dabei soll geklärt werden, was vom High-Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) in diesem Jahr erwartet werden kann. Das HLPF findet vom 8. bis zum 18. Juli in New York statt.  Information

    3. Juli, 17 Uhr, Berlin
    Feier Sommerfest BEE
    Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) lädt zum Sommerfest ein. Es soll für Dialog zwischen Wirtschaft und Politik sorgen. Information

    News

    Klima in Zahlen: Die Energiewende braucht mehr Schwung

    Nur in einem Punkt geht es mit der Energiewende in Deutschland gut voran: Beim Ausbau des Stroms aus erneuerbaren Energien, der im vorigen Jahr 51,6 Prozent des deutschen Verbrauchs ausmachte (grünes Symbol in der Grafik). In allen anderen Bereichen, warnt die Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring in ihrem am Mittwoch vorgestellten Bericht, sei unsicher, ob die Ziele erreicht werden (gelb) oder eine Verfehlung wahrscheinlich ist (rot). “Eine sichere und preisgünstige Energieversorgung bei gleichzeitiger Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland bis 2045 ist kein Selbstläufer”, sagte der Kommissionsvorsitzende Andreas Löschel.

    Dringend müssten vor allem die Netze für Strom und Wasserstoff ausgebaut werden. Auch müssten mehr als die bislang geplanten zehn bis 15 GW an Gaskraftwerken (die auf Wasserstoff umzurüsten sind) gebaut werden und ein Kapazitätsmarkt etabliert werden. Beim dringend benötigten Ausbau der Stromleitungen könne es Kosten sparen, wieder auf Freileitungen statt auf Erdkabel zu setzen. Mit den richtigen politischen Leitplanken werde der Kohleausstieg durch steigende Preise schon gegen 2030 kommen, dringend nötig seien der Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur und Importpläne für den Energieträger.  

    Die Kommission lobte die Bundesregierung für die Finanzierung der EEG-Umlage aus staatlichen Mitteln und die Senkung der Stromsteuer für Gewerbe. Diese Steuer müsse aber auch für private Verbraucher sinken, um den Umstieg auf elektrische Mobilität und Wärme zu erleichtern. Nötig sei eine “CO₂-basierte Energiepreisreform“, die fossile Energien teurer und erneuerbare billiger mache. bpo   

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    Klimaschutzgesetz: Bündnis droht mit Klage vor Bundesverfassungsgericht

    Insgesamt fünf Umweltverbände wollen zusammen mit einigen Einzelpersonen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um gegen das novellierte Klimaschutzgesetz (KSG) und die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung zu klagen. Beteiligt sind die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV). Das novellierte Klimaschutzgesetz ist Mitte Mai von der Bundesregierung beschlossen worden, aber noch nicht rechtskräftig. Im letzten Schritt fehlt noch die Unterschrift von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Verbände fordern ihn auf, die Gesetzesänderung nicht zu unterschreiben. Andernfalls wollen sie Verfassungsbeschwerden einlegen.

    “Das historische BverfG-Urteil von 2021 wird gebrochen”

    “Aktuell droht eine Vollbremsung in der Klimapolitik”, sagt Anwältin Roda Verheyen, die Germanwatch und Greenpeace juristisch vertritt. Die aktuelle Politik der Bundesregierung sei das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2021 mit seinem historischen Urteil für mehr Klimaschutz gewollt habe. In seiner damaligen Entscheidung hatte das BVerfG geurteilt, dass eine ehrgeizige Klimapolitik nötig sei, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Die Umweltverbände sind der Auffassung, dass das novellierte KSG unter anderem durch die Abschaffung der Sektorziele dagegen verstößt. Zudem müsse die Regierung nach dem neuen Gesetz erst viel zu spät auf eine unzureichende Klimapolitik reagieren. So müssten zum Beispiel dem novellierten Gesetz zufolge in der laufenden Legislaturperiode keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen mehr beschlossen werden, obwohl der Expertenrat für Klimafragen Anfang Juni festgestellt hatte, dass die Klimaziele bis 2030 derzeit nicht eingehalten werden.

