In Parlament und Regierung beginnt dieser Tage das Tauziehen um den Haushalt für das Jahr 2025. Möglicherweise zerbricht daran die Ampelkoalition. Bei einem anderen – mindestens ebenso wichtigen – Haushaltsprojekt ist das Land allerdings schon gescheitert: beim CO₂-Budget, das die Sachverständigen der Regierung errechnen. Es bezeichnet die Menge an CO₂, die Deutschland ausstoßen darf, um seinen fairen Anteil zum Einhalten der globalen 1,5-Grad-Grenze beizutragen – und Deutschland hat es bereits überzogen. Wie das kommt und was es bedeutet, schreiben wir heute für Sie auf.
Zumindest Fatih Birol hofft noch auf Deutschland: Der Chef der IEA würde gern in aller Welt eine Erfolgsgeschichte über Klimageld aus Deutschland erzählen, verrät er uns im Interview. Doch da muss er sich noch ein wenig gedulden. Gleiches gilt für die Experten, die fordern, dass die inzwischen zweite Klimastrategie des Verteidigungsministeriums die Bundeswehr mehr grün als olivgrün macht.
Aber es gibt auch vorsichtig positive Nachrichten, diesmal aus China und aus Brüssel. Lassen Sie sich überraschen und bleiben Sie gut informiert.
Deutschland hat seinen fairen Anteil am CO₂-Budget, das sich aus dem 1,5-Grad-Limit ergibt, schon Anfang 2023 aufgebraucht. Zu dem Ergebnis kommt der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) in einer neuen Kalkulation. Als Grundlage nutzt der Rat dabei:
Diese Linie kann Deutschland laut SRU nun nicht mehr halten. Dem Rat zufolge hätte das Budget im vergangenen Jahr noch Emissionen von 19 Millionen Tonnen CO₂ erlaubt. Tatsächlich aber betrug der deutsche CO₂-Ausstoß 2023 laut UBA 594 Millionen Tonnen. Im Ergebnis lag Deutschland damit Anfang 2024 bereits 575 Millionen Tonnen CO₂ über den Vorgaben des Budgets.
Weil das CO₂-Budget nur die CO₂-Emissionen berücksichtigt, sind die klimaschädlichen Emissionen Deutschlands allerdings insgesamt deutlich höher. Das UBA bezieht auch Methan, Lachgas und F-Gase in seine Statistik ein und kommt deshalb für 2023 auf Gesamtemissionen von 674 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten – immerhin 10,1 Prozent unter dem Vorjahresniveau, aber eben über dem Budget.
In seiner aktuellen Projektion kommt das Amt auch zu dem Ergebnis, dass Deutschland seine 2030er-Klimaziele wohl halten kann: eine überraschende Erfolgsnachricht aus der deutschen Klimapolitik. Doch mit dem CO₂-Budget, das der SRU als fair ansieht, haben die deutschen Klimaziele wenig zu tun.
Das Budget ist weder in der deutschen Klimaschutzpolitik noch im Klimaschutzgesetz verankert, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Klima-Entscheidung aus dem April 2021 den damaligen SRU-Berechnungen folgte. Deshalb liegen “die kumulierten Emissionen, die sich aus dem Klimaschutzgesetz ergeben, deutlich über den CO₂-Budgets, die nach Ansicht des SRU einen fairen Beitrag zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens leisten”, wie der Rat in seiner neuen Stellungnahme schreibt.
In dem Papier berechnet der SRU das Budget auch für weitere Wahrscheinlichkeiten und Temperaturgrenzen – und für die EU:
Die Kalkulation eines fairen CO₂-Budgets hängt von verschiedenen Annahmen ab. Die entscheidende Frage ist, wie das globale CO₂-Budget gerecht zwischen den einzelnen Staaten zu verteilen wäre. Der SRU nimmt den deutschen Bevölkerungsanteil an der Weltbevölkerung als Maßstab und sieht das als “gut begründbaren, pragmatischen Weg”. Aus seinen Annahmen leitet er unter anderem ab, dass ein globales CO₂-Budget erst ab dem Jahr 2016, also unmittelbar nach dem Klimagipfel von Paris, verteilt werden kann – und nicht schon von 1992 an, dem Jahr der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention. In diesem Fall hätte Deutschland sein Limit “selbst für das Temperaturziel von 1,75 Grad Celsius schon seit vielen Jahren überschritten”.
Die Nutzung des CO₂-Budgets ist seit langem umstritten. Während der SRU oder etwa Fridays for Future die Größe als Maßstab für die Qualität der deutschen Klimapolitik ansehen, hat die Bundesregierung nie offiziell mit dem Budget gerechnet. Eine Begründung dafür: Das Pariser Klimaabkommen benennt selbst kein globales Budget, sondern legt Temperaturobergrenzen fest.
Auch in den internationalen Verhandlungen der UNFCCC ist von einer klar begrenzten globalen Obergrenze für Treibhausgase nicht die Rede – erst recht nicht von nationalen Budgets. Und auch in der EU-Klimapolitik gilt kein allgemeines Budget, sondern nur eine CO₂-Obergrenze im Emissionshandel. Ein weiteres Argument gegen die Budgets: Sie ignorieren mögliche überraschende Schwankungen in der Emissionskurve wie die Corona-Pandemie, Wirtschaftskrisen oder technologische Durchbrüche.
Auch in der Wissenschaft ist das Budget durchaus unklar. Zwar hat der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht 2022 das globale Budget zur Einhaltung von 1,5 Grad mit einer 67-prozentigen Wahrscheinlichkeit und einem hohen zwischenzeitlichen “Überschießen” der Temperaturen auf 400 Milliarden Tonnen CO₂ ab 2020 kalkuliert. Bei aktuellen Emissionen wäre dieses Budget Anfang der 2030er-Jahre erschöpft. Gleichzeitig betonten die IPCC-Experten aber auch die relativ großen Spannbreiten und Unsicherheiten in dieser Rechnung. Der SRU setzt das globale Budget in seiner aktuellen Kalkulation niedriger an als der IPCC – und leitet daraus dann das deutsche Budget ab.
Aufgrund der wissenschaftlichen Unsicherheiten bewerten die Experten vom Klima-Thinktank “Climate Analytics” das Budget daher als einen hilfreichen Ansatz, der aber nicht absolut gesehen werden sollte: “Die sehr großen Unsicherheiten bei CO₂-Budgets bedeuten, dass sie im besten Fall nur Orientierung bieten können, ob ein vorgegebenes Temperaturziel erreicht werden kann.”
Herr Birol, die COP28 hat beschlossen, die Welt solle sich von den Fossilen wegbewegen. Sehen Sie dafür Anzeichen?
Der Energiesektor ist wie ein großer Tanker, der nur langsam seine Richtung ändert. Aber ich sehe, dass der Appetit für Kohle zurückgeht. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, aber wir erwarten, dass alle fossilen Energien ihren Höhepunkt vor 2030 erreichen. Das Problem ist, ob wir nach dem Peak einen Rückgang sehen, der auf einer Linie mit den Pariser Klimazielen ist. Bisher sind wir definitiv nicht auf dem Pfad zu den Pariser Zielen. Aber es gibt ein paar positive Zeichen, wie bei der Kohle.
Was ist der wichtigste Schritt, um jetzt die Energiewende weltweit zu beschleunigen?
Die Energiewende geht in den entwickelten Ländern – in Europa, Nordamerika, Japan und China – sehr schnell voran. China ist heute der Champion der grünen Energiewende, Nummer eins bei Solar, Wind, E-Autos. Das Problem ist: Wie beschleunigen wir die Energiewende in den Entwicklungsländern, in Afrika, dem Rest Asiens, Lateinamerika? Die Bruchlinie für all das ist, dass es nicht genug Finanzmittel dafür in den Schwellenländern gibt. Für mich ist der Schlüssel, Mechanismen für die Finanzierung zu finden. Das müssen COP29 und COP30 als zentrale Aufgaben begreifen.
Warum ist das für Sie die Aufgabe der COP?
In Dubai haben wir uns auf fünf hauptsächliche Dinge geeinigt. An vier davon arbeiten wir: Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030, Verdopplung der Effizienz, Reduktion von Methan, klares Signal, uns von den Fossilen wegzubewegen. Aber das Fünfte war, finanzielle Mechanismen für den Aufbau der Erneuerbaren in den Schwellenländern zu entwickeln. Und das haben wir noch nicht geschafft. Das müssen wir jetzt ansprechen. Ich war letzte Woche in Brasilien, Präsident Lula will wird das Thema als Schwerpunkt seiner G20-Präsidentschaft und als COP-Präsidentschaft nächstes Jahr behandeln.
