uuuffff, das haben wir mal wieder geschafft. So war die Stimmung am Sonntagmorgen um halb sechs im Fußballstadion von Baku, als diese COP in XXL endlich zu Ende ging. Delegierte, NGOs und Medienmenschen atmeten müde auf, weil nach quälend langen Verzögerungen endlich ein Deal stand. Manchmal scheint dann gar nicht mehr so wichtig, was genau da beschlossen wurde.
Wir denken da selbstverständlich anders. Und schauen deshalb mit einem Tag Abstand nochmal genau hin, nachdem wir Ihnen gestern schon die wichtigsten Meldungen als Table.Alert geliefert haben. Jetzt blicken wir nochmal darauf, wie die Reaktionen auf die COP29 ausfallen, welche harsche Kritik es an der Amtsführung der COP29-Präsidentschaft gibt – und was das Ergebnis von Baku für die Zukunft bedeutet.
Damit ist es dann aber auch gut. Nach zwei Wochen täglicher Nachrichtenflut zur Konferenz und darüber hinaus, bedanken wir uns für das fleißige Lesen, die Hilfe bei der Recherche und die ermutigenden Kommentare, die wir in Baku und Berlin bekommen haben. Und weil die ganze Anstrengung selbst bei uns ab und zu COP-Schmerzen ausgelöst hat, gönnen wir Ihnen und uns eine kleine Pause.
Unser Vorschlag: Der nächste Climate.Table, auf den Sie schon sehnsüchtig warten, erscheint im gewohnten Rhythmus am kommenden Donnerstag.
Hearing no objections…. it is so decided. Bämm!
Ihr Bernhard Pötter
Analyse
COP29: Was die Beschlüsse für die Klimapolitik bedeuten
Die COP29 ist vorbei – sie wird auch über die reinen Beschlüsse hinaus Folgen für die internationale Klimapolitik haben.
Mit dem Beschluss der Klimakonferenz von Baku sind wichtige Weichen gestellt worden: ein neues internationales Ziel für die Klimafinanzen, die langsame Ausweitung der Geberbasis für Klimahilfen, eine abschließende Regelung für freiwillige Kohlenstoffmärkte. Aber die COP29 hat in ihrem Verlauf und ihren Ergebnissen auch noch andere wichtige Konsequenzen, die die globale Klimapolitik in der Zukunft prägen werden. Einige Erkenntnisse aus Baku:
Der Klimaschutz ist weltweit in der Defensive. Trotz eines Jahrs der Extremwetterereignisse und neuen Temperaturrekorde gerät der Kern des Klimaschutzes – die Emissionsreduktion, Mitigation – zunehmend ins Hintertreffen. Über den Aufbau der Erneuerbaren und der Steigerung von Effizienz herrscht Einigkeit. Auch bei Finanzen gibt es Bewegung. Die Klimaszene hofft darauf, dass die fossile Ära sich dem Ende zuneigt. Aber die fossile Lobby ist immer noch stark genug, auf einer COP eine klare Ansage zum Ausstieg aus den Fossilen zu verhindern – und erst recht konkrete Schritte dazu.
Unter Druck sind nicht nur die Grundzüge der Klimapolitik, sondern die regelbasierte Ordnung insgesamt, die sie trägt. Nach drei COPs in autoritären Staaten sind die Sitten auch bei den COPs zunehmend verroht: Verfahren sind intransparent statt offen. Kritische NGOs werden aus dem Land gehalten und bespitzelt, Kritik an autoritären fossilen Strukturen wird kaum erlaubt. In der Folge werden die Stimmen leiser, die für Liberalität stehen, auch weil mehr Staaten wie die USA ins Lager der Populisten wechseln.
China und EU werden wichtiger im Klimaprozess
Ehrgeizige NDC-Klimapläne rücken in die Ferne. Derzeit liegen laut UNFCCC-Synthesebericht die CO₂-Reduktionen bei knapp drei Prozent, die 2030 bei minus 45 liegen müssten. Eine drastische Beschleunigung ist kaum zu erwarten – auch weil das neue Finanzierungsziel in den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht die Mittel dafür bereitstellen wird. Doch in genau diesen NDCs müssten die Minderungsmaßnahmen festgeschrieben werden.
Die Veränderung der Geberbasis für Finanzierung wird die Geopolitik des Klimas verändern – vor allem, wenn die USA sich verabschieden. Der Klimaprozess wird weniger US- und EU-lastig werden und mehr von China und den diversen Interessen der BRICS-Länder geprägt werden. Süd-Süd-Kooperationen werden häufiger und wichtiger. Ob das zu mehr Ehrgeiz bei Mitigation führt, ist zweifelhaft.
Die Energiewende in den USA und der UN-Klimaprozess werden die nächsten vier Jahre Trump-Regierung wohl überstehen – aber die nötige internationale Dynamik wird es kaum geben, wenn sich die größte Volkswirtschaft mit den historisch größten Emissionen zurückzieht.
Werden China und die EU einen “grünen Block” bilden, um dagegenzuhalten? Und läuft das auf eine neue Blockbildung hinaus: EU und China als das Lager der “Erneuerbaren” und des Green Deal gegen die fossilen Imperien Russland und USA?
Die Klimafinanzierung wird starke Auswirkung auf die Finanzpolitik in Europa haben. Mit dem Abschied der USA stehen vor allem die Europäer in der Pflicht, ihre Klima-Ausgaben zu vervielfachen. Das aber ist bei jetzigen Budgets praktisch nicht machbar. Die Debatte über neue Finanzinstrumente wie Steuern und Abgaben auf fossile Produktion, Flüge oder neue Instrumente bei Zentralbanken wird laut geführt werden. Und auch die Frage von klimapolitischer Umverteilung innerhalb der EU und weltweit wird laut gestellt werden.
Entwicklungsländer vs. Industriestaaten
Die COP29 zeigte auch einmal mehr, wie tief die Spaltung zwischen entwickelten und Entwicklungsländern ist. Konnte vergangenes Jahr noch ein breiter Konsens zwischen fast allen UN-Vertragsstaaten geschlossen werden, bei dem nur einige wenige aufgrund ihrer fossilen Profite lange blockierten, so galt es dieses Jahr wieder, die tiefen Gräben zwischen Arm und Reich, zwischen Verursachern und Leidtragenden des Klimawandels zu überbrücken. Es ist nur gerade so gelungen.
Die High Ambition Coalition – kurz HAC – ist normalerweise ein verlässlicher Brückenbauer zwischen Globalem Norden und Süden. In Baku trat sie allerdings nur zu Beginn in Erscheinung, ohne großes Momentum erzeugen zu können. Dabei hätte es sie gebraucht, um die Interessen der vulnerabelsten Länder stärker in den Vordergrund zu stellen, als die COP durch die schlechte Führung der Präsidentschaft am Rande des Scheiterns stand und es gerade bei Mitigation mehr Momentum gebraucht hätte.
China
COP29
Energiewende
Geopolitik
Green Deal
Klimadiplomatie
Klimafinanzierung
USA
Translation missing.
COP29: Die wichtigsten Ergebnisse
Das Plenum der COP29 – am frühen Sonntagmorgen ging die Klimakonferenz zu Ende.
Die COP29 in Baku endete am frühen Sonntagmorgen mit mehr als 30 Stunden Verspätung und einem Bündel von Entscheidungen. In den teilweise chaotisch verlaufenden letzten Tagen stand die Konferenz zeitweise vor dem Scheitern, weil sich viele Ländergruppen nicht angemessen berücksichtigt fühlten. Aus vielen Verhandlergruppen wurde heftige Kritik an der Amtsführung des COP29-Präsidenten Mukhtar Babajew geübt, weil der Prozess oft Transparenz und Kooperation habe vermissen lassen.
Doch als Babajew am frühen Morgen Ortszeit den Sitzungshammer fallen ließ, waren das die wichtigsten Entscheidungen der COP29:
Finanzziel NCQG
Ein neues Finanzziel NCQG: Bis 2035 sollen die Industrieländer ihre jährlichen Zahlungen an Entwicklungsländer (aus öffentlichen und privaten Mitteln) auf 300 Milliarden US-Dollar erhöhen. Insgesamt sollen dann jährlich 1,3 Billionen Dollar an Klimafinanzierung fließen. Darin eingerechnet sind die 300 Milliarden, private Investitionen, Flüsse aus den multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) und innovativen Mechanismen wie neuen Abgaben.
Zur Planung und Prüfung dieses Prozesses soll eine “Baku to Belém Roadmap” eingerichtet werden, die den Aufwuchs zu den 1,3 Billionen bis 2035 beschreibt.
Die Geberbasis für Klimafinanzierung wird über die Industrieländer hinaus erweitert: Schwellenländer wie China, Südkorea, die Golfstaaten oder Singapur können freiwillig ihre Anteile an den Klimamitteln der MDBs als Klimahilfen definieren. Ebenfalls können sie ihre Süd-Süd-Hilfen zum gemeinsamen Klimaziel von mindestens 1,3 Billionen anrechnen lassen.
Allerdings widersprachen Kuba, Bolivien, Nigeria und vor allem Indien in der Sitzung lautstark und unter Beifall vieler Beobachter im Saal der Verabschiedung des NCQG.
Emissionsminderung
Der Bereich “Mitigation” war den Industriestaaten, AOSIS, AILAC und LDC-Ländern besonders wichtig – erlebte aber starken Widerstand der Ölstaaten unter Führung von Saudi-Arabien. Die entsprechenden GST-Beschlüsse der COP28 von Dubai (“transitioning away from fossil fuels”) wurden teilweise aus den Texten gestrichen und mussten mühsam wieder hineingeschrieben werden. Tatsächlich gab es im Mitigation Work Program der COP26 keine Erwähnung der GST-Ergebnisse.
Dafür sollte “Dubai” im “UAE-Dialog” verankert werden, in dem es um die Umsetzung des Global Stocktake geht. Darin werden die Ergebnisse des Global Stocktake der COP28 in Dubai gleich am Anfang allgemein bekräftigt: Das sind die Verdreifachung der Erneuerbaren, die Verdopplung der Energieeffizienz und die Abkehr von fossilen Brennstoffen, das berühmte “transitioning away”.
