Table.Briefing: Climate

Bidens COP-Bilanz + Ampel will aus ECT raus + Steckel und Jakob zum Kohleausstieg

  • Joe Biden auf der COP – ein Anführer, der nicht führt
  • 12 Gründe, warum Biden in der Klimapolitik wenig Macht hat
  • Jan Steckel und Michael Jakob: “Der globale Kohle-Ausstieg kommt auf jeden Fall”
  • Neue Zahlen: Globale CO2-Emissionen steigen wieder
  • Deutschland steigt aus der Energiecharta aus
  • Schwache Methan-Erklärung – UN will mehr Rechenschaft
  • Laurence Tubiana: 1,5-Grad-Ziel nicht aufgeben
  • Deutschland unterstützt Ägypten bei Energiewende
  • Standpunkt: Klimakrise erfordert mehr Ressourcen für Gesundheitsschutz
  • Portrait: John Podesta – Biden-Berater verantwortet Milliarden-Budget
Liebe Leserin, lieber Leser,

den Vereinigten Staaten kommt als reichstes Land der Welt, als Hauptverursacher der Klimakrise und als selbsternannte globale Führungsmacht eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen den Klimawandel zu. Mit Spannung war daher erwartet worden, was ihr Präsident mit nach Ägypten bringen würde. Doch Joe Biden ist den Erwartungen am Freitag auf der COP allenfalls mit großen Worten gerecht geworden. Eine Vision, aus der sich Führung ableiten ließe, hatte Biden nicht im Gepäck, analysiert Bernhard Pötter – und nennt zwölf hausgemachte Hemmnisse für Bidens Klimapläne.

Eine aktuelle Standortbestimmung zeigt derweil der Global Carbon Budget Bericht: Weltweit sind die CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern wieder gestiegen. Bei der Kohle deutet sich sogar ein neuer Spitzenwert ab, zeigen neue Berechnungen. Doch wir wollen Sie nicht ohne Hoffnung in die zweite COP-Woche schicken. Im heutigen Interview erklären die Ökonomen Jan Steckel und Michael Jakob, warum der globale Kohleausstieg auf jeden Fall kommt – und welche Maßnahmen sinnvoll sind. Die beiden Wissenschaftler haben sich jahrelang mit der Kohlepolitik unterschiedlicher Ländern beschäftigt. Und sie sind vorsichtig optimistisch.

Am morgigen Sonntag legen die COP-Verhandler – und auch wir – eine kleine Verschnaufpause ein. Die nächste Ausgabe des Climate.Table finden Sie am Montagmorgen in ihrem Postfach.

Bis dahin: Ein schönes Wochenende!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Ein Anführer, der nicht führt

Der Anspruch ist riesig: “Wir erfüllen unser Versprechen von globaler Führerschaft beim Klimaschutz”, sagte US-Präsident Joe Biden am Freitagabend bei seiner Rede auf der COP27. Drei Tage nach den anderen Staats- und Regierungschefs der Welt hatte sich Biden zur Klimakonferenz begeben, um zu einem Thema zu sprechen, das in schon “seit 36 Jahren” umtreibe: der Kampf gegen die Klimakrise. Und zwar am besten unter US-amerikanischer Führung.

Damit ist es allerdings oft nicht weit her. Und auch Bidens Rede in Sharm el Sheikh war zwar die Bilanz von einem großen Erfolg zu Hause, dem “Inflation Reduction Act” und seinen fast 370 Milliarden Dollar Investitionsvorhaben. Aber ansonsten war die Rede eher eine Bilanzierung von halbherzig erfüllten oder verpassten Aufgaben. Während die Biden-Regierung zu Hause “alle Hebel in Bewegung setzt, verfehlt sie international alle Erwartungen“, hieß es vom Thinktank World Resource Institute.

Kein Aufbruch, keine Vision von Joe Biden

Ein Aufbruch, eine Vision, aus der sich Führung ableiten ließe, war in Bidens Rede nicht zu erkennen. Und das lag nicht nur daran, dass der 79-Jährige müde wirkte und bei wichtigen Passagen seiner Rede Probleme mit der Artikulation hatte.

Neben dem bekannten Wumms aus dem IRA-Paket legte Biden durchaus neue Versprechen vor:

  • die USA verdoppeln ihre Zahlungen an den UN-Anpassungsfonds auf 100 Millionen Dollar
  • 150 Millionen Dollar stehen für “Anpassung in Afrika” unter dem PREPARE-Programm bereit
  • zwei Milliarden Dollar sollen in “Solarprojekte in Angola” fließen
  • Biden versprach, dafür zu arbeiten, dass die USA bis 2024 insgesamt 11,4 Milliarden an Klimafinanzen zahlen würden, drei Milliarden davon für Anpassung. Wie Biden das schaffen will, ist noch unklar. Bisher haben die USA acht Milliarden bereitgestellt – und weit von einem “fairen Anteil” der USA von 40 Milliarden entfernt
  • zusammen mit Deutschland schließen die USA mit Ägypten ein 500-Millionen-Dollar-Projekt zur Förderung von 10 Gigawatt Erneuerbaren Energien, das Gas einsparen soll (siehe News).
  • in den USA sollen bis 2030 fast 90 Prozent aller Methan-Emissionen vermieden werden. Damit soll der US-Anteil des “Globalen Methan-Versprechens” eingelöst werden, bis 2030 die Emissionen um 30 Prozent zu senken.

Biden bietet keine Lösung für Klimafinanzen

Zu den großen Themen der COP27, die in der nächsten Woche über Scheitern oder Erfolg der Konferenz entscheiden werden, sagte Biden allerdings wenig. Das umstrittene Thema Finanzen wird sich mit seinen Ankündigungen nicht erledigen. Erst am Tag zuvor hatte sein Klima-Gesandter John Kerry mit einem neuen Vorschlag für Kritik gesorgt: Mit CO2-Zertifikaten für US-Unternehmen auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt soll die Energiewende in Schwellenländern vorangebracht werden – doch der Plan kollidiert mit neuen UN-Regeln gegen Greenwashing (Climate.Table berichtete).

  • Wie groß der Finanzbedarf ist, hatte kurz vorher eine Studie einer Expertengruppe festgestellt: bis zu einer Billion Dollar im Jahr für Energiewende, Anpassung und Naturschutz, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Kein Wort von Biden zu Veränderungen im Finanzsystem, wie sie die Premierministerin von Barbados, Mia Motley, fordert, kein Wort zu neuen Finanzierungsmodellen etwa aus den Übergewinnen der Fossil-Unternehmen, Umbau von Weltbank und IWF oder Abgaben auf Flug- und Schiffsverkehr.
  • Auch beim Thema CO2-Reduzierung blieb Biden unklar. Er behauptet, die USA seien dabei, ihren Klimaplan (NDC) einzuhalten. Der sieht eine Reduzierung der Emissionen von 2005 bis 2030 um 50 bis 52 Prozent vor. Bisherige Rechnungen sehen durch den Inflation Reduction Act (IRA) allerdings höchstens minus 44 Prozent erreichbar.

Immerhin: Die USA sind wieder auf Chefebene auf der Klimakonferenz vertreten. Der US-Präsident nutzte seinen Flug zum G20-Treffen auf Bali für einen kurzen Touchdown in der Wüste. Kurz vorher hatte er mit Chinas Staatspräsident Xi Kontakt. Die beiden wollen in Indonesien miteinander reden – und vielleicht den unterbrochenen Dialog zum Klima wieder aufnehmen.

“Es ist ein gutes Signal, dass der US-Präsident zur Konferenz gekommen ist”, sagte der deutsche Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth zum Besuch von Biden. Das zeige, dass die Klimakrise in all den anderen Krisen nicht vergessen werde.

Aber selbst erklärte Führerschaft bedeutet mehr, als einfach nur dabei zu sein.

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12 Gründe, warum Biden in der Klimapolitik wenig Macht hat

Vize-Präsident Al Gore 1997 auf der COP3 in Kyoto: Klima-Abkommen verhandelt, aber zuhause am Senat gescheitert.

Politische Hürden: Parlament, Parteipolitik

  • Die Verfassung der USA legt fest, dass wichtige Hebel für Klimapolitik nicht beim Präsidenten liegen: Den Haushalt der Bundesregierung stellt das Repräsentantenhaus auf. Die oppositionellen Republikaner können mit einer Mehrheit in der Kammer das versprochene Geld für Klimahilfen blockieren. Davor hat auch der US-Klimagesandte John Kerry schon gewarnt. Auch deshalb tragen die USA zur internationalen Klimafinanzierung nur knapp acht Milliarden Dollar bei – der faire Anteil läge wohl bei etwa 40 Milliarden.
  • Internationale Verträge muss der US-Senat ratifizieren. Hat der Präsident dort keine Mehrheit, gelingt das nicht – und auch bei einer Mehrheit seiner Partei ist kein Erfolg garantiert. Das Kyoto-Protokoll von 1997 wurde deshalb dem Senat nie zur Ratifizierung vorgelegt. Ein Ergebnis daraus: Das Pariser Abkommen wurde so gestrickt, dass es keine direkten Verpflichtungen für ein Mitgliedsland vorsah – dabei ging es vor allem um die USA.
  • Die USA sind beim Thema Klimaschutz entlang parteipolitischer Linien polarisiert: Während Anhänger der Demokraten zu großen Teilen Maßnahmen zum Klimaschutz befürworten, lehnen die meisten Republikaner sie ab. Weit verbreitet ist es unter Republikanern auch, den Klimawandel schlicht zu leugnen.
  • Das Weiße Haus hat wenig Einfluss über “Neben-Außenpolitik”, die auch im Klima Wirkung haben kann: Als Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses im August auf eigene Faust Taiwan besucht hatte, legte China die Klimagespräche mit den USA auf Eis.

Starke fossile Konzerne und Bundesstaaten, Aderlass in Behörden

  • Der Einfluss fossiler Konzerne auf die Politik des Bundes und der US-Staaten ist groß. Eine ganze PR-Industrie sorgt mit ihren “Kaufleuten des Zweifels” seit Jahrzehnten dafür, dass Klimapolitik nicht ihre kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen bedroht. Rex Tillerson, Chef des US-Ölgiganten ExxonMobil, diente von 2017 bis 2018 unter Donald Trump als US-Außenminister – zuständig auch für Klimapolitik.
  • Die Trump-Jahre haben die US-Klimapolitik entscheidend geschwächt. Viele Fachleute aus Außenministerium und Umweltbehörde EPA verließen den Staatsdienst oder wurden gefeuert.
  • Das dezentrale Politiksystem der USA sichert einzelnen (fossil geprägten) Bundesstaaten großen Einfluss: Ein einzelner demokratischer Senator, Joe Manchin aus dem Kohlestaat West Virginia, bremste Joe Bidens Klimakurs lange aus.
  • Auf der anderen Seite trägt diese Graswurzel-Struktur auch dazu bei, den totalen Klima-Kahlschlag bei einem Machtwechsel in Washington zu verhindern. Als Präsident Trump die USA 2017 aus dem Pariser Abkommen führte, schlossen sich Bundesstaaten, Unternehmen, Umweltgruppen und Stiftungen zur Initiative “We´re still in” zusammen, um die Ziele des Abkommens zu erfüllen.

Ökonomische Zwänge sind groß

  • Ökonomische Zwänge sind wichtiger als politische Beschlüsse. Die USA setzen anders als etwa die EU-Staaten weniger auf Regulierung im Detail. Sondern auf Quoten, Steuererleichterungen und technische Innovationen. Der Rückgang der US-Emissionen in den letzten Jahren liegt dann auch weniger an zielgerichteter Politik, sondern am Erfolg des billigen Frackinggases, das die Kohle verdrängte. Und wie konkret sich die 369 Milliarden Dollar aus Bidens “Inflation Reduction Act” (IRA) auf die nationale und internationale Klimapolitik auswirken, ist unklar. Experten kalkulieren, dass die CO2-Emissionen damit bis 2030 um 31 bis 44 Prozent sinken – weit entfernt von den 50 bis 52 Prozent im US-Klimaplan (NDC).
  • Die aktuelle hohe Inflation macht derzeit höhere Spritpreise unpopulär. Ohnehin schränkt die Abhängigkeit der USA vom Auto und Flugzeug den politischen Spielraum für fiskalische Maßnahmen ein. Auf der anderen Seite befeuern Schäden aus dem Klimawandel die Inflation.
  • Die US-Tradition steht grundsätzlich der Staats-Intervention kritisch gegenüber. Steuern gelten vielen Menschen als inakzeptable Freiheitsbeschränkung. Nur in 15 Bundesstaaten gibt es einen CO2-Preis und einen Emissionshandel für die Industrie.

