Table.Briefing: Climate

Bridgetown Initiative: Finanzmärkte reformieren, Risiken mindern + Recycling von Rotorblättern

Liebe Leserin, lieber Leser,

derzeit trifft sich das “Who is Who” der Energiewende-Szene beim Berlin Energy Transition Dialogue. Im Zentrum der Veranstaltung steht immer wieder die Frage, was nötig ist, um den Umstieg auf die Erneuerbaren zu beschleunigen. Auch Avinash Persaud treibt diese Frage um. Im Interview erklärt der Architekt der Bridgetown-Initiative für eine gerechte Klimafinanzierung, vor welchen Herausforderungen hoch verschuldete Staaten bei der Energiewende stehen, welche Investitionsrisiken reiche Staaten abfangen sollten und wie die Billionen für die Klimafinanzierung mobilisiert werden können.

Auch mit einer erfolgreichen Energiewende gäbe es jedoch noch Herausforderungen – beispielsweise das Recycling von Rotorblättern von Windkraftanlagen. Sarah Kröger analysiert, welche Lösungsansätze es dafür gibt und warum das durch Windräder entstehende Mikroplastik entgegen aktueller Berichte kein allzu großes Problem darstellt.

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Lisa Kuner
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Analyse

Ökonom Avinash Persaud: “Es geht nicht darum, Geld zu verdienen, sondern den Planeten zu retten”

Avinash Persaud berät Mia Mottley, Premierministerin von Barbados, in Sachen Klimafinanzierung und ist zudem Sonderberater der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB.

Herr Persaud, 2024 soll das Jahr der Klimafinanzierung sein. Die Bridgetown-Initiative, die Sie als Klima-Sonderbeauftragter von Barbados und gemeinsam mit der Premierministerin Mia Mottley entworfen haben, könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Was wurde bisher erreicht?

Die Bridgetown-Initiative hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, die Klimaagenda weiterzuentwickeln. Sie hat klargemacht: Die Klimakrise ist ein Finanzierungsproblem. Und die Finanzierung für ihre Eindämmung und für Resilienz ist in Entwicklungsländern viel teurer als in den Industrieländern. Und sie hat deutlich gemacht: Emissionsreduzierung, Anpassung sowie “Loss and Damage” sind drei sehr unterschiedliche Dinge, die auf unterschiedliche Weise finanziert werden müssen.

Was meinen Sie damit?

Bei der Emissionsreduzierung werden Einnahmen generiert. Solarparks, Windturbinen, Geothermie – all dies erzeugt Einnahmen. Der Privatsektor könnte also zur Eindämmung des Klimawandels herangezogen werden. Das klappt in Industrieländern, aber nicht in Entwicklungsländern. Auch die Anpassung an den Klimawandel kann Geld sparen, wenn man etwa mit einem Kredit einen Damm baut, um in Zukunft Geld für Schäden zu sparen. Aber bei Verlusten und Schäden ist das anders: Man kann sich kein Geld leihen, um die zerstörten Häuser armer Leute wieder aufzubauen. Dafür wurde ein Fonds eingerichtet und es sind 800 Millionen US-Dollar Startkapital hineingeflossen. Es muss allerdings hundertmal mehr sein. 2023 war ein wichtiges Jahr. Aber es ist immer noch nur ein Anfang. 2024 müssen wir schneller vorankommen und umsetzen.

Welche Rolle spielen dabei die multilateralen Entwicklungsbanken, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank unter ihrem neuen Präsidenten Ajay Banga?

Die zentrale Rolle der multilateralen Entwicklungsbanken ist es, Kredite für große öffentliche Infrastrukturen wie Anpassungsmaßnahmen, Dämme, Hochwasserschutz und bessere Entwässerungssysteme zu gewähren, die Milliarden kosten. Sie müssen mehr Kredite vergeben, die vor allem der Klimafinanzierung dienen, langfristig und kostengünstig sind. Sie haben sich da im letzten Jahr richtig ins Zeug gelegt. Die Weltbank hat ihre Strategie umgestaltet und das Klima zusammen mit der Armutsbekämpfung und dem Wachstum in den Mittelpunkt gerückt. Die Eigenkapitalquote wurde gesenkt und so der Betrag, den sie ausleihen können, um etwa 50 Milliarden US-Dollar erhöht. Es gibt Diskussionen über die Ausweitung ihrer Portfoliogarantien und die Verwendung von Sonderziehungsrechten im IWF. Schätzungsweise kann all das den Gesamtumfang der Klimakreditvergabe um 200 Milliarden US-Dollar erweitern. Wir haben einige Schadensfonds, die mit einer Billion US-Dollar an neuem Kapital eingerichtet werden.

Wird das ausreichen?

Es ist klar geworden, dass der Klimawandel ein nicht-versicherbares Ereignis ist. Das ist ein echtes Problem, das wir mit unseren europäischen Freunden haben: Dort gibt es die größten Rückversicherer der Welt, die den Klimawandel durch mehr Versicherungen lösen wollten. Aber Versicherungen helfen nur dann, wenn das Risiko nicht in Korrelation, Ausmaß und Häufigkeit zunimmt.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Die Alternative ist das bedingte Aussetzen von Zins- und Tilgungszahlungen und unsere Naturkatastrophenklausel, die es einem Land erlaubt, die Zahlungsverpflichtungen im Falle einer Naturkatastrophe zwei Jahre auszusetzen. Die Weltbank hat angekündigt, dass sie diese Klauseln in ihre Anleihen und in ihre Kredite aufnehmen würde. Das ist sehr wichtig, damit Länder sich Luft verschaffen können. Aber der wichtigste Bereich, in dem wir eine Reform brauchen, aber keine sehen, sind die Finanzmärkte.

Was muss sich ändern?

Wir müssen das System reformieren, das Dinge als sicher und als riskant definiert. Südafrika emittiert viele Treibhausgase, weil ein Großteil des Stroms aus Kohle erzeugt wird. Die Umstellung auf nicht-fossile Stromerzeugung kostet etwa 100 Milliarden US-Dollar. Wenn ein deutscher Investor in südafrikanische Solarparks investiert, fragt er sich: Wie viel muss ich zahlen, um das Wechselkursrisiko auszuschalten, wenn der südafrikanische Rand gegen mich fällt? Der Marktpreis für eine solche Absicherung liegt bei elf bis zwölf Prozent pro Jahr. Das Projekt muss also elf bis zwölf Prozent pro Jahr mehr einbringen als dasselbe Projekt in Deutschland. In Wirklichkeit fällt der Rand durchschnittlich nur um sechs Prozent pro Jahr. Man zahlt also fünf oder sechs Prozent zu viel. Der Privatsektor will dieses Risiko nicht eingehen.

Wie kann dieses Risiko beseitigt werden?

Der öffentliche Sektor muss einspringen und die Kosten für die Absicherung des Wechselkursrisikos senken. Er muss also das tatsächliche Risiko in Rechnung stellen, in diesem Fall also sechs, nicht zwölf Prozent. Diese Risikoprämie gefährdet die Welt. Es geht hier nicht darum, Geld zu verdienen, sondern den Planeten zu retten. Die Inter American Development Bank (IDB) und die brasilianische Zentralbank haben ein Pilotprojekt dazu begonnen. Wenn es erfolgreich ist und weiterverbreitet werden kann, wäre es eine ziemlich radikale Reform.  

Schon jetzt sind etwa 60 Prozent der Länder mit niedrigem Einkommen hochgradig gefährdet, in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten, oder sie sind es bereits. Einige Vorschläge der Bridgetown-Initiative würden die Kreditvergabe an Entwicklungsländer weiter erhöhen. Wie gehen Sie das Schuldenproblem an?

Die Bridgetown-Initiative will genau das Gegenteil: Die Verschuldung der Entwicklungsländer verringern. Die Höhe der künftigen Schulden müssen wir minimieren, was wiederum die Höhe der Gesamtschulden minimiert. Länder sollen sich nur noch Geld für die Dinge leihen, die zu künftigen Einsparungen führen – und nicht für die Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise. Ihre Wirtschaft soll mit billigen Krediten schneller wachsen, damit sie widerstandsfähiger gegen Klimaschocks werden. Und Währungsgarantien sollen Investitionen des Privatsektors für den grünen Wandel fördern. So wollen wir das Schuldenproblem angehen.

Allerdings benötigen die Entwicklungsländer bis 2030 jährlich 2,4 Billionen US-Dollar für Klima- und Entwicklungsfinanzierung. Das übersteigt die Hilfen, die derzeit von den multilateralen Entwicklungsbanken weltweit zur Verfügung gestellt werden, aber auch die bisherigen Finanzhilfen der Industrieländer.