Dieser Begriff selbst fand sich aber nicht in diesem Dokument. Auf ihn wurde in Paragraf 14 nur mit Verweis auf Paragraf 28 der Dubai-GST-Entscheidung hingewiesen. Ein Absatz später allerdings werden die “transitional fuels” ausdrücklich erwähnt – also die Unterstützung für Gas. Auch gibt es noch eine Absage an “einseitige Handelsmaßnahmen” wie etwa das CBAM der EU.
Statt wie geplant verabschiedet, wurde der UAE-Dialog aber nach Einsprüchen von südamerikanischen und EIG-Ländern verschoben. Er soll nun bei den SBSTA-Sitzungen in Bonn im Juni weiter verhandelt werden.
Anpassung und Loss und Damage
Das Globale Anpassungsziel wurde auch in Baku nur mühsam vorangebracht. Um es zu konkretisieren, werden nun höchstens 100 Indikatoren angestrebt: In bestimmten Schlüsselbereichen (beispielsweise Gesundheitssektor, Ernährung, Wasser) sollen alle Staaten Anpassungsmaßnahmen unternehmen. Dazu gehören auch finanzielle Kriterien. Aber es gab nur prozedurale Fortschritte. Inhaltlich muss die Arbeit bis Belém gemacht werden.
Im Finanzbereich wird Anpassung in einem eigenen Absatz erwähnt, es gibt also eine Verbindung zum NCQG, sagt Laura Schäfer von Germanwatch: Die Finanzierung soll laut NCQG-Text “dramatisch hochgefahren” werden und es gebe in diesem Feld einen hohen Bedarf an Zuschüssen und stark verbilligten Krediten. Außerdem wird eine “Balance zwischen Anpassung und Minderung” bei der Finanzierung angestrebt. Die Ausschüttungen aus den Fonds, die sich auch mit Anpassung befassen, sollen verdreifacht werden.
Das Thema “Loss and Damage” ist dagegen aus dem Finanztext verschwunden. Der Text erkennt an, dass es “signifikante Lücken gibt bei der Antwort auf den erhöhten Umfang und Frequenz von Verlusten und Schäden”. Aber er enthält keine Handlungsaufforderung oder Verpflichtung zur Bereitstellung von Finanzierung. Der Loss and Damage Fonds wird nur sehr indirekt als Teil des UNFCCC-Finanzmechanismus des Klimaregimes gesehen, ähnlich wie der Green Climate Fonds. Man merkt allen Texten deutlich an, dass das Thema mit sehr spitzen Fingern angefasst wird.
Artikel 6
Nach neun Jahren intensiver Verhandlungen wurden in Baku Regeln und Standards für den Handel mit Emissionsminderungsgutschriften unter Artikel 6 des Paris-Abkommens beschlossen. Die Einigung war nur möglich, weil die Europäische Union eine jahrelange Blockade aufgab, mit der sie schwache Transparenz und Greenwashing durch die Kohlenstoffmärkte verhindern wollte.
Gender
Beim Thema Gender wurden in Baku kaum Fortschritte gemacht, sondern vor allem Rückschritte verhindert. Das Lima-Aktions-Programm von 2024 wurde um zehn Jahre erweitert. Nächstes Jahr auf der SB62 in Bonn soll nun die Erarbeitung eines Gender-Aktionsplans begonnen werden. Allerdings wurde vor allem von einer Koalition von Saudi-Arabien, Russland und dem Vatikan an vielen Stellen die Sprache abgelehnt, die Gender-inklusiv umgestaltet werden sollte.
Adaptation
CBAM
COP28
COP29
Greenwashing
Klima & Umwelt
Klimadiplomatie
Klimafinanzierung
NCQG
Translation missing.
COP29: Vorwürfe gegen die Präsidentschaft
Der Mann mit dem Hammer: COP29-Präsident Mukhtar Babajew.
Als COP29-Präsident Mukhtar Babajew am Sonntagmorgen um 5.31 Uhr zum letzten Mal den Hammer fallen ließ und die Klimakonferenz von Baku für beendet erklärte, gab es von den Delegierten viel Applaus. Darin mischten sich Freude, Erschöpfung, aber auch die Erleichterung, dass diese Konferenz nicht gescheitert war. Und dass die aserbaidschanische Präsidentschaft die Konferenz am Ende halbwegs heil über die Bühne bekommen hatte.
Unruhe und Verwirrung in hektischen Tagen
Denn diese COP-Präsidentschaft hatte besonders in den vergangenen Tagen und Stunden der Konferenz für eine Menge Unruhe und Verwirrung gesorgt. Das Team um Babajew verstieß teilweise schwer gegen die ungeschriebenen Spielregeln für die Führung einer COP. So berichten viele Delegationen, die Präsidentschaft habe Texte unabgesprochen präsentiert, falsche Dokumente verschickt und wichtige Ländergruppen nicht konsultiert. Dabei ist es die vordringliche Aufgabe einer COP-Präsidentschaft, als “ehrlicher Makler” aufzutreten, alle Stimmen zu hören und Ergebnisse vorzulegen, die von der großen Mehrheit der Staaten akzeptiert werden können, oder zumindest nicht abgelehnt werden.
Das aber war nach Aussagen vieler erfahrener Delegierter und Beobachter unter der Leitung von Mukhtar Babajew öfter nicht der Fall. Delegierte und Beobachter berichten, die umstrittenen Verhandlungstexte von Freitagabend zu den zentralen Fragen rund um Finanzen und Mitigation seien mit den verwundbarsten Ländergruppen AOSIS (kleine Inselstaaten), AILAC (Lateinamerika und Karibik außerhalb der G77) und LDC (am wenigsten entwickelte Länder) in ihrer letzten Fassung nicht konsultiert und abgesprochen gewesen. Das ist in diesem Prozess normalerweise eine Todsünde für jeden Verhandler.
“Anliegen der Inselstaaten ignoriert”
Mit den AOSIS-Verhandlern sprach die Präsidentschaft bis Samstag, 15 Uhr nicht, wie die Delegation der Inselstaaten bestätigt. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beklagte noch am Samstagmittag, die Anliegen der Verwundbarsten “sind leider bisher von der Präsidentschaft ignoriert worden”.
Dazu gab es Verwirrung um Texte und Papiere. So seien in der entscheidenden Phase der Konferenz Dokumente an die Delegationen verschickt worden, die teilweise nicht dem neuesten Stand entsprochen hätten oder von den Ländern bereits abgelehnt worden seien, hieß es. Auch seien den Delegationsleitungen wichtige Texte der Präsidentschaft nur zur Einsicht gezeigt, aber nicht für eine genaue Analyse zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich beschwerten sich etwa die Europäer, dass das Führungsteam um Babajew manche ihrer Vorschläge nicht an andere Länder weitergereicht habe. Eine Anfrage von Table.Briefings an die Präsidentschaft zu den Vorwürfen wurde nicht beantwortet.
Wenig Kooperation mit Troika-Mitglied Brasilien
Dabei stützte sich Aserbaidschan offenbar auch nicht auf seine eigenen Verbündeten: Der umstrittene Text von Freitagabend sei auch mit Brasilien, immerhin als Gastgeber der COP30 im kommenden Jahr ein Mitglied der COP-Troika, nicht beraten worden, bestätigen Delegierte. Wegen der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Arbeitsweise der Präsidentschaft verließen die LDC-Länder am Samstagnachmittag kurzfristig die Verhandlungen zum Finanzziel und riskierten einen Abbruch der Konferenz.
Das Durcheinander in der Konferenzführung ist bemerkenswert, weil Aserbaidschan gerade für diese Planung eine ganze Reihe externe Berater engagiert hatte. So wie viele COP-Präsidentschaften vor allem aus Schwellen- oder Entwicklungsländern hatte auch die COP29-Präsidentschaft Experten angeworben, um den UN-Prozess zu verstehen und zu lenken. Diese Berater setzen sich aus ehemaligen Verhandlern der UN-Staaten oder Angestellten des UN-Sekretariats zusammen und haben tiefe Einblicke in die Dynamiken einer Klimakonferenz.
Undiplomatische Attacken
Viele Beobachter stellten sich daher die Frage, ob die Verwirrung auf Unzulänglichkeit der Präsidentschaft beruhe – oder ob es möglicherweise einen Plan gegeben habe, die Konferenz scheitern zu lassen. Die häufigen direkten Verstöße gegen die Grundregeln der UN-Diplomatie, etwa mit allen betroffenen Gruppen zu konsultieren, sind für viele Beobachter ein Hinweis auf eine bewusste Strategie.
Bereits bei der Eröffnung der COP29 hatte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in höchst undiplomatischer Weise vor allem westliche Gastländer attackiert: Ihre Kritik am “Petro-Staat” Aserbaidschan nannte er heuchlerisch, er pries fossile Brennstoffe als “Geschenk Gottes” und warf den USA und der EU vor, mit ihren “Fake News Medien” Stimmung gegen sein Land zu machen. Seine Vorwürfe gegenüber Frankreich und den Niederlanden führten zu Beginn der Konferenz zum Boykott der Konferenz durch die französische Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher.
Wie das Team der COP29-Präsidentschaft mit den UN-Regeln weiter verfährt, wird sich im kommenden Jahr etwa bei der SBSTA-Sitzung in Bonn im Juni zeigen. Denn die Amtszeit von Mukhtar Babajew hat gerade erst begonnen und dauert bis zur COP30 in Brasilien im November 2025.
Aserbaidschan
COP29
Fossile Brennstoffe
Klimadiplomatie
“Pflaster auf einer Schusswunde”: So wird der COP29-Abschluss kommentiert
Nicht zufrieden mit dem Ergebnis: Auf dem Gipfelgelände in Baku fordern Protestierende noch nach dem Ende der Konferenz mehr Klimafinanzierung.
Erleichterung, dass die Klimakonferenz nicht scheiterte. Ernüchterung und Ärger über ihr Ergebnis. Die Forderung, den Prozess zu reformieren – und der Appell, nicht nachzulassen in den Anstrengungen zum Klimaschutz: All das steckt in den Reaktionen auf die Abschlussdokumente der COP29. Während Stimmen aus den Industrieländern vielfach den Erfolg betonten, dass vor einem schwierigen geopolitischen Hintergrund überhaupt eine Einigung erzielt werden konnte, kritisieren Fachleute aus den Entwicklungsländern und Klimaschutz-NGOs die unzureichenden Ergebnisse der Konferenz teilweise scharf.
