Table.Briefing: Climate

1,3 Billionen Dollar gegen Klimakrise + SBTI: Machtkampf um Offsets + 30 Prozent mehr Hitzetote in Europa

Liebe Leserin, lieber Leser,

Kurz nach der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank und kurz vor dem Petersberger Klimadialog in wenigen Tagen schauen wir genauer auf die Klimafinanzierung: Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt haben neue Zahlen, die Ergebnisse der Tagung und die Forderung der deutschen Klimagesandten Jennifer Morgan nach einer neuen Debatte zu dem Thema für Sie gesammelt.

Ebenfalls ums Geld geht es bei der Unruhe auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Unser Autor Tin Fischer erklärt im Detail, was hinter dem Streit innerhalb der Science Based Targets Initiative steckt – und warum die SBTI daran sogar zerbrechen könnte.

Außerdem berichten wir vom Zustand des Klimas in Europa, wie ihn der EU-Klimadienst Copernicus beschreibt. Und die Chefin der Stifung Klimawirtschaft, Sabine Nallinger erklärt im Standpunkt, warum Deutschland auch aus Klimagründen eine ambitionierte Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie braucht.

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Lisa Kuner
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Analyse

Verdopplung der globalen Klimagelder: ein Fortschritt, aber zu wenig für die Eindämmung des Klimawandels

Weltbank Frühjahrstagung 2024
Auch hier ging es um mehr Klimageld: Tagung von IWF und Weltbank Mitte April in Washington

Die weltweiten Finanzmittel für die Bekämpfung der Klimakrise haben sich im Zeitraum 2021/22 laut einer neuen Datensammlung praktisch verdoppelt: Die globalen jährlichen Ausgaben für CO₂-Minderung (Mitigation) und Anpassung (Adaptation) stiegen auf fast 1,3 Billionen Dollar gegenüber etwa 650 Milliarden im Zeitraum 2019/20, zeigt eine aktuelle Analyse der Climate Policy Initiative. Trotzdem, auch das belegen die Zahlen, liegen die Summen noch weit entfernt von den nötigen Mitteln für die Eindämmung des Klimawandels.

Berechnet wurden alle Ausgaben aus allen Quellen – also deutlich mehr als die 100 Milliarden Dollar, die von den Industrieländern für die Entwicklungsländer nach einem Versprechen von 2009 mobilisiert werden sollen. Größter Treiber der Verdopplung war demnach die Zunahme von Mitteln für Mitigation. Dabei flossen laut Statistik insgesamt unter anderem:

  • 100 Milliarden Dollar von Regierungen;
  • 238 Milliarden aus nationalen Entwicklungsbanken;
  • 93 Milliarden aus internationalen Entwicklungsbanken;
  • 235 Milliarden von kommerziellen Banken;
  • 184 Milliarden von Haushalten und Privatpersonen;
  • 192 Milliarden von Unternehmen.

Knapp ein Drittel des Zuwachses geht allerdings auf neue Berechnungsmethoden zurück, betont die Initiative. Gebraucht würden zudem etwa fünf bis acht Billionen jährlich, ab 2030 sogar zehn Billionen. “Die jährliche Klimafinanzierung muss sich mindestens und so schnell wie möglich verfünffachen, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern”, heißt es.

Außerdem verteilen sich die Investitionen ungleich: Etwa 90 Prozent der Mittel für Mitigation flossen in die USA, China, EU, Brasilien, Japan und Indien. Während die Sektoren Energie (44 Prozent) und Verkehr (29 Prozent) den größten Teil abbekamen, wurde der Sektor mit den nächstgrößten CO₂-Emissionen, die Landwirtschaft, nur mit vier Prozent bedacht.

Elf Milliarden zusätzlich für die Weltbank

Erst vergangene Woche war die Weltbank bei ihrer Frühjahrstagung auf verschiedenen Wegen mit mehr Kapital für ihre Arbeit zur Bekämpfung von Armut, Pandemien und Klimaschäden ausgerüstet worden. Etwa elf Milliarden Dollar mehr sollen der Bank nun zur Verfügung stehen, um bis zu 70 Milliarden zusätzlich über zehn Jahre an zinsgünstigen Krediten vergeben zu können.

Nach dem Beispiel von Deutschland, das diese Veränderung gefordert und mit einer frühen Zusage von 305 Millionen Dollar vorangetrieben hatte, stärkten auch Dänemark, Niederlande, Großbritannien, Lettland und Norwegen die Bank über “hybrides Kapital”. Die USA, Frankreich, Belgien und Japan wollen in eine “Garantieplattform” einzahlen. Das sei ein “starkes Zeichen der Solidarität”, sagte die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Es sei gelungen, die Weltbank “nicht nur besser, sondern auch größer zu machen”. Das zusätzliche Geld soll auch den Schutz von globalen Gemeingütern wie Klima und Artenvielfalt voranbringen.

Außerdem diskutiert wurden Ideen, wie künftig mehr Geld aus neuen Quellen für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Absicherung aufzutreiben wäre: Brasilien, derzeit mit dem G20-Vorsitz, hat eine Steuer auf extremen Reichtum vorgeschlagen; eine Task Force von Staaten wie Frankreich, Kenia und Barbados will bis zur COP30 2025 in Brasilien einen Vorschlag für globale Klimasteuern vorlegen, die etwa auf Schiffsverkehr, fossile Produktion oder Flugtickets erhoben werden könnten.

Bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gab es keine Einigung über die Nutzung von Sonderziehungsrechten (SDR) für Maßnahmen zu Schuldenentlastung und Klimaschutz. Allerdings wurden aus Anlass der Tagung Forderungen laut, auch der IWF müssen sein Handeln auf die Klimakrise ausrichten. Der ehemalige Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed, und Rakesh Mohan, ehemaliger Vizechef der indischen Zentralbank und Berater der Weltbank, forderten, die für eine zweite Amtszeit gewählte IWF-Chefin Kristalina Georgieva solle den IWF am Pariser Abkommen ausrichten, genug Kapital dafür zusammenbringen und die Stimmen der verletzlichsten Länder stärker berücksichtigen.

Beim Table.Briefings Live-Talk zur Klimafinanzierung begrüßte Jennifer Morgan, Staatssekretärin und Klimagesandte im Auswärtigen Amt, die jüngsten Entwicklungen. “Bei der Frühjahrstagung herrschte eine konstruktive Atmosphäre”, sagte sie. “Es gab eine Menge Fortschritt innerhalb kurzer Zeit.” Morgan zeigte sich zudem optimistisch, dass in diesem Jahr die von den Industriestaaten zugesagten 100 Milliarden Dollar erstmals erreicht werden. “Wir warten auf die offiziellen Zahlen”, sagte sie. “Aber den Projektionen zufolge ist es wahrscheinlich, dass es erreicht wird.”

Oxfam: Fortschritte sind zu langsam

Jan Kowalzig, Finanzexperte der Hilfsorganisation Oxfam, stimmte zu, dass es Fortschritte gegeben habe; neben den Finanzzusagen gehöre dazu die neue Regel, wonach Schuldenzahlungen im Fall von Klimakatastrophen ausgesetzt werden können. Kowalzig betonte aber stärker die Versäumnisse. “Der Fortschritt ist zu langsam”, lautete sein Fazit. Er kritisierte zudem die Argumentation, dass im deutschen Haushalt aufgrund der Schuldenbremse nicht genug Geld zur Klimaschutz-Finanzierung vorhanden sei. “Es ist eine politische Entscheidung, dass wir es durch den Verzicht auf eine Vermögenssteuer erlauben, dass extrem Reiche nicht an den Kosten beteiligt werden”, sagte er.

Einigkeit gab es bei der Forderung, dass künftig auch wohlhabende Schwellenländer sich an der Finanzierung von internationalem Klimaschutz beteiligen sollen. Das werde in dieser Woche auch Thema beim Petersberger Klimadialog sein, kündigte Morgan an. Auch Kowalzig hält dies für sinnvoll; Voraussetzung dafür sei aber, dass zunächst die Industriestaaten ihren Verpflichtungen nachkommen. “Das wäre als Signal wichtig, um bei diesem Thema Fortschritte zu erreichen.”

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CO₂-Kompensation: Was hinter dem Streit bei der SBTI steckt

Wald in Thailand
Regenwald in Thailand: Waldschutz ist bei Kompensationsprojekten besonders umstritten.

In der weltweit wichtigsten Zertifizierungsinitiative für Klimaziele von Unternehmen, der “Science Based Targets Initiative” (SBTI), zeichnet sich ein tiefer Riss ab. Der aktuelle Streit um die Zulassung von CO₂-Kompensationen zum Erreichen von Klimaneutralität spaltet die Organisation in zwei Lager: Die einen, die eher an marktgetriebenen Modellen interessiert sind, und die anderen, für die die wissenschaftliche Integrität der SBTI über allem steht.

Das SBTI-Siegel soll sicherstellen, dass Klimaziele von Unternehmen ambitioniert und wissenschaftlich fundiert sind – also frei von Greenwashing. Der Standard gilt als streng. Finanziell getragen wird SBTI vor allem vom Bezos Earth Fund, der Stiftung des Amazon-Gründers, sowie der IKEA Foundation. Einer der wichtigsten Partner ist der WWF. 