Die bisherige weltweite Gesamthilfe beträgt 200 Milliarden US-Dollar. Sie müsste um das Zwölffache erhöht werden. Das wird nicht gelingen. Es ist keine Lösung, dass die Industrieländer für alles Geld geben. Sie sind zwar moralisch verantwortlich und reich damit geworden, die Umwelt zu missbrauchen. Aber für eine solche Lösung wird man nicht gewählt. Und die Industrieländer sollten Geld für die Sachen geben, die man nicht anders finanzieren kann, wie Verluste und Schäden. Wenn nicht direkt, dann über höhere Steuern auf fossile Brennstoffe, auf die Schifffahrt und die Luftfahrt. Außerdem sollten sie mehr Kapital für die Multilateralen Entwicklungsbanken aufbringen: Wenn zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr in die Entwicklungsbanken gesteckt werden, können diese sieben Banken eine Billion US-Dollar mehr verleihen. So lässt sich das Problem der 2,4 Billionen realistisch, machbar und für gewählte Politiker vertretbar lösen.

Es gibt Gerüchte, dass Mia Mottley die nächste Generalsekretärin der Vereinten Nationen werden könnte. Sie kennen Mia Mottley schon seit dem College, haben eng mit ihr zusammengearbeitet. Hat sie die Qualitäten, die eine UN-Generalsekretärin benötigt?

Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie eine gute Generalsekretärin wäre. Meine Erfahrung ist, dass sie in der Lage ist, Differenzen zu überbrücken, Menschen zu verstehen und bei allen den Wunsch zu wecken, zusammenzukommen und die gemeinsamen Ambitionen zu steigern. Aber ich muss auch sagen, dass es für sie neben dem Weltfrieden nichts Wichtigeres gibt als die Karibik, die karibische Entwicklung, die karibische Integration. Ich glaube, man müsste sie sehr überzeugen, die Region zu verlassen, die ihr sehr am Herzen liegt.

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Wie die Windkraft-Branche ihr Recyclingproblem lösen will

Windpark Odervorland: Je weiter der Ausbau voranschreitet, desto wichtiger wird die Frage des Recyclings.

Knapp 30.000 Windräder drehten sich 2023 in Deutschland. Sie erzeugten mit 31 Prozent knapp ein Drittel des deutschen Stroms und sollen als Teil der Energiewende künftig einen noch größeren Beitrag leisten. Je mehr Anlagen allerdings hinzukommen und je älter die bestehenden werden, desto stärker gerät die Frage des Recyclings in den Fokus. “Aktuell sind die Mengen, die zurückgebaut werden müssen, noch so gering, dass wir eigentlich immer noch vor der ganz großen Welle sind und Zeit haben, technische Lösungen weiterzuentwickeln”, sagt Steffen Czichon, Abteilungsleiter Rotorblätter beim Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Andererseits: Das Umweltbundesamt erwartet in den kommenden 20 Jahren knapp 400.000 Tonnen Abfälle, alleine durch die Rotorblätter. Weltweit erwartet BloombergNEF, dass im Jahr 2044 rund 782.000 Tonnen Rotorblätter recycelt werden müssen.

Derzeit wird auch darüber diskutiert, wie viel Mikroplastik durch Erosion an den Rotorblättern freigesetzt wird. Zu den genauen Mengen an freigesetztem Mikroplastik gibt es laut dem IWES keine systematischen Untersuchungen. Eine grobe Abschätzung geht für Deutschland von maximal 1.395 Tonnen Materialabtrag im Jahr aus. Zum Vergleich: Der Abrieb von Reifen liegt bei mehr als 100.000 Tonnen jährlich und der von Schuhsohlen bei über 9.000 Tonnen.

Die Windenergieindustrie produziert auch vergleichsweise wenig Müll, und rund 90 Prozent der Anlagen können recycelt werden. Beim Recycling von Windenergieanlagen sind das Fundament und der Turm das kleinere Problem. Sie werden im Wesentlichen aus Stahl und Beton gefertigt, für die es etablierte Recyclingverfahren gibt. Die Rotorblätter hingegen, die häufig 50, 60 Meter lang sind und mehr als 20 Tonnen wiegen können, bestehen neben Holz, Metall und Klebstoff vor allem aus Faserverbundkunststoffen. Bei älteren Modellen ist das meistens glasfaserverstärkter, bei neueren kohlenstofffaserverstärker Kunststoff – und in beiden Fällen lassen sich die einzelnen Komponenten nur schwer voneinander trennen. Forscher und Unternehmen arbeiten deshalb daran, Lösungen zu finden. 

Windkraftanlagen länger rentabel als gedacht

Das Bremer Unternehmen Neowa hat Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) bis zum letzten Jahr mittels Co-Processing recycelt. Bei dem Verfahren wird das Material geschreddert und zu einem Granulat verarbeitet, das als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie eingesetzt wird. Gleichzeitig ersetzt der Glasanteil einen Teil des Sandes, der in der Zementherstellung verwendet wird.  

Doch letztes Jahr wurde der Betrieb eingestellt, sagt Geschäftsführer Mika Lange, weil die Zahl der Rotorblätter stark zurückgegangen war. Der Grund: Die Windkraftanlagen werden teilweise länger betrieben als die geplanten 20 Jahre, da sie technisch in Ordnung sind. Dank der gestiegenen Energiepreise sind sie auch dann noch rentabel, wenn die staatliche Förderung nach 20 Jahren ausläuft. Andere Standorte warten noch auf die Genehmigung, die alten Windräder durch größere und leistungsfähigere Anlagen auszutauschen, und bauen sie noch nicht ab.  

Weiterverwendung als Terrassendielen 

Irgendwann müssen aber auch diese Rotorblätter recycelt werden. Das dänische Unternehmen Continuum plant deshalb gerade den Bau mehrerer Recycling-Fabriken. Dort sollen die Rotorblätter geschreddert werden, um daraus Verbundwerkstoff für Küchenarbeitsplatten oder Platten für die Bauindustrie herstellen zu können. Die fertigen Paneele bestehen laut Angaben des Unternehmens zu 92 Prozent aus recyceltem Material.  

Zudem habe das Verfahren den Vorteil, dass es den CO₂-Ausstoß, der bei der derzeit angewandten Verbrennung und Verarbeitung der Rotorblätterreste in Zementfabriken entsteht, drastisch reduzieren soll. Wie genau, das möchte Continuum nicht erklären. Anfang 2024 soll die erste Fabrik fertig werden, fünf sind europaweit geplant, eine davon in Deutschland. Die Fabriken sollen mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden und jeweils rund 36.000 Tonnen GFK im Jahr verarbeiten.  

Auch die Firma Novotech in Aschersleben in Sachsen-Anhalt recycelt GFK-Abfälle mittels mechanischen Recyclings: Die Flügel werden zu einem groben Pulver zerkleinert, das mit Holzspänen und weiteren Zusatzstoffen bei 170 Grad zu Terrassendielen geformt wird, die bis zu 30 Prozent aus einem Rotorblatt gefertigt werden.  

Verwertungsketten schließen 

Um das Recycling künftig zu vereinfachen, ist es wichtig, die letzten Schritte schon beim Design-Prozess des Produkts mitzuplanen und Rotorblätter so zu gestalten, dass sich ihre Ausgangsmaterialien leichter trennen lassen als bisher. Siemens Gamesa hat etwa das “RecyclableBlade” entwickelt, bei dem ein neues Harz zum Einsatz kommt, dessen chemische Struktur die Trennung der unterschiedlichen Bestandteile ermöglicht. Mit einer milden Säurelösung lassen sich Harz, Glasfasern und Holz voneinander lösen und dann in der Bauwirtschaft, für Konsumgüter oder in der Automobilindustrie wiederverwenden.  

Das deutsche Start-up Voodin Blades entwickelt zusammen mit einem finnischen Holzwerkstoff-Produzenten leichtere Rotorblätter aus Furnierschichtholz. Derzeit testet das Unternehmen ein 20-Meter-Blatt, ein 80-Meter-Blatt ist als nächstes geplant. 

Derzeit noch keine Kreislaufwirtschaft

Aber: Die aktuellen Recycling-Ansätze führen noch zu keiner echten Kreislaufwirtschaft. Bisher werden die Materialien weiterverwendet, das daraus entstehende Produkt ist in der Regel jedoch minderwertiger – ein klassisches Downcycling. Wie sich die existierenden Konzepte verbessern lassen, sodass höhere Materialwerte erzielt werden und der Energieverbrauch reduziert wird, daran wird noch geforscht.  

