auf der Konferenz in Dubai standen kurz vor Schluss mal wieder alle Räder still. Wir kennen das schon: Saudi-Arabien und die Öllobby sorgen regelmäßig dafür, dass die COP-Maschine lahmt. Zum einen blockieren sie ambitionierte Formulierungen und Zielsetzungen. Zum anderen haben sie das Konsensprinzip durchgesetzt, das jede Entscheidung bremst. Was dahinter steht, berichtet Bernhard Pötter.
In Dubai wird viel versucht, um die Entwicklungsländer von einer schnelleren Abkehr von fossilen Energien zu überzeugen. “Aber viele können sich die Energiewende schlicht nicht leisten”, sagt Achim Steiner, der Chef des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) im Interview. Steiner verlangt mehr vergünstigte Kredite – und sagt, was der globale Norden vom Süden lernen kann.
Knackpunkt der Verhandlungen auf der COP28 ist das Energiepaket: Im heutigen Hintergrund blicken wir deshalb noch mal auf die Ziele, die erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und die Energieeffizienz zu verbessern. Zur Umsetzung braucht es große Investitionen in die Stromnetze und viel mehr Anstrengungen bei der Effizienz. Und der Wind-Sektor müsste seine Produktionskapazitäten massiv ausweiten.
In Dubai wird es jetzt spannend. Wir rechnen damit, dass am heutigen Mittwoch die Entscheidung fällt, ob und welches Ergebnis die COP28 bringt. Mit all den interessanten Details sind wir dann wieder für Sie da.
Beste Grüße
Die Blockade der COP28 in Dubai über eine umstrittene Abschlusserklärung zum Global Stocktake (GST) hat eine uralte Debatte in den UN-Klimaverhandlungen aufleben lassen: Warum entscheidet die COP nicht mit Mehrheiten? Und sie lenkt den Fokus auf die Länder der arabischen Welt, die offenbar zu den großen Bremsern der Konferenz gehören. Sie sind auch der Grund dafür, dass die Konferenzen nicht nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden.
Anders als oft gedacht, müssen Entscheidungen auf der COP nicht einstimmig fallen – sondern im Konsens. Das heißt: Es müssen nicht alle zustimmen, aber niemand darf laut widersprechen. Soweit die Theorie. Die Praxis der Verhandlungen hat gezeigt: Wenn es beim abschließenden Plenum spät genug ist, wenn die Versammlung reif für eine Entscheidung ist und wenn das widerspenstige Land nicht zu den politischen Schwergewichten gehört, kann ein COP-Präsident es auch mal übergehen. So geschah es mit Bolivien in der letzten Nacht von Cancún 2010 bei der COP16.
Die COP entscheidet nicht mit Mehrheit, weil sie sich bisher auch nach 31 Jahren der Klima-Rahmenkonvention noch keine “Regeln und Prozedere” dafür gegeben hat. Den ersten Vorstoß dafür haben Saudi-Arabien und Kuwait im Jahr 1995 gemeinsam mit der OPEC verhindert. Seitdem begnügen sich die Klimakonferenzen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner: dem Konsensprinzip. “Den Konsens festzulegen, war ein Meisterwerk der Lobby für fossile Brennstoffe in den frühen Tagen”, sagte die Historikerin Joanna Depledge, Spezialistin für die Klimagespräche von der Cambridge University, zu der Nachrichtenagentur Associated Press. “Damit meine ich Saudi-Arabien und Kuwait, mit Rückendeckung der US-Öl-Lobbyisten. Die OPEC hat auf Konsens bestanden, und weil es keine Einigung zu den Abstimmungsregeln gab, fallen Entscheidungen heute im Konsens.”
Auch 1996 und 2011 scheiterten Vorstöße, die Regeln zu ändern. Ein solches demokratisches Verfahren würde auch manchen großen Playern wie den USA oder China nicht passen – sicher ließe sich eine Mehrheit der Staaten finden, die per Abstimmung etwa die USA zur Zahlung von höheren Klimahilfen verdonnert.
Aktuell haben der Ex-Vizepräsident der USA, Al Gore, und die ehemalige irische Ministerpräsidentin, Mary Robinson, eine Änderung hin zu Mehrheitsentscheidungen gefordert. Der Hintergrund: Nach Berichten von Beobachtern und Delegierten wehren sich auch bei der COP28 vor allem die Länder der arabischen Gruppe um Saudi-Arabien gegen einen Beschluss zum Ende der fossilen Brennstoffe. Etwa 80 bis 85 Prozent der Staaten auf der COP würden einem Ausstieg aus den Fossilen in der einen oder anderen Art zustimmen, heißt es. Nur gebe es eben wegen einiger weniger Staaten keinen Konsens.
Das ist keine Überraschung. Gerade Saudi-Arabien hat eine lange Geschichte, die Klima-Verhandlungen zu verzögern, zu verwässern und zu blockieren. Zusammen mit anderen fossilen Staaten und vielen Partnern aus der Öl- und Gasindustrie haben sich die Saudis auf den COPs den Ruf der Bremser erworben. Sie spielen sehr geschickt mit den Regeln der UN und dafür setzten sie ihre finanzielle und geopolitische Macht ein.
Auch bei der COP28 sah die arabische Gruppe offenbar ihre Interessen bedroht. In einem Brief ermahnte die OPEC ihre Mitglieder, bei der COP28 keine Sprache durchgehen zu lassen, die einen Ausstieg aus den Fossilen beschriebe. Beobachter sahen darin ein Zeichen der Schwäche des Ölkartells. Andere sprechen davon, die arabischen Staaten hätten unterschätzt, wie ernsthaft auf der COP28 um einen echten Ausstieg aus den Fossilen gerungen wird. Viele hätten ihre Volkswirtschaften nicht auf ein Ende der Öleinnahmen eingestellt.
Nach Berichten von Teilnehmern blockierte die arabische Gruppe auch lange die Verhandlungen zum Anpassungsziel (GGA). Denn dort sollte eine Allianz der EU mit den afrikanischen Staaten entstehen, die dann auch beim fossilen Ausstieg tragen sollte. Saudi-Arabien ist dabei nicht allein: Auch Kuwait und Irak reihten sich in die Front der Länder ein, die vor zu schneller Reduktion der Emissionen warnten.
Tatsächlich sind auch und gerade die arabischen Staaten von der Klimakrise und der Erderhitzung besonders bedroht: Studien warnen, dass die Golfstaaten bei weiter zunehmender Erwärmung in einigen Jahrzehnten teilweise unbewohnbar werden könnten. Eine Untersuchung der G20 sieht gerade auch für Saudi-Arabien große Probleme bei steigender Erwärmung.
Dabei sind die 22 Staaten der arabischen Gruppe, die bei den COPs gemeinsam handelt und verhandelt, durchaus verschieden. Es gibt unter ihnen reiche Ölstaaten und arme Länder, Monarchien und Demokratien, Staaten mit extrem hohen Flüchtlingszahlen in der Bevölkerung. Die Gruppe teilt sich auf in die Golfstaaten, die Levante-Länder am Mittelmeer und Nordafrika. Neben internationalen und regionalen Schwergewichten wie Saudi-Arabien, Irak, Ägypten oder den VAE sind auch kleine Petro-Staaten wie Kuwait, Katar und Oman dabei. Staaten wie Sudan, Jordanien oder Palästina haben international wenig Einfluss, sind aber mit den großen Playern über Hilfsleistungen oder gemeinsame geopolitische Interessen bei Konflikten verbunden.
