geht es nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung soll das milliardenschwere Startchancen-Programm nicht weniger als eine bildungspolitische Trendwende einleiten. Immerhin ist es das bislang teuerste Hilfsprogramm in der Schulgeschichte der Bundesrepublik. Doch Geld allein reicht nicht für eine erfolgreiche Schulreform. Das weiß der ehemalige Schulleiter Siegfried Arnz, dem bereits vor 30 Jahren der Turnaround einer Berliner Hauptschule gelang. Arnz’ Erfolgsrezept baut vor allem auf drei Soft Skills, analysiert Christian Füller. Dieser Ansatz bietet auch für künftige Startchancen-Schulen eine Chance.
Eine ganz andere Reform – bei der sich dann doch wieder alles ums liebe Geld dreht – will das BMBF am heutigen Mittwoch beschließen. Die lang diskutierten Bafög-Änderungen sollen nun endgültig Gestalt annehmen und damit sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Studierende entlasten. Den Grünen und der SPD geht der Entwurf der Bildungsministerin Stark-Watzinger allerdings nicht weit genug, wie Maximilian Stascheit analysiert. Uneinig sind sich die Mitglieder der Koalition auch darin, wie die Erhöhung der Regelsätze unter den aktuellen Haushaltsbedingungen finanzierbar ist.
Zuletzt darf ich Ihnen noch unseren neuen Kolumnisten Andreas Schleicher vorstellen – der Ihnen als Pisa-Chef wahrscheinlich schon bestens bekannt ist. Seine Äußerungen zu Lehrkräften in Deutschland lösten heftige Kritik aus. In seiner ersten Kolumne führt Andreas Schleicher aus, wie er sich eine neue Kultur der Zusammenarbeit in Schule vorstellt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Und falls auch Sie interessante Reformvorschläge für das Bildungssystem haben, steht Ihnen unser E-Mail-Postfach jederzeit offen.
Die Schulen, denen nach den Sommerferien das teuerste Hilfsprogramm in der Schulgeschichte der Bundesrepublik gewidmet ist, gab es schon in den 1990er-Jahren. Nur half damals kein 20-Milliarden-Euro-Zuschuss, sondern der Spirit mutiger Schulleiter: Siegfried Arnz zum Beispiel schaffte das, was man heute “Turnaround” nennt, nicht mit harten Faktoren wie Geld. Er baute eine Hauptschule mit fast unscheinbaren Tugenden um: Partizipation, Vertrauen und Verantwortung brachten die 180-Grad-Wende. “Es ist uns gelungen, auch Schüler, die sich aufgegeben hatten, neu zu motivieren”, sagt Arnz, der seit acht Jahren im Ruhestand ist.
Betrachtet man die Keile, die benachteiligte Schulen bald mit dem Startchancen-Programm stützen sollen – Schulleiterbudget, multiprofessionelle Teams, Investitionen in Schulgebäude -, dann wirken die Maßnahmen von Arnz wie Kleinkram. Er kürzte die Schulstunde um fünf Minuten – und ließ die Lehrkräfte die gewonnenen Zeithäppchen sammeln. Er erlaubte Schülern, die nicht mehr konnten, den Unterricht zu verlassen. Und er appellierte bei verloren geglaubten Pubertierenden an eine Ressource, die ihnen niemand zutraute: Eigenverantwortung.
“Dazu zählt, Schüler im gesamten Schulleben ernst zu nehmen”, sagt Arnz. Partizipation heißt für ihn, über die Mitwirkungsforen des Schulgesetzes hinauszugehen. Also Schüler an der Gestaltung des Unterrichts zu beteiligen. Und ihnen deutlich zu machen: “Uns interessiert, was ihr wollt. Wir interessieren uns für euch!”
Um die Situation zu verstehen, in der sich viele Schulen der Bildungsrepublik seit Jahrzehnten befinden, muss man ein Gutachten lesen, das der Bildungsforscher Jürgen Baumert 2006 veröffentlichte. Der damalige Leiter der Pisa-Studien reicherte deren Ergebnisse mit Sozialdaten an – und fand Schulen am Rande des Zusammenbruchs. Klassen voller Sitzenbleiber und Kinder mit Gewalterfahrungen. Schüler, deren Eltern von Hartz IV lebten und/oder zu Hause kein Deutsch sprachen. Baumert empfahl damals mehr oder weniger explizit, solche Schulen zu schließen. Arnz aber schaffte die Wende an einer dieser Schulen, an der Werner-Stephan-Schule in Berlin-Tempelhof.
Vielleicht kann man den Umbau der Werner-Stephan-Schule am besten an den fünf Minuten weniger Unterricht verstehen. Die Lehrkräfte an Arnz’ Schule konnten selber entscheiden, was sie mit der gewonnenen Zeit tun. Arbeitsgemeinschaften, eine Theaterarbeit, eine Schülerfirma betreuen – oder in Doppelbesetzung ins Klassenzimmer gehen. Oder eine Schulstation errichten – so etwas wie der psychologische Ruheraum einer Schule.
In der Schulstation arbeiteten jene Lehrer, berichtet Arnz, die einen besonderen Schwerpunkt hatten – etwa eine Weiterbildung in Psychologie. Sie hätten Wege gemeinsam mit den Schülern besprochen: “Die chaotischen Schüler haben mit uns zusammen überlegt: Was hilft uns, wenn wir chaotisch sind? Darüber kannst du mit den verrücktesten Schülern reden.”