Mehr als 5.000 Unternehmen weltweit haben mit SBTI mittlerweile ihre Klimaziele definiert. Konzerne aus unterschiedlichsten Branchen sind dabei, von Apple über Bayer bis hin zu Edeka und IKEA. Was SBTI entscheidet, hat Konsequenzen für den Weltmarkt. Eigentlich haben der Bezos Earth Fund, 2020 mit zehn Milliarden Dollar gegründet, und der WWF das gleiche Ziel: den Schutz der Natur und den Kampf gegen den Klimawandel. Uneins sind sie sich mitunter in der Wahl der Mittel. Entlang dieser Linie zieht sich der Riss. 

Zertifikate für Klimaziele von Unternehmen

Der Bezos Earth Fund treibt den Handel mit CO₂-Zertifikaten massiv voran, vor allem in den Bereichen erneuerbare Energie und Waldschutz. Er ist Mitgründer des Energy Transition Accelerators, der mit CO₂-Zertifikaten die globale Energiewende voranbringen soll. US-Konzerne wie Walmart oder McDonald’s sind dabei. Und natürlich Amazon. 

Der öffentlich-privaten LEAF Coalition kann man eine gewisse Nähe zum Bezos Earth Fund zumindest unterstellen: Amazon ist Mitgründer und treibende Kraft der Initiative. Die globale Initiative von Regierungen und Unternehmen will mindestens eine Milliarde US-Dollar für den Schutz der tropischen Regenwälder sammeln. Unternehmen sollen Waldschutz-Zertifikate, die auf dem ART TREE-Standard basieren, über die Plattform der LEAF Coalition im großen Stil erwerben können. Bei diesem werden nicht nur einzelne Schutzgebiete, sondern die Wälder ganzer Regionen und Staaten in Kompensationsprojekte verwandelt.

“Der Bezos Earth Fund ist ein großer Unterstützter des Energy Transition Accelerators und der LEAF Coalition, also zwei Initiativen, die ziemlich große Mengen an CO₂-Zertifikaten generieren werden. Diese müssen irgendwo verkauft werden”, sagt Gilles Dufrasne von der NGO Carbon Market Watch. “Wenn also SBTI Unternehmen ermutigen würde, Zertifikate zu kaufen, würde das logisch zusammenpassen”, meint er. Vor allem diesem Umfeld ist der Vorstoß zuzurechnen, der die SBTI jetzt erschüttert: Nämlich dass Zertifikate unter bestimmten Umständen für die Erreichung der Klimaziele der Unternehmen verwendet werden dürfen.

Streit um Scope 3 Emissionen

Der WWF ist – über Gold Standard – zwar ebenfalls in der Zertifizierung von Kompensationsprojekten tätig, die von der SBTI-Entscheidung profitieren könnten. Er gilt aber zugleich als Kritiker der Märkte. Gold Standard zertifiziert zum Beispiel keine Waldschutz-Projekte wie jene von ART TREE, weil ihre Zertifikate auf hypothetischen, schwer messbaren Abholzungsszenarien basieren. In einem Statement spricht der WWF von “begründeten Zweifel bezüglich der schlechten Erfolgsbilanz der CO₂-Zertifikate” und verlangt, dass SBTI “robuste wissenschaftsbasierte Prozesse” einhält. 

Diese Prozesse sind das wertvollste Gut der SBTI. Die Standards “prüfen und genehmigen” soll ein unabhängiger technischer Rat, heißt es in den Regeln. Zertifikate lehnte er bislang ab. “SBTI vertrat die harte Haltung, dass es nicht erlaubt ist, Zertifikate den Klimazielen anzurechnen. Von Unternehmen wurde zwar erwartet, dass sie externe Projekte unterstützen, aber sie nicht anrechnen”, sagt Robert Höglund, ein Experte für Carbon Removals, der für SBTI pro bono als technischer Berater tätig ist. 

Erstaunlich war daher vor zwei Wochen eine plötzliche Ankündigung des Kuratoriums, das zwar die Gesamtverantwortung trägt, aber nicht für technische Entscheidungen zuständig ist: Zertifikate “könnten als zusätzliches Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels dienen” und würden deshalb für Scope 3 Emissionen zugelassen.

Glaubwürdigkeit von Organisationen steht infrage

Mitarbeitende der SBTI reagierten mit einem Brandbrief, wonach der technische Rat “weder informiert noch konsultiert” worden sei und diese “wichtige Entscheidung” nicht abgesegnet habe. Der Kompensationsmarkt dagegen ist begeistert. Nach einem Jahr der Skandale und Turbulenzen könnte die Entscheidung ein Game-Changer sein. Von einem “enormen Boost” schrieb etwa David Antonioli, ehemaliger Chef vom Zertifizierer Verra, unter deren Aufsicht die meisten Waldschutz-Zertifikate ausgestellt werden.

Die Entscheidung entzweit aber nicht nur Markt und Mitarbeitende sowie Bezos Fund und den WWF. Sie wird auch zum Test für die zahlreichen NGOs und Institute, die beratend für die SBTI tätig sind und ihr damit Glaubwürdigkeit leihen. Stephan Singer vom Climate Action Network hat die Organisation mittlerweile verlassen. Andere hadern. 

“Im Moment denken wir: Es sind viele gute Leute unter den Mitarbeitenden, die mit ihrem Engagement und ihrer Integrität beeindrucken”, sagt Dufranse von Carbon Market Watch, die ebenfalls für SBTI beratend tätig sind. “Wir sehen eine Rolle darin, zu bleiben und klarzumachen, dass es nicht akzeptabel ist, wie die Prozesse aktuell laufen.” Die NGO aus Brüssel fordert, dass die Entscheidung des Kuratoriums zurückgenommen wird. 

Doch danach sieht es nicht aus. Am Freitag legte die Leitung von SBTi nach und erklärte die Zertifikate-Frage zu einer “strategischen” – also nicht im Kompetenzbereich des technischen Rats. Im Juli wolle man Entwürfe vorlegen, wie der Einsatz von Zertifikaten aussehen kann. Sollten gewichtige NGOs die Organisation dann verlassen, bricht die SBTI auseinander und der Welt fehlt ein Siegel für verlässliche Klimaziele. Tin Fischer

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News

Habeck stellt Label für emissionsarmen Stahl vor

Mit dem “Low Emission Steel Standard (LESS)” hat Wirtschaftsminister Robert Habeck zusammen mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl auf der Hannover Messe ein Kennzeichnungssystem für grünen Stahl vorgestellt. Mehr als 60 Vertreter aus Politik, Industrie und Wissenschaft waren dem Branchenverband zufolge an der Entwicklung des neuen Standards beteiligt.

Für die LESS-Klassifizierung werden sowohl die Menge an emittiertem CO₂ pro Tonne Stahl als auch der prozentuale Einsatz von Schrottstahl berücksichtigt. Vorgesehen ist eine stufenförmige Skala von A bis E. Dabei bezeichnet E den herkömmlichen Hochofenstahl und A einen besonders CO₂-armen Stahl.

Der Thinktank Agora Industrie war bereits Ende des vergangenen Jahres in einer Analyse zu dem Ergebnis gekommen, dass Label für klimafreundlichen Stahl “dringend notwendig” seien, um Transparenz und Vertrauen zu schaffen und damit die Nachfrage anzuschieben. Die NGO Germanwatch bewertet das neue Label als einen ersten wichtigen Schritt zur Transformation der Stahlindustrie und eine Grundlage für die Dekarbonisierung der Branche. Gut sei, dass es sowohl die Verwendung von Schrottstahl berücksichtige als auch die Messlatte für emissionsreduzierten Primärstahl hoch hänge. Problematisch sei aber, dass Primärstahl trotz höherer CO₂-Emissionen im LESS-System ein besseres Label erhalten könnte als recycelter Sekundärstahl, so Germanwatch.

Die Dekarbonisierung des Stahlsektors ist eine der großen Herausforderungen der Klimapolitik. Der Sektor verursacht nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl jährlich 55 Millionen Tonnen CO₂ und ist für ein Drittel der deutschen Industrie-Emissionen verantwortlich. dpa/kul

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Klimaschutzgesetz: Änderungsantrag liegt vor

Eine Woche nach der politischen Einigung über die Novelle des Klimaschutzgesetzes liegt nun der entsprechende Änderungsantrag der Ampel-Fraktionen vor. Wie angekündigt werden darin auf Wunsch der FDP die verbindlichen Jahresziele für die einzelnen Sektoren abgeschafft. Die Grünen hatten dabei betont, dass im Gegenzug eine neue Regelung ins Gesetz aufgenommen wird, die für die Jahre von 2030 bis 2040 eine Überprüfung der jährlichen Klimaschutzziele sicherstellen soll.

Wie der Gesetzentwurf jetzt zeigt, sind diese aber frühestens für die übernächste Regierung relevant, weil die neue Regelung erst ab 2030 greift. Und selbst das ist nicht gesichert: Die FDP hat im Gegenzug eine Klausel in den Entwurf verhandelt, wonach im Jahr 2028 überprüft wird, ob deutsche Jahresziele angesichts der Ausweitung des EU-Emissionshandels nach 2031 überhaupt noch gebraucht werden.