Umwelt und Klima spielen in Geopolitik kaum eine Rolle

  • Bei der US-Geopolitik stehen Umwelt- und Klimathemen traditionell hinter anderen Interessen zurück. Die Interessen am Persischen Golf etwa stützen sich auf die Petrostaaten in der Region. Der Konflikt mit China gilt vielen auch als Konflikt um die Märkte für Erneuerbare Energien – den inzwischen China dominiert.
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“Der globale Kohle-Ausstieg kommt auf jeden Fall”

Jan Steckel und Michael Jakob

Herr Jakob, Herr Steckel, Sie haben fünf Jahre lang zur “politischen Ökonomie der Kohle” in knapp 20 Ländern weltweit geforscht. Wann und wie funktioniert der Kohleausstieg?

Steckel: Das ist sehr spezifisch für die einzelnen Länder. Aber weil wir überall ähnliche Maßstäbe anlegen, finden wir schon Dinge, die sich wiederholen: Manche große Barrieren sind in vielen Ländern gleich, da ist es fast egal, ob es um Deutschland, Vietnam oder Indonesien geht. Zum Beispiel, dass es sehr wichtig ist, die regionalen Akteure zu verstehen und ihre Interessen ernst zu nehmen.

Beim Kohleausstieg heißt es oft: Der Preis wird es regeln. Stimmt das?

Jakob: Schwierig wird es immer, wenn starke Interessengruppen gegen den CO2-Preis sind und wenn es versteckte Subventionen für die Kohle gibt. Dann braucht man andere Instrumente. Vietnam ist da ein gutes Beispiel: Die billigen Erneuerbaren hätten die Kohle aus dem Markt gedrängt, wenn es nicht zusätzliche versteckte Subventionen für die Kohle gegeben hätte. Denn an der Kohle verdienen viele Leute, beim Bau der Kraftwerke, Transport des Brennstoffs, Abtransport der Asche.

S: Es gibt eine Gemeinsamkeit: Es funktioniert in liberalisierten Strommärkten. Wenn die steigenden Preise für die Kohle, etwa durch CO2-Zertifikate, an den Kunden weitergegeben werden, wie in Deutschland, den USA, oder Großbritannien, dann geht die Kohle auch extrem schnell aus dem Markt, viel schneller als erwartet. In den USA hat die Kohle im letzten Jahrzehnt wegen billigen Alternativen, vor allem Gas, praktisch ihre Bedeutung verloren, ganz ohne politischen Konsens zum Ausstieg.

Aber wenn die Erneuerbaren fast überall billiger werden, warum gibt es dann noch so viel Kohle?

S: Es gibt schon ökonomische Gründe, wir haben sie nur nicht auf dem Radar. Zur Industrialisierung gehört mehr als nur Strom, dazu gehört die Infrastruktur und die Ausbildung der Bevölkerung. Da hat die Kohle viele Ansatzpunkte. Unsere Forschung zeigt auch: Wo Kohlekraftwerke gebaut werden, hat Strukturwandel und schnellere ökonomische Entwicklung stattgefunden.

Aber sind Erneuerbare nicht einfach billiger?

S: Auch das ist so eine zweischneidige Sache. In Deutschland haben wir in der letzten Zeit für die Finanzierung solcher Projekte mit zwei Prozent Zinsen gerechnet. In Indonesien und Vietnam kalkulieren sie für solche Investitionen aber mit bis zu 15 Prozent. Dazu kommt: Das Kapital muss bei den Erneuerbaren gleich am Anfang auf dem Tisch liegen, anders als bei der Kohle. Und Erneuerbare kommen schlechter an Kredite, weil das Risiko höher ist. Bei Kohlekraftwerken bekommt man in vielen Ländern Abnahmegarantien für 20 Jahre, bei Erneuerbaren in manchen nur für ein Jahr. Das schreckt Investoren natürlich ab.  

Je nachdem, wie der Markt angelegt ist, kann es also ökonomisch rational sein, Kohlekraftwerke zu bauen, auch wenn Erneuerbare eigentlich günstiger sind?

J: Für die einzelnen Akteure auf jeden Fall. Aber diese Rahmenbedingungen sind keine Naturkonstante, sie sind politisch gemacht und gewollt. Der Zinssatz für Erneuerbare ist so hoch, weil politische Entscheidungen die Kohle bevorteilen.

S: Das Marktdesign hängt davon ab, welche Technologie sich durchsetzt. Die Entscheider sind nicht alle dumm oder korrupt und leugnen auch nicht den Klimawandel. Aber häufig sagen sie: Ihr könnt uns nicht garantieren, dass die Erneuerbaren mit unseren technischen, administrativen und institutionellen Realitäten wirklich so gut funktionieren wie die Kohle! Außerdem sind sie erst einmal teurer: Ein erneuerbares Netz braucht mehr Kapazität und mehr Speicher, das sind nochmal zusätzliche Investitionen. Solche Vorbehalte muss man ernst nehmen.

Man muss auch sehen, ob die technischen und institutionellen Voraussetzungen für ein System der Erneuerbaren da sind. Bei uns gibt es eine große Dienstleistungs-Industrie, die zum Beispiel Software entwickelt, die uns auf zwei Meter genau ausrechnet, wo in 15, 30, 60 Minuten der Wind weht. Für uns ist das trivial, für ein Land wie Vietnam wird das schon schwieriger. Und dazu kommt die Sorgen vieler Länder, sich über die Technik der Erneuerbaren wieder in Abhängigkeiten zu begeben, die sie nicht wollen.

Angesichts der Lage: Verzweifelt man da nicht?

S: Was mir Mut macht: Wir haben das Problem verstanden, wir können jetzt daran arbeiten. Es ist in vielen Ländern nicht so einfach, einen wirkungsvollen CO2-Preis einzuführen, da muss an anderen Stellschrauben gedreht werden. Dieses Wissen können wir in den politischen Prozess einspeisen. In Vietnam etwa ist das total spannend: Als die Begrenzung aufgehoben wurde, dass die Abnahme von erneuerbarem Strom nur für ein Jahr garantiert werden durfte, gab es einen Riesen-Boom und Milliarden an Investitionen. Bis dahin, dass die Regierung es wieder stoppen musste, weil die Netze es nicht geschafft hätten. Aber jetzt werden die Regierungspläne umgeschrieben. Wir sehen also: Die Beharrungskräfte sind stark, aber es verändert sich etwas – und wir können erklären, warum. Das ist nicht frustrierend, das gibt Hoffnung.

Der Ukrainekrieg hat die globale Energiepolitik durcheinandergewirbelt. Was heißt das für den Kohleausstieg?

S. Das ist völlig unklar. Bangladesch etwa hatte große Kohlepläne, die dann kassiert wurden. Begründung: Wir bauen LNG-Terminals, um Flüssigerdgas zu importieren. Niemand kann sagen, was jetzt daraus wird, wo LNG wegen der Nachfrage Europas so teuer geworden ist. Gerade die Länder in Süd- und Südostasien sitzen in der Klemme: Es gibt keine Schiffe, weil die jetzt Gas nach Europa transportieren. Dadurch droht eine Renaissance der Kohle. Auf der anderen Seite gibt es eine Brandmauer, nämlich keine öffentliche Finanzierung mehr für Kohle, das wurde auf der COP in Glasgow beschlossen, auch China sagt das.

J: Nicht nur Gas ist teurer geworden, auch die Kohlepreise sind gestiegen. Ich kann mir vorstellen, dass es auch einen starken Druck zu mehr Erneuerbaren gibt.

S: Es gibt noch eine andere Befürchtung: Dass in den ärmeren Ländern der Ausbau der Energienetze stoppt. Dass es also zu weniger Entwicklung, weniger Industrialisierung, mehr Energiearmut und mehr Armut kommt.

Wer den Kohleausstieg plant, was lernt der aus Ihrem Buch?

J: Erst einmal, dass die Bedingungen in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich sind: Wo der Ausstieg wie in vielen alten Industrieländern bereits stattfindet, sind marktwirtschaftliche Instrumente wie der CO2-Preis sehr wichtig, die Förderung von Erneuerbaren und Ausgleich für betroffene Bevölkerungsgruppen.

S: Wo die Kohle etabliert ist, also etwa in China und Indien, ist es wichtig, den Energiemarkt zu verändern und zu liberalisieren. Das sind große Aufgaben. Für Staaten, die über den Ausstieg nachdenken, ist es zentral, das Risiko zu senken: De-Risking, verbunden mit Angeboten, gleich in Erneuerbare zu gehen. Da müssten die Kapitalhürden für den Ausbau der Erneuerbaren gesenkt werden: Dafür müsste es dann Kredite zu zwei Prozent statt zu bisher 15 Prozent geben, und zwar nicht nur für den einzelnen Windpark, sondern das ganze System. Oder man könnte sagen: Wenn Ihr ein fossiles System aufbaut, braucht ihr 100 GW, wenn ihr ein erneuerbares baut, mehr, vielleicht 150 GW – also finanzieren wir euch die zusätzlichen 50 GW.

Was ist mit den Ländern, die mit dem Export von Kohle einen großen Teil ihrer Staatseinnahmen erwirtschaften?

S: Sie brauchen Geldtransfers auf verschiedenen Ebenen. Einen “gerechten Übergang” in den Ländern selbst, also für die betroffenen Gruppen. Aber auch international muss man sich klar werden: Wie kauft man die Gruppen raus, die die Kohle besitzen und die Gewinne daraus abschöpfen. Das ist eine unangenehme Frage, aber der muss man sich stellen. Den Kohlebaronen in Indonesien etwa wird man ein Angebot machen müssen. Das ist ein Geflecht von alten Militärs, die selbst in den Ministerien noch an den Hebeln sitzen. Die müssen Angebote bekommen, wie sie etwa an den Erneuerbaren mitverdienen könnten, wenn die Kohle ausläuft.

Sie haben sich drei Jahre mit diesem Projekt beschäftigt. Sind Sie optimistischer oder pessimistischer geworden?

J: Optimistischer, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Ausstieg aus der Kohle passiert auf jeden Fall. Die Frage ist, wie lange er dauert. Wir müssen vor allem verhindern, dass Länder neu in Kohle investieren. Viele Länder in Afrika wollten in die Kohle und gehen jetzt verstärkt in Erneuerbare.

S: Viele Leute waren enttäuscht, dass auf der COP26 in Glasgow kein globaler Kohleausstieg beschlossen wurde. Aber China finanziert keine Kohle mehr im Ausland, es gibt Initiativen, um Ländern wie Südafrika beim Ausstieg zu helfen oder mit öffentlichem Geld Kraftwerke zu kaufen und dann stillzulegen. Wenn die Weichen richtig gestellt werden, kann es mit dem Ausstieg schnell gehen, das zeigen unsere Daten. Das stimmt mich auch optimistisch. Es wird immer gesagt: Kohlekraftwerke, die heute gebaut werden, sind gestrandete Investments. Wieso eigentlich? Wir hören häufig: Nach sechs Jahren machen diese Projekte Gewinn. Dann ist es vielleicht auch nicht so dramatisch, sie vorzeitig abzuschalten, zum Beispiel nach zehn oder 20 Jahren anstelle von 40. Wenn das geschieht, klappt es auch noch mit der Kohle und dem Klimaschutz.

Michael Jakob ist Senior Fellow am Ecologic Institute und Fellow am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) Berlin.

Jan C. Steckel leitet die Arbeitsgruppe “Climate and Development” am MCC und ist Vorsitzender der Abteilung Climate and Development Economics an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU in Cottbus.

Jakob/Steckel (ed.): “The Political Economy of Coal – Obstacles to Clean Energy Transitions”, Routledge, London und New York, 2022

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News

Studie: Globale CO2-Emissionen steigen wieder

Die weltweiten CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe werden in diesem Jahr voraussichtlich um etwa ein Prozent steigen. Nach einem Corona-bedingten Rückgang liegen die Gesamt-CO2-Emissionen jetzt leicht über dem Niveau vor Covid-19. Seit 2015 ist der Anstieg zwar minimal, aber der Trend sei unsicher. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Global Carbon Budget-Bericht hervor.

Der CO2-Anstieg würde es der Welt erschweren, katastrophale Ausmaße des Klimawandels zu vermeiden, so die Autoren. Um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müsste der weltweite CO2-Ausstoß pro Jahr um 1,4 Gigatonnen sinken – vergleichbar mit dem Covid-bedingten Rückgang im Jahr 2020.

Die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger haben sich von Land zu Land unterschiedlich entwickelt:

  • China wird voraussichtlich 0,9 Prozent weniger CO2 ausstoßen, die Covid-Pandemie, das Wachstum der Erneuerbaren und die Immobilienkrise gelten als Ursachen (Climate.Table berichtete)
  • Die USA haben 1,5 Prozent mehr CO2 verursacht als im Vorjahr
  • Indiens Emissionen stiegen um sechs Prozent
  • Der CO2-Ausstoß der EU-Staaten ging um 0,8 Prozent zurück.