    Konkret kündigt das Bündnis drei verschiedene Verfassungsbeschwerden an, die sich inhaltlich ähneln. “Es ist eine Medaille mit zwei verschiedenen Seiten”, sagt Remo Klinger, der die DUH in diesem und anderen Verfahren repräsentiert. Auf der einen Seite verstoße das neue KSG gegen den Beschluss des BVerfG, auf der anderen Seite wendeten sich die Verfassungsbeschwerden auch gegen bestimmte Klimaschutzmaßnahmen, die unzureichend seien, zum Beispiel im Verkehrssektor. An der Verfassungsbeschwerde von Greenpeace und Germanwatch können sich auch Privatpersonen beteiligen. Die DUH sammelt symbolisch Unterschriften, um ihre Verfassungsbeschwerde zu unterstützen. seh

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    Weltpremiere: Dänemark plant Klimasteuer auf Fleisch und Milch

    Dänemark will ab 2030 eine CO₂-Steuer auf Emissionen aus der Viehhaltung einführen. Das teilte die Regierung am Dienstag mit. Sie hofft, dass andere Länder dem Beispiel folgen. Dänemark ist ein wichtiger Exporteur von Schweinefleisch und Milchprodukten. Der Agrarsektor ist die größte Quelle von CO₂-Emissionen im Land. Zugleich gibt es in Dänemark das rechtlich verbindliche Ziel, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 70 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken.

    Um dies zu erreichen, hatten Fachleute schon im Februar die Einführung einer CO₂-Steuer im Agrarsektor vorgeschlagen. Nun hat die Regierung einen weitreichenden Kompromiss mit Landwirten, Industrie, Gewerkschaften und Umweltgruppen erzielt, der das ermöglicht. “Wir werden das erste Land der Welt sein, das eine echte CO₂-Steuer für die Landwirtschaft einführt”, teilte der dänische Steuerminister Jeppe Bruus am Dienstag mit.

    Der Gesetzentwurf muss noch vom Parlament genehmigt werden. Aufgrund des breiten Konsenses gehen Fachleute aber davon aus, dass die Abgeordneten ihn billigen. Er sieht vor, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im Jahr 2030 mit einer Steuer von 300 dänischen Kronen pro Tonne CO₂ belastet werden, umgerechnet etwa 40 Euro. Bis 2035 soll der Betrag auf 750 Kronen steigen. Im Gegenzug haben Landwirtinnen und Landwirte einen Anspruch auf steuerliche Entlastungen und Subventionen, um die nötigen Anpassungen in den Betrieben zu unterstützen.

    Neuseeland hat erst kürzlich Pläne zur Einführung einer ähnlichen Steuer nach Kritik von Landwirten aufgegeben. Die dänischen Landwirte hatten zunächst zwar ebenfalls Bedenken geäußert. Doch nun erklärten ihre Vertreter, der Kompromiss ermögliche es, die Betriebe weiterzuführen. Auch für den EU-Emissionshandel gibt es bereits Vorschläge, wie in diesen die Landwirtschaft einbezogen werden könnte. ae/rtr

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    E-Trucks: Preise sinken schneller als erwartet

    Batterieelektrisch betriebene Lkw werden im Vergleich zu dieselbetriebenen deutlich schneller wettbewerbsfähig sein als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI), die vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift “Nature Energy” veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler hatten in einer Metaanalyse die Kosten für Schlüsselkomponenten aus über 200 Quellen zusammengetragen und in eine Gesamtkostenrechnung integriert.

    Batterieelektrische und Diesel-Lkw in wenigen Jahren gleich teuer

    Das Ergebnis: Der Anschaffungspreis für Batteriesysteme wird den Berechnungen zufolge schon bald unter 200 Euro pro Kilowattstunde fallen. Ende der 2040er-Jahre könnte er sogar auf 100 Euro sinken. Damit läge der batterieelektrische Lkw in der Gesamtkostenrechnung bereits um das Jahr 2030 in etwa auf dem Niveau eines Diesel-Lkw, so die Forscher.

    “Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass die Kosten für emissionsfreie Lkw erheblich und schneller als erwartet sinken werden”, sagt Wirtschaftsingenieur Steffen Link, Hauptautor der Studie. Deshalb sollten nun zügig entsprechende Produktionskapazitäten aufgebaut werden, um die Marktverfügbarkeit solcher Fahrzeuge sicherzustellen. “Unsere Analyse und der aktuelle Kenntnisstand zeigen, dass batterieelektrische Lkw die techno-ökonomische Wettbewerbsfähigkeit mit heutigen Diesel-Lkw für die meisten Anwendungsfälle in absehbarer Zeit erreichen dürften”, so Link.