Reaktionen aus der Bundesregierung:
Man wisse, dass die “heutigen Entscheidungen allein nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen”, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Samstagnacht vor dem Plenum in Baku. Doch niemand habe die historische Verantwortung der Industrieländer vergessen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Ergebnisse ebenfalls “unzureichend, aber wir können damit weiterarbeiten”.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze verwies auf die Notwendigkeit von privaten Investitionen weltweit in großem Maßstab für den Klimaschutz. “Diese Vision wird durch die neue Zahl von 1300 Milliarden Dollar symbolisiert.” Jetzt gehe es darum, die Vision Realität werden zu lassen.
Umweltministerin Steffi Lemke kommentierte: “Was wir hier erleben mussten, war der Abwehrkampf einer fossilen Welt, die nicht akzeptieren will, dass das Zeitalter der fossilen Energien zu Ende geht.” Lemke mahnte, der “verschwenderische Umgang mit den natürlichen Ressourcen” müsse beendet werden.
Politische Großwetterlage: Was möglich war
Eine Auswahl weiterer Reaktionen:
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, Germanwatch: “Diese Weltklimakonferenz liefert nicht das, was eigentlich notwendig gewesen wäre – aber sie bewegt sich im oberen Bereich dessen, was bei der derzeitigen politischen Großwetterlage möglich ist.”
Laurence Tubiana, CEO, Europäische Klimastiftung: “Die COP29 fand unter schwierigen Umständen statt, aber der Multilateralismus ist lebendig und notwendiger denn je. Das Klimafinanzierungsabkommen ist nicht so ehrgeizig, wie es der Moment erfordert. Der darin festgelegte Rahmen bietet eine Grundlage, auf der man aufbauen kann.”
Ottmar Edenhofer, Klimaökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK): “Der Klimagipfel von Baku war kein Erfolg, sondern allenfalls dieVermeidung eines diplomatischen Desasters. Es ist jetzt überdeutlich, dass wir für den globalen Kampf gegen die Klimakrise ergänzende Verhandlungsformate brauchen, (etwa innerhalb von) sogenannten Klimaclubs.”
Tina Stege, Klimagesandte, Marshallinseln: “(Wir haben) hier auf dieser COP das Schlimmste an politischem Opportunismus erlebt, der mit dem Leben der schwächsten Menschen der Welt spielt. Die Länder scheinen den Grund vergessen zu haben, warum wir alle hier sind. Wir sind hier, um Leben zu retten. Es geht darum, Leben zu retten. Wir müssen hart daran arbeiten, das Vertrauen in diesen lebenswichtigen Prozess wiederherzustellen.”
Caroline Brouillette, Geschäftsführerin des Climate Action Network Canada: “Das heute in Baku erzielte Abkommen zur Klimafinanzierung ist ein Pflaster auf einer Schusswunde. Die Tatsache, dass es ein größeres Pflaster ist, als wir es bisher gesehen haben, ist ein schwacher Trost, wenn die Welt mehr denn je blutet.”
Ein “fauler Kompromiss”
Von verschiedenen Seiten wird auch der Einfluss von Ländern und Staatengruppen kommentiert:
Cosima Cassel, Leiterin des Klimadiplomatie-Programms, E3G Berlin: “Die Vorreiterrolle von Entwicklungsländern wie Brasilien, Kolumbien und Kenia war entscheidend, um dieses Abkommen voranzutreiben. Doch das Ergebnis bleibt weit hinter dem zurück, was erforderlich ist.”
Li Shuo, Direktor des China Climate Hub, Asia Society Policy Institute: “Das langwierige Endspiel auf der COP29 spiegelt das härtere geopolitische Terrain wider, in dem sich die Welt befindet. (…) Das Ergebnis ist ein fauler Kompromiss zwischen den Geberländern und den am meisten gefährdeten Nationen der Welt. Die sorgfältige Abstimmung zwischen der EU und China sorgt für Stabilität in Baku.”
Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays for Future Deutschland: “Fossile Industrien und Petro-Staaten haben bei der COP29 alles auf ein Scheitern gesetzt. Die Tatsache, dass es bei der COP29 Einigung gibt – so beschämend sie auch ist -, zeigt, dass sich Widerstand gegen fossile Interessen lohnt. Jetzt geht die Arbeit allerdings erst richtig los.”
Neues Finanzziel NCQG
Einer der Meilensteine der COP ist der Beschluss des neuen Finanzziels. Dazu gibt es vor allem Kritik:
Sabine Minninger, Klimaexpertin, Brot für die Welt: “Es ist verheerend, dass die ärmsten Staaten auf Druck der Industriestaaten ihre Forderung nach Finanzierung von Klimaschäden fallengelassen haben. Somit laufen sie Gefahr, sich zur Deckung der hohen Schadenskosten weiterhin massiv zu verschulden.”
Ralph Regenvanu, Klimagesandter der Republik Vanuatu: “Die Verpflichtungen, die in Baku eingegangen wurden – die zugesagten Dollarsummen, und die versprochenen Emissionsreduktionen – sind nicht genug und wäre es nie gewesen. Und selbst wenn: Auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen wissen wir, dass sie nicht erfüllt werden. Das Unvermögen des Globalen Nordens, die Klimakrise zu bekämpfen – geschweige denn, sie aufzuhalten – ist eine globale Tragödie.”
Emilia Runeberg, Koordinatorin Internationale Klimapolitik, CAN Europe: “Die zunehmende Abhängigkeit von privaten Finanzströmen zur Rettung der Entwicklungsländer birgt die Gefahr, dass die Finanzierung auf marktübliche Darlehen und Sektoren ausgerichtet wird, die auf Kosten der Anpassung und der Beseitigung von Verlusten und Schäden Renditen erwirtschaften, was möglicherweise gegen das Ziel des Pariser Abkommens verstößt, die Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu respektieren.”
Jan Kowalzig, Klimafinanzexperte, Oxfam: “Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als könnten die ärmeren Länder nun mit erheblich mehr Unterstützung rechnen. Aber machen wir uns nichts vor: Der größte Teil dieser Mittel wird wie schon bisher in Form von Krediten kommen.Sie müssen mit Zinsen zurückgezahlt werden und können die oft erdrückende Schuldenlast der einkommensschwachen Länder weiter verschärfen.”
Fred Njehu, Panafrikanischer Politikstratege, Greenpeace Afrika: “Dieses Finanzabkommen ist nicht nur ein Verrat an der Klimagerechtigkeit, sondern auch eine Verhöhnung des Verursacherprinzips. Dieselben Nationen, die ihren Reichtum auf fossilen Brennstoffen aufgebaut haben, bieten jetzt Pflaster an und erwarten, dass wir die Billionen-Dollar-Last ihrer historischen Emissionen tragen.”
Avinash Persaud, Sonderberater für Klimawandel des Präsidenten der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB): “Es war hart umkämpft, aber mit 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die von den Industrieländern an die Entwicklungsländer weitergegeben werden, haben wir die Grenze zwischen dem erreicht, was heute in den Industrieländern politisch machbar ist, und dem, was in den Entwicklungsländern einen Unterschied machen würde, erreicht. Entscheidend ist jedoch, was um diese Zahl herum in dem Abkommen steht.”
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand, Greenpeace Deutschland: “Es ist skandalös, dass es der Öl- und Gaslobby mit Hilfe einiger Öl-Staaten in Zusammenarbeit mit dem Gasgeberland gelungen ist, alle notwendigen Beschleunigungen zum Ausstieg von Kohle, Öl und Gas zu blockieren.”
Ani Dasgupta, Präsident und Geschäftsführer, World Resources Institute (WRI): “Während die COP29-Entscheidung über Emissionssenkungen nur frühere Verpflichtungen bekräftigte, war es ermutigend, dass mehrere große Emittenten versprachen, dass neue nationale Ziele sie auf einen glaubwürdigen Weg bringen werden, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen.”
Joeri Rogelj, Klimawissenschaftler, Zentrum für Umweltpolitik, Imperial College London: “Die COP29 hat die Weichen für den wichtigsten Punkt im klimapolitischen Kalender des nächsten Jahres gestellt: eine neue Welle von nationalen Emissionsreduktionszusagen (NDCs). Die ehrgeizigen neuen Ziele Großbritanniens und Mexikos sind ermutigend.”
Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA): “Die Stunde der Wahrheit schlägt nun bei der Festlegung der nationalen Beiträge (NDCs) im nächsten Jahr. Ob sich alle Staaten auf dieser Basis in der Lage sehen, stärkere Klimaschutzzusagen zu geben und diese mit realistischen regulatorischen Maßnahmen und Finanzierungsplänen hinterlegen, ist fraglich. Letztlich definiert das aber Märkte für unsere Klimaschutztechnologien.”
Reaktionen zu Artikel 6
Nach jahrelanger Blockade kam es auf der COP29 auch zu einer Einigung zur Artikel 6, in dem internationale Kohlenstoffmärkte geregelt sind. Dafür gibt es aus der Zivilgesellschaft hauptsächlich Kritik:
Erika Lennon, Senior-Anwältin, Center for International Environmental Law (CIEL): “Die Zustimmung zu schwachen Regeln, denen es an Transparenz, Rechenschaftspflicht oder sinnvoller Aufsicht fehlt, ist kein kooperativer Ansatz, um ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen zu erreichen, sondern ein Rezept für eine Katastrophe.”
Linda Schneider, Referentin für internationale Klima- und Energiepolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: “Es ist sehr bedenklich, dass mit den Ergebnissen der COP29 die kontroversen Kohlenstoffmärkte unter Artikel 6 auch auf CO₂-Entnahmen ausgeweitet wurden – darunter könnten auch gefährliche Geoengineering-Vorschläge zur großmaßstäblichen technologischen Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre fallen.”
Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik, Öko-Institut: “Wie gut die Qualität von Klimazertifikaten unter dem Pariser Übereinkommen sein wird, muss sich noch zeigen. Jetzt kommt es darauf, wie die Regeln in der Praxis umgesetzt werden und ob Länder die vereinbarten Regeln auch einhalten werden.”
