Table.Briefing: Climate

Ampel streicht verbindliche Klimaziele + So will die Weltbank grün werden + Chinas Solar-Dumping hilft der Energiewende

Liebe Leserin, lieber Leser,

Manchmal kommen Gesetze genau dann, wenn keiner damit rechnet: Beim Klimaschutzgesetz war das am Montag der Fall. Morgens erklärte noch der Expertenrat für Klimafragen, warum es eine schlechte Idee ist, die verbindlichen Sektorziele abzuschaffen. Am Nachmittag kam dann die Nachricht, dass genau das beschlossen wurde. Malte Kreutzfeldt analysiert für Sie die Details.

Anlässlich der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in dieser Woche, erklärt Ihnen Bernhard Pötter außerdem, wie es um den klimafreundlichen Umbau der internationalen Finanzarchitektur steht. In dem Zusammenhang schauen wir auch darauf, wie hohe Verschuldung die Klimainvestitionen von armen Ländern bremst.

Zudem schauen wir mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der gerade auf Reisen ist, nach China: Das Land produziert inzwischen Solartechnik zu Dumping-Preisen. Wir erklären, wer davon profitiert. Und wir schauen nach Australien, wo die Regierung nun auch grüne Wirtschaftsförderungen à la IRA und Green Deal plant.

Ihnen wünschen wir einen guten Wochenstart!

Ihre
Lisa Kuner
Bild von Lisa  Kuner

Analyse

Gegen Expertenrat: Ampel streicht verbindliche Sektorziele aus dem Klimaschutzgesetz

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, Deutschland, Berlin, Gremiensitzung und Pressekonferenz der Freien Demokraten *** Volker Wissing, Federal Minister for Digital Affairs and Transport, Germany, Berlin, Committee meeting and press conference of the Free Democrats 15.01.2024
Er hat sein Ziel erreicht: Volker Wissing muss die Klimaziele im Verkehrssektor weiterhin nicht einhalten

An diesem Montag war zu erleben, wie schnell sich die politische Lage in Berlin ändern kann: Am Morgen hatte der Expertenrat bei der Vorstellung seines jüngsten Prüfberichts zur Klimabilanz 2023 in der Bundespressekonferenz noch einmal gute Gründe geliefert, warum die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes eine schlechte Idee ist: Dadurch werde “die spezifische Verantwortung eines Ministeriums” wegfallen, hatte Brigitte Knopf als stellvertretende Vorsitzende des Gremiums gewarnt. Zugleich hatte sie deutlich gemacht, dass – anders als von Verkehrsminister Volker Wissing in der vergangenen Woche behauptet – auch mit dem bestehenden Gesetz keineswegs Fahrverbote drohten, weil auch dieses schon einige Flexibilität bietet.

Umwelt- und Klimaschutzverbände erhöhten daraufhin noch einmal den Druck und verlangten von den Grünen, der geplanten Novelle nicht zuzustimmen. “Wer ist das Problem? Volker Wissing – Was ist die Lösung? Klimaschutzgesetz”, skandierten Aktivistinnen und Aktivisten, unter ihnen Luisa Neubauer von Fridays vor Future, vor dem Haus der Bundespressekonferenz. Lutz Weischer von Germanwatch forderte: “Die jahresscharfen Sektor-Verantwortlichkeiten des Klimaschutzgesetzes müssen auch bei einer Novelle des Gesetzes erhalten bleiben. Sonst droht ein klimapolitischer Blindflug und ein teures Erwachen.”

Denn auch wenn Deutschland die nationalen Sektorziele abschaffe, seien auf EU-Ebene hohe Zahlungen zu erwarten, wenn der Verkehrs- und der Gebäudesektor ihr Emissionen nicht stark reduzierten. Deshalb, so Weischer, müsse der Bundeskanzler “den Verhandelnden von SPD- und Grünen-Fraktion den Rücken stärken, die das Klimaschutzgesetz als Grundlage für planbaren und rechtssicheren Klimaschutz verteidigen.”

Widersprüchliche Aussagen zur Verbindlichkeit der Sektorziele

Wenige Stunden später war bereits klar, dass die Warnungen von Expertenrat und Verbänden kein Gehör fanden: Da vermeldeten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von SPD, FDP und Grünen in einer gemeinsamen Mitteilung eine Einigung über das Klimaschutzgesetz. Die Interpretation der Einigung fiel dabei mal wieder recht widersprüchlich aus: Während Lukas Köhler für die FDP “die Abschaffung der jährlichen Sektorziele” begrüßte, erklärte Julia Verlinden für die Grünen, der Gesetzentwurf “erneuert die Verbindlichkeit jedes Sektors”.

Schriftlich gibt es den neuen Gesetzestext noch nicht. Doch die bisher vorliegenden Informationen zeigen, dass die FDP mit ihrer Interpretation sehr viel näher an der Wirklichkeit liegt als die Grünen. Zwar bleiben die Sektorziele im Gesetz stehen, sodass Transparenz darüber herrscht, wo es Defizite gibt. Doch dass der Verkehrssektor sein Ziel auch im Jahr 2023 wieder weit verfehlt hat, wie der Expertenrat am Montag noch einmal bestätigte, hat durch die Änderung keine direkte Konsequenz mehr.

Denn die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Sofortprogramm verabschiedet werden muss, sind künftig völlig anders als bisher:

  • Es kommt nicht mehr darauf an, ob ein einzelner Sektor das Klimaziel erreicht, sondern ob es insgesamt erreicht wird. Wenn Sektoren wie Energie oder Industrie ihr Ziel übererfüllen, dürfen Sektoren wie Verkehr oder Gebäude also untätig bleiben, auch wenn sie ihre eigenen Ziele weit verfehlen.
  • Betrachtet werden künftig zudem nicht mehr die realen Emissionen des vergangenen Jahres, sondern die prognostizierten Emissionen bis 2030 – die stark von den gewählten Annahmen abhängen und damit erheblichen Unsicherheiten bergen.
  • Während bisher schon eine einmalige Verfehlung des Klimaziels zwingend Konsequenzen hat, muss die Regierung künftig erst handeln, wenn das Gesamtziel in der Prognose zweimal in Folge verfehlt wird. In dieser Legislaturperiode muss es damit definitiv kein Sofortprogramm mehr geben.

Wissing muss keine Klagen mehr fürchten

In der Vergangenheit war von den Grünen, unter anderem von Wirtschaftsminister Robert Habeck, argumentiert worden, dass die Änderung keinen großen Unterschied mache. Schließlich habe der Verkehrsminister sich auch unter der bisherigen Regelung keine wirksamen Maßnahmen vorgelegt, obwohl das Klimaziel in seinem Sektor auch in den beiden Vorjahren verfehlt wurde.

Allerdings hat sich die Situation dadurch verändert, dass diese Untätigkeit mittlerweile zu mehreren Klagen geführt hatte. In erster Instanz war die Bundesregierung bereits verurteilt worden, die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen. Die Sache weiter auszusitzen, wäre darum unter dem bestehenden Gesetz nicht mehr lange möglich gewesen – was erklärt, warum Wissing in den letzten Tagen den Druck durch die Warnung vor angeblich drohenden Fahrverboten so erhöht hatte.

Als große Verbesserung stellen die Grünen zudem dar, dass künftig – anders als im Kabinettsentwurf für das neue KSG vom vergangenen Sommer vorgesehen – nicht nur die voraussichtliche Einhaltung des Klimaziels für 2030 überprüft werden soll, sondern auch das Ziel für 2040. “Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren”, erklärte Julia Verlinden dazu. Allerdings gilt auch das erst für die ferne Zukunft: Nach Informationen aus Koalitionskreisen soll die Einhaltung des 2040-Ziels erstmals im Jahr 2030 überprüft werden, sodass Volker Wissing auch von dieser Regelung nichts zu befürchten hat.

Solarpaket kommt ohne Resilienzbonus

Was die Grünen für ihre Zustimmung zum aufgeweichten Klimaschutzgesetz tatsächlich bekommen haben, ist die Zustimmung der FDP zum Solarpaket 1. Dieses war vom Kabinett ebenfalls schon im Sommer 2023 verabschiedet worden; die FDP hatte ihre Zustimmung aber daran geknüpft, dass das Klimaschutzgesetz reformiert wird. Weil das Paket viele Erleichterungen für die Betreiber von Solaranlagen vorsieht, war es von der Branche dringend erwartet worden.

Im Vergleich zur Kabinettsfassung sieht die Einigung der Fraktionen Änderungen bei vielen Details vor; die entscheidenden Punkte sind aber unverändert geblieben:

  • In Mehrfamilienhäusern kann der Strom von Solaranlagen im Rahmen der “gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung” künftig sehr viel einfacher an die Bewohner verkauft werden.
  • Balkonsolaranlagen dürfen künftig eine Wechselrichterleistung von bis zu 800 Watt haben und ihre Anmeldung wird stark vereinfacht. Zudem dürfen sie in Zukunft auch ohne digitalen Zähler betrieben werden; solange noch analoger Zähler vorhanden ist, darf dieser rückwärts laufen.
  • Die Kombination von PV-Anlagen und Landwirtschaft soll dadurch erleichtert werden, dass es gesonderte Ausschreibungen für Agri-PV gibt, bei denen höhere Vergütungen gezahlt werden.
  • Netzanschlüsse werden durch neue Vorgaben vereinfacht. Das Verlegen von Leitung wird dagegen nicht so stark vereinfacht wie im bisherigen Entwurf vorgesehen: Die Pflicht, das Verlegen von Leitungen zu dulden, soll nicht mehr für alle Grundstücke gelten, sondern nur noch für solche, die sich in öffentlichem Eigentum befinden.

Der Wunsch der Grünen-Fraktion, in den Gesetzentwurf auch den sogenannten Resilienzbonus aufzunehmen, wurde nicht erfüllt. Dieser hätte bedeutet, dass Betreiber von Solaranlagen eine höhere Vergütung bekommen, sofern die Module in Europa hergestellt wurden. Darauf hatte unter anderem das Unternehmen Meyer Burger gedrängt und mit der Schließung von Standorten gedroht, falls die Forderung nicht erfüllt wird.

Die FDP hatte jedoch schon länger angekündigt, eine solche Regelung nicht mittragen zu wollen; auch Teile der Solarbranche sahen sie kritisch, weil sie befürchteten, dass die Nachfrage dadurch sinken könnte, weil potenzielle Kunden auf heimische Solarmodule warten würden, die nicht ausreichend verfügbar seien. Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich ebenfalls für den Resilienzbonus eingesetzt hatte, will nach Informationen aus Ministeriumskreisen nun stattdessen versuchen, die heimische Solarindustrie im Rahmen des Net Zero Industry Act der EU zu fördern, der Investitionsförderung und verbesserte Kreditprogramme vorsieht.

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Klimakurs der Weltbank: Wo der Umbau begonnen hat

Die Chefs von Weltbank, Inter-American Development Bank und IWF: Ajay Banga, Ilan Goldfajn, Kristalina Georgieva.

Wie stellt sich das globale Finanzsystem auf die Bekämpfung der Klimakrise ein? Das ist einer der zentralen Fragen für die Frühjahrstagung von Weltbankgruppe (WBG) und Internationalem Währungsfonds (IWF) diese Woche in Washington. Es zeigt sich: Der Umbau hat begonnen, steht aber noch am Anfang. Während Weltbank-Chef Ajay Banga betont, wie viel sich bereits bewege, monieren Kritiker, die Reformen seien zu langsam und nicht weitreichend genug.

