das Aufatmen am Beginn der Woche war auf der ganzen Welt zu hören: Seit sich Brasilien gegen den Regenwald-Zerstörer Jair Bolsonaro als Präsidenten entschieden hat, keimt wieder Hoffnung in der Klima-Gemeinde. Ob sein Vor-vor-Vorgänger und Nachfolger Lula den Amazonas-Regenwald allerdings retten kann, liegt auch an Europa, finanziellen Hilfen und an Lieferketten ohne Produkte aus dem Raubbau, sagt Brasiliens bekanntester Klimaforscher Carlos Nobre in unserem Interview.
In den USA dagegen halten gerade viele den Atem an. Am 8. November, dem zweiten Tag der COP27, stimmen dort die Menschen bei den “Midterm”-Wahlen indirekt auch über Joe Bidens ehrgeizige Klima-Agenda ab. Welche Konsequenzen das haben wird, hat unser US-Kollege Bill Dawson aufgeschlüsselt.
Und dann holen wir tief Luft, wenn nächste Woche die 27. Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh beginnt. Was als konstruktive “Umsetzungs-COP” geplant war, wird unter den geopolitischen Spannungen wieder einmal zur Bewährungsprobe für die internationale Kooperation und dafür, wie ernsthaft die Versprechen von Paris gemeint sind. Wir berichten darüber, wie hinter den COP-Kulissen bereits der Kampf um mehr Gas tobt – und zwar trotz aller Versprechen der Dekarbonisierung. Wir kümmern uns um das entscheidende Thema “Verlust und Schäden” und wir stellen den Dirigenten der COP27 vor.
Das Team von Climate.Table jedenfalls freut sich auf zwei atemlose Wochen. Wir begleiten die Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen im täglichen Rhythmus und bleiben dran. Und wir liefern Ihnen die Informationen und Hintergründe, die das Wirrwarr der Konferenz verständlich machen.
Behalten Sie einen langen Atem!
Auf der Klimakonferenz von Sharm el Sheikh zeichnet sich ein scharfer Gegensatz ab: offizielle Verhandlungen über die Senkung der CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen – und inoffizielle Diskussionen über die Ausweitung der Gasproduktion, vor allem in Afrika.
In Vorbereitung auf die COP27 hatte die Afrikanische Union bereits im Juli gefordert, “alle Formen seiner reichlichen Energieressourcen inklusive erneuerbare und nicht erneuerbarer einzusetzen, um dem Energiebedarf zu begegnen.” Der zuständige Kommissar der Afrikanischen Union für Infrastruktur und Energie, Amani Abou-Zeid, erklärte, es sei an der Zeit, sich “bei der COP27 für günstige Ergebnisse und konkrete Investitionen in Energie und Infrastruktur” einzusetzen.
Die Gruppe der afrikanischen Klimaverhandler (ANG) lehnte diesen Vorstoß allerdings ab – er sei zu kontrovers und lenke von wichtigeren Verhandlungen, etwa bei Finanzen ab. Auch Ägypten als COP-Präsidentschaft wollte das Treffen nicht mit dem Thema belasten. Aber die Stimmen für mehr afrikanisches Gas werden lauter – während Klima- und Umweltgruppen vor einer “Gas-COP” warnen.
Afrika ist ein Kontinent der Energiearmut: Rund 600 Millionen Menschen, 43 Prozent der afrikanischen Bevölkerung, haben nach offiziellen Angaben keinen Zugang zur Stromversorgung. Etwa 970 Millionen Menschen fehlt die Möglichkeit, ohne die Verbrennung von Holz und Tierdung zu kochen. Dabei wäre “moderne Energie” für alle Afrikaner bis 2030 vergleichsweise günstig zu organisieren: Investitionen von 25 Milliarden Dollar jährlich, etwa ein Prozent der weltweiten Energie-Investitionen, würden laut Internationaler Energieagentur (IEA) dafür ausreichen. Und 500.000 vorzeitige Todesfälle jährlich durch Luftverschmutzung verhindern.
Afrika verfügt über große Lagerstätten von Öl und Gas. Viele Vorkommen sind noch unerschlossen. Allein 5.000 Milliarden Kubikmeter Gas sind derzeit entdeckt, werden aber noch nicht ausgebeutet. Sie könnten nach einem Nachhaltigkeits-Szenario der IEA die Industrialisierung des Kontinents über die Dünge-, Zement- und Stahlindustrie sowie die Entsalzung von Meerwasser vorantreiben. Zum Vergleich: Die EU verbrauchte 2021 etwa 400 Milliarden Kubikmeter.
Fünf Staaten machen die große Mehrheit der Erdgas-Reserven auf dem Kontinent aus: Allein Nigeria und Algerien sitzen auf mehr als der Hälfte des fossilen Rohstoffs. Gleichzeitig ist Afrika der Kontinent mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien: Wind, Solar, Wasser und Geothermie haben ein “riesiges Potenzial”, schreibt die Internationale Erneuerbaren Energien-Agentur IRENA. Gleichzeitig gehen demnach aber nur zwei Prozent der globalen Investitionen in diesem Bereich nach Afrika.
Den Ruf nach mehr afrikanischem Gas erheben nicht nur die Regierungen. Vor der COP:
Gegen diese Pläne machen Klimaschützer und Thinktanks mobil. Sie weisen auch darauf hin, dass Afrika bereits jetzt überproportional unter dem Klimawandel leidet. Die Temperaturen haben sich schneller erhöht als im globalen Durchschnitt, die Landwirtschaft ist schwer betroffen. Und häufig tauchen die afrikanischen Opfer des Klimawandels in der globalen Öffentlichkeit kaum auf: Allein 2022 starben auf dem Kontinent mindestens 4.000 Menschen durch klimabedingte Extremwetter wie Stürme, Dürren und Überflutungen.
Amos Wemanya von der Organisation Powershift Africa in Nairobi befürchtet: “Diese afrikanische COP, die die Situation des Kontinents in den Blick nehmen soll, könnte damit enden, dass Afrikas Probleme noch verschlimmert werden”. Er warnt vor weniger Energiesicherheit, größerer Abhängigkeit vom Export und mehr CO2-Emissionen, wenn die Gaspläne Wirklichkeit werden.
Andere häufige Argumente der Gegner:
Die Kritiker der Pläne für mehr Gas aus Afrika haben sich inzwischen organisiert:
Um die akuten Gasprobleme in Europa zu lösen, lenkt die Internationale Energieagentur (IEA) den Blick auf mehr Effizienz bei der Gasversorgung: “Weniger Gas abzufackeln und in die Luft zu entlassen, könnte schnell mindestens zehn Milliarden Kubikmeter für den Export verfügbar machen, ohne die Entwicklung von neuer Infrastruktur für Versorgung und Transport”, heißt es in einem Bericht zu Afrikas Energie.
Wenn die COP27 in Ägypten ihren zweiten Tag hat, bestimmten die Wähler in den USA alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und 34 von 100 Mitgliedern des Senats neu. Umfragen deuten darauf hin, dass die Republikaner die Kontrolle über ein oder beide Häuser übernehmen könnten, die derzeit in demokratischer Hand sind.
Das würde auch die Klima- und Energiepolitik von Präsident Joe Biden beeinflussen. Er hat seit Amtsantritt im Januar 2021 den klimafeindlichen Kurs seines Vorgängers Donald Trump dramatisch korrigiert. Auf Bidens Anordnungen in den ersten Tagen seiner Amtszeit folgten drei wichtige Gesetze, die den Übergang der Nation zu sauberer Energie finanzieren:
Wie es mit der Klimapolitik in den USA weitergeht, hängt vor allem an den neuen Mehrheiten im Kongress. Diese Schlüsselfragen werden entscheidend sein:
Das IRA hat im Wahlkampf die meiste Kritik der Republikaner auf sich gezogen, die sich vor allem gegen die Maßnahmen für mehr Steuereinnahmen richtete. Ihre größte Kritik: Die Einstellung von 87.000 neuen Steuerbeamten.
Allerdings könnten die Republikaner weniger Aufmerksamkeit auf das Infrastruktur- und das CHIPS-Gesetz lenken. Denn beide wurden mit einem ungewöhnlich hohen Maß an parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet. Das Infrastrukturgesetz erhielt 13 republikanische Stimmen im Repräsentantenhaus und 19 im Senat; 17 republikanische Senatoren und 24 Republikaner im Repräsentantenhaus stimmten für das CHIPS-Gesetz.
Die Tatsache, dass es sich bei dem IRA-Gesetz um ein Haushaltsgesetz handelt, macht es schwieriger, es anzugreifen. Republikanische Abgeordnete erklärten kürzlich gegenüber Reportern, dass es “fast unmöglich” sei, die für das Gesetz bewilligten Mittel zurückzunehmen, solange Biden Präsident ist, wie E&E News berichtet.
Die Republikaner sprechen von einem gezielteren Angriff, der auf bestimmte gesetzliche Bestimmungen abzielt. Eine erwartete Methode ist eine Welle von Ausschuss-Anhörungen, die die Umsetzung der Gesetze verlangsamen oder beeinflussen könnten.
Einige der angekündigten Angriffsziele wurden bereits bekannt gegeben. Eines davon ist ein 4,5-Milliarden-Dollar-Rabattprogramm im Rahmen des IRA, das Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen dabei helfen soll, von Gas auf Strom umzusteigen, um zu Hause zu heizen.
Die Republikaner haben auch angekündigt, dass sie ihre eigenen Klimagesetze einbringen werden, allerdings ohne Treibhausgasziele. Ihr traditioneller Ansatz würde neben erneuerbaren Energien, Kernkraft, Kohlenstoffabscheidung und Wasserstoff auch heimisches Öl und Gas fördern.
Die Republikaner haben bei ihrer Kritik ein strategisches Problem: Wahrscheinlich wird die massive Klimaförderung durch das IRA an Popularität gewinnen, je mehr Begünstigte sie in Anspruch nehmen. Die Gelder fließen sowohl in republikanisch als auch in demokratisch regierte Bundesstaaten. Das macht es komplizierter, das Gesetz in Washington zu attackieren. Allerdings könnten zahlreiche republikanische Staats- und Kommunalbeamte es ablehnen, IRA-Zuschüsse zu beantragen. Auch über diese Frage werden am 8. November die Wahlen in den Bundesstaaten und Kommunen im ganzen Land mitentscheiden.