COP29
Energiepolitik
Fossile Brennstoffe
Greenpeace
Klimafinanzierung
UNFCCC
Zinsen
Translation missing.
NCQG beschlossen: 300 Milliarden und “Roadmap to Belém”
Forderten “Billionen, nicht Milliarden” für den Globalen Süden: Protestierende auf der COP29
Es brauchte einen “Walk-out” der Inselstaaten (AOSIS) und der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), um in Baku doch noch zu einer Einigung zu kommen. Beide verließen am Samstagnachmittag aus Protest den Verhandlungsraum. Die aserbaidschanische COP29-Präsidentschaft hatte beide Staatengruppen bei den Verhandlungen über das neue Klimafinanzziel (NCQG) außen vor gelassen, bevor sie am Freitag einen ersten echten Textentwurf präsentierte.
Anschließend kam Bewegung in die Konferenzräume. Europa, die verletzlichsten Staaten sowie die Präsidentschaft handelten hinter verschlossenen Türen einen neuen Text aus, der bis auf wenige Änderungen auch dem finalen Text entsprach. Die finale Einigung beinhaltet:
Bei der Höhe (“Quantum”) des NCQG gab es doch noch Spielraum: “Mindestens” 300 Milliarden US-Dollar lautet das neue Klimafinanzierungsziel nun – mit den Industriestaaten “in the lead”. Sie sollen das Geld bis zum Jahr 2035 mobilisieren. Ein konkreter Wachstumspfad von den derzeit mobilisierten 116 Milliarden bis zu den 300 Milliarden in 2035 wurde nicht festgehalten. Im vorherigen Entwurf war von 250 Milliarden die Rede gewesen. Bi- und multilaterale Geber aus öffentlicher und privater Hand stellen die Mittel für dieses Kernziel bereit. Unklar ist, inwieweit sich das neue Ziel im Vergleich zum bisherigen Ziel von jährlich 100 Milliarden verbessert hat. Wenn die Inflation bis 2035 und die erweiterte Geberbasis rausgerechnet werden, dürfte der Beitrag zu keiner deutlich höheren Verpflichtung für Industrienationen führen.
Zur erweiterten Geberbasis zählen auch Beiträge zur Klimafinanzierung von multilateralen Entwicklungsbanken (MDB). Beim NCQG sollen 100 Prozent der Klimafinanzierung der MDBs angerechnet werden. Beim 100-Milliarden-Ziel waren es nur die 70 Prozent der MDB-Finanzierung, die aus Industriestaaten stammt. Das NCQG erkennt dabei die “freiwillige Intention” aller Staaten an, über ihre MDB-Anteile auf das Klimafinanzziel einzuzahlen. Das betrifft vor allem die großen Beiträge, die China in Entwicklungsbanken wie die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank einzahlt. Es ist eine Erweiterung der Geberbasis durch die Hintertür. Darüber hinaus können auch Entwicklungsländer freiwillig sogenannte Süd-Süd-Unterstützung leisten, die ebenfalls auf das Ziel einzahlen würde.
Die “Baku to Belém Roadmap to 1.3T” soll den Prozess zur Ausrichtung des globalen Finanzsystems festlegen, um die Klimafinanzierung aus allen Quellen bis 2035 auf mindestens 1,3 Billionen zu bringen. Laut Table.Briefings-Informationen könnte der Prozess bereits beim Petersberger Klimadialog kommendes Jahr starten, unter Aufsicht der COP-Präsidentschaften von Baku und Belém (COP30). Die Erarbeitung von Mindestzuweisungen, insbesondere für am wenigsten entwickelte Länder und kleine Inselstaaten, wurde für diesen Prozess zwischenzeitlich diskutiert, findet sich im beschlossenen Text jedoch nicht mehr wieder.
Qualität: Es wird “anerkannt”, dass “Zuschüsse” und “(stark) vergünstige Kredite” in den Bereichen Anpassung und Loss and Damage “gebraucht werden” – eine Forderung der Inselstaaten und am wenigsten entwickelten Länder. Eine konkrete Zahl, wie groß der Anteil des Kernziels aus Zuschüssen und vergünstigten Krediten sein soll, steht jedoch nicht im Text. Entwicklungsbanken und ihre Stakeholder werden aber “eingeladen”, mehr hoch-konzessionäre Kredite bereitzustellen.
Wofür soll das Geld fließen: Das Kernziel umfasst nur Mitigation und Adaptation. Wie schon im Paris-Abkommen soll zwischen beiden Bereichen eine “Balance” erreicht werden. Ein konkretes Unterziel für Anpassung fehlt. Jedoch sollen die öffentlichen Ausgaben für verschiedenste Fonds zur Unterstützung von Entwicklungsländern (darunter auch der Anpassungsfonds) bis spätestens 2030 “mindestens verdreifacht” werden. Allerdings sind einige der Fonds schwer unterfinanziert. Eine Verdreifachung würde keine erheblichen neuen Mittel bedeuten. Verluste und Schäden werden beim Kernziel allerdings nicht genannt.
Review: 2030 wird das NCQG überprüft.
Indien lehnt ab – ohne Konsequenzen
Nachdem der Applaus für die historische Einigung auf das Klimafinanzziel abgeflaut war, meldeten sich umgehend die Kritiker des Deals zu Wort. Kuba und Bolivien attackierten vor allem das Ziel von 300 Milliarden, da es ihnen zu gering ausfällt. Indiens Verhandlerin Chandni Raina machte klar, dass sie das Ergebnis nicht akzeptiere und ablehne – allerdings erst, nachdem COP-Präsident Mukhtar Babajew den Hammer zur Annahme des NCQG fallen gelassen hatte. Damit wird Indiens Wortmeldung ins Protokoll aufgenommen, hat aber keine Auswirkungen. Das NCQG bleibt angenommen.
Raina beklagte, dass die Präsidentschaft keine Wortmeldungen zuließ, sondern umgehend den Hammer schlug. Die sonst übliche Nachfrage der Präsidentschaft, ob es Einspruch gebe, blieb aus. Das Dokument sei nichts weiter als eine optische Täuschung, kritisierte Raina scharf. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra verteidigte das Ergebnis, zeigte aber wenig Verständnis für die Kritik aus dem Globalen Süden. Das liegt auch daran, dass die Inselstaaten und am wenigsten entwickelten Länder den Deal unterstützen.
AIIB
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Mitigation
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Petersberger Klimadialog
News
Artikel 6-Regeln für Kohlenstoffmärkte angenommen: EU hebt Blockade gegen “anything goes”-Funktionsweise auf
Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu internationalen Kohlenstoffmärkten: Regeln und Standards für den Handel mit Emissionsminderungsgutschriften unter Artikel 6 des Paris-Abkommens wurden nach neun Jahren intensiver Verhandlungen beschlossen. Die Einigung war nur möglich, weil die Europäische Union eine jahrelange Blockade aufgab, mit der sie schwache Transparenz und Greenwashing durch die Kohlenstoffmärkte verhindern wollte.
In der Einigung zum zwischenstaatlichen Handel mit Emissionsgutschriften (Artikel 6.2), mit dem Anbieterländer Geld verdienen und Käuferländer ihr Treibhausgasbilanz aufbessern können, heißt es:
Länder, die sich nicht an die Vorschriften halten (laut Text: deren Berichte für den Handel “Unstimmigkeiten” aufweisen), haben keine Konsequenzen zu befürchten – abgesehen von einer vagen Verpflichtung zur Behebung der Probleme ohne klare Frist. Die NGO Carbon Market Watch kritisiert das.
Länder müssen zwar wichtige Informationen über die gehandelten Emissionsgutschriften offenlegen, aber ohne zeitliche Frist, sodass es Jahre dauern könnte, bis öffentlich einsehbar ist, welche Qualität die Emissionsgutschriften haben.
Jonathan Crook, Policy Lead bei Carbon Market Watch, bezeichnet die Einigung zu Artikel 6.2 als einen “anything goes”-Mechanismus mit zahlreichen Lücken, Hürden und komplizierten Registrierungsinstrumenten für Kohlenstoffgutschriften.
Regelungen für freiwillige Märkte unter Artikel 6.4
Artikel 6.4 für freiwillige Kohlenstoffmärkte für private Akteure wurde nach der Auftakteinigung in Baku weiterverhandelt und weitere Details wurden nun ebenfalls beschlossen:
Zertifikate für CO₂-Entnahme werden nur ausgestellt, wenn Kohlenstoff in “klimarelevanten Zeiträumen” der Atmosphäre entzogen wird.
Projekte unter dem aus dem Kyoto-Protokoll stammenden Clean Development Mechanism (CDM) können ohne weitere Überprüfung und ohne Zusätzlichkeitsprinzip (Additionality) in Artikel 6.4-Märkte überführt werden.
Es gibt keine regelmäßigen Überprüfungen der Standards und Methoden für Emissionsminderungsprojekte, um “regulatorische Stabilität” zu ermöglichen.
Das heißt, die Mindeststandards auf den freiwilligen Kohlenstoffmärkten sind in Zukunft relativ locker und deshalb anfällig für Greenwashing.
An den neuen Regelungen zu Artikel 6 gibt es von vielen Seiten Kritik: Unter ihnen “würden unabhängigen Beobachter, Forscher, die Medien und die Länder selbst viel Gewicht auf den Schultern tragen, um die Kohlenstoffmärkte genau zu überprüfen”, meint Jonathan Crook. Die Komplexität und der technische Charakter von Artikel 6 würde wahrscheinlich ein erhebliches Hindernis für diese Aufgabe darstellen. Einige Länder könnten genau darauf zählen, so der Emissionshandelsexperte.
Insbesondere große Industrienationen, allen voran die USA, aber auch Entwicklungsländer, die auf den Märkten Geld verdienen wollen, haben in der Vergangenheit stets für schwache Regeln geworben. Sie wollten den Markt simpel und für alle leicht zugänglich machen. Allerdings unter der Gefahr, dass das Instrument an Integrität verliert und Greenwashing ermöglicht. luk
uuuffff, das haben wir mal wieder geschafft. So war die Stimmung am Sonntagmorgen um halb sechs im Fußballstadion von Baku, als diese COP in XXL endlich zu Ende ging. Delegierte, NGOs und Medienmenschen atmeten müde auf, weil nach quälend langen Verzögerungen endlich ein Deal stand. Manchmal scheint dann gar nicht mehr so wichtig, was genau da beschlossen wurde.