Und auch die Politik ist gefragt. Denn ein RecyclableBlade sei noch lange kein “blade that will be recycled”, sagt Czichon vom IWES. “Ich vergleiche das immer mit Kaffeebechern. Schön, wenn die kompostierbar sind. Wenn ich sie dann aber verbrenne, bringt das nichts. Und so ist es auch bei den recyclebaren Rotorblättern.”  

Deswegen sei es sehr wichtig, an einer geschlossenen Verwertungskette zu arbeiten, indem zum Beispiel zentrale Annahmestellen für alte Rotorblätter eingerichtet werden. Dazu bräuchte es aber noch klarere politische Rahmenbedingungen – und die fehlen bislang. Denn der Ausbau der Windenergie steht im Vergleich zum Recycling auf der Prioritätenliste weiter oben. Sarah Kröger, Mitarbeit: Lisa Kuner

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News

Selbst wenn Deutschland das Klimaziel 2030 schafft, drohen hohe Strafzahlungen

Die guten Klimazahlen, die das Umweltbundesamt (UBA) am Freitag präsentiert hat, sind nach Ansicht wichtiger Experten kein Grund zur Entwarnung. Denn selbst wenn die UBA-Projektionen tatsächlich eintreten sollten und Deutschland sein Gesamt-Minderungsziel für das Jahr 2030 erreicht, würde das nationale Minderungsziel auf EU-Ebene verfehlt werden. Denn dort werden die Sektoren, die bisher nicht dem EU-Emissionshandel (ETS) unterliegen, gesondert betrachtet – und dazu gehören vor allem der Verkehrs- und Gebäudesektor, die ihre Ziele der Projektion zufolge deutlich verfehlen werden.

“Hier drohen Strafzahlungen oder Kosten in Milliardenhöhe für den Ankauf von Emissionsrechten aus anderen EU-Staaten”, warnt Gunnar Luderer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Der Leiter des New Climate Institute, Niklas Höhne, beziffert die Kosten bei einem Preis von 100 Euro pro Zertifikat auf etwa zwölf Milliarden Euro.

Kosten von zwölf Milliarden Euro drohen

Zudem zeigt die Projektion nach Ansicht mehrerer Wissenschaftler, dass eine Gesamtbetrachtung der Emissionen problematisch ist. Denn trotz der guten Zahlen für 2030 sei davon auszugehen, “dass bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklungen und politischen Maßnahmen das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 deutlich verfehlt werden wird”, erklärt Manfred Fischedick, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. “Um diese Lücke zu schließen, müssen zusätzliche ambitionierte Maßnahmen in allen Sektoren jetzt beschlossen und umgesetzt werden – vor allem aber in den Problemsektoren Verkehr und Gebäude.”

“Ein Aufrechnen über alle Sektoren, wie in der Klimaschutznovelle vorgesehen, ist irreführend und kontraproduktiv”, meint auch Niklas Höhne. Dass das Budget für 2030 insgesamt eingehalten werde, verschleiere die großen Probleme im Verkehrs- und Gebäudesektor. “Ein Aufholen im Verkehr ist nach 2030 fast unmöglich – außer mit drastischen und disruptiven Maßnahmen wie extrem hohen CO₂-Preisen oder Fahrverboten.” Das Bundeskabinett hatte die umstrittene Novelle des Klimaschutzgesetzes, mit dem die bisher verbindlichen Sektorziele abgeschafft werden sollen, im vergangenen Juli auf den Weg gebracht. Im September war sie in den Bundestag eingebracht worden; ob und wann sie dort verabschiedet wird, ist offen. mkr

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Bericht: Großbritannien braucht für Klimaziele elfmal mehr Wärmepumpen

Die britische Regierung möchte bis 2028 die Ausbaurate von Wärmepumpen auf jährlich 600.000 Stück erhöhen. Bis zum Jahr 2035 sollen 1,6 Millionen pro Jahr installiert werden. Laut einem Bericht der unabhängigen Regulierungsbehörde National Audit Office (NAO) vom Montag liegt dieses Ziel aber in weiter Ferne. Es fehle ein langfristiger Plan, die Bevölkerung zum Heizungstausch zu motivieren und finanziell zu unterstützen.

In einer ersten Reaktion auf die Kritik der NAO verweist die britische Regierung auf eine laufende Werbekampagne und Förderungen. Das sogenannte “Boiler Upgrade Scheme”, das mit 7.500 Pfund rund die Hälfte der Kosten einer Wärmepumpe fördert, führte bisher aber nur zu halb so vielen Anträgen wie erhofft. Selbst in Deutschland, das ebenfalls hinterherhinkt, sind 2022 um ein Vielfaches mehr Wärmepumpen verkauft worden als die 55.000 Stück in Großbritannien.

Der Gebäudewärme-Sektor ist für ein Fünftel der gesamten britischen Treibhausgase verantwortlich. Zwar sind die Gesamtemissionen im vergangenen Jahr um 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken – und somit auf den niedrigsten Wert sei 1879. Doch die schleppende Wärmewende gefährde langfristig Großbritanniens Klimaziele, mahnt die NAO. Es brauche bis 2028 elfmal mehr neu installierte Wärmepumpen pro Jahr.

Gaslobby erwirkt Verschiebung von Marktmechanismus

Ab kommendem Jahr soll außerdem ein neuer Marktmechanismus dazu führen, dass mehr Wärmepumpen installiert werden. Dieser schreibt Heizungsinstallateuren einen jährlich steigenden Prozentsatz an installierten Wärmepumpen verglichen mit Gasboilern vor. Verfehlen sie diese Quote, müssen sie Strafe zahlen. Die Einführung des Mechanismus wurde allerdings um ein Jahr auf April 2025 verschoben – eine Reaktion auf den Widerstand von Gasunternehmen und deren Lobbyisten, die den Mechanismus als “Boiler-Steuer” bezeichnet hatten. Immer wieder gibt es in der Heizdebatte solche Desinformations-Kampagnen, die die Nachfrage klein halten und Gesetze verzögern oder abschwächen. rtr/lb

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Zementindustrie: Ohne schnellen Ausbau von CO₂-Pipelines sind Klimaziele nicht erreichbar

Die Zementindustrie drängt in einer neuen Studie auf einen schnellen Ausbau der CO₂-Infrastruktur in Deutschland. Andernfalls könnten weder der Sektor noch Deutschland ihre langfristigen Klimaziele erreichen. Laut der Studie des Vereins Deutscher Zementwerke (VDZ) könnten Abfallverbrennungsanlagen und die Zement- und Kalkindustrie zwischen 2028 und 2047 rund 500 Millionen Tonnen CO₂ auffangen und speichern (Carbon Capture and Storage, CCS), wenn schnell genug Pipelines zum Transport des Klimagases gebaut würden. Bis spätestens zum Jahr 2035 müssten die zehn großen CO₂-Cluster der Zement- und Kalkindustrie größtenteils an ein Pipelinenetz angeschlossen werden. Werde der Ausbau auch nur um einige Jahre verzögert, könnte nur die Hälfte des CO₂ aufgefangen und gespeichert werden, so die Studie.

Insgesamt müssten demnach rund 4.800 Kilometer CO₂-Fernleitungen gebaut werden, damit der Sektor bis 2040 klimaneutral werden kann. Die Kosten werden auf 14 Milliarden Euro geschätzt. Der Transport einer Tonne CO₂ aus den Sektoren Zement, Kalk und Abfallverbrennung würde im Betrachtungszeitraum somit umgerechnet 35 Euro kosten – die Betriebskosten für das CO₂-Pipelinenetz sind dabei noch nicht eingerechnet. Der Transport per Schiene käme nur anfangs infrage und würde aufgrund hoher Kosten und hohem technischem Aufwand nur eine “Nebenrolle” spielen. Fast alle Standorte der Zement- und Kalkindustrie würden “in einem Abstand von circa 50 Kilometern zu bislang geplanten Korridoren für das CO₂-Leitungsnetz” liegen, so die Studie.