Besonders ist auch das Verhältnis zwischen dem COP-Gastgeber VAE und dem großen Nachbarn Saudi-Arabien. Immer wieder wird spekuliert, wie groß der Einfluss aus Riad auf die VAE und damit auch auf den Kurs der COP-Präsidentschaft ist. Die beiden Länder sind eigentlich politische und militärische Verbündete, stehen aber auch im scharfen wirtschaftlichen Wettbewerb. Während die VAE mit der COP28, den milliardenschweren Investitionen in Erneuerbare und in die Zukunftsstadt Masdar punktet, hat Saudi-Arabien seine “Vision 2030”.
Damit will der Kronprinz Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman sein Land in die Zukunft führen: Die Wirtschaft soll diversifiziert werden. Das Königreich will 2060 klimaneutral sein, das allerdings mit CCS und weiteren Verkäufen von Öl und Gas. Vom Thinktank-Projekt Climate Action Tracker bekommt Saudi-Arabien aber die schlechteste Note “kritisch unzureichend“, weil die Klimapläne als ungenügend und die Technik als “falsche Lösungen” angesehen werden.
Manche Beobachter fragen sich auch, ob Saudi-Arabien dem Konkurrenten und Nachbarn VAE eine erfolgreiche COP wünscht oder nicht. Laut einem Zeitungsbericht jedenfalls ist das Verhältnis der Herrscher zueinander, bin Salman auf der saudischen Seite und sein ehemaliger Mentor Mohammed bin Sayed in den VAE, in der letzten Zeit deutlich abgekühlt – offenbar über einen Streit um Ölförderquoten bei der OPEC.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Herr Steiner, auf der COP27 vor einem Jahr hatten Sie große Sorgen wegen der Schuldenkrise in den Entwicklungsländern. Hat sich die Situation seitdem verbessert?
Nein, sie ist noch akuter geworden im Vergleich zum vergangenen Jahr, weil ja die Zinsraten der größten Kapitalmärkte eher noch nach oben gegangen sind. Die Kosten der Entwicklungsländer für ihre Zinszahlungen sind eher noch größer geworden.
Was bedeutet das für diese Staaten?
In manchen Ländern gibt die Regierung heute mehr für Zinszahlungen für die Auslandsschulden aus als für den Bildungs- und Gesundheitssektor in ihrem Land. Wichtige nationale Einnahmen fließen in den Schuldendienst statt dorthin. Und es gibt einen Punkt, da bekommen diese Länder kein Geld mehr auf den internationalen Kapitalmärkten. Und die Instrumente von IWF und Weltbank sind noch nicht wie versprochen so weit verändert worden, dass sie geeignet wären, das zu lösen.
Viele Länder stehen immer noch vor der Zahlungsunfähigkeit. Wie sollen diese Staaten denn in Klimaschutz investieren?
Wir merken es ja schon daran, dass Investitionen vor allem in Entwicklungsländern und in vielen anderen Ländern zum Teil zurückgegangen sind. Das sagt uns ja auch die internationale Energieagentur IEA. Das ist nicht, weil Länder nicht mehr Energieinfrastruktur bräuchten, nicht mehr Stromversorgung, sondern einfach, weil kein Geld dafür vorhanden ist. Nach unseren Daten sind 48 Länder nur einen Schritt davon entfernt, zahlungsunfähig zu sein. Wenn sie das aber offen zugeben, gehen ihre Kreditraten noch einmal nach oben. Das ist eine enorme Bedrohung für eine Volkswirtschaft und ein Teufelskreis.
Warum gibt es keine internationale Debatte über diese Schuldenfalle?
Für das Weltfinanzsystem ist es keine akute Bedrohung, weil es kleinere Volkswirtschaften sind. Das aber ist zu kurz gedacht. Denn wenn Länder finanziell zusammenbrechen, kann das sehr schnell zu gesellschaftspolitischen Extremen oder Spannungen führen. 40 Prozent der ärmsten Menschen weltweit leben in diesen Ländern. Das heißt, wir haben ein enormes soziales Explosionsrisiko.
Das heißt, die Debatte hier auf der COP über eine Reform der Weltbank und anderer Institutionen geht an diesen Ländern vorbei, weil sie zu klein sind?
Die große Reform der internationalen Finanzarchitektur steht ja noch aus. Und was wir im Moment haben, sind die Notinstrumente aus der Pandemie, kurzfristig mehr Geld auszuzahlen. Nur: Die jetzige Problemlösung verschärft das Problem, weil der Schuldenberg wächst. Hier auf der Klimakonferenz versuchen wir, die Entwicklungsländer davon zu überzeugen, den Übergang in eine kohlenstoffarme Volkswirtschaft der Zukunft noch schneller zu machen. Aber viele können sich die Energiewende schlicht nicht leisten. Sie haben finanziell gesprochen gar nicht den Spielraum für diese Investitionen. Deswegen sind diese internationalen Finanzinstitutionen für die Länder so wichtig.
Was wäre denn hier das beste Ergebnis für diese Länder?
Das Beste wäre ein Beschluss, die Energiewende weltweit voranzutreiben und für ihre Finanzierung auch und gerade in den armen Ländern zu sorgen. Wir brauchen mehr “konzessionäre”, also vergünstigte Kredite. Wir dürfen nicht vergessen, die armen Länder selbst leisten schon heute erstaunliche Investitionen dabei: China, Indien, Brasilien, aber auch Länder wie Uruguay, Kenia und Costa Rica. Was wir hier brauchen, sind Investitionspartnerschaften, wo wir als internationale Gemeinschaft, also die reichen Länder, diesen Staaten zusätzliche Investitionen ermöglichen.
Viele Entwicklungsländer sind bei China verschuldet. Was bedeutet das?
Etwas weniger als ein Drittel der gesamten internationalen Schulden fallen auf China als Kreditgeber zurück. Da will ich gar nicht die Schuldfrage stellen, sondern fragen: Was macht das mit einer Gruppe wie der G77? Die Forderungen werden deshalb immer stärker, das internationale Finanzsystem zu reformieren. Das hat ja auch der UN-Generalsekretär gefordert. Und es war auch bei den G20 kürzlich eine klare Forderung. Auch die USA, lange skeptisch, haben sich da eingereiht. Das heißt, es werden jetzt auch Reformen umgesetzt. Die Frage ist ja immer, wie weit geht man? Wie tiefgreifend werden die Reformen sein?
Bei der Klimapolitik behaupten die Industrieländer oft, sie seien Vorreiter. Aber Sie sagen, es gibt durchaus auch Vorbilder in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Woran denken Sie da?
Ich kann Ihnen Dutzende Beispiele nennen. Nehmen wir mal Uruguay: ein Land mit fast 95 Prozent Stromversorgung aus Erneuerbaren. Das ist nicht irgendwo vom Himmel gefallen, sondern es ist in den letzten 15 Jahren eine konsequente Energiepolitik gewesen. Jetzt hat das Finanzministerium analysiert, wie teuer die Subventionen für Diesel und Benzin für den öffentlichen Nahverkehr sind. Und es zeigt sich: Es ist billiger, die ganze Busflotte des Landes auf elektrisch umzustellen, als weiter die fossilen Subventionen zu zahlen. Das heißt: sie rüsten jetzt um.