Wie kann die Energiewende gelingen, wenn fossile Unternehmen immer noch den Markt dominieren?
Fossile Unternehmen sind nicht alle gleich. Manche sind viel progressiver. Aber es gibt eine große Kluft zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie tun. Die Chefs reden eine Menge über fossilfreie Zukunft, aber wenn wir bei der IEA auf die Zahlen schauen, dann sehen wir, dass nur 2,5 Prozent ihrer Investitionen in Erneuerbare gehen und 97,5 Prozent in die traditionellen Operationen. Ich hoffe, das ändern sie bald.
Es gibt aber auch viele Staaten, deren Geschäftsmodell auf Fossilen beruht. Was raten Sie denen, vor allem Entwicklungsländern?
Es gibt viele Länder, deren Wirtschaft an Öl und Gas hängt. Wenn ich sie wäre, würde ich beginnen, meine Volkswirtschaft zu diversifizieren. Denn der Übergang zu sauberen Technologien kommt, und er kommt schnell. Wir werden in fünf bis zehn Jahren sehen, dass der Bedarf an Öl und Gas nicht mehr so stark ist, das wird die Preise senken und die Einnahmen dieser Länder heruntertreiben. Es ist ein riskantes Geschäft, seine Wirtschaft an Öl und Gas zu binden.
Welche Jobs bringt die Energiewende? Ist das nur ein Jobwunder für China?
Deutschland hat einen historischen Fehler gemacht: zu große Abhängigkeit von einem Lieferanten fossiler Energien. Das könnte jedes Land sein, aber diesmal war es Russland. Wir sahen die Konsequenzen davon, alles auf eine Karte zu setzen. Ich habe mehrmals die ehemaligen Bundesregierungen davor gewarnt. Jetzt hat China die größten Kapazitäten: 82 Prozent aller Solar-Herstellungskapazität, 75 Prozent beim Wind, bei E-Autos ist China der wichtigste Spieler. Das sollte die anderen Länder dazu bringen, China Konkurrenz zu machen. Denn das nächste Kapitel der industriellen Technologie ist die Herstellung von sauberer Technik. Wenn Europa, die USA oder Indien da mit China konkurrieren wollen, müssen sie in diese Techniken investieren. Ich begrüße den IRA in den USA, den Net Zero Industrial Act in der EU, Japan und Indien planen ähnliches. Wir sehen mehr Wettbewerb, das wird die Preise herunterbringen. Das ist eine gute Nachricht, wenn es da mehr Konkurrenz gibt, mehr Jobs und niedrigere Preise für diese wichtigen Technologien.
Weltweit ist für viele Menschen das größte Problem immer noch Energiearmut.
Energiearmut trifft hauptsächlich das Afrika südlich der Sahara. Vor ein paar Jahren war das noch in China und Indien der Fall. China hat das Problem gelöst, Indien ist dabei. Es ist eine Schande, dass im Afrika südlich der Sahara immer noch 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom haben. Vier von fünf Familien nutzen Holz als Brennstoff, eine halbe Million Frauen sterben frühzeitig an den gesundheitlichen Folgen. Dieses Problem müssen wir lösen. Vor allem die Europäer müssen dieses Problem lösen und sie könnten damit die Herzen der Afrikaner erobern.
Wie wollen Sie die Vorteile der Energiewende weltweit klarmachen?
Überall, in Sri Lanka, Afrika oder Europa, kann man die Energiewende nur schaffen, wenn man die Menschen hinter sich hat. Es gibt schlechte Beispiele aus Ländern, wo die Kosten für den Übergang vor allem auf den Schultern der niedrigen und mittleren Einkommen liegen. So lösen wir das Problem nicht. Es ist wichtig, Strategien zu entwickeln, um ökonomisch und finanziell die unteren und mittleren Einkommen in der Energiewende zu unterstützen. In Deutschland gab es die Idee des Klimagelds. Das ging leider nicht durch. Ich hätte mir sehr gewünscht, das Klimageld wäre gekommen – dann hätte ich das auf der ganzen Welt als Beispiel anführen können, dass es klappt. Ich hoffe, es gibt noch eine Gelegenheit, das irgendwie durchzusetzen. Bernhard Pötter
Fatih Birol ist türkischer Wirtschaftswissenschaftler und seit 2015 Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur.
Das Interview wurde im Rahmen der Konferenz “Berlin Energy Transition Dialogue” gemeinsam von einer Gruppe von Journalisten geführt, zu der auch Bernhard Pötter gehörte.
Die Bundeswehr soll sich in ihrer operativen Planung und ihren internen Strukturen stärker auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten. Denn die Auswirkungen der Erderwärmung beeinflussen nach Sicht der Militärplaner nicht nur die politische und wirtschaftliche Stabilität, Krisen und Konflikte, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr. Das sind die zentralen Aussagen der Strategie “Verteidigung und Klimawandel“, die das Verteidigungsministerium (BMVg) im März veröffentlichte.
Sie ergänzt damit die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie des Ministeriums, die bereits Ende 2023 vorgestellt wurde. Kritiker monieren allerdings, dass bisher unklar bleibt, wie diese Konzepte umgesetzt werden sollen.
Die aktuelle Strategie zu “Verteidigung und Klimawandel” formuliert Empfehlungen für insgesamt acht Handlungsfelder:
Die Strategie formuliert darüber hinaus das Ziel, die Fähigkeiten der Bundeswehr für Hilfseinsätze im Inland im Falle von Naturkatastrophen oder Extremwetterereignissen zu verbessern. Außerdem sollen Soldatinnen und Soldaten lernen, wie sie trotz der Auswirkungen des Klimawandels effektiv ihre Arbeit machen können. Zudem, so die Strategie, müsse militärische und verteidigungsrelevante Infrastruktur resilient gegenüber den Folgen des Klimawandels gestaltet werden.
Wie diese Handlungsempfehlungen umgesetzt werden sollen, ist bisher allerdings nicht präzise definiert. Das stehe noch aus, betont das BMVg: “Jedes Handlungsfeld soll mithilfe interner Aktionspläne, die bis Ende dieses Jahres erarbeitet werden sollen, konkret umgesetzt werden.”
Thomas Erndl (CSU), Mitglied im Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik, kritisiert, es fehle ein klarer zeitlicher Rahmen zur Umsetzung und einer konkreten Bereitstellung von Haushaltsmitteln dafür.
Laut Jochen Luhmann, Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, mangele es dem Papier vor allem an langfristigen Perspektiven – zum Beispiel im Bereich Infrastruktur: “Da ist jetziges Handeln unverzichtbar, jede spätere Spontaneität käme zu spät”, erklärt er gegenüber Table.Briefings.
Luhmann fordert einen Blick, der über Deutschland hinausgeht: Regionen, wo sich deutsche Truppen im Falle der Bündnisverteidigung bewegen oder Auslandseinsätze in anderen Klimazonen. “Dort können andere Wetter- und Klimabedingungen herrschen. Hier muss das BMVg genauer definieren, wie es sich und die Bundeswehr rüsten will.”
Und auch Erndl sagt: “Der Bereich Technologie, Forschung und Entwicklung ist zwar prominent platziert. Jedoch sind die Handlungs- und Zielvorgaben unspezifisch und vor allem unambitioniert.”
Die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie, die das BMVg im November veröffentlichte, formuliert, wie die Bundeswehr selbst und vor allem ihre Verwaltung klima- und umweltschützender agieren könnte.
Luhmann findet, auch dieses Papier fokussiere nicht genug auf die militärischen Aspekte, sondern weiche auf zivile Bereiche aus. “Damit lenkt das BMVg von der eigentlichen Aufgabe ab – und verschiebt die Investitionslasten auf einen späteren Zeitpunkt.”
Das BMVg sieht in seiner Nachhaltigkeitsstrategie Handlungsbedarf vor allem bei Infrastruktur und Mobilität: Um im Inland ab 2045 den gesamten Gebäudebestand der Bundeswehr klimaneutral zu betreiben, seien
Alexander Lurz, Friedensexperte bei Greenpeace, hätte sich mehr erhofft. Der Bericht sei “ein trauriger Ausdruck der Ambitionslosigkeit der Bundeswehr, bei der Reduzierung der CO₂-Emissionen wirklich voranzukommen”, sagt Lurz zu Table.Briefings. So gebe es vor allem beim nicht direkt militärischen Bereich ein “enormes Potenzial zur Einsparung von CO₂-Emissionen“. Laut Lurz “könnten die Fahrzeuge, die nicht im eigentlichen militärischen Einsatz sind, ambitioniert durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Hier scheint sich aber gar nichts mehr zu tun.” Auch Luhmann fordert: “Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Kampffahrzeuge bereits jetzt emissionsfrei-ready eingekauft werden.”