Sehr hoher Stromverbrauch für CCS

Laut der Studie wird sich der jährliche Strombedarf der Zement- und Kalkindustrie durch die CO₂-Abscheidung bis ins Jahr 2045 vervierfachen. Der VDZ fordert deshalb einen schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Laut den Autoren der Studie gäbe es in Europa bisher geplante und veröffentlichte CO₂-Speicherprojekte mit einer jährlichen Speicherkapazität von etwa 140 Millionen Tonnen im Jahr 2038. Die deutsche Zement-, Kalk- und Abfallverbrennungsindustrie hat demnach im Jahr 2040 einen Speicherbedarf von 19 bis 31 Millionen Tonnen. nib

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Klimaallianz: Nur Importe von grünem Wasserstoff fördern

Ein breites Bündnis aus umwelt- und entwicklungspolitischen Initiativen hat am Montag die Festschreibung “konkreter und verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards” in der deutschen Wasserstoff-Importstrategie gefordert, die derzeit von der Bundesregierung erarbeitet wird. Die Klimaallianz fordert, nur Wasserstoff und Wasserstoffderivate staatlich zu fördern, die ohne fossile Energie hergestellt werden. Zudem solle dieser geförderte Wasserstoff nur in Anwendungen eingesetzt werden, die nicht direkt elektrifiziert werden können.  

Die NGO Brot für die Welt stellte zudem eine vom Wuppertal Institut erstellte Studie zum politischen Instrumentarium vor, mit dem die Nachhaltigkeit von Wasserstoffimporten gewährleistet werden könne:

  • Besonders geeignet seien ökonomische Förder- und Anreizinstrumente der Bundesregierung wie der H2Global-Mechanismus, Kredite und Garantien und teils auch die kürzlich erstmals ausgeschriebenen Klimaschutzverträge zur Dekarbonisierung der Industrie.  
  • Diese müssten mit der EU-Lieferkettenrichtlinie, der Entwicklungszusammenarbeit und Wasserstoffpartnerschaften mit Ländern im globalen Süden stärker verbunden, konkretisiert und ausgebaut werden, “um ambitionierte Nachhaltigkeitskriterien für Wasserstoffprojekte zu verankern.” 

Umweltschäden im Globalen Süden vermeiden

In den Exportländern im Globalen Süden, so die Klimaallianz, müssten soziale und Umweltschäden vermieden werden. Konkret geht es dabei etwa um Landkonflikte, wenn große Flächen für Solar- und Windenergie vergeben werden. Der hohe Wasserverbrauch bei der Herstellung von Wasserstoff solle durch Meerwasser-Entsalzungsanlagen gedeckt werden; die verbleibende Lake wiederum müsse umweltgerecht entsorgt werden. Zudem sollten partizipative und transparente Verfahren dafür sorgen, dass Profite nicht durch kleine Eliten abgeschöpft werden können. 

Die Forderung nach ausschließlich grünem Wasserstoffimport ist bislang etwa im Nationalen Wasserstoffrat umstritten, deren Mitglieder die Bundesregierung beraten. Im kürzlich angelaufenen “Förderprogramm Klimaschutzverträge“, mit dem die Dekarbonisierung der deutschen Industrie angeschoben werden soll, ist blauer Wasserstoff, bei dem entstehendes CO₂ aufgefangen und gelagert wird, eine Option. Laut dem BWMK soll die Wasserstoff-Importstrategie “zeitnah” vorgestellt werden. av 

  • Grüner Wasserstoff
  • Nachhaltigkeitsstandards
  • Technologie
  • Wasserstoff

Experten wollen CO₂-Grenzsteuer reformieren

Die europäische CO₂-Grenzausgleichssteuer (CBAM) weist nach Meinung von Ökonomen zahlreiche Mängel auf und sollte durch einen Klimaclub abgelöst werden. Der Club solle die G7 oder die G20 umfassen und die Regulierung von emissionsintensiven Industrien koordinieren, schreiben die Experten um Karen Pittel vom Ifo-Institut in der Studie “Watts Next: Securing Europe’s Energy and Competitiveness”.

Derzeit gelte der CBAM nur für Teile der industriellen Wertschöpfungskette. Außerdem könnten außereuropäische Produzenten emissionsintensivere Produkte einfach in Nicht-EU-Länder liefern, wodurch für das Klima insgesamt nichts gewonnen sei. Falls ein Klimaclub nicht zustande komme, schlagen die Autoren eine Reform des CBAM vor. Grundlage für die Bepreisung sollten die durchschnittlichen Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sein.

Kritik an nationalen Klimaschutzverträgen

Kritik üben die Experten auch an nationalen Klimaschutzverträgen, die Mehrkosten für klimafreundlichere Produktionsmethoden teilweise subventionieren sollen. “Die massive Einführung solcher Systeme auf nationaler Ebene würde zu einer ungleichen Unterstützung und einem ungleichen Schutz der nationalen Industrien im europäischen Binnenmarkt führen”, schreiben die Wissenschaftler.

Erst vor einer Woche hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine erste Ausschreibungsrunde für Klimaschutzverträge im Wert von vier Milliarden Euro eingeläutet. ber

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  • CO2-Preis
  • Emissionshandel

Forschende geben Empfehlungen für Biodiversitätsstrategie

Mit “10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2024”, die das Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität am Montag vorgestellt hat, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die laufende Debatte um die nationale Biodiversitätsstrategie inhaltlich vorantreiben. Die Strategie soll vor der nächsten Weltnaturkonferenz verabschiedet werden, die im kommenden Herbst im kolumbianischen Cali stattfindet. In dem Papier bündeln die Fachleute aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung und geben dabei auch konkrete Empfehlungen, um die biologische Vielfalt und zugleich das Klima wirksam zu schützen.

Für die Klimapolitik birgt der Bericht eine wesentliche Botschaft: Im Kampf gegen Biodiversitäts- und Klimakrise zugleich sei es von Vorteil, zunächst einen Schwerpunkt auf Maßnahmen gegen das Artensterben zu legen, statt die Klimaschutzpolitik in den Vordergrund zu stellen. Zur Begründung schreiben die Fachleute: Viele Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität schwächten den Klimawandel ab und förderten auch die Anpassung an die Erderwärmung – “während wesentlich weniger Maßnahmen zum Schutz des Klimas auch vorteilhaft für die Biodiversität sind.”

Empfehlung: Wald-, Moor- und Meeresschutz

Als ein Beispiel dafür nennen sie den Schutz “natürlicher und vielfältiger Wälder”, die als CO₂-Speicher und Lebensraum zugleich dienten. Im Gegensatz dazu könne “der ausschließliche Fokus auf CO₂-wirksame Maßnahmen, wie der Anbau von Bioenergiepflanzen auf großen Flächen oder das Aufforsten durch Monokulturen, negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben” und solle deshalb vermieden werden.

Die Forschenden empfehlen, Energiepflanzen und Biomasse aus Wäldern “angesichts effizienterer erneuerbarer Energiequellen wie Sonne und Wind” vorrangig für langlebige Materialien und nicht zur Energiegewinnung zu verwenden. Sie warnen auch vor Landnutzungskonflikten.

Wie Arten- und Klimaschutz Hand in Hand gehen können, beschreibt der Bericht auch am Beispiel von Moor- und Meeresschutz: Moore und Meeresökosysteme, beispielsweise Seegraswiesen, sind wichtige CO₂-Speicher. Allein die Wiedervernässung aller entwässerten Moorgebiete in Deutschland würde dem Bericht zufolge die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft um bis zu 40 Prozent verringern.

Die weiteren “Must-Knows” befassen sich unter anderem mit der Verbindung zwischen Gesundheits-, Klima- und Artenschutz, mit Landwirtschaft und Ernährung, mit kultureller Vielfalt und den Chancen internationaler Zusammenarbeit. ae

  • Biodiversität
  • Klima & Umwelt
  • Klimaanpassung
  • Klimaschutz

Presseschau

Analyse: Shell schwächt sein Emissionsziel für 2030 ab und gibt sein Ziel für 2035 auf CarbonBrief
Analyse: Warum Deutschlands Energiekonzerne Milliardengewinne machen Der Spiegel
Analyse: Die ungewöhnlich aggressiven Botschaften des Bundesrechnungshofs Der Spiegel
Nachricht: Brasilien diversifiziert seine Erneuerbaren weg von Wasserkraft Reuters
Nachricht: Nach Fluten verklagt die EU Griechenland wegen unzureichender Risikopläne Reuters
Nachricht: Neuer US-Klimabeauftragter fordert, dass China den Kohleausstieg beschleunigt France24
Reportage: Siebenmal so groß wie Manhattan: Ein Baumpflanz-Projekt in Afrika macht einen echten Unterschied The Guardian
Analyse: Wie in der Nordsee das CO₂ gelagert werden könnte Der Spiegel
Data-Story: Seit einem Jahr sind die Weltmeere heißer als je zuvor. Selbst Forschende stellt das vor Rätsel. Die Zeit
Analyse: Ein neuer Anstieg des Stromverbrauchs bedroht die Klimaziele der USA New York Times
Analyse: Unternehmen nehmen Abstand von Zusagen für Klimaziele Financial Times

Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    Auch mit einer erfolgreichen Energiewende gäbe es jedoch noch Herausforderungen – beispielsweise das Recycling von Rotorblättern von Windkraftanlagen. Sarah Kröger analysiert, welche Lösungsansätze es dafür gibt und warum das durch Windräder entstehende Mikroplastik entgegen aktueller Berichte kein allzu großes Problem darstellt.