Derartige Freiräume am Rande wirken nicht, wenn sich am Zentrum der Schule nichts ändert: “Wenn der Unterricht weiter miserabel bleibt, wie er ist, braucht man Reformen gar nicht anzugehen”, sagt der frühere Schulleiter. Er meint: Es gibt Schüler, die im Frontalunterricht Leistungen nicht erbringen können. Oder nicht wollen. Sie übernehmen erst dann Verantwortung für sich selbst, wenn man ihnen Projekte anbietet, in denen sie Selbstwirksamkeit erleben. Und wenn der ehemalige Schulrat schon einmal die Abrissbirne schwingt, dann auch gegen bestimmte Abschlüsse. “Zum Beispiel unser erster berufsbildender Schulabschluss, die Berufsbildungsreife, ist an sich ein unsinniger Abschluss. Weil er nicht gebraucht wird, aber viel Kraft kostet”, sagt Arnz.
Arnz gehört heute zum Beraterteam des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung für das Startchancen-Programm. Er weiß, dass dessen Elemente notwendige Hilfsmittel für die Rettung von 4.000 Schulen sind. Aber eben keine hinreichenden. “Ich glaube, dass das Startchancen-Programm nur dann eine Chance hat, wenn Schulen unter den Bedingungen zusätzlicher Ressourcen diesen Prinzipien Geltung verschaffen: Partizipation, Selbstwirksamkeit, anderer Unterricht.“
Keine Illusionen macht er sich darüber, dass die Steuerung deutscher Schulen in Teilen dysfunktional ist. Das gilt besonders für jenen Teil der Startchancen, den die FDP gern Chancenbudget nennt, also das Schulleiterbudget. Es überfordert nicht wenige Schulen, denn nicht jeder Schulleiter kann mit eigenen Budgets umgehen. Deswegen findet es Arnz richtig, dass zwei Drittel dieses Budgets an die Erfüllung bestimmter Kriterien geknüpft sind.
Arnz wurde nach seinen Erfolgen in der Werner-Stephan-Schule in die Berliner Schulverwaltung berufen. Er wurde dort zum Baumeister der erfolgreichen Berliner Schulreform unter seinem Architekten, dem damaligen Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD). Nur ist der 1950 in Solingen geborene Arnz eben kein Gesundbeter. Er sieht die Einführung einer zweigliedrigen Schule als Erfolg, auch das Etablieren der Gemeinschaftsschulen in Berlin und die Abschaffung der Hauptschule sowieso. Trotzdem sagt er: “Wir haben es nicht geschafft. Ich habe es nicht geschafft.”
Denn ein Kernelement der Schulreform, nämlich die gleichzeitige Unterrichtsreform, die zu mehr praktischen Haltegriffen für Schüler führen sollte, sei misslungen. “Praxis-Lernen muss ein konstitutiver Bestandteil der gesamten Unterrichtspraxis in den integrierten Sekundarschulen sein“, sagt er. “Für mich ist das die Schlüsselfrage, warum wir nicht weitergekommen sind mit den Kids, die wir nicht zum Lernen gewinnen.” Das ist ihm sehr wichtig: “Wenn wir die nicht gewinnen, können wir so viel Druck machen, wie wir wollen, dann kriegen wir sie nicht.”
In der Ampel-Koalition gibt es weiter Streit um die Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög). Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch den von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger vorgelegten Entwurf für eine Reform verabschieden. Die darin enthaltenen Maßnahmen sind in den Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP an sich zwar weitgehend unstrittig, gehen jedoch nicht allen weit genug. Stark-Watzinger möchte zwar den Kreis der Empfangsberechtigten erweitern und einige strukturelle Änderungen vornehmen, die Höhe der Zahlungen jedoch nicht antasten.
Deshalb wird das Bundeskabinett am Mittwoch nun zunächst folgende Änderungen beschließen:
Stark-Watzingers Vorschläge werden von den Ampel-Fraktionen zwar begrüßt, doch Grüne und SPD würden sich noch mehr wünschen. Die Grünen-Bundestagsfraktion hat vor zwei Wochen die Forderung nach einem Fünf-Punkte-Plan zur Modernisierung des Bafög beschlossen, der deutlich über die Vorschläge der Ministerin hinausgeht. Unter anderem wird darin gefordert, die Freibeträge um zehn statt fünf Prozent zu erhöhen und die Förderhöchstdauer um zwei Semester über die Regelstudienzeit hinaus zu verlängern.
Vor allem aber wollen die Grünen, dass die Bafög-Empfänger auch mehr Geld bekommen. “Die Bedarfssätze müssen noch einmal angehoben werden, denn die Inflation trifft besonders diejenigen schwer, die kaum Geld zur Verfügung haben wie Studierende und Schüler:innen”, sagte Laura Kraft, Obfrau der Grünen-Fraktion im Bildungsausschuss, auf Anfrage. Dem Fraktionsbeschluss zufolge sollen die Sätze “mindestens auf Bürgergeld-Niveau” steigen und durch einen festgelegten Mechanismus regelmäßig angepasst werden. Außerdem fordert die Grünen-Fraktion, die im Bafög enthaltene Wohnpauschale an die ortsüblichen Mieten für studentisches Wohnen anzupassen.
Für die Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze und einer regelmäßigen Anpassung bekommen die Grünen auch Unterstützung aus der SPD. “Die SPD will, dass diese Punkte nachgebessert werden und sieht in der Koalition eine konstruktive Diskussion dazu”, sagte der bildungspolitische Sprecher Oliver Kaczmarek zu Table.Briefings.