Der IRA “macht an und für sich nicht viel. Er stellt Geld zur Verfügung”, sagte Amy Turner, eine leitende Mitarbeiterin der Cities Climate Law Initiative des Sabin Center for Climate Change Law der Columbia University in New York City. “Der größte Teil der Umsetzung wird nicht auf Bundesebene erfolgen“, sagte sie. “Sie wird von den Staaten, den lokalen Regierungen, den indigenen Gemeinschaften und den privaten Unternehmen erfolgen, die die in den verschiedenen Bewilligungen vorgesehenen Mittel einsetzen.”
Ein möglicher Hinweis, wie populär der Geldsegen aus Washington ist: Die Nachfrage nach den Mitteln des Infrastrukturgesetzes für elektrische und andere saubere Schulbusse war so groß, dass die Behörden die Ausgaben für das erste der fünf Jahre des Programms auf fast eine Milliarde Dollar verdoppelt haben.
“Ich gehe davon aus, dass der Inflation Reduction Act auch in einem republikanischen Kongress Bestand haben wird“, sagt Dan Cohan, ein Experte für Klimawissenschaften und -politik an der Rice University in Houston. “Anreize für saubere Energie sind populär, und die Umsetzung von Kreditprogrammen und anderen Bestimmungen liegt in den Händen der Biden-Administration.”
Gewinnen die Republikaner die Kontrolle über eines oder beide Häuser des Kongresses, könnte das auch die Klimaschutzpläne der Regierung Biden verzögern. Ein mögliches Ziel könnte eine neue Strategie zur Reduzierung der Emissionen von Kohlekraftwerken sein. Der ursprüngliche Clean Power Plan der Obama-Regierung war durch Rechtsstreitigkeiten blockiert und dann von der Trump-Regierung aufgegeben worden. Eine neue Initiative in diese Richtung würde nun die finanziellen Anreize des IRA für eine sauberere Stromerzeugung ergänzen. Aber sie könnte erneut vor den Gerichten landen. Bill Dawson aus Houston
Herr Nobre, Lula hat versprochen, die Entwaldung des brasilianischen Amazonas-Regenwalds auf null zu senken. Wird jetzt für das Klima alles gut?
Lula hat schon einmal viel für den Wald getan. Als er die Präsidentschaft im Jahr 2003 antrat, hatte Brasilien eine überaus hohe Entwaldungsrate. Mit seiner damaligen Umweltministerin Marina Silva hat Lula dann eine sehr wirksame Politik gegen die illegale Entwaldung ins Leben gerufen. Sie führte dazu, dass die Entwaldung zwischen 2004 und 2012, dem ersten Jahr unter der Präsidentschaft von Dilma Rousseff, sehr stark fiel, und bis 2014 blieben die Raten auf niedrigem Niveau. Es war sehr couragiert, dass Lula jetzt angekündigt hat, die Entwaldung nicht nur zu senken – er möchte sie auf null bringen. Das wäre wunderbar.
Was macht sie so optimistisch, dass Lula das schafft? Die brasilianischen Umweltbehörden sind stark geschwächt, die Opposition im Parlament ist einflussreich, im Amazonas-Regenwald selbst herrscht vielerorts die organisierte Kriminalität.
Ich sage nicht, dass es leicht wird. Nein: Es ist eine große Herausforderung. Aber Lula weiß, wie es geht. Und die Bevölkerung wird ihn unterstützen. In Umfragen geben regelmäßig mehr als 80 oder gar 90 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer an, dass sie für den Erhalt des Amazonasregenwalds sind, die Anhängerschaft Bolsonaros eingeschlossen. Der allergrößte Teil der Entwaldung im Amazonasgebiet ist illegal. Es wird also darauf ankommen, die Gesetze durchzusetzen. Lula muss gegen die illegalen Goldsucher vorgehen, gegen Wildtierschmuggel und Land Grabbing. Ihm ist das schon einmal gelungen. Es wird ein Kampf, aber ich bin zuversichtlich.
Im brasilianischen Parlament ist die Opposition sehr stark. Gerade die Vertreter des Agrobusiness sind dort sehr einflussreich. Wie kann Lula sich gegen sie durchsetzen?
Die Repräsentanten des Agrobusiness werden auf eine weitere Ausweitung von Acker- und Weideland drängen. Aber sie haben die Bevölkerung gegen sich. Das kann Lula für sich nutzen, darin ist er gut. Das Ausland kann ihn ebenfalls unterstützen.
Inwiefern?
Wenn Europa wie geplant ein Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten verabschiedet, das konsequent jeden Import von Produkten aus der Abholzung verbietet, egal aus welchem Herkunftsgebiet, dann wird das der Waldschutzpolitik von Präsident Lula viel Gewicht verleihen. Und es wird die kleine Fraktion moderner Landwirte in Brasilien stärken. Importiert Europa keine Produkte aus Entwaldung, und schließen die USA, das Vereinigte Königreich und China sich an, dann wird die nachhaltige Landwirtschaft auf kleinen Flächen in Brasilien wirtschaftlich und politisch wichtiger.
Sie sagen, die Bevölkerung möchte den Regenwald erhalten. Aber im Wahlkampf spielte der Klimaschutz kaum eine Rolle. Soziale und wirtschaftliche Fragen waren wichtiger.
Die Debatte kreist in Brasilien gewöhnlich stärker um die Dinge, die für die Menschen im Alltag wichtig sind: ihr Wohlergehen, ihre Existenzgrundlage, Korruption, Gewalt. Seit der Pandemie sind im Land 33 Millionen Menschen stark unterernährt, und weitere 30 Millionen leben in Ernährungsunsicherheit, das ist natürlich ein wichtiges Thema.
Doch obwohl das Klima in unseren Wahlkämpfen keine sehr große Rolle spielt, sagen in Umfragen besonders viele Brasilianerinnen und Brasilianer, sie seien wegen des Klimanotstands besorgt, mehr als in vergleichbaren Umfragen in Deutschland, den USA, Japan, Australien oder China. Aber ich glaube, wir haben kein Gefühl dafür, was wir politisch oder als Konsumenten bewirken könnten. Das brasilianische Bildungssystem schafft dafür keine Grundlagen.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Menschen hier zum Beispiel kein Fleisch mehr aus Entwaldungsgebieten konsumieren würden, würden sie sehr viel erreichen. Drei Viertel der Fleischproduktion aus dem Amazonasgebiet wird auf dem heimischen Markt verkauft. Nur ein Viertel geht in den Export, das meiste nach China. Ich habe in Deutschland gesehen, wie Kundinnen im Supermarkt per QR-Code prüften, ob Hühnerfleisch von freilaufenden Tieren stammte. In Brasilien sind wir noch nicht soweit.
Lula hat gute Beziehungen zur Ölindustrie. Wie passt das zu seinen Klimaplänen?
Im Ölsektor arbeiten bei uns Zigtausende Menschen, und für sie muss es eine Zukunft geben. Ich erwarte, dass Lula eine Debatte darüber beginnt, wie man den Wandel weg von den fossilen hin zu den erneuerbaren Energien in 10 oder 20 Jahren schaffen kann. Denn nur so kann Brasilien seine Treibhausgasemissionen auf wirklich auf null senken, und das ist der einzige Weg, den globalen Klimanotstand zu bekämpfen. Wir haben ein gewaltiges Potenzial für Wasserkraft, Wind- und Solarenergie. Sie schaffen bessere Jobs, mehr gesellschaftliches Wohlergehen, sind billiger. Aber es wird nicht leicht, den Übergang zu schaffen.
Sie sagen, dass Brasilien Milliarden von Dollar aus dem Ausland braucht, um den Regenwald zu retten. Wie kann sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich für nachhaltigen Waldschutz verwendet wird? Dass es nicht in korrupte Kanäle fließt, oder Bäume beschützt, die dann doch gefällt werden?
Durch Satelliten für das Monitoring des Waldes und eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Geldflüsse. Dank moderner Technologie können wir heutzutage selbst aus großer Distanz feststellen, wenn der Wald brennt oder jemand Bäume fällt. So etwas ist essenziell wichtig. Daneben brauchen wir einen rechtlichen Rahmen. Die Amazonasländer könnten für die Schaffung eines Finanzierungsmechanismus eine Partnerschaft eingehen, und sie müssten sich dabei strengen Regeln unterwerfen. Das würde das Risiko von Korruption sehr stark senken.
Was erwarten Sie von der COP27?
Wir brauchen die Unterstützung der wohlhabenden Länder, und zwar nicht nur durch finanzielle Zuwendungen, sondern auch durch einen globalen Handel von Kohlenstoffzertifikaten, wenn Artikel sechs des Pariser Abkommens auf der COP27 und vielleicht der darauf folgenden COP28 finalisiert wird.
Ich werde auf der COP27 mit anderen Wissenschaftlern des Science Panel for the Amazon, dessen Co-Chair ich bin, einen Vorschlag für ein riesiges Waldschutzprojekt präsentieren. Sein Ziel wird sein, 100 Millionen Hektar Waldfläche im Amazonasgebiet zu restaurieren – darunter vollständig entwaldete Gebiete, aber auch Flächen mit degradiertem Wald. Damit können wir jährlich mehr als eine Milliarde Tonne CO2 aus der Atmosphäre holen, 30 Jahre lang. Wir können das sehr schnell umsetzen. Aber dafür brauchen wir zig Milliarden Dollar oder Euro. Das ist eine Investition, die sich auch für die Geberländer lohnt: nicht nur, um diese Mengen an CO2 aus der Atmosphäre zu holen, sondern auch, um den Amazonas-Regenwald vor dem Kippen zu bewahren.
Eine ausführlichere Version des Interviews finden Sie hier.
Carlos Nobre ist ein Erdsystemwissenschaftler und Meteorologe aus Brasilien. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Amazonas-Regenwald und seinem Einfluss auf das Erdsystem. Er ist der Co-Vorsitzende des Science Panel for the Amazon und führt das Projekt Amazônia 4.0, dessen Ziel es ist, den Wald auf nachhaltige Art im Einklang mit den Bedürfnissen des Ökosystems zu nutzen.