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    Ökonom Avinash Persaud: “Es geht nicht darum, Geld zu verdienen, sondern den Planeten zu retten”

    Avinash Persaud berät Mia Mottley, Premierministerin von Barbados, in Sachen Klimafinanzierung und ist zudem Sonderberater der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB.

    Herr Persaud, 2024 soll das Jahr der Klimafinanzierung sein. Die Bridgetown-Initiative, die Sie als Klima-Sonderbeauftragter von Barbados und gemeinsam mit der Premierministerin Mia Mottley entworfen haben, könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Was wurde bisher erreicht?

    Die Bridgetown-Initiative hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, die Klimaagenda weiterzuentwickeln. Sie hat klargemacht: Die Klimakrise ist ein Finanzierungsproblem. Und die Finanzierung für ihre Eindämmung und für Resilienz ist in Entwicklungsländern viel teurer als in den Industrieländern. Und sie hat deutlich gemacht: Emissionsreduzierung, Anpassung sowie “Loss and Damage” sind drei sehr unterschiedliche Dinge, die auf unterschiedliche Weise finanziert werden müssen.

    Was meinen Sie damit?

    Bei der Emissionsreduzierung werden Einnahmen generiert. Solarparks, Windturbinen, Geothermie – all dies erzeugt Einnahmen. Der Privatsektor könnte also zur Eindämmung des Klimawandels herangezogen werden. Das klappt in Industrieländern, aber nicht in Entwicklungsländern. Auch die Anpassung an den Klimawandel kann Geld sparen, wenn man etwa mit einem Kredit einen Damm baut, um in Zukunft Geld für Schäden zu sparen. Aber bei Verlusten und Schäden ist das anders: Man kann sich kein Geld leihen, um die zerstörten Häuser armer Leute wieder aufzubauen. Dafür wurde ein Fonds eingerichtet und es sind 800 Millionen US-Dollar Startkapital hineingeflossen. Es muss allerdings hundertmal mehr sein. 2023 war ein wichtiges Jahr. Aber es ist immer noch nur ein Anfang. 2024 müssen wir schneller vorankommen und umsetzen.

    Welche Rolle spielen dabei die multilateralen Entwicklungsbanken, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank unter ihrem neuen Präsidenten Ajay Banga?

    Die zentrale Rolle der multilateralen Entwicklungsbanken ist es, Kredite für große öffentliche Infrastrukturen wie Anpassungsmaßnahmen, Dämme, Hochwasserschutz und bessere Entwässerungssysteme zu gewähren, die Milliarden kosten. Sie müssen mehr Kredite vergeben, die vor allem der Klimafinanzierung dienen, langfristig und kostengünstig sind. Sie haben sich da im letzten Jahr richtig ins Zeug gelegt. Die Weltbank hat ihre Strategie umgestaltet und das Klima zusammen mit der Armutsbekämpfung und dem Wachstum in den Mittelpunkt gerückt. Die Eigenkapitalquote wurde gesenkt und so der Betrag, den sie ausleihen können, um etwa 50 Milliarden US-Dollar erhöht. Es gibt Diskussionen über die Ausweitung ihrer Portfoliogarantien und die Verwendung von Sonderziehungsrechten im IWF. Schätzungsweise kann all das den Gesamtumfang der Klimakreditvergabe um 200 Milliarden US-Dollar erweitern. Wir haben einige Schadensfonds, die mit einer Billion US-Dollar an neuem Kapital eingerichtet werden.

    Wird das ausreichen?

    Es ist klar geworden, dass der Klimawandel ein nicht-versicherbares Ereignis ist. Das ist ein echtes Problem, das wir mit unseren europäischen Freunden haben: Dort gibt es die größten Rückversicherer der Welt, die den Klimawandel durch mehr Versicherungen lösen wollten. Aber Versicherungen helfen nur dann, wenn das Risiko nicht in Korrelation, Ausmaß und Häufigkeit zunimmt.

    Was schlagen Sie stattdessen vor?

    Die Alternative ist das bedingte Aussetzen von Zins- und Tilgungszahlungen und unsere Naturkatastrophenklausel, die es einem Land erlaubt, die Zahlungsverpflichtungen im Falle einer Naturkatastrophe zwei Jahre auszusetzen. Die Weltbank hat angekündigt, dass sie diese Klauseln in ihre Anleihen und in ihre Kredite aufnehmen würde. Das ist sehr wichtig, damit Länder sich Luft verschaffen können. Aber der wichtigste Bereich, in dem wir eine Reform brauchen, aber keine sehen, sind die Finanzmärkte.

    Was muss sich ändern?

    Wir müssen das System reformieren, das Dinge als sicher und als riskant definiert. Südafrika emittiert viele Treibhausgase, weil ein Großteil des Stroms aus Kohle erzeugt wird. Die Umstellung auf nicht-fossile Stromerzeugung kostet etwa 100 Milliarden US-Dollar. Wenn ein deutscher Investor in südafrikanische Solarparks investiert, fragt er sich: Wie viel muss ich zahlen, um das Wechselkursrisiko auszuschalten, wenn der südafrikanische Rand gegen mich fällt? Der Marktpreis für eine solche Absicherung liegt bei elf bis zwölf Prozent pro Jahr. Das Projekt muss also elf bis zwölf Prozent pro Jahr mehr einbringen als dasselbe Projekt in Deutschland. In Wirklichkeit fällt der Rand durchschnittlich nur um sechs Prozent pro Jahr. Man zahlt also fünf oder sechs Prozent zu viel. Der Privatsektor will dieses Risiko nicht eingehen.

    Wie kann dieses Risiko beseitigt werden?

    Der öffentliche Sektor muss einspringen und die Kosten für die Absicherung des Wechselkursrisikos senken. Er muss also das tatsächliche Risiko in Rechnung stellen, in diesem Fall also sechs, nicht zwölf Prozent. Diese Risikoprämie gefährdet die Welt. Es geht hier nicht darum, Geld zu verdienen, sondern den Planeten zu retten. Die Inter American Development Bank (IDB) und die brasilianische Zentralbank haben ein Pilotprojekt dazu begonnen. Wenn es erfolgreich ist und weiterverbreitet werden kann, wäre es eine ziemlich radikale Reform.  

    Schon jetzt sind etwa 60 Prozent der Länder mit niedrigem Einkommen hochgradig gefährdet, in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten, oder sie sind es bereits. Einige Vorschläge der Bridgetown-Initiative würden die Kreditvergabe an Entwicklungsländer weiter erhöhen. Wie gehen Sie das Schuldenproblem an?

    Die Bridgetown-Initiative will genau das Gegenteil: Die Verschuldung der Entwicklungsländer verringern. Die Höhe der künftigen Schulden müssen wir minimieren, was wiederum die Höhe der Gesamtschulden minimiert. Länder sollen sich nur noch Geld für die Dinge leihen, die zu künftigen Einsparungen führen – und nicht für die Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise. Ihre Wirtschaft soll mit billigen Krediten schneller wachsen, damit sie widerstandsfähiger gegen Klimaschocks werden. Und Währungsgarantien sollen Investitionen des Privatsektors für den grünen Wandel fördern. So wollen wir das Schuldenproblem angehen.

    Allerdings benötigen die Entwicklungsländer bis 2030 jährlich 2,4 Billionen US-Dollar für Klima- und Entwicklungsfinanzierung. Das übersteigt die Hilfen, die derzeit von den multilateralen Entwicklungsbanken weltweit zur Verfügung gestellt werden, aber auch die bisherigen Finanzhilfen der Industrieländer.