Auch die angekündigte stärkere Berücksichtigung der Sektorziele auf EU-Ebene im Gesetz fällt in der Praxis wenig verbindlich aus. Zwar soll folgende Vorgabe ins Gesetz aufgenommen werden: “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, einen Ankauf von Emissionszuweisungen zur Erfüllung der Pflichten nach der Europäischen Klimaschutzverordnung zu vermeiden.” Falls absehbar ist, dass das nicht gelingt, ist die Regierung aber lediglich verpflichtet, den Expertenrat für Klimafragen und den Bundestag darüber zu unterrichten. Verabschiedet werden soll das Gesetz im Bundestag noch in dieser Woche. mkr

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EU-Klimadienst: 2023 so viele Hitzetage in Europa wie noch nie

Die vergangenen elf Monate waren über ganz Europa gemittelt überdurchschnittlich warm. Insgesamt war das Jahr 2023 je nach Datensatz das zweitwärmste oder wärmste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen und um 2,3 Grad Celsius heißer als ohne Klimawandel. Nie zuvor wurden mehr Tage mit “extremer Hitzebelastung” verzeichnet. In den letzten 20 Jahren sei die Zahl der hitzebedingten Todesfälle im Schnitt um 30 Prozent gestiegen.

Das zeigt der jährliche Bericht zum Zustand des Klimas in Europa des EU-Klimadienstes Copernicus. “2023 war ein komplexes und vielschichtiges Jahr”, sagte der Direktor von Copernicus, Carlo Buontempo. “Es gab in Europa die größten jemals aufgezeichneten Waldbrände, eines der feuchtesten Jahre, schwere marine Hitzewellen und weit verbreitete verheerende Überschwemmungen.” Insgesamt werden die wetter- und klimabedingten Schäden auf weit mehr als zehn Milliarden Euro geschätzt. Mit weiteren Rekorden und Extremwetterereignissen sei zu rechnen, solange sich die Erderwärmung fortsetzt, warnt der Klimadienst.

Alpine Gletscher schrumpften in zwei Jahren um zehn Prozent

Die weiteren Ergebnisse des Klimaberichts für 2023:

  • 1,6 Millionen Menschen waren von Überflutungen betroffen und mehr als eine halbe Million Menschen von Stürmen.
  • Insgesamt fiel sieben Prozent mehr Regen als im Durchschnitt.
  • Die Hochwasserschwelle wurde in einem Drittel des Flussnetzes in Europa überschritten.
  • Schwere Überflutungen gab es unter anderem in Italien und Griechenland. Ende des Jahres waren Teile Norddeutschlands betroffen.
  • Die Meere rund um die europäischen Küsten waren im Mittel so warm wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen.
  • In den Jahren 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Alpen rund zehn Prozent ihres Volumens.
  • In den heißen Sommern 2003, 2010 und 2022 starben Schätzungen zufolge zwischen 55.000 und 72.000 Menschen an den Folgen von Hitzewellen.
  • Besonders starke Extremwetterereignisse hat der Klimadienst Copernicus in einer Karte verzeichnet.

Bessere Nachrichten gibt es hingegen von der Energiewende. Im Jahr 2023 war die Bedingungen zur Herstellung von Ökostrom sehr günstig, heißt es im Bericht. Der Anteil am Strommix war mit 43 Prozent so hoch wie nie zuvor. dpa/lb

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Vernichtendes Zeugnis für Fortschritte beim Verbrenner-Aus

Der Europäische Rechnungshof sieht das Jahr 2026 als entscheidend für die Dekarbonisierung von Pkw an und zieht eine nüchterne Bilanz zu den bisherigen Fortschritten bei der Abkehr vom Verbrennungsmotor. Nikolaos Milionis, Mitglied des Rechnungshofs für Griechenland, fragte bei der Vorstellung des Berichts des Rechnungshofes, ob die EU-Regulierung bislang einen Beitrag dazu geleistet habe, die tatsächlichen Emissionen des Verkehrs im Zuge des Green Deals zu verringern. “Die Antwort, fürchte ich, ist ein klares Nein.”

Konventionelle Autos mit Verbrennertechnologie machten immer noch drei Viertel der Neuzulassungen aus und verursachten in etwa genauso viel CO₂-Emissionen wie vor zwölf Jahren. Emissionen seien allenfalls zurückgegangen, wenn man sie im Labor messe. Der Unterschied zwischen Laborergebnissen und tatsächlichen Emissionen betrage 24 Prozent bei Benzinern, 18 Prozent bei Diesel und 250 Prozent bei Plug-in-Hybrids.

Alternative Kraftstoffe seien allerdings keine Lösung. Biokraftstoffe böten keine “glaubwürdige und zuverlässige” Alternative zu herkömmlichen Kraftstoffen. Es gebe nicht genügend Garantien, dass sie die Umwelt schonten. Außerdem seien sie nicht kostengünstig verfügbar. Auf synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) ging er nicht ein. “Wie ich es sehe, sind batteriebetriebene Pkw die einzige Lösung, um den Pkw-Bestand zu dekarbonisieren.”

E-Autos unerschwinglich

Annemie Turtelboom, Mitglied für Belgien, fügte hinzu: “Das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 bedeutet, dass in einem Jahrzehnt deutlich mehr batterieelektrische Autos verkauft werden müssen.” Aber die 27 Mitgliedstaaten kämpften immer noch damit, die Geschwindigkeit für den Markthochlauf von E-Autos zu erhöhen. In Deutschland sei etwa der Absatz von E-Autos rückläufig, in Belgien und Frankreich steige er immerhin.

Die Verbraucher in der EU benötigten erschwingliche E-Autos. Dafür, so Turtelboom weiter, müssten die Preise halbiert werden. “Auch öffentliche Subventionen scheinen kein brauchbares politisches Instrument zu sein, um eine Massenverwendung von E-Autos zu erreichen.” Unter dem Strich, so das Fazit der beiden Mitglieder des Rechnungshofes: “Für weite Kreise der Bevölkerung sind E-Autos schlicht unerschwinglich.” In vielen Ländern der EU sei zudem die Ladeinfrastruktur nicht zufriedenstellend. “Obwohl die EU vor kurzem die Hälfte des Zieles von einer Million Ladepunkten bis 2025 erreicht hat, ist die geografische Verteilung sehr ungleichmäßig.” mgr

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  • E-Autos
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  • Verbrenner-Aus

Umfrage: Deutsche sehen Lebensstandard und Jobs durch Energiewende gefährdet

Deutschland ist eines von wenigen Ländern, in denen sich die Menschen weniger um Klimaschäden sorgen und vielmehr um negative Auswirkungen der Energiewende – obwohl Klimaschäden sechsmal teurer als Klimaschutz werden könnten. Auch Jobs, Stromkosten und Wirtschaftswachstum würden von der Energiewende eher negativ als positiv beeinflusst werden, so die Meinung vieler Deutscher. Eine knappe Mehrheit lehnt zudem höhere Steuern zur Bewältigung des Klimawandels ab.

Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Ipsos, die in 33 Ländern zwischen Januar und Februar 2024 durchgeführt wurde. Demnach denken Deutsche seltener als Befragte anderen Ländern, die Energiewende habe positive Effekte auf Natur (55 vs. 63 Prozent), Luftqualität (54 vs. 65 Prozent) und Bekämpfung des Klimawandels (48 vs. 63 Prozent).

Weiteres zeigt die Umfrage für Deutschland:

  • Klimakrise ist noch zu bewältigen: 49 Prozent sehen den Klimawandel noch als zu bewältigen. 23 Prozent denken hingegen, er sei außer Kontrolle – darunter vor allem junge Männer.
  • Steuersenkungen als Anreiz: 39 Prozent würden durch Steuersenkungen eher klimafreundlicher konsumieren. In Südkorea wäre das für 57 Prozent ein Anreiz, in Thailand nur für 24 Prozent.
  • Zusätzliche Steuern werden mehrheitlich abgelehnt: Mehr Steuern befürworten dagegen 21 Prozent; 54 Prozent lehnen dies ab. Ähnlich sind die Werte auch in anderen europäischen Ländern. In Indien wären hingegen 71 Prozent bereit, mehr Steuern zu bezahlen.
  • Wirtschaftsaussichten sind getrübt: 47 Prozent fürchten negative Auswirkungen auf Lebenshaltungskosten, 40 Prozent auf Stromkosten und jede dritte Person sieht das Wirtschaftswachstum bedroht. In den meisten anderen Staaten – vor allem in Brasilien, Indonesien und der Türkei – überwiegen hingegen die erwarteten positiven Auswirkungen.

Zudem meint jede dritte Person in Deutschland, dass angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht der richtige Zeitpunkt für Investitionen in Klimaschutz sei. Auch das Eurobarometer zeigte vor einigen Tagen, dass Klimaschutz derzeit wieder von anderen Themen verdrängt wird. lb

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  • Umfrage

Schottland streicht Klimaziel für 2030

Schottlands Regierung hat vergangene Woche angekündigt, das Klimaziel von 2030 gänzlich zu streichen. Bisher war darin vorgesehen, die Emissionen um 75 Prozent – verglichen mit 1990 – zu verringern. Die jährlichen Emissionsziele sollen ebenso wegfallen. Ersetzt werden sie durch sogenannte “Kohlenstoffbudgets”, in denen nur alle fünf Jahre eine fixe Emissionsmenge festgelegt ist. Diese werden bereits verwendet, um die Emissionen von Großbritannien zu messen.

Hinter der Entscheidung stecken laut der schottischen Regierung Budgetkürzungen in London und eine allgemein sinkende Ambition der britischen Klimapolitik. Das erklärte Klimaministerin Mairi McAllan von der linksliberalen Schottischen Nationalpartei (SNP) nach Angaben der Press Association. Zuvor hatte bereits ein Bericht des unabhängigen Climate Change Committee (CCC), das die britische Regierung berät, gewarnt: Schottlands Klimaziel für 2030 sei “nicht länger glaubwürdig”.