Wir denken da selbstverständlich anders. Und schauen deshalb mit einem Tag Abstand nochmal genau hin, nachdem wir Ihnen gestern schon die wichtigsten Meldungen als Table.Alert geliefert haben. Jetzt blicken wir nochmal darauf, wie die Reaktionen auf die COP29 ausfallen, welche harsche Kritik es an der Amtsführung der COP29-Präsidentschaft gibt – und was das Ergebnis von Baku für die Zukunft bedeutet.
Damit ist es dann aber auch gut. Nach zwei Wochen täglicher Nachrichtenflut zur Konferenz und darüber hinaus, bedanken wir uns für das fleißige Lesen, die Hilfe bei der Recherche und die ermutigenden Kommentare, die wir in Baku und Berlin bekommen haben. Und weil die ganze Anstrengung selbst bei uns ab und zu COP-Schmerzen ausgelöst hat, gönnen wir Ihnen und uns eine kleine Pause.
Unser Vorschlag: Der nächste Climate.Table, auf den Sie schon sehnsüchtig warten, erscheint im gewohnten Rhythmus am kommenden Donnerstag.
Hearing no objections…. it is so decided. Bämm!
Ihr Bernhard Pötter
Analyse
COP29: Was die Beschlüsse für die Klimapolitik bedeuten
Die COP29 ist vorbei – sie wird auch über die reinen Beschlüsse hinaus Folgen für die internationale Klimapolitik haben.
Mit dem Beschluss der Klimakonferenz von Baku sind wichtige Weichen gestellt worden: ein neues internationales Ziel für die Klimafinanzen, die langsame Ausweitung der Geberbasis für Klimahilfen, eine abschließende Regelung für freiwillige Kohlenstoffmärkte. Aber die COP29 hat in ihrem Verlauf und ihren Ergebnissen auch noch andere wichtige Konsequenzen, die die globale Klimapolitik in der Zukunft prägen werden. Einige Erkenntnisse aus Baku:
Der Klimaschutz ist weltweit in der Defensive. Trotz eines Jahrs der Extremwetterereignisse und neuen Temperaturrekorde gerät der Kern des Klimaschutzes – die Emissionsreduktion, Mitigation – zunehmend ins Hintertreffen. Über den Aufbau der Erneuerbaren und der Steigerung von Effizienz herrscht Einigkeit. Auch bei Finanzen gibt es Bewegung. Die Klimaszene hofft darauf, dass die fossile Ära sich dem Ende zuneigt. Aber die fossile Lobby ist immer noch stark genug, auf einer COP eine klare Ansage zum Ausstieg aus den Fossilen zu verhindern – und erst recht konkrete Schritte dazu.
Unter Druck sind nicht nur die Grundzüge der Klimapolitik, sondern die regelbasierte Ordnung insgesamt, die sie trägt. Nach drei COPs in autoritären Staaten sind die Sitten auch bei den COPs zunehmend verroht: Verfahren sind intransparent statt offen. Kritische NGOs werden aus dem Land gehalten und bespitzelt, Kritik an autoritären fossilen Strukturen wird kaum erlaubt. In der Folge werden die Stimmen leiser, die für Liberalität stehen, auch weil mehr Staaten wie die USA ins Lager der Populisten wechseln.
China und EU werden wichtiger im Klimaprozess
Ehrgeizige NDC-Klimapläne rücken in die Ferne. Derzeit liegen laut UNFCCC-Synthesebericht die CO₂-Reduktionen bei knapp drei Prozent, die 2030 bei minus 45 liegen müssten. Eine drastische Beschleunigung ist kaum zu erwarten – auch weil das neue Finanzierungsziel in den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht die Mittel dafür bereitstellen wird. Doch in genau diesen NDCs müssten die Minderungsmaßnahmen festgeschrieben werden.
Die Veränderung der Geberbasis für Finanzierung wird die Geopolitik des Klimas verändern – vor allem, wenn die USA sich verabschieden. Der Klimaprozess wird weniger US- und EU-lastig werden und mehr von China und den diversen Interessen der BRICS-Länder geprägt werden. Süd-Süd-Kooperationen werden häufiger und wichtiger. Ob das zu mehr Ehrgeiz bei Mitigation führt, ist zweifelhaft.
Die Energiewende in den USA und der UN-Klimaprozess werden die nächsten vier Jahre Trump-Regierung wohl überstehen – aber die nötige internationale Dynamik wird es kaum geben, wenn sich die größte Volkswirtschaft mit den historisch größten Emissionen zurückzieht.
Werden China und die EU einen “grünen Block” bilden, um dagegenzuhalten? Und läuft das auf eine neue Blockbildung hinaus: EU und China als das Lager der “Erneuerbaren” und des Green Deal gegen die fossilen Imperien Russland und USA?
Die Klimafinanzierung wird starke Auswirkung auf die Finanzpolitik in Europa haben. Mit dem Abschied der USA stehen vor allem die Europäer in der Pflicht, ihre Klima-Ausgaben zu vervielfachen. Das aber ist bei jetzigen Budgets praktisch nicht machbar. Die Debatte über neue Finanzinstrumente wie Steuern und Abgaben auf fossile Produktion, Flüge oder neue Instrumente bei Zentralbanken wird laut geführt werden. Und auch die Frage von klimapolitischer Umverteilung innerhalb der EU und weltweit wird laut gestellt werden.
Entwicklungsländer vs. Industriestaaten
Die COP29 zeigte auch einmal mehr, wie tief die Spaltung zwischen entwickelten und Entwicklungsländern ist. Konnte vergangenes Jahr noch ein breiter Konsens zwischen fast allen UN-Vertragsstaaten geschlossen werden, bei dem nur einige wenige aufgrund ihrer fossilen Profite lange blockierten, so galt es dieses Jahr wieder, die tiefen Gräben zwischen Arm und Reich, zwischen Verursachern und Leidtragenden des Klimawandels zu überbrücken. Es ist nur gerade so gelungen.
Die High Ambition Coalition – kurz HAC – ist normalerweise ein verlässlicher Brückenbauer zwischen Globalem Norden und Süden. In Baku trat sie allerdings nur zu Beginn in Erscheinung, ohne großes Momentum erzeugen zu können. Dabei hätte es sie gebraucht, um die Interessen der vulnerabelsten Länder stärker in den Vordergrund zu stellen, als die COP durch die schlechte Führung der Präsidentschaft am Rande des Scheiterns stand und es gerade bei Mitigation mehr Momentum gebraucht hätte.
China
COP29
Energiewende
Geopolitik
Green Deal
Klimadiplomatie
Klimafinanzierung
USA
Translation missing.
COP29: Die wichtigsten Ergebnisse
Das Plenum der COP29 – am frühen Sonntagmorgen ging die Klimakonferenz zu Ende.
Die COP29 in Baku endete am frühen Sonntagmorgen mit mehr als 30 Stunden Verspätung und einem Bündel von Entscheidungen. In den teilweise chaotisch verlaufenden letzten Tagen stand die Konferenz zeitweise vor dem Scheitern, weil sich viele Ländergruppen nicht angemessen berücksichtigt fühlten. Aus vielen Verhandlergruppen wurde heftige Kritik an der Amtsführung des COP29-Präsidenten Mukhtar Babajew geübt, weil der Prozess oft Transparenz und Kooperation habe vermissen lassen.
Doch als Babajew am frühen Morgen Ortszeit den Sitzungshammer fallen ließ, waren das die wichtigsten Entscheidungen der COP29:
Finanzziel NCQG
Ein neues Finanzziel NCQG: Bis 2035 sollen die Industrieländer ihre jährlichen Zahlungen an Entwicklungsländer (aus öffentlichen und privaten Mitteln) auf 300 Milliarden US-Dollar erhöhen. Insgesamt sollen dann jährlich 1,3 Billionen Dollar an Klimafinanzierung fließen. Darin eingerechnet sind die 300 Milliarden, private Investitionen, Flüsse aus den multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) und innovativen Mechanismen wie neuen Abgaben.
Zur Planung und Prüfung dieses Prozesses soll eine “Baku to Belém Roadmap” eingerichtet werden, die den Aufwuchs zu den 1,3 Billionen bis 2035 beschreibt.
Die Geberbasis für Klimafinanzierung wird über die Industrieländer hinaus erweitert: Schwellenländer wie China, Südkorea, die Golfstaaten oder Singapur können freiwillig ihre Anteile an den Klimamitteln der MDBs als Klimahilfen definieren. Ebenfalls können sie ihre Süd-Süd-Hilfen zum gemeinsamen Klimaziel von mindestens 1,3 Billionen anrechnen lassen.
Allerdings widersprachen Kuba, Bolivien, Nigeria und vor allem Indien in der Sitzung lautstark und unter Beifall vieler Beobachter im Saal der Verabschiedung des NCQG.
Emissionsminderung
Der Bereich “Mitigation” war den Industriestaaten, AOSIS, AILAC und LDC-Ländern besonders wichtig – erlebte aber starken Widerstand der Ölstaaten unter Führung von Saudi-Arabien. Die entsprechenden GST-Beschlüsse der COP28 von Dubai (“transitioning away from fossil fuels”) wurden teilweise aus den Texten gestrichen und mussten mühsam wieder hineingeschrieben werden. Tatsächlich gab es im Mitigation Work Program der COP26 keine Erwähnung der GST-Ergebnisse.
Dafür sollte “Dubai” im “UAE-Dialog” verankert werden, in dem es um die Umsetzung des Global Stocktake geht. Darin werden die Ergebnisse des Global Stocktake der COP28 in Dubai gleich am Anfang allgemein bekräftigt: Das sind die Verdreifachung der Erneuerbaren, die Verdopplung der Energieeffizienz und die Abkehr von fossilen Brennstoffen, das berühmte “transitioning away”.
