mehr denn je gilt in der Klimapolitik: Die Zeit ist knapp. Deshalb sollten wir über die wichtigen Dinge diskutieren. Leichter gesagt als getan, wie unser Climate.Table dieses Mal zeigt. Wir haben Beispiele gesammelt, wo ernsthafte Debatten bisher manchmal verpasst werden.
So reden zwar alle über den dringend nötigen Aufbau von erneuerbaren Energien weltweit. Aber selten weist jemand – wie unser Kollege Nico Beckert – darauf hin, dass dieser Aufbau ohne Ausbau der Stromnetze wenig Sinn macht. Viele Menschen debattieren, ob die 1,5-Grenze bei der Erderhitzung noch zu halten ist. Aber wir haben für Sie im Bericht der IEA gefunden, was dafür nötig wäre: Dreimal so viele Erneuerbare, 4,5 Billionen Dollar Investitionen im Jahr, keine neuen Gas-, Öl- und Kohleprojekte. Darum geht´s.
Auch beim Thema CCS wird viel gestritten. Aber wenig darüber, wie dieser Streit die deutsche Klimapolitik lahmlegt und traditionelle Verbündete verprellt – wenn Deutschland wegen interner Debatten international nur eingeschränkt politikfähig ist, wie es letzte Woche in New York passierte. Und schließlich kocht gerade wieder die Debatte über Migration hoch – aber ein wichtiger Seitenaspekt bleibt unerwähnt: Wie bereitet sich Europa auf europäische Klima-Flüchtlinge vor, die vielleicht in Regionen in Spanien oder Griechenland ihre Heimat verlieren? Unser Standpunkt heute rührt an diese unterbelichtete Frage.
Ihnen wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre und hoffentlich ein paar neue Einblicke,
Die deutsche Position in der internationalen Klimapolitik wird durch Streit in der Ampelkoalition geschwächt. Die Koalitionäre sind sich nicht über den Weg zu einem weltweiten Ausstieg aus den fossilen Energien einig. Weil die Regierung keine gemeinsame Position fand, ob ein solcher Ausstieg mit oder ohne CO₂-Speicherung (CCS/CCU) gefordert werden soll, verweigerte Bundeskanzler Olaf Scholz in der vergangenen Woche seine Unterschrift unter einer entsprechenden Erklärung der “High Ambition Coalition” (HAC). Normalerweise ist Deutschland auf dem internationalen Parkett eines der wichtigsten und progressivsten Länder in der HAC. Die HAC versammelt seit dem Pariser Klimagipfel Staaten aus verschiedenen UN-Gruppen, die für mehr und energischeren Klimaschutz eintreten.
Zum “Climate Ambition Summit” des UN-Generalsekretärs António Guterres am 20. September hatte die HAC einen dringenden Appell zu mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz veröffentlicht. In dem Schreiben der Staats- und Regierungschefs werden zur Erreichung der globalen Klimaziele unter anderem schärfere Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren und bei der Energieeffizienz sowie mehr Klimafinanzierung gefordert. Dann aber verlangt der Text auch eine “systemische Transformation aller Wirtschaftssektoren”, “angetrieben von einem globalen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen”. Weiter heißt es: “Abscheidungstechniken (Abatement) haben bei der Emissionsreduktion eine Rolle zu spielen, aber diese Rolle bei der Dekarbonisierung der Energiesysteme ist minimal. Wir können sie nicht dazu nutzen, um die Ausweitung fossiler Brennstoffe zu genehmigen.”
Diese Formulierung, akzeptiert von 20 Staats- und Regierungschefs wie etwa aus Frankreich, Österreich, Chile, Belgien, Spanien, Dänemark, Barbados, Tuvalu oder Kenia, trug Scholz nicht mit. Sie berührt eine der entscheidenden Fragen der diesjährigen COP: Soll ein Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen beschlossen werden – oder nur aus “unabated” Formen, also der Energieerzeugung ohne CCS/CCU?
Zwar “unterstützt die Bundesregierung die Ziele der High Ambition Coalition grundsätzlich”, so ein Regierungssprecher auf Anfrage von Table.Media. Aber: “Die vorgelegte Version ging über zuvor auf internationaler Ebene abgestimmte Sprache hinaus”. Außerdem “bestand innerhalb der Bundesregierung keine abschließende Position, sodass Deutschland namens des Bundeskanzlers auf eine Unterzeichnung verzichtet hat.” Mit “abgestimmter Sprache” ist wohl die Abschlusserklärung des G7-Gipfels in Japan gemeint, in der ebenfalls nur das schnelle Ende von “unabated fossil fuel” erwähnt ist.
Zuvor hatte es nach Information von Table.Media bei der internen Abstimmung in der Regierung einen Dissens zwischen dem grün-geführten Auswärtigen Amt und dem FDP-geleiteten Bundesfinanzministerium gegeben. Während Außenministerin Annalena Baerbock wiederholt gefordert hat, die anstehende COP28 in Dubai müsse beschließen, die Nutzung aller fossilen Brennstoffe zu beenden, setzt das Haus von Finanzminister Christian Lindner auf “Technologieoffenheit” – und das bedeutet auch den Einsatz von CCS/CCU im Energiebereich.
Aus Kreisen des Finanzministeriums heißt es, man müsse die “gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Blick behalten”. Ein “Verzicht auf den Zusatz ‘unabated’ hätte massive wirtschaftliche Auswirkungen, da ein Betrieb von bestimmten Industrien, in denen fossile Energie nicht ohne Weiteres ersetzt werden kann, nicht mehr möglich wäre. Dies würde lediglich zu Abwanderungstendenzen führen, aber nicht dem Klimaschutz insgesamt dienen.” Diese Argumentation, so wird betont, habe “schon an verschiedenen Stellen Eingang in die Position der Bundesregierung insgesamt” gefunden.
Lindners Haus ist mit der Forderung nicht allein. Das Ende allein von “unabated fossil fuels” verlangt auch der designierte COP-Präsident Sultan Al Jaber, Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Vorstandschef des staatseigenen Öl- und Gaskonzerns Adnoc. Weltweit wehren sich damit vor allem die öl- und gasproduzierenden Länder gegen die Forderung, die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen.
Klimaschutzgruppen und Inselstaaten dagegen fürchten, dass eine solche Formulierung durch die COP28 dazu führen könnte, das Geschäftsmodell der fossilen Brennstoffe ungebremst fortzuführen. Außerdem könnten dann dringend nötige Investitionen in Erneuerbare verzögert und die Reduktion von Emissionen mit Verweis auf mögliche CCS-Techniken in die Zukunft verschoben werden. Eine Halbierung der globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030, die laut Weltklimarat IPCC für die Einhaltung der 1,5-Grenze nötig ist, wäre fraglich, wenn die CCS-Technik das Tempo der Erneuerbaren bremsen würde. CCS/CCU habe bisher nicht das erreicht, was davon erwartet wurde, erklärte gerade die Internationale Energieagentur. Mehr politische Unterstützung und schnellerer Fortschritt seien für einen Durchbruch bei CCS/CCU nötig.
Dennoch bröckelt die Front der Länder, die dafür plädieren, die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen und CCS/CCU nur für praktisch unvermeidbare Emissionen zu nutzen. Das ist zumindest auch die Haltung von Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Haus derzeit an einer “Carbon Management-Strategie” arbeitet. Die Pläne sollen für deutsche Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, ihre unvermeidbaren CO₂-Emissionen, etwa aus der Stahl- oder Zementindustrie, per Schiff, Lkw oder Pipeline aus Deutschland zu exportieren und in dänischen oder norwegischen Lagerstätten unter der Nordsee einzulagern. Aber in Habecks Strategie geht es ausdrücklich nicht um eine CCS/CCU-Lösung für Emissionen aus dem Energiesektor, wie sie etwa den VAE vorschwebt.
Allerdings ist inzwischen auch die EU auf diese Linie der VAE eingeschwenkt. Sie fordert nur noch ein Energiesystem “frei von unverminderten (unabated) fossilen Brennstoffen”. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholte diese Position auch beim Guterres-Gipfel in New York. Ob diese Haltung, also eine Übereinstimmung mit den Forderungen der VAE und anderer Öl- und Gasproduzenten, auch zur offiziellen Verhandlungsposition der EU bei der COP28 im Dezember wird, entscheidet die EU im Oktober.
Mit der Enthaltung von Scholz unter der Forderung nach einem harten Ausstieg wird die HAC in diesem Punkt weiter geschwächt. Auch bei ihren Verhandlungen etwa auf der COP könnte Baerbock der Haltung begegnen, dass ihr dafür der Rückhalt im eigenen Kabinett fehlt.
Der Bundeskanzler nutzte allerdings in seiner Rede auf dem “Klima-Ehrgeiz-Gipfel” von Guterres dann doch wieder die harte Ausstiegsformulierung im Sinne von Baerbock: “In Dubai wird es von uns allen den starken Entschluss benötigen, fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen, zuerst und vor allem die Kohle”. Von “unabated” war da keine Rede – aber der Fokus lag auf der Kohle, nicht auf Öl oder Gas.
Der Siegeszug der Erneuerbaren schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. China hat in den ersten sieben Monaten dieses Jahres fast 100 Gigawatt an neuer Solarkapazität installiert und damit schon jetzt das Rekordjahr 2022 übertroffen. Auch in den USA ist der Sektor in den letzten Jahren stark gewachsen. Doch die Stromnetze werden nicht schnell genug ausgebaut und drohen, das Tempo der Energiewende zu verlangsamen.
Ohne modernes Stromnetz kommt die grüne Energie nicht zu den elektrischen Stahlwerken, E-Autos und Wärmepumpen, die eine klimafreundliche Wirtschaft ausmachen. Laut dem Think-Tank Bloomberg NEF müssen die Stromnetze bis 2050 weltweit auf 152 Millionen Kilometer ausgebaut werden, um die Klimaziele erreichen zu können – eine Verdopplung der aktuellen Länge. Weltweit müssen demnach bis 2050 21 Billionen US-Dollar investiert werden. Auf die USA und China kommen demnach mehr als ein Drittel dieser Investitionen zu. Bauen die beiden Staaten ihre Stromnetze nicht schneller aus als bisher, könnte die Energiewende ernsthaft in Gefahr geraten, sagen Experten.
In den USA könnte das Stromnetz zu einem der größten Flaschenhälse der Energiewende werden. Laut einer Studie der Princeton-University müsste das Netz doppelt so schnell ausgebaut werden wie im letzten Jahrzehnt, damit der Inflation Reduction Act (IRA), das Milliardenprogramm zum grünen Umbau der USA, seine volle Wirkung erzielen kann. Wird der Ausbau nicht beschleunigt, könnten demnach über 80 Prozent der potenziellen Emissionsreduktionen durch IRA-Maßnahmen verloren gehen.
Nach Meinung der Princeton-Forscher wären in der Vergangenheit zwar schon ähnliche Wachstumsraten beim Ausbau des Netzes erreicht worden. Doch die USA stünden dabei vor großen Herausforderungen:
In vielen Landesteilen ist das lokale Stromnetz schon ausgelastet. Das droht die Energiewende zu bremsen, denn einzelne Entwickler neuer Kraftwerke müssen sowohl für die Anbindung an das lokale Stromnetz als auch für den Ausbau des Netzes bezahlen, falls dieses durch neue Kraftwerke an die Kapazitätsgrenze kommt. So ein Netzausbau kann die Kosten für neue Wind- und Solarparks massiv in die Höhe treiben, sodass einige Projektentwickler aufgeben. Zudem ziehen Projektentwickler ihre Bauanträge mitunter zurück, wenn sie für den Netzausbau aufkommen müssen. Sie reichen zahlreiche Anträge ein und realisieren nur die Projekte, bei denen andere Projektentwickler die Kosten für den Netzausbau tragen, wie die New York Times berichtet.