3. November, 15-16 Uhr (CET), online
Veröffentlichung Report The State of Climate Action in 2022
Der “State of Climate Action”-Report, der vom System Change Lab erstellt wurde, wird veröffentlicht. Kurz vor der COP27 soll er auch als Orientierung für die Verhandlungen der Klimakonferenz dienen. Zur Veröffentlichung gibt es auch eine Podiumsdiskussion. INFOS
4. November, 16-17.30 Uhr, Gelsenkirchen
Vortrag und Diskussion Energiewende: Klimaschutz und Klimafolgenanpassung vor Ort
Die Folgen der Klimakrise werden auch für Städte und Kommunen immer sichtbarer – und zu einer Herausforderung. Bei dem Event möchte die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Klimaschutzmanagern darüber diskutieren, wie Klimaschutz und Klimafolgeadaption ganz praktisch auf kommunalen Level aussehen kann. INFOS
5. November, 18-20 Uhr, Straußberg
Vortrag und Diskussion Klimakrise – Tesla – Straussee: wie düster sieht der grüne Kapitalismus aus?
Bei der Diskussion soll das Konzept des “Green New Deal” kritisch betrachtet werden. Als Beispiel wird dabei der Fall von Tesla in Grünheide herangezogen. Gäste für die Diskussion sind die Autorin Valeria Bruschi und der Aktivist Steffen Schorcht. INFOS
7-18. November, Sharm el-Sheikh, Ägypten
Klimakonferenz COP27
Die UN-Klimakonferenz COP27 (United Nations Framework Convention on Climate Change, 27th Conference of the Parties – COP27) hätte eigentlich bereits 2021 stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Coronapandemie verschoben. Rund um die COP finden zahlreiche Begleitevents statt. INFOS
8. November, Vereinigte Staaten
Wahlen Midterm Elections
Bei den Midterm Elections in den Vereinigten Staaten wird der gesamte Kongress und ein Teil des Senats gewählt.
10. November, 15-19 Uhr, Berlin
Workshop Die extreme Rechte zwischen Klimawandelleugnung und Klimanationalismus,
Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte in diesem Workshop aufzeigen, welche Positionen rechte Akteure und Akteurinnen rund ums Thema Klima haben. Oftmals bedienen sich diese Verschwörungstheorien. Der Workshop will dazu auch eine Gegenperspektive der Klimagerechtigkeit aufzeigen. INFOS
Wissenschaftler und Umweltgruppen warnen vor einer unterschätzten Gefahr für das Weltklima und die Ozonschicht. Weltweit sind Emissionen von verschiedenen Fluorchlor-Kohlenwasserstoffen (FCKW) aus unbekannten Quellen entdeckt worden, berichtet die aktuelle “wissenschaftliche Einschätzung des Ozon-Abbaus 2022”, die unter anderem von der Weltorganisation für Meteorologie WMO und das UN-Umweltprogramm UNEP herausgeben wird. Die Stoffe schädigen die Schutzschicht und heizen die Atmosphäre teilweise deutlich stärker auf als Kohlendioxid.
Vom 31. Oktober bis 4. November findet im kanadischen Montreal die 34. Vertragsstaatenkonferenz des Montreal Protokolls (MOP34) statt. Der völkerrechtliche Vertrag regelt seit 1987 das Ende der ozonschädigenden Substanzen in der Atmosphäre, die als Schutzschicht gegen ultraviolette Strahlung dient. Das Protokoll gilt als einer der erfolgreichsten völkerrechtlichen Verträge zum Umweltschutz.
Auf der Tagesordnung der MOP34 steht auch die Befassung mit “andauernden Emissionen von FCKW”. Dazu warnt der Jahresbericht: “Ungeklärte Emissionen wurden für ozonschädigende Substanzen wie FCKW-13, 112a, 113a, 114a, 115 und Tetrachlormethan-4 ebenso wie für Fluorkohlenwasserstoff-23 identifiziert”. Weiter heißt es: “Einige dieser ungeklärten Emissionen sind wahrscheinlich auf das Austreten von Rohstoffen oder Nebenprodukten zurückzuführen, der Rest ist nicht bekannt.”
Die Substanzen schädigen nicht nur die Ozonschicht, sondern tragen auch zur Erhitzung der Atmosphäre bei, indem sie die Abstrahlung von Wärme von der Erde ins Weltall verringern. Insgesamt, so eine Berechnung der Rechercheorganisation “Environmental Investigation Agency” entsprechen diese Emissionen einem Erwärmungspotenzial von etwa 670 Millionen Tonnen CO2 jährlich. (Deutschland: etwa 870 Mio Tonnen).
“Die Alarmglocken der wachsenden wissenschaftlichen Beweise sind nicht zu ignorieren”, kommentiert Avipsa Mahapatra von der Klimakampagne der Environmental Investigation Agency U.S. (EIA) die Befunde. “Die Produktion von menschengemachten Fluorchemikalien führt zu großen unkontrollierten Emissionen gefährlicher Gase, die die Ozonschicht des Planeten beschädigen und die Klimakrise verschlimmern.”
Die Reduktion und das Ende von Fluorchlor-Kohlenwasserstoffen (FCKW) durch das Montreal-Protokoll gelten als effektiver Schutz auch gegen die Erhitzung der Atmosphäre. Durch das Verbot der Substanzen blieben dem Planeten bis etwa 2050 0,5 bis 1 Grad Celsius Erwärmung erspart, kalkulieren WMO und UNEP. Durch die Maßnahmen werde sich die Ozonschicht über weiten Teilen der Welt bis etwa 2040 wieder regeneriert haben. In der Arktis (2045) und der Antarktis (2066) werde das noch länger dauern.
Wenn das Kigali-Protokoll zur weiteren Eindämmung von ozonschädigenden Chemikalien umgesetzt werde, so die wissenschaftliche Abschätzung, könne das weitere 0,3 bis 0,5 Grad Erwärmung bis 2100 verhindern. Bislang ist die Welt laut UN auf einem Kurs zu 2,5 Grad Erwärmung (Climate Table berichtete).
Die Autoren der “wissenschaftlichen Einschätzung” warnen in ihrem Bericht allerdings auch vor neuen Risiken für die Ozonschicht:
Hinzu kommt: wichtige Messinstrumente in der oberen Atmosphäre würden “in den nächsten Jahren” außer Dienst gestellt, was zu Lücken in wichtigen Datenreihen führen könne. bpo
Die Versprechen der Staaten für ihre Klimaneutralität beruhen auf unrealistischen Mengen landbasierter Kohlenstoffspeicherung. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren des ersten “Land Gap Report”, der am Donnerstag veröffentlicht wird. Die gesamte Landfläche, die laut Meldungen der UN-Mitgliedsstaaten für die geplante biologische Einlagerung von Kohlenstoff benötigt werde, betrage knapp 1,2 Milliarden Hektar, heißt es in der vorab veröffentlichten Zusammenfassung. Eine Fläche größer als die der USA (983 Millionen Hektar) und in etwa so groß wie die des derzeit global genutzten Ackerlandes.
Die Kritik der Autoren: Klimaneutralitätsversprechen der Länder seien auf ein Netto-Null-Ziel ausgerichtet, das häufig auf CO2-Speicherung durch Biomasse beruhe, statt auf der Vermeidung von CO2-Emissionen. Natürlicher CO2-Abbau würde so zum Ausgleich einer “theoretisch gleichwertigen Menge an Emissionen aus fossilen Brennstoffen in nationalen Treibhausgasinventaren” herangezogen. Das berge die Gefahr, CO2-Minderungsmaßnahmen zu untergraben.
Insbesondere fordern die Autoren die Gesetzgeber weltweit auf, die Bilanzierung von Emissionsminderungen und -abbau klarer zu regeln. Aktuell würden die Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, der industriellen Landwirtschaft und der Holzernte in diesen Programmen allein durch den Wiederaufwuchs von Wäldern ausgeglichen. Dabei könne das Pflanzen neuer Bäume den Verlust bestehender Primärwälder nicht ausgleichen.
“Das Abholzen von ausgewachsenen Bäumen in der Erwartung, dass sie wieder nachwachsen, führt zu einer jahrzehntelangen Kohlenstoffschuld, da der in der Landschaft gespeicherte Kohlenstoff dauerhaft verringert und der Bestand in der Atmosphäre erhöht wird”, schreiben die Autoren. In den Bilanzen auf dem Weg zur Klimaneutralität müssten demnach “klarere und genauere Informationen über die tatsächlichen Auswirkungen der verschiedenen Minderungsmaßnahmen” stehen.
Zudem fordern die Forscherinnen und Forscher, dass auch die Landrechte indigener Völker stärker berücksichtigt werden. Diese seien durch die Flächennutzungspläne zur natürlichen CO2-Speicherung gefährdet, heißt es. Ohnehin sei es erwiesen, dass indigene Völker mit gesicherten Landrechten sowohl staatlichen als auch privaten Landbesitzer bei der Vermeidung von Entwaldung sowie der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion weit voraus sind.
Der Land Gap Report wurde von Wissenschaftlern, unter anderem der Universitäten in Melbourne, Lund und Kopenhagen, sowie dem Center for International Forestry Research und dem Third World Network erstellt. luk
Die Produktion von Fleisch und anderen Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist für 16,5 bis 20 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Ein Forschungsteam des Stockholm Environment Institute zeigt in einer neuen Studie auf, wie ein “Gerechter Übergang” im Fleisch-Sektor der reichen Staaten aussehen könnte. Laut den Studien-Autoren muss der weltweite Fleischkonsum sinken, um die Pariser Klimaziele einhalten zu können.
Um die öffentliche Zustimmung zu einer solche Transformation zu erhöhen, sei es wichtig, “proaktiv mit den verschiedenen Interessengruppen der Fleisch-Industrie zusammenzuarbeiten”, sagt die Hauptautorin der Studie Cleo Verkuijl. Um das zu erreichen, müssten verschiedene Interessen miteinander vereinbart werden:
Um diese Interessen möglichst zusammenzubringen und die Fleischproduktion und den -konsum in reichen Ländern zu senken, schlagen die Forscher fünf Maßnahmen vor:
Die Wissenschaftler drängen zu schnellem Handeln. “Die Zeit ist knapp, deshalb muss eine proaktive Planung für einen gerechten Übergang unserer Lebensmittelsysteme jetzt beginnen”, sagt Verkuijl. nib
Das Fachportal Carbon Brief hat die “Global South Climate Database” veröffentlicht. Die Datenbank listet 400 Expertinnen und Experten aus dem Bereich Klima und Energie aus 80 Ländern aus Asien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik. Das Tool soll Journalisten und andere Interessierte bei der Recherche unterstützen.