Das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 soll hingegen weiter gelten. Zudem plane die Regierung weitere Klimaschutzmaßnahmen, darunter höhere Abgaben im Verkehrssektor. Umweltschutzorganisationen wie Friends of the Earth Scotland kritisierten bereits, der Schritt sei die “schlimmste Entscheidung für die Umwelt in der Geschichte des schottischen Parlaments”. Auch der Vorsitzende von CCC, Piers Forster, sprach von einer “zutiefst enttäuschenden” Entscheidung, wie der Guardian berichtete. Die Grünen, die mit der SNP in Koalition sind, erklärten, ihre Rolle in der Regierung überdenken zu wollen. rtr/lb

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  • Klimaziele
  • Schottland

Studie: Klimaschutz soll als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz

Die Kommunen in Deutschland rechnen mit steigenden Ausgaben für Klimaschutz und Klimaanpassung. Um die Maßnahmen langfristig abzusichern, hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland in einer Machbarkeitsstudie zwei Finanzierungsmöglichkeiten untersucht. Das Ergebnis: Eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz ist einer Umverteilung von Umsatzsteuereinnahmen eindeutig vorzuziehen.

Die Autoren der Studie argumentieren, dass die Finanzmittel im Rahmen einer Gemeinschaftsaufgabe effizient und flexibel dort eingesetzt werden könnten, wo Investitionen in den Klimaschutz notwendig sind und die größte Wirkung erzielen. Zudem sei es einfacher, finanzschwache Kommunen gezielt zu unterstützen. Die Umsatzsteuer würde dagegen nach starren Quoten verteilt und damit eher dem Gießkannenprinzip folgen.

“Es gilt, die Mittel dort einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden und die größte Klimaschutzwirkung erzielen”, erklärt Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik und Co-Autor der Studie. Die Gemeinschaftsaufgabe sei daher der beste Weg, wie Bund, Länder und Kommunen Klimaschutz gemeinsam vor Ort umsetzen können.

Eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe wäre zudem mit einem symbolträchtigen Bekenntnis zum ebenen-übergreifenden Klimaschutz verbunden. Sie könne perspektivisch zu einem neuen Ankerpunkt der föderalen Klimaschutzfinanzierung werden, heißt es in der Studie. Denn eine Vielzahl bestehender Förderprogramme könne sukzessive in den neuen Rahmen überführt werden.

“Wir planen und setzen die Wärme- und Verkehrswende um. Wir machen uns auf den Weg und gestalten die Zukunft, aber durch Mangel an Geld und Personal kommen wir nicht schnell genug voran”, kritisiert Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln und Vorsitzender des Klima-Bündnisses, dem mit fast 2.000 Mitgliedskommunen größten europäischen Städtenetzwerk für Klimaschutz. “Deswegen unterstützen wir die Forderung nach einer Gemeinschaftsaufgabe – denn Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe”, betont Wolter. ch

  • Klimafinanzierung
  • Klimaschutz

Presseschau

Hintergrund: Wie man fünf der größten Desinformationstaktiken der fossilen Brennstoffindustrie erkennt The Guardian
Analyse: Was die indischen Wahlprogramme zu Klima und Energie sagen CarbonBrief
Faktencheck: Cloud-Seeding hat das Unwetter in Dubai nicht ausgelöst Tagesschau
Analyse: Korallenriffe steuern wegen globaler Erwärmung auf die schlimmste Massenbleiche seit Beginn der Aufzeichnungen zu The Guardian
Analyse: Wälder und Buschland sterben im ausgedörrten Westaustralien The Conversation
Nachricht: Ecuador ruft wegen Hitze Energienotstand aus Reuters
Analyse: Europäischer Emissionshandel fängt weniger als ein Viertel der Emissionen von Fluggesellschaften auf Financial Times
Nachricht: Dürre treibt Millionen Menschen im südlichen Afrika in den “akuten Hunger” New York Times
Nachricht: Mehr als 130 Tote nach Regen und Stürmen in Pakistan und Afghanistan New York Times
Analyse: Wie der Staat CO₂-Ausstoß belohnt Die Zeit

Standpunkt

Ohne zügige Regulierungen kommt die Kreislaufwirtschaft nicht voran

Von Sabine Nallinger
Von 2008 bis 2020 saß Sabine Nallinger im Münchener Stadtrat für Bündnis 90/Die Grünen.

Weniger Emissionen, weniger Ressourcenverbrauch, mehr Wachstum und eine bessere Versorgung mit kritischen Rohstoffen – mit dem Hochlauf der Kreislaufwirtschaft verbinden sich in Deutschland viele Hoffnungen. Geht es etwa ums CO₂, könnte die Circular Economy zu deutlichen Einsparungen bei schwer vermeidbaren Industriemissionen führen. So ließen sich laut Agora Industrie die Gesamtemissionen der Stahl-, Zement- und Kunststoffbranche mittels Kreislaufwirtschaft um ganze 25 Prozent senken. Und das bereits bis 2030, da viele der Lösungen technisch ausgereift und leicht skalierbar sind. Soweit die Theorie. In der Praxis fehlt es Unternehmen jedoch noch an verlässlichen Rahmenbedingungen, um ihre Investitionen zu tätigen. Ob Produktpässe, Recyclingquoten oder das Vergaberecht – die Liste mit den ungeklärten Fragen ist lang.

Recyclingquoten nach Augenmaß

Dabei hat die Circular Economy eigentlich das Potenzial, zum echten Boom-Markt zu werden. Ab 2030 jährlich zwölf Milliarden Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung, schätzt zum Beispiel der BDI. Weniger CO₂, mehr Wachstum – eine seltene Kombination, weshalb sich die Stiftung KlimaWirtschaft mit ihren Förderunternehmen für eine möglichst ambitionierte Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) einsetzt.

Ein wichtiger Pfeiler dabei könnten verbindliche Recyclingquoten sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es leistungsstarke Rücklaufsysteme für alle Rohstoffarten gibt, um Unternehmen mit ausreichend Rezyklaten zu versorgen. Ist dies nicht der Fall, droht die Gefahr, dass Produkte absichtlich vor Ende ihrer Nutzungsdauer recycelt werden, nur um die Quoten zu erfüllen. Betroffen hiervon sind vor allem langlebige Produkte und Materialien, bei denen die Nachfrage nach Rezyklaten die Verfügbarkeit deutlich übersteigt. Um diesen Fehlanreiz zu verhindern, braucht es rohstoffspezifische Quoten nach Augenmaß, die in engem Austausch mit den jeweils betroffenen Branchen festgelegt werden. Ebenfalls wichtig, um die Rezyklat-Knappheit zu beseitigen: ein Abbau rechtlicher Hemmnisse beim Abfallende.

Vom Abfall zum Rohstoff

Ob Stahlschwämme, Kupferschrott oder Plastikmüll – Abfälle sind das Rohstofflager der Zukunft. Sie als solches zu nutzen, ist allerdings gar nicht so leicht, da der Übergang vom Abfall- ins Produktrecht noch immer mit vielen Hürden verbunden ist. Anders als Rohstoffe aus dem Tagebau, die problemlos überall eingesetzt werden können, müssen Rohstoffe aus dem Recycling vor ihrer Nutzung zahlreiche Genehmigungen durchlaufen. Umwelttechnisch ist das nachvollziehbar, im Ergebnis führt diese Praxis allerdings zu einem enormen Flaschenhals bei Rezyklaten.

Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, braucht es vor allem bei für die Transformation kritischen Rohstoffen mehr Pragmatismus und eine rechtliche Abkehr vom Abfallbegriff. Wesentliche Vorarbeit hierfür wurde von der EU bereits mit dem Do-No-Significant-Harm-Prinzip geleistet. Der Ansatz, der für die Taxonomie bereits genutzt wird, sollte auch für die NKWS als Blaupause dienen.

Ohne Produktpässe kein Urban Mining

Ein weiteres Handlungsfeld der NKWS sind digitale Produktpässe. Mit ihnen soll der Übergang eines Produkts von seiner Nutzungsphase in das Recycling planbarer gemacht werden. In der Baubranche ließe sich so zum Beispiel nachvollziehen, welche Rohstoffe in welchen Gebäuden wie lange gebunden sind. Das Ziel: Den Rohstoffbedarf künftig am Rezyklat-Angebot ausrichten und die Stadt so in eine Rohstoffmine verwandeln. Urban Mining statt planlosem Abreißen und Neubauen.

Erste Pilotprojekte dieser Art werden von unseren Förderunternehmen bereits realisiert. Um das Konzept im großen Maßstab umzusetzen, fehlt es jedoch noch an einheitlichen Normen. Wann gilt ein Material als zirkulär, wie wird Zirkularität gemessen und wie sollen die Daten gespeichert werden? Um Insellösungen zu vermeiden, braucht es Standards und eine zentrale Daten-Plattform.

Öffentliche Vergabe nach Zirkularitätskriterien

Zudem wäre für die Baubranche auch eine stärkere Ausrichtung der Vergabepraxis auf Kreislaufwirtschaft wichtig. Aktuell werden Lebenszykluskosten hier kaum berücksichtigt, was dazu führt, dass kurzfristig günstigere Optionen den langlebigeren Kreislauflösungen vorgezogen werden. Schlecht für modulares Bauen und teuer bei der Entsorgung. Bei Vergaben sollte neben dem Preis deshalb künftig auch auf Zirkularität geachtet werden.