    Die bisherige weltweite Gesamthilfe beträgt 200 Milliarden US-Dollar. Sie müsste um das Zwölffache erhöht werden. Das wird nicht gelingen. Es ist keine Lösung, dass die Industrieländer für alles Geld geben. Sie sind zwar moralisch verantwortlich und reich damit geworden, die Umwelt zu missbrauchen. Aber für eine solche Lösung wird man nicht gewählt. Und die Industrieländer sollten Geld für die Sachen geben, die man nicht anders finanzieren kann, wie Verluste und Schäden. Wenn nicht direkt, dann über höhere Steuern auf fossile Brennstoffe, auf die Schifffahrt und die Luftfahrt. Außerdem sollten sie mehr Kapital für die Multilateralen Entwicklungsbanken aufbringen: Wenn zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr in die Entwicklungsbanken gesteckt werden, können diese sieben Banken eine Billion US-Dollar mehr verleihen. So lässt sich das Problem der 2,4 Billionen realistisch, machbar und für gewählte Politiker vertretbar lösen.

    Es gibt Gerüchte, dass Mia Mottley die nächste Generalsekretärin der Vereinten Nationen werden könnte. Sie kennen Mia Mottley schon seit dem College, haben eng mit ihr zusammengearbeitet. Hat sie die Qualitäten, die eine UN-Generalsekretärin benötigt?

    Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie eine gute Generalsekretärin wäre. Meine Erfahrung ist, dass sie in der Lage ist, Differenzen zu überbrücken, Menschen zu verstehen und bei allen den Wunsch zu wecken, zusammenzukommen und die gemeinsamen Ambitionen zu steigern. Aber ich muss auch sagen, dass es für sie neben dem Weltfrieden nichts Wichtigeres gibt als die Karibik, die karibische Entwicklung, die karibische Integration. Ich glaube, man müsste sie sehr überzeugen, die Region zu verlassen, die ihr sehr am Herzen liegt.

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    Wie die Windkraft-Branche ihr Recyclingproblem lösen will

    Windpark Odervorland: Je weiter der Ausbau voranschreitet, desto wichtiger wird die Frage des Recyclings.

    Knapp 30.000 Windräder drehten sich 2023 in Deutschland. Sie erzeugten mit 31 Prozent knapp ein Drittel des deutschen Stroms und sollen als Teil der Energiewende künftig einen noch größeren Beitrag leisten. Je mehr Anlagen allerdings hinzukommen und je älter die bestehenden werden, desto stärker gerät die Frage des Recyclings in den Fokus. “Aktuell sind die Mengen, die zurückgebaut werden müssen, noch so gering, dass wir eigentlich immer noch vor der ganz großen Welle sind und Zeit haben, technische Lösungen weiterzuentwickeln”, sagt Steffen Czichon, Abteilungsleiter Rotorblätter beim Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Andererseits: Das Umweltbundesamt erwartet in den kommenden 20 Jahren knapp 400.000 Tonnen Abfälle, alleine durch die Rotorblätter. Weltweit erwartet BloombergNEF, dass im Jahr 2044 rund 782.000 Tonnen Rotorblätter recycelt werden müssen.

    Derzeit wird auch darüber diskutiert, wie viel Mikroplastik durch Erosion an den Rotorblättern freigesetzt wird. Zu den genauen Mengen an freigesetztem Mikroplastik gibt es laut dem IWES keine systematischen Untersuchungen. Eine grobe Abschätzung geht für Deutschland von maximal 1.395 Tonnen Materialabtrag im Jahr aus. Zum Vergleich: Der Abrieb von Reifen liegt bei mehr als 100.000 Tonnen jährlich und der von Schuhsohlen bei über 9.000 Tonnen.

    Die Windenergieindustrie produziert auch vergleichsweise wenig Müll, und rund 90 Prozent der Anlagen können recycelt werden. Beim Recycling von Windenergieanlagen sind das Fundament und der Turm das kleinere Problem. Sie werden im Wesentlichen aus Stahl und Beton gefertigt, für die es etablierte Recyclingverfahren gibt. Die Rotorblätter hingegen, die häufig 50, 60 Meter lang sind und mehr als 20 Tonnen wiegen können, bestehen neben Holz, Metall und Klebstoff vor allem aus Faserverbundkunststoffen. Bei älteren Modellen ist das meistens glasfaserverstärkter, bei neueren kohlenstofffaserverstärker Kunststoff – und in beiden Fällen lassen sich die einzelnen Komponenten nur schwer voneinander trennen. Forscher und Unternehmen arbeiten deshalb daran, Lösungen zu finden. 

    Windkraftanlagen länger rentabel als gedacht

    Das Bremer Unternehmen Neowa hat Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) bis zum letzten Jahr mittels Co-Processing recycelt. Bei dem Verfahren wird das Material geschreddert und zu einem Granulat verarbeitet, das als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie eingesetzt wird. Gleichzeitig ersetzt der Glasanteil einen Teil des Sandes, der in der Zementherstellung verwendet wird.  

    Doch letztes Jahr wurde der Betrieb eingestellt, sagt Geschäftsführer Mika Lange, weil die Zahl der Rotorblätter stark zurückgegangen war. Der Grund: Die Windkraftanlagen werden teilweise länger betrieben als die geplanten 20 Jahre, da sie technisch in Ordnung sind. Dank der gestiegenen Energiepreise sind sie auch dann noch rentabel, wenn die staatliche Förderung nach 20 Jahren ausläuft. Andere Standorte warten noch auf die Genehmigung, die alten Windräder durch größere und leistungsfähigere Anlagen auszutauschen, und bauen sie noch nicht ab.  

    Weiterverwendung als Terrassendielen 

    Irgendwann müssen aber auch diese Rotorblätter recycelt werden. Das dänische Unternehmen Continuum plant deshalb gerade den Bau mehrerer Recycling-Fabriken. Dort sollen die Rotorblätter geschreddert werden, um daraus Verbundwerkstoff für Küchenarbeitsplatten oder Platten für die Bauindustrie herstellen zu können. Die fertigen Paneele bestehen laut Angaben des Unternehmens zu 92 Prozent aus recyceltem Material.  

    Zudem habe das Verfahren den Vorteil, dass es den CO₂-Ausstoß, der bei der derzeit angewandten Verbrennung und Verarbeitung der Rotorblätterreste in Zementfabriken entsteht, drastisch reduzieren soll. Wie genau, das möchte Continuum nicht erklären. Anfang 2024 soll die erste Fabrik fertig werden, fünf sind europaweit geplant, eine davon in Deutschland. Die Fabriken sollen mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden und jeweils rund 36.000 Tonnen GFK im Jahr verarbeiten.  

    Auch die Firma Novotech in Aschersleben in Sachsen-Anhalt recycelt GFK-Abfälle mittels mechanischen Recyclings: Die Flügel werden zu einem groben Pulver zerkleinert, das mit Holzspänen und weiteren Zusatzstoffen bei 170 Grad zu Terrassendielen geformt wird, die bis zu 30 Prozent aus einem Rotorblatt gefertigt werden.  

    Verwertungsketten schließen 

    Um das Recycling künftig zu vereinfachen, ist es wichtig, die letzten Schritte schon beim Design-Prozess des Produkts mitzuplanen und Rotorblätter so zu gestalten, dass sich ihre Ausgangsmaterialien leichter trennen lassen als bisher. Siemens Gamesa hat etwa das “RecyclableBlade” entwickelt, bei dem ein neues Harz zum Einsatz kommt, dessen chemische Struktur die Trennung der unterschiedlichen Bestandteile ermöglicht. Mit einer milden Säurelösung lassen sich Harz, Glasfasern und Holz voneinander lösen und dann in der Bauwirtschaft, für Konsumgüter oder in der Automobilindustrie wiederverwenden.  

    Das deutsche Start-up Voodin Blades entwickelt zusammen mit einem finnischen Holzwerkstoff-Produzenten leichtere Rotorblätter aus Furnierschichtholz. Derzeit testet das Unternehmen ein 20-Meter-Blatt, ein 80-Meter-Blatt ist als nächstes geplant. 

    Derzeit noch keine Kreislaufwirtschaft

    Aber: Die aktuellen Recycling-Ansätze führen noch zu keiner echten Kreislaufwirtschaft. Bisher werden die Materialien weiterverwendet, das daraus entstehende Produkt ist in der Regel jedoch minderwertiger – ein klassisches Downcycling. Wie sich die existierenden Konzepte verbessern lassen, sodass höhere Materialwerte erzielt werden und der Energieverbrauch reduziert wird, daran wird noch geforscht.  