Die Datenbank enthält:
Das Ziel der Initiative ist es, Stimmen aus dem Globalen Süden in der Klimadebatte mehr Gehör zu verschaffen. In einer Analyse hatte Carbon Brief herausgefunden, dass die Klimawissenschaft von Männern aus dem Globalen Norden dominiert wird. 90 Prozent der Autoren der 100 meistzitierten klimawissenschaftlichen Arbeiten, die zwischen 2016 und 2020 veröffentlicht wurden, stammten demnach von Organisationen aus den traditionellen Industrieländern. Die Datenbank wird vom Oxford Climate Journalism Network des Reuters Institute unterstützt. nib
Bald findet im ägyptischen Sharm el Sheikh die COP27 statt, die 27. Konferenz der Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Es wird die erste COP der neuen Ära von Loss and Damage sein, der Schäden und Verluste durch den vom Menschen verursachten Klimawandel.
Der Anfang des Jahres veröffentlichte sechste Sachstandsbericht (AR6) des Weltklimarats IPCC war ein entscheidender Meilenstein. Zum ersten Mal seit dreißig Jahren lieferte er eindeutige Beweise für die Folgen des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als ein Grad Celsius, der auf den Anstieg von Treibhausgasemissionen seit der industriellen Revolution vor über einem Jahrhundert zurückzuführen ist.
Das bedeutet, dass jedes einzelne Extremwetterereignis, etwa Überschwemmungen, Wirbelstürme, Hitzewellen, Dürren und Waldbrände, keine reinen Naturereignisse mehr sind. Sie haben sich durch den vom Menschen verursachten Klimawandel verschärft.
Um nur einige Beispiele aus den vergangenen Wochen zu nennen: Auf die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan folgten Hurrikan Ian, der über Florida in den USA wütete, sowie noch nie dagewesene Überschwemmungen in Nigeria. Im Sommer herrschte in Europa eine extreme Hitzewelle. Für viele dieser Ereignisse konnten Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ermitteln, wie groß der prozentuale Anteil der daraus folgenden Schäden ist, der auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann.
Angesichts dieser neuen Realität muss die COP27 über die Finanzierung von Schäden und Verlusten diskutieren, wenn die UNFCCC weiterhin Bedeutung haben soll. Unter der Führung Pakistans haben die Entwicklungsländer einen Tagesordnungspunkt zur Finanzierung von Schäden und Verlusten auf der COP27 eingebracht. Er wurde als vorläufiger Punkt auf die Agenda gesetzt. Endgültig auf die Tagesordnung des Gipfels aufgenommen werden kann er nur, wenn kein Land Einwände dagegen erhebt, denn alle Entscheidungen im Rahmen der UNFCCC müssen einstimmig getroffen werden. Sollte sich also eine Gruppe von Ländern gegen diesen Tagesordnungspunkt aussprechen, wird er nicht auf die Agenda der COP27 gelangen.
Wenn das geschieht, wäre die COP27 aus meiner Sicht bereits gescheitert, bevor sie offiziell begonnen hat.
Sollte hingegen der Tagesordnungspunkt über die Finanzierung von Klimaschäden und Verlusten angenommen werden, erwarten wir eine fundierte Debatte darüber, wie ein gutes Ergebnis erzielt werden kann. Dazu müssen zahlreiche berechtigte Fragen geklärt werden, zum Beispiel: Wie viele Finanzmittel werden benötigt? Woher könnten sie kommen? Wer würde sie verwalten? Wer erhält sie?
Dies sind alles völlig legitime Fragen. Man sollte sie unter Berücksichtigung verschiedener Möglichkeiten diskutieren. Zu ihnen gehört auch der “Globale Schutzschirm gegen Klimarisiken” (Climate.Table berichtete), der von den G7 und dem Zusammenschluss gefährdeter Entwicklungsländer V20 gemeinsam mit anderen entwickelt wurde.
Der Schutzschirm könnte die Opfer von Klimaschäden und -verlusten, im UN-Jargon Loss and Damage, sicherlich unterstützen. Aber er müsste schnellstmöglich einsatzbereit sein, um auch den Opfern von bereits eingetretenen Katastrophen zu helfen. Gleichzeitig hoffen wir, dass Deutschland auch den von Entwicklungsländern eingebrachten Vorschlag zur Schaffung einer Finanzierungsfazilität für Schäden und Verluste im Rahmen des UNFCCC unterstützen wird.
Aus meiner Sicht wäre es ein positives Ergebnis des Klimagipfels, wenn sich alle Parteien am Ende der COP27 auf die Einführung einer Finanzierungsfazilität für Schäden und Verluste (FFLD) einigen würden. Anschließend sollten sie sich ein weiteres Jahr Zeit nehmen, um über die bestmögliche Umsetzung zu beraten und sich dann auf der COP28 in Abu Dhabi auf die Details zu einigen.
Denn auf diese Weise werden Entscheidungen im Rahmen des UNFCCC getroffen und ausgearbeitet. Ein gutes Beispiel ist das Santiago Network on Loss and Damage (SNLD), das 2019 in den letzten Minuten der COP25 im spanischen Madrid beschlossen wurde. Diese Entscheidung enthielt zwar keine Einzelheiten. Aber während der COP26 in Glasgow im Jahr 2021 haben wir zwei Wochen damit verbracht, die genaue Umsetzung auszuarbeiten. Man einigte sich auf ein Format für die Schaffung der SNLD und auf ihr Mandat. Daraufhin bot Deutschland zehn Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus der SNLD an.
Es wäre wünschenswert, wenn man sich im Rahmen der COP27 auf die Schaffung des FFLD einigen würde, um dann im nächsten Jahr auf der COP28 in Abu Dhabi die Details zu beschließen.
Saleemul Huq ist ein in London lebender Klimawissenschaftler aus Bangladesch, Berater von Regierungen und erfahrener Teilnehmer aller bisheriger UN-Klimagipfel. Er arbeitet als ICCCAD-Direktor und Senior Fellow am International Institute for Environment and Development in London. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Auswirkungen des Klimawandels auf die am stärksten gefährdeten Länder, die Anpassung an den Klimawandel sowie Loss and Damage.
Gut eine Woche vor Beginn der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Urlaubsort Scharm El-Scheich dreht Sameh Hassan Shoukry eine Runde über das Konferenzgelände. Pressefotos zeigen den 70-Jährigen im Gespräch mit Arbeitern. Er trägt ein kurzärmeliges, graues Poloshirt, eine Hand steckt in der Hosentasche, mit der anderen gestikuliert er. Er wirkt nahbar, interessiert, aufgeschlossen. Wie ein Architekt, der seine Baustelle besucht. “Die ägyptische COP27-Präsidentschaft ist bereit, die Weltklimagemeinschaft im November in Sharm El Sheich zu empfangen”, ist seine Botschaft im Anschluss dieses Besuchs.
Die Erwartungen, die dieser Tage auf ihm ruhen, sind hoch. Das Motto der COP lautet “Together for Implementation – Gemeinsam für die Umsetzung”. Doch selten waren die Umstände so schlecht für weltweite Zusammenarbeit gegen die Klimakrise wie heute. Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Energiepreisinflation, die Nahrungsmittelkrise, hohe Schulden nach der Pandemie, die Spannungen zwischen den USA und China – all das erschwert ein gemeinsames und entschlossenes Handeln gegen die Klimabedrohungen.
Vor seiner Ernennung zum COP-Präsidenten zu Beginn dieses Jahres ist Shoukry mit Klimathemen nicht in Erscheinung getreten. “Shoukry ist ein Karrierediplomat mit jahrzehntelanger Erfahrung”, sagt Lutz Weischer von Germanwatch. Das ist allerdings nicht die schlechteste Voraussetzung, findet er.
Die Aufgabe eines COP-Präsidenten sei es, eine gute Verhandlungsatmosphäre zu schaffen und Kompromisse zu ermöglichen, aber auch dafür zu sorgen, dass am Ende nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner übrigbleibe. Die Erfahrung von Jahrzehnten im Dienst der Diplomatie kann da sicher hilfreich sein.
Shoukry spart im Vorfeld der Klimakonferenz nicht mit Kritik an den Industrieländern, die ihre finanziellen Zusagen für Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern bisher nicht eingehalten haben. Die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels hat er zu seiner Priorität gemacht.
“Diese Kritik ist durchaus berechtigt”, sagt Lutz Weischer. Doch um ein erfolgreicher COP-Präsident zu sein, dürfe der Fokus nicht allein auf den Themen Anpassung an den Klimawandel und Wiedergutmachung von Schäden und Verlusten liegen. “Shoukry muss sich noch deutlicher äußern zu den klimapolitischen Ambitionen und ehrgeizige Ziele im Bereich der Emmissionsminderung formulieren”, fordert Weischer.
Ein Jahr nach Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Ain-Shams-Universität in Kairo beginnt 1976 Shoukry seine Karriere als Attaché des Außenministeriums in Kairo. Nach Stationen in London, Buenos Aires und Wien, ist von 2005 bis 2008 ständiger Vertreter Ägyptens bei den Vereinten Nationen in Genf. 2008 schließlich wird er Botschafter Ägyptens in den Vereinigten Staaten.
Während in seiner Heimat der Arabische Frühling den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 aus dem Amt fegt, bleibt Shoukry noch bis 2012 in Washington. “Während des Aufstands von 2011 war Shoukry der Inbegriff eines ruhigen, pragmatischen Denkens, das die Forderungen nach Demokratie unterstützte. Im gleichen Atemzug sprach er sich jedoch für die Beteiligung des Militärs an der Politik aus, um Chaos zu verhindern”, heißt es in einem Artikel über Shoukry in The Africa Report. “Seine pragmatische Art und sein ruhiger diplomatischer Ansatz verhalfen ihm jedoch nicht zu einem Sitz in der kurzlebigen Post-Mubarak-Regierung von Mohammed Mursi”, heißt es weiter. 2014 schließlich holt Abdel Fattah el-Sisi nach seiner Machtübernahme den erfahrenen Diplomaten Shoukry als Außenminister in die ägyptische Regierung.
Über das Privatleben des Karrierediplomaten Shoukry ist wenig bekannt. Seine Ehefrau Suzy Shoukry ist laut Presseberichten ebenfalls in diplomatischen und karitativen Kreisen aktiv. Gemeinsam haben sie zwei Söhne.