Zu diesem Zweck will das BMVg synthetische Kraftstoffe einsetzen. Speziell für die Fahrzeuge der Truppe, bei denen ein Elektroantrieb nicht infrage kommt. Der FDP-Abgeordnete Nils Gründer begrüßt diese Entwicklung und betont im Gespräch mit Table.Briefings: “Neben der Klimaneutralität von eFuels verschaffen sie uns einen strategischen Vorteil, da sie uns unabhängig von Rohstoffimporten machen.”
Die beiden Papiere, die den verteidigungspolitischen Richtlinien untergeordnet sind, sollen gemeinsam helfen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der Bundesregierung zu erfüllen.
Dazu brauche es aber nicht nur Handlungsempfehlungen, sondern konkrete Umsetzungspläne, findet Luhmann. “Für mich sind die Papiere eher organisatorische Aufschläge von Strategien”, resümiert er. Und Erndl zieht das Fazit: “Ein weiterer Papiertiger, der wieder nur weitere Dokumente und Strategien ankündigt, bringt weder der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr noch im Kampf gegen den Klimawandel etwas.”
Acht Monate vor Beginn der COP29 in Baku heizt sich die Debatte um das zentrale Thema Klimafinanzierung langsam auf. Beim informellen Treffen von Ministern und Top-Verhandlern aus etwa 30 Staaten Ende vergangener Woche in Kopenhagen wurde klar, dass um die Gelder mit harten Bandagen gekämpft wird. In einem Brief an die Delegationen – einer “Vision”, die Climate Briefings vorliegt -, legten die Präsidentschaften von COP28, COP29 und COP30 eine Forderung vor, nach der sich die Industriestaaten beim Thema Finanzierung deutlich stärker engagieren sollten als bisher.
Die “Troika” aus den Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate, Aserbaidschans und Brasiliens, allesamt G77-Staaten, kündigte darin an, sie werde darauf abzielen, den Ehrgeiz bei der Formulierung der nationalen Klimaziele (NDCs) zu “heben und neu zu formulieren” (“reframing the ambition”). Dabei sollten große Anstrengungen bei Finanzhilfen, Technologie und Kapazitätsaufbau für Entwicklungsländer Teil der NDCs der Industriestaaten sein.
Beim Treffen in Kopenhagen wurde diese Forderung kontrovers diskutiert, wie Teilnehmende berichteten. Widerspruch gibt es weniger gegen die Forderung nach mehr Finanzen, die das Jahr und die Debatte um ein neues Klima-Finanzierungsziel (NCQG) jenseits der 100 Milliarden Dollar jährlich dominieren werden. Sondern dagegen, diese Forderung aus dem Pariser Abkommen abzuleiten, was etwa die USA ablehnen. Auch für die Beobachter von Germanwatch sind die NDCs “nicht der beste Ort” für Finanzgarantien an Entwicklungsländer. Besser sei ein “angemessenes neues globales Finanzierungsziel” und eine Reform der Finanzarchitektur.
Bei der Suche nach zusätzlichen Geldquellen für die Klimahilfen müssen ebenso neue Klippen umschifft werden. Eine Klima-Abgabe auf den internationalen Seeverkehr, die als eine der leichteren Möglichkeiten für zusätzliche Mittel gilt, soll nach dem Willen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO nicht in Klimatöpfe wie etwa für Loss and Damage fließen, berichtet Climate Home. Wenn es so eine Abgabe gäbe, solle sie in grüne Innovationen für die Flotten fließen, so die IMO. bpo
Es wäre ein Schritt mit Signalwirkung für einen Abschied von fossilen Energien. Die EU-Kommission hat die Absicht, Partner der Beyond Oil and Gas Alliance (BOGA) zu werden. Über dieses bereits seit Längerem vorbereiteten Vorhaben wird die Kommission am heutigen Dienstag die Energieexperten der Mitgliedstaaten im Rat der EU informieren, wie aus der Tagesordnung hervorgeht.
Die BOGA wurde 2021 bei der COP26 in Glasgow von Dänemark und Costa Rica gegründet. Laut der offiziellen Deklaration verpflichten sich die “Mitglieder” und “Freunde” der Organisation, die Förderung von Öl und Gas mit den Pariser Klimazielen in Einklang zu bringen – wobei der Wortlaut sehr weich formuliert ist. Die Kategorie “Partner” ist bislang nicht auf der Website der BOGA zu finden. Eine Erläuterung des Kommissionsvorhabens konnten die beiden Organisationen am Montag zunächst nicht liefern.
Klimaschützer halten den Schritt für wirkungsvoll. “Eine Partnerschaft der EU-Kommission wäre ein großer Schritt für die Bekanntheit und Durchschlagskraft der BOGA“, sagt Thea Ulrich von Germanwatch. Bisher haben sich der BOGA noch keine der ganz großen internationalen Öl- und Gasförderländer angeschlossen.
“Wenn die Kommission EU-Mitgliedstaaten motivieren könnte, der BOGA beizutreten, hätte das schon einen Impact”, sagt Ulrich. Eine nennenswerte Ölförderung hätten Italien, Rumänien und Dänemark, bei Gas seien es die Niederlande und Rumänien. Die Niederlande und Rumänien sind derzeit noch nicht an der BOGA beteiligt. ber
Parteiübergreifende Begeisterung herrschte am Montag bei Heide in Schleswig-Holstein: Beim symbolischen Baubeginn für die große Batteriefabrik des schwedischen Konzerns Northvolt feierten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) das Projekt als Beispiel für die klimafreundliche Transformation der deutschen Wirtschaft. “Industrie siedelt sich dort an, wo Energie ist”, sagte Scholz beim Festakt. “Es war keine Fügung, sondern eine klare Entscheidung, auf Windenergie zu setzen.” Habeck hatte im Vorfeld betont, dass durch die Fabrik die Abhängigkeit von China bei der E-Auto-Produktion verringert werde.
Die Fabrik westlich von Heide soll im Jahr 2026 die Produktion aufnehmen und 2029 ihre volle Kapazität erreichen. Dann sollen rund 3.000 Mitarbeitende dort jedes Jahr Batterien für eine Million Elektroautos herstellen. Um die Ansiedlung zu erreichen, nehmen Bund und Land trotz der massiven Kürzungen im KTF viel Geld in die Hand: Insgesamt bekommt Northvolt über mehrere Jahre Subventionen von bis zu 900 Millionen Euro, davon 700 Millionen als Direktzuschuss und gut 200 Millionen als Garantien. Erst im Januar hatte die EU dafür grünes Licht gegeben.
Während die in Heide hergestellten Batterien den Verkehr klimafreundlicher machen sollen, ist das für die Transporte zur und aus der Fabrik allerdings noch nicht gewährleistet. Zwar möchte Northvolt diese überwiegend auf der Schiene abwickeln, doch ob das klappt, ist zweifelhaft, warnten die Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel (Grüne) und Stefan Seidler (Südschleswigscher Wählerverband) am Montag. Denn auf der Strecke nach Süden muss der Nordostsee-Kanal überquert werden – doch die Hochdonner Hochbrücke auf der Hauptstrecke nach Hamburg ist für die schweren Güterzüge nicht geeignet.
Als Alternative kommt die Hochbrücke auf der Strecke nach Neumünster infrage, doch diese Strecke ist bisher nur eingleisig ausgebaut. Dort seien dringend Ausweichstellen erforderlich, für die der Bund zuständig sei, erklärte Seidler. “Damit bis 2026 überhaupt ein Güterzug nach Heide verkehren kann, muss das Thema Chefsache in Berlin werden und auf den Tisch des Kanzlers.” Gastel forderte, man brauche “Deutschlandtempo nicht nur beim Bau der Industrieanlage, sondern auch bei der Anbindung über die Schiene”. mkr
Wie effektiv sind naturbasierte Klimalösungen, die für die CO₂-Kompensation und Emissionsbilanzen verwendet werden? Eine aktuelle Studie im Fachmagazin “Nature Climate Change” zeigt hier teils große Unsicherheiten und Forschungslücken auf. Dafür haben dutzende unabhängige Experten naturbasierte Klimalösungen auf ihr Potenzial zur weltweiten Treibhausgasreduktion untersucht.
Ein hohes Vertrauen in den Forschungsstand und ein hohes Reduktionspotenzial gibt es bei vier der 43 untersuchten naturbasierten Klimalösungen – vorausgesetzt, die Kompensationsprojekte entsprechen den Standards. Alle vier Lösungen beziehen sich auf den Schutz oder die Renaturierung von Tropen- und Mischwäldern und werden bereits häufig umgesetzt.