    Anschaffungspreis schlägt nur mit zehn Prozent zu Buche

    Der Anschaffungspreis von Elektro-Lkw liegt heute noch etwa doppelt bis dreimal so hoch wie der Preis eines gleichwertigen Diesel-Lkw. Je nach Marke und Modell geht es schnell um Mehrkosten von einigen 100.000 Euro.

    Ein Blick auf die Gesamtkostenrechnung zeigt jedoch, dass sich E-Trucks schon heute rechnen können. Denn der Anschaffungspreis schlägt im gewerblichen Straßengüterverkehr nur mit rund zehn Prozent zu Buche, während die Energiekosten rund 40 Prozent ausmachen. Da die Lkw-Maut seit Ende 2023 an den CO₂-Ausstoß gekoppelt ist und Strom günstiger ist als Diesel, kann ein E-Lkw bei hoher Fahrleistung schon nach wenigen Jahren einen Kostenvorteil erzielen. ch

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    • Güterverkehr
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    Standpunkt

    Vor dem EU-Gipfel: Klimaschutz braucht Gerechtigkeit

    Laurence Tubiana
    Laurence Tubiana auf einer Veranstaltung in Washington im April 2024

    Es waren schwierige Wochen für diejenigen von uns, die sich für ein grüneres, fortschrittlicheres Europa einsetzen. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament haben rechtsextreme Parteien rund 20 Prozent der Stimmen erhalten und sich fast ein Fünftel aller Sitze gesichert. In meinem Heimatland Frankreich ging der Rassemblement National als Wahlsieger aus der Europawahl hervor. Er könnte schon bald in der Lage sein, eine Rechtsaußen-Regierung zu bilden, wenn es gelingen sollte, dieses Ergebnis bei den bevorstehenden vorgezogenen Neuwahlen zu wiederholen.

    Während die Positionen rechtsextremer Parteien zu Themen wie Einwanderung und Lebenshaltungskosten den größten Teil ihrer Zugewinne ausmachen, stehen viele von ihnen auch der Klimaschutzpolitik offen feindselig gegenüber. Fatalismus wäre jedoch die denkbar schlechteste Reaktion. Die Wahlergebnisse waren keine Absage an eine ehrgeizige grüne Politik, und es wäre ein historischer Fehler, wenn unsere Staats- und Regierungschefs sie so interpretieren würden. Meinungsumfragen zeigen immer wieder, dass die Europäerinnen und Europäer stärkere Maßnahmen gegen den Klimawandel befürworten, wobei eine große Mehrheit (77 Prozent) diesen als sehr ernstes Problem betrachtet.

    Lernen von Finnland und der Slowakei

    Entgegen einiger Schlagzeilen konnten sich EU-freundliche Parteien in der Gesamtzusammensetzung des Europäischen Parlaments behaupten. Das Mitte-Rechts-Bündnis EVP (Europäische Volkspartei) bleibt größte Fraktion und wird im Mittelpunkt einer noch zu bildenden Koalition stehen. In ihrem Wahlprogramm für 2024 hat sich die EVP verpflichtet, den bahnbrechenden Green Deal der Europäischen Union fortzuführen und weiterzuentwickeln.

    Die rechtsextreme Welle war nicht in ganz Europa zu spüren. In der Slowakei schlug die gemäßigte Partei Progressive Slowakei die populistische Regierungspartei dank einer Rekordwahlbeteiligung. In den nordischen Ländern verbuchten progressive Klimaparteien Zugewinne, während rechtspopulistische Parteien tatsächlich an Unterstützung verloren. Das übrige Europa könnte viel von Finnland lernen, wo eine ernsthafte, mehrgleisige Strategie zur Bekämpfung von Fehlinformationen das Land weniger anfällig für Fake News gemacht hat als jedes andere EU-Land.

    Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass die Zugewinne der Rechtsaußen-Parteien negative Auswirkungen auf progressive politische Ziele haben werden. Ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen werden nicht mehr die gleiche entschiedene Unterstützung finden wie in den vergangenen fünf Jahren, als es dafür einen breiten Konsens gab. Themen wie Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Migration spielten im Wahlkampf eine große Rolle und werden sicherlich Vorrang vor der Emissionsreduzierung haben. Die Politikgestaltung wird stärker von Geben und Nehmen geprägt sein, und der politische Kuhhandel wird zu einem weniger ideologisch konsistenten Klimaprogramm führen.

    Eine grünere Welt ist schöner, gesünder, sicherer

    Wie sollen diejenigen von uns, die wollen, dass die EU ihre Führungsrolle im Klimaschutz beibehält, auf diese neuen Realitäten reagieren? Zum Teil stehen wir vor einer kommunikativen Herausforderung. Wir müssen die allgemeinen Vorteile des grünen Wandels aufzeigen: Wie er den Menschen helfen wird, ein gesünderes, sichereres, wohlhabenderes und würdigeres Leben zu führen. Es reicht nicht aus, sich darüber zu beschweren, dass die Rechte die Sorgen und Nöte der Wähler zynisch ausnutzt. Wir müssen eine ansprechendere, positive Vision der Alternative anbieten. Der politischen Polarisierung kann nur mit einer gerechteren Politik begegnet werden und indem wir den Bürgerinnen und Bürgern zuhören – von denen sich viele ignoriert und an den Rand gedrängt fühlen.

    Zudem müssen Umweltaktivisten eine stärker nach rechts tendierende EU-Führung davon überzeugen, dass Europas Probleme miteinander verknüpft sind und nicht losgelöst voneinander angegangen werden können. Da der Klimawandel zu anderen Herausforderungen wie geopolitischer Instabilität und Migration beiträgt, muss Klimaschutz ein integraler Bestandteil des europäischen Sicherheitskonzepts sein.

    Die Emissionen der Reichen

    Diese Wahlergebnisse bestätigen erneut, dass wir die soziale Dimension der Politikgestaltung sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene stärker hervorheben müssen. Wir müssen uns ernsthaft mit den großen Ungleichheiten beim Wohlstand und bei den Emissionen sowie regionalen Disparitäten auseinandersetzen. Diese prägen zunehmend die europäische Gesellschaft und schaffen günstige Bedingungen für die extreme Rechte und den allgemeinen Backlash gegen Klimaschutzmaßnahmen.

    Man beachte, dass sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der EU das oberste Dezil, also zehn Prozent der reichsten US-Amerikaner und Europäer, drei- bis fünfmal mehr Emissionen verursachen als eine Person mit mittlerem Einkommen und etwa 16-mal mehr als das ärmste Dezil. Diese Ungerechtigkeit ist den Wählern nicht entgangen. In Frankreich sind 76 Prozent der Befragten der Meinung, dass “Energiesparen nur dem Volk auferlegt wird, nicht aber den Eliten”, und 79 Prozent sind der Meinung, dass “die Ärmsten für die Klima- und Energiekrise zahlen, während die Reichsten dafür verantwortlich sind”.

    Demokratie ist Voraussetzung für Klimaschutz

    Das berechtigte Gefühl der Öffentlichkeit, ungerecht behandelt zu werden, wird den Fortschritt beim Klimaschutz so lange behindern, wie diese Ungleichheiten nicht beseitigt werden. Wir brauchen ein radikales Umdenken, um soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt der Politikgestaltung zu stellen und die Demokratie selbst zu verteidigen und zu verbessern. In vielen europäischen Ländern werden progressive Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen zunehmend unter Druck gesetzt und sehen sich neuen gesetzlichen Einschränkungen gegenüber, die Teil eines umfassenderen Abbaus demokratischer Freiheiten sind. In einigen Fällen sind wir Zeugen eines dreisten Versuchs, der Zivilgesellschaft ihre Handlungsspielräume zu nehmen.

    Die Ergebnisse der Europawahl sollten uns daran erinnern, dass der europäische Green Deal und die europäische Demokratie Voraussetzungen für den Klimaschutz und alle anderen fortschrittlichen Anliegen sind. Lassen Sie uns nicht aufgeben. Ich habe genug Zeit meines Lebens damit verbracht, mich für den Klimaschutz einzusetzen, um zu wissen, dass Fortschritt nicht linear verläuft. Es ist an uns, uns neu zu formieren und unser Bekenntnis zu einer gerechteren, grüneren Zukunft zu erneuern.