In den nächsten Jahren werden auf der einen Seite Finanzfragen die globale Klimapolitik dominieren und die Klimakrise anderseits die Finanzpolitik unter Druck setzen. Als zentral dabei gilt auch die Frage, wie Weltbank und multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) mit öffentlichen Klimahilfen, privaten Investitionen in den grünen Umbau und der Verschuldung der Entwicklungsländer umgehen. UN-Climate-Chef Simon Stiell hatte vor dem Treffen gemahnt, es blieben nur noch “zwei Jahre, um die Welt zu retten“. Das Finanztreffen sei keine “Generalprobe” und kein “Redefest”, die Staaten müssten “hunderte von Milliarden Dollar” an Klimafinanzierung aufbringen.

Veränderungen bei Strukturen und Kapital

Auf dem Herbsttreffen 2023 hatte die Weltbank Strukturveränderungen und ein neues Leitmotto beschlossen: Armut zu beenden “auf einem bewohnbaren Planeten“. Die Weltbank unternehme große Anstrengungen, um ihre neue Mission mit Leben zu füllen und die Bank zu reformieren, erklärte der seit Sommer 2023 amtierenden neue Chef Ajay Banga vor Beginn der Konferenz. “Jeden Dollar, den wir bekommen, werden wir im nächsten Jahrzehnt als Hebel für die sechs- bis achtfache Summe einsetzen”, versprach Banga.

Eine Kapitalerhöhung der Bank, die viele Experten für nötig halten, ist derzeit wegen der geopolitischen Spannungen kaum durchzusetzen. Mit Blick auf die Klimakrise verändert die Weltbank aber intern ihre Strukturen und Prozesse:

  • Auf der COP28 hat Banga versprochen, ab 2025 den Anteil der jährlichen Finanzierung mit Klimabezug von 30 auf 45 Prozent zu steigern, je zur Hälfte für Anpassung und CO₂-Reduktion. Die Bearbeitungszeit für Anträge solle um ein Drittel auf ein Jahr verkürzt werden.
  • Die WBG bewertet jetzt alle Projekte in ihren Partnerländern mit einer neuen “Scorecard”, die statt unübersichtlichen 150 Indikatoren nur noch 22 enthält. Darunter auch etwa den Anteil erneuerbarer Energien, Treibhausgasbilanzen und Geschlechtergerechtigkeit und gesellschaftliche Ungleichheit. Das öffnet auch in der Weltbank die Debatte über höhere Abgaben auf Reiche und Reichtum, wie sie weltweit von NGOs und Ländern wie Brasilien gefordert wird.
  • Die WBG hat ihr Verhältnis von Eigenkapital zu Krediten (“Equity/Loan-Ratio”) von 20 auf 19 Prozent gesenkt. Damit soll sie über zehn Jahre insgesamt 40 Milliarden Dollar mehr für günstige Kredite zur Verfügung haben.
  • Die WBG schafft ab 1. Juli einheitliche Anforderungen für Garantien bei privaten Investitionen in allen ihren Banken. Damit soll es einfacher und transparenter werden, wie privates Geld mobilisiert wird. Der Bericht einer internen Arbeitsgruppe (“Private Sector Lab”) zum generellen Umgang mit Privatkapital steht aber noch aus. Die Garantien für solche Projekte sollen damit von derzeit etwa sechs Milliarden Dollar bis 2030 auf 20 Milliarden anwachsen.

Sammelstellen für Klimahilfen

  • Auf einer “Global Solutions Acceleration Platform” wird zusätzliches Geld von Staaten eingesammelt, um Projekte mit regionalem oder globalen Nutzen zu unterstützen, etwa durch Investitionen in Klimaschutz. Deutschland hat diesen Topf angeregt und zu Beginn mit 305 Millionen Dollar gefüllt, die bis zu 2,5 Milliarden hebeln sollen – bei der Frühjahrstagung sollen etwa ein halbes Dutzend Industriestaaten der Plattfom beitreten und bis zu zehn Milliarden Dollar an neuen Hilfen ermöglichen.
  • Gleichzeitig soll ein “Liveable Planet FundKapital sammeln. Das soll in Form von “konzessionären” Zuwendungen als verbilligte Kredite unter dem jeweiligen Marktpreis vergeben werden.
  • Inzwischen hat die WBG über 40 “Country Climate Development Reports” erstellt, in denen die Experten der Bank Möglichkeiten aufzeigen, wie die Länder Wirtschaftswachstum mit Klimaschutz verbinden können.
  • Bereits im letzten Jahr hat die WBG “Climate Related Debt Clauses” eingeführt, mit denen Staaten ihren Schuldendienst aussetzen können, wenn ihre Wirtschaft durch die Klimaschocks wie Überschwemmungen oder Dürren getroffen wird.
  • Maßnahmen der “Balance Sheet Optimisation” sollen die Arbeit der Bank effizienter machen und bis zu 190 Milliarden Dollar mehr Kapital für die eigentlichen Aufgaben freimachen.
  • Die Schwesterorganisation IWF wiederum könnte ebenfalls zur Klimafinanzierung beitragen, meinen Experten: 100 Milliarden Dollar aus Sonderziehungsrechten der Staaten müssen nach IWF-Statuten an arme Länder verliehen werden – sie könnten etwa eingesetzt werden, um CO₂-Preise zu flankieren, Tarife für Erneuerbare einzuführen oder fossile Subventionen abzubauen.

“In der Weltbank gibt es auch durch den neuen Präsidenten Banga großen Druck, diese Veränderungen umzusetzen”, sagt Michael Krake, deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank, gegenüber Table.Briefings. Es würden “Meilensteine” gesetzt, aber es warte noch viel Arbeit, denn es gehe darum, “die DNA einer Institution zu verändern”, die in diesem Jahr 80 Jahre alt wird.

Kritik: Reform zulasten der Armen und öffentlichen Sektoren

Kritiker dagegen sind skeptisch. Für sie wird eine “Chance auf eine tiefgreifende Reform der Weltbank vertan”, wie es die Entwicklungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) formuliert. Bangas Pläne einer “besseren Bank” zielten vor allem darauf ab, “mit weniger Aufwand und in kürzerer Zeit größere Mengen an Kapital zu vergeben”, ohne die Zielrichtung infrage zu stellen.

Die Kritik bezieht sich vor allem auf diese Punkte:

  • Die Priorisierung privaten Kapitals bringe vor allem die Gefahr mit sich, dass Investitionen in Infrastruktur und Sozialwesen “an der Eigenlogik des Finanzsektors und der Generierung privater Profite” ausgerichtet würden – was zulasten der Armen und der öffentlichen Systeme gehen könne.
  • Es fehle ein Entschluss der Weltbank, in den eigenen Geschäften aus den Fossilen auszusteigen und nicht weiter die Klimakrise zu befeuern. Nach Angaben der Kampagnenplattform Big Shift Global unterstützte die Weltbank zwischen 2020 und 2022 jedes Jahr fossile Projekte, vor allem Gas, mit jährlich etwa 1,2 Milliarden Dollar. Banga erklärte die Förderung von Gasprojekten für vertretbar, wenn sie etwa die Nutzung von Kohle ersetzen.
  • Der stärkere Einsatz der Weltbank bei der Klimafinanzierung zementiere die Entscheidungsmacht in den Ländern, die als Haupteigentümer der WBG auch Hauptverursacher der Krise sind. Wie unbeliebt die Weltbank bei vielen Ländern im Globalen Süden ist, hat auch die Debatte um die Ansiedlung des neuen “Loss and Damage”-Fonds gezeigt.
  • Die Weltbank vergebe und unterstütze auch mit Klimahilfen vor allem Kredite, die die Schuldenkrise der ärmsten Länder weiter anheizen. Eine Reform der Entscheidungsprozesse in der Bankengruppe bleibe außen vor.

Schließlich steht bis Ende des Jahres eine weitere Nagelprobe bevor, wie ernst es die Industrieländer mit der Hilfe für den Globalen Süden meinen. Im dreijährigen Rhythmus steht die 21. Auffüllungsrunde für die “International Development Association” (IDA) bevor. Welche Länder wie viel geben, wird eines der zentralen informellen Themen der Frühjahrstagung sein.

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Entwicklungsländer profitieren von Chinas Solar-Dumping

Solarmodule auf einem Lagerhaus in Johannesburg
Chinas Dumpingpreise für grüne Technologien kommen Entwicklungsländern zugute. Solarmodule auf einem Lagerhaus in Johannesburg.

Es ist eines der heißen Themen des Frühjahrs: Soll Deutschland die eigene Solarindustrie unterstützen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegen Chinas Dumping-Module zu bewahren? Die Frage dürfte auch auf Olaf Scholz‘ dreitägiger China-Reise ein Thema werden. Solarherstellern wie Meyer Burger macht die chinesische Konkurrenz große Sorgen. Die Installateure hingegen warnen vor Schutzmaßnahmen, die günstige China-Module verteuern und die Energiewende ausbremsen könnten.

Chinas Überkapazitäten in grünen Industrien bereiten auch US-Politikerinnen und -politikern Kopfschmerzen. “Ich mache mir vor allem Sorgen über die globalen Auswirkungen der Überkapazitäten, die wir in China beobachten”, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen kürzlich bei der Eröffnung eines Werks für Solarmodule in den USA. Schon in der Vergangenheit habe die Unterstützung der chinesischen Regierung in Branchen wie Stahl und Aluminium zu erheblichen Überinvestitionen geführt. “Jetzt werden Überkapazitäten in ‘neuen’ Industrien wie Solar, E-Autos und Lithium-Ionen-Batterien aufgebaut.” Diese Warnung ist gerechtfertigt, denn insbesondere bei Batterien und Solaranlagen bestehen jetzt schon Überkapazitäten.

Bereits letztes Jahr waren die chinesischen Produktionskapazitäten für Batterien mehr als doppelt so groß wie die Nachfrage. Und die Differenz wächst weiter: Nächstes Jahr wird die Kapazität dreimal so groß sein wie der Bedarf, wie Zahlen des britischen Branchendienstes CRU Group zeigen. Bei Solarpaneelen sieht es ähnlich aus: China hätte letztes Jahr genug Herstellungskapazität für Paneele mit einer Nennleistung von 861 Gigawatt gehabt. Global wurden allerdings nur 390 Gigawatt installiert. Das war ein neuer Rekord und übertraf die weltweiten Installationen im Vorjahr um knapp 40 Prozent. Aber selbst das hat nicht gereicht, um die in China bestehenden Herstellungskapazitäten auch nur annähernd auszulasten. Und diese werden weiter wachsen: Allein dieses Jahr sollen 500 bis 600 Gigawatt Produktionskapazität dazu kommen.

Überkapazitäten und Preiskriege haben Methode

Das zeigt sich an den Preisen: Solarzellen sind in den letzten zwölf Monaten um zwei Drittel billiger geworden. Bei Batterien sieht es ähnlich aus: Deren Preis hat sich letztes Jahr halbiert. Geholfen hat dabei der Preis für Lithium: Dieser stieg ab Mitte 2021 massiv an, erreichte Ende 2022 einen historischen Höchstwert und ist seither um mehr als 80 Prozent gefallen. Obwohl sich Lithium kaum weiter verbilligen dürfte, geht der Preisrutsch bei Batterien weiter. CATL, der chinesische Weltmarktführer bei Batterien, erwartet, dass sich die Preise dieses Jahr noch einmal halbieren. Damit zeichnet sich ein Preiskrieg ab, denn auch der zweitgrößte Batterieproduzent, der chinesische Autohersteller BYD, kürzt aggressiv die Kosten, um überleben zu können.