Haben Sie noch andere Beispiele?
Nehmen Sie Costa Rica: Das Land hat durch konsequenten Naturschutz und Wiederaufforstung über die letzten Jahrzehnte, seine gesamte Forstfläche auf fast 60 Prozent seiner Fläche ausgebaut. Kenia, das Land, indem ich selber zehn Jahre gelebt habe, hat schon in den 1970er-Jahren begonnen, Geothermie im Rift Valley zu nutzen. Heute ist das das Rückgrat eines Infrastrukturnetzes, das weit über 90 Prozent der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ermöglicht. Zum Glück hat das Land damals nicht auf externe Berater gehört, die davon abgeraten hatten.
Was können die Industrieländer daraus lernen?
Das Wichtigste ist wohl: Alle wissen inzwischen, was der Klimawandel ist und dass er uns zwingt, eine kohlenstoffarme Zukunft zu denken und zu planen. Wir müssen vom hohen Ross herunter, zu denken, die Industrieländer seien diejenigen, die hier agieren. Allein in Indien werden in den nächsten sieben bis acht Jahren wahrscheinlich über 400 Gigawatt erneuerbare Energien ans Netz kommen. Das hat noch kein Land in so kurzer Zeit geschafft. Spannend wird es auch, wenn ein Land wie Namibia heute, auch mit Unterstützung der Bundesregierung, erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff aufbaut – für Energieversorgung und Entwicklung zu Hause und für den Export von ‘grünem Wasserstoff’ nach Deutschland. Hier entsteht ein ganz neuer Markt für die globale Energiewirtschaft.
Gerade in Afrika sagen viele Länder: Wir haben ein Recht auf die fossile Entwicklung, weil wir zum Klimawandel nichts beigetragen haben. Gibt es für diese Länder ein Recht auf fossile Entwicklung?
Wer will ihnen dieses Recht absprechen? Mit welcher Legitimation? Man muss doch sehen, dass viele, die da Einschränkung fordern, selbst zu den größten Öl- und Gasproduzenten der Welt zählen: die Vereinigten Staaten, Kanada, Norwegen, Großbritannien. Die USA produzieren mehr Öl und Gas als jedes andere Land. Kanada hat gerade neue Lizenzen vergeben und Norwegen baut weiter aus. Unsere Aufgabe als Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ist es, afrikanische Länder bei der Entwicklung ihres Energiesektors zu unterstützen – das heißt, erst einmal die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entscheiden.
Was bedeutet das konkret?
Mich würde es überraschen, wenn ein afrikanisches Land sich heute noch für fossile Brennstoffe entscheidet, wenn es für Erneuerbare – zum Beispiel – flankierende Finanzierung aus dem Ausland bekommt. Nur so können sie ihre Industrialisierung nachhaltig gestalten. Kenias Präsident sagt über den afrikanischen Klimawandel etwas, dass die Welt sich sehr viel genauer anhören sollte. Afrika wird vielleicht der erste Kontinent sein, der zuerst eine grüne Energieinfrastruktur braucht, um seine Industrialisierung zu ermöglichen.
Eines der wichtigsten Vorhaben der COP28 ist ein Beschluss, die Kapazitäten von erneuerbaren Energien weltweit bis 2030 zu verdreifachen: Von derzeit 3.600 Gigawatt (2022) müsste dafür die Kapazität auf 11.000 GW (11 Terrawatt) steigen. Bisher haben sich gut 130 Staaten der Initiative zur Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdopplung der Energieeffizienz angeschlossen.
Der Vorschlag spricht gleich mehrere Probleme an:
2023 entstehen laut IEA gut 500 Gigawatt Erneuerbare, 69 Prozent mehr als im letzten Jahr. Geht dieser Trend weiter, ist eine Verdreifachung bis 2030 möglich, schreibt die IEA. Bleibt das Wachstum bei 500 Gigawatt pro Jahr stehen, werde 2030 nur eine Verdopplung erreicht, zeigen Analysen des Energie-Think-Tanks Ember.
Laut IRENA werden die Solar- und Windenergie mit fast 5.500 GW (Solar) und 3.000 GW (Onshore Wind) und knapp 500 GW (Offshore Wind) den größten Anteil an den 11.000 Gigawatt ausmachen.
Für die Umsetzung müsste die Finanzierung vor allem in den Schwellenländern sichergestellt werden. Eine hohe Schuldenlast und stark gestiegene Zinsen erschweren es vielen Staaten, das nötige Kapital für den Ausbau aufzubringen. Außerdem brauche es einen Überwachungsmechanismus wie ein jährliches Monitoring, sagen Ute Collier von IRENA und Dave Jones von Ember.
Auch technisch gibt es Hürden: Während sich die Solarindustrie recht gut entwickelt, sind die Kapazitäten der Windindustrie für das Ziel noch nicht ausreichend, warnt die IEA. Es brauche politische Unterstützung zum Ausbau der Produktionskapazitäten. Auch die Genehmigungsverfahren zum Bau von Windkraftanlagen müssten beschleunigt werden und alle Staaten mehr in den Ausbau der Stromnetze und ein flexibleres Stromsystem investieren.
Neben der Verdreifachung der Erneuerbaren steht auch die Verdopplung der Verbesserung der Energieeffizienz auf der Agenda des COP-Gastgebers, der Least-Developed-Countries, der EU, der USA und vieler anderer Staaten. Laut IRENA kann die Verbesserung der Energieeffizienz ein Viertel der Emissionsminderung bis 2050 bewirken. Sie könnte beispielsweise durch die Elektrifizierung des Verkehrs und Wärmesektors sowie besser isolierte Gebäude und effizientere technische Geräte erreicht werden.
Es wird angestrebt, bis 2030 eine durchschnittliche jährliche Effizienzverbesserung von vier Prozent zu erreichen. Jedes Jahr müsste also vier Prozent weniger Energie aufgewandt werden, um einen Euro Wirtschaftsleistung zu erwirtschaften. Im Jahr 2022 lag die Effizienzsteigerung nur bei zwei Prozent – in den fünf Jahren zuvor sogar nur bei einem Prozent. Mit einer Verbesserung um vier Prozent würde der Primärenergieverbrauch bis 2030 um zehn Prozent abnehmen – bei einem Wirtschaftswachstum von 26 Prozent, wie die IEA vorrechnet.
Auf der COP28 gab Norwegen bekannt, dass es 50 Millionen US-Dollar in den Amazonas-Fonds zum Schutz des brasilianischen Regenwalds investieren will. Mit dieser Finanzspritze erkennt Norwegen auch Brasiliens aktuelle Anstrengungen an, die Entwaldung zu beenden. In den ersten elf Monaten der Regierung von Präsidenten Ignacio Lula da Silva war die Abholzung um rund 50 Prozent zurückgegangen.
Als unter dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro die Abholzungsraten in die Höhe schnellten, hatten die Geber die Gelder des Fonds eingefroren. Entwaldung ist die größte Quelle von Treibhausgasen in Brasilien.