Allein muss Shoukry die COP27 jedoch nicht stemmen. Bei seiner anspruchsvollen Aufgabe kann er etwa auf die Erfahrung von Umweltministerin Yasmine Fouad setzen, die ihm als “Ministerielle Koordinatorin und Gesandte” zur Seite steht. Sie verfügt über mehr als 18 Jahre Erfahrung in den Bereichen Umwelt und internationale Zusammenarbeit. Ulrike Christl
das Aufatmen am Beginn der Woche war auf der ganzen Welt zu hören: Seit sich Brasilien gegen den Regenwald-Zerstörer Jair Bolsonaro als Präsidenten entschieden hat, keimt wieder Hoffnung in der Klima-Gemeinde. Ob sein Vor-vor-Vorgänger und Nachfolger Lula den Amazonas-Regenwald allerdings retten kann, liegt auch an Europa, finanziellen Hilfen und an Lieferketten ohne Produkte aus dem Raubbau, sagt Brasiliens bekanntester Klimaforscher Carlos Nobre in unserem Interview.
In den USA dagegen halten gerade viele den Atem an. Am 8. November, dem zweiten Tag der COP27, stimmen dort die Menschen bei den “Midterm”-Wahlen indirekt auch über Joe Bidens ehrgeizige Klima-Agenda ab. Welche Konsequenzen das haben wird, hat unser US-Kollege Bill Dawson aufgeschlüsselt.
Und dann holen wir tief Luft, wenn nächste Woche die 27. Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh beginnt. Was als konstruktive “Umsetzungs-COP” geplant war, wird unter den geopolitischen Spannungen wieder einmal zur Bewährungsprobe für die internationale Kooperation und dafür, wie ernsthaft die Versprechen von Paris gemeint sind. Wir berichten darüber, wie hinter den COP-Kulissen bereits der Kampf um mehr Gas tobt – und zwar trotz aller Versprechen der Dekarbonisierung. Wir kümmern uns um das entscheidende Thema “Verlust und Schäden” und wir stellen den Dirigenten der COP27 vor.
Das Team von Climate.Table jedenfalls freut sich auf zwei atemlose Wochen. Wir begleiten die Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen im täglichen Rhythmus und bleiben dran. Und wir liefern Ihnen die Informationen und Hintergründe, die das Wirrwarr der Konferenz verständlich machen.
Behalten Sie einen langen Atem!
Auf der Klimakonferenz von Sharm el Sheikh zeichnet sich ein scharfer Gegensatz ab: offizielle Verhandlungen über die Senkung der CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen – und inoffizielle Diskussionen über die Ausweitung der Gasproduktion, vor allem in Afrika.
In Vorbereitung auf die COP27 hatte die Afrikanische Union bereits im Juli gefordert, “alle Formen seiner reichlichen Energieressourcen inklusive erneuerbare und nicht erneuerbarer einzusetzen, um dem Energiebedarf zu begegnen.” Der zuständige Kommissar der Afrikanischen Union für Infrastruktur und Energie, Amani Abou-Zeid, erklärte, es sei an der Zeit, sich “bei der COP27 für günstige Ergebnisse und konkrete Investitionen in Energie und Infrastruktur” einzusetzen.
Die Gruppe der afrikanischen Klimaverhandler (ANG) lehnte diesen Vorstoß allerdings ab – er sei zu kontrovers und lenke von wichtigeren Verhandlungen, etwa bei Finanzen ab. Auch Ägypten als COP-Präsidentschaft wollte das Treffen nicht mit dem Thema belasten. Aber die Stimmen für mehr afrikanisches Gas werden lauter – während Klima- und Umweltgruppen vor einer “Gas-COP” warnen.
Afrika ist ein Kontinent der Energiearmut: Rund 600 Millionen Menschen, 43 Prozent der afrikanischen Bevölkerung, haben nach offiziellen Angaben keinen Zugang zur Stromversorgung. Etwa 970 Millionen Menschen fehlt die Möglichkeit, ohne die Verbrennung von Holz und Tierdung zu kochen. Dabei wäre “moderne Energie” für alle Afrikaner bis 2030 vergleichsweise günstig zu organisieren: Investitionen von 25 Milliarden Dollar jährlich, etwa ein Prozent der weltweiten Energie-Investitionen, würden laut Internationaler Energieagentur (IEA) dafür ausreichen. Und 500.000 vorzeitige Todesfälle jährlich durch Luftverschmutzung verhindern.
Afrika verfügt über große Lagerstätten von Öl und Gas. Viele Vorkommen sind noch unerschlossen. Allein 5.000 Milliarden Kubikmeter Gas sind derzeit entdeckt, werden aber noch nicht ausgebeutet. Sie könnten nach einem Nachhaltigkeits-Szenario der IEA die Industrialisierung des Kontinents über die Dünge-, Zement- und Stahlindustrie sowie die Entsalzung von Meerwasser vorantreiben. Zum Vergleich: Die EU verbrauchte 2021 etwa 400 Milliarden Kubikmeter.
Fünf Staaten machen die große Mehrheit der Erdgas-Reserven auf dem Kontinent aus: Allein Nigeria und Algerien sitzen auf mehr als der Hälfte des fossilen Rohstoffs. Gleichzeitig ist Afrika der Kontinent mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien: Wind, Solar, Wasser und Geothermie haben ein “riesiges Potenzial”, schreibt die Internationale Erneuerbaren Energien-Agentur IRENA. Gleichzeitig gehen demnach aber nur zwei Prozent der globalen Investitionen in diesem Bereich nach Afrika.
Den Ruf nach mehr afrikanischem Gas erheben nicht nur die Regierungen. Vor der COP:
Gegen diese Pläne machen Klimaschützer und Thinktanks mobil. Sie weisen auch darauf hin, dass Afrika bereits jetzt überproportional unter dem Klimawandel leidet. Die Temperaturen haben sich schneller erhöht als im globalen Durchschnitt, die Landwirtschaft ist schwer betroffen. Und häufig tauchen die afrikanischen Opfer des Klimawandels in der globalen Öffentlichkeit kaum auf: Allein 2022 starben auf dem Kontinent mindestens 4.000 Menschen durch klimabedingte Extremwetter wie Stürme, Dürren und Überflutungen.
Amos Wemanya von der Organisation Powershift Africa in Nairobi befürchtet: “Diese afrikanische COP, die die Situation des Kontinents in den Blick nehmen soll, könnte damit enden, dass Afrikas Probleme noch verschlimmert werden”. Er warnt vor weniger Energiesicherheit, größerer Abhängigkeit vom Export und mehr CO2-Emissionen, wenn die Gaspläne Wirklichkeit werden.
Andere häufige Argumente der Gegner:
Die Kritiker der Pläne für mehr Gas aus Afrika haben sich inzwischen organisiert:
Um die akuten Gasprobleme in Europa zu lösen, lenkt die Internationale Energieagentur (IEA) den Blick auf mehr Effizienz bei der Gasversorgung: “Weniger Gas abzufackeln und in die Luft zu entlassen, könnte schnell mindestens zehn Milliarden Kubikmeter für den Export verfügbar machen, ohne die Entwicklung von neuer Infrastruktur für Versorgung und Transport”, heißt es in einem Bericht zu Afrikas Energie.
Wenn die COP27 in Ägypten ihren zweiten Tag hat, bestimmten die Wähler in den USA alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und 34 von 100 Mitgliedern des Senats neu. Umfragen deuten darauf hin, dass die Republikaner die Kontrolle über ein oder beide Häuser übernehmen könnten, die derzeit in demokratischer Hand sind.
Das würde auch die Klima- und Energiepolitik von Präsident Joe Biden beeinflussen. Er hat seit Amtsantritt im Januar 2021 den klimafeindlichen Kurs seines Vorgängers Donald Trump dramatisch korrigiert. Auf Bidens Anordnungen in den ersten Tagen seiner Amtszeit folgten drei wichtige Gesetze, die den Übergang der Nation zu sauberer Energie finanzieren:
Wie es mit der Klimapolitik in den USA weitergeht, hängt vor allem an den neuen Mehrheiten im Kongress. Diese Schlüsselfragen werden entscheidend sein:
Das IRA hat im Wahlkampf die meiste Kritik der Republikaner auf sich gezogen, die sich vor allem gegen die Maßnahmen für mehr Steuereinnahmen richtete. Ihre größte Kritik: Die Einstellung von 87.000 neuen Steuerbeamten.
Allerdings könnten die Republikaner weniger Aufmerksamkeit auf das Infrastruktur- und das CHIPS-Gesetz lenken. Denn beide wurden mit einem ungewöhnlich hohen Maß an parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet. Das Infrastrukturgesetz erhielt 13 republikanische Stimmen im Repräsentantenhaus und 19 im Senat; 17 republikanische Senatoren und 24 Republikaner im Repräsentantenhaus stimmten für das CHIPS-Gesetz.
Die Tatsache, dass es sich bei dem IRA-Gesetz um ein Haushaltsgesetz handelt, macht es schwieriger, es anzugreifen. Republikanische Abgeordnete erklärten kürzlich gegenüber Reportern, dass es “fast unmöglich” sei, die für das Gesetz bewilligten Mittel zurückzunehmen, solange Biden Präsident ist, wie E&E News berichtet.
Die Republikaner sprechen von einem gezielteren Angriff, der auf bestimmte gesetzliche Bestimmungen abzielt. Eine erwartete Methode ist eine Welle von Ausschuss-Anhörungen, die die Umsetzung der Gesetze verlangsamen oder beeinflussen könnten.
Einige der angekündigten Angriffsziele wurden bereits bekannt gegeben. Eines davon ist ein 4,5-Milliarden-Dollar-Rabattprogramm im Rahmen des IRA, das Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen dabei helfen soll, von Gas auf Strom umzusteigen, um zu Hause zu heizen.
Die Republikaner haben auch angekündigt, dass sie ihre eigenen Klimagesetze einbringen werden, allerdings ohne Treibhausgasziele. Ihr traditioneller Ansatz würde neben erneuerbaren Energien, Kernkraft, Kohlenstoffabscheidung und Wasserstoff auch heimisches Öl und Gas fördern.
Die Republikaner haben bei ihrer Kritik ein strategisches Problem: Wahrscheinlich wird die massive Klimaförderung durch das IRA an Popularität gewinnen, je mehr Begünstigte sie in Anspruch nehmen. Die Gelder fließen sowohl in republikanisch als auch in demokratisch regierte Bundesstaaten. Das macht es komplizierter, das Gesetz in Washington zu attackieren. Allerdings könnten zahlreiche republikanische Staats- und Kommunalbeamte es ablehnen, IRA-Zuschüsse zu beantragen. Auch über diese Frage werden am 8. November die Wahlen in den Bundesstaaten und Kommunen im ganzen Land mitentscheiden.
