die COP28 geht langsam in den Endspurt. COP-Präsident Al Jaber drängte die Staaten gestern, “härter” zu arbeiten, flexibler zu sein und Kompromisse einzugehen. Er will die Konferenz am Dienstag um 11 Uhr beschließen. Doch auf den Fluren der COP werden schon erste Wetten abgeschlossen, wie lange in diesem Jahr überzogen wird.
Am heftigsten wird aktuell über den Ausstieg aus fossilen Energien debattiert. Viele Staaten wollen auf “Abatement” setzen, also weiter Fossile nutzen, aber die Emissionen vermindern. Doch es herrscht keinesfalls Klarheit, was “Abatement” konkret bedeutet. Lukas Scheid beschreibt, warum ohne klare Definition und allgemeingültige Standards eine CO₂-Bombe droht.
Hitzige Debatten gibt es auch bei einem globalen Ziel zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise. Aktuell streiten die Staaten noch, wie Anpassung messbar gemacht werden kann, wie konkrete Unterziele aussehen können und wer wie viel zu ihrer Finanzierung beitragen soll. Alexandra Endres hat die Details gesammelt.
In naher Zukunft könnten die Klimakonferenzen eine ganz andere Dynamik entfalten. Laut mehreren Studien sind es mittlerweile die Entwicklungs- und Schwellenländer, die historisch am meisten zur Klimakrise beigetragen haben – jedenfalls in absoluten Zahlen, berichtet Bernhard Pötter. Bisher sind die Industrieländer in einer besonderen Pflicht, weil sie sowohl bei den historischen als auch den Pro-Kopf-Emissionen lange Zeit führend waren.
Beste Grüße
Mitten in den finalen Verhandlungen der COP zeigt eine brisante Studie: Die Schwellen- und Entwicklungsländer treiben mit ihren historischen Emissionen die Erderwärmung stärker voran als die Industriestaaten. Damit gerät ein zentrales Narrativ des UN-Klimaprozesses ins Wanken. Entsprechend unangenehm ist das Thema vielen Staaten.
In der zentralen Frage der globalen Klimapolitik ändern sich die Vorzeichen: Laut einer neuen Studie, die im Fachmagazin Nature erschienen ist, haben die Länder des Globalen Südens durch ihre Treibhausgasemissionen inzwischen mehr zur Erderhitzung beigetragen als die Industriestaaten. Der Anteil der Industriestaaten laut Klimarahmenkonvention (“Annex I”) an den historischen Beiträgen zur Erwärmung zwischen 1851 und 2021 liegt demnach bei 44,8 Prozent. Der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer (“non-Annex-I”) dagegen beträgt 53,5 Prozent. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit Daten der UNO und des IPCC.
Damit steht eine zentrale Aussage infrage, die in den letzten Jahrzehnten die globale Klimadiplomatie dominiert hat: Die Erzählung, dass die Industrieländer die Hauptschuldigen an der Klimakrise sind – und dass der Rest der Welt dazu wenig beigetragen hat. So spricht etwa der Vorschlag der G77/China für einen Beschluss zum “Global Stocktake” auf der COP28 von “historischen Lücken bei der Umsetzung von Klimaschutz” und der “historischen Verantwortung der entwickelten Länder, die Führung beim Klimaschutz zu übernehmen.” Das Argument, das vielen UN-Beschlüssen zugrunde liegt: Die Industriestaaten müssen beim Klimaschutz mehr leisten und außerdem die Entwicklungsländer finanziell unterstützen, weil sie am meisten CO₂ emittiert haben und durch dieses fossile Wachstum im Schnitt reicher geworden sind.
Aber das Argument, der Globale Norden sei historisch der größte Verschmutzer, ist jetzt deutlich widerlegt. Das zeigt die neue Studie, weil sie umfassende Daten heranzieht: Sie berechnet neben CO₂-Emissionen aus fossiler Verbrennung auch solche aus Landnutzung und Waldzerstörung, die sonst oft vernachlässigt werden. Zudem beleuchtet sie auch die Klimaeffekte von Methan- und Stickoxidemissionen. Die einzelnen Ergebnisse:
Die Rechnung sieht anders aus, wenn sie nur die Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe betrachtet: Hier machen die klassischen Industrieländer mit 54,1 Prozent noch die Mehrheit der Emissionen aus. Bei der Erwärmung durch Emissionen aus Landnutzung (LULUCF) dagegen liegen die Schwellen- und Entwicklungsländer mit 73 Prozent deutlich vorn.
Die Frage nach den Anteilen an Emissionen und Erwärmung ist politisch im UNFCCC-Prozess so brisant, dass sie ungern offen diskutiert wird. Dabei zeigt etwa auch eine Grafik im 6. IPCC-Sachstandsbericht die historischen Emissionen aus fossilen Quellen und Landnutzung nach Ländergruppen. Die klassischen Industrieländer in Nordamerika, Europa und Japan/Ozeanien kommen dabei ebenfalls nur auf 43 Prozent. Aber zehn Prozent sind der Gruppe “Osteuropa und West-Zentralasien” zugeordnet, die nicht mit den “Annex”-Kategorien der UNFCCC übereinstimmen. Eine klare Aussage darüber, welche Länder aus dieser Gruppe Annex- oder nicht-Annex-Staaten sind, ist daher nach dieser Kalkulation nicht möglich: Eine klare Einteilung der Emissionen zu Industrie- oder Entwicklungsländern ebenfalls nicht.
Dabei sind die Daten des aktuellen Papiers eindeutig. Demnach haben sich “die Beiträge zur Erwärmung zwischen den beiden Gruppen bereits etwa 2009 gekreuzt”, sagt William Lamb, Emissionsexperte am MCC Berlin und Autor von IPCC- und UNEP-Berichten zu dem Thema, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt war. “Seitdem liegt der Anteil der Nicht-Annex-Staaten an der Erwärmung höher als die historischen Beiträge der Industriestaaten“. 2009 scheiterte in Kopenhagen die COP15 daran, dass sich der globale Norden und Süden nicht darauf einigen konnten, wer wie viele Emissionen reduzieren sollte. “Kalkulation und Darstellung dieser Zahlen bei IPCC und UNEP sind für die Länderdelegationen eine zutiefst politische Sache und werden auch so verhandelt“, so Lamb zu Table.Media. Eine große politische Debatte hat zu dieser Frage bisher nicht stattgefunden.
Auch der aktuelle “Unep Emissions Gap Report” behandelt die Lücke bei den nötigen Emissionsreduktionen: 2022 erreichten der globale Treibhausgasausstoß mit einer Steigerung um 1,2 Prozent den bisherigen Höchststand mit 57,4 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalent. Der Bericht führt aber auch die historischen Emissionen auf und stellt die Verbindung her zu anderen, ebenfalls wichtigen Aspekten: Neben der Menge der historischen Emissionen und dem Beitrag zur Erwärmung stellt er etwa auch die Pro-Kopf-Emissionen der Länder und Ländergruppen dar. Schlüsselt man die historischen Emissionen der G20 Staaten nach Industrie- und Schwellenländer auf, zeigt sich ebenfalls der Trend, dass die Industriestaaten unwichtiger werden.