Seit Lula im Amt ist, wurden dem Fonds rund vier Milliarden brasilianische Reais (rund 750 Millionen Euro) versprochen. Norwegen ist mit Abstand der größte Geldgeber für den Fonds, gefolgt von Deutschland. Die Bundesregierung hatte bereits im Januar 35 Millionen Euro zugesagt. Geld kommt zudem unter anderem aus den USA, Großbritannien, der EU, Dänemark und der Schweiz. Der Fonds war 2008 ins Leben gerufen worden, um zusätzliche Mittel für den Regenwaldschutz zu mobilisieren. rtr/kul
Die Liste der Folgen des Klimawandels, die im Senegal – und in vielen anderen Ländern Afrikas – zu spüren sind, ist lang: Extreme Niederschläge, die Zerstörung empfindlicher Ökosysteme, Dürren und Nahrungsmittelunsicherheit. Das Meer frisst die Halbinsel Dakar geradezu auf, verschlingt Häuser und Hotels entlang der hunderte Kilometer langen Küste.
Konzentriert und mit ruhiger Stimme zählt die 54-jährige Madeleine Diouf Sarr die Probleme in ihrem Land auf, 2012 am Rande eines EU-Workshops zum Klimawandel und seiner Bewältigung. Inzwischen, mehr als zehn Jahre später, ist die Senegalesin eine prominente Figur in der Klimaszene geworden.
Seit Januar 2022 und noch bis Ende des Jahres ist sie die Chefin der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries – LDC) und die erste Frau in dieser Rolle überhaupt. Sarr vertritt ihre Interessen bei der internationalen Klimakonferenz COP28.
Im Senegal überwacht sie als technische Koordinatorin die Projekte im Rahmen des Grünen Klimafonds. Außerdem achtet Sarr darauf, dass der Senegal seien Beitrag zum Pariser Abkommen leistet. Sie ist inzwischen Leiterin der Abteilung für Klimawandel im Ministerium für Umwelt und nachhaltige Entwicklung (MEDD).
Sarr studierte Biologie, Umweltingenieurwesen und Ökologie an der Universität in Dakar, zudem in Grenoble, Nancy und Paris. Ihre Karriere startete Sarr im senegalesischen Umweltministerium. Ihre Themen reichten über die Jahre von Wasser- und Luftverschmutzung, über Küstenerosion bis hin zu Fragen des Emissionshandels.
Auch wenn sich die 54-Jährige den Habitus und die Stimme einer erfahrenen Beamtin zugelegt hat, kämpft sie wie früher noch genauso für die Anliegen der ärmsten Länder. Sarr wirkt in ihren vielen öffentlichen Auftritten stets sachlich und gut informiert, ist ansonsten aber sehr zurückhaltend.
Von den 46 am wenigsten entwickelten Staaten liegen 33 auf dem afrikanischen Kontinent, neun in Asien. “Wir haben es mit einer unerbittlichen Realität zu tun: Die am wenigsten entwickelten Länder beherbergen über 14 Prozent der Weltbevölkerung, verursachen jedoch nur ein Prozent der Emissionen. Dennoch tragen wir die größten Kosten der Klimakrise. Die unverhältnismäßigen Auswirkungen der Klimakrise unserer Bevölkerung trotz minimaler Verantwortung sind eine scharfe Ungerechtigkeit”, so Sarr wenige Wochen vor der COP28. Als Chefverhandlerin für die Klimainteressen der ärmsten Länder hat sie gemeinsam mit ihren Ministerkollegen ihre wichtigsten Anliegen in einer Erklärung (The Dakar Declaration) zusammengefasst.
Für die COP fordert Sarr vor allem eine verbindliche Zusage aller Staaten weltweit für massive Einschränkungen der CO₂-Emissionen. Außerdem müsse in großem Stil in erneuerbare Energien investiert werden. “Wir müssen sicherstellen, dass niemand damit alleingelassen wird, mit dieser Krise fertig zu werden”. Den “Global Stocktake”-Mechanismus begrüßt Sarr: Denn er mache sichtbar, wie viel noch getan werden müsse für den Klimaschutz. Auch die Idee von finanziellen Ausgleichszahlungen – einen “Loss and Damage” Fund – unterstützt Sarr. Lucia Weiß aus Dakar
Wale würde man in der arabischen Wüste eher nicht erwarten – nicht mal in einem reichen Ölstaat, dessen fossile Geldquellen viele Absurditäten möglich machen. Doch mitten auf dem COP-Gelände erklingen tatsächlich Töne, die an Walgesänge denken lassen.
Sie kennen das: Der Tag im Büro war wieder mal besonders stressig, der Computer stürzte ständig ab, wichtige Termine platzen, die Kaffeemaschine streikte, und ihre Aufgaben waren unerfüllbar. Vielleicht nicht ganz so unerfüllbar, wie auf einem Klimagipfel den endgültigen Ausstieg aus allen fossilen Energien herbeizuführen – aber Ihnen fällt sicher ein treffendes Beispiel aus Ihrem eigenen Arbeitsalltag ein. Doch sobald Sie nach Feierabend zu Hause die CD mit Ihren Lieblings-Walgesängen einlegen, fällt alle Anspannung von Ihnen ab, und Sie widmen sich gelassen Ihren familiären Pflichten.
Ganz ähnlich verhält es sich auch auf dieser COP. Inmitten des Gipfelgeländes erhebt sich eine offene Kuppel, der sogenannte Dom, der in seinem Innern enorm große Lautsprecher trägt. Sie versenden tagein, tagaus sanfte Melodien. Wer in ihren Bann gerät, wird sofort sediert. Schritte verlangsamen sich, Gesichtszüge werden entspannter, die Sorgen der Welt erscheinen plötzlich ganz unbedeutend.
Anwachsende Emissionen? Ölkonzerne, die obszöne Gewinne einfahren und ihre Produktion mitten in der Klimakrise noch ausweiten? Untergehende Inseln? Der Entwurf eines COP-Abschlusstextes, der auch von der OPEC verfasst sein könnte? In der Nähe des Doms kümmern uns derlei weltliche Dinge kaum. Statt uns zu grämen, treiben wir in Gedanken selig lächelnd auf einem stetig anschwellenden Meeresspiegel.
Nur eines fragen wir uns: Warum hat die COP-Präsidentschaft die sedierenden Klänge nicht längst anderweitig eingesetzt? Man stelle sich das vor: Öl- und Inselstaaten fetzen sich in den Verhandlungen um den fossilen Ausstieg. Da erklingt liebliche Musik – und schon akzeptiert Saudi-Arabien, ganz entspannt im Hier und Jetzt und völlig unabated, den fossil phase out. Oder afrikanische und Industrieländer streiten um Geld für Anpassung – und unter dem Einfluss der selig machenden Klänge öffnen die USA plötzlich ihre Schatullen. (Apropos Schatulle: Wir ahnen, dass die Strategie auch anderswo erfolgreich angewandt werden könnte, und schicken an dieser Stelle ganz liebe Grüße nach Berlin.)
Unser dringender Appell an den Gipfelpräsidenten: Eure Exzellenz, besinnen Sie sich auf die heilende Kraft der Musik! Leiten Sie die Walgesänge direkt in die Verhandlungsräume, und schließen dann die Türen, bis drinnen alle zu wirklichen Fortschritten bereit sind. Dann könnte diese COP vielleicht doch noch ein wahrhaft historisches Ergebnis für das Klima bringen. ae
auf der Konferenz in Dubai standen kurz vor Schluss mal wieder alle Räder still. Wir kennen das schon: Saudi-Arabien und die Öllobby sorgen regelmäßig dafür, dass die COP-Maschine lahmt. Zum einen blockieren sie ambitionierte Formulierungen und Zielsetzungen. Zum anderen haben sie das Konsensprinzip durchgesetzt, das jede Entscheidung bremst. Was dahinter steht, berichtet Bernhard Pötter.