Die Überkapazitäten und Preiskriege haben Methode: Chinas Regierung drosselt den Konsum zugunsten von Investitionen. Diese machen 42 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. In Deutschland ist es gerade mal die Hälfte. Diese Investitionen flossen lange Zeit vor allem in den Immobiliensektor und lösten dort einen gigantischen Boom aus – doch dieser ist vorbei. Jetzt werden Investitionen in die Industrie geleitet, sodass dort nun Überkapazitäten aufgebaut werden. “Im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften, die eine drastische Anpassung ihres Immobilienmarktes durchlaufen haben, geht die Investitionsrate in China nicht zurück”, sagt Frederic Neumann von der britischen Bank HSBC. “Stattdessen verlagern sich die Investitionen in Richtung Infrastruktur und vor allem in die verarbeitende Industrie.

Kommt es zu einer Zweiteilung des Weltmarktes?

Damit wiederholt sich die Geschichte – zumindest bei Solaranlagen. Nachdem Deutschland im Jahr 2000 eine Einspeisevergütung für Solar- und Windstrom einführte und Länder wie Spanien und Italien nachgezogen waren, entwickelte sich in Europa ein Markt für Solaranlagen. Diese konnten dadurch aus ihrer Marktnische ausbrechen und in den Massenmarkt wechseln. Doch der europäische Solarboom wurde dann von den Regierungen wieder abgewürgt. Seit einigen Jahren sorgt China für den nächsten Schritt in der Entwicklung des Solarmarkts: Mit Subventionen wie Steuererleichterungen oder billigen Krediten werden die Hersteller dazu angeregt, immer größere Fabriken zu bauen, um die Kosten weiter drücken zu können. 

Für westliche Industriestaaten wie Deutschland ist das ein Problem, denn sie wollen ebenfalls Fertigungskapazitäten für Batterien und Solarpaneele aufbauen. Für andere Länder hingegen sind die chinesischen Überkapazitäten und die rapide fallenden Preise positiv, meint Gary Hufbauer vom US-Thinktank Peterson Institut: “Wenn China eine massive ‘Export-Lösung’ anstrebt, wird dies den Fertigungsunternehmen in Japan, der EU, Korea und anderen Industrieländern schaden. Aber niedrige Preise werden in vielen Entwicklungsländern in Lateinamerika, Afrika und Asien willkommen sein.”

Im Gegensatz zu den Industriestaaten ist es für diese Länder illusorisch, viele Milliarden in eine eigene Fertigung zu investieren. Und so könnten Chinas Überkapazitäten schließlich zu einer Zweiteilung des Weltmarkts für Produkte wie Batterien und Solarpaneele führen: Die Industriestaaten schotten ihre Märkte ab, etwa mit Anti-Dumping-Zöllen, und bauen eigene Industrien auf. Und alle anderen Länder kaufen dankbar die sehr günstigen chinesischen Produkte. Wenn dadurch die globale Energiewende hin zu den Erneuerbaren beschleunigt wird, gäbe es zudem einen klaren Gewinner von Chinas Wirtschaftspolitik: das Klima.

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Studie: IPCC unterschätzt Kipppunkt-Risiko für Atlantikströmung

Das Risiko eines Kipppunkts der Atlantikströmung AMOC sei “weit größer”, als im letzten IPCC-Bericht von 2021 angenommen wird. Das zeigen mehrere Studien, die seither veröffentlicht wurden. Zwar habe jede dieser Studien ihre Einschränkungen, schreibt der Ozeanologe Stefan Rahmstorf in einem neuen Überblicksartikel im Fachmagazin Oceanography. Sie würden aber alle in dieselbe Richtung deuten: “Das Risiko eines kritischen AMOC-Übergangs ist real und sehr ernst, auch wenn wir nicht mit Sicherheit vorhersagen können, wann und ob dies geschehen wird.”

Einige der Studien, die sich Rahmstorf angesehen hat, hatten zuletzt für Diskussionen gesorgt. Kritisiert wurden etwa vereinfachte Modelle und Annahmen. Laut Rahmstorf, er forscht seit rund 30 Jahren zu Ozeanströmungen am Potsdam-Institut für Klimafolgen (PIK), würden aktuelle Klimamodelle das Risiko eines Kipppunkts aber eher unterschätzen als überschätzen.

Kollaps der Atlantikströmung wäre “massives, globales Desaster”

Die Atlantikströmung verlangsamt sich bereits als Folge des menschengemachten Klimawandels, denn sie wird durch Unterschiede in Wassertemperatur und -dichte angetrieben. Durch den Klimawandel schmilzt beispielsweise der Grönland-Eisschild, Süßwasser gelangt zunehmend in den Atlantik, der Salzgehalt sinkt und die Wasserdichte wird geringer. Dadurch wird die Atlantikströmung langsamer – bis sie unter Umständen schließlich stoppt. Das ist nicht die einzige Gefahr: Es gibt laut Rahmstorf auch eine zweite Möglichkeit für einen Kipppunkt der Atlantikströmung, die bisher kaum beachtet worden sei, obwohl mehrere Modelle darauf hinwiesen: Sie könnte auch dann kippen, wenn die Durchmischung von warmen und kalten Wasserschichten stoppt – ebenso eine Folge des sinkenden Salzgehalts und damit der Erderwärmung.

Dieser zweite Kipppunkt vergrößere die Unsicherheit, ob und wann die Atlantikströmung kippt. Doch gerade, weil der letzte IPCC-Bericht nur ein “mittleres Vertrauen” für einen Kollaps noch in diesem Jahrhundert sieht, empfiehlt Rahmstorf, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln und rasch aus fossilen Brennstoffen auszusteigen: “Wir müssen 100 Prozent sicher sein, dass es nicht passiert.” Denn die seither veröffentlichten Studien zeigten: Das Risiko dafür sei “weit größer”, als bisher im IPCC-Bericht von 2021 angenommen. Und ein vollständiger AMOC-Kollaps wäre ein “massives, globales Desaster”. lb

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Australien möchte mit Investitionsplan die grüne Industrie stärken

Mindestens 18 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 16,9 Milliarden Euro) will Australien in den Ausbau von Wasserkraft, Solarenergie und Wasserstoff sowie in die heimische Produktion von grünen Technologien wie E-Autos und Halbleitern stecken. Das kündigte Premierminister Anthony Albanese (Labor-Partei) am Donnerstag in einer Rede an.

Die Gelder für den “Future Made in Australia Act” sollen über Subventionen und Anreizmodelle bereitgestellt werden – ähnlich dem Green Deal der EU und dem Inflation Reduction Act in den USA. Auf die Bevölkerung gerechnet sind die geplanten Förderungen aber deutlich geringer.

Subventionen sollen Wettbewerbsfähigkeit steigern

Albanese sprach in seiner Rede unter anderem von einer “neuen, breiten Bereitschaft, wirtschaftliche Interventionen auf Grundlage nationaler Interessen und nationaler Souveränität vorzunehmen”. Der Investitionsplan sei allerdings keine Rückkehr zum Protektionismus, sondern eine neue Form des Wettbewerbs – etwa mit China, das bisher in vielen grünen Technologien den Markt beherrscht.

Demnächst wird über den Investitionsplan im Parlament abgestimmt. Für eine Verabschiedung benötigt die regierende Labor-Partei auch Stimmen der Opposition. Australiens Klimaziele gelten einer Auswertung des Climate Action Trackers zufolge weiter als “unzureichend” – ähnlich wie jene der EU und USA. Der Investitionsplan könnte Australien näher auf Kurs bringen. Details dazu sollen erst in den kommenden Wochen, vor der Ankündigung des Budgets am 14. Mai, bekannt gegeben werden. rtr/lb

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Tomlinson ist neuer Klimaminister in Großbritannien

Justin Tomlinson von den Tories wird neuer Energieminister in Großbritannien. Er war früher Staatsminister im Ministerium für Arbeit und Rente und hat wenig Erfahrung mit dem Energiesektor. Tomlinson ist nun die elfte Person, die in zehn Jahren das Amt des Energieministers übernimmt.

Ende der vergangenen Woche hatte der bisherige Energieminister Graham Stuart angekündigt, von seinem Posten in der Regierung von Premierminister Rishi Sunak zurückzutreten. Er wolle sich in Zukunft auf die Arbeit für seine Wähler in Nordirland konzentrieren. In der zweiten Jahreshälfte finden im Vereinigten Königreich Parlamentswahlen statt.

Der Rücktritt von Stuart deute darauf hin, dass er sich Sorgen mache, ob er als Tory seinen Sitz bei der Wahl verteidigen könne, schreibt Bloomberg. Aktuell liegen die konservativen Tories in Umfragen weit hinter der liberaleren Labour-Partei. Viele Tory-Abgeordnete könnten darum bei den Wahlen ihre Sitze im Parlament verlieren. kul

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SBTI macht Rückzieher: Keine Offsets erlaubt

Mit einem Rückzieher von der Kehrtwende hat das Kuratorium der führenden Bewertungsplattform für die Klimawirksamkeit von Unternehmen, der “Science Based Targets Initiative” (SBTI), auf interne und externe Kritik an neuen Kriterien der Bewertung reagiert. “Es gibt keine Veränderung in den aktuellen Standards der SBTI”, heißt es nun in einer Erklärung des Gremiums, die am vergangenen Wochenende verbreitet wurde. Damit bleiben die bisherigen Maßstäbe gültig. Neue Richtlinien will die Initiative im Juli veröffentlichen.

Kurz zuvor hatte eine Unterrichtung des Gremiums an die Mitarbeitenden für Aufruhr gesorgt. Demnach war geplant, dass SBTI in Zukunft auch CO₂-Kompensationen für “Scope 3”-Emissionen akzeptieren würde. Unternehmen könnten so die indirekten Emissionen auch aus dem Gebrauch ihrer Produkte ausgleichen und ihre Klimawirksamkeit herunterrechnen. Das Vorhaben hatte zu Protesten unter SBTI-Angestellten geführt, weil der technische Rat und das externe Beratungsgremium übergangen worden seien und die Integrität des Systems infrage gestellt sei. Ein Brief der Beschäftigten forderte den Rücktritt von CEO und Kuratorium.

SBTI ist eine Initiative, die den Fortschritt von Unternehmen Richtung Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette begleitet und transparent macht. 5.000 Firmen lassen dort freiwillig ihre Arbeit auf dieser Grundlage bewerten. In der Vergangenheit hatte es bereits Kritik gegeben, SBTI zeige zu viel Nachsicht mit zweifelhaften Standards. bpo

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Klimainvestitionen könnten arme Länder in Insolvenz treiben

47 Schwellen- und Entwicklungsländern droht in den nächsten Jahren die Insolvenz, da sie für die Ziele der Nachhaltigen Entwicklung (SDGs) ihre Investitionen erhöhen müssten. Das würde bis zu einer Milliarde Menschen betreffen, warnt eine neue Studie des Projekts “Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery”. Weitere 19 Länder wären zwar nicht direkt von einer Insolvenz bedroht, aber ihnen fehle trotzdem der nötige finanzielle Spielraum für Klima- und Entwicklungsinvestitionen.