Signifikante Unsicherheiten und wenig Reduktionspotenzial haben dagegen 13 Lösungen, darunter: die Renaturierung von Korallenriffen und Seegrasfeldern sowie mikrobielle Zusatzstoffe für Ackerland. Viele dieser Lösungen werden bereits für Kompensationsprojekte gegengerechnet, obwohl die Treibhausgasmessung und -bilanzierung teils unvollständig sei, warnen die Studienautoren. Unsicher sei auch, wie langlebig die Projekte sind und welcher Basiswert für die Bilanzierung verwendet werden soll.
Ein mittleres Reduktionspotenzial, aber bestehende Unsicherheiten gibt es bei 26 naturbasierten Klimalösungen: beispielsweise Agroforstwirtschaft, Waldmanagement und Schutz und Renaturierung von Torfgebieten. Bei manchen dieser Lösungen gibt es große Unterschiede im Hinblick auf ihr Potenzial zur Emissionsreduktion. Die Autoren raten zu mehr Forschung, bevor diese unsicheren Projekte skaliert und für die CO₂-Kompensation bilanziert werden.
Ungewiss ist derzeit auch, wie es in der EU mit dem Renaturierungsgesetz weitergeht. Dieses hätte am Mittwoch im Umweltministerrat verabschiedet werden sollen, doch Ungarn hatte in letzter Minute seine Position geändert. Österreich könnte mit einer Zustimmung für die Umsetzung sorgen, enthält sich aber weiter seiner Stimme. Am Mittwoch erklärte Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), sie wolle sich nicht über den Beschluss der Bundesländer hinwegsetzen. Stattdessen vertraue sie darauf, dass der belgische Ratsvorsitz eine Lösung finden werde. lb
Der Finanzierungsbedarf, um die europäischen Klimaziele zu erreichen und die europäische Wirtschaft zu dekarbonisieren, ist immens. Deshalb sind mehr Anreize zur Mobilisierung von privaten Finanzmitteln sowie eine effizientere Nutzung öffentlicher Gelder notwendig. Das geht aus einem Bericht des Thinktanks E3G gemeinsam mit Share Action und dem WWF hervor.
Die EU-Kommission geht davon aus, dass zusätzlich zu den bereits beschlossenen Investitionen weitere rund 620 Milliarden Euro jährlich notwendig sind, um die Ziele des Green Deal und von REPowerEU zu erreichen.
Dreiviertel der Finanzierungslücke für die Dekarbonisierung könnten gefüllt werden, wenn Finanzmittel von “schädlichen oder überflüssigen” Aktivitäten – beispielsweise fossile Subventionen – umgeschichtet werden, schreiben die Autoren des Berichts. Dafür brauche es bessere Anreize, damit Investoren ihr Geld nachhaltig investieren.
Um private Finanzierung der Klimaziele voranzutreiben, schlagen die drei Organisationen sechs Prioritäten für die europäische Gesetzgebung vor:
Zudem müssten die öffentlichen Finanzmittel sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene erhöht werden, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank “grüner” gestaltet und Gelder besser als “Hebel” eingesetzt werden, raten die Autoren. kul
Texas, Louisiana und Florida sind unter den 16 republikanischen Bundesstaaten, die am vergangenen Donnerstag die US-Regierung unter Präsident Joe Biden verklagt haben. Damit gehen sie gegen Bidens Entscheidung von Ende Januar vor, den Bau neuer LNG-Terminals zu stoppen, um deren Folgen für das Klima neu zu bewerten. Durch das Moratorium könnten sich neue Genehmigungen um Monate verzögern, falls sie überhaupt erteilt werden.
Nun argumentieren die Kläger: Die Bundesregierung habe gar nicht die Befugnis, ein solches Moratorium zu verhängen. Denn dafür müsse sie nachweisen können, dass die LNG-Projekte unvereinbar mit dem öffentlichen Interesse seien. Bidens Regierung sieht das durchaus als gegeben an: Sie argumentiert mit den Klimafolgen der geplanten Terminals: Diese würden 3,2 Billionen Tonnen an zusätzlichen Treibhausgasen jährlich verursachen – so viel wie die EU im gleichen Zeitraum.
Die Kläger führen außerdem an: Der monatelange Stopp von neuen Baugenehmigungen schade der Wirtschaft und verbündeten europäischen Staaten, die auf den Import von Flüssiggas (LNG) angewiesen seien, um von russischem Gas unabhängig zu werden.
Aus energiewirtschaftlicher Sicht sei das “wenig nachvollziehbar”, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu Table.Briefings. Die USA würden bereits ausreichend Flüssiggas exportieren und auf den internationalen Märkten gebe es eine Überversorgung, die durch unnötige LNG-Terminals in Deutschland noch verschlimmert werde. Der Baustopp könne die USA dagegen vor “Stranded Assets” bewahren.
Wegen des Methans, das bei der Gasförderung freigesetzt wird, sind die neuen LNG-Projekte auf kurze Sicht besonders klimaschädlich. Wird das Gas durch Fracking gefördert, wie in den USA, kommen noch die Umweltwirkungen aufgrund der verwendeten Chemikalien und des hohen Wasserverbrauchs hinzu.
Derzeit kommen rund 4,5 Prozent der deutschen Gasimporte als Flüssiggas aus den USA, wie Daten der Bundesnetzagentur zeigen. Auch aus Russland kommt über Umwege noch Erdgas nach Deutschland. Beides könne laut Kemfert vermieden werden, indem stattdessen LNG aus Australien, Nigeria, Katar oder Abu Dhabi importiert werde. “In Zukunft sollte der Bedarf von fossilem Erdgas aber zurückgehen, wenn Deutschland seine Klimaziele erfüllen möchte”, sagt Kemfert. Auch, weil Flüssiggas die Strompreise in die Höhe treibe. Günstigere Energieträger werden dann attraktiver. rtr/lb
Das Umweltministerium in Peking bereitet die Aufnahme der Aluminiumindustrie in Chinas Emissionshandelssystem (ETS) vor. Wie chinesische Medien berichten, publizierte es einen Entwurf für Leitlinien zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung der CO₂-Emissionen des Aluminiumschmelzsektors. Demnach soll der Teilsektor elektrolytisches Aluminium bald in das ETS aufgenommen werden. Es ist der energie- und emissionsintensivste Teilsektor unter den Nichteisenmetallen, zu denen auch Kupfer oder Blei gehören. Bis zum 31. März sammelt das Ministerium nun Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit zu den Leitlinien.
Die Vorbereitungen für die “baldige Einbeziehung” des Sektors seien bereits im Gange, schreibt das Wirtschaftsmagazin Caixin unter Berufung auf Insider. Chen Xuesen, Vize-Direktor der China Nonferrous Metals Industry Association, habe bereits zu Jahresbeginn gesagt, dass voraussichtlich mehr als 80 Elektrolyt-Aluminium-Unternehmen ins ETS einbezogen werden.
Metallisches Aluminium wird in aufwendigen und energieintensiven Verfahren aus Bauxiterz über den Zwischenschritt Aluminiumoxid gewonnen. Dieses wird mittels Schmelzflusselektrolyse zu metallischem Aluminium verarbeitet. Das Verfahren ist extrem energieintensiv, seine chemischen Reaktionen setzen zudem CO₂ frei. Allein auf diesen Sektor entfallen daher nach dem Bericht 65 Prozent der CO₂-Emissionen von Nichteisenmetallen im Land und 4,5 Prozent der Gesamtemissionen Chinas.
Bisher umfasst Chinas ETS 2.257 Unternehmen aus dem Energiesektor, darunter vor allem Kohlekraftwerke. Eine Ausweitung auf andere Schwerindustriesektoren ist schon lange geplant, wurde aber wiederholt verschoben. Zement und Stahl sind zwei weitere Aufnahme-Kandidaten, deren Vorbereitungen laut Caixin allerdings noch nicht so weit vorangekommen sind wie Aluminium.