In Dubai wird viel versucht, um die Entwicklungsländer von einer schnelleren Abkehr von fossilen Energien zu überzeugen. “Aber viele können sich die Energiewende schlicht nicht leisten”, sagt Achim Steiner, der Chef des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) im Interview. Steiner verlangt mehr vergünstigte Kredite – und sagt, was der globale Norden vom Süden lernen kann.
Knackpunkt der Verhandlungen auf der COP28 ist das Energiepaket: Im heutigen Hintergrund blicken wir deshalb noch mal auf die Ziele, die erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und die Energieeffizienz zu verbessern. Zur Umsetzung braucht es große Investitionen in die Stromnetze und viel mehr Anstrengungen bei der Effizienz. Und der Wind-Sektor müsste seine Produktionskapazitäten massiv ausweiten.
In Dubai wird es jetzt spannend. Wir rechnen damit, dass am heutigen Mittwoch die Entscheidung fällt, ob und welches Ergebnis die COP28 bringt. Mit all den interessanten Details sind wir dann wieder für Sie da.
Beste Grüße
Die Blockade der COP28 in Dubai über eine umstrittene Abschlusserklärung zum Global Stocktake (GST) hat eine uralte Debatte in den UN-Klimaverhandlungen aufleben lassen: Warum entscheidet die COP nicht mit Mehrheiten? Und sie lenkt den Fokus auf die Länder der arabischen Welt, die offenbar zu den großen Bremsern der Konferenz gehören. Sie sind auch der Grund dafür, dass die Konferenzen nicht nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden.
Anders als oft gedacht, müssen Entscheidungen auf der COP nicht einstimmig fallen – sondern im Konsens. Das heißt: Es müssen nicht alle zustimmen, aber niemand darf laut widersprechen. Soweit die Theorie. Die Praxis der Verhandlungen hat gezeigt: Wenn es beim abschließenden Plenum spät genug ist, wenn die Versammlung reif für eine Entscheidung ist und wenn das widerspenstige Land nicht zu den politischen Schwergewichten gehört, kann ein COP-Präsident es auch mal übergehen. So geschah es mit Bolivien in der letzten Nacht von Cancún 2010 bei der COP16.
Die COP entscheidet nicht mit Mehrheit, weil sie sich bisher auch nach 31 Jahren der Klima-Rahmenkonvention noch keine “Regeln und Prozedere” dafür gegeben hat. Den ersten Vorstoß dafür haben Saudi-Arabien und Kuwait im Jahr 1995 gemeinsam mit der OPEC verhindert. Seitdem begnügen sich die Klimakonferenzen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner: dem Konsensprinzip. “Den Konsens festzulegen, war ein Meisterwerk der Lobby für fossile Brennstoffe in den frühen Tagen”, sagte die Historikerin Joanna Depledge, Spezialistin für die Klimagespräche von der Cambridge University, zu der Nachrichtenagentur Associated Press. “Damit meine ich Saudi-Arabien und Kuwait, mit Rückendeckung der US-Öl-Lobbyisten. Die OPEC hat auf Konsens bestanden, und weil es keine Einigung zu den Abstimmungsregeln gab, fallen Entscheidungen heute im Konsens.”
Auch 1996 und 2011 scheiterten Vorstöße, die Regeln zu ändern. Ein solches demokratisches Verfahren würde auch manchen großen Playern wie den USA oder China nicht passen – sicher ließe sich eine Mehrheit der Staaten finden, die per Abstimmung etwa die USA zur Zahlung von höheren Klimahilfen verdonnert.
Aktuell haben der Ex-Vizepräsident der USA, Al Gore, und die ehemalige irische Ministerpräsidentin, Mary Robinson, eine Änderung hin zu Mehrheitsentscheidungen gefordert. Der Hintergrund: Nach Berichten von Beobachtern und Delegierten wehren sich auch bei der COP28 vor allem die Länder der arabischen Gruppe um Saudi-Arabien gegen einen Beschluss zum Ende der fossilen Brennstoffe. Etwa 80 bis 85 Prozent der Staaten auf der COP würden einem Ausstieg aus den Fossilen in der einen oder anderen Art zustimmen, heißt es. Nur gebe es eben wegen einiger weniger Staaten keinen Konsens.
Das ist keine Überraschung. Gerade Saudi-Arabien hat eine lange Geschichte, die Klima-Verhandlungen zu verzögern, zu verwässern und zu blockieren. Zusammen mit anderen fossilen Staaten und vielen Partnern aus der Öl- und Gasindustrie haben sich die Saudis auf den COPs den Ruf der Bremser erworben. Sie spielen sehr geschickt mit den Regeln der UN und dafür setzten sie ihre finanzielle und geopolitische Macht ein.
Auch bei der COP28 sah die arabische Gruppe offenbar ihre Interessen bedroht. In einem Brief ermahnte die OPEC ihre Mitglieder, bei der COP28 keine Sprache durchgehen zu lassen, die einen Ausstieg aus den Fossilen beschriebe. Beobachter sahen darin ein Zeichen der Schwäche des Ölkartells. Andere sprechen davon, die arabischen Staaten hätten unterschätzt, wie ernsthaft auf der COP28 um einen echten Ausstieg aus den Fossilen gerungen wird. Viele hätten ihre Volkswirtschaften nicht auf ein Ende der Öleinnahmen eingestellt.
Nach Berichten von Teilnehmern blockierte die arabische Gruppe auch lange die Verhandlungen zum Anpassungsziel (GGA). Denn dort sollte eine Allianz der EU mit den afrikanischen Staaten entstehen, die dann auch beim fossilen Ausstieg tragen sollte. Saudi-Arabien ist dabei nicht allein: Auch Kuwait und Irak reihten sich in die Front der Länder ein, die vor zu schneller Reduktion der Emissionen warnten.
Tatsächlich sind auch und gerade die arabischen Staaten von der Klimakrise und der Erderhitzung besonders bedroht: Studien warnen, dass die Golfstaaten bei weiter zunehmender Erwärmung in einigen Jahrzehnten teilweise unbewohnbar werden könnten. Eine Untersuchung der G20 sieht gerade auch für Saudi-Arabien große Probleme bei steigender Erwärmung.
Dabei sind die 22 Staaten der arabischen Gruppe, die bei den COPs gemeinsam handelt und verhandelt, durchaus verschieden. Es gibt unter ihnen reiche Ölstaaten und arme Länder, Monarchien und Demokratien, Staaten mit extrem hohen Flüchtlingszahlen in der Bevölkerung. Die Gruppe teilt sich auf in die Golfstaaten, die Levante-Länder am Mittelmeer und Nordafrika. Neben internationalen und regionalen Schwergewichten wie Saudi-Arabien, Irak, Ägypten oder den VAE sind auch kleine Petro-Staaten wie Kuwait, Katar und Oman dabei. Staaten wie Sudan, Jordanien oder Palästina haben international wenig Einfluss, sind aber mit den großen Playern über Hilfsleistungen oder gemeinsame geopolitische Interessen bei Konflikten verbunden.