Die Länder leiden demnach unter Auslandsverschuldung in historischer Höhe und sind mit sehr hohen Zinssätzen und geringen Wachstumsaussichten konfrontiert. Schuldendienstzahlungen verdrängten deshalb Investitionen in Entwicklung und Klima. Bis 2030 müssten die Schwellen- und Entwicklungsländer jährlich zwei Billionen US-Dollar aus internen Quellen – und eine weitere Billion aus externen Quellen – mobilisieren, um die SDGs zu erreichen. Besonders betroffen wegen ihrer Überschuldung sind Länder im südlichen Afrika, in Südostasien und dem Pazifik. Dort hat sich die Lage zuletzt stark verschlechtert.

Eine mögliche Lösung wäre laut der Studie ein Schuldenerlass für die armen Länder. Ein aktueller Bericht der britischen NGO International Institute for Environment and Development kommt zu dem Schluss, dass sogenannte “Debt-for-Nature-Swaps” in besonders überschuldeten Ländern über 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz mobilisieren könnten. Bei Debt-for-Nature-Swaps” bekommen Länder Schulden erlassen und verpflichten sich im Gegenzug zu Natur- oder Klimaschutz. Ein konkretes Beispiel dafür ist Ecuador, das sich bei einem solchen Tausch dazu verpflichtet hat, in den kommenden 20 Jahren in den Schutz der Galapagos-Inseln zu investieren. kul

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Olympia in Paris erfüllt grünes Versprechen noch nicht

Nur für rund ein Drittel der erwarteten CO₂-Emissionen durch die Olympischen Spiele in Paris diesen Sommer haben die Veranstalter eine nachhaltige Strategie zur Vermeidung oder Bemessung. Das geht aus einer Untersuchung der NGOs Carbon Market Watch und Éclaircies hervor. Zwar sei das Organisationskomitee von Paris mittlerweile bemüht, keine irreführenden Klimaneutralitäts-Behauptungen mehr aufzustellen, wie das noch zu Beginn der Planungen der Fall war. Jedoch seien umfassendere und grundlegende Maßnahmen erforderlich, um Olympische Spiele auf einen 1,5-Grad-Pfad zu bringen, schreiben die Autoren.

Die Organisatoren haben für Paris ein Kohlenstoffbudget von 1,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent festgelegt, erinnert die Untersuchung. Somit wären die Spiele an der Seine verglichen mit London 2012 (3,3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent) und Rio 2016 (3,6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent) nur etwa halb so klimaschädlich. Die Autoren kritisieren jedoch, dass diese Zahlen nicht vollständig durch Maßnahmen hinterlegt seien.

Anreise nach Paris stellt größtes Problem dar

Vor allem die Minderung der Verkehrsemissionen (rund 40 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) würden kaum angegangen. Zwar würden Athleten und Zuschauer aufgefordert, mit dem Zug anzureisen. Dies rein “informelle Aufforderung” würde jedoch nur geringfügig und kaum messbar Emissionen einsparen. Auch für den Frachttransport gäbe es bislang nur Absichtserklärungen.

Für Konsumprodukte (20 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) sowie die Energieversorgung (8 Prozent) fehlten ebenfalls verlässliche Informationen, ob die Minderungsziele der Veranstalter eingehalten würden, kritisieren die NGOs. Zwar sollten die Spielstätten vollständig mit erneuerbarer Energie versorgt werden, jedoch werde nicht angegeben, wie der Strom aus erneuerbaren Energiequellen beschafft werden soll. Somit sei nicht klar, ob lediglich Grünstrom-Zertifikate eingekauft würden oder ob es tatsächliche zusätzliche Erneuerbaren-Kapazitäten gibt.

Die Autoren der Studie loben aber auch, dass sowohl beim Bau der Veranstaltungsstätten (30 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) sowie bei der Lebensmittelversorgung (1 Prozent) “robuste Klimaschutzstrategien” vorlägen. Nur fünf Prozent der Spielstätten müssen neu gebaut werden, 70 Prozent bestehen bereits, 25 Prozent werden nur temporär aufgebaut. luk

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Presseschau

Nachricht: Die Waldbrände in Europa 2023 gehörten zu den schlimmsten des Jahrhunderts Reuters
Analyse: Wie der größte Eisberg der Welt wegdriftet BBC
Podcast: Was ist die grünste Form der Beerdigung? NPR
Recherche: Klimamigration in Thailand Carbon Brief
Analyse: Was Entwaldung in Kolumbien mit “Narcos” zu tun hat The New York Times
Analyse: Kohlenstoffbilanzierung von Wäldern ermöglicht es Guyana, trotz Förderung von Öl netto-null zu erreichen Climate Home News
Reportage: Vier überraschende Wege, wie Koalas gerettet werden könnten New York Times
Kommentar: Verkehrsminister Volker Wissing irritiert mit neuem Vorstoß: So irrsinnig ist ein Fahrverbot am Wochenende gar nicht Der Spiegel
Analyse: Passen Wachstum und Klimaschutz endlich zusammen? Süddeutsche Zeitung
Hintergrund: Die Rentner und Babys hinter einer neuen Ära von Klimaklagen Financial Times

Standpunkt

Miriam Saage-Maaß: Der EGMR hat eine große Chance verpasst

Von Miriam Saage-Maaß
Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR.

Mit seinem Urteil für die Schweizer Klima-Seniorinnen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der vergangenen Woche neue Maßstäbe gesetzt. Zugleich hat er eine große Chance für mehr Klimagerechtigkeit vertan, indem er die Beschwerde der portugiesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gar nicht erst zur Entscheidung zuließ.

Das Positive zuerst: Im Verfahren der Klima-Seniorinnen gegen die Schweiz legte der Gerichtshof fest, was nationale Verfassungsgerichte bereits entschieden hatten: Der Klimawandel ist eine Realität. Er bedroht die Menschenrechte. Weil Staaten die grundlegenden Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger schützen müssen, sind sie verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um klimaschädliche Emissionen mit Blick auf die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens zu reduzieren.

Zwar betrifft das Urteil nur die Schweiz unmittelbar. Aber es setzt Maßstäbe, die auch für alle Mitgliedstaaten des Europarats bindend sind. Auch Gerichte in anderen Ländern werden seine Argumente in ihrer Urteilsfindung beachten. Damit ist die Entscheidung des EGMR ein wegweisender Erfolg, der Klimaklagen in aller Welt stärken dürfte.

Die Klimakrise ist global – die Schutzpflicht kann nicht national bleiben

Doch das Gericht hätte viel mehr für das Klima erreichen können – wenn es gewagt hätte, die globale Dimension der Klimakrise so stark in seine Argumentation einfließen zu lassen, wie es inhaltlich geboten gewesen wäre.

Der Fall der Jugendlichen aus Portugal bot ihm dafür die ideale Gelegenheit. Die jungen Leute hatten vor dem EGMR geltend gemacht, dass ihre Menschenrechte nicht nur durch Portugal verletzt würden, sondern durch sämtliche 32 Mitgliedstaaten des Europarats, die alle die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet haben. Alle diese Staaten seien verantwortlich für den Klimawandel, so die Beschwerde. Damit stünden sie alle in der Pflicht, in ihrer Politik die Auswirkungen der Klimakrise auf junge Menschen in Portugal zu berücksichtigen.

Weil wir vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) dieses Argument für mehr extraterritoriale Pflichten der Staaten so richtungsweisend und wichtig finden, haben wir diese Beschwerde (ebenso wie die der Klima-Seniorinnen) auch in Form eines Amicus-Curiae-Briefs unterstützt.

Eine gerechte Verteilung der Klimaschutzpflichten

Nicht alle Menschen in Europa sind in gleichem Ausmaß von der Klimakrise betroffen. Die staatlichen Ressourcen, um effektiven Klimaschutz zu ermöglichen, sind sehr unterschiedlich verteilt. Portugal gehört zu den Ländern, die am stärksten unter der Klimakrise in Europa leiden, beispielsweise aufgrund von Waldbränden oder Hitzewellen. In Deutschland hingegen sind die Auswirkungen der Erderhitzung weit weniger zu spüren – zugleich trägt Deutschland weit mehr zum Klimawandel bei als Portugal, und es verfügt als wohlhabenderes Land über mehr Mittel zum Schutz der eigenen Bevölkerung.

Deshalb hatten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen argumentiert: Jeder Mitgliedstaat der EMRK muss nicht nur im Hinblick auf das eigene Territorium einen angemessenen Klimaschutz einführen, sondern auch im Hinblick auf die Bevölkerungen der anderen Mitgliedstaaten. Im Kern geht es hier um eine gerechte Verteilung der Klimaschutzpflichten.

Die deutsche Verantwortung für Portugal

Wäre der Gerichtshof ihrer Argumentation gefolgt, müsste die Bundesregierung jetzt deutlich schärfere Emissionsreduktionsziele formulieren – eben weil sie die Folgen ihrer Politik für in Portugal lebende Menschen mitbedenken müsste, nicht nur für die eigene Bevölkerung. Bekanntlich befand das Bundesverfassungsgericht in seinem eigenen Klimaurteil aus dem Jahr 2021, eine Erwärmung um maximal zwei Grad sei den Menschen in Deutschland noch zumutbar. Ob das der Fall ist, sei dahin gestellt. Aber in Portugal werden die Auswirkungen in jedem Fall viel schlimmer sein – und damit nicht zumutbar.

Während die Zahl von Extremwetterkatastrophen steigt, befinden sich viele EU-Mitglieder – inklusive Deutschland – eher auf einem Pfad hin zu drei Grad Erderwärmung. Angesichts dessen wäre eine Rechtsprechung bitter notwendig gewesen, die die menschenrechtliche Pflicht zum Klimaschutz auf ambitionierte Ziele festlegt und gerecht zwischen den Mitgliedstaaten verteilt. Als europäischer Gerichtshof wäre der EGMR in einer Position gewesen, das zu tun.

Der EGMR ist zu kurz gesprungen

Doch das Gericht entschied sich für den sicheren Weg. Es wies die Beschwerde aus Portugal ab, weil die bisherigen Kriterien für extraterritoriale Staatenpflichten nicht erfüllt seien. Auch in Zukunft können also portugiesische Bürgerinnen und Bürger nur von ihrem eigenen Staat verlangen, ihre grundlegenden Rechte zu schützen.

Zwar argumentiert der Gerichtshof damit rechtlich vertretbar. Aber er ignoriert in seinem Urteil, dass die Klimakrise sich nicht nach Staatsgrenzen richtet. Damit hat er die Chance verpasst, menschenrechtliche Maßstäbe für eine gerechte Verteilung der europaweiten Verantwortung von Staaten für die globalen Effekte des Klimawandels aufzustellen. Deswegen ist zu konstatieren: Es ist gut, dass der Gerichtshof klimapolitisch gesprungen ist. Angesichts der Herausforderungen sprang er aber leider zu kurz. 

Miriam Saage-Maaß ist Juristin und Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie den Programmbereich für Wirtschaft und Menschenrechte aufgebaut hat. Das ECCHR hat die Klimabeschwerden aus der Schweiz und Portugal vor dem EGMR unterstützt.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Manchmal kommen Gesetze genau dann, wenn keiner damit rechnet: Beim Klimaschutzgesetz war das am Montag der Fall. Morgens erklärte noch der Expertenrat für Klimafragen, warum es eine schlechte Idee ist, die verbindlichen Sektorziele abzuschaffen. Am Nachmittag kam dann die Nachricht, dass genau das beschlossen wurde. Malte Kreutzfeldt analysiert für Sie die Details.