Den deutlich weitreichenderen Vorstoß der Grünen kritisiert er allerdings: “Jede Fraktion kann ihre Meinung in Positionspapieren zum Ausdruck bringen. Für die SPD-Fraktion ist aber entscheidend, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen, auf den sich die drei Ampel-Parteien geeinigt haben, statt neue Grundsatzdebatten zu eröffnen”, so Kaczmarek. Er sei “gespannt, wann die Forderungen aus dem grünen Positionspapier in den Verhandlungen thematisiert werden und wie sie finanziert werden sollen”.
Uneinig ist sich die Koalition darin, inwiefern eine Erhöhung der Regelsätze unter den aktuellen Haushaltsbedingungen finanzierbar ist. SPD und Grüne verweisen darauf, dass der Haushaltsausschuss für das Jahr 2024 zusätzlich 150 Millionen Euro für eine Bafög-Erhöhung bereitgestellt hat. Die Mittel sind zweckgebunden, dürfen also vom BMBF für nichts anderes verplant werden.
Bei den 150 Millionen Euro haben die Ampel-Haushälter mit einer Erhöhung ab dem Wintersemester 2024/25 gerechnet. Das Budget deckt also die Mehrkosten für die Monate Oktober bis Dezember. Ab dem Haushaltsjahr 2025 würden demnach etwa 600 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr benötigt, um die Erhöhung weiter zu finanzieren. Das jedoch sei komplett unrealistisch, argumentiert das BMBF.
Die FDP-Ministerin erhält dabei Rückendeckung von ihrer Fraktion, die eine Erhöhung der Regelsätze ohnehin nicht für notwendig hält. Die Argumentation der Liberalen: Zum Wintersemester 2022/23 war der Höchstsatz für Studierende bereits von 861 auf aktuell 934 Euro erhöht worden. Dies sei in der Regel ausreichend, zumal das verfügbare Einkommen durch Nebenjobs oder Stipendien noch aufgestockt werden könne.
Die Forderungen von SPD und Grünen werden nun im Zuge der parlamentarischen Beratungen im Bundestag auf den Tisch kommen. “Es ist gut, dass der Entwurf aus dem Bildungsministerium im Kabinett beraten wird und jetzt die Parlamentarier die Möglichkeit haben, weiter daran zu arbeiten”, sagte Kraft. Die Zeit drängt allerdings: Wenn die Reform wie geplant bereits zum Wintersemester 2024/25 in Kraft treten soll, müsste der Bundestag das Gesetz spätestens bis zur Sommerpause verabschieden. Mitarbeit: Nicola Kuhrt
Die Weichen werden früh gestellt. Kinder aus wohlhabenderen Familien finden oft viele offene Türen für ein erfolgreiches Leben. Dagegen haben Kinder aus bildungsfernen Schichten meist nur eine einzige Chance im Leben: eine gute Schulbildung als Fundament, um ihr Potenzial zu entfalten. Diejenigen, die dieses Boot verpassen, bekommen selten eine zweite Chance, da Bildungsmöglichkeiten im späteren Leben frühe Bildungsergebnisse meist noch verstärken. Das gilt nicht nur für Deutschland, aber besonders auch für Deutschland.
In den Jahren nach dem Pisa-Schock im Jahr 2001 hatte Deutschland zunächst viel erreicht. Die Bedeutung guter frühkindlicher Förderung wurde schnell erkannt und Kindertagesstätten sind heute integraler Bestandteil des Bildungssystems. Auch die Notwendigkeit, verbindliche Maßstäbe für den Erfolg von Bildung zu schaffen, ist heute weitgehend Konsens. Zu den wichtigen Reformen, die eingeleitet wurden, zählen kompetenzorientierte nationale Bildungsstandards, die Einführung der Ganztagsschule, bessere Diagnostik und Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen, sowie Reformen bei der Lehrerbildung. Im Ergebnis stand Deutschland bereits 2009 im internationalen Vergleich viel besser da.
Allerdings kam diese positive Reformdynamik in den vergangenen 15 Jahren praktisch zum Erliegen. Seitdem sehen wir Rückschritte, nicht unbedingt, weil die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems abnimmt, aber weil sich das Bildungssystem in Deutschland nicht schnell genug an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpasst. 2022 fuhr Deutschland die bislang schlechtesten Ergebnisse im Pisa-Leistungstest ein. Die Covid-19-Pandemie allein erklärt diese Rückschritte nicht.
Vielleicht möchten Sie diesen Artikel gleich wieder weglegen und sich keine weiteren Gedanken zur Verbesserung des Bildungssystems machen. Weil Sie denken, etwas so Komplexes wie Bildung kann man nicht verändern. Dennoch bitte ich Sie, weiterzulesen. Warum? Weil zum Beispiel die sozioökonomisch am schlechtesten gestellten zehn Prozent der Schüler in den chinesischen Pisa-Provinzen genauso gute Leistungswerte wie die Durchschnittsschüler in Deutschland erreichen. Weil viele Schulen in Deutschland auch in schwierigem Umfeld Spitzenleistungen erbringen. Weil wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass die Anforderungen an moderne Bildungssysteme weiter steigen.
Wir leben in einer Welt, in der Dinge, die leicht zu lernen und zu testen sind, auch leicht digitalisiert und automatisiert werden können. Schüler in Deutschland sind vergleichsweise gut darin, fertiges Wissen zu reproduzieren. Wie die Pisa-Studie aber zeigt, fällt es ihnen schwer, von dem, was sie wissen, zu extrapolieren und ihr Wissen kreativ auf neue Zusammenhänge zu übertragen. Genau darauf kommt es aber an.