Dieser Begriff selbst fand sich aber nicht in diesem Dokument. Auf ihn wurde in Paragraf 14 nur mit Verweis auf Paragraf 28 der Dubai-GST-Entscheidung hingewiesen. Ein Absatz später allerdings werden die “transitional fuels” ausdrücklich erwähnt – also die Unterstützung für Gas. Auch gibt es noch eine Absage an “einseitige Handelsmaßnahmen” wie etwa das CBAM der EU.
Statt wie geplant verabschiedet, wurde der UAE-Dialog aber nach Einsprüchen von südamerikanischen und EIG-Ländern verschoben. Er soll nun bei den SBSTA-Sitzungen in Bonn im Juni weiter verhandelt werden.
Anpassung und Loss und Damage
Das Globale Anpassungsziel wurde auch in Baku nur mühsam vorangebracht. Um es zu konkretisieren, werden nun höchstens 100 Indikatoren angestrebt: In bestimmten Schlüsselbereichen (beispielsweise Gesundheitssektor, Ernährung, Wasser) sollen alle Staaten Anpassungsmaßnahmen unternehmen. Dazu gehören auch finanzielle Kriterien. Aber es gab nur prozedurale Fortschritte. Inhaltlich muss die Arbeit bis Belém gemacht werden.
Im Finanzbereich wird Anpassung in einem eigenen Absatz erwähnt, es gibt also eine Verbindung zum NCQG, sagt Laura Schäfer von Germanwatch: Die Finanzierung soll laut NCQG-Text “dramatisch hochgefahren” werden und es gebe in diesem Feld einen hohen Bedarf an Zuschüssen und stark verbilligten Krediten. Außerdem wird eine “Balance zwischen Anpassung und Minderung” bei der Finanzierung angestrebt. Die Ausschüttungen aus den Fonds, die sich auch mit Anpassung befassen, sollen verdreifacht werden.
Das Thema “Loss and Damage” ist dagegen aus dem Finanztext verschwunden. Der Text erkennt an, dass es “signifikante Lücken gibt bei der Antwort auf den erhöhten Umfang und Frequenz von Verlusten und Schäden”. Aber er enthält keine Handlungsaufforderung oder Verpflichtung zur Bereitstellung von Finanzierung. Der Loss and Damage Fonds wird nur sehr indirekt als Teil des UNFCCC-Finanzmechanismus des Klimaregimes gesehen, ähnlich wie der Green Climate Fonds. Man merkt allen Texten deutlich an, dass das Thema mit sehr spitzen Fingern angefasst wird.
Artikel 6
Nach neun Jahren intensiver Verhandlungen wurden in Baku Regeln und Standards für den Handel mit Emissionsminderungsgutschriften unter Artikel 6 des Paris-Abkommens beschlossen. Die Einigung war nur möglich, weil die Europäische Union eine jahrelange Blockade aufgab, mit der sie schwache Transparenz und Greenwashing durch die Kohlenstoffmärkte verhindern wollte.
Gender
Beim Thema Gender wurden in Baku kaum Fortschritte gemacht, sondern vor allem Rückschritte verhindert. Das Lima-Aktions-Programm von 2024 wurde um zehn Jahre erweitert. Nächstes Jahr auf der SB62 in Bonn soll nun die Erarbeitung eines Gender-Aktionsplans begonnen werden. Allerdings wurde vor allem von einer Koalition von Saudi-Arabien, Russland und dem Vatikan an vielen Stellen die Sprache abgelehnt, die Gender-inklusiv umgestaltet werden sollte.
Adaptation
CBAM
COP28
COP29
Greenwashing
Klima & Umwelt
Klimadiplomatie
Klimafinanzierung
NCQG
Translation missing.
COP29: Vorwürfe gegen die Präsidentschaft
Der Mann mit dem Hammer: COP29-Präsident Mukhtar Babajew.
Als COP29-Präsident Mukhtar Babajew am Sonntagmorgen um 5.31 Uhr zum letzten Mal den Hammer fallen ließ und die Klimakonferenz von Baku für beendet erklärte, gab es von den Delegierten viel Applaus. Darin mischten sich Freude, Erschöpfung, aber auch die Erleichterung, dass diese Konferenz nicht gescheitert war. Und dass die aserbaidschanische Präsidentschaft die Konferenz am Ende halbwegs heil über die Bühne bekommen hatte.
Unruhe und Verwirrung in hektischen Tagen
Denn diese COP-Präsidentschaft hatte besonders in den vergangenen Tagen und Stunden der Konferenz für eine Menge Unruhe und Verwirrung gesorgt. Das Team um Babajew verstieß teilweise schwer gegen die ungeschriebenen Spielregeln für die Führung einer COP. So berichten viele Delegationen, die Präsidentschaft habe Texte unabgesprochen präsentiert, falsche Dokumente verschickt und wichtige Ländergruppen nicht konsultiert. Dabei ist es die vordringliche Aufgabe einer COP-Präsidentschaft, als “ehrlicher Makler” aufzutreten, alle Stimmen zu hören und Ergebnisse vorzulegen, die von der großen Mehrheit der Staaten akzeptiert werden können, oder zumindest nicht abgelehnt werden.
Das aber war nach Aussagen vieler erfahrener Delegierter und Beobachter unter der Leitung von Mukhtar Babajew öfter nicht der Fall. Delegierte und Beobachter berichten, die umstrittenen Verhandlungstexte von Freitagabend zu den zentralen Fragen rund um Finanzen und Mitigation seien mit den verwundbarsten Ländergruppen AOSIS (kleine Inselstaaten), AILAC (Lateinamerika und Karibik außerhalb der G77) und LDC (am wenigsten entwickelte Länder) in ihrer letzten Fassung nicht konsultiert und abgesprochen gewesen. Das ist in diesem Prozess normalerweise eine Todsünde für jeden Verhandler.
“Anliegen der Inselstaaten ignoriert”
Mit den AOSIS-Verhandlern sprach die Präsidentschaft bis Samstag, 15 Uhr nicht, wie die Delegation der Inselstaaten bestätigt. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beklagte noch am Samstagmittag, die Anliegen der Verwundbarsten “sind leider bisher von der Präsidentschaft ignoriert worden”.
Dazu gab es Verwirrung um Texte und Papiere. So seien in der entscheidenden Phase der Konferenz Dokumente an die Delegationen verschickt worden, die teilweise nicht dem neuesten Stand entsprochen hätten oder von den Ländern bereits abgelehnt worden seien, hieß es. Auch seien den Delegationsleitungen wichtige Texte der Präsidentschaft nur zur Einsicht gezeigt, aber nicht für eine genaue Analyse zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich beschwerten sich etwa die Europäer, dass das Führungsteam um Babajew manche ihrer Vorschläge nicht an andere Länder weitergereicht habe. Eine Anfrage von Table.Briefings an die Präsidentschaft zu den Vorwürfen wurde nicht beantwortet.
Wenig Kooperation mit Troika-Mitglied Brasilien
Dabei stützte sich Aserbaidschan offenbar auch nicht auf seine eigenen Verbündeten: Der umstrittene Text von Freitagabend sei auch mit Brasilien, immerhin als Gastgeber der COP30 im kommenden Jahr ein Mitglied der COP-Troika, nicht beraten worden, bestätigen Delegierte. Wegen der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Arbeitsweise der Präsidentschaft verließen die LDC-Länder am Samstagnachmittag kurzfristig die Verhandlungen zum Finanzziel und riskierten einen Abbruch der Konferenz.
Das Durcheinander in der Konferenzführung ist bemerkenswert, weil Aserbaidschan gerade für diese Planung eine ganze Reihe externe Berater engagiert hatte. So wie viele COP-Präsidentschaften vor allem aus Schwellen- oder Entwicklungsländern hatte auch die COP29-Präsidentschaft Experten angeworben, um den UN-Prozess zu verstehen und zu lenken. Diese Berater setzen sich aus ehemaligen Verhandlern der UN-Staaten oder Angestellten des UN-Sekretariats zusammen und haben tiefe Einblicke in die Dynamiken einer Klimakonferenz.
Undiplomatische Attacken
Viele Beobachter stellten sich daher die Frage, ob die Verwirrung auf Unzulänglichkeit der Präsidentschaft beruhe – oder ob es möglicherweise einen Plan gegeben habe, die Konferenz scheitern zu lassen. Die häufigen direkten Verstöße gegen die Grundregeln der UN-Diplomatie, etwa mit allen betroffenen Gruppen zu konsultieren, sind für viele Beobachter ein Hinweis auf eine bewusste Strategie.
Bereits bei der Eröffnung der COP29 hatte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in höchst undiplomatischer Weise vor allem westliche Gastländer attackiert: Ihre Kritik am “Petro-Staat” Aserbaidschan nannte er heuchlerisch, er pries fossile Brennstoffe als “Geschenk Gottes” und warf den USA und der EU vor, mit ihren “Fake News Medien” Stimmung gegen sein Land zu machen. Seine Vorwürfe gegenüber Frankreich und den Niederlanden führten zu Beginn der Konferenz zum Boykott der Konferenz durch die französische Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher.
Wie das Team der COP29-Präsidentschaft mit den UN-Regeln weiter verfährt, wird sich im kommenden Jahr etwa bei der SBSTA-Sitzung in Bonn im Juni zeigen. Denn die Amtszeit von Mukhtar Babajew hat gerade erst begonnen und dauert bis zur COP30 in Brasilien im November 2025.
Aserbaidschan
COP29
Fossile Brennstoffe
Klimadiplomatie
“Pflaster auf einer Schusswunde”: So wird der COP29-Abschluss kommentiert
Nicht zufrieden mit dem Ergebnis: Auf dem Gipfelgelände in Baku fordern Protestierende noch nach dem Ende der Konferenz mehr Klimafinanzierung.
Erleichterung, dass die Klimakonferenz nicht scheiterte. Ernüchterung und Ärger über ihr Ergebnis. Die Forderung, den Prozess zu reformieren – und der Appell, nicht nachzulassen in den Anstrengungen zum Klimaschutz: All das steckt in den Reaktionen auf die Abschlussdokumente der COP29. Während Stimmen aus den Industrieländern vielfach den Erfolg betonten, dass vor einem schwierigen geopolitischen Hintergrund überhaupt eine Einigung erzielt werden konnte, kritisieren Fachleute aus den Entwicklungsländern und Klimaschutz-NGOs die unzureichenden Ergebnisse der Konferenz teilweise scharf.