Darüber hinaus müssen Projektentwickler mittlerweile fast doppelt so lange auf den Anschluss an das Stromnetz warten, wie noch in den Jahren 2000 bis 2010. Im Durchschnitt dauerte es damals 2,1 Jahre, bis ein neues Kraftwerk an das Netz angeschlossen wurde – heute sind es schon 3,7 Jahre. Die Behörden sind aufgrund der Flut neuer Anträge überlastet. Um den Ausbau des Stromnetzes zu beschleunigen, hat die US-Bundesregierung im Zuge des Infrastructure Investment and Jobs Act und des IRA 29 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Doch um bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen zu können, reichen diese Investitionen nicht aus, so die Einschätzung von Bloomberg NEF.
In China hat das Stromnetz schon in der Vergangenheit die Energiewende ausgebremst. Anfang und Mitte der 2010er Jahre lagen viele neue Wind- und Solarparks brach, weil die Netzanbindung zwischen den chinesischen Provinzen nicht ausreichend und der Stromhandel zwischen den Provinzen künstlichen Hürden unterworfen war. Damals kam es teils zu Abregelungsraten (“Curtailment Rates”) von 40 bis 50 Prozent. Das heißt: Wind- und Solarkraftwerke waren zwar fertig gebaut, wurden aber nicht betrieben, weil das Netz den zusätzlichen Strom nicht verkraften konnte. Teils wurde der Bau neuer Solar- und Windkraftwerke für Jahre gestoppt.
Die Situation hat sich seitdem sehr verbessert. Doch aufgrund des neuerlichen Booms bei der Solar- und Windenergie steht China vor neuen Herausforderungen, die die Energiewende erneut ausbremsen könnten:
Insgesamt wird China in diesem Jahr Schätzungen zufolge etwas über 80 Milliarden Euro in den Ausbau seines Stromnetzes investieren. Das ist viel Geld, aber es reicht nicht. Die Investitionen “sollten, angepasst an die erneuerbaren Energien, so erhöht werden, dass sie den rekordhohen Investitionen in die Stromerzeugung aus Erneuerbaren entsprechen”, sagt Run Zhang, Projektleiterin China bei Agora Energiewende.
Die neuen Rekorde beim Ausbau der Erneuerbaren “werden die Grenzen des chinesischen Stromsystems testen”, so die Trivium-Experten. “Eine Rückkehr zu anhaltend hohen Abregelungsraten könnte die politischen Entscheidungsträger erneut dazu zwingen, den Ausbau neuer Anlagen zu bremsen”. Und selbst wenn die Entscheidungsträger die Engpässe im Stromnetz beseitigen können, drohen weitere Herausforderungen: Chinas Strommarkt ist noch immer sehr unflexibel. Der Stromhandel über Provinzgrenzen hinweg wird durch politische Interessen und bürokratische Hürden behindert – auch das bremst die Energiewende.
Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterliegen derzeit nur 23 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen einem CO₂-Preis. Das bringe Einnahmen in Höhe von 95 Milliarden US-Dollar, sagte sie vergangene Woche auf dem UN-Klimagipfel in New York – und ergänzte die Summe durch ein Gedankenspiel: Man solle sich vorstellen, welche Einnahmen für Investitionen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zusammenkämen, wenn man die von UN-Generalsekretär António Guterres anvisierten 60 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 abdecken könnte.
Auf EU-Ebene geht an diesem Wochenende ein Instrument an den Start, das dazu beitragen soll, Länder außerhalb Europas zu einer CO₂-Bepreisung ihrer klimaschädlichsten Industrien zu bewegen – so ähnlich wie es das EU-Emissionshandelssystem (ETS) bereits tut. Der Grenzausgleichsmechanismus CBAM belegt emissionsintensiv hergestellte Produkte, die in die EU eingeführt werden, mit einem Zoll in Höhe des europäischen CO₂-Preises. Unterliegen die Emissionen im Herstellungsland bereits einem CO₂-Preis, wird der Zoll um diesen Betrag rabattiert.
Zwar liegt der vordergründige Zweck des Instruments darin, die europäische Industrie vor Wettbewerbsnachteilen und Carbon Leakage – der Verlagerung von emissionsintensiven Betrieben in Drittstaaten – zu schützen. Doch die EU-Gesetzgeber betonten schon früh, dass CBAM auch außereuropäische Staaten und Regionen motivieren soll, eigene CO₂-Preise einzuführen. Nur dadurch können sie die CBAM-Abgabe im Handel mit der EU vermeiden oder zumindest begrenzen.
Tatsächlich gab es erste zaghafte Nachahmer, noch bevor der CBAM final beschlossen war. Die Türkei hatte sich lange gegen eine CO₂-Abgabe gewehrt, räumte nach der Vorstellung des CBAM aber schon 2021 ein, dass das Instrument ein Anreiz sei, die eigene Industrie mithilfe der EU umzubauen, zukunftssicher zu machen und an den Green Deal anzupassen. Zwar gibt es nach wie vor kein türkisches ETS, doch die Planungen laufen.
Australien hat nach europäischem Vorbild in diesem Jahr sein Emissionshandelssystem reformiert und erst im Juli einen CO₂-Preis für seine emissionsintensivsten Industrieanlagen eingeführt. Die Emissionsobergrenze sinkt – wie beim EU-ETS – Jahr für Jahr und zwingt die Anlagen so, ihren Treibhausgasausstoß zu senken. Inzwischen plant Australien auch einen CBAM, um die eigenen Märkte vor klimaschädlichen Importen aus dem Ausland zu schützen. Die Regierung will sich den europäischen CBAM nun genau anschauen und im kommenden Jahr einen eigenen Vorschlag für Einfuhren von Stahl und Zement vorlegen.
Auch in Indonesien wird mit Hochdruck an einem CO₂-Preis gearbeitet. Ein freiwilliger Zertifikatehandel zur Finanzierung der Transformation im Energiesektor ist bereits gestartet. Jetzt soll ein verpflichtender CO₂-Preis auch für weitere Sektoren folgen. Dabei will Indonesien internationale Standards übernehmen, um seine Emissionsgutschriften auch ausländischen Käufern anbieten zu können.
Dass es nicht nur schnelle Nachahmer der wichtigsten europäischen Klimaschutzinstrumente gibt, zeigt insbesondere Indien. 19 Prozent der indischen Exporte gehen in die EU. 2022 waren sie in den CBAM-Sektoren Aluminium, Eisen und Stahl, Düngemittel, Strom, Zement und Wasserstoff über neun Milliarden Euro wert. Besonders die indische Stahl- und Aluminiumindustrie ist besorgt über den CBAM-Preisaufschlag, weil die CO₂-Intensität der heimischen Industrie erheblich höher ist als im globalen Durchschnitt.
Indien hat deshalb erhebliche Bedenken am EU-CBAM geäußert und diese auch vor der WTO vorgetragen. Dabei geht es auch um Fairness zwischen den europäischen Industriestaaten und dem Schwellenland Indien. Der CBAM zwinge den Entwicklungsländern das Übergangstempo der EU auf, kritisiert Suranjali Tandon, Professorin am National Institute of Public Finance and Policy in Neu-Delhi. Da Entwicklungsländer keine CO₂-Bepreisung haben, würde die EU durch den CBAM an deren Exporten verdienen. Dies sei zwar eine diskriminierende Maßnahme, biete aber auch Chancen. “Die Entwicklungsländer können Märkte aufbauen und inländische Steuern erheben, die nicht nur ihre Bemühungen zur Erreichung der Netto-Null-Ziele unterstützen, sondern auch die potenziellen Grenzen der Preisgestaltung besser artikulieren, die mit den Entwicklungsprioritäten vereinbar sind und die Untätigkeit der Industrieländer aufzeigen.”
Indien denkt darum über regulatorische Reaktionen nach. Zur Debatte steht eine eigene CO₂-Steuer für Exportwaren in die EU, die die CBAM-Kriterien für Rabatte erfüllt. Würde sie eingeführt, würde Indien statt der EU an dem CO₂-Preis verdienen. Eine weitere Option und eine Art Vergeltungsmaßnahme ist die Erhebung einer Ausgleichssteuer auf Importe aus der EU nach Indien. Allerdings droht Indien, damit selbst gegen WTO-Richtlinien zu verstoßen. Indien ist zudem dabei, einen Emissionshandel einzuführen.
Auch in den Vereinigten Staaten gibt es Vorschläge für einen CO₂-Grenzausgleich zum Schutz der eigenen Industrie vor ausländischen Konkurrenten. Ideen dafür werden von Demokraten und Republikanern unterstützt. Allerdings scheitern die Bemühungen bislang an der Frage, ob es einen nationalen CO₂-Preis braucht, um einen CBAM für ausländische Importe zu verhängen. Die Republikaner wollen einen solchen Preis nicht – doch einen CBAM ohne nationalen CO₂-Preis einzuführen, wäre nicht mit WTO-Regeln konform. Die Demokraten hingegen haben einen CO₂-Preis bereits in zwölf Bundesstaaten eingeführt.
Brasilien hat unter Präsident Lula da Silva ebenfalls eine Emissionsobergrenze für große umweltverschmutzende Unternehmen sowie die Schaffung eines regulierten Kohlenstoffmarktes angekündigt. Ein CO₂-Preis ist Teil des Plans. Rund 5.000 Unternehmen aus der Stahl-, Aluminium-, Zement- sowie der chemischen Industrie, die jährlich mehr als 25.000 Tonnen CO₂ emittieren, sollen betroffen sein. Wie hoch die Obergrenze angesetzt wird, ist noch nicht bekannt, jedoch soll sie nach dem europäischen Vorbild schrittweise sinken.
Zwar ist Brasilien vor allem aufgrund seiner Agrarexporte wichtiger Handelspartner Europas – und die sind vom CBAM nicht betroffen. Doch Stahl und Eisen, Aluminium, Düngemittel und Zement stehen ebenfalls auf der Exportliste Brasiliens weit oben. Außerdem könnte Brasilien künftig zum Öllieferanten Europas werden, und es gibt bereits die Überlegung, den CBAM im nächsten Schritt auf alle fossilen Brennstoffe auszuweiten.
China hat seit 2021 ein funktionierendes Emissionshandelssystem – dem Jahr, in dem die EU ihr Fit-for-55-Paket und eine wegweisende Reform des ETS auf den Weg gebracht hat. Es umfasst etwa vier Milliarden Tonnen CO₂ und über 40 Prozent der Treibhausgase des Landes, doch bisher betrifft es nur größere Kohle- und Gaskraftwerke. Die Ausweitung auf alle Industriesektoren wurde immer wieder verschoben und ist derzeit für 2025 geplant, ein Jahr bevor zum ersten Mal an den EU-Außengrenzen ein finanzieller Ausgleich im Rahmen des CBAM fällig wird. Zwar gibt es noch erhebliche Mängel am chinesischen CO₂-Preis. Doch das Ziel ist offenkundig: Grenzzölle der EU vermeiden. Mit Urmi Goswami
27. bis 29. September, Hamburg
Kongress Extremwetter-Kongress
Der Extremwetter-Kongress Hamburg (EWK) ist ein Kongress zum Thema Extremwetter im Klimawandel. Zahlreiche Referentinnen und Referenten informieren rund um die zukünftigen Entwicklungen von Extremwettereignissen, die Anpassungsstrategien an zukünftige Klimaveränderungen und den Stand der Forschung. Infos
28. September, 9 Uhr, Bremen
Konferenz 12. REKLIM Klimawandel in Regionen
Die Konferenz behandelt das Thema “Herausforderung Meeresspiegeländerung im deutschen Küstenraum”. Dazu werden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert. Infos
28. September, 9 Uhr, Hamburg
Tagung Kann Klimaschutzrecht Zeitenwende? Möglichkeiten zur Beschleunigung von Innovationen und Investitionen
Am 28. September findet die Jahrestagung des Center for Interdisciplinary Research in Energy, Climate and Sustainability der Bucerius Law School in Hamburg statt. Im Fokus stehen die Schnittpunkte zwischen Recht, Klimaschutz, Infrastruktur und Industriepolitik. Infos
28. September, 11.15 Uhr, Online
Webinar Energieverbände im Dialog: Wie fit sind Deutschland, Österreich und die Schweiz für den zweiten Krisenwinter?