Der IRA “macht an und für sich nicht viel. Er stellt Geld zur Verfügung”, sagte Amy Turner, eine leitende Mitarbeiterin der Cities Climate Law Initiative des Sabin Center for Climate Change Law der Columbia University in New York City. “Der größte Teil der Umsetzung wird nicht auf Bundesebene erfolgen“, sagte sie. “Sie wird von den Staaten, den lokalen Regierungen, den indigenen Gemeinschaften und den privaten Unternehmen erfolgen, die die in den verschiedenen Bewilligungen vorgesehenen Mittel einsetzen.”
Ein möglicher Hinweis, wie populär der Geldsegen aus Washington ist: Die Nachfrage nach den Mitteln des Infrastrukturgesetzes für elektrische und andere saubere Schulbusse war so groß, dass die Behörden die Ausgaben für das erste der fünf Jahre des Programms auf fast eine Milliarde Dollar verdoppelt haben.
“Ich gehe davon aus, dass der Inflation Reduction Act auch in einem republikanischen Kongress Bestand haben wird“, sagt Dan Cohan, ein Experte für Klimawissenschaften und -politik an der Rice University in Houston. “Anreize für saubere Energie sind populär, und die Umsetzung von Kreditprogrammen und anderen Bestimmungen liegt in den Händen der Biden-Administration.”
Gewinnen die Republikaner die Kontrolle über eines oder beide Häuser des Kongresses, könnte das auch die Klimaschutzpläne der Regierung Biden verzögern. Ein mögliches Ziel könnte eine neue Strategie zur Reduzierung der Emissionen von Kohlekraftwerken sein. Der ursprüngliche Clean Power Plan der Obama-Regierung war durch Rechtsstreitigkeiten blockiert und dann von der Trump-Regierung aufgegeben worden. Eine neue Initiative in diese Richtung würde nun die finanziellen Anreize des IRA für eine sauberere Stromerzeugung ergänzen. Aber sie könnte erneut vor den Gerichten landen. Bill Dawson aus Houston
Herr Nobre, Lula hat versprochen, die Entwaldung des brasilianischen Amazonas-Regenwalds auf null zu senken. Wird jetzt für das Klima alles gut?
Lula hat schon einmal viel für den Wald getan. Als er die Präsidentschaft im Jahr 2003 antrat, hatte Brasilien eine überaus hohe Entwaldungsrate. Mit seiner damaligen Umweltministerin Marina Silva hat Lula dann eine sehr wirksame Politik gegen die illegale Entwaldung ins Leben gerufen. Sie führte dazu, dass die Entwaldung zwischen 2004 und 2012, dem ersten Jahr unter der Präsidentschaft von Dilma Rousseff, sehr stark fiel, und bis 2014 blieben die Raten auf niedrigem Niveau. Es war sehr couragiert, dass Lula jetzt angekündigt hat, die Entwaldung nicht nur zu senken – er möchte sie auf null bringen. Das wäre wunderbar.
Was macht sie so optimistisch, dass Lula das schafft? Die brasilianischen Umweltbehörden sind stark geschwächt, die Opposition im Parlament ist einflussreich, im Amazonas-Regenwald selbst herrscht vielerorts die organisierte Kriminalität.
Ich sage nicht, dass es leicht wird. Nein: Es ist eine große Herausforderung. Aber Lula weiß, wie es geht. Und die Bevölkerung wird ihn unterstützen. In Umfragen geben regelmäßig mehr als 80 oder gar 90 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer an, dass sie für den Erhalt des Amazonasregenwalds sind, die Anhängerschaft Bolsonaros eingeschlossen. Der allergrößte Teil der Entwaldung im Amazonasgebiet ist illegal. Es wird also darauf ankommen, die Gesetze durchzusetzen. Lula muss gegen die illegalen Goldsucher vorgehen, gegen Wildtierschmuggel und Land Grabbing. Ihm ist das schon einmal gelungen. Es wird ein Kampf, aber ich bin zuversichtlich.
Im brasilianischen Parlament ist die Opposition sehr stark. Gerade die Vertreter des Agrobusiness sind dort sehr einflussreich. Wie kann Lula sich gegen sie durchsetzen?
Die Repräsentanten des Agrobusiness werden auf eine weitere Ausweitung von Acker- und Weideland drängen. Aber sie haben die Bevölkerung gegen sich. Das kann Lula für sich nutzen, darin ist er gut. Das Ausland kann ihn ebenfalls unterstützen.
Inwiefern?
Wenn Europa wie geplant ein Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten verabschiedet, das konsequent jeden Import von Produkten aus der Abholzung verbietet, egal aus welchem Herkunftsgebiet, dann wird das der Waldschutzpolitik von Präsident Lula viel Gewicht verleihen. Und es wird die kleine Fraktion moderner Landwirte in Brasilien stärken. Importiert Europa keine Produkte aus Entwaldung, und schließen die USA, das Vereinigte Königreich und China sich an, dann wird die nachhaltige Landwirtschaft auf kleinen Flächen in Brasilien wirtschaftlich und politisch wichtiger.
Sie sagen, die Bevölkerung möchte den Regenwald erhalten. Aber im Wahlkampf spielte der Klimaschutz kaum eine Rolle. Soziale und wirtschaftliche Fragen waren wichtiger.
Die Debatte kreist in Brasilien gewöhnlich stärker um die Dinge, die für die Menschen im Alltag wichtig sind: ihr Wohlergehen, ihre Existenzgrundlage, Korruption, Gewalt. Seit der Pandemie sind im Land 33 Millionen Menschen stark unterernährt, und weitere 30 Millionen leben in Ernährungsunsicherheit, das ist natürlich ein wichtiges Thema.
Doch obwohl das Klima in unseren Wahlkämpfen keine sehr große Rolle spielt, sagen in Umfragen besonders viele Brasilianerinnen und Brasilianer, sie seien wegen des Klimanotstands besorgt, mehr als in vergleichbaren Umfragen in Deutschland, den USA, Japan, Australien oder China. Aber ich glaube, wir haben kein Gefühl dafür, was wir politisch oder als Konsumenten bewirken könnten. Das brasilianische Bildungssystem schafft dafür keine Grundlagen.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Menschen hier zum Beispiel kein Fleisch mehr aus Entwaldungsgebieten konsumieren würden, würden sie sehr viel erreichen. Drei Viertel der Fleischproduktion aus dem Amazonasgebiet wird auf dem heimischen Markt verkauft. Nur ein Viertel geht in den Export, das meiste nach China. Ich habe in Deutschland gesehen, wie Kundinnen im Supermarkt per QR-Code prüften, ob Hühnerfleisch von freilaufenden Tieren stammte. In Brasilien sind wir noch nicht soweit.
Lula hat gute Beziehungen zur Ölindustrie. Wie passt das zu seinen Klimaplänen?
Im Ölsektor arbeiten bei uns Zigtausende Menschen, und für sie muss es eine Zukunft geben. Ich erwarte, dass Lula eine Debatte darüber beginnt, wie man den Wandel weg von den fossilen hin zu den erneuerbaren Energien in 10 oder 20 Jahren schaffen kann. Denn nur so kann Brasilien seine Treibhausgasemissionen auf wirklich auf null senken, und das ist der einzige Weg, den globalen Klimanotstand zu bekämpfen. Wir haben ein gewaltiges Potenzial für Wasserkraft, Wind- und Solarenergie. Sie schaffen bessere Jobs, mehr gesellschaftliches Wohlergehen, sind billiger. Aber es wird nicht leicht, den Übergang zu schaffen.
Sie sagen, dass Brasilien Milliarden von Dollar aus dem Ausland braucht, um den Regenwald zu retten. Wie kann sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich für nachhaltigen Waldschutz verwendet wird? Dass es nicht in korrupte Kanäle fließt, oder Bäume beschützt, die dann doch gefällt werden?
Durch Satelliten für das Monitoring des Waldes und eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Geldflüsse. Dank moderner Technologie können wir heutzutage selbst aus großer Distanz feststellen, wenn der Wald brennt oder jemand Bäume fällt. So etwas ist essenziell wichtig. Daneben brauchen wir einen rechtlichen Rahmen. Die Amazonasländer könnten für die Schaffung eines Finanzierungsmechanismus eine Partnerschaft eingehen, und sie müssten sich dabei strengen Regeln unterwerfen. Das würde das Risiko von Korruption sehr stark senken.
Was erwarten Sie von der COP27?
Wir brauchen die Unterstützung der wohlhabenden Länder, und zwar nicht nur durch finanzielle Zuwendungen, sondern auch durch einen globalen Handel von Kohlenstoffzertifikaten, wenn Artikel sechs des Pariser Abkommens auf der COP27 und vielleicht der darauf folgenden COP28 finalisiert wird.
Ich werde auf der COP27 mit anderen Wissenschaftlern des Science Panel for the Amazon, dessen Co-Chair ich bin, einen Vorschlag für ein riesiges Waldschutzprojekt präsentieren. Sein Ziel wird sein, 100 Millionen Hektar Waldfläche im Amazonasgebiet zu restaurieren – darunter vollständig entwaldete Gebiete, aber auch Flächen mit degradiertem Wald. Damit können wir jährlich mehr als eine Milliarde Tonne CO2 aus der Atmosphäre holen, 30 Jahre lang. Wir können das sehr schnell umsetzen. Aber dafür brauchen wir zig Milliarden Dollar oder Euro. Das ist eine Investition, die sich auch für die Geberländer lohnt: nicht nur, um diese Mengen an CO2 aus der Atmosphäre zu holen, sondern auch, um den Amazonas-Regenwald vor dem Kippen zu bewahren.
Eine ausführlichere Version des Interviews finden Sie hier.
Carlos Nobre ist ein Erdsystemwissenschaftler und Meteorologe aus Brasilien. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Amazonas-Regenwald und seinem Einfluss auf das Erdsystem. Er ist der Co-Vorsitzende des Science Panel for the Amazon und führt das Projekt Amazônia 4.0, dessen Ziel es ist, den Wald auf nachhaltige Art im Einklang mit den Bedürfnissen des Ökosystems zu nutzen.
