CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 29. August 2026

„Kapitalmarkt ist kein Regionalgeschäft“

Warum Börsen kein Regionalgeschäft sind, warum Europa bei der Kapitalmarktunion stockt und wie die Börse Stuttgart mit Krypto und der Bison-App neue Wege geht – das erklärt der CEO der Boerse Stuttgart Matthias Voelkel im Interview.

Herr Voelkel, warum braucht es eigentlich noch eine Börse in Stuttgart?
Darf ich mit einer Gegenfrage starten? Wo sitzt die größte Börsengruppe der Welt?

In New York.

Das sagen die meisten. Tatsächlich ist die ICE die größte Börsengruppe der Welt, und deren Hauptsitz ist in Atlanta. Die ICE hat die New York Stock Exchange schon vor Jahren gekauft. Und genau das zeigt: Börsen sind kein Regionalgeschäft. Auch wir machen weniger als fünf Prozent unseres Umsatzes in Baden-Württemberg. Entscheidend ist, welche Märkte man bedient.

In Europa reden wir seit Jahren über die Kapitalmarktunion und kommen nicht wirklich voran. Wäre da nicht eine einzige zentrale Börse die logische Lösung?

Der US-amerikanische Kapitalmarkt wird oft als Vorbild genannt. Aber auch dort gibt es keine zentrale Börse, sondern Dutzende. Wettbewerb schafft Dynamik, ein Monopol schwächt. Entscheidend sind einheitliche Regeln für alle, die Wettbewerb möglich machen. Genau das brauchen wir in Europa.

Warum kommen wir dann bei einer Kapitalmarktunion nicht voran?

Es gibt zu viele nationale Hürden. Steuergesetze, Insolvenzrecht, Transparenzpflichten – alles unterschiedlich geregelt. Solange das nicht harmonisiert ist, bleibt Europa fragmentiert. Zweitens: Größe. In den USA ist das Marktvolumen doppelt so groß, auch weil viel mehr Menschen in Aktien investieren. Und drittens: Infrastruktur. Während die Wertpapierabwicklung in den USA zentral organisiert ist, hat in Europa jedes Land seinen eigenen Zentralverwahrer. Das sind Silos, die sich nur durch Digitalisierung überwinden lassen.

Was bedeutet das für kleinere und mittlere Unternehmen? Brauchen gerade diese nicht doch eher einen regionalen Kapitalmarkt?

Viele Mittelständler sind tatsächlich bei Innovationen und teilweise Wachstum unterfinanziert. Die Frage ist aber: Hilft ein regionaler Börsenplatz? Wir glauben nicht. Auch kleinere Firmen brauchen Sichtbarkeit und Zugang zu Investoren – und die denken längst nicht mehr regional, sondern national und europäisch oder global. An unserer Börse NGM in Schweden etwa listen wir zahlreiche Mittelständler, deren Aktien von Privatanlegern gezeichnet und gehandelt werden. In Deutschland wäre das Modell aktuell kaum tragfähig, weil die Anlagekultur fehlt.

Sie nennen Schweden – was macht den Markt dort so besonders?

Die Aktionärsquote ist viel höher als in Deutschland. IPOs werden nicht nur von institutionellen Investoren gezeichnet, sondern auch von Privatanlegern. Zudem gibt es eine steuerlich geförderte, wertpapierbasierte private Altersvorsorge und eine lange Tradition der Aktienkultur. In den vergangenen 18 Monaten hatten allein wir dort 25 Börsengänge – mehr als es in ganz Deutschland gab. Das zeigt, wie stark der Markt dort ist.

Und warum funktioniert das Modell in Deutschland nicht?

Es ist multikausal. Erstens: die Kultur. Schweden sind weniger risikoavers als Deutsche. Während viele hierzulande glauben, kein Risiko einzugehen, wenn sie ihr Geld nicht investieren – was langfristig das größte Risiko ist – sehen die Schweden Chancen. Zweitens: die Gründerkultur. Erfolgreiche Start-ups haben Netzwerke von Investoren, Unternehmern und Family Offices geprägt, die immer wieder Kapital bereitstellen. Und drittens: die Politik. Sie hat schon vor Jahren das erwähnte steuerlich geförderte Vorsorgemodell geschaffen, das Aktiensparen attraktiv macht. Zusammen ergibt das ein Ökosystem, das Kapitalmarkt und Wohlstand stärkt.