So hat zum Beispiel China in seinen Vorschlägen für eine Aufnahme des “Global Stocktake” in die COP-Beschlüsse seine Forderungen angepasst. Statt generell den Industrieländern vorzuwerfen, sie hätten die Klimakrise verschuldet, bringt China nun vor:
Das verlagert die Debatte von der reinen Mengenfrage hin zu einer qualifizierten Betrachtung der Emissionen: etwa pro Kopf oder pro Wirtschaftsleistung eines Landes. Das aber ordnet die globalen Verantwortlichkeiten neu.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Für das neue Globale Anpassungsziel (Global Goal on Adaptation, GGA), das in Dubai beschlossen werden soll, wird die Zeit knapp. Erst drei Tage vor Ende des Klimagipfels erhielten die Delegationen eine Grundlage, auf der sie überhaupt inhaltlich verhandeln können. Der Entwurf wurde am Sonntagmorgen um 8:30 Uhr Ortszeit vorgelegt. Zuvor hatte sich die Präsidentschaft eingeschaltet – offenbar aus Sorge, das GGA könnte auf der Strecke bleiben.
Jetzt bleibt sehr wenig Zeit für die Sacharbeit am Text. Dabei müsste das Rahmenwerk zum GGA in Dubai verabschiedet werden, damit es wie geplant bis zum Klimagipfel im kommenden Jahr mit konkreten Inhalten gefüllt werden kann.
Wesentliche Streitpunkte drehen sich um:
Am Sonntagabend waren die Beratungen offenbar so festgefahren, dass die Ministerinnen und Minister sich der Sache besonders annahmen. Es gab immer noch Widerstand unter den arabischen Staaten gegen das Gesamtpaket der COP – sie hatten den Verhandlungsstrang zur Anpassung zuvor blockiert, um die Fortschritte insgesamt aufzuhalten. Unterschiedliche Auffassungen über das GGA-Rahmenwerk bestanden aber auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Das Anpassungsziel wurde bereits vor zehn Jahren von den afrikanischen Staaten in den UN-Verhandlungsprozess eingebracht und dann 2015 in Artikel sieben des Pariser Klimaabkommens erstmals schriftlich erwähnt: Es soll “die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel verbessern, die Widerstandsfähigkeit stärken und die Verwundbarkeit verringern”.
Das liegt insbesondere im Interesse der Staaten, die stärker unter der Klimakrise leiden als andere. Doch auch die Industrieländer werden sich für eine Zukunft mit noch mehr Klimaextremen wappnen müssen, sagte Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth am Sonntag in Dubai: “Das Global Goal on Adaptation adressiert nicht nur die Entwicklungsländer. Die Welt insgesamt soll resilienter werden.”
Die Grundlage dafür soll das GGA in Form eines Rahmenwerks schaffen. Es soll ein übergeordnetes Ziel umfassen, das durch – möglichst messbare – Unterziele konkretisiert wird. Daneben geht es um Instrumente zur praktischen Umsetzung, Verfahren zur Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung, und um die Finanzierung. Eine Arbeitsgruppe hatte zwei Jahre lang daran gearbeitet. Erst kurz vor Dubai legte sie einige Formulierungsvorschläge vor. Auch dadurch wurde der Start der GGA-Verhandlungen auf der COP28 verlangsamt.
Jetzt wird es schwierig, noch eine Einigung zu finden. Ein Knackpunkt ist die Finanzierung. Je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto mehr nimmt auch der Bedarf an Geld für Anpassung zu. Schon jetzt sind die Folgen der Erderwärmung schwerer als erwartet, wie der jüngste Sachstandsbericht des IPCC belegt. Doch statt zu steigen, sind die öffentlichen Mittel für die Anpassungsfinanzierung zuletzt um 15 Prozent auf 21 Milliarden US-Dollar jährlich gesunken.
“Es geht hier darum, Leben zu retten”, sagte Mohamed Adow, Direktor der NGO Power Shift Africa, in Dubai, und verwies auf den Adaptation Gap Report der UNEP, der den künftigen Finanzbedarf für Anpassung auf 387 Milliarden US-Dollar pro Jahr schätzt. Verhandlungskreisen zufolge fand sich ein Hinweis auf die Zahl auch in einem ersten GGA-Textentwurf in Dubai. Doch im Text vom Sonntag ist sie nicht mehr zu finden.
Dabei wäre es gerade für die Entwicklungsländer wichtig, konkrete Zahlen im GGA verankert zu sehen, denn damit wäre die Finanzierung sehr klar an Anpassungszwecke gekoppelt. Adow warnt vor einer “humanitären Krise”, wenn die Anpassungsfinanzierung nicht steigt. Der aktuelle Textentwurf zum GGA greife zu kurz, sagt er. In Dubai müsse ein GGA-Rahmenwerk verabschiedet werden, das den verletzbaren Ländern das nötige Vertrauen gebe, “dass sie ausreichend finanzielle Unterstützung erhalten, sich anzupassen”.
Doch anders als die Entwicklungsländer möchten die Industrieländer die Anpassungsfinanzierung lieber in anderen Verhandlungssträngen verankern. Eine Möglichkeit wäre etwa im Strang zum neuen Finanzziel (New Collective Quantified Goal on Climate Finance, NCQG), das im kommenden Jahr auf der COP verabschiedet werden soll.
Eine andere strittige Forderung ist, innerhalb des GGA festzulegen, welche Staaten künftig für Anpassung zahlen sollen. Dagegen spricht sich unter anderem Deutschland aus. Die Anpassungsfinanzierung “der klassischen Geberländer” werde von 20 Milliarden im Jahr 2019 auf 40 Milliarden im Jahr 2025 steigen, sagte der deutsche Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth am Sonntag in Dubai. “Das ist bereits beschlossen. Dazu stehen wir.” Wie es angesichts der zunehmenden Klimarisiken nach 2025 weitergehe, werde bei der nächsten Klimakonferenz in einem Jahr beraten, sagte eine BMZ-Sprecherin auf Nachfrage.
Nur die traditionellen Industrieländer für die Anpassungsfinanzierung in die Pflicht zu nehmen, wäre “ein starker Rückfall in die alte, zweigeteilte Welt” aus den Annex-I-Staaten des Kyoto-Protokolls und allen anderen Staaten, sagte Flasbarth. Diese Welt aber habe man auf der COP28 hinter sich gelassen.
Klarheit fehlt den Entwicklungsländern auch in Bezug auf die Unterziele und Indikatoren. Zwar legt der aktuelle Textentwurf fest, dass durch das GGA unter anderem der Gesundheitssektor, die Wasserversorgung, die Ernährungssicherheit, die Infrastruktur und die Ökosysteme widerstandsfähiger gegen Klimafolgen werden sollen. Die Armutsbekämpfung soll gestärkt werden, Kulturgüter besser geschützt. Aber er enthält keine konkreten Zahlen, an denen der Fortschritt gemessen werden könnte. Sie werden vor allem von der afrikanischen Gruppe und der G77 gefordert werden.
Derzeit ist im Gespräch, ein zweijähriges Arbeitsprogramm aufzusetzen, um die Unterziele, Indikatoren und Überprüfungsmechanismen genauer zu bestimmen. Die Entwicklungsländer sehen das kritisch: Schon vor Dubai gab es ein solches zweijähriges Arbeitsprogramm. Doch dessen Vorarbeit brachte aus ihrer Sicht nur unzureichende und zu späte Ergebnisse.
Manche Beobachter befürchten auch, dass durch ein weiteres zweijähriges Arbeitsprogramm die Entscheidungen zur Finanzierung verschleppt werden. Das BMZ widerspricht: “Der Vorschlag für ein zweijähriges Arbeitsprogramm bezieht sich auf die Entwicklung von Indikatoren, um Fortschritt bei den verschiedenen Zielen messen zu können. Diese fachliche Arbeit steht der Diskussion im NCQG nicht automatisch entgegen”, sagte eine Sprecherin.
Strittig ist schließlich auch, ob das GGA ein ständiger Tagesordnungspunkt (standing agenda item) der Klimakonferenzen werden soll. Derzeit ist es das nicht – das bedeutet, im Zweifelsfall muss immer wieder darum gekämpft werden, dass weiter über das Anpassungsziel gesprochen wird.