Den ersten Krisenwinter nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine haben die Energieunternehmen – auch dank milder Wetterumstände – sehr gut gemeistert. Die Vorbereitungen auf den zweiten Krisenwinter laufen. Wie gut sind Deutschland, Österreich und die Schweiz gerüstet? Wie gestalten die drei Länder den Weg von der Krise zur Transformation? Darüber sprechen drei Verbandsvertreterinnen in einem Webinar des Fachverlags Energate. Ifnos
28. September, 14 Uhr, Berlin
Kongress ZEIT WISSEN Kongress – Mut zur Nachhaltigkeit 2023
Auf dem Nachhaltigkeitskongress wird in verschiedenen Panels über Klimaschutz und Transformation der Wirtschaft diskutiert. Unter anderem geht es darum, wie eine Welt mit 3 Grad Erderwärmung aussehen würde. Infos
28. September, 15 Uhr, Online
Webinar Bidding zone split for Germany
Auf dem Webinar stellt das Beratungsunternehmen Aurora Research Inhalte aus seiner Studie zur Aufteilung Deutschlands in mehrere Strompreisregionen, sogenannte Gebotszonen, vor. Infos
28. September, Paris
Gipfel IEA Critical Minerals and Clean Energy Summit
Der Gipfel für kritische Mineralien und saubere Energie der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich auf Maßnahmen zur Förderung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit Rohstoffen konzentrieren, die eine zentrale Rolle bei der globalen Umstellung auf saubere Energie spielen. Der Gipfel wird Ministerinnen und Minister aus Ländern auf der ganzen Welt, sowie Wirtschaftsführer, Investoren, Leiter internationaler Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenbringen. Infos
28. bis 29. September, Paris
Konferenz Roadmaps to New Nuclear
Das französische Ministerium für Energiewende und die OECD-Agentur für Kernenergie (NEA) veranstalten eine internationale Konferenz, um zu erkunden, wie neue Kernenergiekapazitäten schnell in Betrieb genommen werden können, um den Regierungen zu helfen, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Infos
2. Oktober, 18.30
Anhörung Wopke Hoekstra
Wopke Hoekstra, designiertes Mitglied der Kommission mit Zuständigkeit für Klimaschutz, wird im Umweltausschuss des EU-Parlaments angehört.
2. Oktober, Madrid
Gipfel Climate and Energy Summit: Building a Grand Coalition to Keep 1.5 ºC Within Reach
Teresa Ribera, Vizepräsidentin der spanischen Regierung, und Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, werden am 2. Oktober 2023 in Madrid einen internationalen Klima- und Energiegipfel veranstalten, bei dem es um die Dringlichkeit einer Beschleunigung der globalen Energiewende geht. Infos
3. Oktober, 8,30 Uhr, Straßburg
Anhörung Maroš Šefčovič
Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für Klimapolitik, wird im Umweltausschuss des EU-Parlaments angehört.
5. Oktober, Bonn
Konferenz Finanzierungskonferenz des Grünen Klimafonds
Am 5. Oktober 2023 richtet Deutschland eine hochrangige internationale Konferenz zur Wiederauffüllung des Grünen Klimafonds (Green Climate Fund) in Bonn aus. Die Konferenz will Aufmerksamkeit für den internationalen Klimaschutz generieren und Mittelzusagen für den Fonds für die Jahre 2024 bis 2027 mobilisieren. Infos
Verbrenner durch E-Autos zu ersetzen, reicht laut einer neuen Analyse der NGO Transport and Environment (T&E) nicht aus, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Autos mit Verbrennungsmotor müssten auch viel häufiger in der Garage bleiben. Laut Berechnungen von T&E müssen die mit Verbrennern gefahrenen Kilometer bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 2018 abnehmen. Selbst unter der optimistischen Annahme, dass bis 2030 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren, müssten die Fahrzeugkilometer bis 2030 insgesamt um 24 Prozent abnehmen. Andernfalls seien die Klimaziele des Verkehrssektors nicht mehr einzuhalten.
T&E-Analyst Benedikt Heyl sagt: “Für den Ausbau von Autobahnen ist weiter Geld da, während die Anschlussfinanzierung des 49-Euro-Tickets in der Schwebe hängt.” Die “Individualmobilität im Auto” dürfe nicht “auf Kosten der Steuerzahler” gefördert werden, kritisiert T&E. Die Organisation plädiert für einen bezahlbaren öffentlichen Nah- und Fernverkehr. nib
Waldprojekte zur Kompensation von CO₂ (Carbon Offsets) seien nicht nur häufig Greenwashing, sie hätten auch negative Auswirkungen vor Ort, zeigt eine neue Recherche des Fachportals Carbon Brief. Die Projekte schaden demnach häufig lokalen und indigenen Gemeinden. Außerdem wird ihre Fähigkeit, CO₂ zu binden, oft überschätzt. Zusätzlich schaden sie teilweise der Produktion von Nahrungsmitteln und stehen in einigen Fällen mit illegaler Landnutzung in Verbindung. Carbon Brief hatte dazu zahlreiche Medienberichte sowie Analysen des Environmental Justice Atlas ausgewertet.
Das Fachportal hat dabei Berichte über negative Auswirkungen von Kompensationsprojekten aus allen Weltregionen zusammengetragen. In Lateinamerika ging es in 15 der 19 Berichte um Projekte aus dem Amazonas-Regenwald.
In jüngster Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik an CO₂-Kompensationsprojekten gegeben, zuletzt hatte beispielsweise eine Studie des Berkeley Carbon Trading Project kritisiert, dass die Ausgleichsprojekte im Regenwald ineffektiv seien und falsche Anreize setzten. Gleichzeitig nahm die Anzahl der Ausgleichszertifikate, die über sie verkauft wurden, stark zu. kul
Die Zeit wird knapp, aber die Erderhitzung könne noch unter 1,5 Grad gehalten werden, weil die erneuerbaren Energien so dynamisch wachsen, schreibt die Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem aktualisierten Netto-Null-Szenario für den Energiesektor. Um die Klimaziele erreichbar zu halten, müssen die Staaten die Investitionen in die Energiewende allerdings massiv steigern und dürfen nicht mehr in die Ausweitung der Förderung und Verbrennung fossiler Rohstoffe investieren.
Weltweit müssten demnach Anfang der 2030er Jahre jährlich 4,5 Billionen US-Dollar investiert werden. Für das laufende Jahr prognostiziert die IEA Rekordinvestitionen in saubere Energien in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar. Besonders Entwicklungs- und Schwellenländer müssten mehr in die Energiewende investieren und bräuchten dafür internationale Unterstützung in Höhe von 80 bis 100 Milliarden US-Dollar jährlich an Krediten zu vergünstigten Konditionen, so die IEA.
Laut den IEA-Berechnungen müssen die CO₂-Emissionen des Energiesektors bis 2030 um 35 Prozent und die Nachfrage nach fossilen Energien um 25 Prozent fallen. Dies sei möglich, wenn die erneuerbaren Energien schnell genug ausgebaut werden und Kohlekraftwerke schneller vom Netz gehen. Neue Öl- und Gasförderung sowie neue Kohleminen oder -kraftwerke seien dann für eine sichere Stromversorgung nicht mehr nötig.
Zwar hätten die CO₂-Emissionen des Energiesektors im Jahr 2022 einen globalen Höchststand von 37 Milliarden Tonnen erreicht. Doch der Energiesektor verändere sich schneller als viele glauben, so die IEA:
Allerdings müsse noch viel mehr erreicht werden. Bis 2035 müssen die CO₂-Emissionen des Energiesektors in reichen Staaten um 80 und in Schwellen- und Entwicklungsländern um 60 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 sinken. Die Klimaziele der Staaten reichen nicht aus, um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Um bis 2030 auf einem Klimapfad für 1,5 Grad zu sein, sieht das IEA-Szenario unter anderem vor:
Auch CCUS-Technologien zum Abscheiden und Speichern von CO₂ sowie Wasserstoff und seine Derivate seien wichtig, um die Klimaziele bis 2030 erreichbar halten zu können. Allerdings seien die Erfahrungen mit CCUS-Technologien bisher enttäuschend. Trotz vieler Ankündigungen fehle es noch an finalen Investitionszusagen. Um die Nachfrage nach dieser Technologie zu stärken, bedürfe es laut IEA politischer Unterstützung. nib
Die globalen Öl- und Gaskonzerne können sich weiterhin auf die Unterstützung der größten Banken verlassen – und die Deutsche Bank zählt zu ihren wichtigsten Finanziers. Zu diesem Ergebnis sind zwei Rechercheteams aus den Niederlanden und zwölf internationale Medien gekommen. Für ihre gemeinsame Arbeit haben sie die Anleihen untersucht, die die Kreditinstitute für Konzerne wie BP, Petrobras, Petroleum Mexicanos, Shell oder Occidental Petroleum Corp. seit Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens 2016 für neue Rohstoffförderungen am Markt platziert haben. Bis zum Juni 2023 kamen sie auf weltweit 1.666 Anleihen mit einem Volumen von 1,01 Billionen Euro. Die Deutsche Bank war an Deals beteiligt, deren Volumen zusammen 432 Milliarden Euro betrug.
Zu den weiteren emittierenden Banken zählen JP Morgan, Citi, Bank of America, HSBC, Goldman Sachs, Barclays, BNP Paribas und Crédit Agricole. Letztere hat sich, wie auch die Deutsche Bank, öffentlich zur Bekämpfung des Klimawandels bekannt, untergräbt mit den fossilen Anleihen allerdings die eigenen Bemühungen. Die Geschäfte bleiben in der Regel unerkannt, da der Handel nicht über die Börse organisiert ist. Schon in den vergangenen Jahren sind die Großbanken für ihre Geschäfte mit dem fossilen Sektor kritisiert worden, unter anderem von der NGO Urgewald.
Auch die deutsche Entwicklungsbank DEG sieht sich mit dem Vorwurf der Finanzierung klimaschädlicher Projekte konfrontiert. Laut Recherchen von Correctiv und El Surtidor habe sich die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft 2013 an einem der größten Agrarkonzerne Paraguays beteiligt. Das Unternehmen habe seitdem etwa 7.000 Hektar Regenwald vernichtet, um neue Flächen für Viehweiden zu schaffen. Laut Correctiv-Quellen sei das allerdings eine konservative Zahl – die tatsächliche Entwaldung könne noch höher liegen. Die DEG, der Privatsektorarm der KfW, rechtfertigt die Investition damit, die lokale Nahrungsmittelproduktion zu stärken und die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Laut Correctiv wisse die Bundesregierung seit Jahren von den umstrittenen Geschäften. maw/nib
Die französische Regierung will den Treibhausgasausstoß des Landes bis 2030 um 55 Prozent unter den Stand von 1990 senken. Das ist das Ziel der “ökologischen Planung”, die Präsident Emmanuel Macron am Montag in Paris vorgestellt hat. Aus ihr ergibt sich, dass die Emissionen bis 2030 ab sofort pro Jahr um 5 Prozent sinken sollen – zweieinhalbmal so schnell wie bisher. In absoluten Mengen sollen sie 2030 um 138 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente niedriger liegen als 2022.