    Laurence Tubiana, französische Verhandlungsführerin bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015, ist CEO der European Climate Foundation und Professorin an der Hochschule Sciences Po in Paris. Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

    Copyright: Project Syndicate

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    Heads

    Die entscheidenden Köpfe der Klima-Szene – Thinktanks

    Niklas Höhne – Klimawissenschaftler, Co-Gründer, New Climate Institute

    Niklas Höhne liefert mit dem New Climate Institute die Zahlen, anhand derer sich beurteilen lässt, wie engagiert Staaten und Unternehmen ihren Treibhausgas-Ausstoß senken. Er gründete den “Climate Action Tracker”, der zeigt, wie viel noch fehlt, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Mit einem Papier über fünf Gründe für Hoffnung auf eine gerechte Klimawende landete er 2023 einen Überraschungserfolg. In den Medien wirbt Höhne unermüdlich für seine wichtigste Botschaft: Die weltweiten Emissionen müssen möglichst schnell und entschlossen auf null. Der Physiker und Professor an der Universität Wageningen trägt seit Jahren zu den Berichten des IPCC bei – in den Niederlanden verhalf eine seiner darin veröffentlichten Tabellen der bahnbrechenden Urgenda-Klimaklage aus dem Jahr 2013 zum Erfolg.

    Brigitte Knopf – Klimawissenschaftlerin, Gründerin und Direktorin, “Zukunft KlimaSozial” ZKS

    Eigentlich ist Brigitte Knopf Physikerin: Vor 18 Jahren promovierte sie zu Unsicherheiten in der Erdsystemmodellierung. Doch dann widmete sie ihre Arbeitskraft der Suche nach Lösungsstrategien für die Klimakrise und deren Vermittlung in Öffentlichkeit und Politik. Als stellvertretende Vorsitzende des Klima-Expertenrats begutachtet sie regelmäßig die Klimapolitik der Bundesregierung. Sie setzt sich für einen CO₂-Preis ein und debattiert in sozialen Medien – nie polemisch, immer differenziert – über die sozialen Auswirkungen des Klimageldes. Bis Ende 2023 war sie Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Seit kurzem konzentriert sie sich mit dem von ihr gegründeten Thinktank “Zukunft KlimaSozial” ganz darauf, Sozial- und Klimapolitik zusammenzubringen.

    Bill Hare – CEO, Climate Analytics

    Bill Hare ist seit 1989 Experte, enger Begleiter und Berater im Klimaprozess der UNO und in der internationalen Klimapolitik. Er studierte Physik an der Universität von Westaustralien und berät seit langem Regierungen, vor allem aus kleinen Inselstaaten, zu wissenschaftlichen Themen und Anpassung an den Klimawandel. Er trug bei zur Klimarahmenkonvention UNFCCC, dem Kyoto-Protokoll, dem Pariser Abkommen und dem 4. IPCC-Bericht, für den das Gremium den Nobelpreis bekam. Hare hat maßgeblichen Anteil daran, die Transparenz des UN-Systems und der Wissenschaft zum Klimawandel zu erhöhen und Öffentlichkeit und Medien zu informieren. Seit 2022 ist er Mitglied der Expertengruppe des UN-Generalsekretärs, die die Klimaziele von Unternehmen und anderen nicht-staatlichen Akteuren begutachtet. Als Chef der Beratungsfirma Climate Analytics arbeitet er mit am “Climate Action Tracker”, einer unabhängigen Bewertung der Klimaschutzpolitik wichtiger Staaten.

    Yan Qin – Leitende Analystin CO₂-Märkte, London Stock Exchange Group plc

    Als “Lead Carbon Analyst” der London Stock Exchange Group ist Yan Qin eine der versiertesten Expertinnen des chinesischen Emissionshandels (ETS). Sie beobachtet die Weiterentwicklung des ETS und seine Mängel und analysiert das Zusammenspiel zwischen dem ETS und dem EU-CO₂-Grenzausgleichsmechanismus. Für Klienten aus dem Energiesektor schreibt sie Prognosen zur Entwicklung von CO₂-Preisen, zum Angebot und der Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten und zu energiepolitischen Entwicklungen. Auf “X” gibt sie regelmäßig Einschätzungen zu energie- und klimapolitischen Entwicklungen in China.

