CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 08. August 2026

Herr Wallner, machen KI-Agenten aus drei Menschen ein Unicorn?

Alexander Wallner, Deutschland-Chef und CEO Zentraleuropa bei Salesforce. (Salesforce)
„Es wird Unternehmen geben, die rein agentenbasiert mit drei Mitarbeitern ein Milliardengeschäft machen.“ Das sagt Alexander Wallner, Deutschland-Chef und CEO für die Region Zentraleuropa bei der CRM-Plattform Salesforce.

Herr Wallner, Sie treffen regelmäßig Vorstände und Geschäftsführer, waren auch erst vorletzte Woche gemeinsam mit Ihrem Chef Marc Benioff bei einem Roundtable mit deutschen CEOs und der C-Level-Ebene. Was nehmen Sie aus diesen Gesprächen zur aktuellen Lage rund um KI-Agenten in den Unternehmen mit?     

1. Die Frage, wie man eine „Agentic Enterprise“ wird – also wie sich KI-Agenten in die Workforce integrieren lassen. Von Marc Benioff stammt ja die Aussage: „Wir sind die letzte Generation im Top-Management, die noch ohne KI-Agenten gearbeitet hat.“ Damit geht es längst nicht mehr nur um Technologie, sondern auch um tiefgreifende kulturelle Veränderungen. 

2. Daten-Silos sind heute ein kritisches Geschäftsrisiko. Nur wer eine konsistente Datenbasis schafft, kann mit KI-Agenten echten Mehrwert generieren. Wenn jemand vor zwei Wochen einen Motorschaden hatte und kurz darauf vom Marketing zur Probefahrt eingeladen wird, passt etwas nicht – da haben Service, Vertrieb und Marketing nicht miteinander gesprochen. 

3. Kommunikation hauptsächlich im B2C-Bereich wird immer komplexer. Ein Telekommunikationsanbieter muss heute Generationen über alle Kanäle hinweg erreichen – Hyper-Personalisierung allein reicht nicht mehr. Es braucht einen intelligenten Mix aus Shops, E-Mail, SMS, WhatsApp – je nach Use Case, kanalübergreifend und datenbasiert. 

Denken Sie, dass „Agentic AI“ für Unternehmen vielleicht zu früh kommt? Viele Firmen, gerade in Deutschland, kämpfen noch mit der zweiten Welle von „generativer AI“.  

Die Innovationsgeschwindigkeit ist heute so hoch, dass Unternehmen ständig abwägen müssen: Kann ich meiner Organisation diesen Wandel zumuten? Die Tech-Welt ruft natürlich oft: „Mehr Innovation! Unbedingt machen! Wettbewerbsvorteile!“ Aber in der Realität ist eben auch die Frage nachvollziehbar, wie viel Veränderung ein Unternehmen sich zutraut. 

Auf der anderen Seite verstehen Unternehmen, dass „Agentic AI“ eine Jahrhundertchance ist. Es ist nicht vergleichbar mit Co-Piloten oder Chatbots. Plötzlich gibt es ein Bottom-Line-Impact (etwa durch Einsparungen im Automotive-Sektor) und Top-Line-Impact (für Hyper-Growth-Unternehmen, die effizienter und schneller Kunden erreichen wollen). Die Technologie ist nicht komplizierter geworden. Im Gegenteil – KI-Agenten sind heute oft leichter bedienbar.  

Laut des Beratungsunternehmens Gartner werden bis 2027 etwa 40 Prozent der Projekte im Bereich agentenbasierter KI abgebrochen. Die Gründe reichen von steigenden Kosten bis zu unklaren Geschäftsergebnissen. Werden KI-Agenten an Bedeutung oder Hype verlieren?  

Was ich aus Gesprächen mit Unternehmen höre: alle beschäftigen sich gerade damit, einen „Agentic Layer“ zu installieren – aber niemand setzt alles auf eine Karte. Der Layer wird so gebaut, dass er auf künftige Technologien vorbereitet ist. Deshalb ist es kein Hype mehr, sondern Realität. Heute kann man beispielsweise 90 Prozent der repetitiven Aufgaben in HR und Finance über KI-Agenten abbilden. Die Frage ist also nur: will ich das als Unternehmen und habe ich die Daten dafür?  

Sie sind seit dem letzten Jahr bei Salesforce als Deutschland-Chef und CEO Zentraleuropa tätig. Haben Sie bei Ihren Reisen in das Silicon Valley eine andere Mentalität zwischen den USA und Deutschland festgestellt? 

In den USA sucht man sich gerne einen Quick-win-Use-Case, der einfach umzusetzen ist, freut sich über schnelle Ergebnisse und sagt: „Super, das läuft!“ Der deutsche Ansatz ist häufig anders: Da nimmt man sich direkt eine richtig komplizierte Herausforderung vor, die naturgemäß erst mal scheitert, und sagt dann: „Siehste, klappt nicht.“ Das ist diese grundsätzliche Haltungsfrage – in den USA zählen schnelle Erfolge, in Deutschland will man die Limits der Technologie austesten. Das hat auch mit der Stärke unseres Ingenieurwesens zu tun, manchmal bremst das aber auch.   

Was ich mir aber wünsche, ist eine andere Mentalität. Statt bei jeder Idee fünfmal „Konsent drücken“ zu müssen, sollten wir mutiger ausprobieren. Ja, nicht alles wird funktionieren – aber diese Fail-Fast-Mentalität ist genau das, was uns aktuell weiterbringen würde. 