3. November, 15-16 Uhr (CET), online
Veröffentlichung Report The State of Climate Action in 2022
Der “State of Climate Action”-Report, der vom System Change Lab erstellt wurde, wird veröffentlicht. Kurz vor der COP27 soll er auch als Orientierung für die Verhandlungen der Klimakonferenz dienen. Zur Veröffentlichung gibt es auch eine Podiumsdiskussion. INFOS
4. November, 16-17.30 Uhr, Gelsenkirchen
Vortrag und Diskussion Energiewende: Klimaschutz und Klimafolgenanpassung vor Ort
Die Folgen der Klimakrise werden auch für Städte und Kommunen immer sichtbarer – und zu einer Herausforderung. Bei dem Event möchte die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Klimaschutzmanagern darüber diskutieren, wie Klimaschutz und Klimafolgeadaption ganz praktisch auf kommunalen Level aussehen kann. INFOS
5. November, 18-20 Uhr, Straußberg
Vortrag und Diskussion Klimakrise – Tesla – Straussee: wie düster sieht der grüne Kapitalismus aus?
Bei der Diskussion soll das Konzept des “Green New Deal” kritisch betrachtet werden. Als Beispiel wird dabei der Fall von Tesla in Grünheide herangezogen. Gäste für die Diskussion sind die Autorin Valeria Bruschi und der Aktivist Steffen Schorcht. INFOS
7-18. November, Sharm el-Sheikh, Ägypten
Klimakonferenz COP27
Die UN-Klimakonferenz COP27 (United Nations Framework Convention on Climate Change, 27th Conference of the Parties – COP27) hätte eigentlich bereits 2021 stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Coronapandemie verschoben. Rund um die COP finden zahlreiche Begleitevents statt. INFOS
8. November, Vereinigte Staaten
Wahlen Midterm Elections
Bei den Midterm Elections in den Vereinigten Staaten wird der gesamte Kongress und ein Teil des Senats gewählt.
10. November, 15-19 Uhr, Berlin
Workshop Die extreme Rechte zwischen Klimawandelleugnung und Klimanationalismus,
Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte in diesem Workshop aufzeigen, welche Positionen rechte Akteure und Akteurinnen rund ums Thema Klima haben. Oftmals bedienen sich diese Verschwörungstheorien. Der Workshop will dazu auch eine Gegenperspektive der Klimagerechtigkeit aufzeigen. INFOS
Wissenschaftler und Umweltgruppen warnen vor einer unterschätzten Gefahr für das Weltklima und die Ozonschicht. Weltweit sind Emissionen von verschiedenen Fluorchlor-Kohlenwasserstoffen (FCKW) aus unbekannten Quellen entdeckt worden, berichtet die aktuelle “wissenschaftliche Einschätzung des Ozon-Abbaus 2022”, die unter anderem von der Weltorganisation für Meteorologie WMO und das UN-Umweltprogramm UNEP herausgeben wird. Die Stoffe schädigen die Schutzschicht und heizen die Atmosphäre teilweise deutlich stärker auf als Kohlendioxid.
Vom 31. Oktober bis 4. November findet im kanadischen Montreal die 34. Vertragsstaatenkonferenz des Montreal Protokolls (MOP34) statt. Der völkerrechtliche Vertrag regelt seit 1987 das Ende der ozonschädigenden Substanzen in der Atmosphäre, die als Schutzschicht gegen ultraviolette Strahlung dient. Das Protokoll gilt als einer der erfolgreichsten völkerrechtlichen Verträge zum Umweltschutz.
Auf der Tagesordnung der MOP34 steht auch die Befassung mit “andauernden Emissionen von FCKW”. Dazu warnt der Jahresbericht: “Ungeklärte Emissionen wurden für ozonschädigende Substanzen wie FCKW-13, 112a, 113a, 114a, 115 und Tetrachlormethan-4 ebenso wie für Fluorkohlenwasserstoff-23 identifiziert”. Weiter heißt es: “Einige dieser ungeklärten Emissionen sind wahrscheinlich auf das Austreten von Rohstoffen oder Nebenprodukten zurückzuführen, der Rest ist nicht bekannt.”
Die Substanzen schädigen nicht nur die Ozonschicht, sondern tragen auch zur Erhitzung der Atmosphäre bei, indem sie die Abstrahlung von Wärme von der Erde ins Weltall verringern. Insgesamt, so eine Berechnung der Rechercheorganisation “Environmental Investigation Agency” entsprechen diese Emissionen einem Erwärmungspotenzial von etwa 670 Millionen Tonnen CO2 jährlich. (Deutschland: etwa 870 Mio Tonnen).
“Die Alarmglocken der wachsenden wissenschaftlichen Beweise sind nicht zu ignorieren”, kommentiert Avipsa Mahapatra von der Klimakampagne der Environmental Investigation Agency U.S. (EIA) die Befunde. “Die Produktion von menschengemachten Fluorchemikalien führt zu großen unkontrollierten Emissionen gefährlicher Gase, die die Ozonschicht des Planeten beschädigen und die Klimakrise verschlimmern.”
Die Reduktion und das Ende von Fluorchlor-Kohlenwasserstoffen (FCKW) durch das Montreal-Protokoll gelten als effektiver Schutz auch gegen die Erhitzung der Atmosphäre. Durch das Verbot der Substanzen blieben dem Planeten bis etwa 2050 0,5 bis 1 Grad Celsius Erwärmung erspart, kalkulieren WMO und UNEP. Durch die Maßnahmen werde sich die Ozonschicht über weiten Teilen der Welt bis etwa 2040 wieder regeneriert haben. In der Arktis (2045) und der Antarktis (2066) werde das noch länger dauern.
Wenn das Kigali-Protokoll zur weiteren Eindämmung von ozonschädigenden Chemikalien umgesetzt werde, so die wissenschaftliche Abschätzung, könne das weitere 0,3 bis 0,5 Grad Erwärmung bis 2100 verhindern. Bislang ist die Welt laut UN auf einem Kurs zu 2,5 Grad Erwärmung (Climate Table berichtete).
Die Autoren der “wissenschaftlichen Einschätzung” warnen in ihrem Bericht allerdings auch vor neuen Risiken für die Ozonschicht:
Hinzu kommt: wichtige Messinstrumente in der oberen Atmosphäre würden “in den nächsten Jahren” außer Dienst gestellt, was zu Lücken in wichtigen Datenreihen führen könne. bpo
Die Versprechen der Staaten für ihre Klimaneutralität beruhen auf unrealistischen Mengen landbasierter Kohlenstoffspeicherung. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren des ersten “Land Gap Report”, der am Donnerstag veröffentlicht wird. Die gesamte Landfläche, die laut Meldungen der UN-Mitgliedsstaaten für die geplante biologische Einlagerung von Kohlenstoff benötigt werde, betrage knapp 1,2 Milliarden Hektar, heißt es in der vorab veröffentlichten Zusammenfassung. Eine Fläche größer als die der USA (983 Millionen Hektar) und in etwa so groß wie die des derzeit global genutzten Ackerlandes.
Die Kritik der Autoren: Klimaneutralitätsversprechen der Länder seien auf ein Netto-Null-Ziel ausgerichtet, das häufig auf CO2-Speicherung durch Biomasse beruhe, statt auf der Vermeidung von CO2-Emissionen. Natürlicher CO2-Abbau würde so zum Ausgleich einer “theoretisch gleichwertigen Menge an Emissionen aus fossilen Brennstoffen in nationalen Treibhausgasinventaren” herangezogen. Das berge die Gefahr, CO2-Minderungsmaßnahmen zu untergraben.
Insbesondere fordern die Autoren die Gesetzgeber weltweit auf, die Bilanzierung von Emissionsminderungen und -abbau klarer zu regeln. Aktuell würden die Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, der industriellen Landwirtschaft und der Holzernte in diesen Programmen allein durch den Wiederaufwuchs von Wäldern ausgeglichen. Dabei könne das Pflanzen neuer Bäume den Verlust bestehender Primärwälder nicht ausgleichen.
“Das Abholzen von ausgewachsenen Bäumen in der Erwartung, dass sie wieder nachwachsen, führt zu einer jahrzehntelangen Kohlenstoffschuld, da der in der Landschaft gespeicherte Kohlenstoff dauerhaft verringert und der Bestand in der Atmosphäre erhöht wird”, schreiben die Autoren. In den Bilanzen auf dem Weg zur Klimaneutralität müssten demnach “klarere und genauere Informationen über die tatsächlichen Auswirkungen der verschiedenen Minderungsmaßnahmen” stehen.
Zudem fordern die Forscherinnen und Forscher, dass auch die Landrechte indigener Völker stärker berücksichtigt werden. Diese seien durch die Flächennutzungspläne zur natürlichen CO2-Speicherung gefährdet, heißt es. Ohnehin sei es erwiesen, dass indigene Völker mit gesicherten Landrechten sowohl staatlichen als auch privaten Landbesitzer bei der Vermeidung von Entwaldung sowie der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion weit voraus sind.
Der Land Gap Report wurde von Wissenschaftlern, unter anderem der Universitäten in Melbourne, Lund und Kopenhagen, sowie dem Center for International Forestry Research und dem Third World Network erstellt. luk
Die Produktion von Fleisch und anderen Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist für 16,5 bis 20 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Ein Forschungsteam des Stockholm Environment Institute zeigt in einer neuen Studie auf, wie ein “Gerechter Übergang” im Fleisch-Sektor der reichen Staaten aussehen könnte. Laut den Studien-Autoren muss der weltweite Fleischkonsum sinken, um die Pariser Klimaziele einhalten zu können.
Um die öffentliche Zustimmung zu einer solche Transformation zu erhöhen, sei es wichtig, “proaktiv mit den verschiedenen Interessengruppen der Fleisch-Industrie zusammenzuarbeiten”, sagt die Hauptautorin der Studie Cleo Verkuijl. Um das zu erreichen, müssten verschiedene Interessen miteinander vereinbart werden:
Um diese Interessen möglichst zusammenzubringen und die Fleischproduktion und den -konsum in reichen Ländern zu senken, schlagen die Forscher fünf Maßnahmen vor:
Die Wissenschaftler drängen zu schnellem Handeln. “Die Zeit ist knapp, deshalb muss eine proaktive Planung für einen gerechten Übergang unserer Lebensmittelsysteme jetzt beginnen”, sagt Verkuijl. nib
Das Fachportal Carbon Brief hat die “Global South Climate Database” veröffentlicht. Die Datenbank listet 400 Expertinnen und Experten aus dem Bereich Klima und Energie aus 80 Ländern aus Asien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik. Das Tool soll Journalisten und andere Interessierte bei der Recherche unterstützen.