Wie bei allen Themen der NKWS gehen dabei Tempo und Planbarkeit vor Perfektionismus. Ziel der Bundesregierung für diese Legislatur sollte deshalb sein, neben der NKWS auch erste Gesetze zu verabschieden. Dann kann Deutschland auch noch die von Olaf Scholz geforderte internationale Vorreiterrolle im Bereich der Kreislaufwirtschaft einnehmen.

Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft, einer klimapolitischen Initiative von Vorstandsvorsitzenden, Geschäftsführer:innen und Familienunternehmer:innen.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    Ebenfalls ums Geld geht es bei der Unruhe auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Unser Autor Tin Fischer erklärt im Detail, was hinter dem Streit innerhalb der Science Based Targets Initiative steckt – und warum die SBTI daran sogar zerbrechen könnte.

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    Verdopplung der globalen Klimagelder: ein Fortschritt, aber zu wenig für die Eindämmung des Klimawandels

    Weltbank Frühjahrstagung 2024
    Auch hier ging es um mehr Klimageld: Tagung von IWF und Weltbank Mitte April in Washington

    Die weltweiten Finanzmittel für die Bekämpfung der Klimakrise haben sich im Zeitraum 2021/22 laut einer neuen Datensammlung praktisch verdoppelt: Die globalen jährlichen Ausgaben für CO₂-Minderung (Mitigation) und Anpassung (Adaptation) stiegen auf fast 1,3 Billionen Dollar gegenüber etwa 650 Milliarden im Zeitraum 2019/20, zeigt eine aktuelle Analyse der Climate Policy Initiative. Trotzdem, auch das belegen die Zahlen, liegen die Summen noch weit entfernt von den nötigen Mitteln für die Eindämmung des Klimawandels.

    Berechnet wurden alle Ausgaben aus allen Quellen – also deutlich mehr als die 100 Milliarden Dollar, die von den Industrieländern für die Entwicklungsländer nach einem Versprechen von 2009 mobilisiert werden sollen. Größter Treiber der Verdopplung war demnach die Zunahme von Mitteln für Mitigation. Dabei flossen laut Statistik insgesamt unter anderem:

    • 100 Milliarden Dollar von Regierungen;
    • 238 Milliarden aus nationalen Entwicklungsbanken;
    • 93 Milliarden aus internationalen Entwicklungsbanken;
    • 235 Milliarden von kommerziellen Banken;
    • 184 Milliarden von Haushalten und Privatpersonen;
    • 192 Milliarden von Unternehmen.

    Knapp ein Drittel des Zuwachses geht allerdings auf neue Berechnungsmethoden zurück, betont die Initiative. Gebraucht würden zudem etwa fünf bis acht Billionen jährlich, ab 2030 sogar zehn Billionen. “Die jährliche Klimafinanzierung muss sich mindestens und so schnell wie möglich verfünffachen, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern”, heißt es.

    Außerdem verteilen sich die Investitionen ungleich: Etwa 90 Prozent der Mittel für Mitigation flossen in die USA, China, EU, Brasilien, Japan und Indien. Während die Sektoren Energie (44 Prozent) und Verkehr (29 Prozent) den größten Teil abbekamen, wurde der Sektor mit den nächstgrößten CO₂-Emissionen, die Landwirtschaft, nur mit vier Prozent bedacht.

    Elf Milliarden zusätzlich für die Weltbank

    Erst vergangene Woche war die Weltbank bei ihrer Frühjahrstagung auf verschiedenen Wegen mit mehr Kapital für ihre Arbeit zur Bekämpfung von Armut, Pandemien und Klimaschäden ausgerüstet worden. Etwa elf Milliarden Dollar mehr sollen der Bank nun zur Verfügung stehen, um bis zu 70 Milliarden zusätzlich über zehn Jahre an zinsgünstigen Krediten vergeben zu können.

    Nach dem Beispiel von Deutschland, das diese Veränderung gefordert und mit einer frühen Zusage von 305 Millionen Dollar vorangetrieben hatte, stärkten auch Dänemark, Niederlande, Großbritannien, Lettland und Norwegen die Bank über “hybrides Kapital”. Die USA, Frankreich, Belgien und Japan wollen in eine “Garantieplattform” einzahlen. Das sei ein “starkes Zeichen der Solidarität”, sagte die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Es sei gelungen, die Weltbank “nicht nur besser, sondern auch größer zu machen”. Das zusätzliche Geld soll auch den Schutz von globalen Gemeingütern wie Klima und Artenvielfalt voranbringen.

    Außerdem diskutiert wurden Ideen, wie künftig mehr Geld aus neuen Quellen für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Absicherung aufzutreiben wäre: Brasilien, derzeit mit dem G20-Vorsitz, hat eine Steuer auf extremen Reichtum vorgeschlagen; eine Task Force von Staaten wie Frankreich, Kenia und Barbados will bis zur COP30 2025 in Brasilien einen Vorschlag für globale Klimasteuern vorlegen, die etwa auf Schiffsverkehr, fossile Produktion oder Flugtickets erhoben werden könnten.

    Bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gab es keine Einigung über die Nutzung von Sonderziehungsrechten (SDR) für Maßnahmen zu Schuldenentlastung und Klimaschutz. Allerdings wurden aus Anlass der Tagung Forderungen laut, auch der IWF müssen sein Handeln auf die Klimakrise ausrichten. Der ehemalige Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed, und Rakesh Mohan, ehemaliger Vizechef der indischen Zentralbank und Berater der Weltbank, forderten, die für eine zweite Amtszeit gewählte IWF-Chefin Kristalina Georgieva solle den IWF am Pariser Abkommen ausrichten, genug Kapital dafür zusammenbringen und die Stimmen der verletzlichsten Länder stärker berücksichtigen.

    Beim Table.Briefings Live-Talk zur Klimafinanzierung begrüßte Jennifer Morgan, Staatssekretärin und Klimagesandte im Auswärtigen Amt, die jüngsten Entwicklungen. “Bei der Frühjahrstagung herrschte eine konstruktive Atmosphäre”, sagte sie. “Es gab eine Menge Fortschritt innerhalb kurzer Zeit.” Morgan zeigte sich zudem optimistisch, dass in diesem Jahr die von den Industriestaaten zugesagten 100 Milliarden Dollar erstmals erreicht werden. “Wir warten auf die offiziellen Zahlen”, sagte sie. “Aber den Projektionen zufolge ist es wahrscheinlich, dass es erreicht wird.”

    Oxfam: Fortschritte sind zu langsam

    Jan Kowalzig, Finanzexperte der Hilfsorganisation Oxfam, stimmte zu, dass es Fortschritte gegeben habe; neben den Finanzzusagen gehöre dazu die neue Regel, wonach Schuldenzahlungen im Fall von Klimakatastrophen ausgesetzt werden können. Kowalzig betonte aber stärker die Versäumnisse. “Der Fortschritt ist zu langsam”, lautete sein Fazit. Er kritisierte zudem die Argumentation, dass im deutschen Haushalt aufgrund der Schuldenbremse nicht genug Geld zur Klimaschutz-Finanzierung vorhanden sei. “Es ist eine politische Entscheidung, dass wir es durch den Verzicht auf eine Vermögenssteuer erlauben, dass extrem Reiche nicht an den Kosten beteiligt werden”, sagte er.

    Einigkeit gab es bei der Forderung, dass künftig auch wohlhabende Schwellenländer sich an der Finanzierung von internationalem Klimaschutz beteiligen sollen. Das werde in dieser Woche auch Thema beim Petersberger Klimadialog sein, kündigte Morgan an. Auch Kowalzig hält dies für sinnvoll; Voraussetzung dafür sei aber, dass zunächst die Industriestaaten ihren Verpflichtungen nachkommen. “Das wäre als Signal wichtig, um bei diesem Thema Fortschritte zu erreichen.”

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    CO₂-Kompensation: Was hinter dem Streit bei der SBTI steckt

    Wald in Thailand
    Regenwald in Thailand: Waldschutz ist bei Kompensationsprojekten besonders umstritten.

    In der weltweit wichtigsten Zertifizierungsinitiative für Klimaziele von Unternehmen, der “Science Based Targets Initiative” (SBTI), zeichnet sich ein tiefer Riss ab. Der aktuelle Streit um die Zulassung von CO₂-Kompensationen zum Erreichen von Klimaneutralität spaltet die Organisation in zwei Lager: Die einen, die eher an marktgetriebenen Modellen interessiert sind, und die anderen, für die die wissenschaftliche Integrität der SBTI über allem steht.

    Das SBTI-Siegel soll sicherstellen, dass Klimaziele von Unternehmen ambitioniert und wissenschaftlich fundiert sind – also frei von Greenwashing. Der Standard gilt als streng. Finanziell getragen wird SBTI vor allem vom Bezos Earth Fund, der Stiftung des Amazon-Gründers, sowie der IKEA Foundation. Einer der wichtigsten Partner ist der WWF. 

    Mehr als 5.000 Unternehmen weltweit haben mit SBTI mittlerweile ihre Klimaziele definiert. Konzerne aus unterschiedlichsten Branchen sind dabei, von Apple über Bayer bis hin zu Edeka und IKEA. Was SBTI entscheidet, hat Konsequenzen für den Weltmarkt. Eigentlich haben der Bezos Earth Fund, 2020 mit zehn Milliarden Dollar gegründet, und der WWF das gleiche Ziel: den Schutz der Natur und den Kampf gegen den Klimawandel. Uneins sind sie sich mitunter in der Wahl der Mittel. Entlang dieser Linie zieht sich der Riss. 