Macron will mit seiner “Ökologie auf französische Art” auch die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs stärken, etwa gegen die Konkurrenz aus China. Zugleich sollen soziale Maßnahmen helfen, “einen gerechten Weg zur ökologischen Wende” zu gehen. Der Plan sei “eine Antwort auf die Klimakrise, den Zusammenbruch der biologischen Vielfalt, das Ende des Überflusses und die Knappheit unserer Ressourcen”, sagte Macron.
Konkret beabsichtigt Frankreichs Regierung:
Bevor Macron im April 2022 zum zweiten Mal die Präsidentschaftswahl gewann, hatte er im Wahlkampf gesagt, seine zweite Amtszeit werde “ökologisch sein oder gar nicht stattfinden”. Am Montag forderte er eine “kohärente europäische Politik”. Nur mit Regulierung und ohne Investitionen könne es “keine ökologische Wende und keine echte europäische Strategie geben”, sagte er.
Frankreichs Präsident rief die EU auf, mehr zu investieren, um “eine wettbewerbsfähige Ökologie zu verteidigen” und “mit China und den USA mitzuhalten”. Letzteres bezieht sich auf den Inflation Reduction Act, mit dem die USA seit dem vergangenen Jahr klimafreundliche Investitionen fördern. cst/ae
In diesem Sommer ächzte Europa unter Rekordtemperaturen; es gab heftige Unwetter und Überschwemmungen, so wie zuletzt etwa in Griechenland und Libyen: Die Klimakrise ist längst Teil unseres Alltags – und viele Menschen machen sich große Sorgen über ihre Auswirkungen. Nicht wenige Stimmen in der Politik und den Medien warnen dabei immer wieder vor Millionen “Klimaflüchtlingen” aus Afrika und anderen Regionen des Globalen Südens, die schon bald nach Europa strömen könnten.
Auch unabhängig von der Erderwärmung prägt die Migrationsdebatte – acht Jahre nach der Flüchtlingskrise – derzeit erneut die Politik. Deutsche Kommunen klagen über Überforderung, deutsche Politikerinnen und Politiker streiten über Grenzkontrollen und Obergrenzen. Auf der italienischen Insel Lampedusa haben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni vor Kurzem einen Zehn-Punkte-Plan gegen irreguläre Einwanderung vorgelegt.
Die Klimakrise wird die Migrationsbewegungen wohl noch verstärken. Aber ist das Szenario einer gigantischen, klimabedingten Migrationsbewegung in Richtung Europa überhaupt stichhaltig? Und wie würde ein angemessener politischer Umgang mit den Herausforderungen der “Klimamigration” aussehen?
Um es direkt vorwegzunehmen: Ein Ansturm von Klimaflüchtlingen auf die europäischen Außengrenzen ist – auch wenn die aktuellen Bilder von Lampedusa etwas anderes zu zeigen scheinen – eher unrealistisch. Denn die Forschung zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration kommt zu dem Ergebnis, dass Migrations- und Fluchtbewegungen in Verbindung mit Klimafolgen fast ausschließlich innerhalb der betroffenen Länder und Regionen passieren.
Generell migrieren Menschen im Globalen Süden vor allem intraregional: In West-Afrika beispielsweise beträgt der Anteil der Migration innerhalb der Region nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) rund 90 Prozent. Bei den Hauptbetroffenen der Klimakrise handelt es zum allergrößten Teil um arme Menschen wie Kleinbauern, denen es erst recht an den notwendigen Mitteln fehlt, um in Richtung Europa zu migrieren.
Zudem entspricht das Verhältnis zwischen Klima und menschlichen Wanderungen keineswegs einer simplen Arithmetik, die mit einer Formel à la “0,1 Grad Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur resultieren in x Millionen Klimaflüchtlingen” berechnet werden könnte. Migrations- und Fluchtprozesse sind komplex. Sie werden von politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst, auch in heute schon stark von der Klimakrise betroffenen Gebieten. Außerdem führen die Klimafolgen nicht selten dazu, dass Menschen eher an Mobilität einbüßen, da sie wichtige Ressourcen verlieren.
Deshalb lenkt die vermeintliche Gefahr einer klimabedingten Mega-Flüchtlingskrise eher von den tatsächlichen Herausforderungen ab, die der Klimawandel und die daraus resultierende Migration mit sich bringt.
Zum einen müssen wir uns in Europa darauf einstellen, dass auch bei uns etwa ab der Mitte des 21. Jahrhunderts viele Menschen ihr Zuhause werden verlassen müssen. Allein aufgrund des erwartbaren Anstiegs des Meeresspiegels sind Millionen von Menschen in küstennahen Gebieten Europas gefährdet. Selbst wenn diese Gefahr heute noch nicht so akut erscheinen mag, müssen sich Politik und Gesellschaften Gedanken darüber machen, wie sie diese gigantische Herausforderung bewältigen können.
Bis jetzt scheint diesbezüglich noch unbedarfte Sorglosigkeit zu herrschen. Natürlich planen europäischen Länder und Regionen bereits ihre längerfristigen Anpassungsoptionen. Was ist aber, wenn etwa der Meeresspiegel nach 2050 stärker ansteigt als bislang angenommen? Was ist, wenn die Anpassung technisch oder finanziell für gewisse Gebiete nicht mehr leistbar ist und Menschen dauerhaft weggehen müssen? Für diese Umsiedlungsmaßnahmen muss es einen umfassenden und gut durchdachten Dialog- und Planungsprozess geben, der darauf abzielt, die sozialen und wirtschaftlichen Verluste für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten. Ihn in Gang zu setzen, ist eine Mammutaufgabe für Regierungen und Behörden.
Aber auch die Prozesse von Flucht und Migration, die sich im Kontext der Klimakrise innerhalb anderer Erdteile abspielen, haben Auswirkungen auf uns in Europa. Zwar sind die Zusammenhänge komplex. Aber sowohl die Folgen des Klimawandels selbst als die dadurch mitverursachten Migrationsbewegungen stellen viele Länder des Globalen Südens vor große Herausforderungen. Sie erhöhen auch das Potenzial für mehr Konflikte und Instabilität. Das kann nicht im europäischen Interesse liegen.
Internationale Foren, Prozesse und Organisationen sowie auch nationale Regierungen oder entwicklungspolitische Organisationen beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit Klimamigration -vor allem in den betroffenen Weltregionen, wie der Karibik oder dem Horn von Afrika. Ihre Aktivitäten zielen oft darauf ab, ein gemeinsames Problembewusstsein bei Entscheidungsträgern zu schaffen und einen politischen Dialog in Gang zu bringen. Europa steht dabei nur nicht wegen geostrategischer Überlegungen in der Pflicht, sondern hat als einer der Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels auch eine ethische Verpflichtung.
Konkret muss diese Unterstützung durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten fünf Bereiche umfassen:
Sich auf mehr Klimamigration im eigenen Land vorzubereiten, und zugleich die Partnerländer im Globalen Süden in der Klimakrise besser zu unterstützen, damit die Menschen dort ihre Heimat nicht verlassen müssen: Das wäre ein guter Weg, um mit der Klimamigration politisch umzugehen.
Benjamin Schraven ist Assoziierter Wissenschaftler des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und hat jüngst ein Buch zum Thema “Klimamigration” veröffentlicht.
Die europäische Umwelt- und Klimapolitik begleitet Linda Kalcher seit ihrem Studium. Nach ihrem Romanistik-Bachelor in Bonn und Florenz studierte sie European Culture and Economy an der Ruhr-Universität Bochum. Dort war die Leverkusenerin auch Sprecherin des Masterstudiengangs, eine Ansprechpartnerin für 80 Studierende aus aller Welt. “Eine Vorstufe zur späteren Arbeit im Parlament“, sagt die heute Mittdreißigerin.
Seit zwölf Jahren lebt Kalcher inzwischen in Brüssel und spricht sechs europäische Sprachen. Die ersten sechs Jahre war sie Mitarbeiterin im Büro des langjährigen SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen, danach arbeitete sie bei der European Climate Foundation (ECF). Im letzten Jahr übernahm sie zusätzlich die Aufgabe als Senior Advisor des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
Fragt man sie, was die EU von der Klimapolitik der UN lernen kann, dann fordert Kalcher von den Europäern mehr Solidarität mit dem Globalen Süden. Dass Investitionen in die dortige Transformation vernachlässigt werden und die bereits 2009 versprochene Zahlung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar zur Klimafinanzierung noch immer aussteht, nutze geopolitisch vor allem China. Gleichzeitig schade es der Glaubwürdigkeit Europas und der Industrieländer.
Um Entscheidungsträger auf Missstände wie diese hinzuweisen und die Politik zu beraten, gründete sie im Oktober 2022 den Think-Tank Strategic Perspectives. Während die ECF vor allem zur Projektförderung und Finanzierung arbeitet, tritt Kalcher nun in der Klimapolitik wieder stärker in Kontakt mit Abgeordneten im Parlament.
Die Arbeit des Think-Tanks füllt laut Kalcher zudem eine Nische: Zwar arbeiten einige Think-Tanks bereits auf der Ebene nationaler und europäischer Umweltpolitik und andere auf europäischer und internationaler Ebene – kaum eine Denkfabrik nehme aber alle drei politischen Ebenen in den Blick.
Mitte Mai veröffentlichten Kalcher und ihr Kollege Neil Makaroff den ersten Bericht von Strategic Perspectives. In Zusammenarbeit mit Cambridge Econometrics modellieren sie darin die Auswirkungen des Green Deal und von Repower-EU und geben Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Außerdem sammelten sie aus ganz Europa Beispiele für eine sozial verträgliche Klimapolitik, etwa die Wärmeumlage in Tschechien oder das deutsche 49-Euro-Ticket.
Kalcher blickt optimistisch in die Zukunft: “Wir haben herausgefunden, dass die Klimaziele bis 2030 noch zu erreichen sind und dabei auch netto 500.000 neue Arbeitsplätze entstehen können.”
Überrascht habe sie an den Ergebnissen allerdings, dass der Anteil von Erdgas an der Energieversorgung nur recht langsam sinke. “Ein Grund dafür ist der massive Ausbau von LNG-Terminals in Italien, Deutschland und Frankreich.” Stoßen Maßnahmen wie diese innereuropäisch auf Unverständnis, gilt es für Kalcher, alle Perspektiven im Blick zu behalten und den Regierungen verschiedener Länder – auch außerhalb Europas – zu erklären.
Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt sich aktuell: “Eine Debatte um Wärmepumpen wie in Deutschland findet in Ländern wie Frankreich, Tschechien oder Polen nicht statt.” Dort gingen die Verkaufszahlen – auch dank staatlicher Subventionen – seit 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine deutlich in die Höhe. Warum Wärmepumpen in Deutschland so kontrovers diskutiert werden, ist daher eine der Fragen, die Kalcher in der europäischen Energiepolitik aktuell beschäftigt. Carlos Hanke Barajas
mehr denn je gilt in der Klimapolitik: Die Zeit ist knapp. Deshalb sollten wir über die wichtigen Dinge diskutieren. Leichter gesagt als getan, wie unser Climate.Table dieses Mal zeigt. Wir haben Beispiele gesammelt, wo ernsthafte Debatten bisher manchmal verpasst werden.