Mehr Kohle und Erdöl verbraucht

Laut dem Bericht von mehr als 100 Wissenschaftlern werden die Länder im Jahr 2022 voraussichtlich insgesamt 41 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen:

  • 37 Milliarden Tonnen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe
  • vier Milliarden Tonnen durch die Landnutzung, beispielsweise die Abholzung von Wäldern.

Als größte Quellen des Anstiegs gelten:

  • ein höherer Erdölverbrauch nach der Corona-Krise, vor allem im Transport und Flugsektor
  • ein Anstieg bei der Kohlenutzung infolge des Ukraine-Kriegs und der Gasknappheit. nib
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Deutschland steigt aus der Energiecharta aus

Lange hat die Koalition ihre Entscheidung herausgezögert. Gestern stand fest: Deutschland wird aus dem Energiechartavertrag (ECT) austreten. Das Abkommen aus den 1990er-Jahren erlaubt es Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn ihre Anlagen und Investitionen etwa aufgrund strengerer Klimagesetze in Gefahr sind. Der schwedische Konzern “Vattenfall” etwa verklagte Deutschland aufgrund des beschleunigten Atomausstiegs auf einen Milliarden-Schadensersatz

Am 22. November werden die ECT-Staaten in der Mongolei über die Reform der Charta abstimmen. Doch viele EU-Staaten sehen diese Reform als gescheitert an: Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und zuletzt Frankreich haben ihren Austritt aus dem gemischten Vertrag bereits angekündigt. Italien war bereits 2015 ausgetreten. Laut dem Umweltinstitut München würde auch der reformierte ECT gegen geltendes europäisches Recht verstoßen. 

Die Koalition sieht den Ausstieg als konkrete Weiterentwicklung der deutschen Handelsagenda: “Mit dem Ausstieg aus der Energiecharta schlagen wir ein neues Kapitel auf, damit Handelsverträge nicht zur Fessel von Fortschritt und gemeinwohlorientierter Politik genutzt werden können”, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz. 

“Es ist ein wichtiges Signal an die Kommission: jetzt muss auch die EU den Austritt vorbereiten!”, fordert die Grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini auf Twitter. Wie sich die EU zum umstrittenen Text positionieren wird, ist noch nicht klar. Am Mittwoch steht die Energiecharta auf der Agenda des Ausschusses der ständigen Vertreter. Am kommenden Freitag wird im Rat für generelle Angelegenheiten (GAC) formell abgestimmt. Dass Deutschland aus dem Vertrag austreten will, bedeutet nicht zwingend, dass Berlin auch im Rat auf eine Ablehnung der ECT-Reform drängen wird: Frankreich zum Beispiel wird im Rat voraussichtlich für die Reform stimmen, obwohl es aus der Energiecharta aussteigen will. Charlotte Wirth

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Schwache Methan-Erklärung – UN macht Druck mit Datenbank

Die USA, die EU, Kanada, Japan und andere Staaten wollen “unverzüglich Maßnahmen ergreifen”, um die Treibhausgasemissionen aus der Produktion von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung hervor, die die Staaten am Freitag veröffentlicht haben. Die Erklärung zielt “insbesondere auf die Methanemissionen”. Die Staaten bekräftigen den in Glasgow vereinbarten “Global Methane Pledge”, der eine Reduktion der Methanemissionen um 30 Prozent bis 2030 vorsieht.

Die gemeinsame Erklärung der Staaten blieb recht vage. Allerdings kündigten Einzelstaaten folgende Maßnahmen an:

  • US-Präsident Biden stellte am Freitag eine Aktualisierung des Aktionsplans zur Reduzierung von Methanemissionen in den USA vor. Der Plan umfasse neue Investitionen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar zur Verringerung der Methanemissionen, gab das Weiße Haus bekannt.
  • Die US-Umweltschutzbehörde (EPA) hat gestern einen Plan zur Begrenzung von Methanemissionen aus Öl- und Gasbohrungen erweitert, nachdem Umweltschützer ihn als zu schwach kritisiert hatten. Allerdings soll das Vorhaben erst im kommenden Jahr abgeschlossen werden, wie Bloomberg berichtet.
  • Kanada will die Methanemissionen bis 2030 um 75 Prozent im Vergleich zu 2012 reduzieren, so ein Regierungs-Vorschlag. Das wären die “weltweit umfassendsten und wirksamsten Methanstandards”, sagte Jonathan Banks von der gemeinnützigen Clean Air Task Force gegenüber Bloomberg.

Kritik an Methan-Regulierung der EU

Die europäische Zivilgesellschaft kritisierte die gemeinsame Erklärung der Staaten als nicht neu. Die Methan-Erklärung “ist in der Praxis ein zahnloses Instrument“, so die Organisationen CAN Europe, Food and Water Action Europe und Deutsche Umwelthilfe:

  • die Erklärung sei rechtlich nicht bindend,
  • die EU gehe damit nicht über das hinaus, was ohnehin schon in der EU-Methan-Verordnung stehe, die derzeit von Parlament und -Rat verhandelt wird

Die EU-Methan-Verordnung umfasst nicht die Methan-Emissionen von importierten fossilen Brennstoffen. Doch laut den drei Organisationen entstehen 75 bis 90 Prozent der europäischen Methanemissionen entlang der Lieferkette, also bei der Förderung und dem Transport der Rohstoffe.

UN will Unternehmen und Regierungen zur Verantwortung ziehen

Auf der COP27 hat die UNEP derweil eine öffentliche Datenbank über weltweite Methanlecks angekündigt. Das sogenannte Methane Alert and Response System (MARS) soll sich auf ein bestehendes Netz von Weltraumsatelliten stützen, um Methanfahnen rund um den Globus aufzuspüren. Dabei sollen die Größe der Methanlecks und das verantwortliche Unternehmen oder die Regierung identifiziert werden, so UNEP. Die Daten sollen mit den Verantwortlichen geteilt werden, um eine schnellstmögliche Reparatur des Lecks zu gewährleisten.

Nach 45 bis 75 Tagen sollen die Informationen veröffentlicht werden – ebenso wie Antworten der Regierungen oder Unternehmen auf die UN-Hinweise über Methanlecks. Dadurch könnte öffentlicher Druck entstehen, der die Verantwortlichen zu schnellerem Handeln bewegt. Zunächst beschränkt sich das System auf den Öl- und Gassektor, soll aber schrittweise auf die Kohle-, Abfall- und landwirtschaftliche Bereiche ausgeweitet werden.

Methan, das während seiner kurzen Lebensdauer eine viel stärkere Erwärmungswirkung hat als Kohlendioxid, ist nach Ansicht der Wissenschaftler für etwa ein Viertel des bisherigen globalen Temperaturanstiegs verantwortlich. nib/rtr

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Laurence Tubiana: 1,5-Grad-Ziel nicht aufgeben

Auf der COP27 gebe es bisher nicht viel Aufmerksamkeit für ehrgeizigere Klimaziele. Das sagte die französische Verhandlungsführerin des Klimagipfels von Paris und heutige Präsidentin der European Climate Foundation, Laurence Tubiana, im Gespräch mit Climate.Table.

Eigentlich hatten die Delegationen auf der COP26 in Glasgow vereinbart, dass alle Länder im Laufe des Jahres ehrgeizigere Klimaziele für das Jahr 2030 vorlegen sollten, um die derzeit bestehende Lücke zum 1,5-Grad-Ziel zu schließen. Doch nur wenige kamen dem tatsächlich nach. Tubiana sagte, sie hoffe, dass nun im Verlauf der Verhandlungen in Sharm el-Sheikh “ein neuer Zyklus ehrgeiziger Klimaziele” angeschoben werde.

Die Diplomatin warnte davor, das 1,5-Grad-Ziel aufzugeben. Einige Länder würden das gerne sehen, sagte sie. “Ich denke, wir sollten das nicht tun. Auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass wir das Ziel vorübergehend reißen. Wir sollten es behalten.”

Für Zehn-Prozent-Steuer auf Öl und Gas

Tubiana unterstützt auch die Vorschläge der Premierministerin von Barbados, Mia Amor Mottley, für die Reform des globalen Finanzsystems. Mottley hatte ihre “Bridgetown Agenda” bereits im September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen präsentiert und wirbt jetzt auf der COP27 weiter um Unterstützung.

Klimafinanzierung, unter anderem für “Loss and Damage”, ist ein zentrales Thema der Verhandlungen auf dem Gipfel. Mottley fordert in ihrer Agenda im Wesentlichen eine Reform des internationalen Finanzsystems, um die Auswirkungen der Klimakrise auf besonders vulnerable Länder abzufedern. Ein zentrales Element sind Sonderziehungsrechte beim Weltwährungsfonds (IWF), die es Mitgliedsländern ermöglichen würden, Kredite zu niedrigen Zinsen aufzunehmen. Daneben sollen die multilateralen Entwicklungsbanken mehr Geld als bisher für die Anpassung an den Klimawandel bereitstellen, und es soll neue Finanzinstrumente zur Dekarbonisierung und einen Finanzmechanismus für den Wiederaufbau nach Klimakatastrophen geben.

Mottley plädiert auch für eine Steuer auf die Gewinne von Öl- und Gasfirmen – eine Forderung, die auch UN-Generalsekretär António Guterres erhebt. “Wie können Unternehmen in den vergangenen drei Monaten 200 Milliarden Dollar an Gewinn erzielen und dann erwarten, nicht einmal zehn Cent je Dollar in einen Loss-and-Damage-Fonds einzuzahlen?”, fragte Mottley auf der COP. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützt Mottleys Pläne.

Erdölexporteure “werden sich widersetzen bis zum Schluss”

Auf dem Klimagipfel selbst werde zwar nicht über die Bridgetown Agenda entschieden, so Tubiana. Aber in den Abschlusstexten könnten sich zumindest “Referenzen zu einigen ihrer Forderungen” finden. “Die Zehn-Prozent-Steuer auf Öl und Gas, die Mottley vorschlägt, würde ich gerne verwirklicht sehen”, sagte Tubiana weiter. “Aber ich denke, wir werden sie nicht bekommen.” Die Erdöl exportierenden Länder, beispielsweise Saudi-Arabien, seien in den Verhandlungen immer noch sehr einflussreich “und werden sich widersetzen bis zum Schluss.”

Tubiana lobte die “unverblümte Sprache” Mottleys. “Wenn die Verschmutzer nicht zahlen, wer wird dann zahlen? Ich denke, es ist eine gute Agenda.”

China solle für Loss and Damage zahlen

Eine der umstrittenen Fragen in den Verhandlungen ist: Sollen Länder wie China ebenfalls für “Loss and Damage” zahlen? “Natürlich”, sagt Tubiana. “China ist ein großer Emittent. Es hat im Lauf der Zeit sehr viele Emissionen in die Atmosphäre entlassen, deshalb sollte es zahlen, insbesondere an die am stärksten betroffenen Länder.” Um Fortschritte in den Verhandlungen zu erzielen, müssten sich aber alle G20-Länder zu “Loss and Damage” bewegen, sagte die Diplomatin. “Und natürlich auch sehr stark auf der Seite der G7.”

Am Ende der Verhandlungen werde voraussichtlich “nicht jedes Detail so konkret wie nötig” entschieden sein, aber “wenn wir eine Liste der Dinge hätten, die beachtet werden müssten, um die Finanzierung von Loss and Damage zu lösen, wäre das schon gut.” Details müssten dann nach dem Gipfel weiterentwickelt werden, beispielsweise auf den nächsten Treffen von Weltbank und IWF.

Die EU hatte zu Beginn des Gipfels versucht, die Umlenkung der gesamten globalen Finanzströme weg von den fossilen Energien hin zu klimafreundlichen Zwecken auf die offizielle Agenda der COP zu setzen, war aber gescheitert (Climate.Table berichtete). “Shifting the trillions”, so der Slogan, ist eines der Ziele des Pariser Abkommens. Nun könnte das Thema immerhin in die Mantelentscheidung des Gipfels aufgenommen werden. “Man könnte darauf verweisen, welche Fortschritte wir in dem Bereich erzielen müssen”, sagte Tubiana. Für konkretere Erwartungen sei es aber noch zu früh. ae

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Ägypten: 42 Prozent Erneuerbare bis 2030

Ägypten will den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen und soll darin von Deutschland und den USA finanziell unterstützt werden. Das teilte das Bundesumweltministerium am Freitag nach einer trilateralen Gesprächsrunde der beteiligten Regierungen mit. Demnach will Ägypten den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 von derzeit 11 auf 42 Prozent erhöhen. Bislang wollte Ägypten dieses Ziel erst 2035 erreichen. Wesentlicher Bestandteil des Planes soll die Stilllegung von mindestens zwölf Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt sein.