Besonders ist auch das Verhältnis zwischen dem COP-Gastgeber VAE und dem großen Nachbarn Saudi-Arabien. Immer wieder wird spekuliert, wie groß der Einfluss aus Riad auf die VAE und damit auch auf den Kurs der COP-Präsidentschaft ist. Die beiden Länder sind eigentlich politische und militärische Verbündete, stehen aber auch im scharfen wirtschaftlichen Wettbewerb. Während die VAE mit der COP28, den milliardenschweren Investitionen in Erneuerbare und in die Zukunftsstadt Masdar punktet, hat Saudi-Arabien seine “Vision 2030”.
Damit will der Kronprinz Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman sein Land in die Zukunft führen: Die Wirtschaft soll diversifiziert werden. Das Königreich will 2060 klimaneutral sein, das allerdings mit CCS und weiteren Verkäufen von Öl und Gas. Vom Thinktank-Projekt Climate Action Tracker bekommt Saudi-Arabien aber die schlechteste Note “kritisch unzureichend“, weil die Klimapläne als ungenügend und die Technik als “falsche Lösungen” angesehen werden.
Manche Beobachter fragen sich auch, ob Saudi-Arabien dem Konkurrenten und Nachbarn VAE eine erfolgreiche COP wünscht oder nicht. Laut einem Zeitungsbericht jedenfalls ist das Verhältnis der Herrscher zueinander, bin Salman auf der saudischen Seite und sein ehemaliger Mentor Mohammed bin Sayed in den VAE, in der letzten Zeit deutlich abgekühlt – offenbar über einen Streit um Ölförderquoten bei der OPEC.
Alle bisher erschienenen Texte zur COP28 lesen Sie hier.
Herr Steiner, auf der COP27 vor einem Jahr hatten Sie große Sorgen wegen der Schuldenkrise in den Entwicklungsländern. Hat sich die Situation seitdem verbessert?
Nein, sie ist noch akuter geworden im Vergleich zum vergangenen Jahr, weil ja die Zinsraten der größten Kapitalmärkte eher noch nach oben gegangen sind. Die Kosten der Entwicklungsländer für ihre Zinszahlungen sind eher noch größer geworden.
Was bedeutet das für diese Staaten?
In manchen Ländern gibt die Regierung heute mehr für Zinszahlungen für die Auslandsschulden aus als für den Bildungs- und Gesundheitssektor in ihrem Land. Wichtige nationale Einnahmen fließen in den Schuldendienst statt dorthin. Und es gibt einen Punkt, da bekommen diese Länder kein Geld mehr auf den internationalen Kapitalmärkten. Und die Instrumente von IWF und Weltbank sind noch nicht wie versprochen so weit verändert worden, dass sie geeignet wären, das zu lösen.
Viele Länder stehen immer noch vor der Zahlungsunfähigkeit. Wie sollen diese Staaten denn in Klimaschutz investieren?
Wir merken es ja schon daran, dass Investitionen vor allem in Entwicklungsländern und in vielen anderen Ländern zum Teil zurückgegangen sind. Das sagt uns ja auch die internationale Energieagentur IEA. Das ist nicht, weil Länder nicht mehr Energieinfrastruktur bräuchten, nicht mehr Stromversorgung, sondern einfach, weil kein Geld dafür vorhanden ist. Nach unseren Daten sind 48 Länder nur einen Schritt davon entfernt, zahlungsunfähig zu sein. Wenn sie das aber offen zugeben, gehen ihre Kreditraten noch einmal nach oben. Das ist eine enorme Bedrohung für eine Volkswirtschaft und ein Teufelskreis.
Warum gibt es keine internationale Debatte über diese Schuldenfalle?
Für das Weltfinanzsystem ist es keine akute Bedrohung, weil es kleinere Volkswirtschaften sind. Das aber ist zu kurz gedacht. Denn wenn Länder finanziell zusammenbrechen, kann das sehr schnell zu gesellschaftspolitischen Extremen oder Spannungen führen. 40 Prozent der ärmsten Menschen weltweit leben in diesen Ländern. Das heißt, wir haben ein enormes soziales Explosionsrisiko.
Das heißt, die Debatte hier auf der COP über eine Reform der Weltbank und anderer Institutionen geht an diesen Ländern vorbei, weil sie zu klein sind?
Die große Reform der internationalen Finanzarchitektur steht ja noch aus. Und was wir im Moment haben, sind die Notinstrumente aus der Pandemie, kurzfristig mehr Geld auszuzahlen. Nur: Die jetzige Problemlösung verschärft das Problem, weil der Schuldenberg wächst. Hier auf der Klimakonferenz versuchen wir, die Entwicklungsländer davon zu überzeugen, den Übergang in eine kohlenstoffarme Volkswirtschaft der Zukunft noch schneller zu machen. Aber viele können sich die Energiewende schlicht nicht leisten. Sie haben finanziell gesprochen gar nicht den Spielraum für diese Investitionen. Deswegen sind diese internationalen Finanzinstitutionen für die Länder so wichtig.
Was wäre denn hier das beste Ergebnis für diese Länder?
Das Beste wäre ein Beschluss, die Energiewende weltweit voranzutreiben und für ihre Finanzierung auch und gerade in den armen Ländern zu sorgen. Wir brauchen mehr “konzessionäre”, also vergünstigte Kredite. Wir dürfen nicht vergessen, die armen Länder selbst leisten schon heute erstaunliche Investitionen dabei: China, Indien, Brasilien, aber auch Länder wie Uruguay, Kenia und Costa Rica. Was wir hier brauchen, sind Investitionspartnerschaften, wo wir als internationale Gemeinschaft, also die reichen Länder, diesen Staaten zusätzliche Investitionen ermöglichen.
Viele Entwicklungsländer sind bei China verschuldet. Was bedeutet das?
Etwas weniger als ein Drittel der gesamten internationalen Schulden fallen auf China als Kreditgeber zurück. Da will ich gar nicht die Schuldfrage stellen, sondern fragen: Was macht das mit einer Gruppe wie der G77? Die Forderungen werden deshalb immer stärker, das internationale Finanzsystem zu reformieren. Das hat ja auch der UN-Generalsekretär gefordert. Und es war auch bei den G20 kürzlich eine klare Forderung. Auch die USA, lange skeptisch, haben sich da eingereiht. Das heißt, es werden jetzt auch Reformen umgesetzt. Die Frage ist ja immer, wie weit geht man? Wie tiefgreifend werden die Reformen sein?
Bei der Klimapolitik behaupten die Industrieländer oft, sie seien Vorreiter. Aber Sie sagen, es gibt durchaus auch Vorbilder in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Woran denken Sie da?
Ich kann Ihnen Dutzende Beispiele nennen. Nehmen wir mal Uruguay: ein Land mit fast 95 Prozent Stromversorgung aus Erneuerbaren. Das ist nicht irgendwo vom Himmel gefallen, sondern es ist in den letzten 15 Jahren eine konsequente Energiepolitik gewesen. Jetzt hat das Finanzministerium analysiert, wie teuer die Subventionen für Diesel und Benzin für den öffentlichen Nahverkehr sind. Und es zeigt sich: Es ist billiger, die ganze Busflotte des Landes auf elektrisch umzustellen, als weiter die fossilen Subventionen zu zahlen. Das heißt: sie rüsten jetzt um.