    Zertifikate für Klimaziele von Unternehmen

    Der Bezos Earth Fund treibt den Handel mit CO₂-Zertifikaten massiv voran, vor allem in den Bereichen erneuerbare Energie und Waldschutz. Er ist Mitgründer des Energy Transition Accelerators, der mit CO₂-Zertifikaten die globale Energiewende voranbringen soll. US-Konzerne wie Walmart oder McDonald’s sind dabei. Und natürlich Amazon. 

    Der öffentlich-privaten LEAF Coalition kann man eine gewisse Nähe zum Bezos Earth Fund zumindest unterstellen: Amazon ist Mitgründer und treibende Kraft der Initiative. Die globale Initiative von Regierungen und Unternehmen will mindestens eine Milliarde US-Dollar für den Schutz der tropischen Regenwälder sammeln. Unternehmen sollen Waldschutz-Zertifikate, die auf dem ART TREE-Standard basieren, über die Plattform der LEAF Coalition im großen Stil erwerben können. Bei diesem werden nicht nur einzelne Schutzgebiete, sondern die Wälder ganzer Regionen und Staaten in Kompensationsprojekte verwandelt.

    “Der Bezos Earth Fund ist ein großer Unterstützter des Energy Transition Accelerators und der LEAF Coalition, also zwei Initiativen, die ziemlich große Mengen an CO₂-Zertifikaten generieren werden. Diese müssen irgendwo verkauft werden”, sagt Gilles Dufrasne von der NGO Carbon Market Watch. “Wenn also SBTI Unternehmen ermutigen würde, Zertifikate zu kaufen, würde das logisch zusammenpassen”, meint er. Vor allem diesem Umfeld ist der Vorstoß zuzurechnen, der die SBTI jetzt erschüttert: Nämlich dass Zertifikate unter bestimmten Umständen für die Erreichung der Klimaziele der Unternehmen verwendet werden dürfen.

    Streit um Scope 3 Emissionen

    Der WWF ist – über Gold Standard – zwar ebenfalls in der Zertifizierung von Kompensationsprojekten tätig, die von der SBTI-Entscheidung profitieren könnten. Er gilt aber zugleich als Kritiker der Märkte. Gold Standard zertifiziert zum Beispiel keine Waldschutz-Projekte wie jene von ART TREE, weil ihre Zertifikate auf hypothetischen, schwer messbaren Abholzungsszenarien basieren. In einem Statement spricht der WWF von “begründeten Zweifel bezüglich der schlechten Erfolgsbilanz der CO₂-Zertifikate” und verlangt, dass SBTI “robuste wissenschaftsbasierte Prozesse” einhält. 

    Diese Prozesse sind das wertvollste Gut der SBTI. Die Standards “prüfen und genehmigen” soll ein unabhängiger technischer Rat, heißt es in den Regeln. Zertifikate lehnte er bislang ab. “SBTI vertrat die harte Haltung, dass es nicht erlaubt ist, Zertifikate den Klimazielen anzurechnen. Von Unternehmen wurde zwar erwartet, dass sie externe Projekte unterstützen, aber sie nicht anrechnen”, sagt Robert Höglund, ein Experte für Carbon Removals, der für SBTI pro bono als technischer Berater tätig ist. 

    Erstaunlich war daher vor zwei Wochen eine plötzliche Ankündigung des Kuratoriums, das zwar die Gesamtverantwortung trägt, aber nicht für technische Entscheidungen zuständig ist: Zertifikate “könnten als zusätzliches Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels dienen” und würden deshalb für Scope 3 Emissionen zugelassen.

    Glaubwürdigkeit von Organisationen steht infrage

    Mitarbeitende der SBTI reagierten mit einem Brandbrief, wonach der technische Rat “weder informiert noch konsultiert” worden sei und diese “wichtige Entscheidung” nicht abgesegnet habe. Der Kompensationsmarkt dagegen ist begeistert. Nach einem Jahr der Skandale und Turbulenzen könnte die Entscheidung ein Game-Changer sein. Von einem “enormen Boost” schrieb etwa David Antonioli, ehemaliger Chef vom Zertifizierer Verra, unter deren Aufsicht die meisten Waldschutz-Zertifikate ausgestellt werden.

    Die Entscheidung entzweit aber nicht nur Markt und Mitarbeitende sowie Bezos Fund und den WWF. Sie wird auch zum Test für die zahlreichen NGOs und Institute, die beratend für die SBTI tätig sind und ihr damit Glaubwürdigkeit leihen. Stephan Singer vom Climate Action Network hat die Organisation mittlerweile verlassen. Andere hadern. 

    “Im Moment denken wir: Es sind viele gute Leute unter den Mitarbeitenden, die mit ihrem Engagement und ihrer Integrität beeindrucken”, sagt Dufranse von Carbon Market Watch, die ebenfalls für SBTI beratend tätig sind. “Wir sehen eine Rolle darin, zu bleiben und klarzumachen, dass es nicht akzeptabel ist, wie die Prozesse aktuell laufen.” Die NGO aus Brüssel fordert, dass die Entscheidung des Kuratoriums zurückgenommen wird. 

    Doch danach sieht es nicht aus. Am Freitag legte die Leitung von SBTi nach und erklärte die Zertifikate-Frage zu einer “strategischen” – also nicht im Kompetenzbereich des technischen Rats. Im Juli wolle man Entwürfe vorlegen, wie der Einsatz von Zertifikaten aussehen kann. Sollten gewichtige NGOs die Organisation dann verlassen, bricht die SBTI auseinander und der Welt fehlt ein Siegel für verlässliche Klimaziele. Tin Fischer

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    News

    Habeck stellt Label für emissionsarmen Stahl vor

    Mit dem “Low Emission Steel Standard (LESS)” hat Wirtschaftsminister Robert Habeck zusammen mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl auf der Hannover Messe ein Kennzeichnungssystem für grünen Stahl vorgestellt. Mehr als 60 Vertreter aus Politik, Industrie und Wissenschaft waren dem Branchenverband zufolge an der Entwicklung des neuen Standards beteiligt.

    Für die LESS-Klassifizierung werden sowohl die Menge an emittiertem CO₂ pro Tonne Stahl als auch der prozentuale Einsatz von Schrottstahl berücksichtigt. Vorgesehen ist eine stufenförmige Skala von A bis E. Dabei bezeichnet E den herkömmlichen Hochofenstahl und A einen besonders CO₂-armen Stahl.

    Der Thinktank Agora Industrie war bereits Ende des vergangenen Jahres in einer Analyse zu dem Ergebnis gekommen, dass Label für klimafreundlichen Stahl “dringend notwendig” seien, um Transparenz und Vertrauen zu schaffen und damit die Nachfrage anzuschieben. Die NGO Germanwatch bewertet das neue Label als einen ersten wichtigen Schritt zur Transformation der Stahlindustrie und eine Grundlage für die Dekarbonisierung der Branche. Gut sei, dass es sowohl die Verwendung von Schrottstahl berücksichtige als auch die Messlatte für emissionsreduzierten Primärstahl hoch hänge. Problematisch sei aber, dass Primärstahl trotz höherer CO₂-Emissionen im LESS-System ein besseres Label erhalten könnte als recycelter Sekundärstahl, so Germanwatch.

    Die Dekarbonisierung des Stahlsektors ist eine der großen Herausforderungen der Klimapolitik. Der Sektor verursacht nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl jährlich 55 Millionen Tonnen CO₂ und ist für ein Drittel der deutschen Industrie-Emissionen verantwortlich. dpa/kul

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    Klimaschutzgesetz: Änderungsantrag liegt vor

    Eine Woche nach der politischen Einigung über die Novelle des Klimaschutzgesetzes liegt nun der entsprechende Änderungsantrag der Ampel-Fraktionen vor. Wie angekündigt werden darin auf Wunsch der FDP die verbindlichen Jahresziele für die einzelnen Sektoren abgeschafft. Die Grünen hatten dabei betont, dass im Gegenzug eine neue Regelung ins Gesetz aufgenommen wird, die für die Jahre von 2030 bis 2040 eine Überprüfung der jährlichen Klimaschutzziele sicherstellen soll.

    Wie der Gesetzentwurf jetzt zeigt, sind diese aber frühestens für die übernächste Regierung relevant, weil die neue Regelung erst ab 2030 greift. Und selbst das ist nicht gesichert: Die FDP hat im Gegenzug eine Klausel in den Entwurf verhandelt, wonach im Jahr 2028 überprüft wird, ob deutsche Jahresziele angesichts der Ausweitung des EU-Emissionshandels nach 2031 überhaupt noch gebraucht werden.

    Auch die angekündigte stärkere Berücksichtigung der Sektorziele auf EU-Ebene im Gesetz fällt in der Praxis wenig verbindlich aus. Zwar soll folgende Vorgabe ins Gesetz aufgenommen werden: “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, einen Ankauf von Emissionszuweisungen zur Erfüllung der Pflichten nach der Europäischen Klimaschutzverordnung zu vermeiden.” Falls absehbar ist, dass das nicht gelingt, ist die Regierung aber lediglich verpflichtet, den Expertenrat für Klimafragen und den Bundestag darüber zu unterrichten. Verabschiedet werden soll das Gesetz im Bundestag noch in dieser Woche. mkr

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    EU-Klimadienst: 2023 so viele Hitzetage in Europa wie noch nie

    Die vergangenen elf Monate waren über ganz Europa gemittelt überdurchschnittlich warm. Insgesamt war das Jahr 2023 je nach Datensatz das zweitwärmste oder wärmste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen und um 2,3 Grad Celsius heißer als ohne Klimawandel. Nie zuvor wurden mehr Tage mit “extremer Hitzebelastung” verzeichnet. In den letzten 20 Jahren sei die Zahl der hitzebedingten Todesfälle im Schnitt um 30 Prozent gestiegen.