Aus der gemeinsamen Gesprächsnote geht zudem hervor, dass Ägypten zahlreiche Initiativen ergreifen will, um den Ausstoß von Methan bei der Öl- und Gasförderung und der Abfallwirtschaft zu verringern, den Ausbau von Wind- und Solarenergie voranzutreiben und die Emissionen des Verkehrssektors zu mindern. Die Pläne sollen sich in einem bis Juni 2023 überarbeiteten nationalen Klimaschutzbeitrag (NDC) Ägyptens widerspiegeln. Der aktuelle NDC Ägyptens sieht eine Steigerung der Emissionen bis 2030 vor (Climate.Table berichtete).

Deutschland wird diese Initiative mit mehr als 250 Millionen Euro unterstützen. Die Finanzmittel, die aus dem Entwicklungsministerium und dem Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium kommen, setzen sich nach Angaben des Umweltministeriums aus 50 Millionen Euro an Zuschüssen, 100 Millionen Euro an zinsvergünstigten Darlehen sowie einer Schuldenumwandlung in Höhe von 100 Millionen Euro zusammen. Ein Teil des Erlöses aus der Schuldenumwandlung soll in den sozial gerechten Übergang investiert werden für die Menschen, die von der Schließung der alten Gaskraftwerke betroffen sind.

Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Außenamt, sagte zu der trilateralen Vereinbarung am Freitag auf der COP, das Abkommen zeige auch, “dass wir uns in Sharm El-Scheich nicht nur in den Verhandlungen, sondern auch durch ganz konkrete Vereinbarungen dafür einsetzen, dass der weltweite Ausbau von Solar- und Windenergie durch die COP einen Booster erhält”. asi

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Standpunkt

Was die COP27 beschließt, kann Leben retten

Von Carol Devine und Elisa de Siqueira
Carol Devine (links) und Elisa de Siqueira, Klimaexpertinnen von Ärzte ohne Grenzen

“Wasser ist für die Menschheit von entscheidender Bedeutung. Wir leiden, wenn es um Wasser geht. Wir können kein Trinkwasser finden, und es ist nicht für die gesamte Bevölkerung verfügbar. Das ist sehr schwierig. Deshalb wollen wir, dass sie etwas darüber erfahren, damit sie uns helfen können.”

Das sagte unsere Kollegin Souat Ahmat Ramadarie, eine Hebamme von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) im Tschad, als wir sie fragten, was sie den Menschen auf der ganzen Welt über die humanitäre Lage im Land erzählen würde.

Wasser: im Tschad eine Frage von Leben und Tod

Soaut lebt und arbeitet in Sila, im Südosten des Landes. Dort ist Wasser eine Frage von Leben und Tod. Der Tschad ist extrem anfällig für die Klimakrise und hat schlechte Voraussetzungen, seine Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

Die Bevölkerung sieht sich mit den vielfältigen gesundheitlichen Auswirkungen steigender Temperaturen, unregelmäßiger Regenfälle und zunehmender Wüstenbildung konfrontiert, was zu schrumpfenden Anbau- und Weideflächen und zu Vertreibungen führt. Wasser- und Ernährungsunsicherheit sind miteinander verknüpft und werden durch den vom Menschen verursachten Klimawandel und die Umweltzerstörung noch verstärkt.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet in Sila eng mit den Gemeinden zusammen, um ein nachhaltiges kommunales Gesundheitssystem aufzubauen. Darüber hinaus leistet unsere Organisation im Tschad Nothilfe gegen die zunehmende Unterernährung von Kindern.

Der Tschad ist eines von 70 Ländern, in denen Ärzte ohne Grenzen tätig ist, und Souat ist eine von über 65.000 Mitarbeitenden in unserer weltweiten Bewegung, die unabhängige medizinische humanitäre Hilfe auf der Grundlage dessen leisten, was die Menschen brauchen. Als Gesundheitsversorger, der auf die Folgen des Klimawandels für viele gefährdete Bevölkerungsgruppen reagiert, ist es auch unsere Pflicht, uns für die Menschen einzusetzen, denen wir dienen – gemeinsam mit ihnen.

Fluten und Malaria im Südsudan

Auf der COP27 und darüber hinaus werden wir auch thematisieren, dass der Südsudan seit vier Jahren von ungewöhnlich starken Überschwemmungen heimgesucht wird, am schlimmsten im Jahr 2021. Die Folgen der Fluten:

  • extrem besorgniserregende Malariaarten,
  • schwerwiegende Probleme mit der Ernährungssicherheit,
  • Verlust von Nutztieren,
  • Mangel an sicherem Trinkwasser,
  • Ausbrüche von durch Wasser übertragene Krankheiten und
  • Hunderttausende von Vertriebenen.

Mit unserem Pilotprojekt zur Vorbeugung von Malaria in Lankien im Südsudan versuchen wir, uns auf das vorzubereiten, was beim nächsten Malaria-Höhepunkt gebraucht wird.

Wirbelstürme beschädigen Kliniken

Wir sprechen auch über Madagaskar, das 2022 von mehreren Wirbelstürmen heimgesucht wurde und regelmäßig mit extremen Wetterereignissen konfrontiert ist. Dort unterstützen wir den Wiederaufbau eines beschädigten Krankenhauses und von Gesundheitszentren und betreiben Bootskliniken an Orten, an denen die Menschen nach den Wirbelstürmen nur sehr begrenzt Zugang zur Gesundheitsversorgung hatten. Wir behandeln wöchentlich Hunderte von Patienten gegen Malaria, Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen und behandeln jetzt auch akute Unterernährung bei Kindern.

Wie Soaut möchten auch wir, dass die Menschen weltweit erfahren, was ihre Mitmenschen im Tschad, in Madagaskar, im Südsudan und in vielen anderen Ländern als Folge der Klimakrise erleben.

Forderungen an die COP: mehr Ressourcen für Gesundheitsschutz

Unsere Forderungen stützen sich auf das, was wir wissen und in unserer täglichen Arbeit sehen:

  • Die COP27 muss ihre Zusagen einhalten: Die großen Emittenten müssen ihre Ambitionen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen erhöhen, denn die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen ist entscheidend, um die schlimmsten gesundheitlichen und humanitären Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden. Jeder Bruchteil der Erwärmung, der abgewendet wird, verringert Tod und Leid.
  • Die COP27 muss Maßnahmen ergreifen, um den Gesundheitsschutz und die Gesundheitsförderung in weniger widerstandsfähigen und unverhältnismäßig stark betroffenen Ländern zu unterstützen. Dies beinhaltet: Ressourcen zur Anpassung der Gesundheitssysteme und die Fähigkeit von Ländern und Gemeinschaften, auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise zu reagieren. Ohne ehrgeizigere und dringende Anpassungsmaßnahmen wird der Bedarf an humanitärer Hilfe über das hinausgehen, was Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen bewältigen können.
  • Die COP27 muss eine angemessene Finanzierung für Verluste und Schäden bereitstellen. Die gesamte Klimafinanzierung muss neu und zusätzlich sein, es darf keine Geldumschichtung oder Doppelzählung geben. Die humanitären Organisationen sind ernsthaft überlastet. Die humanitäre Hilfe ist bereits stark unterfinanziert und die bestehenden Mittel müssen geschützt werden. Die Zusagen müssen transparent gemacht werden, um eine angemessene Finanzierung für Verluste und Schäden sowie für Abschwächung und Anpassung zu gewährleisten.

Wie Klimaschutz Gesundheit fördert

Wir brauchen Klimaschutzmaßnahmen, die dem Ausmaß der Klimakrise entsprechen. Sie müssen Lösungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit beinhalten. Solche ehrgeizigen Klimamaßnahmen haben auch mehrere gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Nebeneffekte:

  • Das Säubern von Grundwasserquellen führt zu sauberem Trinkwasser,
  • was wiederum Durchfallerkrankungen sowie die Verbreitung von über Mücken übertragene Krankheiten wie Malaria oder das Denguefieber verringert.
  • Ein Ausstieg aus fossilen Energien führt darüber hinaus zu besserer Luft.
  • Diese sorgt dafür, dass es weniger Atemwegserkrankungen gibt.
  • Eine ökologischere und nachhaltigere Landwirtschaft ermöglicht zudem eine gesündere Ernährung.

Als Akteure des Gesundheitswesens und der humanitären Hilfe wissen wir aus Erfahrung, wie wichtig es ist, die Stimmen der betroffenen Bevölkerung in den Mittelpunkt der Reaktionsstrategien zu stellen, um ihre Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen.

Wir als medizinisch-humanitäre Akteure sind auf der COP27, weil die hier getroffenen Entscheidungen erhebliche Auswirkungen auf die Menschen und Gemeinschaften haben, denen wir dienen. Sie sind für uns alle wichtig. Sie können lebensrettend sein für Soaut, die Babys und Mütter, denen sie hilft. Und für unzählige andere Menschen, heute und in Zukunft.

Carol Devine ist Lead Humanitarian Action on Climate and Environment bei Ärzte ohne Grenzen. Elisa de Siqueira ist Humanitarian Advocacy Officer Climate Crisis bei Ärzte ohne Grenzen Deutschland.

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John Podesta – Bidens Mann für Klimapolitik

John Podesta – führenden Berater für saubere Energien von Joe Biden

John Podesta ist einer der wichtigsten Akteure in der US-Klimapolitik. Im September wurde er von Präsident Joe Biden zum führenden Berater für saubere Energien ernannt. Er soll überwachen, wie die fast 370 Milliarden Dollar an Klimaschutz-Investitionen im Rahmen des “Inflation Reduction Act” ausgegeben werden. Das Mitte August verabschiedete Gesetz stellt die größte Investition in Klimaschutzmaßnahmen in der Geschichte der USA dar.

“Ein erfahrener Washington-Insider” ist die Beschreibung, die am häufigsten für Podesta verwendet wird. Der 73-jährige Politiker griechischer und italienischer Abstammung war Beamter in zwei Regierungen unter Leitung der Demokratischen Partei – unter anderem leitete er die Klimastrategie der Obama-Regierung. Podesta ist die Verantwortung der USA “in Anbetracht ihrer historischen Emissionswerte” bewusst, wie er 2019 sagte. Damals forderte er eine klare “Führungsrolle auf Bundesebene”. Klimaschützer haben seine Nominierung begrüßt. Er verfüge über die notwendige Statur, um den Klimawandel ganz oben auf der Agenda der Behörden und Bidens zu halten.

Milliarden für E-Autos, Solarzellen und Windenergie

Als Senior Advisor to the President on Clean Energy Innovation and Implementation ist Podesta gemeinsam mit dem Klima-Berater Ali Zaidi für die Umsetzung und die Gesamtleitung des Inflation Reduction Acts zuständig. Durch das Gesetz stellt die Bundesregierung fast 370 Milliarden Dollar bereit, um die US-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren.

Präsident Biden erhofft sich von der Ernennung Podestas von dessen langjähriger Erfahrung zu profitieren. Die Gesetzesinhalte sollen schnell in die Tat umgesetzt werden, hofft Biden. Auf Podesta kommt dabei einiges zu: Verbraucher erhalten beispielsweise Steuervergünstigungen von bis zu 7.500 Dollar für den Kauf von neuen Elektroautos. Das Paket umfasst auch 30 Milliarden Dollar zur Förderung der Produktion von Solarzellen, Windturbinen und Batterien. Außerdem gibt es Maßnahmen zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen: 60 Milliarden Dollar sollen zur Unterstützung benachteiligter Regionen bereitgestellt, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.

Podestas Partner: Mitch Landrieu und Ali Zaidi

“Amerikas schwarze, Latino- und indigene Gemeinschaften stehen schon zu lange an vorderster Front der gefährlichsten Umwelt- und Gesundheitsrisiken unseres Landes”, schrieb Podesta schon im letzten Jahr in einem gemeinsamen Artikel für The Hill. Der demokratische Politiker sieht in der Bekämpfung von Ungleichheit ein wichtiges Mittel zur Minderung der Klimakrise.