Man brauche auf jeden Fall ein Globales Anpassungsziel, das auf der COP verabschiedet werde, sagte Christoph Bals, Geschäftsführer der NGO Germanwatch. “Wie weit man mit den Kriterien darunter noch kommt, wird man sehen müssen, weil die Verhandlungen so destruktiv gelaufen sind.” Möglich seien “zumindest Eckpunkte und ein Arbeitsprogramm, damit man das bis zum kommenden Jahr definitiv hat”.
2024 müssten dann die “längst versprochene Verdoppelung der Anpassungsfinanzierung transparent nachgewiesen” und im Rahmen des neuen Finanzziels NCQG “ein deutlicher Anstieg dazu beschlossen” werden. “Ein solcher Prozess wäre das, was hier noch möglich ist.”
Abgesehen von der fehlenden adäquaten Übersetzung der Worte “abated” und “unabated” ins Deutsche (die vieldeutigen Begriffe vermindert bzw. unvermindert werden meist verwendet) ist auch die genaue Begriffsdefinition im Englischen wie im Deutschen noch ungeklärt. Seit dem Treffen der G7-Energieminister in Großbritannien 2021 wird auf der diplomatischen Bühne um entsprechende Formulierungen in Bezug auf fossile Brennstoffe gerungen. Auf der COP26 in Glasgow im selben Jahr, als ein Herunterfahren der unverminderten Kohleverstromung beschlossen wurde, fanden die Begriffe auch Einzug in die UN-Klimaverhandlungen.
In Dubai stehen fossile Brennstoffe im Fokus der Verhandlungen – immer mit der Frage: Gibt es einen “Phase-down/out” der Fossilen oder steht noch das Wort “unabated” davor. Die meisten Staaten sehen hinter “abatement” im weitesten Sinne eine CO₂-Abscheidung bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Treibhausgase würden zum größten Teil nicht in die Atmosphäre entweichen und den Klimawandel nicht beschleunigen. Sie würden stattdessen während des Verbrennungsprozesses technologisch aufgefangen und gespeichert oder genutzt (CCSU) werden. Diese Definition nutzt auch die Internationale Energieagentur (IEA).
Bei dieser Verwendung des Wortes sind sich allerdings längst nicht alle einig. Japan, immerhin G7-Mitglied und eines der Länder mit den höchsten Treibhausgasemissionen weltweit, sieht seine Kohlekraftwerke mit teilweiser Ammoniakbefeuerung bereits als verminderte fossile Energieherstellung. Dabei kommt CCS nicht zwingend zum Einsatz und Kohle würde weiterhin verbrannt werden – nur eben in “verminderter” Menge und durch die Ammoniakverbrennung mit weniger Emissionen.
Der US-Klimabeauftragte John Kerry, bekanntermaßen ein großer Fan von CCS, definiert den Begriff ebenfalls nur schwammig. Für ihn bedeute Verminderung, dass man die Ziele von Paris erreiche. Kerry gibt jedoch auch zu, dass er “für verschiedene Menschen etwas anderes” bedeute und die Absichten der Länder nicht alle gleich seien.
Nicht nur der Begriff “abatement” ist derzeit noch definitionslos. Auch die EU-Forderung nach einem Energiesystem “überwiegend frei von fossilen Brennstoffen” ist nicht trennscharf. Für manche – darunter Deutschland – bedeutet “überwiegend” annähernd 100 Prozent – CCS solle demnach nur für Restemissionen aus schwer zu dekarbonisierbaren Industriesektoren eingesetzt werden. Für andere bedeutet “überwiegend” schlicht der Großteil – sprich alles über 50 Prozent.
Alden Meyer, Senior Associate und Klimapolitikexperte beim Thinktank E3G, fordert schnellstmögliche Klärung des Begriffs. Wenn es jedem selbst überlassen werde, was “abatement” heißt, dann wäre “wilder Westen”. Die Gefahr sei umso größer, dass schwammig definierte Verminderungsmöglichkeiten von echten Emissionsreduzierungen ablenken. Sein Vorschlag: Weltklimarat (IPCC) und IEA legen bis zur COP29 im kommenden Jahr eine allgemeingültige Definition vor, auf die sich alle einigen.
Einen ersten Aufschlag des Weltklimarats gibt es bereits. In einer Fußnote des IPCC-Berichts von 2022 ist von einer Reduktionsrate durch “abatement” von mindestens 90 Prozent bei Kraftwerken und 50 bis 80 Prozent bei flüchtigen Methan-Emissionen die Rede. Das bezieht sich auf den gesamten Lebenszyklus der fossilen Brennstoffe. Diese Definition würde bedeuten, dass auch Emissionen aus Transport sowie Upstream-Emissionen berücksichtigt wären. Das würde vor allem Schlupflöcher für Methan-Emissionen erheblich einschränken. Eine Studie von IPCC-Autoren geht noch weiter und empfiehlt die Bezeichnung “abatement” nur bei CO₂-Reduktionen von 90 bis 95 Prozent und einer garantierten dauerhaften unterirdischen Kohlenstoffspeicherung.
Die Nutzung von CCS bei Ölprodukten wäre beinahe ganz ausgeschlossen, da die Emissionen zum Großteil bei der lokalen Verbrennung beispielsweise am Verbrennungsmotor entstehen. Dort ist CO₂-Abscheidung kaum möglich und vor allem nicht rentabel. Auch LNG hätte kaum noch eine Zukunft, wenn die IPCC-Fußnote für “abatement” allgemeingültig wäre. Nur zehn Prozent der Emissionen entstehen bei der Produktion von LNG, rund 90 Prozent bei der Verbrennung beim Endverbraucher.
Es könnte jedoch enorm schwierig werden, eine Definition für “abated” für alle Länder festzulegen. Schon die Fußnote im IPCC-Bericht war im Abstimmungsprozess mit den Regierungen der Vertragsstaaten heftig umstritten. Gelingt es jedoch nicht, den Begriff trennscharf zu definieren, könnten enorme Kohlestoffschlupflöcher die Folge sein.
Ist die Abscheidungsrate nur bei 50 statt 95 Prozent und werden die vorgelagerten Upstream-Methan-Emissionen nicht berücksichtigt, würden 86 Milliarden Tonnen Treibhausgase bis 2050 mehr emittiert werden. Das geht aus einer Studie von Climate Analytics hervor. Das bedeutet, bei einer unklaren Definition von “unabated fossil fuels” könnte im schlimmsten Fall die doppelte Menge der weltweiten CO₂-Emissionen des Jahres 2023 in der Atmosphäre landen.