    Li Shuo – Direktor China Climate Hub, Asia Society

    Li Shuo ist einer der kenntnisreichsten Analysten der chinesischen und internationalen Klimapolitik. Vor seiner aktuellen Position bei der Asia Society in Washington DC war er 13 Jahre lang bei Greenpeace East Asia in Peking für Klimapolitik, Biodiversität und Ozeane zuständig. Er hat eine Ausbildung in internationalen Beziehungen und hält Kontakte zu den wichtigsten Entscheidern im UN-System, in China, den USA und der EU, und in die NGO-Szene. 2015 verbrachte er als Alexander von Humboldt-Fellow ein Studienjahr in Deutschland und ist daher auch vertraut mit der deutschen Debatte um Energiewende und Klimaschutz.

    Jan Christoph Steckel – Leiter Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

    Am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change leitet Jan Christoph Steckel die Arbeitsgruppe “Klimaschutz und Entwicklung”. Fokussiert hat sich Steckel in seiner Forschung auf die Emissionsreduktion von Entwicklungsländern, auf Verteilungseffekte von Klimamaßnahmen, die politische Ökonomie und den Strukturwandel daraus. Er ist zudem Professor für Klima- und Entwicklungsökonomie an der BTU Cottbus, war Autor in drei IPCC-Berichten und Leitautor zum Thema Kohleausstieg im UNEP GAP Report 2017.

    Lauri Myllyvirta – Lead Analyst, Centre for Research on Energy and Clean Air

    Lauri Myllyvirta beobachtet und analysiert die chinesische Energiewende und Klimapolitik wie kaum ein anderer. Als Mitgründer und Analyst des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) analysiert er die Kohleabhängigkeit der Volksrepublik, ihre Emissionsdaten und die Dekarbonisierung der Industrie in sehr hoher Detailschärfe. Mit Wirtschafts-, Energie- und Emissionsdaten verfolgt Myllyvirta den Emissionspfad Chinas. Laut seinen Analysen könnte der größte Emittent seinen Emissionspeak schon im Jahr 2023 erreicht haben.

    Matthias Buck – Direktor Europa, Agora Think Tanks

    Lange bevor sich die Ampel-Regierung für den Kohleausstieg 2030 entschied, versuchte Matthias Buck, die europäischen Entscheidungsträger von dessen Machbarkeit zu überzeugen. Er hatte recht – inzwischen zweifelt kaum noch jemand an der Wirkmacht des EU-Emissionshandels, die Nutzung fossiler Energieträger zu reduzieren. Der Jurist beschäftigt sich seit 2005 mit der europäischen Klimapolitik, zunächst in der EU-Kommission, seit 2015 als Direktor für europäische Energiepolitik bei Agora Energiewende. Die Analysen von ihm und seinem Team helfen den Entscheidungsträgern, den effizientesten und kostengünstigsten Weg der Energiewende zu finden.

    Linda Kalcher – Generaldirektorin und Gründerin, Strategic Perspectives

    Linda Kalcher ist eine Europa-Kennerin mit klarem Klima-Fokus. Seit 13 Jahren lebt sie in Brüssel, arbeitete zunächst im Büro des SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen und wechselte anschließend zur European Climate Foundation. Als Klimaschutzberaterin für UN-Generalsekretär António Guterres lernte sie die UN-Klimaverhandlungen kennen. Als Direktorin des von ihr gegründeten Thinktanks Strategic Perspectives begleitet und analysiert sie die Klimaverhandlungen der COPs sowie die Fortschritte des EU-Green Deals.

    Felix Christian Matthes – Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik

    Felix Christian Matthes arbeitet seit knapp 30 Jahren beim Öko-Institut. Matthes fällt vor allem für seine Arbeit rund um energiepolitische Fragen auf. Der gelernte Ingenieur hat darüber hinaus in vielen Positionen die Energiepolitik auf deutscher und europäischer Ebene beraten. Zum Beispiel wirkte er an der “Energy Roadmap 2050” der Europäischen Kommission mit.

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    Climate.Table Redaktion

    CLIMATE.TABLE REDAKTION

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