    Und auch die Politik ist gefragt. Denn ein RecyclableBlade sei noch lange kein “blade that will be recycled”, sagt Czichon vom IWES. “Ich vergleiche das immer mit Kaffeebechern. Schön, wenn die kompostierbar sind. Wenn ich sie dann aber verbrenne, bringt das nichts. Und so ist es auch bei den recyclebaren Rotorblättern.”  

    Deswegen sei es sehr wichtig, an einer geschlossenen Verwertungskette zu arbeiten, indem zum Beispiel zentrale Annahmestellen für alte Rotorblätter eingerichtet werden. Dazu bräuchte es aber noch klarere politische Rahmenbedingungen – und die fehlen bislang. Denn der Ausbau der Windenergie steht im Vergleich zum Recycling auf der Prioritätenliste weiter oben. Sarah Kröger, Mitarbeit: Lisa Kuner

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    Selbst wenn Deutschland das Klimaziel 2030 schafft, drohen hohe Strafzahlungen

    Die guten Klimazahlen, die das Umweltbundesamt (UBA) am Freitag präsentiert hat, sind nach Ansicht wichtiger Experten kein Grund zur Entwarnung. Denn selbst wenn die UBA-Projektionen tatsächlich eintreten sollten und Deutschland sein Gesamt-Minderungsziel für das Jahr 2030 erreicht, würde das nationale Minderungsziel auf EU-Ebene verfehlt werden. Denn dort werden die Sektoren, die bisher nicht dem EU-Emissionshandel (ETS) unterliegen, gesondert betrachtet – und dazu gehören vor allem der Verkehrs- und Gebäudesektor, die ihre Ziele der Projektion zufolge deutlich verfehlen werden.

    “Hier drohen Strafzahlungen oder Kosten in Milliardenhöhe für den Ankauf von Emissionsrechten aus anderen EU-Staaten”, warnt Gunnar Luderer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Der Leiter des New Climate Institute, Niklas Höhne, beziffert die Kosten bei einem Preis von 100 Euro pro Zertifikat auf etwa zwölf Milliarden Euro.

    Kosten von zwölf Milliarden Euro drohen

    Zudem zeigt die Projektion nach Ansicht mehrerer Wissenschaftler, dass eine Gesamtbetrachtung der Emissionen problematisch ist. Denn trotz der guten Zahlen für 2030 sei davon auszugehen, “dass bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklungen und politischen Maßnahmen das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 deutlich verfehlt werden wird”, erklärt Manfred Fischedick, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. “Um diese Lücke zu schließen, müssen zusätzliche ambitionierte Maßnahmen in allen Sektoren jetzt beschlossen und umgesetzt werden – vor allem aber in den Problemsektoren Verkehr und Gebäude.”

    “Ein Aufrechnen über alle Sektoren, wie in der Klimaschutznovelle vorgesehen, ist irreführend und kontraproduktiv”, meint auch Niklas Höhne. Dass das Budget für 2030 insgesamt eingehalten werde, verschleiere die großen Probleme im Verkehrs- und Gebäudesektor. “Ein Aufholen im Verkehr ist nach 2030 fast unmöglich – außer mit drastischen und disruptiven Maßnahmen wie extrem hohen CO₂-Preisen oder Fahrverboten.” Das Bundeskabinett hatte die umstrittene Novelle des Klimaschutzgesetzes, mit dem die bisher verbindlichen Sektorziele abgeschafft werden sollen, im vergangenen Juli auf den Weg gebracht. Im September war sie in den Bundestag eingebracht worden; ob und wann sie dort verabschiedet wird, ist offen. mkr

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    Bericht: Großbritannien braucht für Klimaziele elfmal mehr Wärmepumpen

    Die britische Regierung möchte bis 2028 die Ausbaurate von Wärmepumpen auf jährlich 600.000 Stück erhöhen. Bis zum Jahr 2035 sollen 1,6 Millionen pro Jahr installiert werden. Laut einem Bericht der unabhängigen Regulierungsbehörde National Audit Office (NAO) vom Montag liegt dieses Ziel aber in weiter Ferne. Es fehle ein langfristiger Plan, die Bevölkerung zum Heizungstausch zu motivieren und finanziell zu unterstützen.

    In einer ersten Reaktion auf die Kritik der NAO verweist die britische Regierung auf eine laufende Werbekampagne und Förderungen. Das sogenannte “Boiler Upgrade Scheme”, das mit 7.500 Pfund rund die Hälfte der Kosten einer Wärmepumpe fördert, führte bisher aber nur zu halb so vielen Anträgen wie erhofft. Selbst in Deutschland, das ebenfalls hinterherhinkt, sind 2022 um ein Vielfaches mehr Wärmepumpen verkauft worden als die 55.000 Stück in Großbritannien.

    Der Gebäudewärme-Sektor ist für ein Fünftel der gesamten britischen Treibhausgase verantwortlich. Zwar sind die Gesamtemissionen im vergangenen Jahr um 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken – und somit auf den niedrigsten Wert sei 1879. Doch die schleppende Wärmewende gefährde langfristig Großbritanniens Klimaziele, mahnt die NAO. Es brauche bis 2028 elfmal mehr neu installierte Wärmepumpen pro Jahr.

    Gaslobby erwirkt Verschiebung von Marktmechanismus

    Ab kommendem Jahr soll außerdem ein neuer Marktmechanismus dazu führen, dass mehr Wärmepumpen installiert werden. Dieser schreibt Heizungsinstallateuren einen jährlich steigenden Prozentsatz an installierten Wärmepumpen verglichen mit Gasboilern vor. Verfehlen sie diese Quote, müssen sie Strafe zahlen. Die Einführung des Mechanismus wurde allerdings um ein Jahr auf April 2025 verschoben – eine Reaktion auf den Widerstand von Gasunternehmen und deren Lobbyisten, die den Mechanismus als “Boiler-Steuer” bezeichnet hatten. Immer wieder gibt es in der Heizdebatte solche Desinformations-Kampagnen, die die Nachfrage klein halten und Gesetze verzögern oder abschwächen. rtr/lb

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    Zementindustrie: Ohne schnellen Ausbau von CO₂-Pipelines sind Klimaziele nicht erreichbar

    Die Zementindustrie drängt in einer neuen Studie auf einen schnellen Ausbau der CO₂-Infrastruktur in Deutschland. Andernfalls könnten weder der Sektor noch Deutschland ihre langfristigen Klimaziele erreichen. Laut der Studie des Vereins Deutscher Zementwerke (VDZ) könnten Abfallverbrennungsanlagen und die Zement- und Kalkindustrie zwischen 2028 und 2047 rund 500 Millionen Tonnen CO₂ auffangen und speichern (Carbon Capture and Storage, CCS), wenn schnell genug Pipelines zum Transport des Klimagases gebaut würden. Bis spätestens zum Jahr 2035 müssten die zehn großen CO₂-Cluster der Zement- und Kalkindustrie größtenteils an ein Pipelinenetz angeschlossen werden. Werde der Ausbau auch nur um einige Jahre verzögert, könnte nur die Hälfte des CO₂ aufgefangen und gespeichert werden, so die Studie.

    Insgesamt müssten demnach rund 4.800 Kilometer CO₂-Fernleitungen gebaut werden, damit der Sektor bis 2040 klimaneutral werden kann. Die Kosten werden auf 14 Milliarden Euro geschätzt. Der Transport einer Tonne CO₂ aus den Sektoren Zement, Kalk und Abfallverbrennung würde im Betrachtungszeitraum somit umgerechnet 35 Euro kosten – die Betriebskosten für das CO₂-Pipelinenetz sind dabei noch nicht eingerechnet. Der Transport per Schiene käme nur anfangs infrage und würde aufgrund hoher Kosten und hohem technischem Aufwand nur eine “Nebenrolle” spielen. Fast alle Standorte der Zement- und Kalkindustrie würden “in einem Abstand von circa 50 Kilometern zu bislang geplanten Korridoren für das CO₂-Leitungsnetz” liegen, so die Studie.