Zwar könnte eine Begriffsklärung die Klimaverhandlungen vereinfachen. Wenn alle Regierungen wissen, was durch “abatement” noch erlaubt ist, wären die Positionen klarer. Doch die Verhinderer einer klaren Definition sind dieselben Staaten wie die Gegner des fossilen Ausstiegs.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
11. Dezember, 10 Uhr, The Women’s Pavilion – Humanitarian Hub
Podiumsdiskussion Greening the Humanitarian Response: A Sustainable Resilient and Accountable Approach in Displacement Settings
Auf der Diskussion, die von der FAO ausgerichtet wird, geht es darum, wie bei der Unterbringung von Geflüchteten auf Klimarisiken eingegangen werden kann. Infos
11. Dezember, 11 Uhr, Panda Hub
Diskussion Greening the chain – Towards sustainability along the steel supply chain
Die Stahlindustrie ist für rund sieben Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Produktion wird voraussichtlich bis 2050 weiter steigen, sodass die Emissionen pro Tonne Stahl rasch sinken müssen. In der Diskussion des WWF geht es darum, wie der Stahlsektor besser in Pläne zur Minderung der Industrieemissionen einbezogen werden kann. Infos
11. Dezember, 11.30 Uhr, SE Room 8
Podiumsdiskussion The transformative power of law in promoting a just transition to a climate positive world
Das Recht kann zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens und eines gerechten Übergangs zu einer klimafreundlichen Welt beitragen. Bei dieser Veranstaltung werden rechtliche Fragen der Klimaagenda erörtert, darunter rechtliche Aspekte der Umsetzung naturbasierter Lösungen und menschenrechtsbasierter Ansätze. Infos & Livestream
11. Dezember, 11.30 Uhr, European Pavilion
Podiumsdiskussion Building climate neutral and resilient cities: a journey to implementation
Bürgermeister aus Städten des Global Covenant of Mayors – dem weltweit größten Städtebündnis – werden ihre Klima-Aktionspläne vorstellen und ihre transformative, lokale Vision skizzieren. Infos
11. Dezember, 15 Uhr, SE Room 3
Diskussion Just Industry Transition Partnerships – A proposal to link JETPs with sectoral cooperation
Auf der Diskussion geht es darum, wie Länder im Globalen Süden durch eine Erweiterung des Konzepts von Just Energy Transtion Partnerships auch in der Dekarbonisierung der Industrie besser unterstützt werden könnten. Infos & Livestream
Mehr als drei Milliarden US-Dollar wurden seit Beginn der COP für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor versprochen. Diese Zählung beinhaltet nicht alle Gelder, die in den Sektor fließen könnten. So hatte beispielsweise die öffentlich-private Partnerschaft Africa and Middle East SAFE Initiative weitere zehn Milliarden versprochen. Die sollen unter anderem aus privatem Kapital gehebelt werden. SAFE steht für Scale-up Agriculture and Food Systems for Economic Development und die Milliarden sollen unter anderem im Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen im ländlichen Raum fließen. Die Initiative wird vom Global Green Growth Institute koordiniert.
Die Herausforderungen für Ernährung und Klimawandel sind groß: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind in den letzten drei Jahrzehnten 3,8 Billionen Dollar an Ernte- und Viehverlusten durch Katastrophen wie Überschwemmungen und Dürren entstanden. Um Ernährungssicherheit zu erhalten, ist Forschung in klimaresistente Pflanzen notwendig. Zusätzlich sollen auch die hohen Emissionen in dem Sektor gesenkt werden.
Aus Analysen der Climate Policy Initiative geht hervor, dass es bisher eine große Finanzierungslücke für den Bereich Agri-Food gibt. Während 2021-2022 mehr als 500 Milliarden US-Dollar in die Transformation von Energiesysteme flossen, gingen im selben Zeitraum nur 43 Milliarden in den Bereich Landwirtschaft, Landnutzungsänderung, Wälder und Fischerei. kul
Die bisherigen COP28-Zusagen zur Verdreifachung der Erneuerbaren, Verdopplung der Energieeffizienz und Verminderung der Methanemissionen senken die Emissionen nicht schnell genug. Laut einer IEA-Analyse würde die vollständige Erfüllung der Zusagen die Emissionslücke zum 1,5-Grad-Pfad bis 2030 nur um gut 30 Prozent schließen. Die IEA-Analyse bestätigt einen Bericht des Climate Action Trackers, der zu ähnlichen Ergebnissen kam.
Bisher haben sich gut 130 Staaten der Initiative zur Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdopplung der Energieeffizienz angeschlossen. Indien und China sind keine Mitglieder. China ist zwar auf einem guten Weg, die Kapazität der Erneuerbaren bis 2030 zu verdreifachen, will sich aber nicht zur Verdopplung der Energieeffizienz verpflichten. Zudem haben sich 50 Öl- und Gasunternehmen in der sogenannten Oil and Gas Decarbonisation Charter zusammengeschlossen, um die Methanemissionen bis 2030 fast auf null zu senken. nib
Es sind große Fußstapfen, die Liu Zhenmin ausfüllen muss. Der 68-Jährige wird sehr wahrscheinlich neuer Klimagesandter Chinas und somit Nachfolger von Xie Zhenhua, dem Klimazar, der mit John Kerry maßgeblich zum Pariser Klimaabkommen beigetragen hat. Xie hat als graue Eminenz viel Einfluss auf die chinesische Klimapolitik genommen.
Doch auch der Karrierediplomat Liu Zhenmin bringt jahrelange Erfahrung in Klimafragen mit und konnte Xie lange über die Schulter schauen. 2015 war er als Stellvertreter Xies in der chinesischen Delegation an den Verhandlungen zum Pariser Klimaabkommen beteiligt. Liu nahm laut eigenen Angaben aber auch schon an den COP2 bis COP5 teil. Und war als Vorsitzender der chinesischen Delegation an der Verhandlung des Kyoto-Protokolls beteiligt.
Er blickt auf mehr als 30 Jahre diplomatische Erfahrung zurück. Bis 2022 war er Untergeneralsekretär für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen. Dabei war er für die Agenda 2030 zuständig und beriet António Guterres in entwicklungspolitischen und Klima-Fragen und nahm mit dem Portugiesen an Klimakonferenzen teil.
Als Untergeneralsekretär betonte er den “großen Beitrag”, den die chinesische Belt and Road Initiative zur Erreichung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) leisten könne. Diese Vermischung chinesischer Interessen und der Agenda für Nachhaltige Entwicklung kam im Westen nicht allzu gut an. Seine wiederholte Kritik am kurzfristigen Gewinnstreben des Finanzsektors und seine Plädoyers zum Umbau des Finanzsystems dürften in der Klima-Community jedoch auf offene Ohren stoßen.
Zwischen 2013 und 2017 war Liu Vizeminister für auswärtige Angelegenheiten Chinas. Damals konterte er den Vorwurf des ehemaligen US-Präsidenten, Donald Trump, der Klimawandel sei eine von den Chinesen erfundene Lüge (“Hoax”), um die USA zu schwächen. Sein kluger Einwand: Es seien die US-Republikaner gewesen, die die Klimaverhandlungen in den späten 1980er Jahren begonnen hatten.
Liu hat einen Jura-Abschluss der Pekinger Universität. Er ist im August 1955 in der Provinz Shanxi, der größten Kohleregion Chinas, geboren und ist verheiratet. Er wird als weniger mächtig und weniger gut vernetzt als sein Vorgänger Xie eingeschätzt. Xie hatte den Rank eines Ministers, während Liu nur Vize-Minister war. Xie arbeitete vorher bei der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission Chinas (NDRC), die die Klimapolitik Chinas maßgeblich mitbestimmt. Liu hat als Karrierediplomat weniger Vernetzungen zu den wichtigsten Klimaentscheidern in der Regierung und KP Chinas, so die Einschätzung der Beratungsagentur Trivium China.
Als UN-Untergeneralsekretär schrieb Liu, der Klimawandel sei ein “Bedrohungsmultiplikator, der das Potenzial hat, einige der größten Herausforderungen der Menschheit zu verschlimmern, darunter Gesundheit, Armut, Hunger, Ungleichheit”. Auf einer Konferenz im September 2023 forderte Liu die schnellere Umsetzung der nationalen Klimaziele (NDCs), eine COP28-Entscheidung zum Thema Klimaanpassung und er forderte die Industriestaaten auf, ihrer Verpflichtung zur Klimafinanzierung nachzukommen. Handelsbarrieren sollten Liu zufolge verhindert werden. Marktkräfte könnten zum Klimaschutz beitragen – eine Anspielung auf aktuelle handelspolitische Differenzen zwischen China und westlichen Staaten und den CBAM. Nico Beckert
die COP28 geht langsam in den Endspurt. COP-Präsident Al Jaber drängte die Staaten gestern, “härter” zu arbeiten, flexibler zu sein und Kompromisse einzugehen. Er will die Konferenz am Dienstag um 11 Uhr beschließen. Doch auf den Fluren der COP werden schon erste Wetten abgeschlossen, wie lange in diesem Jahr überzogen wird.