Auch will er massiv in die Wissenschaft investieren, um die Forschung zu Klimafragen und Energieinnovationen zu stärken. Podesta wird eng mit Bidens Infrastrukturbeauftragtem Mitch Landrieu zusammenarbeiten, um die Koordinierung zwischen den Programmen des Klimagesetzes und den massiven Investitionen in Straßen, Brücken und öffentliche Verkehrsmittel sicherzustellen, die 2021 beschlossen wurden. Isabel Cuesta

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    • Joe Biden auf der COP – ein Anführer, der nicht führt
    • 12 Gründe, warum Biden in der Klimapolitik wenig Macht hat
    • Jan Steckel und Michael Jakob: “Der globale Kohle-Ausstieg kommt auf jeden Fall”
    • Neue Zahlen: Globale CO2-Emissionen steigen wieder
    • Deutschland steigt aus der Energiecharta aus
    • Schwache Methan-Erklärung – UN will mehr Rechenschaft
    • Laurence Tubiana: 1,5-Grad-Ziel nicht aufgeben
    • Deutschland unterstützt Ägypten bei Energiewende
    • Standpunkt: Klimakrise erfordert mehr Ressourcen für Gesundheitsschutz
    • Portrait: John Podesta – Biden-Berater verantwortet Milliarden-Budget
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    den Vereinigten Staaten kommt als reichstes Land der Welt, als Hauptverursacher der Klimakrise und als selbsternannte globale Führungsmacht eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen den Klimawandel zu. Mit Spannung war daher erwartet worden, was ihr Präsident mit nach Ägypten bringen würde. Doch Joe Biden ist den Erwartungen am Freitag auf der COP allenfalls mit großen Worten gerecht geworden. Eine Vision, aus der sich Führung ableiten ließe, hatte Biden nicht im Gepäck, analysiert Bernhard Pötter – und nennt zwölf hausgemachte Hemmnisse für Bidens Klimapläne.

    Eine aktuelle Standortbestimmung zeigt derweil der Global Carbon Budget Bericht: Weltweit sind die CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern wieder gestiegen. Bei der Kohle deutet sich sogar ein neuer Spitzenwert ab, zeigen neue Berechnungen. Doch wir wollen Sie nicht ohne Hoffnung in die zweite COP-Woche schicken. Im heutigen Interview erklären die Ökonomen Jan Steckel und Michael Jakob, warum der globale Kohleausstieg auf jeden Fall kommt – und welche Maßnahmen sinnvoll sind. Die beiden Wissenschaftler haben sich jahrelang mit der Kohlepolitik unterschiedlicher Ländern beschäftigt. Und sie sind vorsichtig optimistisch.

    Am morgigen Sonntag legen die COP-Verhandler – und auch wir – eine kleine Verschnaufpause ein. Die nächste Ausgabe des Climate.Table finden Sie am Montagmorgen in ihrem Postfach.

    Bis dahin: Ein schönes Wochenende!

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Ein Anführer, der nicht führt

    Der Anspruch ist riesig: “Wir erfüllen unser Versprechen von globaler Führerschaft beim Klimaschutz”, sagte US-Präsident Joe Biden am Freitagabend bei seiner Rede auf der COP27. Drei Tage nach den anderen Staats- und Regierungschefs der Welt hatte sich Biden zur Klimakonferenz begeben, um zu einem Thema zu sprechen, das in schon “seit 36 Jahren” umtreibe: der Kampf gegen die Klimakrise. Und zwar am besten unter US-amerikanischer Führung.

    Damit ist es allerdings oft nicht weit her. Und auch Bidens Rede in Sharm el Sheikh war zwar die Bilanz von einem großen Erfolg zu Hause, dem “Inflation Reduction Act” und seinen fast 370 Milliarden Dollar Investitionsvorhaben. Aber ansonsten war die Rede eher eine Bilanzierung von halbherzig erfüllten oder verpassten Aufgaben. Während die Biden-Regierung zu Hause “alle Hebel in Bewegung setzt, verfehlt sie international alle Erwartungen“, hieß es vom Thinktank World Resource Institute.

    Kein Aufbruch, keine Vision von Joe Biden

    Ein Aufbruch, eine Vision, aus der sich Führung ableiten ließe, war in Bidens Rede nicht zu erkennen. Und das lag nicht nur daran, dass der 79-Jährige müde wirkte und bei wichtigen Passagen seiner Rede Probleme mit der Artikulation hatte.

    Neben dem bekannten Wumms aus dem IRA-Paket legte Biden durchaus neue Versprechen vor:

    • die USA verdoppeln ihre Zahlungen an den UN-Anpassungsfonds auf 100 Millionen Dollar
    • 150 Millionen Dollar stehen für “Anpassung in Afrika” unter dem PREPARE-Programm bereit
    • zwei Milliarden Dollar sollen in “Solarprojekte in Angola” fließen
    • Biden versprach, dafür zu arbeiten, dass die USA bis 2024 insgesamt 11,4 Milliarden an Klimafinanzen zahlen würden, drei Milliarden davon für Anpassung. Wie Biden das schaffen will, ist noch unklar. Bisher haben die USA acht Milliarden bereitgestellt – und weit von einem “fairen Anteil” der USA von 40 Milliarden entfernt
    • zusammen mit Deutschland schließen die USA mit Ägypten ein 500-Millionen-Dollar-Projekt zur Förderung von 10 Gigawatt Erneuerbaren Energien, das Gas einsparen soll (siehe News).
    • in den USA sollen bis 2030 fast 90 Prozent aller Methan-Emissionen vermieden werden. Damit soll der US-Anteil des “Globalen Methan-Versprechens” eingelöst werden, bis 2030 die Emissionen um 30 Prozent zu senken.

    Biden bietet keine Lösung für Klimafinanzen

    Zu den großen Themen der COP27, die in der nächsten Woche über Scheitern oder Erfolg der Konferenz entscheiden werden, sagte Biden allerdings wenig. Das umstrittene Thema Finanzen wird sich mit seinen Ankündigungen nicht erledigen. Erst am Tag zuvor hatte sein Klima-Gesandter John Kerry mit einem neuen Vorschlag für Kritik gesorgt: Mit CO2-Zertifikaten für US-Unternehmen auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt soll die Energiewende in Schwellenländern vorangebracht werden – doch der Plan kollidiert mit neuen UN-Regeln gegen Greenwashing (Climate.Table berichtete).

    • Wie groß der Finanzbedarf ist, hatte kurz vorher eine Studie einer Expertengruppe festgestellt: bis zu einer Billion Dollar im Jahr für Energiewende, Anpassung und Naturschutz, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Kein Wort von Biden zu Veränderungen im Finanzsystem, wie sie die Premierministerin von Barbados, Mia Motley, fordert, kein Wort zu neuen Finanzierungsmodellen etwa aus den Übergewinnen der Fossil-Unternehmen, Umbau von Weltbank und IWF oder Abgaben auf Flug- und Schiffsverkehr.
    • Auch beim Thema CO2-Reduzierung blieb Biden unklar. Er behauptet, die USA seien dabei, ihren Klimaplan (NDC) einzuhalten. Der sieht eine Reduzierung der Emissionen von 2005 bis 2030 um 50 bis 52 Prozent vor. Bisherige Rechnungen sehen durch den Inflation Reduction Act (IRA) allerdings höchstens minus 44 Prozent erreichbar.

    Immerhin: Die USA sind wieder auf Chefebene auf der Klimakonferenz vertreten. Der US-Präsident nutzte seinen Flug zum G20-Treffen auf Bali für einen kurzen Touchdown in der Wüste. Kurz vorher hatte er mit Chinas Staatspräsident Xi Kontakt. Die beiden wollen in Indonesien miteinander reden – und vielleicht den unterbrochenen Dialog zum Klima wieder aufnehmen.

    “Es ist ein gutes Signal, dass der US-Präsident zur Konferenz gekommen ist”, sagte der deutsche Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth zum Besuch von Biden. Das zeige, dass die Klimakrise in all den anderen Krisen nicht vergessen werde.

    Aber selbst erklärte Führerschaft bedeutet mehr, als einfach nur dabei zu sein.

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    12 Gründe, warum Biden in der Klimapolitik wenig Macht hat

    Vize-Präsident Al Gore 1997 auf der COP3 in Kyoto: Klima-Abkommen verhandelt, aber zuhause am Senat gescheitert.

    Politische Hürden: Parlament, Parteipolitik

    • Die Verfassung der USA legt fest, dass wichtige Hebel für Klimapolitik nicht beim Präsidenten liegen: Den Haushalt der Bundesregierung stellt das Repräsentantenhaus auf. Die oppositionellen Republikaner können mit einer Mehrheit in der Kammer das versprochene Geld für Klimahilfen blockieren. Davor hat auch der US-Klimagesandte John Kerry schon gewarnt. Auch deshalb tragen die USA zur internationalen Klimafinanzierung nur knapp acht Milliarden Dollar bei – der faire Anteil läge wohl bei etwa 40 Milliarden.
    • Internationale Verträge muss der US-Senat ratifizieren. Hat der Präsident dort keine Mehrheit, gelingt das nicht – und auch bei einer Mehrheit seiner Partei ist kein Erfolg garantiert. Das Kyoto-Protokoll von 1997 wurde deshalb dem Senat nie zur Ratifizierung vorgelegt. Ein Ergebnis daraus: Das Pariser Abkommen wurde so gestrickt, dass es keine direkten Verpflichtungen für ein Mitgliedsland vorsah – dabei ging es vor allem um die USA.
    • Die USA sind beim Thema Klimaschutz entlang parteipolitischer Linien polarisiert: Während Anhänger der Demokraten zu großen Teilen Maßnahmen zum Klimaschutz befürworten, lehnen die meisten Republikaner sie ab. Weit verbreitet ist es unter Republikanern auch, den Klimawandel schlicht zu leugnen.
    • Das Weiße Haus hat wenig Einfluss über “Neben-Außenpolitik”, die auch im Klima Wirkung haben kann: Als Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses im August auf eigene Faust Taiwan besucht hatte, legte China die Klimagespräche mit den USA auf Eis.

    Starke fossile Konzerne und Bundesstaaten, Aderlass in Behörden

    • Der Einfluss fossiler Konzerne auf die Politik des Bundes und der US-Staaten ist groß. Eine ganze PR-Industrie sorgt mit ihren “Kaufleuten des Zweifels” seit Jahrzehnten dafür, dass Klimapolitik nicht ihre kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen bedroht. Rex Tillerson, Chef des US-Ölgiganten ExxonMobil, diente von 2017 bis 2018 unter Donald Trump als US-Außenminister – zuständig auch für Klimapolitik.
    • Die Trump-Jahre haben die US-Klimapolitik entscheidend geschwächt. Viele Fachleute aus Außenministerium und Umweltbehörde EPA verließen den Staatsdienst oder wurden gefeuert.
    • Das dezentrale Politiksystem der USA sichert einzelnen (fossil geprägten) Bundesstaaten großen Einfluss: Ein einzelner demokratischer Senator, Joe Manchin aus dem Kohlestaat West Virginia, bremste Joe Bidens Klimakurs lange aus.
    • Auf der anderen Seite trägt diese Graswurzel-Struktur auch dazu bei, den totalen Klima-Kahlschlag bei einem Machtwechsel in Washington zu verhindern. Als Präsident Trump die USA 2017 aus dem Pariser Abkommen führte, schlossen sich Bundesstaaten, Unternehmen, Umweltgruppen und Stiftungen zur Initiative “We´re still in” zusammen, um die Ziele des Abkommens zu erfüllen.

    Ökonomische Zwänge sind groß

    • Ökonomische Zwänge sind wichtiger als politische Beschlüsse. Die USA setzen anders als etwa die EU-Staaten weniger auf Regulierung im Detail. Sondern auf Quoten, Steuererleichterungen und technische Innovationen. Der Rückgang der US-Emissionen in den letzten Jahren liegt dann auch weniger an zielgerichteter Politik, sondern am Erfolg des billigen Frackinggases, das die Kohle verdrängte. Und wie konkret sich die 369 Milliarden Dollar aus Bidens “Inflation Reduction Act” (IRA) auf die nationale und internationale Klimapolitik auswirken, ist unklar. Experten kalkulieren, dass die CO2-Emissionen damit bis 2030 um 31 bis 44 Prozent sinken – weit entfernt von den 50 bis 52 Prozent im US-Klimaplan (NDC).
    • Die aktuelle hohe Inflation macht derzeit höhere Spritpreise unpopulär. Ohnehin schränkt die Abhängigkeit der USA vom Auto und Flugzeug den politischen Spielraum für fiskalische Maßnahmen ein. Auf der anderen Seite befeuern Schäden aus dem Klimawandel die Inflation.
    • Die US-Tradition steht grundsätzlich der Staats-Intervention kritisch gegenüber. Steuern gelten vielen Menschen als inakzeptable Freiheitsbeschränkung. Nur in 15 Bundesstaaten gibt es einen CO2-Preis und einen Emissionshandel für die Industrie.