Die wachsende Komplexität des modernen Lebens für den Einzelnen und für Gemeinschaften bedeutet, dass auch die Lösungen für unsere Probleme komplex sein werden. Es geht darum, das richtige Gleichgewicht zwischen konkurrierenden Forderungen zu finden – ob Gerechtigkeit und Freiheit, Autonomie und Gemeinschaft, Innovation und Kontinuität oder Effizienz und demokratischer Prozess. Dazu müssen wir in einer stärker integrierenden Weise denken. Die Fähigkeit, mit Unwägbarkeiten und Mehrdeutigkeiten umzugehen, wird zum Schlüssel.
Nur wie schaffen wir all das? Politiker behaupten gerne, Bildung habe oberste Priorität. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass sie diesem Anspruch in der Praxis oft nicht gerecht werden. In Japan oder China investieren Eltern und der Staat die letzten Mittel in die Zukunft ihres Landes, das heißt in die Bildung ihrer Kinder. In Deutschland haben wir das Geld unserer Kinder bereits für unseren eigenen Konsum ausgegeben. Das müssen wir ändern.
In deutschen Schulen werden Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Bedürfnissen meist noch in einheitlicher Weise unterrichtet. Zukünftige Schulsysteme begegnen den vielfältigen Schülerbedürfnissen mit differenzierten pädagogischen Ansätzen – ohne Abstriche bei den Leistungserwartungen. Vielfalt ist mancherorts eine Herausforderung, sie bietet aber Chancen und Potenziale.
Wir brauchen gut aus- und weitergebildetes Personal, Räume, in denen Schüler die für sie wichtige Lern- und Lebenserfahrungen machen können, Rahmenlehrpläne, die sich auf das Wesentliche konzentrieren, eine Schule, die inklusiv, demokratisch, gesund und bewegt ist.
Das, was Kinder aus der Pandemie mitnahmen, war nicht die zusätzliche Hausaufgabe, sondern die Erinnerung an die Lehrkräfte, die in dieser schwierigen Zeit für sie da waren. Lehrkräfte, die erkannt hatten, wer sie sind und wer sie werden wollen, und die sie beim Erreichen ihrer Träume unterstützt haben. Die Zukunft braucht Lehrer als Experten, die Schüler begleiten und dabei unterstützen, durch eigenständiges Denken und Handeln selbstständig und kooperativ zu lernen.
Nirgendwo ist ein Schulsystem besser als seine Lehrkräfte. Zukünftige Schulsysteme wählen und bilden ihre Lehrkräfte sorgfältig aus, und sie gehen von administrativer Kontrolle und Rechenschaftslegung über zu professionellen Formen der Arbeitsorganisation. Sie ermutigen ihre Lehrkräfte dazu, innovativ zu sein, ihre eigenen Fähigkeiten und die ihrer Kollegen weiterzuentwickeln. Es geht um eine Kultur der Zusammenarbeit und starke Innovationsnetzwerke. Außerdem werden neue Technologien wirksam eingesetzt, um Lernen zu individualisieren und zeitgemäße Lernumgebungen zu schaffen.
Zukünftige Schulsysteme bieten allen eine qualitativ hochwertige Bildung, sodass jeder Schüler exzellenten Unterricht genießt. Hierfür gewinnen sie die besten Schulleiter für die schwierigsten Schulen, und die talentiertesten Lehrkräfte für die Schüler mit den größten Herausforderungen.
Die Herausforderungen sind gewaltig, aber wir haben die Fähigkeit zu gestalten. Chancengerechte Bildung von hoher Qualität ist ein erreichbares Ziel. Durch ein modernes Bildungssystem ist es möglich, Millionen von Lernenden eine Zukunft zu bieten, die heute keine haben. Die Aufgabe ist dabei nicht, das Unmögliche möglich zu machen, sondern das Mögliche zu realisieren.
Andreas Schleicher ist Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er ist dort Chefkoordinator der Pisa-Studie. Er wird in Zukunft regelmäßig für Bildung.Table Kolumnen schreiben und Einblicke in die Arbeit von Schulen verschiedener Länder geben.
Der Lehrkräftemangel an allgemeinbildenden Schulen bleibt voraussichtlich bis 2035 bestehen, selbst an Grundschulen soll es – wenn überhaupt – nur einen minimalen Lehrerüberschuss geben. Zu diesem Ergebnis kommt das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Nach den Lehrerbedarfsprognosen der KMK und der Bertelsmann Stiftung ist es die dritte Berechnung innerhalb von drei Monaten. Grund für die erneut unterschiedlichen Ergebnisse sollen aktuellere Zahlen sein – und ein stärkerer Fokus auf ausscheidende Lehrkräfte.
Mindestens 115.000 bis 177.500 Lehrkräfte werden bis 2035 an allgemeinbildenden Schulen fehlen, berechnet das FiBS in einer aktuellen Studie (zum Download). Das wären knapp zwei- bis dreimal so viele, wie von der KMK zuletzt erwartet, folgert Studienautor Dieter Dohmen. Er verwendet in seiner Berechnung aktuelle Daten zur Bevölkerungsentwicklung, Schülerzahlen und Lehrkräfteausbildung. Auch die starke Zuwanderung als Folge des Ukraine-Kriegs hat er berücksichtigt. Dies geschah bei den Berechnungen der KMK und der Bertelsmann Studie nur implizit, da diese auf ältere Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung zurückgriffen.