Reaktionen aus der Bundesregierung:
Man wisse, dass die “heutigen Entscheidungen allein nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen”, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Samstagnacht vor dem Plenum in Baku. Doch niemand habe die historische Verantwortung der Industrieländer vergessen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Ergebnisse ebenfalls “unzureichend, aber wir können damit weiterarbeiten”.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze verwies auf die Notwendigkeit von privaten Investitionen weltweit in großem Maßstab für den Klimaschutz. “Diese Vision wird durch die neue Zahl von 1300 Milliarden Dollar symbolisiert.” Jetzt gehe es darum, die Vision Realität werden zu lassen.
Umweltministerin Steffi Lemke kommentierte: “Was wir hier erleben mussten, war der Abwehrkampf einer fossilen Welt, die nicht akzeptieren will, dass das Zeitalter der fossilen Energien zu Ende geht.” Lemke mahnte, der “verschwenderische Umgang mit den natürlichen Ressourcen” müsse beendet werden.
Politische Großwetterlage: Was möglich war
Eine Auswahl weiterer Reaktionen:
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer, Germanwatch: “Diese Weltklimakonferenz liefert nicht das, was eigentlich notwendig gewesen wäre – aber sie bewegt sich im oberen Bereich dessen, was bei der derzeitigen politischen Großwetterlage möglich ist.”
Laurence Tubiana, CEO, Europäische Klimastiftung: “Die COP29 fand unter schwierigen Umständen statt, aber der Multilateralismus ist lebendig und notwendiger denn je. Das Klimafinanzierungsabkommen ist nicht so ehrgeizig, wie es der Moment erfordert. Der darin festgelegte Rahmen bietet eine Grundlage, auf der man aufbauen kann.”
Ottmar Edenhofer, Klimaökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK): “Der Klimagipfel von Baku war kein Erfolg, sondern allenfalls dieVermeidung eines diplomatischen Desasters. Es ist jetzt überdeutlich, dass wir für den globalen Kampf gegen die Klimakrise ergänzende Verhandlungsformate brauchen, (etwa innerhalb von) sogenannten Klimaclubs.”
Tina Stege, Klimagesandte, Marshallinseln: “(Wir haben) hier auf dieser COP das Schlimmste an politischem Opportunismus erlebt, der mit dem Leben der schwächsten Menschen der Welt spielt. Die Länder scheinen den Grund vergessen zu haben, warum wir alle hier sind. Wir sind hier, um Leben zu retten. Es geht darum, Leben zu retten. Wir müssen hart daran arbeiten, das Vertrauen in diesen lebenswichtigen Prozess wiederherzustellen.”
Caroline Brouillette, Geschäftsführerin des Climate Action Network Canada: “Das heute in Baku erzielte Abkommen zur Klimafinanzierung ist ein Pflaster auf einer Schusswunde. Die Tatsache, dass es ein größeres Pflaster ist, als wir es bisher gesehen haben, ist ein schwacher Trost, wenn die Welt mehr denn je blutet.”
Ein “fauler Kompromiss”
Von verschiedenen Seiten wird auch der Einfluss von Ländern und Staatengruppen kommentiert:
Cosima Cassel, Leiterin des Klimadiplomatie-Programms, E3G Berlin: “Die Vorreiterrolle von Entwicklungsländern wie Brasilien, Kolumbien und Kenia war entscheidend, um dieses Abkommen voranzutreiben. Doch das Ergebnis bleibt weit hinter dem zurück, was erforderlich ist.”
Li Shuo, Direktor des China Climate Hub, Asia Society Policy Institute: “Das langwierige Endspiel auf der COP29 spiegelt das härtere geopolitische Terrain wider, in dem sich die Welt befindet. (…) Das Ergebnis ist ein fauler Kompromiss zwischen den Geberländern und den am meisten gefährdeten Nationen der Welt. Die sorgfältige Abstimmung zwischen der EU und China sorgt für Stabilität in Baku.”
Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays for Future Deutschland: “Fossile Industrien und Petro-Staaten haben bei der COP29 alles auf ein Scheitern gesetzt. Die Tatsache, dass es bei der COP29 Einigung gibt – so beschämend sie auch ist -, zeigt, dass sich Widerstand gegen fossile Interessen lohnt. Jetzt geht die Arbeit allerdings erst richtig los.”
Neues Finanzziel NCQG
Einer der Meilensteine der COP ist der Beschluss des neuen Finanzziels. Dazu gibt es vor allem Kritik:
Sabine Minninger, Klimaexpertin, Brot für die Welt: “Es ist verheerend, dass die ärmsten Staaten auf Druck der Industriestaaten ihre Forderung nach Finanzierung von Klimaschäden fallengelassen haben. Somit laufen sie Gefahr, sich zur Deckung der hohen Schadenskosten weiterhin massiv zu verschulden.”
Ralph Regenvanu, Klimagesandter der Republik Vanuatu: “Die Verpflichtungen, die in Baku eingegangen wurden – die zugesagten Dollarsummen, und die versprochenen Emissionsreduktionen – sind nicht genug und wäre es nie gewesen. Und selbst wenn: Auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen wissen wir, dass sie nicht erfüllt werden. Das Unvermögen des Globalen Nordens, die Klimakrise zu bekämpfen – geschweige denn, sie aufzuhalten – ist eine globale Tragödie.”
Emilia Runeberg, Koordinatorin Internationale Klimapolitik, CAN Europe: “Die zunehmende Abhängigkeit von privaten Finanzströmen zur Rettung der Entwicklungsländer birgt die Gefahr, dass die Finanzierung auf marktübliche Darlehen und Sektoren ausgerichtet wird, die auf Kosten der Anpassung und der Beseitigung von Verlusten und Schäden Renditen erwirtschaften, was möglicherweise gegen das Ziel des Pariser Abkommens verstößt, die Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu respektieren.”
Jan Kowalzig, Klimafinanzexperte, Oxfam: “Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als könnten die ärmeren Länder nun mit erheblich mehr Unterstützung rechnen. Aber machen wir uns nichts vor: Der größte Teil dieser Mittel wird wie schon bisher in Form von Krediten kommen.Sie müssen mit Zinsen zurückgezahlt werden und können die oft erdrückende Schuldenlast der einkommensschwachen Länder weiter verschärfen.”
Fred Njehu, Panafrikanischer Politikstratege, Greenpeace Afrika: “Dieses Finanzabkommen ist nicht nur ein Verrat an der Klimagerechtigkeit, sondern auch eine Verhöhnung des Verursacherprinzips. Dieselben Nationen, die ihren Reichtum auf fossilen Brennstoffen aufgebaut haben, bieten jetzt Pflaster an und erwarten, dass wir die Billionen-Dollar-Last ihrer historischen Emissionen tragen.”
Avinash Persaud, Sonderberater für Klimawandel des Präsidenten der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB): “Es war hart umkämpft, aber mit 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die von den Industrieländern an die Entwicklungsländer weitergegeben werden, haben wir die Grenze zwischen dem erreicht, was heute in den Industrieländern politisch machbar ist, und dem, was in den Entwicklungsländern einen Unterschied machen würde, erreicht. Entscheidend ist jedoch, was um diese Zahl herum in dem Abkommen steht.”
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand, Greenpeace Deutschland: “Es ist skandalös, dass es der Öl- und Gaslobby mit Hilfe einiger Öl-Staaten in Zusammenarbeit mit dem Gasgeberland gelungen ist, alle notwendigen Beschleunigungen zum Ausstieg von Kohle, Öl und Gas zu blockieren.”
Ani Dasgupta, Präsident und Geschäftsführer, World Resources Institute (WRI): “Während die COP29-Entscheidung über Emissionssenkungen nur frühere Verpflichtungen bekräftigte, war es ermutigend, dass mehrere große Emittenten versprachen, dass neue nationale Ziele sie auf einen glaubwürdigen Weg bringen werden, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen.”
Joeri Rogelj, Klimawissenschaftler, Zentrum für Umweltpolitik, Imperial College London: “Die COP29 hat die Weichen für den wichtigsten Punkt im klimapolitischen Kalender des nächsten Jahres gestellt: eine neue Welle von nationalen Emissionsreduktionszusagen (NDCs). Die ehrgeizigen neuen Ziele Großbritanniens und Mexikos sind ermutigend.”
Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA): “Die Stunde der Wahrheit schlägt nun bei der Festlegung der nationalen Beiträge (NDCs) im nächsten Jahr. Ob sich alle Staaten auf dieser Basis in der Lage sehen, stärkere Klimaschutzzusagen zu geben und diese mit realistischen regulatorischen Maßnahmen und Finanzierungsplänen hinterlegen, ist fraglich. Letztlich definiert das aber Märkte für unsere Klimaschutztechnologien.”
Reaktionen zu Artikel 6
Nach jahrelanger Blockade kam es auf der COP29 auch zu einer Einigung zur Artikel 6, in dem internationale Kohlenstoffmärkte geregelt sind. Dafür gibt es aus der Zivilgesellschaft hauptsächlich Kritik:
Erika Lennon, Senior-Anwältin, Center for International Environmental Law (CIEL): “Die Zustimmung zu schwachen Regeln, denen es an Transparenz, Rechenschaftspflicht oder sinnvoller Aufsicht fehlt, ist kein kooperativer Ansatz, um ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen zu erreichen, sondern ein Rezept für eine Katastrophe.”
Linda Schneider, Referentin für internationale Klima- und Energiepolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung: “Es ist sehr bedenklich, dass mit den Ergebnissen der COP29 die kontroversen Kohlenstoffmärkte unter Artikel 6 auch auf CO₂-Entnahmen ausgeweitet wurden – darunter könnten auch gefährliche Geoengineering-Vorschläge zur großmaßstäblichen technologischen Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre fallen.”
Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik, Öko-Institut: “Wie gut die Qualität von Klimazertifikaten unter dem Pariser Übereinkommen sein wird, muss sich noch zeigen. Jetzt kommt es darauf, wie die Regeln in der Praxis umgesetzt werden und ob Länder die vereinbarten Regeln auch einhalten werden.”