    Umwelt und Klima spielen in Geopolitik kaum eine Rolle

    • Bei der US-Geopolitik stehen Umwelt- und Klimathemen traditionell hinter anderen Interessen zurück. Die Interessen am Persischen Golf etwa stützen sich auf die Petrostaaten in der Region. Der Konflikt mit China gilt vielen auch als Konflikt um die Märkte für Erneuerbare Energien – den inzwischen China dominiert.
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    “Der globale Kohle-Ausstieg kommt auf jeden Fall”

    Jan Steckel und Michael Jakob

    Herr Jakob, Herr Steckel, Sie haben fünf Jahre lang zur “politischen Ökonomie der Kohle” in knapp 20 Ländern weltweit geforscht. Wann und wie funktioniert der Kohleausstieg?

    Steckel: Das ist sehr spezifisch für die einzelnen Länder. Aber weil wir überall ähnliche Maßstäbe anlegen, finden wir schon Dinge, die sich wiederholen: Manche große Barrieren sind in vielen Ländern gleich, da ist es fast egal, ob es um Deutschland, Vietnam oder Indonesien geht. Zum Beispiel, dass es sehr wichtig ist, die regionalen Akteure zu verstehen und ihre Interessen ernst zu nehmen.

    Beim Kohleausstieg heißt es oft: Der Preis wird es regeln. Stimmt das?

    Jakob: Schwierig wird es immer, wenn starke Interessengruppen gegen den CO2-Preis sind und wenn es versteckte Subventionen für die Kohle gibt. Dann braucht man andere Instrumente. Vietnam ist da ein gutes Beispiel: Die billigen Erneuerbaren hätten die Kohle aus dem Markt gedrängt, wenn es nicht zusätzliche versteckte Subventionen für die Kohle gegeben hätte. Denn an der Kohle verdienen viele Leute, beim Bau der Kraftwerke, Transport des Brennstoffs, Abtransport der Asche.

    S: Es gibt eine Gemeinsamkeit: Es funktioniert in liberalisierten Strommärkten. Wenn die steigenden Preise für die Kohle, etwa durch CO2-Zertifikate, an den Kunden weitergegeben werden, wie in Deutschland, den USA, oder Großbritannien, dann geht die Kohle auch extrem schnell aus dem Markt, viel schneller als erwartet. In den USA hat die Kohle im letzten Jahrzehnt wegen billigen Alternativen, vor allem Gas, praktisch ihre Bedeutung verloren, ganz ohne politischen Konsens zum Ausstieg.

    Aber wenn die Erneuerbaren fast überall billiger werden, warum gibt es dann noch so viel Kohle?

    S: Es gibt schon ökonomische Gründe, wir haben sie nur nicht auf dem Radar. Zur Industrialisierung gehört mehr als nur Strom, dazu gehört die Infrastruktur und die Ausbildung der Bevölkerung. Da hat die Kohle viele Ansatzpunkte. Unsere Forschung zeigt auch: Wo Kohlekraftwerke gebaut werden, hat Strukturwandel und schnellere ökonomische Entwicklung stattgefunden.

    Aber sind Erneuerbare nicht einfach billiger?

    S: Auch das ist so eine zweischneidige Sache. In Deutschland haben wir in der letzten Zeit für die Finanzierung solcher Projekte mit zwei Prozent Zinsen gerechnet. In Indonesien und Vietnam kalkulieren sie für solche Investitionen aber mit bis zu 15 Prozent. Dazu kommt: Das Kapital muss bei den Erneuerbaren gleich am Anfang auf dem Tisch liegen, anders als bei der Kohle. Und Erneuerbare kommen schlechter an Kredite, weil das Risiko höher ist. Bei Kohlekraftwerken bekommt man in vielen Ländern Abnahmegarantien für 20 Jahre, bei Erneuerbaren in manchen nur für ein Jahr. Das schreckt Investoren natürlich ab.  

    Je nachdem, wie der Markt angelegt ist, kann es also ökonomisch rational sein, Kohlekraftwerke zu bauen, auch wenn Erneuerbare eigentlich günstiger sind?

    J: Für die einzelnen Akteure auf jeden Fall. Aber diese Rahmenbedingungen sind keine Naturkonstante, sie sind politisch gemacht und gewollt. Der Zinssatz für Erneuerbare ist so hoch, weil politische Entscheidungen die Kohle bevorteilen.

    S: Das Marktdesign hängt davon ab, welche Technologie sich durchsetzt. Die Entscheider sind nicht alle dumm oder korrupt und leugnen auch nicht den Klimawandel. Aber häufig sagen sie: Ihr könnt uns nicht garantieren, dass die Erneuerbaren mit unseren technischen, administrativen und institutionellen Realitäten wirklich so gut funktionieren wie die Kohle! Außerdem sind sie erst einmal teurer: Ein erneuerbares Netz braucht mehr Kapazität und mehr Speicher, das sind nochmal zusätzliche Investitionen. Solche Vorbehalte muss man ernst nehmen.

    Man muss auch sehen, ob die technischen und institutionellen Voraussetzungen für ein System der Erneuerbaren da sind. Bei uns gibt es eine große Dienstleistungs-Industrie, die zum Beispiel Software entwickelt, die uns auf zwei Meter genau ausrechnet, wo in 15, 30, 60 Minuten der Wind weht. Für uns ist das trivial, für ein Land wie Vietnam wird das schon schwieriger. Und dazu kommt die Sorgen vieler Länder, sich über die Technik der Erneuerbaren wieder in Abhängigkeiten zu begeben, die sie nicht wollen.

    Angesichts der Lage: Verzweifelt man da nicht?

    S: Was mir Mut macht: Wir haben das Problem verstanden, wir können jetzt daran arbeiten. Es ist in vielen Ländern nicht so einfach, einen wirkungsvollen CO2-Preis einzuführen, da muss an anderen Stellschrauben gedreht werden. Dieses Wissen können wir in den politischen Prozess einspeisen. In Vietnam etwa ist das total spannend: Als die Begrenzung aufgehoben wurde, dass die Abnahme von erneuerbarem Strom nur für ein Jahr garantiert werden durfte, gab es einen Riesen-Boom und Milliarden an Investitionen. Bis dahin, dass die Regierung es wieder stoppen musste, weil die Netze es nicht geschafft hätten. Aber jetzt werden die Regierungspläne umgeschrieben. Wir sehen also: Die Beharrungskräfte sind stark, aber es verändert sich etwas – und wir können erklären, warum. Das ist nicht frustrierend, das gibt Hoffnung.

    Der Ukrainekrieg hat die globale Energiepolitik durcheinandergewirbelt. Was heißt das für den Kohleausstieg?

    S. Das ist völlig unklar. Bangladesch etwa hatte große Kohlepläne, die dann kassiert wurden. Begründung: Wir bauen LNG-Terminals, um Flüssigerdgas zu importieren. Niemand kann sagen, was jetzt daraus wird, wo LNG wegen der Nachfrage Europas so teuer geworden ist. Gerade die Länder in Süd- und Südostasien sitzen in der Klemme: Es gibt keine Schiffe, weil die jetzt Gas nach Europa transportieren. Dadurch droht eine Renaissance der Kohle. Auf der anderen Seite gibt es eine Brandmauer, nämlich keine öffentliche Finanzierung mehr für Kohle, das wurde auf der COP in Glasgow beschlossen, auch China sagt das.

    J: Nicht nur Gas ist teurer geworden, auch die Kohlepreise sind gestiegen. Ich kann mir vorstellen, dass es auch einen starken Druck zu mehr Erneuerbaren gibt.

    S: Es gibt noch eine andere Befürchtung: Dass in den ärmeren Ländern der Ausbau der Energienetze stoppt. Dass es also zu weniger Entwicklung, weniger Industrialisierung, mehr Energiearmut und mehr Armut kommt.

    Wer den Kohleausstieg plant, was lernt der aus Ihrem Buch?

    J: Erst einmal, dass die Bedingungen in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich sind: Wo der Ausstieg wie in vielen alten Industrieländern bereits stattfindet, sind marktwirtschaftliche Instrumente wie der CO2-Preis sehr wichtig, die Förderung von Erneuerbaren und Ausgleich für betroffene Bevölkerungsgruppen.

    S: Wo die Kohle etabliert ist, also etwa in China und Indien, ist es wichtig, den Energiemarkt zu verändern und zu liberalisieren. Das sind große Aufgaben. Für Staaten, die über den Ausstieg nachdenken, ist es zentral, das Risiko zu senken: De-Risking, verbunden mit Angeboten, gleich in Erneuerbare zu gehen. Da müssten die Kapitalhürden für den Ausbau der Erneuerbaren gesenkt werden: Dafür müsste es dann Kredite zu zwei Prozent statt zu bisher 15 Prozent geben, und zwar nicht nur für den einzelnen Windpark, sondern das ganze System. Oder man könnte sagen: Wenn Ihr ein fossiles System aufbaut, braucht ihr 100 GW, wenn ihr ein erneuerbares baut, mehr, vielleicht 150 GW – also finanzieren wir euch die zusätzlichen 50 GW.

    Was ist mit den Ländern, die mit dem Export von Kohle einen großen Teil ihrer Staatseinnahmen erwirtschaften?

    S: Sie brauchen Geldtransfers auf verschiedenen Ebenen. Einen “gerechten Übergang” in den Ländern selbst, also für die betroffenen Gruppen. Aber auch international muss man sich klar werden: Wie kauft man die Gruppen raus, die die Kohle besitzen und die Gewinne daraus abschöpfen. Das ist eine unangenehme Frage, aber der muss man sich stellen. Den Kohlebaronen in Indonesien etwa wird man ein Angebot machen müssen. Das ist ein Geflecht von alten Militärs, die selbst in den Ministerien noch an den Hebeln sitzen. Die müssen Angebote bekommen, wie sie etwa an den Erneuerbaren mitverdienen könnten, wenn die Kohle ausläuft.

    Sie haben sich drei Jahre mit diesem Projekt beschäftigt. Sind Sie optimistischer oder pessimistischer geworden?

    J: Optimistischer, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Ausstieg aus der Kohle passiert auf jeden Fall. Die Frage ist, wie lange er dauert. Wir müssen vor allem verhindern, dass Länder neu in Kohle investieren. Viele Länder in Afrika wollten in die Kohle und gehen jetzt verstärkt in Erneuerbare.

    S: Viele Leute waren enttäuscht, dass auf der COP26 in Glasgow kein globaler Kohleausstieg beschlossen wurde. Aber China finanziert keine Kohle mehr im Ausland, es gibt Initiativen, um Ländern wie Südafrika beim Ausstieg zu helfen oder mit öffentlichem Geld Kraftwerke zu kaufen und dann stillzulegen. Wenn die Weichen richtig gestellt werden, kann es mit dem Ausstieg schnell gehen, das zeigen unsere Daten. Das stimmt mich auch optimistisch. Es wird immer gesagt: Kohlekraftwerke, die heute gebaut werden, sind gestrandete Investments. Wieso eigentlich? Wir hören häufig: Nach sechs Jahren machen diese Projekte Gewinn. Dann ist es vielleicht auch nicht so dramatisch, sie vorzeitig abzuschalten, zum Beispiel nach zehn oder 20 Jahren anstelle von 40. Wenn das geschieht, klappt es auch noch mit der Kohle und dem Klimaschutz.

    Michael Jakob ist Senior Fellow am Ecologic Institute und Fellow am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) Berlin.

    Jan C. Steckel leitet die Arbeitsgruppe “Climate and Development” am MCC und ist Vorsitzender der Abteilung Climate and Development Economics an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU in Cottbus.

    Jakob/Steckel (ed.): “The Political Economy of Coal – Obstacles to Clean Energy Transitions”, Routledge, London und New York, 2022

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    News

    Studie: Globale CO2-Emissionen steigen wieder

    Die weltweiten CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe werden in diesem Jahr voraussichtlich um etwa ein Prozent steigen. Nach einem Corona-bedingten Rückgang liegen die Gesamt-CO2-Emissionen jetzt leicht über dem Niveau vor Covid-19. Seit 2015 ist der Anstieg zwar minimal, aber der Trend sei unsicher. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Global Carbon Budget-Bericht hervor.

    Der CO2-Anstieg würde es der Welt erschweren, katastrophale Ausmaße des Klimawandels zu vermeiden, so die Autoren. Um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müsste der weltweite CO2-Ausstoß pro Jahr um 1,4 Gigatonnen sinken – vergleichbar mit dem Covid-bedingten Rückgang im Jahr 2020.

    Die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger haben sich von Land zu Land unterschiedlich entwickelt:

    • China wird voraussichtlich 0,9 Prozent weniger CO2 ausstoßen, die Covid-Pandemie, das Wachstum der Erneuerbaren und die Immobilienkrise gelten als Ursachen (Climate.Table berichtete)
    • Die USA haben 1,5 Prozent mehr CO2 verursacht als im Vorjahr
    • Indiens Emissionen stiegen um sechs Prozent
    • Der CO2-Ausstoß der EU-Staaten ging um 0,8 Prozent zurück.