Gleichzeitig schreitet die Energiewende in China weiter voran: Laut der in der vergangenen Woche veröffentlichte Guideline for 2024 China’s Energy Development wird die installierte Elektrizitätskapazität im Jahr 2024 zu 55 Prozent aus nicht-fossilen Quellen kommen. Solar- und Windenergie sollen demnach mit 17 Prozent zu Chinas Stromproduktion beitragen. Außerdem will China laut dem Bericht die Entwicklung von Erneuerbaren im ländlichen Raum vorantreiben und mehr Anstrengungen in die Zusammenarbeit mit der EU zu Erneuerbaren investieren. ck/kul
In Parlament und Regierung beginnt dieser Tage das Tauziehen um den Haushalt für das Jahr 2025. Möglicherweise zerbricht daran die Ampelkoalition. Bei einem anderen – mindestens ebenso wichtigen – Haushaltsprojekt ist das Land allerdings schon gescheitert: beim CO₂-Budget, das die Sachverständigen der Regierung errechnen. Es bezeichnet die Menge an CO₂, die Deutschland ausstoßen darf, um seinen fairen Anteil zum Einhalten der globalen 1,5-Grad-Grenze beizutragen – und Deutschland hat es bereits überzogen. Wie das kommt und was es bedeutet, schreiben wir heute für Sie auf.
Zumindest Fatih Birol hofft noch auf Deutschland: Der Chef der IEA würde gern in aller Welt eine Erfolgsgeschichte über Klimageld aus Deutschland erzählen, verrät er uns im Interview. Doch da muss er sich noch ein wenig gedulden. Gleiches gilt für die Experten, die fordern, dass die inzwischen zweite Klimastrategie des Verteidigungsministeriums die Bundeswehr mehr grün als olivgrün macht.
Aber es gibt auch vorsichtig positive Nachrichten, diesmal aus China und aus Brüssel. Lassen Sie sich überraschen und bleiben Sie gut informiert.
Deutschland hat seinen fairen Anteil am CO₂-Budget, das sich aus dem 1,5-Grad-Limit ergibt, schon Anfang 2023 aufgebraucht. Zu dem Ergebnis kommt der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) in einer neuen Kalkulation. Als Grundlage nutzt der Rat dabei:
Diese Linie kann Deutschland laut SRU nun nicht mehr halten. Dem Rat zufolge hätte das Budget im vergangenen Jahr noch Emissionen von 19 Millionen Tonnen CO₂ erlaubt. Tatsächlich aber betrug der deutsche CO₂-Ausstoß 2023 laut UBA 594 Millionen Tonnen. Im Ergebnis lag Deutschland damit Anfang 2024 bereits 575 Millionen Tonnen CO₂ über den Vorgaben des Budgets.
Weil das CO₂-Budget nur die CO₂-Emissionen berücksichtigt, sind die klimaschädlichen Emissionen Deutschlands allerdings insgesamt deutlich höher. Das UBA bezieht auch Methan, Lachgas und F-Gase in seine Statistik ein und kommt deshalb für 2023 auf Gesamtemissionen von 674 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten – immerhin 10,1 Prozent unter dem Vorjahresniveau, aber eben über dem Budget.
In seiner aktuellen Projektion kommt das Amt auch zu dem Ergebnis, dass Deutschland seine 2030er-Klimaziele wohl halten kann: eine überraschende Erfolgsnachricht aus der deutschen Klimapolitik. Doch mit dem CO₂-Budget, das der SRU als fair ansieht, haben die deutschen Klimaziele wenig zu tun.
Das Budget ist weder in der deutschen Klimaschutzpolitik noch im Klimaschutzgesetz verankert, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Klima-Entscheidung aus dem April 2021 den damaligen SRU-Berechnungen folgte. Deshalb liegen “die kumulierten Emissionen, die sich aus dem Klimaschutzgesetz ergeben, deutlich über den CO₂-Budgets, die nach Ansicht des SRU einen fairen Beitrag zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens leisten”, wie der Rat in seiner neuen Stellungnahme schreibt.
In dem Papier berechnet der SRU das Budget auch für weitere Wahrscheinlichkeiten und Temperaturgrenzen – und für die EU:
Die Kalkulation eines fairen CO₂-Budgets hängt von verschiedenen Annahmen ab. Die entscheidende Frage ist, wie das globale CO₂-Budget gerecht zwischen den einzelnen Staaten zu verteilen wäre. Der SRU nimmt den deutschen Bevölkerungsanteil an der Weltbevölkerung als Maßstab und sieht das als “gut begründbaren, pragmatischen Weg”. Aus seinen Annahmen leitet er unter anderem ab, dass ein globales CO₂-Budget erst ab dem Jahr 2016, also unmittelbar nach dem Klimagipfel von Paris, verteilt werden kann – und nicht schon von 1992 an, dem Jahr der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention. In diesem Fall hätte Deutschland sein Limit “selbst für das Temperaturziel von 1,75 Grad Celsius schon seit vielen Jahren überschritten”.
Die Nutzung des CO₂-Budgets ist seit langem umstritten. Während der SRU oder etwa Fridays for Future die Größe als Maßstab für die Qualität der deutschen Klimapolitik ansehen, hat die Bundesregierung nie offiziell mit dem Budget gerechnet. Eine Begründung dafür: Das Pariser Klimaabkommen benennt selbst kein globales Budget, sondern legt Temperaturobergrenzen fest.
Auch in den internationalen Verhandlungen der UNFCCC ist von einer klar begrenzten globalen Obergrenze für Treibhausgase nicht die Rede – erst recht nicht von nationalen Budgets. Und auch in der EU-Klimapolitik gilt kein allgemeines Budget, sondern nur eine CO₂-Obergrenze im Emissionshandel. Ein weiteres Argument gegen die Budgets: Sie ignorieren mögliche überraschende Schwankungen in der Emissionskurve wie die Corona-Pandemie, Wirtschaftskrisen oder technologische Durchbrüche.
Auch in der Wissenschaft ist das Budget durchaus unklar. Zwar hat der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht 2022 das globale Budget zur Einhaltung von 1,5 Grad mit einer 67-prozentigen Wahrscheinlichkeit und einem hohen zwischenzeitlichen “Überschießen” der Temperaturen auf 400 Milliarden Tonnen CO₂ ab 2020 kalkuliert. Bei aktuellen Emissionen wäre dieses Budget Anfang der 2030er-Jahre erschöpft. Gleichzeitig betonten die IPCC-Experten aber auch die relativ großen Spannbreiten und Unsicherheiten in dieser Rechnung. Der SRU setzt das globale Budget in seiner aktuellen Kalkulation niedriger an als der IPCC – und leitet daraus dann das deutsche Budget ab.
Aufgrund der wissenschaftlichen Unsicherheiten bewerten die Experten vom Klima-Thinktank “Climate Analytics” das Budget daher als einen hilfreichen Ansatz, der aber nicht absolut gesehen werden sollte: “Die sehr großen Unsicherheiten bei CO₂-Budgets bedeuten, dass sie im besten Fall nur Orientierung bieten können, ob ein vorgegebenes Temperaturziel erreicht werden kann.”
Herr Birol, die COP28 hat beschlossen, die Welt solle sich von den Fossilen wegbewegen. Sehen Sie dafür Anzeichen?
Der Energiesektor ist wie ein großer Tanker, der nur langsam seine Richtung ändert. Aber ich sehe, dass der Appetit für Kohle zurückgeht. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, aber wir erwarten, dass alle fossilen Energien ihren Höhepunkt vor 2030 erreichen. Das Problem ist, ob wir nach dem Peak einen Rückgang sehen, der auf einer Linie mit den Pariser Klimazielen ist. Bisher sind wir definitiv nicht auf dem Pfad zu den Pariser Zielen. Aber es gibt ein paar positive Zeichen, wie bei der Kohle.
Was ist der wichtigste Schritt, um jetzt die Energiewende weltweit zu beschleunigen?
Die Energiewende geht in den entwickelten Ländern – in Europa, Nordamerika, Japan und China – sehr schnell voran. China ist heute der Champion der grünen Energiewende, Nummer eins bei Solar, Wind, E-Autos. Das Problem ist: Wie beschleunigen wir die Energiewende in den Entwicklungsländern, in Afrika, dem Rest Asiens, Lateinamerika? Die Bruchlinie für all das ist, dass es nicht genug Finanzmittel dafür in den Schwellenländern gibt. Für mich ist der Schlüssel, Mechanismen für die Finanzierung zu finden. Das müssen COP29 und COP30 als zentrale Aufgaben begreifen.
Warum ist das für Sie die Aufgabe der COP?
In Dubai haben wir uns auf fünf hauptsächliche Dinge geeinigt. An vier davon arbeiten wir: Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030, Verdopplung der Effizienz, Reduktion von Methan, klares Signal, uns von den Fossilen wegzubewegen. Aber das Fünfte war, finanzielle Mechanismen für den Aufbau der Erneuerbaren in den Schwellenländern zu entwickeln. Und das haben wir noch nicht geschafft. Das müssen wir jetzt ansprechen. Ich war letzte Woche in Brasilien, Präsident Lula will wird das Thema als Schwerpunkt seiner G20-Präsidentschaft und als COP-Präsidentschaft nächstes Jahr behandeln.