    Anlässlich der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in dieser Woche, erklärt Ihnen Bernhard Pötter außerdem, wie es um den klimafreundlichen Umbau der internationalen Finanzarchitektur steht. In dem Zusammenhang schauen wir auch darauf, wie hohe Verschuldung die Klimainvestitionen von armen Ländern bremst.

    Zudem schauen wir mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der gerade auf Reisen ist, nach China: Das Land produziert inzwischen Solartechnik zu Dumping-Preisen. Wir erklären, wer davon profitiert. Und wir schauen nach Australien, wo die Regierung nun auch grüne Wirtschaftsförderungen à la IRA und Green Deal plant.

    Ihnen wünschen wir einen guten Wochenstart!

    Ihre
    Lisa Kuner
    Bild von Lisa  Kuner

    Analyse

    Gegen Expertenrat: Ampel streicht verbindliche Sektorziele aus dem Klimaschutzgesetz

    Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, Deutschland, Berlin, Gremiensitzung und Pressekonferenz der Freien Demokraten *** Volker Wissing, Federal Minister for Digital Affairs and Transport, Germany, Berlin, Committee meeting and press conference of the Free Democrats 15.01.2024
    Er hat sein Ziel erreicht: Volker Wissing muss die Klimaziele im Verkehrssektor weiterhin nicht einhalten

    An diesem Montag war zu erleben, wie schnell sich die politische Lage in Berlin ändern kann: Am Morgen hatte der Expertenrat bei der Vorstellung seines jüngsten Prüfberichts zur Klimabilanz 2023 in der Bundespressekonferenz noch einmal gute Gründe geliefert, warum die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes eine schlechte Idee ist: Dadurch werde “die spezifische Verantwortung eines Ministeriums” wegfallen, hatte Brigitte Knopf als stellvertretende Vorsitzende des Gremiums gewarnt. Zugleich hatte sie deutlich gemacht, dass – anders als von Verkehrsminister Volker Wissing in der vergangenen Woche behauptet – auch mit dem bestehenden Gesetz keineswegs Fahrverbote drohten, weil auch dieses schon einige Flexibilität bietet.

    Umwelt- und Klimaschutzverbände erhöhten daraufhin noch einmal den Druck und verlangten von den Grünen, der geplanten Novelle nicht zuzustimmen. “Wer ist das Problem? Volker Wissing – Was ist die Lösung? Klimaschutzgesetz”, skandierten Aktivistinnen und Aktivisten, unter ihnen Luisa Neubauer von Fridays vor Future, vor dem Haus der Bundespressekonferenz. Lutz Weischer von Germanwatch forderte: “Die jahresscharfen Sektor-Verantwortlichkeiten des Klimaschutzgesetzes müssen auch bei einer Novelle des Gesetzes erhalten bleiben. Sonst droht ein klimapolitischer Blindflug und ein teures Erwachen.”

    Denn auch wenn Deutschland die nationalen Sektorziele abschaffe, seien auf EU-Ebene hohe Zahlungen zu erwarten, wenn der Verkehrs- und der Gebäudesektor ihr Emissionen nicht stark reduzierten. Deshalb, so Weischer, müsse der Bundeskanzler “den Verhandelnden von SPD- und Grünen-Fraktion den Rücken stärken, die das Klimaschutzgesetz als Grundlage für planbaren und rechtssicheren Klimaschutz verteidigen.”

    Widersprüchliche Aussagen zur Verbindlichkeit der Sektorziele

    Wenige Stunden später war bereits klar, dass die Warnungen von Expertenrat und Verbänden kein Gehör fanden: Da vermeldeten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von SPD, FDP und Grünen in einer gemeinsamen Mitteilung eine Einigung über das Klimaschutzgesetz. Die Interpretation der Einigung fiel dabei mal wieder recht widersprüchlich aus: Während Lukas Köhler für die FDP “die Abschaffung der jährlichen Sektorziele” begrüßte, erklärte Julia Verlinden für die Grünen, der Gesetzentwurf “erneuert die Verbindlichkeit jedes Sektors”.

    Schriftlich gibt es den neuen Gesetzestext noch nicht. Doch die bisher vorliegenden Informationen zeigen, dass die FDP mit ihrer Interpretation sehr viel näher an der Wirklichkeit liegt als die Grünen. Zwar bleiben die Sektorziele im Gesetz stehen, sodass Transparenz darüber herrscht, wo es Defizite gibt. Doch dass der Verkehrssektor sein Ziel auch im Jahr 2023 wieder weit verfehlt hat, wie der Expertenrat am Montag noch einmal bestätigte, hat durch die Änderung keine direkte Konsequenz mehr.

    Denn die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Sofortprogramm verabschiedet werden muss, sind künftig völlig anders als bisher:

    • Es kommt nicht mehr darauf an, ob ein einzelner Sektor das Klimaziel erreicht, sondern ob es insgesamt erreicht wird. Wenn Sektoren wie Energie oder Industrie ihr Ziel übererfüllen, dürfen Sektoren wie Verkehr oder Gebäude also untätig bleiben, auch wenn sie ihre eigenen Ziele weit verfehlen.
    • Betrachtet werden künftig zudem nicht mehr die realen Emissionen des vergangenen Jahres, sondern die prognostizierten Emissionen bis 2030 – die stark von den gewählten Annahmen abhängen und damit erheblichen Unsicherheiten bergen.
    • Während bisher schon eine einmalige Verfehlung des Klimaziels zwingend Konsequenzen hat, muss die Regierung künftig erst handeln, wenn das Gesamtziel in der Prognose zweimal in Folge verfehlt wird. In dieser Legislaturperiode muss es damit definitiv kein Sofortprogramm mehr geben.

    Wissing muss keine Klagen mehr fürchten

    In der Vergangenheit war von den Grünen, unter anderem von Wirtschaftsminister Robert Habeck, argumentiert worden, dass die Änderung keinen großen Unterschied mache. Schließlich habe der Verkehrsminister sich auch unter der bisherigen Regelung keine wirksamen Maßnahmen vorgelegt, obwohl das Klimaziel in seinem Sektor auch in den beiden Vorjahren verfehlt wurde.

    Allerdings hat sich die Situation dadurch verändert, dass diese Untätigkeit mittlerweile zu mehreren Klagen geführt hatte. In erster Instanz war die Bundesregierung bereits verurteilt worden, die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen. Die Sache weiter auszusitzen, wäre darum unter dem bestehenden Gesetz nicht mehr lange möglich gewesen – was erklärt, warum Wissing in den letzten Tagen den Druck durch die Warnung vor angeblich drohenden Fahrverboten so erhöht hatte.

    Als große Verbesserung stellen die Grünen zudem dar, dass künftig – anders als im Kabinettsentwurf für das neue KSG vom vergangenen Sommer vorgesehen – nicht nur die voraussichtliche Einhaltung des Klimaziels für 2030 überprüft werden soll, sondern auch das Ziel für 2040. “Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren”, erklärte Julia Verlinden dazu. Allerdings gilt auch das erst für die ferne Zukunft: Nach Informationen aus Koalitionskreisen soll die Einhaltung des 2040-Ziels erstmals im Jahr 2030 überprüft werden, sodass Volker Wissing auch von dieser Regelung nichts zu befürchten hat.

    Solarpaket kommt ohne Resilienzbonus

    Was die Grünen für ihre Zustimmung zum aufgeweichten Klimaschutzgesetz tatsächlich bekommen haben, ist die Zustimmung der FDP zum Solarpaket 1. Dieses war vom Kabinett ebenfalls schon im Sommer 2023 verabschiedet worden; die FDP hatte ihre Zustimmung aber daran geknüpft, dass das Klimaschutzgesetz reformiert wird. Weil das Paket viele Erleichterungen für die Betreiber von Solaranlagen vorsieht, war es von der Branche dringend erwartet worden.

    Im Vergleich zur Kabinettsfassung sieht die Einigung der Fraktionen Änderungen bei vielen Details vor; die entscheidenden Punkte sind aber unverändert geblieben:

    • In Mehrfamilienhäusern kann der Strom von Solaranlagen im Rahmen der “gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung” künftig sehr viel einfacher an die Bewohner verkauft werden.
    • Balkonsolaranlagen dürfen künftig eine Wechselrichterleistung von bis zu 800 Watt haben und ihre Anmeldung wird stark vereinfacht. Zudem dürfen sie in Zukunft auch ohne digitalen Zähler betrieben werden; solange noch analoger Zähler vorhanden ist, darf dieser rückwärts laufen.
    • Die Kombination von PV-Anlagen und Landwirtschaft soll dadurch erleichtert werden, dass es gesonderte Ausschreibungen für Agri-PV gibt, bei denen höhere Vergütungen gezahlt werden.
    • Netzanschlüsse werden durch neue Vorgaben vereinfacht. Das Verlegen von Leitung wird dagegen nicht so stark vereinfacht wie im bisherigen Entwurf vorgesehen: Die Pflicht, das Verlegen von Leitungen zu dulden, soll nicht mehr für alle Grundstücke gelten, sondern nur noch für solche, die sich in öffentlichem Eigentum befinden.

    Der Wunsch der Grünen-Fraktion, in den Gesetzentwurf auch den sogenannten Resilienzbonus aufzunehmen, wurde nicht erfüllt. Dieser hätte bedeutet, dass Betreiber von Solaranlagen eine höhere Vergütung bekommen, sofern die Module in Europa hergestellt wurden. Darauf hatte unter anderem das Unternehmen Meyer Burger gedrängt und mit der Schließung von Standorten gedroht, falls die Forderung nicht erfüllt wird.

    Die FDP hatte jedoch schon länger angekündigt, eine solche Regelung nicht mittragen zu wollen; auch Teile der Solarbranche sahen sie kritisch, weil sie befürchteten, dass die Nachfrage dadurch sinken könnte, weil potenzielle Kunden auf heimische Solarmodule warten würden, die nicht ausreichend verfügbar seien. Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich ebenfalls für den Resilienzbonus eingesetzt hatte, will nach Informationen aus Ministeriumskreisen nun stattdessen versuchen, die heimische Solarindustrie im Rahmen des Net Zero Industry Act der EU zu fördern, der Investitionsförderung und verbesserte Kreditprogramme vorsieht.

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    • Net Zero Industry Act
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    Klimakurs der Weltbank: Wo der Umbau begonnen hat

    Die Chefs von Weltbank, Inter-American Development Bank und IWF: Ajay Banga, Ilan Goldfajn, Kristalina Georgieva.

    Wie stellt sich das globale Finanzsystem auf die Bekämpfung der Klimakrise ein? Das ist einer der zentralen Fragen für die Frühjahrstagung von Weltbankgruppe (WBG) und Internationalem Währungsfonds (IWF) diese Woche in Washington. Es zeigt sich: Der Umbau hat begonnen, steht aber noch am Anfang. Während Weltbank-Chef Ajay Banga betont, wie viel sich bereits bewege, monieren Kritiker, die Reformen seien zu langsam und nicht weitreichend genug.