Ist das auch der Grund, warum so viele deutsche Firmen in den USA an die Börse gehen?

Natürlich. Für Linde oder Birkenstock reicht leider nicht einmal mehr der deutsche oder europäische Kapitalmarkt. Sie brauchen die Größe und die Analystenbasis der USA. Für Deutschland und Europa ist das keine gute Entwicklung – Unternehmen verlagern dann oft auch zentrale Funktionen dorthin. Entscheidend ist, dass wir in Europa insgesamt attraktiver werden – durch mehr privates Kapital im Markt und starke, international sichtbare Handelsplätze.

Wenn Regionalität also nicht entscheidend ist, worin liegt dann der Mehrwert der Gruppe Börse Stuttgart?

Unser Fokus liegt traditionell auf Privatanlegern – anders als bei vielen anderen großen Börsengruppen, die stark auf Institutionelle setzen. Bei uns kommt das Handelsvolumen nahezu komplett über Banken und Broker von Privatanlegern. Wir sind Marktführer im Handel mit strukturierten Wertpapieren in Europa und mit Anleihen in Deutschland – und wir haben unter den etablierten Börsen in Europa das größte und breiteste Kryptogeschäft aufgebaut.

Sie haben dieses Kryptogeschäft frühzeitig aufgebaut. Nun steht Bitcoin wieder auf Rekordniveau – wie blicken Sie auf den Markt?

Kryptowährungen sind gekommen, um zu bleiben. Bitcoin ist inzwischen das siebtwertvollste Asset der Welt. Natürlich gibt es starke Kursschwankungen, aber das gehört dazu.

Neben dem institutionellen Geschäft haben Sie mit der Bison-App auch ein eigenes Retail-Angebot gestartet. Warum?

Als wir begonnen haben, gab es im Kryptomarkt praktisch kein institutionelles Geschäft. Keiner unserer klassischen Bank- und Brokerkunden war da aktiv. Also haben wir uns entschieden, direkt den Zugang für Privatanleger zu schaffen. Mit Bison haben wir früh ein Angebot aufgebaut, das Sicherheit und Regulierung in den Vordergrund stellt. Heute nutzen knapp eine Million Menschen die App.

Und warum sollte ich Bison nutzen – und nicht einen Neobroker wie Trade Republic?

Zunächst: Trade Republic ist ein sehr erfolgreicher Broker. Broker sind unsere institutionellen Kunden, nicht Wettbewerber. Anders als Trade Republic haben wir bei Bison ein klares Kryptoprofil. Während Neobroker stark auf klassische Wertpapiere setzen, konzentriert sich Bison auf digitale Assets. Das ist unsere strategische Ausrichtung. Gleichzeitig haben Nutzer die Sicherheit und Verlässlichkeit einer Börsengruppe mit 160 Jahren Geschichte. Der Fokus auf Krypto ist erfolgreich. Auch globale Player wie Coinbase zeigen, wie groß das Potenzial im Kryptomarkt ist.

Ist Coinbase also ein Vorbild für Sie?

In gewisser Hinsicht ja – weil sie den Markt geöffnet haben und erfolgreich ein globales Geschäft aufgebaut haben. Unser Ansatz ist aber ein anderer: europäisch ausgerichtet, streng reguliert und auf enge Partnerschaften mit Banken und Brokern fokussiert. Unsere Rolle ist die eines Infrastrukturanbieters für digitale Assets – und genau darin liegt unser Mehrwert.

Welchen Mehrwert bieten Sie Banken und Brokern konkret?

Wir liefern die Infrastruktur für Handel und Abwicklung, damit Institute ihren Kunden Zugang zu Kryptowährungen und anderen digitalen Assets anbieten können – zuverlässig, reguliert und sicher. Volks- und Raiffeisenbanken, die DZ Bank oder internationale Häuser wie Intesa Sanpaolo arbeiten mit uns zusammen. Für diese institutionellen Partner sind wir nicht Wettbewerber, sondern Dienstleister im Hintergrund. Das unterscheidet uns klar von reinen Retail-Plattformen.

Herr Voelkel, vielen Dank für das Gespräch.

 

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Letzte Aktualisierung: 29. August 2025

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