Sollten wir dann als Gesellschaft diese Vorsorge ablegen?  

Nicht ganz, in Deutschland legen wir aber an Technologie oft höhere Maßstäbe als an Menschen. Neulich erzählte mir der CIO eines großen Konzerns, dass bei ihnen der Legal Advice aus der KI auf absolute Korrektheit geprüft wird – dabei sagte er selbst nach 30 Jahren im Unternehmen: „Ich wäre froh, wenn die Hälfte der Legal Advices, die ich von Menschen bekommen habe, richtig gewesen wäre.“ 

Gerade bei „Enterprise AI“ haben wir den Anspruch, extrem präzise Resultate zu liefern. In sensiblen Bereichen wie Pharma und Healthcare reichen schon fünf Neunen (99,999 Prozent Genauigkeit) manchmal nicht aus. Da geht es um Fehlerquoten, von denen ChatGPT nur träumen kann. Aber genau das ist unser Anspruch: Wenn es um komplexe Rückschlüsse auf Patientenverläufe oder Medikamente geht, braucht es höchste Präzision und, wenn nötig, auch die Ehrlichkeit zu sagen: „Das weiß ich nicht.“ 

Wo sehen Sie die Bedeutung von Kommunikations-Protokollen wie MCP (Model Context Protocol) oder A2A (Agent-to-Agent)?  

Ich kenne keinen Kunden, der das nicht für notwendig hält. Wo Unternehmen wahnsinnig viel Zeit und Intelligenz reinstecken müssen, sind „Guardrails“ – welche Entscheidungen Agenten untereinander treffen dürfen und wo die Grenze ist. Gerade bei Agent-to-Agent-Kommunikation (A2A) gibt es unendliche Spielvarianten. Wer hier schon hundertfach perfekte „Quick-Wins“ hatte, wäre mir aber neu. Diese Dinge wachsen erst.  

Salesforce plant, bis Ende 2025 eine Milliarde Agenten auf der Agentforce-Plattform im Einsatz zu haben. Wie wird die Technologie die Rolle der Mitarbeiter verändern – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Fachkräfte etwa 40 Prozent ihrer Zeit mit Routineaufgaben verbringen?  

Meine Eltern haben mir einmal gesagt: Geh entweder zur Bank oder mach eine Stammhauslehre bei Siemens – das waren damals wirklich gute Ratschläge. Hätte ich das gemacht, wären es rückblickend schlechte Ratschläge: Die Bankfiliale gäbe es heute nicht mehr, und ich wäre womöglich unter den vielen Mitarbeitern gewesen, die Siemens im Laufe der letzten 20 Jahre abgebaut hat. 

Ich glaube aber nicht, dass es weniger Jobs geben wird – nur andere (Salesforce hat mit IDC ausgewertet, dass etwa 11,6 Millionen neue Jobs von 2022 bis 2028 entstehen). Je adaptiver ich als Mensch bin, desto mehr kann ich aus dem Wandel machen. Und wer sich nicht anpasst, fällt durchs Raster. So ist die Realität – war übrigens schon immer so. Bei jeder disruptiven Technologie kam genau dieser Punkt. 

Das Wort disruptive Technologien hört man oft in den Medien. Schafft unsere Gesellschaft diese Menge an „Upgrades“ und Informationen?  

Es gibt viele Akteure, die ein Interesse daran haben, das Innovationstempo hochzuhalten, weil es wirtschaftlich Sinn macht. Aktuell ist aber jeder Mensch täglich mit zigtausend Informationen konfrontiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass in den nächsten zehn bis 20 Jahren ein Punkt kommen wird, wo der Mensch sagt: Ich will und kann nicht noch mehr verarbeiten. Da sind wir heute aber noch nicht. 

Und dann muss ich schmunzeln, wenn ein Land wie Italien versucht, ChatGPT zu verbieten. Innovation kann man nicht aufhalten – der Wunsch, KI-Agenten zu stoppen und Robotik mal fünf Jahre zu verschieben, ist vielleicht nett gedacht, aber unrealistisch.  

Erleben wir eine neue Ära kleiner und mittlerer Unternehmen, unterstützt durch ein ganzes Team von KI-Agenten? 

Für reine Internetservices wird das Thema natürlich kommen. Zum Beispiel Booking – da hat man heute schon keinen Kontakt mehr zu echten Menschen. Wenn da morgen ein CEO zwei Millionen Agents orchestriert, würde mich das nicht wundern. Das sind Geschäftsmodelle, die kann man komplett agentenbasiert fahren. 

Darum glaube ich: Ja, es wird diese Unternehmen geben, die rein agentenbasiert mit drei Mitarbeitern funktionieren und ein Milliardengeschäft machen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass in der Zukunft einige der wertvollsten Unternehmen der Welt vielleicht nur noch zehn, 20 Mitarbeiter haben und der Rest KI-Agenten sind. Es kann alles passieren. 

Alexander Wallner ist seit April 2024 neuer Deutschland-Chef sowie CEO für die Region Zentraleuropa bei der CRM-Plattform Salesforce. Zuvor war er zwölf Jahre lang beim Dateninfrastruktur-Spezialisten NetApp tätig und leitete anschließend den Public-Cloud-Anbieter PlusServer als CEO.

Letzte Aktualisierung: 14. August 2025
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