So reden zwar alle über den dringend nötigen Aufbau von erneuerbaren Energien weltweit. Aber selten weist jemand – wie unser Kollege Nico Beckert – darauf hin, dass dieser Aufbau ohne Ausbau der Stromnetze wenig Sinn macht. Viele Menschen debattieren, ob die 1,5-Grenze bei der Erderhitzung noch zu halten ist. Aber wir haben für Sie im Bericht der IEA gefunden, was dafür nötig wäre: Dreimal so viele Erneuerbare, 4,5 Billionen Dollar Investitionen im Jahr, keine neuen Gas-, Öl- und Kohleprojekte. Darum geht´s.
Auch beim Thema CCS wird viel gestritten. Aber wenig darüber, wie dieser Streit die deutsche Klimapolitik lahmlegt und traditionelle Verbündete verprellt – wenn Deutschland wegen interner Debatten international nur eingeschränkt politikfähig ist, wie es letzte Woche in New York passierte. Und schließlich kocht gerade wieder die Debatte über Migration hoch – aber ein wichtiger Seitenaspekt bleibt unerwähnt: Wie bereitet sich Europa auf europäische Klima-Flüchtlinge vor, die vielleicht in Regionen in Spanien oder Griechenland ihre Heimat verlieren? Unser Standpunkt heute rührt an diese unterbelichtete Frage.
Ihnen wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre und hoffentlich ein paar neue Einblicke,
Die deutsche Position in der internationalen Klimapolitik wird durch Streit in der Ampelkoalition geschwächt. Die Koalitionäre sind sich nicht über den Weg zu einem weltweiten Ausstieg aus den fossilen Energien einig. Weil die Regierung keine gemeinsame Position fand, ob ein solcher Ausstieg mit oder ohne CO₂-Speicherung (CCS/CCU) gefordert werden soll, verweigerte Bundeskanzler Olaf Scholz in der vergangenen Woche seine Unterschrift unter einer entsprechenden Erklärung der “High Ambition Coalition” (HAC). Normalerweise ist Deutschland auf dem internationalen Parkett eines der wichtigsten und progressivsten Länder in der HAC. Die HAC versammelt seit dem Pariser Klimagipfel Staaten aus verschiedenen UN-Gruppen, die für mehr und energischeren Klimaschutz eintreten.
Zum “Climate Ambition Summit” des UN-Generalsekretärs António Guterres am 20. September hatte die HAC einen dringenden Appell zu mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz veröffentlicht. In dem Schreiben der Staats- und Regierungschefs werden zur Erreichung der globalen Klimaziele unter anderem schärfere Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren und bei der Energieeffizienz sowie mehr Klimafinanzierung gefordert. Dann aber verlangt der Text auch eine “systemische Transformation aller Wirtschaftssektoren”, “angetrieben von einem globalen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen”. Weiter heißt es: “Abscheidungstechniken (Abatement) haben bei der Emissionsreduktion eine Rolle zu spielen, aber diese Rolle bei der Dekarbonisierung der Energiesysteme ist minimal. Wir können sie nicht dazu nutzen, um die Ausweitung fossiler Brennstoffe zu genehmigen.”
Diese Formulierung, akzeptiert von 20 Staats- und Regierungschefs wie etwa aus Frankreich, Österreich, Chile, Belgien, Spanien, Dänemark, Barbados, Tuvalu oder Kenia, trug Scholz nicht mit. Sie berührt eine der entscheidenden Fragen der diesjährigen COP: Soll ein Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen beschlossen werden – oder nur aus “unabated” Formen, also der Energieerzeugung ohne CCS/CCU?
Zwar “unterstützt die Bundesregierung die Ziele der High Ambition Coalition grundsätzlich”, so ein Regierungssprecher auf Anfrage von Table.Media. Aber: “Die vorgelegte Version ging über zuvor auf internationaler Ebene abgestimmte Sprache hinaus”. Außerdem “bestand innerhalb der Bundesregierung keine abschließende Position, sodass Deutschland namens des Bundeskanzlers auf eine Unterzeichnung verzichtet hat.” Mit “abgestimmter Sprache” ist wohl die Abschlusserklärung des G7-Gipfels in Japan gemeint, in der ebenfalls nur das schnelle Ende von “unabated fossil fuel” erwähnt ist.
Zuvor hatte es nach Information von Table.Media bei der internen Abstimmung in der Regierung einen Dissens zwischen dem grün-geführten Auswärtigen Amt und dem FDP-geleiteten Bundesfinanzministerium gegeben. Während Außenministerin Annalena Baerbock wiederholt gefordert hat, die anstehende COP28 in Dubai müsse beschließen, die Nutzung aller fossilen Brennstoffe zu beenden, setzt das Haus von Finanzminister Christian Lindner auf “Technologieoffenheit” – und das bedeutet auch den Einsatz von CCS/CCU im Energiebereich.
Aus Kreisen des Finanzministeriums heißt es, man müsse die “gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Blick behalten”. Ein “Verzicht auf den Zusatz ‘unabated’ hätte massive wirtschaftliche Auswirkungen, da ein Betrieb von bestimmten Industrien, in denen fossile Energie nicht ohne Weiteres ersetzt werden kann, nicht mehr möglich wäre. Dies würde lediglich zu Abwanderungstendenzen führen, aber nicht dem Klimaschutz insgesamt dienen.” Diese Argumentation, so wird betont, habe “schon an verschiedenen Stellen Eingang in die Position der Bundesregierung insgesamt” gefunden.
Lindners Haus ist mit der Forderung nicht allein. Das Ende allein von “unabated fossil fuels” verlangt auch der designierte COP-Präsident Sultan Al Jaber, Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Vorstandschef des staatseigenen Öl- und Gaskonzerns Adnoc. Weltweit wehren sich damit vor allem die öl- und gasproduzierenden Länder gegen die Forderung, die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen.
Klimaschutzgruppen und Inselstaaten dagegen fürchten, dass eine solche Formulierung durch die COP28 dazu führen könnte, das Geschäftsmodell der fossilen Brennstoffe ungebremst fortzuführen. Außerdem könnten dann dringend nötige Investitionen in Erneuerbare verzögert und die Reduktion von Emissionen mit Verweis auf mögliche CCS-Techniken in die Zukunft verschoben werden. Eine Halbierung der globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030, die laut Weltklimarat IPCC für die Einhaltung der 1,5-Grenze nötig ist, wäre fraglich, wenn die CCS-Technik das Tempo der Erneuerbaren bremsen würde. CCS/CCU habe bisher nicht das erreicht, was davon erwartet wurde, erklärte gerade die Internationale Energieagentur. Mehr politische Unterstützung und schnellerer Fortschritt seien für einen Durchbruch bei CCS/CCU nötig.
Dennoch bröckelt die Front der Länder, die dafür plädieren, die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen und CCS/CCU nur für praktisch unvermeidbare Emissionen zu nutzen. Das ist zumindest auch die Haltung von Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Haus derzeit an einer “Carbon Management-Strategie” arbeitet. Die Pläne sollen für deutsche Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, ihre unvermeidbaren CO₂-Emissionen, etwa aus der Stahl- oder Zementindustrie, per Schiff, Lkw oder Pipeline aus Deutschland zu exportieren und in dänischen oder norwegischen Lagerstätten unter der Nordsee einzulagern. Aber in Habecks Strategie geht es ausdrücklich nicht um eine CCS/CCU-Lösung für Emissionen aus dem Energiesektor, wie sie etwa den VAE vorschwebt.
Allerdings ist inzwischen auch die EU auf diese Linie der VAE eingeschwenkt. Sie fordert nur noch ein Energiesystem “frei von unverminderten (unabated) fossilen Brennstoffen”. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholte diese Position auch beim Guterres-Gipfel in New York. Ob diese Haltung, also eine Übereinstimmung mit den Forderungen der VAE und anderer Öl- und Gasproduzenten, auch zur offiziellen Verhandlungsposition der EU bei der COP28 im Dezember wird, entscheidet die EU im Oktober.
Mit der Enthaltung von Scholz unter der Forderung nach einem harten Ausstieg wird die HAC in diesem Punkt weiter geschwächt. Auch bei ihren Verhandlungen etwa auf der COP könnte Baerbock der Haltung begegnen, dass ihr dafür der Rückhalt im eigenen Kabinett fehlt.
Der Bundeskanzler nutzte allerdings in seiner Rede auf dem “Klima-Ehrgeiz-Gipfel” von Guterres dann doch wieder die harte Ausstiegsformulierung im Sinne von Baerbock: “In Dubai wird es von uns allen den starken Entschluss benötigen, fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen, zuerst und vor allem die Kohle”. Von “unabated” war da keine Rede – aber der Fokus lag auf der Kohle, nicht auf Öl oder Gas.
Der Siegeszug der Erneuerbaren schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. China hat in den ersten sieben Monaten dieses Jahres fast 100 Gigawatt an neuer Solarkapazität installiert und damit schon jetzt das Rekordjahr 2022 übertroffen. Auch in den USA ist der Sektor in den letzten Jahren stark gewachsen. Doch die Stromnetze werden nicht schnell genug ausgebaut und drohen, das Tempo der Energiewende zu verlangsamen.
Ohne modernes Stromnetz kommt die grüne Energie nicht zu den elektrischen Stahlwerken, E-Autos und Wärmepumpen, die eine klimafreundliche Wirtschaft ausmachen. Laut dem Think-Tank Bloomberg NEF müssen die Stromnetze bis 2050 weltweit auf 152 Millionen Kilometer ausgebaut werden, um die Klimaziele erreichen zu können – eine Verdopplung der aktuellen Länge. Weltweit müssen demnach bis 2050 21 Billionen US-Dollar investiert werden. Auf die USA und China kommen demnach mehr als ein Drittel dieser Investitionen zu. Bauen die beiden Staaten ihre Stromnetze nicht schneller aus als bisher, könnte die Energiewende ernsthaft in Gefahr geraten, sagen Experten.
In den USA könnte das Stromnetz zu einem der größten Flaschenhälse der Energiewende werden. Laut einer Studie der Princeton-University müsste das Netz doppelt so schnell ausgebaut werden wie im letzten Jahrzehnt, damit der Inflation Reduction Act (IRA), das Milliardenprogramm zum grünen Umbau der USA, seine volle Wirkung erzielen kann. Wird der Ausbau nicht beschleunigt, könnten demnach über 80 Prozent der potenziellen Emissionsreduktionen durch IRA-Maßnahmen verloren gehen.
Nach Meinung der Princeton-Forscher wären in der Vergangenheit zwar schon ähnliche Wachstumsraten beim Ausbau des Netzes erreicht worden. Doch die USA stünden dabei vor großen Herausforderungen:
In vielen Landesteilen ist das lokale Stromnetz schon ausgelastet. Das droht die Energiewende zu bremsen, denn einzelne Entwickler neuer Kraftwerke müssen sowohl für die Anbindung an das lokale Stromnetz als auch für den Ausbau des Netzes bezahlen, falls dieses durch neue Kraftwerke an die Kapazitätsgrenze kommt. So ein Netzausbau kann die Kosten für neue Wind- und Solarparks massiv in die Höhe treiben, sodass einige Projektentwickler aufgeben. Zudem ziehen Projektentwickler ihre Bauanträge mitunter zurück, wenn sie für den Netzausbau aufkommen müssen. Sie reichen zahlreiche Anträge ein und realisieren nur die Projekte, bei denen andere Projektentwickler die Kosten für den Netzausbau tragen, wie die New York Times berichtet.