    Mehr Kohle und Erdöl verbraucht

    Laut dem Bericht von mehr als 100 Wissenschaftlern werden die Länder im Jahr 2022 voraussichtlich insgesamt 41 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen:

    • 37 Milliarden Tonnen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe
    • vier Milliarden Tonnen durch die Landnutzung, beispielsweise die Abholzung von Wäldern.

    Als größte Quellen des Anstiegs gelten:

    • ein höherer Erdölverbrauch nach der Corona-Krise, vor allem im Transport und Flugsektor
    • ein Anstieg bei der Kohlenutzung infolge des Ukraine-Kriegs und der Gasknappheit. nib
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    Deutschland steigt aus der Energiecharta aus

    Lange hat die Koalition ihre Entscheidung herausgezögert. Gestern stand fest: Deutschland wird aus dem Energiechartavertrag (ECT) austreten. Das Abkommen aus den 1990er-Jahren erlaubt es Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn ihre Anlagen und Investitionen etwa aufgrund strengerer Klimagesetze in Gefahr sind. Der schwedische Konzern “Vattenfall” etwa verklagte Deutschland aufgrund des beschleunigten Atomausstiegs auf einen Milliarden-Schadensersatz

    Am 22. November werden die ECT-Staaten in der Mongolei über die Reform der Charta abstimmen. Doch viele EU-Staaten sehen diese Reform als gescheitert an: Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und zuletzt Frankreich haben ihren Austritt aus dem gemischten Vertrag bereits angekündigt. Italien war bereits 2015 ausgetreten. Laut dem Umweltinstitut München würde auch der reformierte ECT gegen geltendes europäisches Recht verstoßen. 

    Die Koalition sieht den Ausstieg als konkrete Weiterentwicklung der deutschen Handelsagenda: “Mit dem Ausstieg aus der Energiecharta schlagen wir ein neues Kapitel auf, damit Handelsverträge nicht zur Fessel von Fortschritt und gemeinwohlorientierter Politik genutzt werden können”, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz. 

    “Es ist ein wichtiges Signal an die Kommission: jetzt muss auch die EU den Austritt vorbereiten!”, fordert die Grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini auf Twitter. Wie sich die EU zum umstrittenen Text positionieren wird, ist noch nicht klar. Am Mittwoch steht die Energiecharta auf der Agenda des Ausschusses der ständigen Vertreter. Am kommenden Freitag wird im Rat für generelle Angelegenheiten (GAC) formell abgestimmt. Dass Deutschland aus dem Vertrag austreten will, bedeutet nicht zwingend, dass Berlin auch im Rat auf eine Ablehnung der ECT-Reform drängen wird: Frankreich zum Beispiel wird im Rat voraussichtlich für die Reform stimmen, obwohl es aus der Energiecharta aussteigen will. Charlotte Wirth

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    Schwache Methan-Erklärung – UN macht Druck mit Datenbank

    Die USA, die EU, Kanada, Japan und andere Staaten wollen “unverzüglich Maßnahmen ergreifen”, um die Treibhausgasemissionen aus der Produktion von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung hervor, die die Staaten am Freitag veröffentlicht haben. Die Erklärung zielt “insbesondere auf die Methanemissionen”. Die Staaten bekräftigen den in Glasgow vereinbarten “Global Methane Pledge”, der eine Reduktion der Methanemissionen um 30 Prozent bis 2030 vorsieht.

    Die gemeinsame Erklärung der Staaten blieb recht vage. Allerdings kündigten Einzelstaaten folgende Maßnahmen an:

    • US-Präsident Biden stellte am Freitag eine Aktualisierung des Aktionsplans zur Reduzierung von Methanemissionen in den USA vor. Der Plan umfasse neue Investitionen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar zur Verringerung der Methanemissionen, gab das Weiße Haus bekannt.
    • Die US-Umweltschutzbehörde (EPA) hat gestern einen Plan zur Begrenzung von Methanemissionen aus Öl- und Gasbohrungen erweitert, nachdem Umweltschützer ihn als zu schwach kritisiert hatten. Allerdings soll das Vorhaben erst im kommenden Jahr abgeschlossen werden, wie Bloomberg berichtet.
    • Kanada will die Methanemissionen bis 2030 um 75 Prozent im Vergleich zu 2012 reduzieren, so ein Regierungs-Vorschlag. Das wären die “weltweit umfassendsten und wirksamsten Methanstandards”, sagte Jonathan Banks von der gemeinnützigen Clean Air Task Force gegenüber Bloomberg.

    Kritik an Methan-Regulierung der EU

    Die europäische Zivilgesellschaft kritisierte die gemeinsame Erklärung der Staaten als nicht neu. Die Methan-Erklärung “ist in der Praxis ein zahnloses Instrument“, so die Organisationen CAN Europe, Food and Water Action Europe und Deutsche Umwelthilfe:

    • die Erklärung sei rechtlich nicht bindend,
    • die EU gehe damit nicht über das hinaus, was ohnehin schon in der EU-Methan-Verordnung stehe, die derzeit von Parlament und -Rat verhandelt wird

    Die EU-Methan-Verordnung umfasst nicht die Methan-Emissionen von importierten fossilen Brennstoffen. Doch laut den drei Organisationen entstehen 75 bis 90 Prozent der europäischen Methanemissionen entlang der Lieferkette, also bei der Förderung und dem Transport der Rohstoffe.

    UN will Unternehmen und Regierungen zur Verantwortung ziehen

    Auf der COP27 hat die UNEP derweil eine öffentliche Datenbank über weltweite Methanlecks angekündigt. Das sogenannte Methane Alert and Response System (MARS) soll sich auf ein bestehendes Netz von Weltraumsatelliten stützen, um Methanfahnen rund um den Globus aufzuspüren. Dabei sollen die Größe der Methanlecks und das verantwortliche Unternehmen oder die Regierung identifiziert werden, so UNEP. Die Daten sollen mit den Verantwortlichen geteilt werden, um eine schnellstmögliche Reparatur des Lecks zu gewährleisten.

    Nach 45 bis 75 Tagen sollen die Informationen veröffentlicht werden – ebenso wie Antworten der Regierungen oder Unternehmen auf die UN-Hinweise über Methanlecks. Dadurch könnte öffentlicher Druck entstehen, der die Verantwortlichen zu schnellerem Handeln bewegt. Zunächst beschränkt sich das System auf den Öl- und Gassektor, soll aber schrittweise auf die Kohle-, Abfall- und landwirtschaftliche Bereiche ausgeweitet werden.

    Methan, das während seiner kurzen Lebensdauer eine viel stärkere Erwärmungswirkung hat als Kohlendioxid, ist nach Ansicht der Wissenschaftler für etwa ein Viertel des bisherigen globalen Temperaturanstiegs verantwortlich. nib/rtr

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    Laurence Tubiana: 1,5-Grad-Ziel nicht aufgeben

    Auf der COP27 gebe es bisher nicht viel Aufmerksamkeit für ehrgeizigere Klimaziele. Das sagte die französische Verhandlungsführerin des Klimagipfels von Paris und heutige Präsidentin der European Climate Foundation, Laurence Tubiana, im Gespräch mit Climate.Table.

    Eigentlich hatten die Delegationen auf der COP26 in Glasgow vereinbart, dass alle Länder im Laufe des Jahres ehrgeizigere Klimaziele für das Jahr 2030 vorlegen sollten, um die derzeit bestehende Lücke zum 1,5-Grad-Ziel zu schließen. Doch nur wenige kamen dem tatsächlich nach. Tubiana sagte, sie hoffe, dass nun im Verlauf der Verhandlungen in Sharm el-Sheikh “ein neuer Zyklus ehrgeiziger Klimaziele” angeschoben werde.

    Die Diplomatin warnte davor, das 1,5-Grad-Ziel aufzugeben. Einige Länder würden das gerne sehen, sagte sie. “Ich denke, wir sollten das nicht tun. Auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass wir das Ziel vorübergehend reißen. Wir sollten es behalten.”

    Für Zehn-Prozent-Steuer auf Öl und Gas

    Tubiana unterstützt auch die Vorschläge der Premierministerin von Barbados, Mia Amor Mottley, für die Reform des globalen Finanzsystems. Mottley hatte ihre “Bridgetown Agenda” bereits im September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen präsentiert und wirbt jetzt auf der COP27 weiter um Unterstützung.

    Klimafinanzierung, unter anderem für “Loss and Damage”, ist ein zentrales Thema der Verhandlungen auf dem Gipfel. Mottley fordert in ihrer Agenda im Wesentlichen eine Reform des internationalen Finanzsystems, um die Auswirkungen der Klimakrise auf besonders vulnerable Länder abzufedern. Ein zentrales Element sind Sonderziehungsrechte beim Weltwährungsfonds (IWF), die es Mitgliedsländern ermöglichen würden, Kredite zu niedrigen Zinsen aufzunehmen. Daneben sollen die multilateralen Entwicklungsbanken mehr Geld als bisher für die Anpassung an den Klimawandel bereitstellen, und es soll neue Finanzinstrumente zur Dekarbonisierung und einen Finanzmechanismus für den Wiederaufbau nach Klimakatastrophen geben.

    Mottley plädiert auch für eine Steuer auf die Gewinne von Öl- und Gasfirmen – eine Forderung, die auch UN-Generalsekretär António Guterres erhebt. “Wie können Unternehmen in den vergangenen drei Monaten 200 Milliarden Dollar an Gewinn erzielen und dann erwarten, nicht einmal zehn Cent je Dollar in einen Loss-and-Damage-Fonds einzuzahlen?”, fragte Mottley auf der COP. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützt Mottleys Pläne.

    Erdölexporteure “werden sich widersetzen bis zum Schluss”

    Auf dem Klimagipfel selbst werde zwar nicht über die Bridgetown Agenda entschieden, so Tubiana. Aber in den Abschlusstexten könnten sich zumindest “Referenzen zu einigen ihrer Forderungen” finden. “Die Zehn-Prozent-Steuer auf Öl und Gas, die Mottley vorschlägt, würde ich gerne verwirklicht sehen”, sagte Tubiana weiter. “Aber ich denke, wir werden sie nicht bekommen.” Die Erdöl exportierenden Länder, beispielsweise Saudi-Arabien, seien in den Verhandlungen immer noch sehr einflussreich “und werden sich widersetzen bis zum Schluss.”

    Tubiana lobte die “unverblümte Sprache” Mottleys. “Wenn die Verschmutzer nicht zahlen, wer wird dann zahlen? Ich denke, es ist eine gute Agenda.”

    China solle für Loss and Damage zahlen

    Eine der umstrittenen Fragen in den Verhandlungen ist: Sollen Länder wie China ebenfalls für “Loss and Damage” zahlen? “Natürlich”, sagt Tubiana. “China ist ein großer Emittent. Es hat im Lauf der Zeit sehr viele Emissionen in die Atmosphäre entlassen, deshalb sollte es zahlen, insbesondere an die am stärksten betroffenen Länder.” Um Fortschritte in den Verhandlungen zu erzielen, müssten sich aber alle G20-Länder zu “Loss and Damage” bewegen, sagte die Diplomatin. “Und natürlich auch sehr stark auf der Seite der G7.”

    Am Ende der Verhandlungen werde voraussichtlich “nicht jedes Detail so konkret wie nötig” entschieden sein, aber “wenn wir eine Liste der Dinge hätten, die beachtet werden müssten, um die Finanzierung von Loss and Damage zu lösen, wäre das schon gut.” Details müssten dann nach dem Gipfel weiterentwickelt werden, beispielsweise auf den nächsten Treffen von Weltbank und IWF.

    Die EU hatte zu Beginn des Gipfels versucht, die Umlenkung der gesamten globalen Finanzströme weg von den fossilen Energien hin zu klimafreundlichen Zwecken auf die offizielle Agenda der COP zu setzen, war aber gescheitert (Climate.Table berichtete). “Shifting the trillions”, so der Slogan, ist eines der Ziele des Pariser Abkommens. Nun könnte das Thema immerhin in die Mantelentscheidung des Gipfels aufgenommen werden. “Man könnte darauf verweisen, welche Fortschritte wir in dem Bereich erzielen müssen”, sagte Tubiana. Für konkretere Erwartungen sei es aber noch zu früh. ae

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    Ägypten: 42 Prozent Erneuerbare bis 2030

    Ägypten will den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen und soll darin von Deutschland und den USA finanziell unterstützt werden. Das teilte das Bundesumweltministerium am Freitag nach einer trilateralen Gesprächsrunde der beteiligten Regierungen mit. Demnach will Ägypten den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 von derzeit 11 auf 42 Prozent erhöhen. Bislang wollte Ägypten dieses Ziel erst 2035 erreichen. Wesentlicher Bestandteil des Planes soll die Stilllegung von mindestens zwölf Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt sein.