Wie kann die Energiewende gelingen, wenn fossile Unternehmen immer noch den Markt dominieren?
Fossile Unternehmen sind nicht alle gleich. Manche sind viel progressiver. Aber es gibt eine große Kluft zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie tun. Die Chefs reden eine Menge über fossilfreie Zukunft, aber wenn wir bei der IEA auf die Zahlen schauen, dann sehen wir, dass nur 2,5 Prozent ihrer Investitionen in Erneuerbare gehen und 97,5 Prozent in die traditionellen Operationen. Ich hoffe, das ändern sie bald.
Es gibt aber auch viele Staaten, deren Geschäftsmodell auf Fossilen beruht. Was raten Sie denen, vor allem Entwicklungsländern?
Es gibt viele Länder, deren Wirtschaft an Öl und Gas hängt. Wenn ich sie wäre, würde ich beginnen, meine Volkswirtschaft zu diversifizieren. Denn der Übergang zu sauberen Technologien kommt, und er kommt schnell. Wir werden in fünf bis zehn Jahren sehen, dass der Bedarf an Öl und Gas nicht mehr so stark ist, das wird die Preise senken und die Einnahmen dieser Länder heruntertreiben. Es ist ein riskantes Geschäft, seine Wirtschaft an Öl und Gas zu binden.
Welche Jobs bringt die Energiewende? Ist das nur ein Jobwunder für China?
Deutschland hat einen historischen Fehler gemacht: zu große Abhängigkeit von einem Lieferanten fossiler Energien. Das könnte jedes Land sein, aber diesmal war es Russland. Wir sahen die Konsequenzen davon, alles auf eine Karte zu setzen. Ich habe mehrmals die ehemaligen Bundesregierungen davor gewarnt. Jetzt hat China die größten Kapazitäten: 82 Prozent aller Solar-Herstellungskapazität, 75 Prozent beim Wind, bei E-Autos ist China der wichtigste Spieler. Das sollte die anderen Länder dazu bringen, China Konkurrenz zu machen. Denn das nächste Kapitel der industriellen Technologie ist die Herstellung von sauberer Technik. Wenn Europa, die USA oder Indien da mit China konkurrieren wollen, müssen sie in diese Techniken investieren. Ich begrüße den IRA in den USA, den Net Zero Industrial Act in der EU, Japan und Indien planen ähnliches. Wir sehen mehr Wettbewerb, das wird die Preise herunterbringen. Das ist eine gute Nachricht, wenn es da mehr Konkurrenz gibt, mehr Jobs und niedrigere Preise für diese wichtigen Technologien.
Weltweit ist für viele Menschen das größte Problem immer noch Energiearmut.
Energiearmut trifft hauptsächlich das Afrika südlich der Sahara. Vor ein paar Jahren war das noch in China und Indien der Fall. China hat das Problem gelöst, Indien ist dabei. Es ist eine Schande, dass im Afrika südlich der Sahara immer noch 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom haben. Vier von fünf Familien nutzen Holz als Brennstoff, eine halbe Million Frauen sterben frühzeitig an den gesundheitlichen Folgen. Dieses Problem müssen wir lösen. Vor allem die Europäer müssen dieses Problem lösen und sie könnten damit die Herzen der Afrikaner erobern.
Wie wollen Sie die Vorteile der Energiewende weltweit klarmachen?
Überall, in Sri Lanka, Afrika oder Europa, kann man die Energiewende nur schaffen, wenn man die Menschen hinter sich hat. Es gibt schlechte Beispiele aus Ländern, wo die Kosten für den Übergang vor allem auf den Schultern der niedrigen und mittleren Einkommen liegen. So lösen wir das Problem nicht. Es ist wichtig, Strategien zu entwickeln, um ökonomisch und finanziell die unteren und mittleren Einkommen in der Energiewende zu unterstützen. In Deutschland gab es die Idee des Klimagelds. Das ging leider nicht durch. Ich hätte mir sehr gewünscht, das Klimageld wäre gekommen – dann hätte ich das auf der ganzen Welt als Beispiel anführen können, dass es klappt. Ich hoffe, es gibt noch eine Gelegenheit, das irgendwie durchzusetzen. Bernhard Pötter
Fatih Birol ist türkischer Wirtschaftswissenschaftler und seit 2015 Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur.
Das Interview wurde im Rahmen der Konferenz “Berlin Energy Transition Dialogue” gemeinsam von einer Gruppe von Journalisten geführt, zu der auch Bernhard Pötter gehörte.
Die Bundeswehr soll sich in ihrer operativen Planung und ihren internen Strukturen stärker auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten. Denn die Auswirkungen der Erderwärmung beeinflussen nach Sicht der Militärplaner nicht nur die politische und wirtschaftliche Stabilität, Krisen und Konflikte, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr. Das sind die zentralen Aussagen der Strategie “Verteidigung und Klimawandel“, die das Verteidigungsministerium (BMVg) im März veröffentlichte.
Sie ergänzt damit die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie des Ministeriums, die bereits Ende 2023 vorgestellt wurde. Kritiker monieren allerdings, dass bisher unklar bleibt, wie diese Konzepte umgesetzt werden sollen.
Die aktuelle Strategie zu “Verteidigung und Klimawandel” formuliert Empfehlungen für insgesamt acht Handlungsfelder:
Die Strategie formuliert darüber hinaus das Ziel, die Fähigkeiten der Bundeswehr für Hilfseinsätze im Inland im Falle von Naturkatastrophen oder Extremwetterereignissen zu verbessern. Außerdem sollen Soldatinnen und Soldaten lernen, wie sie trotz der Auswirkungen des Klimawandels effektiv ihre Arbeit machen können. Zudem, so die Strategie, müsse militärische und verteidigungsrelevante Infrastruktur resilient gegenüber den Folgen des Klimawandels gestaltet werden.
Wie diese Handlungsempfehlungen umgesetzt werden sollen, ist bisher allerdings nicht präzise definiert. Das stehe noch aus, betont das BMVg: “Jedes Handlungsfeld soll mithilfe interner Aktionspläne, die bis Ende dieses Jahres erarbeitet werden sollen, konkret umgesetzt werden.”
Thomas Erndl (CSU), Mitglied im Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik, kritisiert, es fehle ein klarer zeitlicher Rahmen zur Umsetzung und einer konkreten Bereitstellung von Haushaltsmitteln dafür.
Laut Jochen Luhmann, Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, mangele es dem Papier vor allem an langfristigen Perspektiven – zum Beispiel im Bereich Infrastruktur: “Da ist jetziges Handeln unverzichtbar, jede spätere Spontaneität käme zu spät”, erklärt er gegenüber Table.Briefings.
Luhmann fordert einen Blick, der über Deutschland hinausgeht: Regionen, wo sich deutsche Truppen im Falle der Bündnisverteidigung bewegen oder Auslandseinsätze in anderen Klimazonen. “Dort können andere Wetter- und Klimabedingungen herrschen. Hier muss das BMVg genauer definieren, wie es sich und die Bundeswehr rüsten will.”
Und auch Erndl sagt: “Der Bereich Technologie, Forschung und Entwicklung ist zwar prominent platziert. Jedoch sind die Handlungs- und Zielvorgaben unspezifisch und vor allem unambitioniert.”
Die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie, die das BMVg im November veröffentlichte, formuliert, wie die Bundeswehr selbst und vor allem ihre Verwaltung klima- und umweltschützender agieren könnte.
Luhmann findet, auch dieses Papier fokussiere nicht genug auf die militärischen Aspekte, sondern weiche auf zivile Bereiche aus. “Damit lenkt das BMVg von der eigentlichen Aufgabe ab – und verschiebt die Investitionslasten auf einen späteren Zeitpunkt.”
Das BMVg sieht in seiner Nachhaltigkeitsstrategie Handlungsbedarf vor allem bei Infrastruktur und Mobilität: Um im Inland ab 2045 den gesamten Gebäudebestand der Bundeswehr klimaneutral zu betreiben, seien
Alexander Lurz, Friedensexperte bei Greenpeace, hätte sich mehr erhofft. Der Bericht sei “ein trauriger Ausdruck der Ambitionslosigkeit der Bundeswehr, bei der Reduzierung der CO₂-Emissionen wirklich voranzukommen”, sagt Lurz zu Table.Briefings. So gebe es vor allem beim nicht direkt militärischen Bereich ein “enormes Potenzial zur Einsparung von CO₂-Emissionen“. Laut Lurz “könnten die Fahrzeuge, die nicht im eigentlichen militärischen Einsatz sind, ambitioniert durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Hier scheint sich aber gar nichts mehr zu tun.” Auch Luhmann fordert: “Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Kampffahrzeuge bereits jetzt emissionsfrei-ready eingekauft werden.”