COP29
Energiepolitik
Fossile Brennstoffe
Greenpeace
Klimafinanzierung
UNFCCC
Zinsen
Translation missing.
NCQG beschlossen: 300 Milliarden und “Roadmap to Belém”
Forderten “Billionen, nicht Milliarden” für den Globalen Süden: Protestierende auf der COP29
Es brauchte einen “Walk-out” der Inselstaaten (AOSIS) und der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), um in Baku doch noch zu einer Einigung zu kommen. Beide verließen am Samstagnachmittag aus Protest den Verhandlungsraum. Die aserbaidschanische COP29-Präsidentschaft hatte beide Staatengruppen bei den Verhandlungen über das neue Klimafinanzziel (NCQG) außen vor gelassen, bevor sie am Freitag einen ersten echten Textentwurf präsentierte.
Anschließend kam Bewegung in die Konferenzräume. Europa, die verletzlichsten Staaten sowie die Präsidentschaft handelten hinter verschlossenen Türen einen neuen Text aus, der bis auf wenige Änderungen auch dem finalen Text entsprach. Die finale Einigung beinhaltet:
Bei der Höhe (“Quantum”) des NCQG gab es doch noch Spielraum: “Mindestens” 300 Milliarden US-Dollar lautet das neue Klimafinanzierungsziel nun – mit den Industriestaaten “in the lead”. Sie sollen das Geld bis zum Jahr 2035 mobilisieren. Ein konkreter Wachstumspfad von den derzeit mobilisierten 116 Milliarden bis zu den 300 Milliarden in 2035 wurde nicht festgehalten. Im vorherigen Entwurf war von 250 Milliarden die Rede gewesen. Bi- und multilaterale Geber aus öffentlicher und privater Hand stellen die Mittel für dieses Kernziel bereit. Unklar ist, inwieweit sich das neue Ziel im Vergleich zum bisherigen Ziel von jährlich 100 Milliarden verbessert hat. Wenn die Inflation bis 2035 und die erweiterte Geberbasis rausgerechnet werden, dürfte der Beitrag zu keiner deutlich höheren Verpflichtung für Industrienationen führen.
Zur erweiterten Geberbasis zählen auch Beiträge zur Klimafinanzierung von multilateralen Entwicklungsbanken (MDB). Beim NCQG sollen 100 Prozent der Klimafinanzierung der MDBs angerechnet werden. Beim 100-Milliarden-Ziel waren es nur die 70 Prozent der MDB-Finanzierung, die aus Industriestaaten stammt. Das NCQG erkennt dabei die “freiwillige Intention” aller Staaten an, über ihre MDB-Anteile auf das Klimafinanzziel einzuzahlen. Das betrifft vor allem die großen Beiträge, die China in Entwicklungsbanken wie die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank einzahlt. Es ist eine Erweiterung der Geberbasis durch die Hintertür. Darüber hinaus können auch Entwicklungsländer freiwillig sogenannte Süd-Süd-Unterstützung leisten, die ebenfalls auf das Ziel einzahlen würde.
Die “Baku to Belém Roadmap to 1.3T” soll den Prozess zur Ausrichtung des globalen Finanzsystems festlegen, um die Klimafinanzierung aus allen Quellen bis 2035 auf mindestens 1,3 Billionen zu bringen. Laut Table.Briefings-Informationen könnte der Prozess bereits beim Petersberger Klimadialog kommendes Jahr starten, unter Aufsicht der COP-Präsidentschaften von Baku und Belém (COP30). Die Erarbeitung von Mindestzuweisungen, insbesondere für am wenigsten entwickelte Länder und kleine Inselstaaten, wurde für diesen Prozess zwischenzeitlich diskutiert, findet sich im beschlossenen Text jedoch nicht mehr wieder.
Qualität: Es wird “anerkannt”, dass “Zuschüsse” und “(stark) vergünstige Kredite” in den Bereichen Anpassung und Loss and Damage “gebraucht werden” – eine Forderung der Inselstaaten und am wenigsten entwickelten Länder. Eine konkrete Zahl, wie groß der Anteil des Kernziels aus Zuschüssen und vergünstigten Krediten sein soll, steht jedoch nicht im Text. Entwicklungsbanken und ihre Stakeholder werden aber “eingeladen”, mehr hoch-konzessionäre Kredite bereitzustellen.
Wofür soll das Geld fließen: Das Kernziel umfasst nur Mitigation und Adaptation. Wie schon im Paris-Abkommen soll zwischen beiden Bereichen eine “Balance” erreicht werden. Ein konkretes Unterziel für Anpassung fehlt. Jedoch sollen die öffentlichen Ausgaben für verschiedenste Fonds zur Unterstützung von Entwicklungsländern (darunter auch der Anpassungsfonds) bis spätestens 2030 “mindestens verdreifacht” werden. Allerdings sind einige der Fonds schwer unterfinanziert. Eine Verdreifachung würde keine erheblichen neuen Mittel bedeuten. Verluste und Schäden werden beim Kernziel allerdings nicht genannt.
Review: 2030 wird das NCQG überprüft.
Indien lehnt ab – ohne Konsequenzen
Nachdem der Applaus für die historische Einigung auf das Klimafinanzziel abgeflaut war, meldeten sich umgehend die Kritiker des Deals zu Wort. Kuba und Bolivien attackierten vor allem das Ziel von 300 Milliarden, da es ihnen zu gering ausfällt. Indiens Verhandlerin Chandni Raina machte klar, dass sie das Ergebnis nicht akzeptiere und ablehne – allerdings erst, nachdem COP-Präsident Mukhtar Babajew den Hammer zur Annahme des NCQG fallen gelassen hatte. Damit wird Indiens Wortmeldung ins Protokoll aufgenommen, hat aber keine Auswirkungen. Das NCQG bleibt angenommen.
Raina beklagte, dass die Präsidentschaft keine Wortmeldungen zuließ, sondern umgehend den Hammer schlug. Die sonst übliche Nachfrage der Präsidentschaft, ob es Einspruch gebe, blieb aus. Das Dokument sei nichts weiter als eine optische Täuschung, kritisierte Raina scharf. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra verteidigte das Ergebnis, zeigte aber wenig Verständnis für die Kritik aus dem Globalen Süden. Das liegt auch daran, dass die Inselstaaten und am wenigsten entwickelten Länder den Deal unterstützen.
AIIB
COP29
Finanzen
Globaler Süden
Klimaanpassung
Klimafinanzen
Klimafinanzierung
Mitigation
NCQG
Petersberger Klimadialog
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Artikel 6-Regeln für Kohlenstoffmärkte angenommen: EU hebt Blockade gegen “anything goes”-Funktionsweise auf
Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu internationalen Kohlenstoffmärkten: Regeln und Standards für den Handel mit Emissionsminderungsgutschriften unter Artikel 6 des Paris-Abkommens wurden nach neun Jahren intensiver Verhandlungen beschlossen. Die Einigung war nur möglich, weil die Europäische Union eine jahrelange Blockade aufgab, mit der sie schwache Transparenz und Greenwashing durch die Kohlenstoffmärkte verhindern wollte.
In der Einigung zum zwischenstaatlichen Handel mit Emissionsgutschriften (Artikel 6.2), mit dem Anbieterländer Geld verdienen und Käuferländer ihr Treibhausgasbilanz aufbessern können, heißt es:
Länder, die sich nicht an die Vorschriften halten (laut Text: deren Berichte für den Handel “Unstimmigkeiten” aufweisen), haben keine Konsequenzen zu befürchten – abgesehen von einer vagen Verpflichtung zur Behebung der Probleme ohne klare Frist. Die NGO Carbon Market Watch kritisiert das.
Länder müssen zwar wichtige Informationen über die gehandelten Emissionsgutschriften offenlegen, aber ohne zeitliche Frist, sodass es Jahre dauern könnte, bis öffentlich einsehbar ist, welche Qualität die Emissionsgutschriften haben.
Jonathan Crook, Policy Lead bei Carbon Market Watch, bezeichnet die Einigung zu Artikel 6.2 als einen “anything goes”-Mechanismus mit zahlreichen Lücken, Hürden und komplizierten Registrierungsinstrumenten für Kohlenstoffgutschriften.
Regelungen für freiwillige Märkte unter Artikel 6.4
Artikel 6.4 für freiwillige Kohlenstoffmärkte für private Akteure wurde nach der Auftakteinigung in Baku weiterverhandelt und weitere Details wurden nun ebenfalls beschlossen:
Zertifikate für CO₂-Entnahme werden nur ausgestellt, wenn Kohlenstoff in “klimarelevanten Zeiträumen” der Atmosphäre entzogen wird.
Projekte unter dem aus dem Kyoto-Protokoll stammenden Clean Development Mechanism (CDM) können ohne weitere Überprüfung und ohne Zusätzlichkeitsprinzip (Additionality) in Artikel 6.4-Märkte überführt werden.
Es gibt keine regelmäßigen Überprüfungen der Standards und Methoden für Emissionsminderungsprojekte, um “regulatorische Stabilität” zu ermöglichen.
Das heißt, die Mindeststandards auf den freiwilligen Kohlenstoffmärkten sind in Zukunft relativ locker und deshalb anfällig für Greenwashing.
An den neuen Regelungen zu Artikel 6 gibt es von vielen Seiten Kritik: Unter ihnen “würden unabhängigen Beobachter, Forscher, die Medien und die Länder selbst viel Gewicht auf den Schultern tragen, um die Kohlenstoffmärkte genau zu überprüfen”, meint Jonathan Crook. Die Komplexität und der technische Charakter von Artikel 6 würde wahrscheinlich ein erhebliches Hindernis für diese Aufgabe darstellen. Einige Länder könnten genau darauf zählen, so der Emissionshandelsexperte.
Insbesondere große Industrienationen, allen voran die USA, aber auch Entwicklungsländer, die auf den Märkten Geld verdienen wollen, haben in der Vergangenheit stets für schwache Regeln geworben. Sie wollten den Markt simpel und für alle leicht zugänglich machen. Allerdings unter der Gefahr, dass das Instrument an Integrität verliert und Greenwashing ermöglicht. luk