Ein Teil des Mehrbedarfs an Lehrkräften lässt sich auf steigende Schülerzahlen zurückführen. Entscheidender sei aber der Ersatzbedarf für Lehrkräfte, die die Schule verlassen. Bis zum Jahr 2035 scheiden der Studie zufolge knapp 16.000 Lehrkräfte altersbedingt aus. FiBS-Direktor Dohmen geht davon aus, dass das aber nur ein Drittel der Lehrkräfte ausmacht, die den Schuldienst quittieren. Viele kehrten wegen Dienst- oder Berufsunfähigkeit aus oder sie kehrten der Schule vorübergehend den Rücken. Sollte es nicht gelingen, ihre Zahl zu reduzieren, könnte der Mangel sogar bei über 225.000 Lehrkräften liegen.
Am größten fällt der Lehrermangel voraussichtlich in der Sekundarstufe I aus. Für die Sekundarstufe II geht die Studie dagegen von einem Überschuss von rund 60.000 Personen aus. Für die Grundschulen berechnet Dieter Dohmen einen Mangel von rund 16.000 Lehrkräften. Nur bei deutlich sinkenden Geburten- beziehungsweise Schülerzahlen und wenn Lehrer mehr Schüler als aktuell betreuen, könnte es ihm zufolge einen Überschuss von rund 1.000 Lehrkräften geben. Das steht im starken Kontrast zu dem von der Bertelsmann Stiftung berechneten Überschuss von knapp 46.000 Lehrkräften bis 2035. Vera Kraft
Warum Lehrkräfteprognosen zu solch unterschiedlichen Ergebnissen kommen, können Sie hier lesen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich dafür ausgesprochen, Übernachtungs- oder Wohnmöglichkeiten an den Berufsschulen zu schaffen. Ein Mangel an Optionen der Unterbringung dürfe “kein Abschreckungskriterium” sein. “Wir müssen alle Wege öffnen, um Menschen in Arbeit zu bringen, die arbeiten wollen”, sagte er bei der Handwerksmesse in München.
Habeck verwies dabei auf sein Gespräch mit Auszubildenden beim Fachkräftekongress in der vergangenen Woche. Sehr viele Azubis hätten geklagt, dass die Wohnsituation schwierig sei, gerade wenn sie in die Berufsschule müssten. Das führe dazu, “dass einige sagen: ,Dann mache ich lieber keine Ausbildung’, weil es so teuer ist”.
Der Bund stellt den Ländern seit 2023 im Rahmen des Sonderprogramms “Junges Wohnen” jährlich 500 Millionen Euro für Wohnheimplätze zur Verfügung. Nur Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wollen laut Abfrage von Table.Briefings jedoch ausdrücklich zu gleichen Teilen Wohnheimplätze für Auszubildende und für Studierende fördern.
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Die Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, kündigte derweil an, dass ihre Behörde das neue Ausbildungsjahr mit “zwei Wochen Powerplay” einläuten wolle. In dieser Woche veranstaltet die Bundesagentur zum zweiten Mal die Woche der digitalen Elternabende. Zahlreiche Unternehmen, moderiert von der BA, stellen Ausbildungsmöglichkeiten vor. Im vergangenen Jahr haben laut BA 11.000 Eltern teilgenommen.
In der kommenden Woche wollen Arbeitsagenturen und Jobcenter im Rahmen der jährlich stattfindenden Woche der Ausbildung Jugendliche informieren, Nahles zufolge “teilweise mit sehr innovativen Ideen”. So stünden in Detmold nachhaltige Ausbildungsberufe im Fokus, andernorts soll mit Vorurteilen gegenüber klassischen Ausbildungsberufen aufgeräumt werden. Ein Dachdecker zeige etwa, dass er für seine Arbeit Drohnen einsetzt.
Daneben sprach sich die BA-Chefin auch für einen früheren Beginn der Berufsorientierung aus: “Wir brauchen eigentlich eine Stärkung der Berufswahlkompetenzen ab der fünften Klasse.” Anna Parrisius
Bis 2027 könnten 128.000 Fachkräfte in Berufen fehlen, die für den Erfolg der digitalen Transformation entscheidend sind. Die Zahl der Beschäftigten in Digitalisierungsberufen soll bis dahin insgesamt auf mehr als drei Millionen ansteigen, ein Plus von 13,7 Prozent. Das ergibt eine Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) (zum Download). Die Forscher haben zugrunde gelegt, dass sich die Entwicklung der Jahre 2016 bis 2022 weiter fortsetzt, und berechnen die Differenz von zu erwartenden offenen Stellen und passend qualifizierten Arbeitslosen.
Der Blick auf einzelne Berufe zeigt: Am größten soll die Fachkräftelücke 2027 bei studierten Informatikern (19.022) sein, gefolgt von ausgebildeten Bauelektrikern (15.477). In der Relation am stärksten wächst die Lücke von 2022 bis 2027 laut Prognose bei IT-Systemadministratoren, die ein Bachelorstudium oder eine IT-Ausbildung mit anschließender Weiterbildung absolviert haben (Anstieg auf 4.196, seit 2022 um 88 Prozent).
Die Forscher empfehlen, die Berufsorientierung weiterzuentwickeln. Es solle einen standardisierten Prozess geben, der auch über weniger bekannte Mangelberufe aufklärt und längere Praktika beinhaltet. Insbesondere für digitale Elektroberufe – zum Beispiel Mechatroniker oder IT-System-Elektroniker – müssten mehr junge Menschen begeistert werden. Die Autoren fordern zudem einen Wandel der beruflichen Bildung. Zum Beispiel sollten die Berufsschulen moderner und Hochschulen in die berufliche Bildung eingebunden werden.