    Das zeigt der jährliche Bericht zum Zustand des Klimas in Europa des EU-Klimadienstes Copernicus. “2023 war ein komplexes und vielschichtiges Jahr”, sagte der Direktor von Copernicus, Carlo Buontempo. “Es gab in Europa die größten jemals aufgezeichneten Waldbrände, eines der feuchtesten Jahre, schwere marine Hitzewellen und weit verbreitete verheerende Überschwemmungen.” Insgesamt werden die wetter- und klimabedingten Schäden auf weit mehr als zehn Milliarden Euro geschätzt. Mit weiteren Rekorden und Extremwetterereignissen sei zu rechnen, solange sich die Erderwärmung fortsetzt, warnt der Klimadienst.

    Alpine Gletscher schrumpften in zwei Jahren um zehn Prozent

    Die weiteren Ergebnisse des Klimaberichts für 2023:

    • 1,6 Millionen Menschen waren von Überflutungen betroffen und mehr als eine halbe Million Menschen von Stürmen.
    • Insgesamt fiel sieben Prozent mehr Regen als im Durchschnitt.
    • Die Hochwasserschwelle wurde in einem Drittel des Flussnetzes in Europa überschritten.
    • Schwere Überflutungen gab es unter anderem in Italien und Griechenland. Ende des Jahres waren Teile Norddeutschlands betroffen.
    • Die Meere rund um die europäischen Küsten waren im Mittel so warm wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen.
    • In den Jahren 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Alpen rund zehn Prozent ihres Volumens.
    • In den heißen Sommern 2003, 2010 und 2022 starben Schätzungen zufolge zwischen 55.000 und 72.000 Menschen an den Folgen von Hitzewellen.
    • Besonders starke Extremwetterereignisse hat der Klimadienst Copernicus in einer Karte verzeichnet.

    Bessere Nachrichten gibt es hingegen von der Energiewende. Im Jahr 2023 war die Bedingungen zur Herstellung von Ökostrom sehr günstig, heißt es im Bericht. Der Anteil am Strommix war mit 43 Prozent so hoch wie nie zuvor. dpa/lb

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    Vernichtendes Zeugnis für Fortschritte beim Verbrenner-Aus

    Der Europäische Rechnungshof sieht das Jahr 2026 als entscheidend für die Dekarbonisierung von Pkw an und zieht eine nüchterne Bilanz zu den bisherigen Fortschritten bei der Abkehr vom Verbrennungsmotor. Nikolaos Milionis, Mitglied des Rechnungshofs für Griechenland, fragte bei der Vorstellung des Berichts des Rechnungshofes, ob die EU-Regulierung bislang einen Beitrag dazu geleistet habe, die tatsächlichen Emissionen des Verkehrs im Zuge des Green Deals zu verringern. “Die Antwort, fürchte ich, ist ein klares Nein.”

    Konventionelle Autos mit Verbrennertechnologie machten immer noch drei Viertel der Neuzulassungen aus und verursachten in etwa genauso viel CO₂-Emissionen wie vor zwölf Jahren. Emissionen seien allenfalls zurückgegangen, wenn man sie im Labor messe. Der Unterschied zwischen Laborergebnissen und tatsächlichen Emissionen betrage 24 Prozent bei Benzinern, 18 Prozent bei Diesel und 250 Prozent bei Plug-in-Hybrids.

    Alternative Kraftstoffe seien allerdings keine Lösung. Biokraftstoffe böten keine “glaubwürdige und zuverlässige” Alternative zu herkömmlichen Kraftstoffen. Es gebe nicht genügend Garantien, dass sie die Umwelt schonten. Außerdem seien sie nicht kostengünstig verfügbar. Auf synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) ging er nicht ein. “Wie ich es sehe, sind batteriebetriebene Pkw die einzige Lösung, um den Pkw-Bestand zu dekarbonisieren.”

    E-Autos unerschwinglich

    Annemie Turtelboom, Mitglied für Belgien, fügte hinzu: “Das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 bedeutet, dass in einem Jahrzehnt deutlich mehr batterieelektrische Autos verkauft werden müssen.” Aber die 27 Mitgliedstaaten kämpften immer noch damit, die Geschwindigkeit für den Markthochlauf von E-Autos zu erhöhen. In Deutschland sei etwa der Absatz von E-Autos rückläufig, in Belgien und Frankreich steige er immerhin.

    Die Verbraucher in der EU benötigten erschwingliche E-Autos. Dafür, so Turtelboom weiter, müssten die Preise halbiert werden. “Auch öffentliche Subventionen scheinen kein brauchbares politisches Instrument zu sein, um eine Massenverwendung von E-Autos zu erreichen.” Unter dem Strich, so das Fazit der beiden Mitglieder des Rechnungshofes: “Für weite Kreise der Bevölkerung sind E-Autos schlicht unerschwinglich.” In vielen Ländern der EU sei zudem die Ladeinfrastruktur nicht zufriedenstellend. “Obwohl die EU vor kurzem die Hälfte des Zieles von einer Million Ladepunkten bis 2025 erreicht hat, ist die geografische Verteilung sehr ungleichmäßig.” mgr

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    Umfrage: Deutsche sehen Lebensstandard und Jobs durch Energiewende gefährdet

    Deutschland ist eines von wenigen Ländern, in denen sich die Menschen weniger um Klimaschäden sorgen und vielmehr um negative Auswirkungen der Energiewende – obwohl Klimaschäden sechsmal teurer als Klimaschutz werden könnten. Auch Jobs, Stromkosten und Wirtschaftswachstum würden von der Energiewende eher negativ als positiv beeinflusst werden, so die Meinung vieler Deutscher. Eine knappe Mehrheit lehnt zudem höhere Steuern zur Bewältigung des Klimawandels ab.

    Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Ipsos, die in 33 Ländern zwischen Januar und Februar 2024 durchgeführt wurde. Demnach denken Deutsche seltener als Befragte anderen Ländern, die Energiewende habe positive Effekte auf Natur (55 vs. 63 Prozent), Luftqualität (54 vs. 65 Prozent) und Bekämpfung des Klimawandels (48 vs. 63 Prozent).

    Weiteres zeigt die Umfrage für Deutschland:

    • Klimakrise ist noch zu bewältigen: 49 Prozent sehen den Klimawandel noch als zu bewältigen. 23 Prozent denken hingegen, er sei außer Kontrolle – darunter vor allem junge Männer.
    • Steuersenkungen als Anreiz: 39 Prozent würden durch Steuersenkungen eher klimafreundlicher konsumieren. In Südkorea wäre das für 57 Prozent ein Anreiz, in Thailand nur für 24 Prozent.
    • Zusätzliche Steuern werden mehrheitlich abgelehnt: Mehr Steuern befürworten dagegen 21 Prozent; 54 Prozent lehnen dies ab. Ähnlich sind die Werte auch in anderen europäischen Ländern. In Indien wären hingegen 71 Prozent bereit, mehr Steuern zu bezahlen.
    • Wirtschaftsaussichten sind getrübt: 47 Prozent fürchten negative Auswirkungen auf Lebenshaltungskosten, 40 Prozent auf Stromkosten und jede dritte Person sieht das Wirtschaftswachstum bedroht. In den meisten anderen Staaten – vor allem in Brasilien, Indonesien und der Türkei – überwiegen hingegen die erwarteten positiven Auswirkungen.

    Zudem meint jede dritte Person in Deutschland, dass angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht der richtige Zeitpunkt für Investitionen in Klimaschutz sei. Auch das Eurobarometer zeigte vor einigen Tagen, dass Klimaschutz derzeit wieder von anderen Themen verdrängt wird. lb

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    Schottland streicht Klimaziel für 2030

    Schottlands Regierung hat vergangene Woche angekündigt, das Klimaziel von 2030 gänzlich zu streichen. Bisher war darin vorgesehen, die Emissionen um 75 Prozent – verglichen mit 1990 – zu verringern. Die jährlichen Emissionsziele sollen ebenso wegfallen. Ersetzt werden sie durch sogenannte “Kohlenstoffbudgets”, in denen nur alle fünf Jahre eine fixe Emissionsmenge festgelegt ist. Diese werden bereits verwendet, um die Emissionen von Großbritannien zu messen.

    Hinter der Entscheidung stecken laut der schottischen Regierung Budgetkürzungen in London und eine allgemein sinkende Ambition der britischen Klimapolitik. Das erklärte Klimaministerin Mairi McAllan von der linksliberalen Schottischen Nationalpartei (SNP) nach Angaben der Press Association. Zuvor hatte bereits ein Bericht des unabhängigen Climate Change Committee (CCC), das die britische Regierung berät, gewarnt: Schottlands Klimaziel für 2030 sei “nicht länger glaubwürdig”.