Die Datenbank enthält:
Das Ziel der Initiative ist es, Stimmen aus dem Globalen Süden in der Klimadebatte mehr Gehör zu verschaffen. In einer Analyse hatte Carbon Brief herausgefunden, dass die Klimawissenschaft von Männern aus dem Globalen Norden dominiert wird. 90 Prozent der Autoren der 100 meistzitierten klimawissenschaftlichen Arbeiten, die zwischen 2016 und 2020 veröffentlicht wurden, stammten demnach von Organisationen aus den traditionellen Industrieländern. Die Datenbank wird vom Oxford Climate Journalism Network des Reuters Institute unterstützt. nib
Bald findet im ägyptischen Sharm el Sheikh die COP27 statt, die 27. Konferenz der Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Es wird die erste COP der neuen Ära von Loss and Damage sein, der Schäden und Verluste durch den vom Menschen verursachten Klimawandel.
Der Anfang des Jahres veröffentlichte sechste Sachstandsbericht (AR6) des Weltklimarats IPCC war ein entscheidender Meilenstein. Zum ersten Mal seit dreißig Jahren lieferte er eindeutige Beweise für die Folgen des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als ein Grad Celsius, der auf den Anstieg von Treibhausgasemissionen seit der industriellen Revolution vor über einem Jahrhundert zurückzuführen ist.
Das bedeutet, dass jedes einzelne Extremwetterereignis, etwa Überschwemmungen, Wirbelstürme, Hitzewellen, Dürren und Waldbrände, keine reinen Naturereignisse mehr sind. Sie haben sich durch den vom Menschen verursachten Klimawandel verschärft.
Um nur einige Beispiele aus den vergangenen Wochen zu nennen: Auf die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan folgten Hurrikan Ian, der über Florida in den USA wütete, sowie noch nie dagewesene Überschwemmungen in Nigeria. Im Sommer herrschte in Europa eine extreme Hitzewelle. Für viele dieser Ereignisse konnten Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ermitteln, wie groß der prozentuale Anteil der daraus folgenden Schäden ist, der auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann.
Angesichts dieser neuen Realität muss die COP27 über die Finanzierung von Schäden und Verlusten diskutieren, wenn die UNFCCC weiterhin Bedeutung haben soll. Unter der Führung Pakistans haben die Entwicklungsländer einen Tagesordnungspunkt zur Finanzierung von Schäden und Verlusten auf der COP27 eingebracht. Er wurde als vorläufiger Punkt auf die Agenda gesetzt. Endgültig auf die Tagesordnung des Gipfels aufgenommen werden kann er nur, wenn kein Land Einwände dagegen erhebt, denn alle Entscheidungen im Rahmen der UNFCCC müssen einstimmig getroffen werden. Sollte sich also eine Gruppe von Ländern gegen diesen Tagesordnungspunkt aussprechen, wird er nicht auf die Agenda der COP27 gelangen.
Wenn das geschieht, wäre die COP27 aus meiner Sicht bereits gescheitert, bevor sie offiziell begonnen hat.
Sollte hingegen der Tagesordnungspunkt über die Finanzierung von Klimaschäden und Verlusten angenommen werden, erwarten wir eine fundierte Debatte darüber, wie ein gutes Ergebnis erzielt werden kann. Dazu müssen zahlreiche berechtigte Fragen geklärt werden, zum Beispiel: Wie viele Finanzmittel werden benötigt? Woher könnten sie kommen? Wer würde sie verwalten? Wer erhält sie?
Dies sind alles völlig legitime Fragen. Man sollte sie unter Berücksichtigung verschiedener Möglichkeiten diskutieren. Zu ihnen gehört auch der “Globale Schutzschirm gegen Klimarisiken” (Climate.Table berichtete), der von den G7 und dem Zusammenschluss gefährdeter Entwicklungsländer V20 gemeinsam mit anderen entwickelt wurde.
Der Schutzschirm könnte die Opfer von Klimaschäden und -verlusten, im UN-Jargon Loss and Damage, sicherlich unterstützen. Aber er müsste schnellstmöglich einsatzbereit sein, um auch den Opfern von bereits eingetretenen Katastrophen zu helfen. Gleichzeitig hoffen wir, dass Deutschland auch den von Entwicklungsländern eingebrachten Vorschlag zur Schaffung einer Finanzierungsfazilität für Schäden und Verluste im Rahmen des UNFCCC unterstützen wird.
Aus meiner Sicht wäre es ein positives Ergebnis des Klimagipfels, wenn sich alle Parteien am Ende der COP27 auf die Einführung einer Finanzierungsfazilität für Schäden und Verluste (FFLD) einigen würden. Anschließend sollten sie sich ein weiteres Jahr Zeit nehmen, um über die bestmögliche Umsetzung zu beraten und sich dann auf der COP28 in Abu Dhabi auf die Details zu einigen.
Denn auf diese Weise werden Entscheidungen im Rahmen des UNFCCC getroffen und ausgearbeitet. Ein gutes Beispiel ist das Santiago Network on Loss and Damage (SNLD), das 2019 in den letzten Minuten der COP25 im spanischen Madrid beschlossen wurde. Diese Entscheidung enthielt zwar keine Einzelheiten. Aber während der COP26 in Glasgow im Jahr 2021 haben wir zwei Wochen damit verbracht, die genaue Umsetzung auszuarbeiten. Man einigte sich auf ein Format für die Schaffung der SNLD und auf ihr Mandat. Daraufhin bot Deutschland zehn Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus der SNLD an.
Es wäre wünschenswert, wenn man sich im Rahmen der COP27 auf die Schaffung des FFLD einigen würde, um dann im nächsten Jahr auf der COP28 in Abu Dhabi die Details zu beschließen.
Saleemul Huq ist ein in London lebender Klimawissenschaftler aus Bangladesch, Berater von Regierungen und erfahrener Teilnehmer aller bisheriger UN-Klimagipfel. Er arbeitet als ICCCAD-Direktor und Senior Fellow am International Institute for Environment and Development in London. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Auswirkungen des Klimawandels auf die am stärksten gefährdeten Länder, die Anpassung an den Klimawandel sowie Loss and Damage.
Gut eine Woche vor Beginn der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Urlaubsort Scharm El-Scheich dreht Sameh Hassan Shoukry eine Runde über das Konferenzgelände. Pressefotos zeigen den 70-Jährigen im Gespräch mit Arbeitern. Er trägt ein kurzärmeliges, graues Poloshirt, eine Hand steckt in der Hosentasche, mit der anderen gestikuliert er. Er wirkt nahbar, interessiert, aufgeschlossen. Wie ein Architekt, der seine Baustelle besucht. “Die ägyptische COP27-Präsidentschaft ist bereit, die Weltklimagemeinschaft im November in Sharm El Sheich zu empfangen”, ist seine Botschaft im Anschluss dieses Besuchs.
Die Erwartungen, die dieser Tage auf ihm ruhen, sind hoch. Das Motto der COP lautet “Together for Implementation – Gemeinsam für die Umsetzung”. Doch selten waren die Umstände so schlecht für weltweite Zusammenarbeit gegen die Klimakrise wie heute. Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Energiepreisinflation, die Nahrungsmittelkrise, hohe Schulden nach der Pandemie, die Spannungen zwischen den USA und China – all das erschwert ein gemeinsames und entschlossenes Handeln gegen die Klimabedrohungen.
Vor seiner Ernennung zum COP-Präsidenten zu Beginn dieses Jahres ist Shoukry mit Klimathemen nicht in Erscheinung getreten. “Shoukry ist ein Karrierediplomat mit jahrzehntelanger Erfahrung”, sagt Lutz Weischer von Germanwatch. Das ist allerdings nicht die schlechteste Voraussetzung, findet er.
Die Aufgabe eines COP-Präsidenten sei es, eine gute Verhandlungsatmosphäre zu schaffen und Kompromisse zu ermöglichen, aber auch dafür zu sorgen, dass am Ende nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner übrigbleibe. Die Erfahrung von Jahrzehnten im Dienst der Diplomatie kann da sicher hilfreich sein.
Shoukry spart im Vorfeld der Klimakonferenz nicht mit Kritik an den Industrieländern, die ihre finanziellen Zusagen für Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern bisher nicht eingehalten haben. Die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels hat er zu seiner Priorität gemacht.
“Diese Kritik ist durchaus berechtigt”, sagt Lutz Weischer. Doch um ein erfolgreicher COP-Präsident zu sein, dürfe der Fokus nicht allein auf den Themen Anpassung an den Klimawandel und Wiedergutmachung von Schäden und Verlusten liegen. “Shoukry muss sich noch deutlicher äußern zu den klimapolitischen Ambitionen und ehrgeizige Ziele im Bereich der Emmissionsminderung formulieren”, fordert Weischer.
Ein Jahr nach Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Ain-Shams-Universität in Kairo beginnt 1976 Shoukry seine Karriere als Attaché des Außenministeriums in Kairo. Nach Stationen in London, Buenos Aires und Wien, ist von 2005 bis 2008 ständiger Vertreter Ägyptens bei den Vereinten Nationen in Genf. 2008 schließlich wird er Botschafter Ägyptens in den Vereinigten Staaten.
Während in seiner Heimat der Arabische Frühling den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 aus dem Amt fegt, bleibt Shoukry noch bis 2012 in Washington. “Während des Aufstands von 2011 war Shoukry der Inbegriff eines ruhigen, pragmatischen Denkens, das die Forderungen nach Demokratie unterstützte. Im gleichen Atemzug sprach er sich jedoch für die Beteiligung des Militärs an der Politik aus, um Chaos zu verhindern”, heißt es in einem Artikel über Shoukry in The Africa Report. “Seine pragmatische Art und sein ruhiger diplomatischer Ansatz verhalfen ihm jedoch nicht zu einem Sitz in der kurzlebigen Post-Mubarak-Regierung von Mohammed Mursi”, heißt es weiter. 2014 schließlich holt Abdel Fattah el-Sisi nach seiner Machtübernahme den erfahrenen Diplomaten Shoukry als Außenminister in die ägyptische Regierung.
Über das Privatleben des Karrierediplomaten Shoukry ist wenig bekannt. Seine Ehefrau Suzy Shoukry ist laut Presseberichten ebenfalls in diplomatischen und karitativen Kreisen aktiv. Gemeinsam haben sie zwei Söhne.
Allein muss Shoukry die COP27 jedoch nicht stemmen. Bei seiner anspruchsvollen Aufgabe kann er etwa auf die Erfahrung von Umweltministerin Yasmine Fouad setzen, die ihm als “Ministerielle Koordinatorin und Gesandte” zur Seite steht. Sie verfügt über mehr als 18 Jahre Erfahrung in den Bereichen Umwelt und internationale Zusammenarbeit. Ulrike Christl