    In den nächsten Jahren werden auf der einen Seite Finanzfragen die globale Klimapolitik dominieren und die Klimakrise anderseits die Finanzpolitik unter Druck setzen. Als zentral dabei gilt auch die Frage, wie Weltbank und multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) mit öffentlichen Klimahilfen, privaten Investitionen in den grünen Umbau und der Verschuldung der Entwicklungsländer umgehen. UN-Climate-Chef Simon Stiell hatte vor dem Treffen gemahnt, es blieben nur noch “zwei Jahre, um die Welt zu retten“. Das Finanztreffen sei keine “Generalprobe” und kein “Redefest”, die Staaten müssten “hunderte von Milliarden Dollar” an Klimafinanzierung aufbringen.

    Veränderungen bei Strukturen und Kapital

    Auf dem Herbsttreffen 2023 hatte die Weltbank Strukturveränderungen und ein neues Leitmotto beschlossen: Armut zu beenden “auf einem bewohnbaren Planeten“. Die Weltbank unternehme große Anstrengungen, um ihre neue Mission mit Leben zu füllen und die Bank zu reformieren, erklärte der seit Sommer 2023 amtierenden neue Chef Ajay Banga vor Beginn der Konferenz. “Jeden Dollar, den wir bekommen, werden wir im nächsten Jahrzehnt als Hebel für die sechs- bis achtfache Summe einsetzen”, versprach Banga.

    Eine Kapitalerhöhung der Bank, die viele Experten für nötig halten, ist derzeit wegen der geopolitischen Spannungen kaum durchzusetzen. Mit Blick auf die Klimakrise verändert die Weltbank aber intern ihre Strukturen und Prozesse:

    • Auf der COP28 hat Banga versprochen, ab 2025 den Anteil der jährlichen Finanzierung mit Klimabezug von 30 auf 45 Prozent zu steigern, je zur Hälfte für Anpassung und CO₂-Reduktion. Die Bearbeitungszeit für Anträge solle um ein Drittel auf ein Jahr verkürzt werden.
    • Die WBG bewertet jetzt alle Projekte in ihren Partnerländern mit einer neuen “Scorecard”, die statt unübersichtlichen 150 Indikatoren nur noch 22 enthält. Darunter auch etwa den Anteil erneuerbarer Energien, Treibhausgasbilanzen und Geschlechtergerechtigkeit und gesellschaftliche Ungleichheit. Das öffnet auch in der Weltbank die Debatte über höhere Abgaben auf Reiche und Reichtum, wie sie weltweit von NGOs und Ländern wie Brasilien gefordert wird.
    • Die WBG hat ihr Verhältnis von Eigenkapital zu Krediten (“Equity/Loan-Ratio”) von 20 auf 19 Prozent gesenkt. Damit soll sie über zehn Jahre insgesamt 40 Milliarden Dollar mehr für günstige Kredite zur Verfügung haben.
    • Die WBG schafft ab 1. Juli einheitliche Anforderungen für Garantien bei privaten Investitionen in allen ihren Banken. Damit soll es einfacher und transparenter werden, wie privates Geld mobilisiert wird. Der Bericht einer internen Arbeitsgruppe (“Private Sector Lab”) zum generellen Umgang mit Privatkapital steht aber noch aus. Die Garantien für solche Projekte sollen damit von derzeit etwa sechs Milliarden Dollar bis 2030 auf 20 Milliarden anwachsen.

    Sammelstellen für Klimahilfen

    • Auf einer “Global Solutions Acceleration Platform” wird zusätzliches Geld von Staaten eingesammelt, um Projekte mit regionalem oder globalen Nutzen zu unterstützen, etwa durch Investitionen in Klimaschutz. Deutschland hat diesen Topf angeregt und zu Beginn mit 305 Millionen Dollar gefüllt, die bis zu 2,5 Milliarden hebeln sollen – bei der Frühjahrstagung sollen etwa ein halbes Dutzend Industriestaaten der Plattfom beitreten und bis zu zehn Milliarden Dollar an neuen Hilfen ermöglichen.
    • Gleichzeitig soll ein “Liveable Planet FundKapital sammeln. Das soll in Form von “konzessionären” Zuwendungen als verbilligte Kredite unter dem jeweiligen Marktpreis vergeben werden.
    • Inzwischen hat die WBG über 40 “Country Climate Development Reports” erstellt, in denen die Experten der Bank Möglichkeiten aufzeigen, wie die Länder Wirtschaftswachstum mit Klimaschutz verbinden können.
    • Bereits im letzten Jahr hat die WBG “Climate Related Debt Clauses” eingeführt, mit denen Staaten ihren Schuldendienst aussetzen können, wenn ihre Wirtschaft durch die Klimaschocks wie Überschwemmungen oder Dürren getroffen wird.
    • Maßnahmen der “Balance Sheet Optimisation” sollen die Arbeit der Bank effizienter machen und bis zu 190 Milliarden Dollar mehr Kapital für die eigentlichen Aufgaben freimachen.
    • Die Schwesterorganisation IWF wiederum könnte ebenfalls zur Klimafinanzierung beitragen, meinen Experten: 100 Milliarden Dollar aus Sonderziehungsrechten der Staaten müssen nach IWF-Statuten an arme Länder verliehen werden – sie könnten etwa eingesetzt werden, um CO₂-Preise zu flankieren, Tarife für Erneuerbare einzuführen oder fossile Subventionen abzubauen.

    “In der Weltbank gibt es auch durch den neuen Präsidenten Banga großen Druck, diese Veränderungen umzusetzen”, sagt Michael Krake, deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank, gegenüber Table.Briefings. Es würden “Meilensteine” gesetzt, aber es warte noch viel Arbeit, denn es gehe darum, “die DNA einer Institution zu verändern”, die in diesem Jahr 80 Jahre alt wird.

    Kritik: Reform zulasten der Armen und öffentlichen Sektoren

    Kritiker dagegen sind skeptisch. Für sie wird eine “Chance auf eine tiefgreifende Reform der Weltbank vertan”, wie es die Entwicklungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) formuliert. Bangas Pläne einer “besseren Bank” zielten vor allem darauf ab, “mit weniger Aufwand und in kürzerer Zeit größere Mengen an Kapital zu vergeben”, ohne die Zielrichtung infrage zu stellen.

    Die Kritik bezieht sich vor allem auf diese Punkte:

    • Die Priorisierung privaten Kapitals bringe vor allem die Gefahr mit sich, dass Investitionen in Infrastruktur und Sozialwesen “an der Eigenlogik des Finanzsektors und der Generierung privater Profite” ausgerichtet würden – was zulasten der Armen und der öffentlichen Systeme gehen könne.
    • Es fehle ein Entschluss der Weltbank, in den eigenen Geschäften aus den Fossilen auszusteigen und nicht weiter die Klimakrise zu befeuern. Nach Angaben der Kampagnenplattform Big Shift Global unterstützte die Weltbank zwischen 2020 und 2022 jedes Jahr fossile Projekte, vor allem Gas, mit jährlich etwa 1,2 Milliarden Dollar. Banga erklärte die Förderung von Gasprojekten für vertretbar, wenn sie etwa die Nutzung von Kohle ersetzen.
    • Der stärkere Einsatz der Weltbank bei der Klimafinanzierung zementiere die Entscheidungsmacht in den Ländern, die als Haupteigentümer der WBG auch Hauptverursacher der Krise sind. Wie unbeliebt die Weltbank bei vielen Ländern im Globalen Süden ist, hat auch die Debatte um die Ansiedlung des neuen “Loss and Damage”-Fonds gezeigt.
    • Die Weltbank vergebe und unterstütze auch mit Klimahilfen vor allem Kredite, die die Schuldenkrise der ärmsten Länder weiter anheizen. Eine Reform der Entscheidungsprozesse in der Bankengruppe bleibe außen vor.

    Schließlich steht bis Ende des Jahres eine weitere Nagelprobe bevor, wie ernst es die Industrieländer mit der Hilfe für den Globalen Süden meinen. Im dreijährigen Rhythmus steht die 21. Auffüllungsrunde für die “International Development Association” (IDA) bevor. Welche Länder wie viel geben, wird eines der zentralen informellen Themen der Frühjahrstagung sein.

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    Entwicklungsländer profitieren von Chinas Solar-Dumping

    Solarmodule auf einem Lagerhaus in Johannesburg
    Chinas Dumpingpreise für grüne Technologien kommen Entwicklungsländern zugute. Solarmodule auf einem Lagerhaus in Johannesburg.

    Es ist eines der heißen Themen des Frühjahrs: Soll Deutschland die eigene Solarindustrie unterstützen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegen Chinas Dumping-Module zu bewahren? Die Frage dürfte auch auf Olaf Scholz‘ dreitägiger China-Reise ein Thema werden. Solarherstellern wie Meyer Burger macht die chinesische Konkurrenz große Sorgen. Die Installateure hingegen warnen vor Schutzmaßnahmen, die günstige China-Module verteuern und die Energiewende ausbremsen könnten.

    Chinas Überkapazitäten in grünen Industrien bereiten auch US-Politikerinnen und -politikern Kopfschmerzen. “Ich mache mir vor allem Sorgen über die globalen Auswirkungen der Überkapazitäten, die wir in China beobachten”, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen kürzlich bei der Eröffnung eines Werks für Solarmodule in den USA. Schon in der Vergangenheit habe die Unterstützung der chinesischen Regierung in Branchen wie Stahl und Aluminium zu erheblichen Überinvestitionen geführt. “Jetzt werden Überkapazitäten in ‘neuen’ Industrien wie Solar, E-Autos und Lithium-Ionen-Batterien aufgebaut.” Diese Warnung ist gerechtfertigt, denn insbesondere bei Batterien und Solaranlagen bestehen jetzt schon Überkapazitäten.

    Bereits letztes Jahr waren die chinesischen Produktionskapazitäten für Batterien mehr als doppelt so groß wie die Nachfrage. Und die Differenz wächst weiter: Nächstes Jahr wird die Kapazität dreimal so groß sein wie der Bedarf, wie Zahlen des britischen Branchendienstes CRU Group zeigen. Bei Solarpaneelen sieht es ähnlich aus: China hätte letztes Jahr genug Herstellungskapazität für Paneele mit einer Nennleistung von 861 Gigawatt gehabt. Global wurden allerdings nur 390 Gigawatt installiert. Das war ein neuer Rekord und übertraf die weltweiten Installationen im Vorjahr um knapp 40 Prozent. Aber selbst das hat nicht gereicht, um die in China bestehenden Herstellungskapazitäten auch nur annähernd auszulasten. Und diese werden weiter wachsen: Allein dieses Jahr sollen 500 bis 600 Gigawatt Produktionskapazität dazu kommen.

    Überkapazitäten und Preiskriege haben Methode

    Das zeigt sich an den Preisen: Solarzellen sind in den letzten zwölf Monaten um zwei Drittel billiger geworden. Bei Batterien sieht es ähnlich aus: Deren Preis hat sich letztes Jahr halbiert. Geholfen hat dabei der Preis für Lithium: Dieser stieg ab Mitte 2021 massiv an, erreichte Ende 2022 einen historischen Höchstwert und ist seither um mehr als 80 Prozent gefallen. Obwohl sich Lithium kaum weiter verbilligen dürfte, geht der Preisrutsch bei Batterien weiter. CATL, der chinesische Weltmarktführer bei Batterien, erwartet, dass sich die Preise dieses Jahr noch einmal halbieren. Damit zeichnet sich ein Preiskrieg ab, denn auch der zweitgrößte Batterieproduzent, der chinesische Autohersteller BYD, kürzt aggressiv die Kosten, um überleben zu können.