Darüber hinaus müssen Projektentwickler mittlerweile fast doppelt so lange auf den Anschluss an das Stromnetz warten, wie noch in den Jahren 2000 bis 2010. Im Durchschnitt dauerte es damals 2,1 Jahre, bis ein neues Kraftwerk an das Netz angeschlossen wurde – heute sind es schon 3,7 Jahre. Die Behörden sind aufgrund der Flut neuer Anträge überlastet. Um den Ausbau des Stromnetzes zu beschleunigen, hat die US-Bundesregierung im Zuge des Infrastructure Investment and Jobs Act und des IRA 29 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Doch um bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen zu können, reichen diese Investitionen nicht aus, so die Einschätzung von Bloomberg NEF.
In China hat das Stromnetz schon in der Vergangenheit die Energiewende ausgebremst. Anfang und Mitte der 2010er Jahre lagen viele neue Wind- und Solarparks brach, weil die Netzanbindung zwischen den chinesischen Provinzen nicht ausreichend und der Stromhandel zwischen den Provinzen künstlichen Hürden unterworfen war. Damals kam es teils zu Abregelungsraten (“Curtailment Rates”) von 40 bis 50 Prozent. Das heißt: Wind- und Solarkraftwerke waren zwar fertig gebaut, wurden aber nicht betrieben, weil das Netz den zusätzlichen Strom nicht verkraften konnte. Teils wurde der Bau neuer Solar- und Windkraftwerke für Jahre gestoppt.
Die Situation hat sich seitdem sehr verbessert. Doch aufgrund des neuerlichen Booms bei der Solar- und Windenergie steht China vor neuen Herausforderungen, die die Energiewende erneut ausbremsen könnten:
Insgesamt wird China in diesem Jahr Schätzungen zufolge etwas über 80 Milliarden Euro in den Ausbau seines Stromnetzes investieren. Das ist viel Geld, aber es reicht nicht. Die Investitionen “sollten, angepasst an die erneuerbaren Energien, so erhöht werden, dass sie den rekordhohen Investitionen in die Stromerzeugung aus Erneuerbaren entsprechen”, sagt Run Zhang, Projektleiterin China bei Agora Energiewende.
Die neuen Rekorde beim Ausbau der Erneuerbaren “werden die Grenzen des chinesischen Stromsystems testen”, so die Trivium-Experten. “Eine Rückkehr zu anhaltend hohen Abregelungsraten könnte die politischen Entscheidungsträger erneut dazu zwingen, den Ausbau neuer Anlagen zu bremsen”. Und selbst wenn die Entscheidungsträger die Engpässe im Stromnetz beseitigen können, drohen weitere Herausforderungen: Chinas Strommarkt ist noch immer sehr unflexibel. Der Stromhandel über Provinzgrenzen hinweg wird durch politische Interessen und bürokratische Hürden behindert – auch das bremst die Energiewende.
Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterliegen derzeit nur 23 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen einem CO₂-Preis. Das bringe Einnahmen in Höhe von 95 Milliarden US-Dollar, sagte sie vergangene Woche auf dem UN-Klimagipfel in New York – und ergänzte die Summe durch ein Gedankenspiel: Man solle sich vorstellen, welche Einnahmen für Investitionen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zusammenkämen, wenn man die von UN-Generalsekretär António Guterres anvisierten 60 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 abdecken könnte.
Auf EU-Ebene geht an diesem Wochenende ein Instrument an den Start, das dazu beitragen soll, Länder außerhalb Europas zu einer CO₂-Bepreisung ihrer klimaschädlichsten Industrien zu bewegen – so ähnlich wie es das EU-Emissionshandelssystem (ETS) bereits tut. Der Grenzausgleichsmechanismus CBAM belegt emissionsintensiv hergestellte Produkte, die in die EU eingeführt werden, mit einem Zoll in Höhe des europäischen CO₂-Preises. Unterliegen die Emissionen im Herstellungsland bereits einem CO₂-Preis, wird der Zoll um diesen Betrag rabattiert.
Zwar liegt der vordergründige Zweck des Instruments darin, die europäische Industrie vor Wettbewerbsnachteilen und Carbon Leakage – der Verlagerung von emissionsintensiven Betrieben in Drittstaaten – zu schützen. Doch die EU-Gesetzgeber betonten schon früh, dass CBAM auch außereuropäische Staaten und Regionen motivieren soll, eigene CO₂-Preise einzuführen. Nur dadurch können sie die CBAM-Abgabe im Handel mit der EU vermeiden oder zumindest begrenzen.
Tatsächlich gab es erste zaghafte Nachahmer, noch bevor der CBAM final beschlossen war. Die Türkei hatte sich lange gegen eine CO₂-Abgabe gewehrt, räumte nach der Vorstellung des CBAM aber schon 2021 ein, dass das Instrument ein Anreiz sei, die eigene Industrie mithilfe der EU umzubauen, zukunftssicher zu machen und an den Green Deal anzupassen. Zwar gibt es nach wie vor kein türkisches ETS, doch die Planungen laufen.
Australien hat nach europäischem Vorbild in diesem Jahr sein Emissionshandelssystem reformiert und erst im Juli einen CO₂-Preis für seine emissionsintensivsten Industrieanlagen eingeführt. Die Emissionsobergrenze sinkt – wie beim EU-ETS – Jahr für Jahr und zwingt die Anlagen so, ihren Treibhausgasausstoß zu senken. Inzwischen plant Australien auch einen CBAM, um die eigenen Märkte vor klimaschädlichen Importen aus dem Ausland zu schützen. Die Regierung will sich den europäischen CBAM nun genau anschauen und im kommenden Jahr einen eigenen Vorschlag für Einfuhren von Stahl und Zement vorlegen.
Auch in Indonesien wird mit Hochdruck an einem CO₂-Preis gearbeitet. Ein freiwilliger Zertifikatehandel zur Finanzierung der Transformation im Energiesektor ist bereits gestartet. Jetzt soll ein verpflichtender CO₂-Preis auch für weitere Sektoren folgen. Dabei will Indonesien internationale Standards übernehmen, um seine Emissionsgutschriften auch ausländischen Käufern anbieten zu können.
Dass es nicht nur schnelle Nachahmer der wichtigsten europäischen Klimaschutzinstrumente gibt, zeigt insbesondere Indien. 19 Prozent der indischen Exporte gehen in die EU. 2022 waren sie in den CBAM-Sektoren Aluminium, Eisen und Stahl, Düngemittel, Strom, Zement und Wasserstoff über neun Milliarden Euro wert. Besonders die indische Stahl- und Aluminiumindustrie ist besorgt über den CBAM-Preisaufschlag, weil die CO₂-Intensität der heimischen Industrie erheblich höher ist als im globalen Durchschnitt.
Indien hat deshalb erhebliche Bedenken am EU-CBAM geäußert und diese auch vor der WTO vorgetragen. Dabei geht es auch um Fairness zwischen den europäischen Industriestaaten und dem Schwellenland Indien. Der CBAM zwinge den Entwicklungsländern das Übergangstempo der EU auf, kritisiert Suranjali Tandon, Professorin am National Institute of Public Finance and Policy in Neu-Delhi. Da Entwicklungsländer keine CO₂-Bepreisung haben, würde die EU durch den CBAM an deren Exporten verdienen. Dies sei zwar eine diskriminierende Maßnahme, biete aber auch Chancen. “Die Entwicklungsländer können Märkte aufbauen und inländische Steuern erheben, die nicht nur ihre Bemühungen zur Erreichung der Netto-Null-Ziele unterstützen, sondern auch die potenziellen Grenzen der Preisgestaltung besser artikulieren, die mit den Entwicklungsprioritäten vereinbar sind und die Untätigkeit der Industrieländer aufzeigen.”
Indien denkt darum über regulatorische Reaktionen nach. Zur Debatte steht eine eigene CO₂-Steuer für Exportwaren in die EU, die die CBAM-Kriterien für Rabatte erfüllt. Würde sie eingeführt, würde Indien statt der EU an dem CO₂-Preis verdienen. Eine weitere Option und eine Art Vergeltungsmaßnahme ist die Erhebung einer Ausgleichssteuer auf Importe aus der EU nach Indien. Allerdings droht Indien, damit selbst gegen WTO-Richtlinien zu verstoßen. Indien ist zudem dabei, einen Emissionshandel einzuführen.
Auch in den Vereinigten Staaten gibt es Vorschläge für einen CO₂-Grenzausgleich zum Schutz der eigenen Industrie vor ausländischen Konkurrenten. Ideen dafür werden von Demokraten und Republikanern unterstützt. Allerdings scheitern die Bemühungen bislang an der Frage, ob es einen nationalen CO₂-Preis braucht, um einen CBAM für ausländische Importe zu verhängen. Die Republikaner wollen einen solchen Preis nicht – doch einen CBAM ohne nationalen CO₂-Preis einzuführen, wäre nicht mit WTO-Regeln konform. Die Demokraten hingegen haben einen CO₂-Preis bereits in zwölf Bundesstaaten eingeführt.
Brasilien hat unter Präsident Lula da Silva ebenfalls eine Emissionsobergrenze für große umweltverschmutzende Unternehmen sowie die Schaffung eines regulierten Kohlenstoffmarktes angekündigt. Ein CO₂-Preis ist Teil des Plans. Rund 5.000 Unternehmen aus der Stahl-, Aluminium-, Zement- sowie der chemischen Industrie, die jährlich mehr als 25.000 Tonnen CO₂ emittieren, sollen betroffen sein. Wie hoch die Obergrenze angesetzt wird, ist noch nicht bekannt, jedoch soll sie nach dem europäischen Vorbild schrittweise sinken.
Zwar ist Brasilien vor allem aufgrund seiner Agrarexporte wichtiger Handelspartner Europas – und die sind vom CBAM nicht betroffen. Doch Stahl und Eisen, Aluminium, Düngemittel und Zement stehen ebenfalls auf der Exportliste Brasiliens weit oben. Außerdem könnte Brasilien künftig zum Öllieferanten Europas werden, und es gibt bereits die Überlegung, den CBAM im nächsten Schritt auf alle fossilen Brennstoffe auszuweiten.
China hat seit 2021 ein funktionierendes Emissionshandelssystem – dem Jahr, in dem die EU ihr Fit-for-55-Paket und eine wegweisende Reform des ETS auf den Weg gebracht hat. Es umfasst etwa vier Milliarden Tonnen CO₂ und über 40 Prozent der Treibhausgase des Landes, doch bisher betrifft es nur größere Kohle- und Gaskraftwerke. Die Ausweitung auf alle Industriesektoren wurde immer wieder verschoben und ist derzeit für 2025 geplant, ein Jahr bevor zum ersten Mal an den EU-Außengrenzen ein finanzieller Ausgleich im Rahmen des CBAM fällig wird. Zwar gibt es noch erhebliche Mängel am chinesischen CO₂-Preis. Doch das Ziel ist offenkundig: Grenzzölle der EU vermeiden. Mit Urmi Goswami
27. bis 29. September, Hamburg
Kongress Extremwetter-Kongress
Der Extremwetter-Kongress Hamburg (EWK) ist ein Kongress zum Thema Extremwetter im Klimawandel. Zahlreiche Referentinnen und Referenten informieren rund um die zukünftigen Entwicklungen von Extremwettereignissen, die Anpassungsstrategien an zukünftige Klimaveränderungen und den Stand der Forschung. Infos
28. September, 9 Uhr, Bremen
Konferenz 12. REKLIM Klimawandel in Regionen
Die Konferenz behandelt das Thema “Herausforderung Meeresspiegeländerung im deutschen Küstenraum”. Dazu werden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert. Infos
28. September, 9 Uhr, Hamburg
Tagung Kann Klimaschutzrecht Zeitenwende? Möglichkeiten zur Beschleunigung von Innovationen und Investitionen
Am 28. September findet die Jahrestagung des Center for Interdisciplinary Research in Energy, Climate and Sustainability der Bucerius Law School in Hamburg statt. Im Fokus stehen die Schnittpunkte zwischen Recht, Klimaschutz, Infrastruktur und Industriepolitik. Infos
28. September, 11.15 Uhr, Online
Webinar Energieverbände im Dialog: Wie fit sind Deutschland, Österreich und die Schweiz für den zweiten Krisenwinter?