Die IG Metall hat den Unternehmen Anfang der Woche mangelnde Ausbildungsbereitschaft, gar einen “Ausbildungsboykott“, vorgeworfen. “Wer nicht oder kaum ausbildet, darf kein Fachkräfteproblem beklagen”, sagte Gewerkschafts-Vorstand Hans-Jürgen Urban. So gab es in IT-Berufen zwar elf Prozent mehr Azubis als noch vor der Corona-Pandemie 2019, bei Metall- und Elektroberufen gingen die Ausbildungsverträge aber seither um neun Prozent zurück (Ausbildungsbilanz zum Download).
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verweist hingegen darauf, dass die Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr 2023 angestiegen sind: bei industriellen Metallberufen um rund neun, bei industriellen Elektroberufen um fast 13 Prozent. Der Verband verwies außerdem auf ein neues Karriereportal von Gesamtmetall, das im Februar an den Start ging. Anna Parrisius
Etwas weniger als die Hälfte der Geflüchteten und Zugewanderten, die von 2016 bis 2022 am BMBF-Programm “Berufliche Orientierung für Zugewanderte“ (BOF) teilgenommen haben, ist der Übergang in die Ausbildung gelungen. Zumindest, wenn sie den vorgesehenen sechsmonatigen Kurs bis zum Ende besucht haben. Sie kamen dann direkt in eine Ausbildung oder eine Einstiegsqualifizierung – ein sozialversicherungspflichtiges Praktikum, das die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter fördern. Dies ergibt ein Gutachten der Beratungsfirma Prognos (zum Download).
Wenn ein direkter Übergang nicht gelang, lag das laut Prognos oft daran, dass sprachliche und fachliche Kenntnisse immer noch nicht ausreichten. Es gab auch Teilnehmer, die sich wegen ihres Alters oder ihrer finanziellen Situation gegen eine Ausbildung entschieden. Bei manchen waren zudem aufenthaltsrechtliche Fragen ein Hemmnis. Für mögliche weitere Maßnahmen empfiehlt die Beratungsfirma, eine Orientierungsphase einzuführen, in der die Kompetenzen der Teilnehmer und deren individuelle Lage schon vorab besser geklärt werden. Das Programm lief bis Ende 2023.
Im Rahmen von BOF erhielten Teilnehmer Fach- und Sprachunterricht verbunden mit Werkstatttagen und einer Betriebsphase. Diese Verzahnung bewertet Prognos sehr positiv. Bis 2022 haben insgesamt 6.545 Menschen am Programm teilgenommen. Ein Drittel kam aus NRW, 15 Prozent aus Bayern und jeder Zehnte aus Berlin.
Einen Erfolgsfaktor sehen die Gutachter in der individuellen Begleitung der Teilnehmer. Mit Blick auf künftige Ausbildungsbetriebe empfehlen sie daher auch, diese besser darüber zu informieren und sie frühzeitig bei der Begleitung zu unterstützen.
Interessieren dürfte das Prognos-Gutachten die Verantwortlichen des Thüringer Modellprojekts German Professional School, das Anfang der Woche seine Arbeit aufnahm. Es will junge Menschen aus dem Ausland auf eine Ausbildung vorbereiten. Zunächst sollen 74 junge Menschen aus der Ukraine, der Türkei, Afghanistan, Syrien, Kuba, Marokko und dem Irak neben Berufsvorbereitung Sprachunterricht und Gesellschaftskunde erhalten – im ersten Jahrgang für die Dauer von sechs Monaten wie beim BOF, danach für ein Jahr. Es sollen dann auch gezielt junge Menschen aus Drittstaaten angeworben werden. Insgesamt plant Thüringen bis 2026 mit 1.000 Teilnehmern. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums stellt das Land insgesamt 11,5 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Anna Parrisius
38 Prozent der Schüler in Deutschland im Alter zwischen zehn und 16 Jahren sagen, dass KI in ihrer Schule zum Einsatz kommt. 65 Prozent der Eltern sprechen sich für den Einsatz von KI in der Schule aus. Das geht aus einer Umfrage des österreichischen Nachhilfe-Start-ups GoStudent zur Zukunft der Bildung hervor. Dafür wurden 60 Lehrkräfte sowie mehr als 11.000 Eltern und Schüler im Alter von zehn bis 16 Jahren aus sechs europäischen Ländern befragt.
KI-Technologie hat für Kinder und Jugendliche in Deutschland demnach einen immer größeren Stellenwert, sie sehen darin das wichtigste Thema, zu dem sie lernen wollen. 56 Prozent der Schüler glauben auch, dass ihr zukünftiger Beruf mit Technologie zu tun hat.
Während in der Umfrage von 2023 noch 64 Prozent der Schüler in der Technologie ein großes Bildungspotenzial sahen, sind es bei der aktuellen Befragung 77 Prozent. Digitales Lernen bekommt auch eine immer größere Selbstverständlichkeit. Acht von zehn Kindern und Jugendlichen benutzen digitale Apps zur Unterstützung des Lernens.
Bei den Lehrkräften zeigt sich laut der Befragung allerdings noch eine große Diskrepanz zwischen Realität und Vision: Neun von zehn Lehrern halten digitale Apps zwar für sehr lernwirksam, aber nur die Hälfte nutzt diese Apps regelmäßig. Bei 60 befragten Lehrkräften in sechs Ländern sind das allerdings eher anekdotische Beobachtungen.