    Die Überkapazitäten und Preiskriege haben Methode: Chinas Regierung drosselt den Konsum zugunsten von Investitionen. Diese machen 42 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. In Deutschland ist es gerade mal die Hälfte. Diese Investitionen flossen lange Zeit vor allem in den Immobiliensektor und lösten dort einen gigantischen Boom aus – doch dieser ist vorbei. Jetzt werden Investitionen in die Industrie geleitet, sodass dort nun Überkapazitäten aufgebaut werden. “Im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften, die eine drastische Anpassung ihres Immobilienmarktes durchlaufen haben, geht die Investitionsrate in China nicht zurück”, sagt Frederic Neumann von der britischen Bank HSBC. “Stattdessen verlagern sich die Investitionen in Richtung Infrastruktur und vor allem in die verarbeitende Industrie.

    Kommt es zu einer Zweiteilung des Weltmarktes?

    Damit wiederholt sich die Geschichte – zumindest bei Solaranlagen. Nachdem Deutschland im Jahr 2000 eine Einspeisevergütung für Solar- und Windstrom einführte und Länder wie Spanien und Italien nachgezogen waren, entwickelte sich in Europa ein Markt für Solaranlagen. Diese konnten dadurch aus ihrer Marktnische ausbrechen und in den Massenmarkt wechseln. Doch der europäische Solarboom wurde dann von den Regierungen wieder abgewürgt. Seit einigen Jahren sorgt China für den nächsten Schritt in der Entwicklung des Solarmarkts: Mit Subventionen wie Steuererleichterungen oder billigen Krediten werden die Hersteller dazu angeregt, immer größere Fabriken zu bauen, um die Kosten weiter drücken zu können. 

    Für westliche Industriestaaten wie Deutschland ist das ein Problem, denn sie wollen ebenfalls Fertigungskapazitäten für Batterien und Solarpaneele aufbauen. Für andere Länder hingegen sind die chinesischen Überkapazitäten und die rapide fallenden Preise positiv, meint Gary Hufbauer vom US-Thinktank Peterson Institut: “Wenn China eine massive ‘Export-Lösung’ anstrebt, wird dies den Fertigungsunternehmen in Japan, der EU, Korea und anderen Industrieländern schaden. Aber niedrige Preise werden in vielen Entwicklungsländern in Lateinamerika, Afrika und Asien willkommen sein.”

    Im Gegensatz zu den Industriestaaten ist es für diese Länder illusorisch, viele Milliarden in eine eigene Fertigung zu investieren. Und so könnten Chinas Überkapazitäten schließlich zu einer Zweiteilung des Weltmarkts für Produkte wie Batterien und Solarpaneele führen: Die Industriestaaten schotten ihre Märkte ab, etwa mit Anti-Dumping-Zöllen, und bauen eigene Industrien auf. Und alle anderen Länder kaufen dankbar die sehr günstigen chinesischen Produkte. Wenn dadurch die globale Energiewende hin zu den Erneuerbaren beschleunigt wird, gäbe es zudem einen klaren Gewinner von Chinas Wirtschaftspolitik: das Klima.

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    News

    Studie: IPCC unterschätzt Kipppunkt-Risiko für Atlantikströmung

    Das Risiko eines Kipppunkts der Atlantikströmung AMOC sei “weit größer”, als im letzten IPCC-Bericht von 2021 angenommen wird. Das zeigen mehrere Studien, die seither veröffentlicht wurden. Zwar habe jede dieser Studien ihre Einschränkungen, schreibt der Ozeanologe Stefan Rahmstorf in einem neuen Überblicksartikel im Fachmagazin Oceanography. Sie würden aber alle in dieselbe Richtung deuten: “Das Risiko eines kritischen AMOC-Übergangs ist real und sehr ernst, auch wenn wir nicht mit Sicherheit vorhersagen können, wann und ob dies geschehen wird.”

    Einige der Studien, die sich Rahmstorf angesehen hat, hatten zuletzt für Diskussionen gesorgt. Kritisiert wurden etwa vereinfachte Modelle und Annahmen. Laut Rahmstorf, er forscht seit rund 30 Jahren zu Ozeanströmungen am Potsdam-Institut für Klimafolgen (PIK), würden aktuelle Klimamodelle das Risiko eines Kipppunkts aber eher unterschätzen als überschätzen.

    Kollaps der Atlantikströmung wäre “massives, globales Desaster”

    Die Atlantikströmung verlangsamt sich bereits als Folge des menschengemachten Klimawandels, denn sie wird durch Unterschiede in Wassertemperatur und -dichte angetrieben. Durch den Klimawandel schmilzt beispielsweise der Grönland-Eisschild, Süßwasser gelangt zunehmend in den Atlantik, der Salzgehalt sinkt und die Wasserdichte wird geringer. Dadurch wird die Atlantikströmung langsamer – bis sie unter Umständen schließlich stoppt. Das ist nicht die einzige Gefahr: Es gibt laut Rahmstorf auch eine zweite Möglichkeit für einen Kipppunkt der Atlantikströmung, die bisher kaum beachtet worden sei, obwohl mehrere Modelle darauf hinwiesen: Sie könnte auch dann kippen, wenn die Durchmischung von warmen und kalten Wasserschichten stoppt – ebenso eine Folge des sinkenden Salzgehalts und damit der Erderwärmung.

    Dieser zweite Kipppunkt vergrößere die Unsicherheit, ob und wann die Atlantikströmung kippt. Doch gerade, weil der letzte IPCC-Bericht nur ein “mittleres Vertrauen” für einen Kollaps noch in diesem Jahrhundert sieht, empfiehlt Rahmstorf, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln und rasch aus fossilen Brennstoffen auszusteigen: “Wir müssen 100 Prozent sicher sein, dass es nicht passiert.” Denn die seither veröffentlichten Studien zeigten: Das Risiko dafür sei “weit größer”, als bisher im IPCC-Bericht von 2021 angenommen. Und ein vollständiger AMOC-Kollaps wäre ein “massives, globales Desaster”. lb

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    Australien möchte mit Investitionsplan die grüne Industrie stärken

    Mindestens 18 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 16,9 Milliarden Euro) will Australien in den Ausbau von Wasserkraft, Solarenergie und Wasserstoff sowie in die heimische Produktion von grünen Technologien wie E-Autos und Halbleitern stecken. Das kündigte Premierminister Anthony Albanese (Labor-Partei) am Donnerstag in einer Rede an.

    Die Gelder für den “Future Made in Australia Act” sollen über Subventionen und Anreizmodelle bereitgestellt werden – ähnlich dem Green Deal der EU und dem Inflation Reduction Act in den USA. Auf die Bevölkerung gerechnet sind die geplanten Förderungen aber deutlich geringer.

    Subventionen sollen Wettbewerbsfähigkeit steigern

    Albanese sprach in seiner Rede unter anderem von einer “neuen, breiten Bereitschaft, wirtschaftliche Interventionen auf Grundlage nationaler Interessen und nationaler Souveränität vorzunehmen”. Der Investitionsplan sei allerdings keine Rückkehr zum Protektionismus, sondern eine neue Form des Wettbewerbs – etwa mit China, das bisher in vielen grünen Technologien den Markt beherrscht.

    Demnächst wird über den Investitionsplan im Parlament abgestimmt. Für eine Verabschiedung benötigt die regierende Labor-Partei auch Stimmen der Opposition. Australiens Klimaziele gelten einer Auswertung des Climate Action Trackers zufolge weiter als “unzureichend” – ähnlich wie jene der EU und USA. Der Investitionsplan könnte Australien näher auf Kurs bringen. Details dazu sollen erst in den kommenden Wochen, vor der Ankündigung des Budgets am 14. Mai, bekannt gegeben werden. rtr/lb

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    Tomlinson ist neuer Klimaminister in Großbritannien

    Justin Tomlinson von den Tories wird neuer Energieminister in Großbritannien. Er war früher Staatsminister im Ministerium für Arbeit und Rente und hat wenig Erfahrung mit dem Energiesektor. Tomlinson ist nun die elfte Person, die in zehn Jahren das Amt des Energieministers übernimmt.

    Ende der vergangenen Woche hatte der bisherige Energieminister Graham Stuart angekündigt, von seinem Posten in der Regierung von Premierminister Rishi Sunak zurückzutreten. Er wolle sich in Zukunft auf die Arbeit für seine Wähler in Nordirland konzentrieren. In der zweiten Jahreshälfte finden im Vereinigten Königreich Parlamentswahlen statt.

    Der Rücktritt von Stuart deute darauf hin, dass er sich Sorgen mache, ob er als Tory seinen Sitz bei der Wahl verteidigen könne, schreibt Bloomberg. Aktuell liegen die konservativen Tories in Umfragen weit hinter der liberaleren Labour-Partei. Viele Tory-Abgeordnete könnten darum bei den Wahlen ihre Sitze im Parlament verlieren. kul

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    SBTI macht Rückzieher: Keine Offsets erlaubt

    Mit einem Rückzieher von der Kehrtwende hat das Kuratorium der führenden Bewertungsplattform für die Klimawirksamkeit von Unternehmen, der “Science Based Targets Initiative” (SBTI), auf interne und externe Kritik an neuen Kriterien der Bewertung reagiert. “Es gibt keine Veränderung in den aktuellen Standards der SBTI”, heißt es nun in einer Erklärung des Gremiums, die am vergangenen Wochenende verbreitet wurde. Damit bleiben die bisherigen Maßstäbe gültig. Neue Richtlinien will die Initiative im Juli veröffentlichen.

    Kurz zuvor hatte eine Unterrichtung des Gremiums an die Mitarbeitenden für Aufruhr gesorgt. Demnach war geplant, dass SBTI in Zukunft auch CO₂-Kompensationen für “Scope 3”-Emissionen akzeptieren würde. Unternehmen könnten so die indirekten Emissionen auch aus dem Gebrauch ihrer Produkte ausgleichen und ihre Klimawirksamkeit herunterrechnen. Das Vorhaben hatte zu Protesten unter SBTI-Angestellten geführt, weil der technische Rat und das externe Beratungsgremium übergangen worden seien und die Integrität des Systems infrage gestellt sei. Ein Brief der Beschäftigten forderte den Rücktritt von CEO und Kuratorium.

    SBTI ist eine Initiative, die den Fortschritt von Unternehmen Richtung Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette begleitet und transparent macht. 5.000 Firmen lassen dort freiwillig ihre Arbeit auf dieser Grundlage bewerten. In der Vergangenheit hatte es bereits Kritik gegeben, SBTI zeige zu viel Nachsicht mit zweifelhaften Standards. bpo

    • CO2-Kompensationen
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    Klimainvestitionen könnten arme Länder in Insolvenz treiben

    47 Schwellen- und Entwicklungsländern droht in den nächsten Jahren die Insolvenz, da sie für die Ziele der Nachhaltigen Entwicklung (SDGs) ihre Investitionen erhöhen müssten. Das würde bis zu einer Milliarde Menschen betreffen, warnt eine neue Studie des Projekts “Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery”. Weitere 19 Länder wären zwar nicht direkt von einer Insolvenz bedroht, aber ihnen fehle trotzdem der nötige finanzielle Spielraum für Klima- und Entwicklungsinvestitionen.