    Sehr hoher Stromverbrauch für CCS

    Laut der Studie wird sich der jährliche Strombedarf der Zement- und Kalkindustrie durch die CO₂-Abscheidung bis ins Jahr 2045 vervierfachen. Der VDZ fordert deshalb einen schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Laut den Autoren der Studie gäbe es in Europa bisher geplante und veröffentlichte CO₂-Speicherprojekte mit einer jährlichen Speicherkapazität von etwa 140 Millionen Tonnen im Jahr 2038. Die deutsche Zement-, Kalk- und Abfallverbrennungsindustrie hat demnach im Jahr 2040 einen Speicherbedarf von 19 bis 31 Millionen Tonnen. nib

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    Klimaallianz: Nur Importe von grünem Wasserstoff fördern

    Ein breites Bündnis aus umwelt- und entwicklungspolitischen Initiativen hat am Montag die Festschreibung “konkreter und verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards” in der deutschen Wasserstoff-Importstrategie gefordert, die derzeit von der Bundesregierung erarbeitet wird. Die Klimaallianz fordert, nur Wasserstoff und Wasserstoffderivate staatlich zu fördern, die ohne fossile Energie hergestellt werden. Zudem solle dieser geförderte Wasserstoff nur in Anwendungen eingesetzt werden, die nicht direkt elektrifiziert werden können.  

    Die NGO Brot für die Welt stellte zudem eine vom Wuppertal Institut erstellte Studie zum politischen Instrumentarium vor, mit dem die Nachhaltigkeit von Wasserstoffimporten gewährleistet werden könne:

    • Besonders geeignet seien ökonomische Förder- und Anreizinstrumente der Bundesregierung wie der H2Global-Mechanismus, Kredite und Garantien und teils auch die kürzlich erstmals ausgeschriebenen Klimaschutzverträge zur Dekarbonisierung der Industrie.  
    • Diese müssten mit der EU-Lieferkettenrichtlinie, der Entwicklungszusammenarbeit und Wasserstoffpartnerschaften mit Ländern im globalen Süden stärker verbunden, konkretisiert und ausgebaut werden, “um ambitionierte Nachhaltigkeitskriterien für Wasserstoffprojekte zu verankern.” 

    Umweltschäden im Globalen Süden vermeiden

    In den Exportländern im Globalen Süden, so die Klimaallianz, müssten soziale und Umweltschäden vermieden werden. Konkret geht es dabei etwa um Landkonflikte, wenn große Flächen für Solar- und Windenergie vergeben werden. Der hohe Wasserverbrauch bei der Herstellung von Wasserstoff solle durch Meerwasser-Entsalzungsanlagen gedeckt werden; die verbleibende Lake wiederum müsse umweltgerecht entsorgt werden. Zudem sollten partizipative und transparente Verfahren dafür sorgen, dass Profite nicht durch kleine Eliten abgeschöpft werden können. 

    Die Forderung nach ausschließlich grünem Wasserstoffimport ist bislang etwa im Nationalen Wasserstoffrat umstritten, deren Mitglieder die Bundesregierung beraten. Im kürzlich angelaufenen “Förderprogramm Klimaschutzverträge“, mit dem die Dekarbonisierung der deutschen Industrie angeschoben werden soll, ist blauer Wasserstoff, bei dem entstehendes CO₂ aufgefangen und gelagert wird, eine Option. Laut dem BWMK soll die Wasserstoff-Importstrategie “zeitnah” vorgestellt werden. av 

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    Experten wollen CO₂-Grenzsteuer reformieren

    Die europäische CO₂-Grenzausgleichssteuer (CBAM) weist nach Meinung von Ökonomen zahlreiche Mängel auf und sollte durch einen Klimaclub abgelöst werden. Der Club solle die G7 oder die G20 umfassen und die Regulierung von emissionsintensiven Industrien koordinieren, schreiben die Experten um Karen Pittel vom Ifo-Institut in der Studie “Watts Next: Securing Europe’s Energy and Competitiveness”.

    Derzeit gelte der CBAM nur für Teile der industriellen Wertschöpfungskette. Außerdem könnten außereuropäische Produzenten emissionsintensivere Produkte einfach in Nicht-EU-Länder liefern, wodurch für das Klima insgesamt nichts gewonnen sei. Falls ein Klimaclub nicht zustande komme, schlagen die Autoren eine Reform des CBAM vor. Grundlage für die Bepreisung sollten die durchschnittlichen Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sein.

    Kritik an nationalen Klimaschutzverträgen

    Kritik üben die Experten auch an nationalen Klimaschutzverträgen, die Mehrkosten für klimafreundlichere Produktionsmethoden teilweise subventionieren sollen. “Die massive Einführung solcher Systeme auf nationaler Ebene würde zu einer ungleichen Unterstützung und einem ungleichen Schutz der nationalen Industrien im europäischen Binnenmarkt führen”, schreiben die Wissenschaftler.

    Erst vor einer Woche hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine erste Ausschreibungsrunde für Klimaschutzverträge im Wert von vier Milliarden Euro eingeläutet. ber

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    Forschende geben Empfehlungen für Biodiversitätsstrategie

    Mit “10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2024”, die das Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität am Montag vorgestellt hat, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die laufende Debatte um die nationale Biodiversitätsstrategie inhaltlich vorantreiben. Die Strategie soll vor der nächsten Weltnaturkonferenz verabschiedet werden, die im kommenden Herbst im kolumbianischen Cali stattfindet. In dem Papier bündeln die Fachleute aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung und geben dabei auch konkrete Empfehlungen, um die biologische Vielfalt und zugleich das Klima wirksam zu schützen.

    Für die Klimapolitik birgt der Bericht eine wesentliche Botschaft: Im Kampf gegen Biodiversitäts- und Klimakrise zugleich sei es von Vorteil, zunächst einen Schwerpunkt auf Maßnahmen gegen das Artensterben zu legen, statt die Klimaschutzpolitik in den Vordergrund zu stellen. Zur Begründung schreiben die Fachleute: Viele Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität schwächten den Klimawandel ab und förderten auch die Anpassung an die Erderwärmung – “während wesentlich weniger Maßnahmen zum Schutz des Klimas auch vorteilhaft für die Biodiversität sind.”

    Empfehlung: Wald-, Moor- und Meeresschutz

    Als ein Beispiel dafür nennen sie den Schutz “natürlicher und vielfältiger Wälder”, die als CO₂-Speicher und Lebensraum zugleich dienten. Im Gegensatz dazu könne “der ausschließliche Fokus auf CO₂-wirksame Maßnahmen, wie der Anbau von Bioenergiepflanzen auf großen Flächen oder das Aufforsten durch Monokulturen, negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben” und solle deshalb vermieden werden.

    Die Forschenden empfehlen, Energiepflanzen und Biomasse aus Wäldern “angesichts effizienterer erneuerbarer Energiequellen wie Sonne und Wind” vorrangig für langlebige Materialien und nicht zur Energiegewinnung zu verwenden. Sie warnen auch vor Landnutzungskonflikten.

    Wie Arten- und Klimaschutz Hand in Hand gehen können, beschreibt der Bericht auch am Beispiel von Moor- und Meeresschutz: Moore und Meeresökosysteme, beispielsweise Seegraswiesen, sind wichtige CO₂-Speicher. Allein die Wiedervernässung aller entwässerten Moorgebiete in Deutschland würde dem Bericht zufolge die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft um bis zu 40 Prozent verringern.

    Die weiteren “Must-Knows” befassen sich unter anderem mit der Verbindung zwischen Gesundheits-, Klima- und Artenschutz, mit Landwirtschaft und Ernährung, mit kultureller Vielfalt und den Chancen internationaler Zusammenarbeit. ae

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    • Klimaschutz

    Presseschau

    Analyse: Shell schwächt sein Emissionsziel für 2030 ab und gibt sein Ziel für 2035 auf CarbonBrief
    Analyse: Warum Deutschlands Energiekonzerne Milliardengewinne machen Der Spiegel
    Analyse: Die ungewöhnlich aggressiven Botschaften des Bundesrechnungshofs Der Spiegel
    Nachricht: Brasilien diversifiziert seine Erneuerbaren weg von Wasserkraft Reuters
    Nachricht: Nach Fluten verklagt die EU Griechenland wegen unzureichender Risikopläne Reuters
    Nachricht: Neuer US-Klimabeauftragter fordert, dass China den Kohleausstieg beschleunigt France24
    Reportage: Siebenmal so groß wie Manhattan: Ein Baumpflanz-Projekt in Afrika macht einen echten Unterschied The Guardian
    Analyse: Wie in der Nordsee das CO₂ gelagert werden könnte Der Spiegel
    Data-Story: Seit einem Jahr sind die Weltmeere heißer als je zuvor. Selbst Forschende stellt das vor Rätsel. Die Zeit
    Analyse: Ein neuer Anstieg des Stromverbrauchs bedroht die Klimaziele der USA New York Times
    Analyse: Unternehmen nehmen Abstand von Zusagen für Klimaziele Financial Times

    Climate.Table Redaktion

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