Am heftigsten wird aktuell über den Ausstieg aus fossilen Energien debattiert. Viele Staaten wollen auf “Abatement” setzen, also weiter Fossile nutzen, aber die Emissionen vermindern. Doch es herrscht keinesfalls Klarheit, was “Abatement” konkret bedeutet. Lukas Scheid beschreibt, warum ohne klare Definition und allgemeingültige Standards eine CO₂-Bombe droht.
Hitzige Debatten gibt es auch bei einem globalen Ziel zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise. Aktuell streiten die Staaten noch, wie Anpassung messbar gemacht werden kann, wie konkrete Unterziele aussehen können und wer wie viel zu ihrer Finanzierung beitragen soll. Alexandra Endres hat die Details gesammelt.
In naher Zukunft könnten die Klimakonferenzen eine ganz andere Dynamik entfalten. Laut mehreren Studien sind es mittlerweile die Entwicklungs- und Schwellenländer, die historisch am meisten zur Klimakrise beigetragen haben – jedenfalls in absoluten Zahlen, berichtet Bernhard Pötter. Bisher sind die Industrieländer in einer besonderen Pflicht, weil sie sowohl bei den historischen als auch den Pro-Kopf-Emissionen lange Zeit führend waren.
Beste Grüße
Mitten in den finalen Verhandlungen der COP zeigt eine brisante Studie: Die Schwellen- und Entwicklungsländer treiben mit ihren historischen Emissionen die Erderwärmung stärker voran als die Industriestaaten. Damit gerät ein zentrales Narrativ des UN-Klimaprozesses ins Wanken. Entsprechend unangenehm ist das Thema vielen Staaten.
In der zentralen Frage der globalen Klimapolitik ändern sich die Vorzeichen: Laut einer neuen Studie, die im Fachmagazin Nature erschienen ist, haben die Länder des Globalen Südens durch ihre Treibhausgasemissionen inzwischen mehr zur Erderhitzung beigetragen als die Industriestaaten. Der Anteil der Industriestaaten laut Klimarahmenkonvention (“Annex I”) an den historischen Beiträgen zur Erwärmung zwischen 1851 und 2021 liegt demnach bei 44,8 Prozent. Der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer (“non-Annex-I”) dagegen beträgt 53,5 Prozent. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit Daten der UNO und des IPCC.
Damit steht eine zentrale Aussage infrage, die in den letzten Jahrzehnten die globale Klimadiplomatie dominiert hat: Die Erzählung, dass die Industrieländer die Hauptschuldigen an der Klimakrise sind – und dass der Rest der Welt dazu wenig beigetragen hat. So spricht etwa der Vorschlag der G77/China für einen Beschluss zum “Global Stocktake” auf der COP28 von “historischen Lücken bei der Umsetzung von Klimaschutz” und der “historischen Verantwortung der entwickelten Länder, die Führung beim Klimaschutz zu übernehmen.” Das Argument, das vielen UN-Beschlüssen zugrunde liegt: Die Industriestaaten müssen beim Klimaschutz mehr leisten und außerdem die Entwicklungsländer finanziell unterstützen, weil sie am meisten CO₂ emittiert haben und durch dieses fossile Wachstum im Schnitt reicher geworden sind.
Aber das Argument, der Globale Norden sei historisch der größte Verschmutzer, ist jetzt deutlich widerlegt. Das zeigt die neue Studie, weil sie umfassende Daten heranzieht: Sie berechnet neben CO₂-Emissionen aus fossiler Verbrennung auch solche aus Landnutzung und Waldzerstörung, die sonst oft vernachlässigt werden. Zudem beleuchtet sie auch die Klimaeffekte von Methan- und Stickoxidemissionen. Die einzelnen Ergebnisse:
Die Rechnung sieht anders aus, wenn sie nur die Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe betrachtet: Hier machen die klassischen Industrieländer mit 54,1 Prozent noch die Mehrheit der Emissionen aus. Bei der Erwärmung durch Emissionen aus Landnutzung (LULUCF) dagegen liegen die Schwellen- und Entwicklungsländer mit 73 Prozent deutlich vorn.
Die Frage nach den Anteilen an Emissionen und Erwärmung ist politisch im UNFCCC-Prozess so brisant, dass sie ungern offen diskutiert wird. Dabei zeigt etwa auch eine Grafik im 6. IPCC-Sachstandsbericht die historischen Emissionen aus fossilen Quellen und Landnutzung nach Ländergruppen. Die klassischen Industrieländer in Nordamerika, Europa und Japan/Ozeanien kommen dabei ebenfalls nur auf 43 Prozent. Aber zehn Prozent sind der Gruppe “Osteuropa und West-Zentralasien” zugeordnet, die nicht mit den “Annex”-Kategorien der UNFCCC übereinstimmen. Eine klare Aussage darüber, welche Länder aus dieser Gruppe Annex- oder nicht-Annex-Staaten sind, ist daher nach dieser Kalkulation nicht möglich: Eine klare Einteilung der Emissionen zu Industrie- oder Entwicklungsländern ebenfalls nicht.
Dabei sind die Daten des aktuellen Papiers eindeutig. Demnach haben sich “die Beiträge zur Erwärmung zwischen den beiden Gruppen bereits etwa 2009 gekreuzt”, sagt William Lamb, Emissionsexperte am MCC Berlin und Autor von IPCC- und UNEP-Berichten zu dem Thema, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt war. “Seitdem liegt der Anteil der Nicht-Annex-Staaten an der Erwärmung höher als die historischen Beiträge der Industriestaaten“. 2009 scheiterte in Kopenhagen die COP15 daran, dass sich der globale Norden und Süden nicht darauf einigen konnten, wer wie viele Emissionen reduzieren sollte. “Kalkulation und Darstellung dieser Zahlen bei IPCC und UNEP sind für die Länderdelegationen eine zutiefst politische Sache und werden auch so verhandelt“, so Lamb zu Table.Media. Eine große politische Debatte hat zu dieser Frage bisher nicht stattgefunden.
Auch der aktuelle “Unep Emissions Gap Report” behandelt die Lücke bei den nötigen Emissionsreduktionen: 2022 erreichten der globale Treibhausgasausstoß mit einer Steigerung um 1,2 Prozent den bisherigen Höchststand mit 57,4 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalent. Der Bericht führt aber auch die historischen Emissionen auf und stellt die Verbindung her zu anderen, ebenfalls wichtigen Aspekten: Neben der Menge der historischen Emissionen und dem Beitrag zur Erwärmung stellt er etwa auch die Pro-Kopf-Emissionen der Länder und Ländergruppen dar. Schlüsselt man die historischen Emissionen der G20 Staaten nach Industrie- und Schwellenländer auf, zeigt sich ebenfalls der Trend, dass die Industriestaaten unwichtiger werden.