    Das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 soll hingegen weiter gelten. Zudem plane die Regierung weitere Klimaschutzmaßnahmen, darunter höhere Abgaben im Verkehrssektor. Umweltschutzorganisationen wie Friends of the Earth Scotland kritisierten bereits, der Schritt sei die “schlimmste Entscheidung für die Umwelt in der Geschichte des schottischen Parlaments”. Auch der Vorsitzende von CCC, Piers Forster, sprach von einer “zutiefst enttäuschenden” Entscheidung, wie der Guardian berichtete. Die Grünen, die mit der SNP in Koalition sind, erklärten, ihre Rolle in der Regierung überdenken zu wollen. rtr/lb

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    Studie: Klimaschutz soll als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz

    Die Kommunen in Deutschland rechnen mit steigenden Ausgaben für Klimaschutz und Klimaanpassung. Um die Maßnahmen langfristig abzusichern, hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland in einer Machbarkeitsstudie zwei Finanzierungsmöglichkeiten untersucht. Das Ergebnis: Eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz ist einer Umverteilung von Umsatzsteuereinnahmen eindeutig vorzuziehen.

    Die Autoren der Studie argumentieren, dass die Finanzmittel im Rahmen einer Gemeinschaftsaufgabe effizient und flexibel dort eingesetzt werden könnten, wo Investitionen in den Klimaschutz notwendig sind und die größte Wirkung erzielen. Zudem sei es einfacher, finanzschwache Kommunen gezielt zu unterstützen. Die Umsatzsteuer würde dagegen nach starren Quoten verteilt und damit eher dem Gießkannenprinzip folgen.

    “Es gilt, die Mittel dort einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden und die größte Klimaschutzwirkung erzielen”, erklärt Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik und Co-Autor der Studie. Die Gemeinschaftsaufgabe sei daher der beste Weg, wie Bund, Länder und Kommunen Klimaschutz gemeinsam vor Ort umsetzen können.

    Eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe wäre zudem mit einem symbolträchtigen Bekenntnis zum ebenen-übergreifenden Klimaschutz verbunden. Sie könne perspektivisch zu einem neuen Ankerpunkt der föderalen Klimaschutzfinanzierung werden, heißt es in der Studie. Denn eine Vielzahl bestehender Förderprogramme könne sukzessive in den neuen Rahmen überführt werden.

    “Wir planen und setzen die Wärme- und Verkehrswende um. Wir machen uns auf den Weg und gestalten die Zukunft, aber durch Mangel an Geld und Personal kommen wir nicht schnell genug voran”, kritisiert Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln und Vorsitzender des Klima-Bündnisses, dem mit fast 2.000 Mitgliedskommunen größten europäischen Städtenetzwerk für Klimaschutz. “Deswegen unterstützen wir die Forderung nach einer Gemeinschaftsaufgabe – denn Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe”, betont Wolter. ch

    • Klimafinanzierung
    • Klimaschutz

    Presseschau

    Hintergrund: Wie man fünf der größten Desinformationstaktiken der fossilen Brennstoffindustrie erkennt The Guardian
    Analyse: Was die indischen Wahlprogramme zu Klima und Energie sagen CarbonBrief
    Faktencheck: Cloud-Seeding hat das Unwetter in Dubai nicht ausgelöst Tagesschau
    Analyse: Korallenriffe steuern wegen globaler Erwärmung auf die schlimmste Massenbleiche seit Beginn der Aufzeichnungen zu The Guardian
    Analyse: Wälder und Buschland sterben im ausgedörrten Westaustralien The Conversation
    Nachricht: Ecuador ruft wegen Hitze Energienotstand aus Reuters
    Analyse: Europäischer Emissionshandel fängt weniger als ein Viertel der Emissionen von Fluggesellschaften auf Financial Times
    Nachricht: Dürre treibt Millionen Menschen im südlichen Afrika in den “akuten Hunger” New York Times
    Nachricht: Mehr als 130 Tote nach Regen und Stürmen in Pakistan und Afghanistan New York Times
    Analyse: Wie der Staat CO₂-Ausstoß belohnt Die Zeit

    Standpunkt

    Ohne zügige Regulierungen kommt die Kreislaufwirtschaft nicht voran

    Von Sabine Nallinger
    Von 2008 bis 2020 saß Sabine Nallinger im Münchener Stadtrat für Bündnis 90/Die Grünen.

    Weniger Emissionen, weniger Ressourcenverbrauch, mehr Wachstum und eine bessere Versorgung mit kritischen Rohstoffen – mit dem Hochlauf der Kreislaufwirtschaft verbinden sich in Deutschland viele Hoffnungen. Geht es etwa ums CO₂, könnte die Circular Economy zu deutlichen Einsparungen bei schwer vermeidbaren Industriemissionen führen. So ließen sich laut Agora Industrie die Gesamtemissionen der Stahl-, Zement- und Kunststoffbranche mittels Kreislaufwirtschaft um ganze 25 Prozent senken. Und das bereits bis 2030, da viele der Lösungen technisch ausgereift und leicht skalierbar sind. Soweit die Theorie. In der Praxis fehlt es Unternehmen jedoch noch an verlässlichen Rahmenbedingungen, um ihre Investitionen zu tätigen. Ob Produktpässe, Recyclingquoten oder das Vergaberecht – die Liste mit den ungeklärten Fragen ist lang.

    Recyclingquoten nach Augenmaß

    Dabei hat die Circular Economy eigentlich das Potenzial, zum echten Boom-Markt zu werden. Ab 2030 jährlich zwölf Milliarden Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung, schätzt zum Beispiel der BDI. Weniger CO₂, mehr Wachstum – eine seltene Kombination, weshalb sich die Stiftung KlimaWirtschaft mit ihren Förderunternehmen für eine möglichst ambitionierte Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) einsetzt.

    Ein wichtiger Pfeiler dabei könnten verbindliche Recyclingquoten sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es leistungsstarke Rücklaufsysteme für alle Rohstoffarten gibt, um Unternehmen mit ausreichend Rezyklaten zu versorgen. Ist dies nicht der Fall, droht die Gefahr, dass Produkte absichtlich vor Ende ihrer Nutzungsdauer recycelt werden, nur um die Quoten zu erfüllen. Betroffen hiervon sind vor allem langlebige Produkte und Materialien, bei denen die Nachfrage nach Rezyklaten die Verfügbarkeit deutlich übersteigt. Um diesen Fehlanreiz zu verhindern, braucht es rohstoffspezifische Quoten nach Augenmaß, die in engem Austausch mit den jeweils betroffenen Branchen festgelegt werden. Ebenfalls wichtig, um die Rezyklat-Knappheit zu beseitigen: ein Abbau rechtlicher Hemmnisse beim Abfallende.

    Vom Abfall zum Rohstoff

    Ob Stahlschwämme, Kupferschrott oder Plastikmüll – Abfälle sind das Rohstofflager der Zukunft. Sie als solches zu nutzen, ist allerdings gar nicht so leicht, da der Übergang vom Abfall- ins Produktrecht noch immer mit vielen Hürden verbunden ist. Anders als Rohstoffe aus dem Tagebau, die problemlos überall eingesetzt werden können, müssen Rohstoffe aus dem Recycling vor ihrer Nutzung zahlreiche Genehmigungen durchlaufen. Umwelttechnisch ist das nachvollziehbar, im Ergebnis führt diese Praxis allerdings zu einem enormen Flaschenhals bei Rezyklaten.

    Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, braucht es vor allem bei für die Transformation kritischen Rohstoffen mehr Pragmatismus und eine rechtliche Abkehr vom Abfallbegriff. Wesentliche Vorarbeit hierfür wurde von der EU bereits mit dem Do-No-Significant-Harm-Prinzip geleistet. Der Ansatz, der für die Taxonomie bereits genutzt wird, sollte auch für die NKWS als Blaupause dienen.

    Ohne Produktpässe kein Urban Mining

    Ein weiteres Handlungsfeld der NKWS sind digitale Produktpässe. Mit ihnen soll der Übergang eines Produkts von seiner Nutzungsphase in das Recycling planbarer gemacht werden. In der Baubranche ließe sich so zum Beispiel nachvollziehen, welche Rohstoffe in welchen Gebäuden wie lange gebunden sind. Das Ziel: Den Rohstoffbedarf künftig am Rezyklat-Angebot ausrichten und die Stadt so in eine Rohstoffmine verwandeln. Urban Mining statt planlosem Abreißen und Neubauen.

    Erste Pilotprojekte dieser Art werden von unseren Förderunternehmen bereits realisiert. Um das Konzept im großen Maßstab umzusetzen, fehlt es jedoch noch an einheitlichen Normen. Wann gilt ein Material als zirkulär, wie wird Zirkularität gemessen und wie sollen die Daten gespeichert werden? Um Insellösungen zu vermeiden, braucht es Standards und eine zentrale Daten-Plattform.

    Öffentliche Vergabe nach Zirkularitätskriterien

    Zudem wäre für die Baubranche auch eine stärkere Ausrichtung der Vergabepraxis auf Kreislaufwirtschaft wichtig. Aktuell werden Lebenszykluskosten hier kaum berücksichtigt, was dazu führt, dass kurzfristig günstigere Optionen den langlebigeren Kreislauflösungen vorgezogen werden. Schlecht für modulares Bauen und teuer bei der Entsorgung. Bei Vergaben sollte neben dem Preis deshalb künftig auch auf Zirkularität geachtet werden.

    Wie bei allen Themen der NKWS gehen dabei Tempo und Planbarkeit vor Perfektionismus. Ziel der Bundesregierung für diese Legislatur sollte deshalb sein, neben der NKWS auch erste Gesetze zu verabschieden. Dann kann Deutschland auch noch die von Olaf Scholz geforderte internationale Vorreiterrolle im Bereich der Kreislaufwirtschaft einnehmen.

    Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft, einer klimapolitischen Initiative von Vorstandsvorsitzenden, Geschäftsführer:innen und Familienunternehmer:innen.

    • Circular Economy
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    Climate.Table Redaktion

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