Zu diesem Zweck will das BMVg synthetische Kraftstoffe einsetzen. Speziell für die Fahrzeuge der Truppe, bei denen ein Elektroantrieb nicht infrage kommt. Der FDP-Abgeordnete Nils Gründer begrüßt diese Entwicklung und betont im Gespräch mit Table.Briefings: “Neben der Klimaneutralität von eFuels verschaffen sie uns einen strategischen Vorteil, da sie uns unabhängig von Rohstoffimporten machen.”
Die beiden Papiere, die den verteidigungspolitischen Richtlinien untergeordnet sind, sollen gemeinsam helfen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der Bundesregierung zu erfüllen.
Dazu brauche es aber nicht nur Handlungsempfehlungen, sondern konkrete Umsetzungspläne, findet Luhmann. “Für mich sind die Papiere eher organisatorische Aufschläge von Strategien”, resümiert er. Und Erndl zieht das Fazit: “Ein weiterer Papiertiger, der wieder nur weitere Dokumente und Strategien ankündigt, bringt weder der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr noch im Kampf gegen den Klimawandel etwas.”
Acht Monate vor Beginn der COP29 in Baku heizt sich die Debatte um das zentrale Thema Klimafinanzierung langsam auf. Beim informellen Treffen von Ministern und Top-Verhandlern aus etwa 30 Staaten Ende vergangener Woche in Kopenhagen wurde klar, dass um die Gelder mit harten Bandagen gekämpft wird. In einem Brief an die Delegationen – einer “Vision”, die Climate Briefings vorliegt -, legten die Präsidentschaften von COP28, COP29 und COP30 eine Forderung vor, nach der sich die Industriestaaten beim Thema Finanzierung deutlich stärker engagieren sollten als bisher.
Die “Troika” aus den Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate, Aserbaidschans und Brasiliens, allesamt G77-Staaten, kündigte darin an, sie werde darauf abzielen, den Ehrgeiz bei der Formulierung der nationalen Klimaziele (NDCs) zu “heben und neu zu formulieren” (“reframing the ambition”). Dabei sollten große Anstrengungen bei Finanzhilfen, Technologie und Kapazitätsaufbau für Entwicklungsländer Teil der NDCs der Industriestaaten sein.
Beim Treffen in Kopenhagen wurde diese Forderung kontrovers diskutiert, wie Teilnehmende berichteten. Widerspruch gibt es weniger gegen die Forderung nach mehr Finanzen, die das Jahr und die Debatte um ein neues Klima-Finanzierungsziel (NCQG) jenseits der 100 Milliarden Dollar jährlich dominieren werden. Sondern dagegen, diese Forderung aus dem Pariser Abkommen abzuleiten, was etwa die USA ablehnen. Auch für die Beobachter von Germanwatch sind die NDCs “nicht der beste Ort” für Finanzgarantien an Entwicklungsländer. Besser sei ein “angemessenes neues globales Finanzierungsziel” und eine Reform der Finanzarchitektur.
Bei der Suche nach zusätzlichen Geldquellen für die Klimahilfen müssen ebenso neue Klippen umschifft werden. Eine Klima-Abgabe auf den internationalen Seeverkehr, die als eine der leichteren Möglichkeiten für zusätzliche Mittel gilt, soll nach dem Willen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO nicht in Klimatöpfe wie etwa für Loss and Damage fließen, berichtet Climate Home. Wenn es so eine Abgabe gäbe, solle sie in grüne Innovationen für die Flotten fließen, so die IMO. bpo
Es wäre ein Schritt mit Signalwirkung für einen Abschied von fossilen Energien. Die EU-Kommission hat die Absicht, Partner der Beyond Oil and Gas Alliance (BOGA) zu werden. Über dieses bereits seit Längerem vorbereiteten Vorhaben wird die Kommission am heutigen Dienstag die Energieexperten der Mitgliedstaaten im Rat der EU informieren, wie aus der Tagesordnung hervorgeht.
Die BOGA wurde 2021 bei der COP26 in Glasgow von Dänemark und Costa Rica gegründet. Laut der offiziellen Deklaration verpflichten sich die “Mitglieder” und “Freunde” der Organisation, die Förderung von Öl und Gas mit den Pariser Klimazielen in Einklang zu bringen – wobei der Wortlaut sehr weich formuliert ist. Die Kategorie “Partner” ist bislang nicht auf der Website der BOGA zu finden. Eine Erläuterung des Kommissionsvorhabens konnten die beiden Organisationen am Montag zunächst nicht liefern.
Klimaschützer halten den Schritt für wirkungsvoll. “Eine Partnerschaft der EU-Kommission wäre ein großer Schritt für die Bekanntheit und Durchschlagskraft der BOGA“, sagt Thea Ulrich von Germanwatch. Bisher haben sich der BOGA noch keine der ganz großen internationalen Öl- und Gasförderländer angeschlossen.
“Wenn die Kommission EU-Mitgliedstaaten motivieren könnte, der BOGA beizutreten, hätte das schon einen Impact”, sagt Ulrich. Eine nennenswerte Ölförderung hätten Italien, Rumänien und Dänemark, bei Gas seien es die Niederlande und Rumänien. Die Niederlande und Rumänien sind derzeit noch nicht an der BOGA beteiligt. ber
Parteiübergreifende Begeisterung herrschte am Montag bei Heide in Schleswig-Holstein: Beim symbolischen Baubeginn für die große Batteriefabrik des schwedischen Konzerns Northvolt feierten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) das Projekt als Beispiel für die klimafreundliche Transformation der deutschen Wirtschaft. “Industrie siedelt sich dort an, wo Energie ist”, sagte Scholz beim Festakt. “Es war keine Fügung, sondern eine klare Entscheidung, auf Windenergie zu setzen.” Habeck hatte im Vorfeld betont, dass durch die Fabrik die Abhängigkeit von China bei der E-Auto-Produktion verringert werde.
Die Fabrik westlich von Heide soll im Jahr 2026 die Produktion aufnehmen und 2029 ihre volle Kapazität erreichen. Dann sollen rund 3.000 Mitarbeitende dort jedes Jahr Batterien für eine Million Elektroautos herstellen. Um die Ansiedlung zu erreichen, nehmen Bund und Land trotz der massiven Kürzungen im KTF viel Geld in die Hand: Insgesamt bekommt Northvolt über mehrere Jahre Subventionen von bis zu 900 Millionen Euro, davon 700 Millionen als Direktzuschuss und gut 200 Millionen als Garantien. Erst im Januar hatte die EU dafür grünes Licht gegeben.
Während die in Heide hergestellten Batterien den Verkehr klimafreundlicher machen sollen, ist das für die Transporte zur und aus der Fabrik allerdings noch nicht gewährleistet. Zwar möchte Northvolt diese überwiegend auf der Schiene abwickeln, doch ob das klappt, ist zweifelhaft, warnten die Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel (Grüne) und Stefan Seidler (Südschleswigscher Wählerverband) am Montag. Denn auf der Strecke nach Süden muss der Nordostsee-Kanal überquert werden – doch die Hochdonner Hochbrücke auf der Hauptstrecke nach Hamburg ist für die schweren Güterzüge nicht geeignet.
Als Alternative kommt die Hochbrücke auf der Strecke nach Neumünster infrage, doch diese Strecke ist bisher nur eingleisig ausgebaut. Dort seien dringend Ausweichstellen erforderlich, für die der Bund zuständig sei, erklärte Seidler. “Damit bis 2026 überhaupt ein Güterzug nach Heide verkehren kann, muss das Thema Chefsache in Berlin werden und auf den Tisch des Kanzlers.” Gastel forderte, man brauche “Deutschlandtempo nicht nur beim Bau der Industrieanlage, sondern auch bei der Anbindung über die Schiene”. mkr
Wie effektiv sind naturbasierte Klimalösungen, die für die CO₂-Kompensation und Emissionsbilanzen verwendet werden? Eine aktuelle Studie im Fachmagazin “Nature Climate Change” zeigt hier teils große Unsicherheiten und Forschungslücken auf. Dafür haben dutzende unabhängige Experten naturbasierte Klimalösungen auf ihr Potenzial zur weltweiten Treibhausgasreduktion untersucht.
Ein hohes Vertrauen in den Forschungsstand und ein hohes Reduktionspotenzial gibt es bei vier der 43 untersuchten naturbasierten Klimalösungen – vorausgesetzt, die Kompensationsprojekte entsprechen den Standards. Alle vier Lösungen beziehen sich auf den Schutz oder die Renaturierung von Tropen- und Mischwäldern und werden bereits häufig umgesetzt.