So hat zum Beispiel China in seinen Vorschlägen für eine Aufnahme des “Global Stocktake” in die COP-Beschlüsse seine Forderungen angepasst. Statt generell den Industrieländern vorzuwerfen, sie hätten die Klimakrise verschuldet, bringt China nun vor:
Das verlagert die Debatte von der reinen Mengenfrage hin zu einer qualifizierten Betrachtung der Emissionen: etwa pro Kopf oder pro Wirtschaftsleistung eines Landes. Das aber ordnet die globalen Verantwortlichkeiten neu.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Für das neue Globale Anpassungsziel (Global Goal on Adaptation, GGA), das in Dubai beschlossen werden soll, wird die Zeit knapp. Erst drei Tage vor Ende des Klimagipfels erhielten die Delegationen eine Grundlage, auf der sie überhaupt inhaltlich verhandeln können. Der Entwurf wurde am Sonntagmorgen um 8:30 Uhr Ortszeit vorgelegt. Zuvor hatte sich die Präsidentschaft eingeschaltet – offenbar aus Sorge, das GGA könnte auf der Strecke bleiben.
Jetzt bleibt sehr wenig Zeit für die Sacharbeit am Text. Dabei müsste das Rahmenwerk zum GGA in Dubai verabschiedet werden, damit es wie geplant bis zum Klimagipfel im kommenden Jahr mit konkreten Inhalten gefüllt werden kann.
Wesentliche Streitpunkte drehen sich um:
Am Sonntagabend waren die Beratungen offenbar so festgefahren, dass die Ministerinnen und Minister sich der Sache besonders annahmen. Es gab immer noch Widerstand unter den arabischen Staaten gegen das Gesamtpaket der COP – sie hatten den Verhandlungsstrang zur Anpassung zuvor blockiert, um die Fortschritte insgesamt aufzuhalten. Unterschiedliche Auffassungen über das GGA-Rahmenwerk bestanden aber auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Das Anpassungsziel wurde bereits vor zehn Jahren von den afrikanischen Staaten in den UN-Verhandlungsprozess eingebracht und dann 2015 in Artikel sieben des Pariser Klimaabkommens erstmals schriftlich erwähnt: Es soll “die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel verbessern, die Widerstandsfähigkeit stärken und die Verwundbarkeit verringern”.
Das liegt insbesondere im Interesse der Staaten, die stärker unter der Klimakrise leiden als andere. Doch auch die Industrieländer werden sich für eine Zukunft mit noch mehr Klimaextremen wappnen müssen, sagte Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth am Sonntag in Dubai: “Das Global Goal on Adaptation adressiert nicht nur die Entwicklungsländer. Die Welt insgesamt soll resilienter werden.”
Die Grundlage dafür soll das GGA in Form eines Rahmenwerks schaffen. Es soll ein übergeordnetes Ziel umfassen, das durch – möglichst messbare – Unterziele konkretisiert wird. Daneben geht es um Instrumente zur praktischen Umsetzung, Verfahren zur Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung, und um die Finanzierung. Eine Arbeitsgruppe hatte zwei Jahre lang daran gearbeitet. Erst kurz vor Dubai legte sie einige Formulierungsvorschläge vor. Auch dadurch wurde der Start der GGA-Verhandlungen auf der COP28 verlangsamt.
Jetzt wird es schwierig, noch eine Einigung zu finden. Ein Knackpunkt ist die Finanzierung. Je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto mehr nimmt auch der Bedarf an Geld für Anpassung zu. Schon jetzt sind die Folgen der Erderwärmung schwerer als erwartet, wie der jüngste Sachstandsbericht des IPCC belegt. Doch statt zu steigen, sind die öffentlichen Mittel für die Anpassungsfinanzierung zuletzt um 15 Prozent auf 21 Milliarden US-Dollar jährlich gesunken.
“Es geht hier darum, Leben zu retten”, sagte Mohamed Adow, Direktor der NGO Power Shift Africa, in Dubai, und verwies auf den Adaptation Gap Report der UNEP, der den künftigen Finanzbedarf für Anpassung auf 387 Milliarden US-Dollar pro Jahr schätzt. Verhandlungskreisen zufolge fand sich ein Hinweis auf die Zahl auch in einem ersten GGA-Textentwurf in Dubai. Doch im Text vom Sonntag ist sie nicht mehr zu finden.
Dabei wäre es gerade für die Entwicklungsländer wichtig, konkrete Zahlen im GGA verankert zu sehen, denn damit wäre die Finanzierung sehr klar an Anpassungszwecke gekoppelt. Adow warnt vor einer “humanitären Krise”, wenn die Anpassungsfinanzierung nicht steigt. Der aktuelle Textentwurf zum GGA greife zu kurz, sagt er. In Dubai müsse ein GGA-Rahmenwerk verabschiedet werden, das den verletzbaren Ländern das nötige Vertrauen gebe, “dass sie ausreichend finanzielle Unterstützung erhalten, sich anzupassen”.
Doch anders als die Entwicklungsländer möchten die Industrieländer die Anpassungsfinanzierung lieber in anderen Verhandlungssträngen verankern. Eine Möglichkeit wäre etwa im Strang zum neuen Finanzziel (New Collective Quantified Goal on Climate Finance, NCQG), das im kommenden Jahr auf der COP verabschiedet werden soll.
Eine andere strittige Forderung ist, innerhalb des GGA festzulegen, welche Staaten künftig für Anpassung zahlen sollen. Dagegen spricht sich unter anderem Deutschland aus. Die Anpassungsfinanzierung “der klassischen Geberländer” werde von 20 Milliarden im Jahr 2019 auf 40 Milliarden im Jahr 2025 steigen, sagte der deutsche Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth am Sonntag in Dubai. “Das ist bereits beschlossen. Dazu stehen wir.” Wie es angesichts der zunehmenden Klimarisiken nach 2025 weitergehe, werde bei der nächsten Klimakonferenz in einem Jahr beraten, sagte eine BMZ-Sprecherin auf Nachfrage.
Nur die traditionellen Industrieländer für die Anpassungsfinanzierung in die Pflicht zu nehmen, wäre “ein starker Rückfall in die alte, zweigeteilte Welt” aus den Annex-I-Staaten des Kyoto-Protokolls und allen anderen Staaten, sagte Flasbarth. Diese Welt aber habe man auf der COP28 hinter sich gelassen.
Klarheit fehlt den Entwicklungsländern auch in Bezug auf die Unterziele und Indikatoren. Zwar legt der aktuelle Textentwurf fest, dass durch das GGA unter anderem der Gesundheitssektor, die Wasserversorgung, die Ernährungssicherheit, die Infrastruktur und die Ökosysteme widerstandsfähiger gegen Klimafolgen werden sollen. Die Armutsbekämpfung soll gestärkt werden, Kulturgüter besser geschützt. Aber er enthält keine konkreten Zahlen, an denen der Fortschritt gemessen werden könnte. Sie werden vor allem von der afrikanischen Gruppe und der G77 gefordert werden.
Derzeit ist im Gespräch, ein zweijähriges Arbeitsprogramm aufzusetzen, um die Unterziele, Indikatoren und Überprüfungsmechanismen genauer zu bestimmen. Die Entwicklungsländer sehen das kritisch: Schon vor Dubai gab es ein solches zweijähriges Arbeitsprogramm. Doch dessen Vorarbeit brachte aus ihrer Sicht nur unzureichende und zu späte Ergebnisse.
Manche Beobachter befürchten auch, dass durch ein weiteres zweijähriges Arbeitsprogramm die Entscheidungen zur Finanzierung verschleppt werden. Das BMZ widerspricht: “Der Vorschlag für ein zweijähriges Arbeitsprogramm bezieht sich auf die Entwicklung von Indikatoren, um Fortschritt bei den verschiedenen Zielen messen zu können. Diese fachliche Arbeit steht der Diskussion im NCQG nicht automatisch entgegen”, sagte eine Sprecherin.
Strittig ist schließlich auch, ob das GGA ein ständiger Tagesordnungspunkt (standing agenda item) der Klimakonferenzen werden soll. Derzeit ist es das nicht – das bedeutet, im Zweifelsfall muss immer wieder darum gekämpft werden, dass weiter über das Anpassungsziel gesprochen wird.