Haben Sie noch andere Beispiele?
Nehmen Sie Costa Rica: Das Land hat durch konsequenten Naturschutz und Wiederaufforstung über die letzten Jahrzehnte, seine gesamte Forstfläche auf fast 60 Prozent seiner Fläche ausgebaut. Kenia, das Land, indem ich selber zehn Jahre gelebt habe, hat schon in den 1970er-Jahren begonnen, Geothermie im Rift Valley zu nutzen. Heute ist das das Rückgrat eines Infrastrukturnetzes, das weit über 90 Prozent der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ermöglicht. Zum Glück hat das Land damals nicht auf externe Berater gehört, die davon abgeraten hatten.
Was können die Industrieländer daraus lernen?
Das Wichtigste ist wohl: Alle wissen inzwischen, was der Klimawandel ist und dass er uns zwingt, eine kohlenstoffarme Zukunft zu denken und zu planen. Wir müssen vom hohen Ross herunter, zu denken, die Industrieländer seien diejenigen, die hier agieren. Allein in Indien werden in den nächsten sieben bis acht Jahren wahrscheinlich über 400 Gigawatt erneuerbare Energien ans Netz kommen. Das hat noch kein Land in so kurzer Zeit geschafft. Spannend wird es auch, wenn ein Land wie Namibia heute, auch mit Unterstützung der Bundesregierung, erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff aufbaut – für Energieversorgung und Entwicklung zu Hause und für den Export von ‘grünem Wasserstoff’ nach Deutschland. Hier entsteht ein ganz neuer Markt für die globale Energiewirtschaft.
Gerade in Afrika sagen viele Länder: Wir haben ein Recht auf die fossile Entwicklung, weil wir zum Klimawandel nichts beigetragen haben. Gibt es für diese Länder ein Recht auf fossile Entwicklung?
Wer will ihnen dieses Recht absprechen? Mit welcher Legitimation? Man muss doch sehen, dass viele, die da Einschränkung fordern, selbst zu den größten Öl- und Gasproduzenten der Welt zählen: die Vereinigten Staaten, Kanada, Norwegen, Großbritannien. Die USA produzieren mehr Öl und Gas als jedes andere Land. Kanada hat gerade neue Lizenzen vergeben und Norwegen baut weiter aus. Unsere Aufgabe als Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ist es, afrikanische Länder bei der Entwicklung ihres Energiesektors zu unterstützen – das heißt, erst einmal die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entscheiden.
Was bedeutet das konkret?
Mich würde es überraschen, wenn ein afrikanisches Land sich heute noch für fossile Brennstoffe entscheidet, wenn es für Erneuerbare – zum Beispiel – flankierende Finanzierung aus dem Ausland bekommt. Nur so können sie ihre Industrialisierung nachhaltig gestalten. Kenias Präsident sagt über den afrikanischen Klimawandel etwas, dass die Welt sich sehr viel genauer anhören sollte. Afrika wird vielleicht der erste Kontinent sein, der zuerst eine grüne Energieinfrastruktur braucht, um seine Industrialisierung zu ermöglichen.
Eines der wichtigsten Vorhaben der COP28 ist ein Beschluss, die Kapazitäten von erneuerbaren Energien weltweit bis 2030 zu verdreifachen: Von derzeit 3.600 Gigawatt (2022) müsste dafür die Kapazität auf 11.000 GW (11 Terrawatt) steigen. Bisher haben sich gut 130 Staaten der Initiative zur Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdopplung der Energieeffizienz angeschlossen.
Der Vorschlag spricht gleich mehrere Probleme an:
2023 entstehen laut IEA gut 500 Gigawatt Erneuerbare, 69 Prozent mehr als im letzten Jahr. Geht dieser Trend weiter, ist eine Verdreifachung bis 2030 möglich, schreibt die IEA. Bleibt das Wachstum bei 500 Gigawatt pro Jahr stehen, werde 2030 nur eine Verdopplung erreicht, zeigen Analysen des Energie-Think-Tanks Ember.
Laut IRENA werden die Solar- und Windenergie mit fast 5.500 GW (Solar) und 3.000 GW (Onshore Wind) und knapp 500 GW (Offshore Wind) den größten Anteil an den 11.000 Gigawatt ausmachen.
Für die Umsetzung müsste die Finanzierung vor allem in den Schwellenländern sichergestellt werden. Eine hohe Schuldenlast und stark gestiegene Zinsen erschweren es vielen Staaten, das nötige Kapital für den Ausbau aufzubringen. Außerdem brauche es einen Überwachungsmechanismus wie ein jährliches Monitoring, sagen Ute Collier von IRENA und Dave Jones von Ember.
Auch technisch gibt es Hürden: Während sich die Solarindustrie recht gut entwickelt, sind die Kapazitäten der Windindustrie für das Ziel noch nicht ausreichend, warnt die IEA. Es brauche politische Unterstützung zum Ausbau der Produktionskapazitäten. Auch die Genehmigungsverfahren zum Bau von Windkraftanlagen müssten beschleunigt werden und alle Staaten mehr in den Ausbau der Stromnetze und ein flexibleres Stromsystem investieren.
Neben der Verdreifachung der Erneuerbaren steht auch die Verdopplung der Verbesserung der Energieeffizienz auf der Agenda des COP-Gastgebers, der Least-Developed-Countries, der EU, der USA und vieler anderer Staaten. Laut IRENA kann die Verbesserung der Energieeffizienz ein Viertel der Emissionsminderung bis 2050 bewirken. Sie könnte beispielsweise durch die Elektrifizierung des Verkehrs und Wärmesektors sowie besser isolierte Gebäude und effizientere technische Geräte erreicht werden.
Es wird angestrebt, bis 2030 eine durchschnittliche jährliche Effizienzverbesserung von vier Prozent zu erreichen. Jedes Jahr müsste also vier Prozent weniger Energie aufgewandt werden, um einen Euro Wirtschaftsleistung zu erwirtschaften. Im Jahr 2022 lag die Effizienzsteigerung nur bei zwei Prozent – in den fünf Jahren zuvor sogar nur bei einem Prozent. Mit einer Verbesserung um vier Prozent würde der Primärenergieverbrauch bis 2030 um zehn Prozent abnehmen – bei einem Wirtschaftswachstum von 26 Prozent, wie die IEA vorrechnet.
Auf der COP28 gab Norwegen bekannt, dass es 50 Millionen US-Dollar in den Amazonas-Fonds zum Schutz des brasilianischen Regenwalds investieren will. Mit dieser Finanzspritze erkennt Norwegen auch Brasiliens aktuelle Anstrengungen an, die Entwaldung zu beenden. In den ersten elf Monaten der Regierung von Präsidenten Ignacio Lula da Silva war die Abholzung um rund 50 Prozent zurückgegangen.
Als unter dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro die Abholzungsraten in die Höhe schnellten, hatten die Geber die Gelder des Fonds eingefroren. Entwaldung ist die größte Quelle von Treibhausgasen in Brasilien.