Signifikante Unsicherheiten und wenig Reduktionspotenzial haben dagegen 13 Lösungen, darunter: die Renaturierung von Korallenriffen und Seegrasfeldern sowie mikrobielle Zusatzstoffe für Ackerland. Viele dieser Lösungen werden bereits für Kompensationsprojekte gegengerechnet, obwohl die Treibhausgasmessung und -bilanzierung teils unvollständig sei, warnen die Studienautoren. Unsicher sei auch, wie langlebig die Projekte sind und welcher Basiswert für die Bilanzierung verwendet werden soll.
Ein mittleres Reduktionspotenzial, aber bestehende Unsicherheiten gibt es bei 26 naturbasierten Klimalösungen: beispielsweise Agroforstwirtschaft, Waldmanagement und Schutz und Renaturierung von Torfgebieten. Bei manchen dieser Lösungen gibt es große Unterschiede im Hinblick auf ihr Potenzial zur Emissionsreduktion. Die Autoren raten zu mehr Forschung, bevor diese unsicheren Projekte skaliert und für die CO₂-Kompensation bilanziert werden.
Ungewiss ist derzeit auch, wie es in der EU mit dem Renaturierungsgesetz weitergeht. Dieses hätte am Mittwoch im Umweltministerrat verabschiedet werden sollen, doch Ungarn hatte in letzter Minute seine Position geändert. Österreich könnte mit einer Zustimmung für die Umsetzung sorgen, enthält sich aber weiter seiner Stimme. Am Mittwoch erklärte Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), sie wolle sich nicht über den Beschluss der Bundesländer hinwegsetzen. Stattdessen vertraue sie darauf, dass der belgische Ratsvorsitz eine Lösung finden werde. lb
Der Finanzierungsbedarf, um die europäischen Klimaziele zu erreichen und die europäische Wirtschaft zu dekarbonisieren, ist immens. Deshalb sind mehr Anreize zur Mobilisierung von privaten Finanzmitteln sowie eine effizientere Nutzung öffentlicher Gelder notwendig. Das geht aus einem Bericht des Thinktanks E3G gemeinsam mit Share Action und dem WWF hervor.
Die EU-Kommission geht davon aus, dass zusätzlich zu den bereits beschlossenen Investitionen weitere rund 620 Milliarden Euro jährlich notwendig sind, um die Ziele des Green Deal und von REPowerEU zu erreichen.
Dreiviertel der Finanzierungslücke für die Dekarbonisierung könnten gefüllt werden, wenn Finanzmittel von “schädlichen oder überflüssigen” Aktivitäten – beispielsweise fossile Subventionen – umgeschichtet werden, schreiben die Autoren des Berichts. Dafür brauche es bessere Anreize, damit Investoren ihr Geld nachhaltig investieren.
Um private Finanzierung der Klimaziele voranzutreiben, schlagen die drei Organisationen sechs Prioritäten für die europäische Gesetzgebung vor:
Zudem müssten die öffentlichen Finanzmittel sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene erhöht werden, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank “grüner” gestaltet und Gelder besser als “Hebel” eingesetzt werden, raten die Autoren. kul
Texas, Louisiana und Florida sind unter den 16 republikanischen Bundesstaaten, die am vergangenen Donnerstag die US-Regierung unter Präsident Joe Biden verklagt haben. Damit gehen sie gegen Bidens Entscheidung von Ende Januar vor, den Bau neuer LNG-Terminals zu stoppen, um deren Folgen für das Klima neu zu bewerten. Durch das Moratorium könnten sich neue Genehmigungen um Monate verzögern, falls sie überhaupt erteilt werden.
Nun argumentieren die Kläger: Die Bundesregierung habe gar nicht die Befugnis, ein solches Moratorium zu verhängen. Denn dafür müsse sie nachweisen können, dass die LNG-Projekte unvereinbar mit dem öffentlichen Interesse seien. Bidens Regierung sieht das durchaus als gegeben an: Sie argumentiert mit den Klimafolgen der geplanten Terminals: Diese würden 3,2 Billionen Tonnen an zusätzlichen Treibhausgasen jährlich verursachen – so viel wie die EU im gleichen Zeitraum.
Die Kläger führen außerdem an: Der monatelange Stopp von neuen Baugenehmigungen schade der Wirtschaft und verbündeten europäischen Staaten, die auf den Import von Flüssiggas (LNG) angewiesen seien, um von russischem Gas unabhängig zu werden.
Aus energiewirtschaftlicher Sicht sei das “wenig nachvollziehbar”, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu Table.Briefings. Die USA würden bereits ausreichend Flüssiggas exportieren und auf den internationalen Märkten gebe es eine Überversorgung, die durch unnötige LNG-Terminals in Deutschland noch verschlimmert werde. Der Baustopp könne die USA dagegen vor “Stranded Assets” bewahren.
Wegen des Methans, das bei der Gasförderung freigesetzt wird, sind die neuen LNG-Projekte auf kurze Sicht besonders klimaschädlich. Wird das Gas durch Fracking gefördert, wie in den USA, kommen noch die Umweltwirkungen aufgrund der verwendeten Chemikalien und des hohen Wasserverbrauchs hinzu.
Derzeit kommen rund 4,5 Prozent der deutschen Gasimporte als Flüssiggas aus den USA, wie Daten der Bundesnetzagentur zeigen. Auch aus Russland kommt über Umwege noch Erdgas nach Deutschland. Beides könne laut Kemfert vermieden werden, indem stattdessen LNG aus Australien, Nigeria, Katar oder Abu Dhabi importiert werde. “In Zukunft sollte der Bedarf von fossilem Erdgas aber zurückgehen, wenn Deutschland seine Klimaziele erfüllen möchte”, sagt Kemfert. Auch, weil Flüssiggas die Strompreise in die Höhe treibe. Günstigere Energieträger werden dann attraktiver. rtr/lb
Das Umweltministerium in Peking bereitet die Aufnahme der Aluminiumindustrie in Chinas Emissionshandelssystem (ETS) vor. Wie chinesische Medien berichten, publizierte es einen Entwurf für Leitlinien zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung der CO₂-Emissionen des Aluminiumschmelzsektors. Demnach soll der Teilsektor elektrolytisches Aluminium bald in das ETS aufgenommen werden. Es ist der energie- und emissionsintensivste Teilsektor unter den Nichteisenmetallen, zu denen auch Kupfer oder Blei gehören. Bis zum 31. März sammelt das Ministerium nun Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit zu den Leitlinien.
Die Vorbereitungen für die “baldige Einbeziehung” des Sektors seien bereits im Gange, schreibt das Wirtschaftsmagazin Caixin unter Berufung auf Insider. Chen Xuesen, Vize-Direktor der China Nonferrous Metals Industry Association, habe bereits zu Jahresbeginn gesagt, dass voraussichtlich mehr als 80 Elektrolyt-Aluminium-Unternehmen ins ETS einbezogen werden.
Metallisches Aluminium wird in aufwendigen und energieintensiven Verfahren aus Bauxiterz über den Zwischenschritt Aluminiumoxid gewonnen. Dieses wird mittels Schmelzflusselektrolyse zu metallischem Aluminium verarbeitet. Das Verfahren ist extrem energieintensiv, seine chemischen Reaktionen setzen zudem CO₂ frei. Allein auf diesen Sektor entfallen daher nach dem Bericht 65 Prozent der CO₂-Emissionen von Nichteisenmetallen im Land und 4,5 Prozent der Gesamtemissionen Chinas.
Bisher umfasst Chinas ETS 2.257 Unternehmen aus dem Energiesektor, darunter vor allem Kohlekraftwerke. Eine Ausweitung auf andere Schwerindustriesektoren ist schon lange geplant, wurde aber wiederholt verschoben. Zement und Stahl sind zwei weitere Aufnahme-Kandidaten, deren Vorbereitungen laut Caixin allerdings noch nicht so weit vorangekommen sind wie Aluminium.
Gleichzeitig schreitet die Energiewende in China weiter voran: Laut der in der vergangenen Woche veröffentlichte Guideline for 2024 China’s Energy Development wird die installierte Elektrizitätskapazität im Jahr 2024 zu 55 Prozent aus nicht-fossilen Quellen kommen. Solar- und Windenergie sollen demnach mit 17 Prozent zu Chinas Stromproduktion beitragen. Außerdem will China laut dem Bericht die Entwicklung von Erneuerbaren im ländlichen Raum vorantreiben und mehr Anstrengungen in die Zusammenarbeit mit der EU zu Erneuerbaren investieren. ck/kul