Man brauche auf jeden Fall ein Globales Anpassungsziel, das auf der COP verabschiedet werde, sagte Christoph Bals, Geschäftsführer der NGO Germanwatch. “Wie weit man mit den Kriterien darunter noch kommt, wird man sehen müssen, weil die Verhandlungen so destruktiv gelaufen sind.” Möglich seien “zumindest Eckpunkte und ein Arbeitsprogramm, damit man das bis zum kommenden Jahr definitiv hat”.
2024 müssten dann die “längst versprochene Verdoppelung der Anpassungsfinanzierung transparent nachgewiesen” und im Rahmen des neuen Finanzziels NCQG “ein deutlicher Anstieg dazu beschlossen” werden. “Ein solcher Prozess wäre das, was hier noch möglich ist.”
Abgesehen von der fehlenden adäquaten Übersetzung der Worte “abated” und “unabated” ins Deutsche (die vieldeutigen Begriffe vermindert bzw. unvermindert werden meist verwendet) ist auch die genaue Begriffsdefinition im Englischen wie im Deutschen noch ungeklärt. Seit dem Treffen der G7-Energieminister in Großbritannien 2021 wird auf der diplomatischen Bühne um entsprechende Formulierungen in Bezug auf fossile Brennstoffe gerungen. Auf der COP26 in Glasgow im selben Jahr, als ein Herunterfahren der unverminderten Kohleverstromung beschlossen wurde, fanden die Begriffe auch Einzug in die UN-Klimaverhandlungen.
In Dubai stehen fossile Brennstoffe im Fokus der Verhandlungen – immer mit der Frage: Gibt es einen “Phase-down/out” der Fossilen oder steht noch das Wort “unabated” davor. Die meisten Staaten sehen hinter “abatement” im weitesten Sinne eine CO₂-Abscheidung bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Treibhausgase würden zum größten Teil nicht in die Atmosphäre entweichen und den Klimawandel nicht beschleunigen. Sie würden stattdessen während des Verbrennungsprozesses technologisch aufgefangen und gespeichert oder genutzt (CCSU) werden. Diese Definition nutzt auch die Internationale Energieagentur (IEA).
Bei dieser Verwendung des Wortes sind sich allerdings längst nicht alle einig. Japan, immerhin G7-Mitglied und eines der Länder mit den höchsten Treibhausgasemissionen weltweit, sieht seine Kohlekraftwerke mit teilweiser Ammoniakbefeuerung bereits als verminderte fossile Energieherstellung. Dabei kommt CCS nicht zwingend zum Einsatz und Kohle würde weiterhin verbrannt werden – nur eben in “verminderter” Menge und durch die Ammoniakverbrennung mit weniger Emissionen.
Der US-Klimabeauftragte John Kerry, bekanntermaßen ein großer Fan von CCS, definiert den Begriff ebenfalls nur schwammig. Für ihn bedeute Verminderung, dass man die Ziele von Paris erreiche. Kerry gibt jedoch auch zu, dass er “für verschiedene Menschen etwas anderes” bedeute und die Absichten der Länder nicht alle gleich seien.
Nicht nur der Begriff “abatement” ist derzeit noch definitionslos. Auch die EU-Forderung nach einem Energiesystem “überwiegend frei von fossilen Brennstoffen” ist nicht trennscharf. Für manche – darunter Deutschland – bedeutet “überwiegend” annähernd 100 Prozent – CCS solle demnach nur für Restemissionen aus schwer zu dekarbonisierbaren Industriesektoren eingesetzt werden. Für andere bedeutet “überwiegend” schlicht der Großteil – sprich alles über 50 Prozent.
Alden Meyer, Senior Associate und Klimapolitikexperte beim Thinktank E3G, fordert schnellstmögliche Klärung des Begriffs. Wenn es jedem selbst überlassen werde, was “abatement” heißt, dann wäre “wilder Westen”. Die Gefahr sei umso größer, dass schwammig definierte Verminderungsmöglichkeiten von echten Emissionsreduzierungen ablenken. Sein Vorschlag: Weltklimarat (IPCC) und IEA legen bis zur COP29 im kommenden Jahr eine allgemeingültige Definition vor, auf die sich alle einigen.
Einen ersten Aufschlag des Weltklimarats gibt es bereits. In einer Fußnote des IPCC-Berichts von 2022 ist von einer Reduktionsrate durch “abatement” von mindestens 90 Prozent bei Kraftwerken und 50 bis 80 Prozent bei flüchtigen Methan-Emissionen die Rede. Das bezieht sich auf den gesamten Lebenszyklus der fossilen Brennstoffe. Diese Definition würde bedeuten, dass auch Emissionen aus Transport sowie Upstream-Emissionen berücksichtigt wären. Das würde vor allem Schlupflöcher für Methan-Emissionen erheblich einschränken. Eine Studie von IPCC-Autoren geht noch weiter und empfiehlt die Bezeichnung “abatement” nur bei CO₂-Reduktionen von 90 bis 95 Prozent und einer garantierten dauerhaften unterirdischen Kohlenstoffspeicherung.
Die Nutzung von CCS bei Ölprodukten wäre beinahe ganz ausgeschlossen, da die Emissionen zum Großteil bei der lokalen Verbrennung beispielsweise am Verbrennungsmotor entstehen. Dort ist CO₂-Abscheidung kaum möglich und vor allem nicht rentabel. Auch LNG hätte kaum noch eine Zukunft, wenn die IPCC-Fußnote für “abatement” allgemeingültig wäre. Nur zehn Prozent der Emissionen entstehen bei der Produktion von LNG, rund 90 Prozent bei der Verbrennung beim Endverbraucher.
Es könnte jedoch enorm schwierig werden, eine Definition für “abated” für alle Länder festzulegen. Schon die Fußnote im IPCC-Bericht war im Abstimmungsprozess mit den Regierungen der Vertragsstaaten heftig umstritten. Gelingt es jedoch nicht, den Begriff trennscharf zu definieren, könnten enorme Kohlestoffschlupflöcher die Folge sein.
Ist die Abscheidungsrate nur bei 50 statt 95 Prozent und werden die vorgelagerten Upstream-Methan-Emissionen nicht berücksichtigt, würden 86 Milliarden Tonnen Treibhausgase bis 2050 mehr emittiert werden. Das geht aus einer Studie von Climate Analytics hervor. Das bedeutet, bei einer unklaren Definition von “unabated fossil fuels” könnte im schlimmsten Fall die doppelte Menge der weltweiten CO₂-Emissionen des Jahres 2023 in der Atmosphäre landen.