Den ersten Krisenwinter nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine haben die Energieunternehmen – auch dank milder Wetterumstände – sehr gut gemeistert. Die Vorbereitungen auf den zweiten Krisenwinter laufen. Wie gut sind Deutschland, Österreich und die Schweiz gerüstet? Wie gestalten die drei Länder den Weg von der Krise zur Transformation? Darüber sprechen drei Verbandsvertreterinnen in einem Webinar des Fachverlags Energate. Ifnos
28. September, 14 Uhr, Berlin
Kongress ZEIT WISSEN Kongress – Mut zur Nachhaltigkeit 2023
Auf dem Nachhaltigkeitskongress wird in verschiedenen Panels über Klimaschutz und Transformation der Wirtschaft diskutiert. Unter anderem geht es darum, wie eine Welt mit 3 Grad Erderwärmung aussehen würde. Infos
28. September, 15 Uhr, Online
Webinar Bidding zone split for Germany
Auf dem Webinar stellt das Beratungsunternehmen Aurora Research Inhalte aus seiner Studie zur Aufteilung Deutschlands in mehrere Strompreisregionen, sogenannte Gebotszonen, vor. Infos
28. September, Paris
Gipfel IEA Critical Minerals and Clean Energy Summit
Der Gipfel für kritische Mineralien und saubere Energie der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich auf Maßnahmen zur Förderung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit Rohstoffen konzentrieren, die eine zentrale Rolle bei der globalen Umstellung auf saubere Energie spielen. Der Gipfel wird Ministerinnen und Minister aus Ländern auf der ganzen Welt, sowie Wirtschaftsführer, Investoren, Leiter internationaler Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenbringen. Infos
28. bis 29. September, Paris
Konferenz Roadmaps to New Nuclear
Das französische Ministerium für Energiewende und die OECD-Agentur für Kernenergie (NEA) veranstalten eine internationale Konferenz, um zu erkunden, wie neue Kernenergiekapazitäten schnell in Betrieb genommen werden können, um den Regierungen zu helfen, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Infos
2. Oktober, 18.30
Anhörung Wopke Hoekstra
Wopke Hoekstra, designiertes Mitglied der Kommission mit Zuständigkeit für Klimaschutz, wird im Umweltausschuss des EU-Parlaments angehört.
2. Oktober, Madrid
Gipfel Climate and Energy Summit: Building a Grand Coalition to Keep 1.5 ºC Within Reach
Teresa Ribera, Vizepräsidentin der spanischen Regierung, und Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, werden am 2. Oktober 2023 in Madrid einen internationalen Klima- und Energiegipfel veranstalten, bei dem es um die Dringlichkeit einer Beschleunigung der globalen Energiewende geht. Infos
3. Oktober, 8,30 Uhr, Straßburg
Anhörung Maroš Šefčovič
Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für Klimapolitik, wird im Umweltausschuss des EU-Parlaments angehört.
5. Oktober, Bonn
Konferenz Finanzierungskonferenz des Grünen Klimafonds
Am 5. Oktober 2023 richtet Deutschland eine hochrangige internationale Konferenz zur Wiederauffüllung des Grünen Klimafonds (Green Climate Fund) in Bonn aus. Die Konferenz will Aufmerksamkeit für den internationalen Klimaschutz generieren und Mittelzusagen für den Fonds für die Jahre 2024 bis 2027 mobilisieren. Infos
Verbrenner durch E-Autos zu ersetzen, reicht laut einer neuen Analyse der NGO Transport and Environment (T&E) nicht aus, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Autos mit Verbrennungsmotor müssten auch viel häufiger in der Garage bleiben. Laut Berechnungen von T&E müssen die mit Verbrennern gefahrenen Kilometer bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 2018 abnehmen. Selbst unter der optimistischen Annahme, dass bis 2030 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren, müssten die Fahrzeugkilometer bis 2030 insgesamt um 24 Prozent abnehmen. Andernfalls seien die Klimaziele des Verkehrssektors nicht mehr einzuhalten.
T&E-Analyst Benedikt Heyl sagt: “Für den Ausbau von Autobahnen ist weiter Geld da, während die Anschlussfinanzierung des 49-Euro-Tickets in der Schwebe hängt.” Die “Individualmobilität im Auto” dürfe nicht “auf Kosten der Steuerzahler” gefördert werden, kritisiert T&E. Die Organisation plädiert für einen bezahlbaren öffentlichen Nah- und Fernverkehr. nib
Waldprojekte zur Kompensation von CO₂ (Carbon Offsets) seien nicht nur häufig Greenwashing, sie hätten auch negative Auswirkungen vor Ort, zeigt eine neue Recherche des Fachportals Carbon Brief. Die Projekte schaden demnach häufig lokalen und indigenen Gemeinden. Außerdem wird ihre Fähigkeit, CO₂ zu binden, oft überschätzt. Zusätzlich schaden sie teilweise der Produktion von Nahrungsmitteln und stehen in einigen Fällen mit illegaler Landnutzung in Verbindung. Carbon Brief hatte dazu zahlreiche Medienberichte sowie Analysen des Environmental Justice Atlas ausgewertet.
Das Fachportal hat dabei Berichte über negative Auswirkungen von Kompensationsprojekten aus allen Weltregionen zusammengetragen. In Lateinamerika ging es in 15 der 19 Berichte um Projekte aus dem Amazonas-Regenwald.
In jüngster Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik an CO₂-Kompensationsprojekten gegeben, zuletzt hatte beispielsweise eine Studie des Berkeley Carbon Trading Project kritisiert, dass die Ausgleichsprojekte im Regenwald ineffektiv seien und falsche Anreize setzten. Gleichzeitig nahm die Anzahl der Ausgleichszertifikate, die über sie verkauft wurden, stark zu. kul
Die Zeit wird knapp, aber die Erderhitzung könne noch unter 1,5 Grad gehalten werden, weil die erneuerbaren Energien so dynamisch wachsen, schreibt die Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem aktualisierten Netto-Null-Szenario für den Energiesektor. Um die Klimaziele erreichbar zu halten, müssen die Staaten die Investitionen in die Energiewende allerdings massiv steigern und dürfen nicht mehr in die Ausweitung der Förderung und Verbrennung fossiler Rohstoffe investieren.
Weltweit müssten demnach Anfang der 2030er Jahre jährlich 4,5 Billionen US-Dollar investiert werden. Für das laufende Jahr prognostiziert die IEA Rekordinvestitionen in saubere Energien in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar. Besonders Entwicklungs- und Schwellenländer müssten mehr in die Energiewende investieren und bräuchten dafür internationale Unterstützung in Höhe von 80 bis 100 Milliarden US-Dollar jährlich an Krediten zu vergünstigten Konditionen, so die IEA.
Laut den IEA-Berechnungen müssen die CO₂-Emissionen des Energiesektors bis 2030 um 35 Prozent und die Nachfrage nach fossilen Energien um 25 Prozent fallen. Dies sei möglich, wenn die erneuerbaren Energien schnell genug ausgebaut werden und Kohlekraftwerke schneller vom Netz gehen. Neue Öl- und Gasförderung sowie neue Kohleminen oder -kraftwerke seien dann für eine sichere Stromversorgung nicht mehr nötig.
Zwar hätten die CO₂-Emissionen des Energiesektors im Jahr 2022 einen globalen Höchststand von 37 Milliarden Tonnen erreicht. Doch der Energiesektor verändere sich schneller als viele glauben, so die IEA:
Allerdings müsse noch viel mehr erreicht werden. Bis 2035 müssen die CO₂-Emissionen des Energiesektors in reichen Staaten um 80 und in Schwellen- und Entwicklungsländern um 60 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 sinken. Die Klimaziele der Staaten reichen nicht aus, um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Um bis 2030 auf einem Klimapfad für 1,5 Grad zu sein, sieht das IEA-Szenario unter anderem vor:
Auch CCUS-Technologien zum Abscheiden und Speichern von CO₂ sowie Wasserstoff und seine Derivate seien wichtig, um die Klimaziele bis 2030 erreichbar halten zu können. Allerdings seien die Erfahrungen mit CCUS-Technologien bisher enttäuschend. Trotz vieler Ankündigungen fehle es noch an finalen Investitionszusagen. Um die Nachfrage nach dieser Technologie zu stärken, bedürfe es laut IEA politischer Unterstützung. nib
Die globalen Öl- und Gaskonzerne können sich weiterhin auf die Unterstützung der größten Banken verlassen – und die Deutsche Bank zählt zu ihren wichtigsten Finanziers. Zu diesem Ergebnis sind zwei Rechercheteams aus den Niederlanden und zwölf internationale Medien gekommen. Für ihre gemeinsame Arbeit haben sie die Anleihen untersucht, die die Kreditinstitute für Konzerne wie BP, Petrobras, Petroleum Mexicanos, Shell oder Occidental Petroleum Corp. seit Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens 2016 für neue Rohstoffförderungen am Markt platziert haben. Bis zum Juni 2023 kamen sie auf weltweit 1.666 Anleihen mit einem Volumen von 1,01 Billionen Euro. Die Deutsche Bank war an Deals beteiligt, deren Volumen zusammen 432 Milliarden Euro betrug.
Zu den weiteren emittierenden Banken zählen JP Morgan, Citi, Bank of America, HSBC, Goldman Sachs, Barclays, BNP Paribas und Crédit Agricole. Letztere hat sich, wie auch die Deutsche Bank, öffentlich zur Bekämpfung des Klimawandels bekannt, untergräbt mit den fossilen Anleihen allerdings die eigenen Bemühungen. Die Geschäfte bleiben in der Regel unerkannt, da der Handel nicht über die Börse organisiert ist. Schon in den vergangenen Jahren sind die Großbanken für ihre Geschäfte mit dem fossilen Sektor kritisiert worden, unter anderem von der NGO Urgewald.
Auch die deutsche Entwicklungsbank DEG sieht sich mit dem Vorwurf der Finanzierung klimaschädlicher Projekte konfrontiert. Laut Recherchen von Correctiv und El Surtidor habe sich die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft 2013 an einem der größten Agrarkonzerne Paraguays beteiligt. Das Unternehmen habe seitdem etwa 7.000 Hektar Regenwald vernichtet, um neue Flächen für Viehweiden zu schaffen. Laut Correctiv-Quellen sei das allerdings eine konservative Zahl – die tatsächliche Entwaldung könne noch höher liegen. Die DEG, der Privatsektorarm der KfW, rechtfertigt die Investition damit, die lokale Nahrungsmittelproduktion zu stärken und die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Laut Correctiv wisse die Bundesregierung seit Jahren von den umstrittenen Geschäften. maw/nib
Die französische Regierung will den Treibhausgasausstoß des Landes bis 2030 um 55 Prozent unter den Stand von 1990 senken. Das ist das Ziel der “ökologischen Planung”, die Präsident Emmanuel Macron am Montag in Paris vorgestellt hat. Aus ihr ergibt sich, dass die Emissionen bis 2030 ab sofort pro Jahr um 5 Prozent sinken sollen – zweieinhalbmal so schnell wie bisher. In absoluten Mengen sollen sie 2030 um 138 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente niedriger liegen als 2022.