GoStudent ist einer der großen Player auf dem Online-Nachhilfemarkt. Ende 2022 haben die Österreicher den Anbieter Studienkreis übernommen. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen eine eigene kostenpflichtige Virtual-Reality-Plattform gestartet. Über GoVR können Schüler dabei mit muttersprachlichen Tutoren Sprachen üben. aku
Das Kölner EdTech-Start-up studyspace stellt NRW-Schulen in herausfordernden Lagen seine Lern-App zur Abiturvorbereitung kostenlos zur Verfügung. “Mit unserer Initiative möchten wir einen Beitrag zur Verringerung der Bildungsungleichheit leisten”, erklärte Geschäftsführerin Katharina Farkas den Schritt. Ab sofort bis zum Abitur 2024 können Schulen mit einem Sozialindex ab 4 die Lernplattform kostenfrei nutzen.
Der Schulsozialindex in NRW umfasst neun Stufen. Schulen in Stufe 1 haben die niedrigste Belastung, Schulen in Stufe 9 die höchste. Für das laufende Schuljahr gilt, dass von 4.130 Schulen in NRW 1.055 den Stufen 4 bis 9 zugerechnet werden.
“Aktuell”, so berichtet Farkas Table.Briefings, “hat eine Kölner Schule eine kostenpflichtige Lizenz für studyspace über drei Jahre erworben.” Vier weitere Schulen nutzen die App auf Basis des Sozialindex-Modells kostenfrei bis zum Abitur. Aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium hieß es, dass man keine Auskunft darüber geben könne, ob es weitere derartige Initiativen gibt.
Schullizenzen für studyspace kosten einen Euro pro Kind pro Monat. Möglich ist auch, dass einzelne Schülerinnen und Schüler ein Abo abschließen, dass dann regulär bei 7,99 Euro im Monat liegt oder bei knapp 60 Euro im Jahr. Die Inhalte der App sind laut studyspace zugeschnitten auf die Abiturvorgaben in NRW.
Ralph Müller-Eiselt, geschäftsführender Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung, lobt die Initiative. Zugleich betont er den Handlungsbedarf auf der höheren politischen Ebene. “Wenn private Bildungsanbieter Schulen in herausfordernden Lagen mit kostenfreien Angeboten unterstützen, ist das ein positives Signal, aber keine systemische Lösung.” Vielmehr sollten Bund und Länder öffentliche Initiativen wie das Startchancen-Programm oder den Digitalpakt II so gestalten, dass die notwendige Unterstützung nachhaltig dort ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird. Holger Schleper
Brandenburg hat zum 1. Januar 2025 ein eigenes pädagogisches Landesinstitut gegründet. Der Schritt wurde nötig, nachdem sich Berlin entschieden hatte, das gemeinsame Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) zu verlassen.
Details dazu, wie es um die Pläne für das Berliner Institut steht, konnte die Senatsverwaltung für Bildung dagegen auf Anfrage von Table.Briefings nicht mitteilen. Ein Sprecher teilte lediglich mit, eine Aufnahme des Betriebs für 2025 sei in Vorbereitung. “Es geht insbesondere um die effiziente Bündelung aller Maßnahmen zur Qualifizierung von Lehrkräften und zur Qualitätsentwicklung an Schulen zentral in einem Institut.” In den nächsten Wochen sollten die Pläne jedoch finalisiert werden.
Auch das neue Brandenburger Institut soll die Lehrerbildung unter einem Dach bündeln. Dafür soll es mehr Aufgaben erhalten als die bisherige gemeinsame Einrichtung von Berlin und Brandenburg:
Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) sagte, sein Bundesland wäre den Weg gern mit Berlin gegangen, allerdings sei “kein Rankommen gewesen”, berichtet der Tagesspiegel. Berlin hatte sich 2022 unter Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) für das Verlassen der gemeinsamen Einrichtung entschieden. Hintergrund war die Empfehlung einer Expertenkommission unter Vorsitz von Bildungsforscher Olaf Köller. Sie empfahl unter anderem, die zweite Phase der Lehrerausbildung mit der Fort- und Weiterbildung zusammenzufassen und systematischer die Forschung einzubeziehen – etwas, das Brandenburg in seinem neuen Institut nun auch plant. Es soll vor allem mit dem Zentrum für Lehrerbildung an der Uni Potsdam stärker zusammenarbeiten.
Berlin und Brandenburg seien aber weiterhin bei der Überarbeitung der Rahmenlehrpläne oder der Erstellung zentraler Prüfungsaufgaben eng verzahnt, betonte Steffen Freiberg. Auch den Bildungsserver, ein Online-Informationsportal für Lehrkräfte, nutzten vorerst weiter beide Länder gemeinsam. Anna Parrisius
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Noch in diesem Jahr wollen die Wissenschaftsminister der Bundesländer eine eigene Wissenschaftskonferenz unter dem Dach der Kultusministerkonferenz (KMK) organisieren. Über die neue “WissenschaftsMK” hatte der Wiarda-Blog am Montag zuerst berichtet. Auf Anfrage von Table.Briefings bestätigte die KMK den entsprechenden Bericht. Eine offizielle Stellungnahme sei allerdings bislang nicht geplant, da die länderübergreifenden Gespräche noch laufen. Eine Entscheidung und ein Beschluss werden voraussichtlich erst in der Juni-Sitzung erfolgen, heißt es aus der KMK.