Zwar könnte eine Begriffsklärung die Klimaverhandlungen vereinfachen. Wenn alle Regierungen wissen, was durch “abatement” noch erlaubt ist, wären die Positionen klarer. Doch die Verhinderer einer klaren Definition sind dieselben Staaten wie die Gegner des fossilen Ausstiegs.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
11. Dezember, 10 Uhr, The Women’s Pavilion – Humanitarian Hub
Podiumsdiskussion Greening the Humanitarian Response: A Sustainable Resilient and Accountable Approach in Displacement Settings
Auf der Diskussion, die von der FAO ausgerichtet wird, geht es darum, wie bei der Unterbringung von Geflüchteten auf Klimarisiken eingegangen werden kann. Infos
11. Dezember, 11 Uhr, Panda Hub
Diskussion Greening the chain – Towards sustainability along the steel supply chain
Die Stahlindustrie ist für rund sieben Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Produktion wird voraussichtlich bis 2050 weiter steigen, sodass die Emissionen pro Tonne Stahl rasch sinken müssen. In der Diskussion des WWF geht es darum, wie der Stahlsektor besser in Pläne zur Minderung der Industrieemissionen einbezogen werden kann. Infos
11. Dezember, 11.30 Uhr, SE Room 8
Podiumsdiskussion The transformative power of law in promoting a just transition to a climate positive world
Das Recht kann zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens und eines gerechten Übergangs zu einer klimafreundlichen Welt beitragen. Bei dieser Veranstaltung werden rechtliche Fragen der Klimaagenda erörtert, darunter rechtliche Aspekte der Umsetzung naturbasierter Lösungen und menschenrechtsbasierter Ansätze. Infos & Livestream
11. Dezember, 11.30 Uhr, European Pavilion
Podiumsdiskussion Building climate neutral and resilient cities: a journey to implementation
Bürgermeister aus Städten des Global Covenant of Mayors – dem weltweit größten Städtebündnis – werden ihre Klima-Aktionspläne vorstellen und ihre transformative, lokale Vision skizzieren. Infos
11. Dezember, 15 Uhr, SE Room 3
Diskussion Just Industry Transition Partnerships – A proposal to link JETPs with sectoral cooperation
Auf der Diskussion geht es darum, wie Länder im Globalen Süden durch eine Erweiterung des Konzepts von Just Energy Transtion Partnerships auch in der Dekarbonisierung der Industrie besser unterstützt werden könnten. Infos & Livestream
Mehr als drei Milliarden US-Dollar wurden seit Beginn der COP für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor versprochen. Diese Zählung beinhaltet nicht alle Gelder, die in den Sektor fließen könnten. So hatte beispielsweise die öffentlich-private Partnerschaft Africa and Middle East SAFE Initiative weitere zehn Milliarden versprochen. Die sollen unter anderem aus privatem Kapital gehebelt werden. SAFE steht für Scale-up Agriculture and Food Systems for Economic Development und die Milliarden sollen unter anderem im Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen im ländlichen Raum fließen. Die Initiative wird vom Global Green Growth Institute koordiniert.
Die Herausforderungen für Ernährung und Klimawandel sind groß: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind in den letzten drei Jahrzehnten 3,8 Billionen Dollar an Ernte- und Viehverlusten durch Katastrophen wie Überschwemmungen und Dürren entstanden. Um Ernährungssicherheit zu erhalten, ist Forschung in klimaresistente Pflanzen notwendig. Zusätzlich sollen auch die hohen Emissionen in dem Sektor gesenkt werden.
Aus Analysen der Climate Policy Initiative geht hervor, dass es bisher eine große Finanzierungslücke für den Bereich Agri-Food gibt. Während 2021-2022 mehr als 500 Milliarden US-Dollar in die Transformation von Energiesysteme flossen, gingen im selben Zeitraum nur 43 Milliarden in den Bereich Landwirtschaft, Landnutzungsänderung, Wälder und Fischerei. kul
Die bisherigen COP28-Zusagen zur Verdreifachung der Erneuerbaren, Verdopplung der Energieeffizienz und Verminderung der Methanemissionen senken die Emissionen nicht schnell genug. Laut einer IEA-Analyse würde die vollständige Erfüllung der Zusagen die Emissionslücke zum 1,5-Grad-Pfad bis 2030 nur um gut 30 Prozent schließen. Die IEA-Analyse bestätigt einen Bericht des Climate Action Trackers, der zu ähnlichen Ergebnissen kam.
Bisher haben sich gut 130 Staaten der Initiative zur Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdopplung der Energieeffizienz angeschlossen. Indien und China sind keine Mitglieder. China ist zwar auf einem guten Weg, die Kapazität der Erneuerbaren bis 2030 zu verdreifachen, will sich aber nicht zur Verdopplung der Energieeffizienz verpflichten. Zudem haben sich 50 Öl- und Gasunternehmen in der sogenannten Oil and Gas Decarbonisation Charter zusammengeschlossen, um die Methanemissionen bis 2030 fast auf null zu senken. nib
Es sind große Fußstapfen, die Liu Zhenmin ausfüllen muss. Der 68-Jährige wird sehr wahrscheinlich neuer Klimagesandter Chinas und somit Nachfolger von Xie Zhenhua, dem Klimazar, der mit John Kerry maßgeblich zum Pariser Klimaabkommen beigetragen hat. Xie hat als graue Eminenz viel Einfluss auf die chinesische Klimapolitik genommen.
Doch auch der Karrierediplomat Liu Zhenmin bringt jahrelange Erfahrung in Klimafragen mit und konnte Xie lange über die Schulter schauen. 2015 war er als Stellvertreter Xies in der chinesischen Delegation an den Verhandlungen zum Pariser Klimaabkommen beteiligt. Liu nahm laut eigenen Angaben aber auch schon an den COP2 bis COP5 teil. Und war als Vorsitzender der chinesischen Delegation an der Verhandlung des Kyoto-Protokolls beteiligt.
Er blickt auf mehr als 30 Jahre diplomatische Erfahrung zurück. Bis 2022 war er Untergeneralsekretär für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen. Dabei war er für die Agenda 2030 zuständig und beriet António Guterres in entwicklungspolitischen und Klima-Fragen und nahm mit dem Portugiesen an Klimakonferenzen teil.
Als Untergeneralsekretär betonte er den “großen Beitrag”, den die chinesische Belt and Road Initiative zur Erreichung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) leisten könne. Diese Vermischung chinesischer Interessen und der Agenda für Nachhaltige Entwicklung kam im Westen nicht allzu gut an. Seine wiederholte Kritik am kurzfristigen Gewinnstreben des Finanzsektors und seine Plädoyers zum Umbau des Finanzsystems dürften in der Klima-Community jedoch auf offene Ohren stoßen.
Zwischen 2013 und 2017 war Liu Vizeminister für auswärtige Angelegenheiten Chinas. Damals konterte er den Vorwurf des ehemaligen US-Präsidenten, Donald Trump, der Klimawandel sei eine von den Chinesen erfundene Lüge (“Hoax”), um die USA zu schwächen. Sein kluger Einwand: Es seien die US-Republikaner gewesen, die die Klimaverhandlungen in den späten 1980er Jahren begonnen hatten.
Liu hat einen Jura-Abschluss der Pekinger Universität. Er ist im August 1955 in der Provinz Shanxi, der größten Kohleregion Chinas, geboren und ist verheiratet. Er wird als weniger mächtig und weniger gut vernetzt als sein Vorgänger Xie eingeschätzt. Xie hatte den Rank eines Ministers, während Liu nur Vize-Minister war. Xie arbeitete vorher bei der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission Chinas (NDRC), die die Klimapolitik Chinas maßgeblich mitbestimmt. Liu hat als Karrierediplomat weniger Vernetzungen zu den wichtigsten Klimaentscheidern in der Regierung und KP Chinas, so die Einschätzung der Beratungsagentur Trivium China.
Als UN-Untergeneralsekretär schrieb Liu, der Klimawandel sei ein “Bedrohungsmultiplikator, der das Potenzial hat, einige der größten Herausforderungen der Menschheit zu verschlimmern, darunter Gesundheit, Armut, Hunger, Ungleichheit”. Auf einer Konferenz im September 2023 forderte Liu die schnellere Umsetzung der nationalen Klimaziele (NDCs), eine COP28-Entscheidung zum Thema Klimaanpassung und er forderte die Industriestaaten auf, ihrer Verpflichtung zur Klimafinanzierung nachzukommen. Handelsbarrieren sollten Liu zufolge verhindert werden. Marktkräfte könnten zum Klimaschutz beitragen – eine Anspielung auf aktuelle handelspolitische Differenzen zwischen China und westlichen Staaten und den CBAM. Nico Beckert