    Aus der gemeinsamen Gesprächsnote geht zudem hervor, dass Ägypten zahlreiche Initiativen ergreifen will, um den Ausstoß von Methan bei der Öl- und Gasförderung und der Abfallwirtschaft zu verringern, den Ausbau von Wind- und Solarenergie voranzutreiben und die Emissionen des Verkehrssektors zu mindern. Die Pläne sollen sich in einem bis Juni 2023 überarbeiteten nationalen Klimaschutzbeitrag (NDC) Ägyptens widerspiegeln. Der aktuelle NDC Ägyptens sieht eine Steigerung der Emissionen bis 2030 vor (Climate.Table berichtete).

    Deutschland wird diese Initiative mit mehr als 250 Millionen Euro unterstützen. Die Finanzmittel, die aus dem Entwicklungsministerium und dem Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium kommen, setzen sich nach Angaben des Umweltministeriums aus 50 Millionen Euro an Zuschüssen, 100 Millionen Euro an zinsvergünstigten Darlehen sowie einer Schuldenumwandlung in Höhe von 100 Millionen Euro zusammen. Ein Teil des Erlöses aus der Schuldenumwandlung soll in den sozial gerechten Übergang investiert werden für die Menschen, die von der Schließung der alten Gaskraftwerke betroffen sind.

    Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Außenamt, sagte zu der trilateralen Vereinbarung am Freitag auf der COP, das Abkommen zeige auch, “dass wir uns in Sharm El-Scheich nicht nur in den Verhandlungen, sondern auch durch ganz konkrete Vereinbarungen dafür einsetzen, dass der weltweite Ausbau von Solar- und Windenergie durch die COP einen Booster erhält”. asi

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    Standpunkt

    Was die COP27 beschließt, kann Leben retten

    Von Carol Devine und Elisa de Siqueira
    Carol Devine (links) und Elisa de Siqueira, Klimaexpertinnen von Ärzte ohne Grenzen

    “Wasser ist für die Menschheit von entscheidender Bedeutung. Wir leiden, wenn es um Wasser geht. Wir können kein Trinkwasser finden, und es ist nicht für die gesamte Bevölkerung verfügbar. Das ist sehr schwierig. Deshalb wollen wir, dass sie etwas darüber erfahren, damit sie uns helfen können.”

    Das sagte unsere Kollegin Souat Ahmat Ramadarie, eine Hebamme von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) im Tschad, als wir sie fragten, was sie den Menschen auf der ganzen Welt über die humanitäre Lage im Land erzählen würde.

    Wasser: im Tschad eine Frage von Leben und Tod

    Soaut lebt und arbeitet in Sila, im Südosten des Landes. Dort ist Wasser eine Frage von Leben und Tod. Der Tschad ist extrem anfällig für die Klimakrise und hat schlechte Voraussetzungen, seine Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

    Die Bevölkerung sieht sich mit den vielfältigen gesundheitlichen Auswirkungen steigender Temperaturen, unregelmäßiger Regenfälle und zunehmender Wüstenbildung konfrontiert, was zu schrumpfenden Anbau- und Weideflächen und zu Vertreibungen führt. Wasser- und Ernährungsunsicherheit sind miteinander verknüpft und werden durch den vom Menschen verursachten Klimawandel und die Umweltzerstörung noch verstärkt.

    Ärzte ohne Grenzen arbeitet in Sila eng mit den Gemeinden zusammen, um ein nachhaltiges kommunales Gesundheitssystem aufzubauen. Darüber hinaus leistet unsere Organisation im Tschad Nothilfe gegen die zunehmende Unterernährung von Kindern.

    Der Tschad ist eines von 70 Ländern, in denen Ärzte ohne Grenzen tätig ist, und Souat ist eine von über 65.000 Mitarbeitenden in unserer weltweiten Bewegung, die unabhängige medizinische humanitäre Hilfe auf der Grundlage dessen leisten, was die Menschen brauchen. Als Gesundheitsversorger, der auf die Folgen des Klimawandels für viele gefährdete Bevölkerungsgruppen reagiert, ist es auch unsere Pflicht, uns für die Menschen einzusetzen, denen wir dienen – gemeinsam mit ihnen.

    Fluten und Malaria im Südsudan

    Auf der COP27 und darüber hinaus werden wir auch thematisieren, dass der Südsudan seit vier Jahren von ungewöhnlich starken Überschwemmungen heimgesucht wird, am schlimmsten im Jahr 2021. Die Folgen der Fluten:

    • extrem besorgniserregende Malariaarten,
    • schwerwiegende Probleme mit der Ernährungssicherheit,
    • Verlust von Nutztieren,
    • Mangel an sicherem Trinkwasser,
    • Ausbrüche von durch Wasser übertragene Krankheiten und
    • Hunderttausende von Vertriebenen.

    Mit unserem Pilotprojekt zur Vorbeugung von Malaria in Lankien im Südsudan versuchen wir, uns auf das vorzubereiten, was beim nächsten Malaria-Höhepunkt gebraucht wird.

    Wirbelstürme beschädigen Kliniken

    Wir sprechen auch über Madagaskar, das 2022 von mehreren Wirbelstürmen heimgesucht wurde und regelmäßig mit extremen Wetterereignissen konfrontiert ist. Dort unterstützen wir den Wiederaufbau eines beschädigten Krankenhauses und von Gesundheitszentren und betreiben Bootskliniken an Orten, an denen die Menschen nach den Wirbelstürmen nur sehr begrenzt Zugang zur Gesundheitsversorgung hatten. Wir behandeln wöchentlich Hunderte von Patienten gegen Malaria, Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen und behandeln jetzt auch akute Unterernährung bei Kindern.

    Wie Soaut möchten auch wir, dass die Menschen weltweit erfahren, was ihre Mitmenschen im Tschad, in Madagaskar, im Südsudan und in vielen anderen Ländern als Folge der Klimakrise erleben.

    Forderungen an die COP: mehr Ressourcen für Gesundheitsschutz

    Unsere Forderungen stützen sich auf das, was wir wissen und in unserer täglichen Arbeit sehen:

    • Die COP27 muss ihre Zusagen einhalten: Die großen Emittenten müssen ihre Ambitionen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen erhöhen, denn die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen ist entscheidend, um die schlimmsten gesundheitlichen und humanitären Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden. Jeder Bruchteil der Erwärmung, der abgewendet wird, verringert Tod und Leid.
    • Die COP27 muss Maßnahmen ergreifen, um den Gesundheitsschutz und die Gesundheitsförderung in weniger widerstandsfähigen und unverhältnismäßig stark betroffenen Ländern zu unterstützen. Dies beinhaltet: Ressourcen zur Anpassung der Gesundheitssysteme und die Fähigkeit von Ländern und Gemeinschaften, auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise zu reagieren. Ohne ehrgeizigere und dringende Anpassungsmaßnahmen wird der Bedarf an humanitärer Hilfe über das hinausgehen, was Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen bewältigen können.
    • Die COP27 muss eine angemessene Finanzierung für Verluste und Schäden bereitstellen. Die gesamte Klimafinanzierung muss neu und zusätzlich sein, es darf keine Geldumschichtung oder Doppelzählung geben. Die humanitären Organisationen sind ernsthaft überlastet. Die humanitäre Hilfe ist bereits stark unterfinanziert und die bestehenden Mittel müssen geschützt werden. Die Zusagen müssen transparent gemacht werden, um eine angemessene Finanzierung für Verluste und Schäden sowie für Abschwächung und Anpassung zu gewährleisten.

    Wie Klimaschutz Gesundheit fördert

    Wir brauchen Klimaschutzmaßnahmen, die dem Ausmaß der Klimakrise entsprechen. Sie müssen Lösungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit beinhalten. Solche ehrgeizigen Klimamaßnahmen haben auch mehrere gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Nebeneffekte:

    • Das Säubern von Grundwasserquellen führt zu sauberem Trinkwasser,
    • was wiederum Durchfallerkrankungen sowie die Verbreitung von über Mücken übertragene Krankheiten wie Malaria oder das Denguefieber verringert.
    • Ein Ausstieg aus fossilen Energien führt darüber hinaus zu besserer Luft.
    • Diese sorgt dafür, dass es weniger Atemwegserkrankungen gibt.
    • Eine ökologischere und nachhaltigere Landwirtschaft ermöglicht zudem eine gesündere Ernährung.

    Als Akteure des Gesundheitswesens und der humanitären Hilfe wissen wir aus Erfahrung, wie wichtig es ist, die Stimmen der betroffenen Bevölkerung in den Mittelpunkt der Reaktionsstrategien zu stellen, um ihre Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen.

    Wir als medizinisch-humanitäre Akteure sind auf der COP27, weil die hier getroffenen Entscheidungen erhebliche Auswirkungen auf die Menschen und Gemeinschaften haben, denen wir dienen. Sie sind für uns alle wichtig. Sie können lebensrettend sein für Soaut, die Babys und Mütter, denen sie hilft. Und für unzählige andere Menschen, heute und in Zukunft.

    Carol Devine ist Lead Humanitarian Action on Climate and Environment bei Ärzte ohne Grenzen. Elisa de Siqueira ist Humanitarian Advocacy Officer Climate Crisis bei Ärzte ohne Grenzen Deutschland.

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    Heads

    John Podesta – Bidens Mann für Klimapolitik

    John Podesta – führenden Berater für saubere Energien von Joe Biden

    John Podesta ist einer der wichtigsten Akteure in der US-Klimapolitik. Im September wurde er von Präsident Joe Biden zum führenden Berater für saubere Energien ernannt. Er soll überwachen, wie die fast 370 Milliarden Dollar an Klimaschutz-Investitionen im Rahmen des “Inflation Reduction Act” ausgegeben werden. Das Mitte August verabschiedete Gesetz stellt die größte Investition in Klimaschutzmaßnahmen in der Geschichte der USA dar.

    “Ein erfahrener Washington-Insider” ist die Beschreibung, die am häufigsten für Podesta verwendet wird. Der 73-jährige Politiker griechischer und italienischer Abstammung war Beamter in zwei Regierungen unter Leitung der Demokratischen Partei – unter anderem leitete er die Klimastrategie der Obama-Regierung. Podesta ist die Verantwortung der USA “in Anbetracht ihrer historischen Emissionswerte” bewusst, wie er 2019 sagte. Damals forderte er eine klare “Führungsrolle auf Bundesebene”. Klimaschützer haben seine Nominierung begrüßt. Er verfüge über die notwendige Statur, um den Klimawandel ganz oben auf der Agenda der Behörden und Bidens zu halten.

    Milliarden für E-Autos, Solarzellen und Windenergie

    Als Senior Advisor to the President on Clean Energy Innovation and Implementation ist Podesta gemeinsam mit dem Klima-Berater Ali Zaidi für die Umsetzung und die Gesamtleitung des Inflation Reduction Acts zuständig. Durch das Gesetz stellt die Bundesregierung fast 370 Milliarden Dollar bereit, um die US-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren.

    Präsident Biden erhofft sich von der Ernennung Podestas von dessen langjähriger Erfahrung zu profitieren. Die Gesetzesinhalte sollen schnell in die Tat umgesetzt werden, hofft Biden. Auf Podesta kommt dabei einiges zu: Verbraucher erhalten beispielsweise Steuervergünstigungen von bis zu 7.500 Dollar für den Kauf von neuen Elektroautos. Das Paket umfasst auch 30 Milliarden Dollar zur Förderung der Produktion von Solarzellen, Windturbinen und Batterien. Außerdem gibt es Maßnahmen zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen: 60 Milliarden Dollar sollen zur Unterstützung benachteiligter Regionen bereitgestellt, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.

    Podestas Partner: Mitch Landrieu und Ali Zaidi

    “Amerikas schwarze, Latino- und indigene Gemeinschaften stehen schon zu lange an vorderster Front der gefährlichsten Umwelt- und Gesundheitsrisiken unseres Landes”, schrieb Podesta schon im letzten Jahr in einem gemeinsamen Artikel für The Hill. Der demokratische Politiker sieht in der Bekämpfung von Ungleichheit ein wichtiges Mittel zur Minderung der Klimakrise.

    Auch will er massiv in die Wissenschaft investieren, um die Forschung zu Klimafragen und Energieinnovationen zu stärken. Podesta wird eng mit Bidens Infrastrukturbeauftragtem Mitch Landrieu zusammenarbeiten, um die Koordinierung zwischen den Programmen des Klimagesetzes und den massiven Investitionen in Straßen, Brücken und öffentliche Verkehrsmittel sicherzustellen, die 2021 beschlossen wurden. Isabel Cuesta

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    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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