Seit Lula im Amt ist, wurden dem Fonds rund vier Milliarden brasilianische Reais (rund 750 Millionen Euro) versprochen. Norwegen ist mit Abstand der größte Geldgeber für den Fonds, gefolgt von Deutschland. Die Bundesregierung hatte bereits im Januar 35 Millionen Euro zugesagt. Geld kommt zudem unter anderem aus den USA, Großbritannien, der EU, Dänemark und der Schweiz. Der Fonds war 2008 ins Leben gerufen worden, um zusätzliche Mittel für den Regenwaldschutz zu mobilisieren. rtr/kul
Die Liste der Folgen des Klimawandels, die im Senegal – und in vielen anderen Ländern Afrikas – zu spüren sind, ist lang: Extreme Niederschläge, die Zerstörung empfindlicher Ökosysteme, Dürren und Nahrungsmittelunsicherheit. Das Meer frisst die Halbinsel Dakar geradezu auf, verschlingt Häuser und Hotels entlang der hunderte Kilometer langen Küste.
Konzentriert und mit ruhiger Stimme zählt die 54-jährige Madeleine Diouf Sarr die Probleme in ihrem Land auf, 2012 am Rande eines EU-Workshops zum Klimawandel und seiner Bewältigung. Inzwischen, mehr als zehn Jahre später, ist die Senegalesin eine prominente Figur in der Klimaszene geworden.
Seit Januar 2022 und noch bis Ende des Jahres ist sie die Chefin der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries – LDC) und die erste Frau in dieser Rolle überhaupt. Sarr vertritt ihre Interessen bei der internationalen Klimakonferenz COP28.
Im Senegal überwacht sie als technische Koordinatorin die Projekte im Rahmen des Grünen Klimafonds. Außerdem achtet Sarr darauf, dass der Senegal seien Beitrag zum Pariser Abkommen leistet. Sie ist inzwischen Leiterin der Abteilung für Klimawandel im Ministerium für Umwelt und nachhaltige Entwicklung (MEDD).
Sarr studierte Biologie, Umweltingenieurwesen und Ökologie an der Universität in Dakar, zudem in Grenoble, Nancy und Paris. Ihre Karriere startete Sarr im senegalesischen Umweltministerium. Ihre Themen reichten über die Jahre von Wasser- und Luftverschmutzung, über Küstenerosion bis hin zu Fragen des Emissionshandels.
Auch wenn sich die 54-Jährige den Habitus und die Stimme einer erfahrenen Beamtin zugelegt hat, kämpft sie wie früher noch genauso für die Anliegen der ärmsten Länder. Sarr wirkt in ihren vielen öffentlichen Auftritten stets sachlich und gut informiert, ist ansonsten aber sehr zurückhaltend.
Von den 46 am wenigsten entwickelten Staaten liegen 33 auf dem afrikanischen Kontinent, neun in Asien. “Wir haben es mit einer unerbittlichen Realität zu tun: Die am wenigsten entwickelten Länder beherbergen über 14 Prozent der Weltbevölkerung, verursachen jedoch nur ein Prozent der Emissionen. Dennoch tragen wir die größten Kosten der Klimakrise. Die unverhältnismäßigen Auswirkungen der Klimakrise unserer Bevölkerung trotz minimaler Verantwortung sind eine scharfe Ungerechtigkeit”, so Sarr wenige Wochen vor der COP28. Als Chefverhandlerin für die Klimainteressen der ärmsten Länder hat sie gemeinsam mit ihren Ministerkollegen ihre wichtigsten Anliegen in einer Erklärung (The Dakar Declaration) zusammengefasst.
Für die COP fordert Sarr vor allem eine verbindliche Zusage aller Staaten weltweit für massive Einschränkungen der CO₂-Emissionen. Außerdem müsse in großem Stil in erneuerbare Energien investiert werden. “Wir müssen sicherstellen, dass niemand damit alleingelassen wird, mit dieser Krise fertig zu werden”. Den “Global Stocktake”-Mechanismus begrüßt Sarr: Denn er mache sichtbar, wie viel noch getan werden müsse für den Klimaschutz. Auch die Idee von finanziellen Ausgleichszahlungen – einen “Loss and Damage” Fund – unterstützt Sarr. Lucia Weiß aus Dakar
Wale würde man in der arabischen Wüste eher nicht erwarten – nicht mal in einem reichen Ölstaat, dessen fossile Geldquellen viele Absurditäten möglich machen. Doch mitten auf dem COP-Gelände erklingen tatsächlich Töne, die an Walgesänge denken lassen.
Sie kennen das: Der Tag im Büro war wieder mal besonders stressig, der Computer stürzte ständig ab, wichtige Termine platzen, die Kaffeemaschine streikte, und ihre Aufgaben waren unerfüllbar. Vielleicht nicht ganz so unerfüllbar, wie auf einem Klimagipfel den endgültigen Ausstieg aus allen fossilen Energien herbeizuführen – aber Ihnen fällt sicher ein treffendes Beispiel aus Ihrem eigenen Arbeitsalltag ein. Doch sobald Sie nach Feierabend zu Hause die CD mit Ihren Lieblings-Walgesängen einlegen, fällt alle Anspannung von Ihnen ab, und Sie widmen sich gelassen Ihren familiären Pflichten.
Ganz ähnlich verhält es sich auch auf dieser COP. Inmitten des Gipfelgeländes erhebt sich eine offene Kuppel, der sogenannte Dom, der in seinem Innern enorm große Lautsprecher trägt. Sie versenden tagein, tagaus sanfte Melodien. Wer in ihren Bann gerät, wird sofort sediert. Schritte verlangsamen sich, Gesichtszüge werden entspannter, die Sorgen der Welt erscheinen plötzlich ganz unbedeutend.
Anwachsende Emissionen? Ölkonzerne, die obszöne Gewinne einfahren und ihre Produktion mitten in der Klimakrise noch ausweiten? Untergehende Inseln? Der Entwurf eines COP-Abschlusstextes, der auch von der OPEC verfasst sein könnte? In der Nähe des Doms kümmern uns derlei weltliche Dinge kaum. Statt uns zu grämen, treiben wir in Gedanken selig lächelnd auf einem stetig anschwellenden Meeresspiegel.
Nur eines fragen wir uns: Warum hat die COP-Präsidentschaft die sedierenden Klänge nicht längst anderweitig eingesetzt? Man stelle sich das vor: Öl- und Inselstaaten fetzen sich in den Verhandlungen um den fossilen Ausstieg. Da erklingt liebliche Musik – und schon akzeptiert Saudi-Arabien, ganz entspannt im Hier und Jetzt und völlig unabated, den fossil phase out. Oder afrikanische und Industrieländer streiten um Geld für Anpassung – und unter dem Einfluss der selig machenden Klänge öffnen die USA plötzlich ihre Schatullen. (Apropos Schatulle: Wir ahnen, dass die Strategie auch anderswo erfolgreich angewandt werden könnte, und schicken an dieser Stelle ganz liebe Grüße nach Berlin.)
Unser dringender Appell an den Gipfelpräsidenten: Eure Exzellenz, besinnen Sie sich auf die heilende Kraft der Musik! Leiten Sie die Walgesänge direkt in die Verhandlungsräume, und schließen dann die Türen, bis drinnen alle zu wirklichen Fortschritten bereit sind. Dann könnte diese COP vielleicht doch noch ein wahrhaft historisches Ergebnis für das Klima bringen. ae