    Die Länder leiden demnach unter Auslandsverschuldung in historischer Höhe und sind mit sehr hohen Zinssätzen und geringen Wachstumsaussichten konfrontiert. Schuldendienstzahlungen verdrängten deshalb Investitionen in Entwicklung und Klima. Bis 2030 müssten die Schwellen- und Entwicklungsländer jährlich zwei Billionen US-Dollar aus internen Quellen – und eine weitere Billion aus externen Quellen – mobilisieren, um die SDGs zu erreichen. Besonders betroffen wegen ihrer Überschuldung sind Länder im südlichen Afrika, in Südostasien und dem Pazifik. Dort hat sich die Lage zuletzt stark verschlechtert.

    Eine mögliche Lösung wäre laut der Studie ein Schuldenerlass für die armen Länder. Ein aktueller Bericht der britischen NGO International Institute for Environment and Development kommt zu dem Schluss, dass sogenannte “Debt-for-Nature-Swaps” in besonders überschuldeten Ländern über 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz mobilisieren könnten. Bei Debt-for-Nature-Swaps” bekommen Länder Schulden erlassen und verpflichten sich im Gegenzug zu Natur- oder Klimaschutz. Ein konkretes Beispiel dafür ist Ecuador, das sich bei einem solchen Tausch dazu verpflichtet hat, in den kommenden 20 Jahren in den Schutz der Galapagos-Inseln zu investieren. kul

    • Entwicklungszusammenarbeit
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    • Schulden

    Olympia in Paris erfüllt grünes Versprechen noch nicht

    Nur für rund ein Drittel der erwarteten CO₂-Emissionen durch die Olympischen Spiele in Paris diesen Sommer haben die Veranstalter eine nachhaltige Strategie zur Vermeidung oder Bemessung. Das geht aus einer Untersuchung der NGOs Carbon Market Watch und Éclaircies hervor. Zwar sei das Organisationskomitee von Paris mittlerweile bemüht, keine irreführenden Klimaneutralitäts-Behauptungen mehr aufzustellen, wie das noch zu Beginn der Planungen der Fall war. Jedoch seien umfassendere und grundlegende Maßnahmen erforderlich, um Olympische Spiele auf einen 1,5-Grad-Pfad zu bringen, schreiben die Autoren.

    Die Organisatoren haben für Paris ein Kohlenstoffbudget von 1,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent festgelegt, erinnert die Untersuchung. Somit wären die Spiele an der Seine verglichen mit London 2012 (3,3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent) und Rio 2016 (3,6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent) nur etwa halb so klimaschädlich. Die Autoren kritisieren jedoch, dass diese Zahlen nicht vollständig durch Maßnahmen hinterlegt seien.

    Anreise nach Paris stellt größtes Problem dar

    Vor allem die Minderung der Verkehrsemissionen (rund 40 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) würden kaum angegangen. Zwar würden Athleten und Zuschauer aufgefordert, mit dem Zug anzureisen. Dies rein “informelle Aufforderung” würde jedoch nur geringfügig und kaum messbar Emissionen einsparen. Auch für den Frachttransport gäbe es bislang nur Absichtserklärungen.

    Für Konsumprodukte (20 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) sowie die Energieversorgung (8 Prozent) fehlten ebenfalls verlässliche Informationen, ob die Minderungsziele der Veranstalter eingehalten würden, kritisieren die NGOs. Zwar sollten die Spielstätten vollständig mit erneuerbarer Energie versorgt werden, jedoch werde nicht angegeben, wie der Strom aus erneuerbaren Energiequellen beschafft werden soll. Somit sei nicht klar, ob lediglich Grünstrom-Zertifikate eingekauft würden oder ob es tatsächliche zusätzliche Erneuerbaren-Kapazitäten gibt.

    Die Autoren der Studie loben aber auch, dass sowohl beim Bau der Veranstaltungsstätten (30 Prozent des gesamten CO₂-Budgets) sowie bei der Lebensmittelversorgung (1 Prozent) “robuste Klimaschutzstrategien” vorlägen. Nur fünf Prozent der Spielstätten müssen neu gebaut werden, 70 Prozent bestehen bereits, 25 Prozent werden nur temporär aufgebaut. luk

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    Presseschau

    Nachricht: Die Waldbrände in Europa 2023 gehörten zu den schlimmsten des Jahrhunderts Reuters
    Analyse: Wie der größte Eisberg der Welt wegdriftet BBC
    Podcast: Was ist die grünste Form der Beerdigung? NPR
    Recherche: Klimamigration in Thailand Carbon Brief
    Analyse: Was Entwaldung in Kolumbien mit “Narcos” zu tun hat The New York Times
    Analyse: Kohlenstoffbilanzierung von Wäldern ermöglicht es Guyana, trotz Förderung von Öl netto-null zu erreichen Climate Home News
    Reportage: Vier überraschende Wege, wie Koalas gerettet werden könnten New York Times
    Kommentar: Verkehrsminister Volker Wissing irritiert mit neuem Vorstoß: So irrsinnig ist ein Fahrverbot am Wochenende gar nicht Der Spiegel
    Analyse: Passen Wachstum und Klimaschutz endlich zusammen? Süddeutsche Zeitung
    Hintergrund: Die Rentner und Babys hinter einer neuen Ära von Klimaklagen Financial Times

    Standpunkt

    Miriam Saage-Maaß: Der EGMR hat eine große Chance verpasst

    Von Miriam Saage-Maaß
    Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR.

    Mit seinem Urteil für die Schweizer Klima-Seniorinnen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der vergangenen Woche neue Maßstäbe gesetzt. Zugleich hat er eine große Chance für mehr Klimagerechtigkeit vertan, indem er die Beschwerde der portugiesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gar nicht erst zur Entscheidung zuließ.

    Das Positive zuerst: Im Verfahren der Klima-Seniorinnen gegen die Schweiz legte der Gerichtshof fest, was nationale Verfassungsgerichte bereits entschieden hatten: Der Klimawandel ist eine Realität. Er bedroht die Menschenrechte. Weil Staaten die grundlegenden Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger schützen müssen, sind sie verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um klimaschädliche Emissionen mit Blick auf die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens zu reduzieren.

    Zwar betrifft das Urteil nur die Schweiz unmittelbar. Aber es setzt Maßstäbe, die auch für alle Mitgliedstaaten des Europarats bindend sind. Auch Gerichte in anderen Ländern werden seine Argumente in ihrer Urteilsfindung beachten. Damit ist die Entscheidung des EGMR ein wegweisender Erfolg, der Klimaklagen in aller Welt stärken dürfte.

    Die Klimakrise ist global – die Schutzpflicht kann nicht national bleiben

    Doch das Gericht hätte viel mehr für das Klima erreichen können – wenn es gewagt hätte, die globale Dimension der Klimakrise so stark in seine Argumentation einfließen zu lassen, wie es inhaltlich geboten gewesen wäre.

    Der Fall der Jugendlichen aus Portugal bot ihm dafür die ideale Gelegenheit. Die jungen Leute hatten vor dem EGMR geltend gemacht, dass ihre Menschenrechte nicht nur durch Portugal verletzt würden, sondern durch sämtliche 32 Mitgliedstaaten des Europarats, die alle die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet haben. Alle diese Staaten seien verantwortlich für den Klimawandel, so die Beschwerde. Damit stünden sie alle in der Pflicht, in ihrer Politik die Auswirkungen der Klimakrise auf junge Menschen in Portugal zu berücksichtigen.

    Weil wir vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) dieses Argument für mehr extraterritoriale Pflichten der Staaten so richtungsweisend und wichtig finden, haben wir diese Beschwerde (ebenso wie die der Klima-Seniorinnen) auch in Form eines Amicus-Curiae-Briefs unterstützt.

    Eine gerechte Verteilung der Klimaschutzpflichten

    Nicht alle Menschen in Europa sind in gleichem Ausmaß von der Klimakrise betroffen. Die staatlichen Ressourcen, um effektiven Klimaschutz zu ermöglichen, sind sehr unterschiedlich verteilt. Portugal gehört zu den Ländern, die am stärksten unter der Klimakrise in Europa leiden, beispielsweise aufgrund von Waldbränden oder Hitzewellen. In Deutschland hingegen sind die Auswirkungen der Erderhitzung weit weniger zu spüren – zugleich trägt Deutschland weit mehr zum Klimawandel bei als Portugal, und es verfügt als wohlhabenderes Land über mehr Mittel zum Schutz der eigenen Bevölkerung.

    Deshalb hatten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen argumentiert: Jeder Mitgliedstaat der EMRK muss nicht nur im Hinblick auf das eigene Territorium einen angemessenen Klimaschutz einführen, sondern auch im Hinblick auf die Bevölkerungen der anderen Mitgliedstaaten. Im Kern geht es hier um eine gerechte Verteilung der Klimaschutzpflichten.

    Die deutsche Verantwortung für Portugal

    Wäre der Gerichtshof ihrer Argumentation gefolgt, müsste die Bundesregierung jetzt deutlich schärfere Emissionsreduktionsziele formulieren – eben weil sie die Folgen ihrer Politik für in Portugal lebende Menschen mitbedenken müsste, nicht nur für die eigene Bevölkerung. Bekanntlich befand das Bundesverfassungsgericht in seinem eigenen Klimaurteil aus dem Jahr 2021, eine Erwärmung um maximal zwei Grad sei den Menschen in Deutschland noch zumutbar. Ob das der Fall ist, sei dahin gestellt. Aber in Portugal werden die Auswirkungen in jedem Fall viel schlimmer sein – und damit nicht zumutbar.

    Während die Zahl von Extremwetterkatastrophen steigt, befinden sich viele EU-Mitglieder – inklusive Deutschland – eher auf einem Pfad hin zu drei Grad Erderwärmung. Angesichts dessen wäre eine Rechtsprechung bitter notwendig gewesen, die die menschenrechtliche Pflicht zum Klimaschutz auf ambitionierte Ziele festlegt und gerecht zwischen den Mitgliedstaaten verteilt. Als europäischer Gerichtshof wäre der EGMR in einer Position gewesen, das zu tun.

    Der EGMR ist zu kurz gesprungen

    Doch das Gericht entschied sich für den sicheren Weg. Es wies die Beschwerde aus Portugal ab, weil die bisherigen Kriterien für extraterritoriale Staatenpflichten nicht erfüllt seien. Auch in Zukunft können also portugiesische Bürgerinnen und Bürger nur von ihrem eigenen Staat verlangen, ihre grundlegenden Rechte zu schützen.

    Zwar argumentiert der Gerichtshof damit rechtlich vertretbar. Aber er ignoriert in seinem Urteil, dass die Klimakrise sich nicht nach Staatsgrenzen richtet. Damit hat er die Chance verpasst, menschenrechtliche Maßstäbe für eine gerechte Verteilung der europaweiten Verantwortung von Staaten für die globalen Effekte des Klimawandels aufzustellen. Deswegen ist zu konstatieren: Es ist gut, dass der Gerichtshof klimapolitisch gesprungen ist. Angesichts der Herausforderungen sprang er aber leider zu kurz. 

    Miriam Saage-Maaß ist Juristin und Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie den Programmbereich für Wirtschaft und Menschenrechte aufgebaut hat. Das ECCHR hat die Klimabeschwerden aus der Schweiz und Portugal vor dem EGMR unterstützt.

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    Climate.Table Redaktion

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