Macron will mit seiner “Ökologie auf französische Art” auch die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs stärken, etwa gegen die Konkurrenz aus China. Zugleich sollen soziale Maßnahmen helfen, “einen gerechten Weg zur ökologischen Wende” zu gehen. Der Plan sei “eine Antwort auf die Klimakrise, den Zusammenbruch der biologischen Vielfalt, das Ende des Überflusses und die Knappheit unserer Ressourcen”, sagte Macron.
Konkret beabsichtigt Frankreichs Regierung:
Bevor Macron im April 2022 zum zweiten Mal die Präsidentschaftswahl gewann, hatte er im Wahlkampf gesagt, seine zweite Amtszeit werde “ökologisch sein oder gar nicht stattfinden”. Am Montag forderte er eine “kohärente europäische Politik”. Nur mit Regulierung und ohne Investitionen könne es “keine ökologische Wende und keine echte europäische Strategie geben”, sagte er.
Frankreichs Präsident rief die EU auf, mehr zu investieren, um “eine wettbewerbsfähige Ökologie zu verteidigen” und “mit China und den USA mitzuhalten”. Letzteres bezieht sich auf den Inflation Reduction Act, mit dem die USA seit dem vergangenen Jahr klimafreundliche Investitionen fördern. cst/ae
In diesem Sommer ächzte Europa unter Rekordtemperaturen; es gab heftige Unwetter und Überschwemmungen, so wie zuletzt etwa in Griechenland und Libyen: Die Klimakrise ist längst Teil unseres Alltags – und viele Menschen machen sich große Sorgen über ihre Auswirkungen. Nicht wenige Stimmen in der Politik und den Medien warnen dabei immer wieder vor Millionen “Klimaflüchtlingen” aus Afrika und anderen Regionen des Globalen Südens, die schon bald nach Europa strömen könnten.
Auch unabhängig von der Erderwärmung prägt die Migrationsdebatte – acht Jahre nach der Flüchtlingskrise – derzeit erneut die Politik. Deutsche Kommunen klagen über Überforderung, deutsche Politikerinnen und Politiker streiten über Grenzkontrollen und Obergrenzen. Auf der italienischen Insel Lampedusa haben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni vor Kurzem einen Zehn-Punkte-Plan gegen irreguläre Einwanderung vorgelegt.
Die Klimakrise wird die Migrationsbewegungen wohl noch verstärken. Aber ist das Szenario einer gigantischen, klimabedingten Migrationsbewegung in Richtung Europa überhaupt stichhaltig? Und wie würde ein angemessener politischer Umgang mit den Herausforderungen der “Klimamigration” aussehen?
Um es direkt vorwegzunehmen: Ein Ansturm von Klimaflüchtlingen auf die europäischen Außengrenzen ist – auch wenn die aktuellen Bilder von Lampedusa etwas anderes zu zeigen scheinen – eher unrealistisch. Denn die Forschung zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration kommt zu dem Ergebnis, dass Migrations- und Fluchtbewegungen in Verbindung mit Klimafolgen fast ausschließlich innerhalb der betroffenen Länder und Regionen passieren.
Generell migrieren Menschen im Globalen Süden vor allem intraregional: In West-Afrika beispielsweise beträgt der Anteil der Migration innerhalb der Region nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) rund 90 Prozent. Bei den Hauptbetroffenen der Klimakrise handelt es zum allergrößten Teil um arme Menschen wie Kleinbauern, denen es erst recht an den notwendigen Mitteln fehlt, um in Richtung Europa zu migrieren.
Zudem entspricht das Verhältnis zwischen Klima und menschlichen Wanderungen keineswegs einer simplen Arithmetik, die mit einer Formel à la “0,1 Grad Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur resultieren in x Millionen Klimaflüchtlingen” berechnet werden könnte. Migrations- und Fluchtprozesse sind komplex. Sie werden von politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst, auch in heute schon stark von der Klimakrise betroffenen Gebieten. Außerdem führen die Klimafolgen nicht selten dazu, dass Menschen eher an Mobilität einbüßen, da sie wichtige Ressourcen verlieren.
Deshalb lenkt die vermeintliche Gefahr einer klimabedingten Mega-Flüchtlingskrise eher von den tatsächlichen Herausforderungen ab, die der Klimawandel und die daraus resultierende Migration mit sich bringt.
Zum einen müssen wir uns in Europa darauf einstellen, dass auch bei uns etwa ab der Mitte des 21. Jahrhunderts viele Menschen ihr Zuhause werden verlassen müssen. Allein aufgrund des erwartbaren Anstiegs des Meeresspiegels sind Millionen von Menschen in küstennahen Gebieten Europas gefährdet. Selbst wenn diese Gefahr heute noch nicht so akut erscheinen mag, müssen sich Politik und Gesellschaften Gedanken darüber machen, wie sie diese gigantische Herausforderung bewältigen können.
Bis jetzt scheint diesbezüglich noch unbedarfte Sorglosigkeit zu herrschen. Natürlich planen europäischen Länder und Regionen bereits ihre längerfristigen Anpassungsoptionen. Was ist aber, wenn etwa der Meeresspiegel nach 2050 stärker ansteigt als bislang angenommen? Was ist, wenn die Anpassung technisch oder finanziell für gewisse Gebiete nicht mehr leistbar ist und Menschen dauerhaft weggehen müssen? Für diese Umsiedlungsmaßnahmen muss es einen umfassenden und gut durchdachten Dialog- und Planungsprozess geben, der darauf abzielt, die sozialen und wirtschaftlichen Verluste für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten. Ihn in Gang zu setzen, ist eine Mammutaufgabe für Regierungen und Behörden.
Aber auch die Prozesse von Flucht und Migration, die sich im Kontext der Klimakrise innerhalb anderer Erdteile abspielen, haben Auswirkungen auf uns in Europa. Zwar sind die Zusammenhänge komplex. Aber sowohl die Folgen des Klimawandels selbst als die dadurch mitverursachten Migrationsbewegungen stellen viele Länder des Globalen Südens vor große Herausforderungen. Sie erhöhen auch das Potenzial für mehr Konflikte und Instabilität. Das kann nicht im europäischen Interesse liegen.
Internationale Foren, Prozesse und Organisationen sowie auch nationale Regierungen oder entwicklungspolitische Organisationen beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit Klimamigration -vor allem in den betroffenen Weltregionen, wie der Karibik oder dem Horn von Afrika. Ihre Aktivitäten zielen oft darauf ab, ein gemeinsames Problembewusstsein bei Entscheidungsträgern zu schaffen und einen politischen Dialog in Gang zu bringen. Europa steht dabei nur nicht wegen geostrategischer Überlegungen in der Pflicht, sondern hat als einer der Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels auch eine ethische Verpflichtung.
Konkret muss diese Unterstützung durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten fünf Bereiche umfassen:
Sich auf mehr Klimamigration im eigenen Land vorzubereiten, und zugleich die Partnerländer im Globalen Süden in der Klimakrise besser zu unterstützen, damit die Menschen dort ihre Heimat nicht verlassen müssen: Das wäre ein guter Weg, um mit der Klimamigration politisch umzugehen.
Benjamin Schraven ist Assoziierter Wissenschaftler des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und hat jüngst ein Buch zum Thema “Klimamigration” veröffentlicht.
Die europäische Umwelt- und Klimapolitik begleitet Linda Kalcher seit ihrem Studium. Nach ihrem Romanistik-Bachelor in Bonn und Florenz studierte sie European Culture and Economy an der Ruhr-Universität Bochum. Dort war die Leverkusenerin auch Sprecherin des Masterstudiengangs, eine Ansprechpartnerin für 80 Studierende aus aller Welt. “Eine Vorstufe zur späteren Arbeit im Parlament“, sagt die heute Mittdreißigerin.
Seit zwölf Jahren lebt Kalcher inzwischen in Brüssel und spricht sechs europäische Sprachen. Die ersten sechs Jahre war sie Mitarbeiterin im Büro des langjährigen SPD-Umweltpolitikers Jo Leinen, danach arbeitete sie bei der European Climate Foundation (ECF). Im letzten Jahr übernahm sie zusätzlich die Aufgabe als Senior Advisor des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
Fragt man sie, was die EU von der Klimapolitik der UN lernen kann, dann fordert Kalcher von den Europäern mehr Solidarität mit dem Globalen Süden. Dass Investitionen in die dortige Transformation vernachlässigt werden und die bereits 2009 versprochene Zahlung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar zur Klimafinanzierung noch immer aussteht, nutze geopolitisch vor allem China. Gleichzeitig schade es der Glaubwürdigkeit Europas und der Industrieländer.
Um Entscheidungsträger auf Missstände wie diese hinzuweisen und die Politik zu beraten, gründete sie im Oktober 2022 den Think-Tank Strategic Perspectives. Während die ECF vor allem zur Projektförderung und Finanzierung arbeitet, tritt Kalcher nun in der Klimapolitik wieder stärker in Kontakt mit Abgeordneten im Parlament.
Die Arbeit des Think-Tanks füllt laut Kalcher zudem eine Nische: Zwar arbeiten einige Think-Tanks bereits auf der Ebene nationaler und europäischer Umweltpolitik und andere auf europäischer und internationaler Ebene – kaum eine Denkfabrik nehme aber alle drei politischen Ebenen in den Blick.
Mitte Mai veröffentlichten Kalcher und ihr Kollege Neil Makaroff den ersten Bericht von Strategic Perspectives. In Zusammenarbeit mit Cambridge Econometrics modellieren sie darin die Auswirkungen des Green Deal und von Repower-EU und geben Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Außerdem sammelten sie aus ganz Europa Beispiele für eine sozial verträgliche Klimapolitik, etwa die Wärmeumlage in Tschechien oder das deutsche 49-Euro-Ticket.
Kalcher blickt optimistisch in die Zukunft: “Wir haben herausgefunden, dass die Klimaziele bis 2030 noch zu erreichen sind und dabei auch netto 500.000 neue Arbeitsplätze entstehen können.”
Überrascht habe sie an den Ergebnissen allerdings, dass der Anteil von Erdgas an der Energieversorgung nur recht langsam sinke. “Ein Grund dafür ist der massive Ausbau von LNG-Terminals in Italien, Deutschland und Frankreich.” Stoßen Maßnahmen wie diese innereuropäisch auf Unverständnis, gilt es für Kalcher, alle Perspektiven im Blick zu behalten und den Regierungen verschiedener Länder – auch außerhalb Europas – zu erklären.
Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt sich aktuell: “Eine Debatte um Wärmepumpen wie in Deutschland findet in Ländern wie Frankreich, Tschechien oder Polen nicht statt.” Dort gingen die Verkaufszahlen – auch dank staatlicher Subventionen – seit 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine deutlich in die Höhe. Warum Wärmepumpen in Deutschland so kontrovers diskutiert werden, ist daher eine der Fragen, die Kalcher in der europäischen Energiepolitik aktuell beschäftigt. Carlos Hanke Barajas