“Die Wissenschaftspolitik ist ein eigenständiger Politikbereich mit einer enormen Bedeutung für unsere Innovationskraft und für uns als Wissensgesellschaft. Dem werden wir mit einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz unter dem Dach der KMK Rechnung tragen”, sagte Saarlands Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker auf Anfrage. Das Saarland hat in diesem Jahr den KMK-Vorsitz.
Weizsäcker wäre dementsprechend der erste Vorsitzende der WissenschaftsMK, wenn sich diese tatsächlich noch in diesem Jahr konstituiert und an den Turnus der KMK hält. “Durch eine eigene Konferenz wird das Zusammenspiel der Wissenschaftspolitik von Ländern und Bund weiter befördert und die Schlagkraft Deutschlands im internationalen Wettbewerb gestärkt”, sagte der SPD-Politiker. Es gehe darum, auch im Lichte der Prognos-Studie, die Arbeitsstrukturen an die Erfordernisse der Zeit anzupassen.
Eine Strukturkommission der KMK hatte im vergangenen November auf Grundlage der Prognos-Studie Vorschläge für eine effizientere KMK-Organisation vorgelegt. Die Kommission riet darin, gemeinsamen Sitzungen und Beratungsstrukturen der Bereiche Schule und Hochschule/Wissenschaft stärker zu trennen.
Die Kommission hatte schon damals in den Raum gestellt, dass der Bereich Hochschule und Wissenschaft im Rahmen der KMK einen eigenen Vorsitz und ein eigenes Präsidium “mit separaten Beratungsstrukturen” erhält. Alternativ wäre auch eine gänzlich eigenständige Konferenz der Wissenschaftsminister denkbar gewesen. “Wichtig ist mir – und anderen Ressortministerinnen und -ministern – dass wir uns nicht von der KMK loslösen, denn wir haben weiterhin wichtige gemeinsame Themen zu bearbeiten“, sagte Petra Olschowski (CDU), Wissenschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg im Gespräch mit Table.Briefings.
Sie erwarte sich von dem neuen Format “in erster Linie mehr Raum zur inhaltlichen Diskussion und eine größere Sichtbarkeit für die wissenschafts- und hochschulpolitischen Themen. Beides ist notwendig”. Tim Gabel
Mit Auflösung der Linksfraktion hat sich auch für Nicole Gohlke einiges geändert. Seit 2009 war sie die Sprecherin der Fraktion für Hochschulpolitik, seit 2021 zudem für Bildungspolitik. Darüber hinaus war Gohlke Fraktionsvize. In der neuen Gruppe Die Linke verantwortet sie weiterhin den Bereich Bildung, aber ist mit Einschränkungen konfrontiert.
Nur noch zehn Kleine Anfragen darf die Linke als Gruppe monatlich stellen, 120 im Jahr. In dieser Wahlperiode hatte die Partei bis zum 1. Februar bereits 966 Kleine Anfragen gestellt, deutlich mehr. Für ihre Oppositionsarbeit, aber auch für Verbände und NGOs sei das “wirklich dramatisch”, sagt Gohlke. Ihre Redezeit im Plenum ist eingeschränkt – bei der Haushaltsdebatte war das schon so – und sie kann weniger eigene Tagesordnungspunkte setzen.
Und: Sie muss mit einer personellen Lücke umgehen. Denn Mitarbeiter, die bei der Fraktion angestellt waren, mussten entlassen werden. Gerade bei wissenschaftlichen Referenten, die sonst Unterlagen und Drucksachen gesichtet haben, wiegt das schwer.
Dabei hält Gohlke ihre linke Oppositionsarbeit gerade jetzt für wichtig. Bildung werde viel zu wenig Gewicht beigemessen, auch finanziell. Ihre zentrale Forderung: ein Sondervermögen Bildung. Außerdem befürwortet sie eine Aufhebung des Kooperationsverbots. Geht es nach Gohlke, sollte Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen im Grundgesetz verankert werden. Der Bund müsse deutlich stärker finanzieren – auch Schulsanierungen.
Besonders mit Blick auf den Ganztagsanspruch ab 2026 sollten Schulen anders aufgebaut sein, findet Gohlke. Es brauche mehr und unterschiedliche Räume – die sich neben Unterricht auch für Freizeitangebote eignen.
Mit ihren ehemaligen Fraktionskollegen, die jetzt im Bündnis Sahra Wagenknecht sind, schließt Gohlke künftig eine Zusammenarbeit nicht aus. Sie erwartet aber wenig. “Ich kenne die Kolleginnen und Kollegen, Bildung war vorher schon kein Thema, um das sie sich geprügelt haben.”
Politisiert wurde die gebürtige Münchnerin als Schülerin. Damals geht sie gegen den Zweiten Golfkrieg und die rassistischen Pogrome der 1990er-Jahre auf die Straße. Im Studium der Kommunikationswissenschaft wird sie Mitglied der NGO Attac, weil sie deren Kapitalismuskritik überzeugt.
Daneben tritt sie der trotzkistischen Gruppe “Linksruck” bei, deren Ziel die Beseitigung des bürgerlichen Staates durch Klassenkampf ist. Auch dem Nachfolgenetzwerk Marx21 innerhalb der Linkspartei gehört sie an – das sei inzwischen jedoch Jahre her. Bis 2015 wurde Gohlke vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet.
Heute hat Gohlke eine neunjährige Tochter, die in München zur Schule geht. Durch sie sieht sie, welcher Druck in Bayern auf die Schüler beim Wechsel in die weiterführende Schule ausgeübt werde, sagt Gohlke. Als Bildungspolitikerin spricht sie sich dafür aus, dass Noten und Hausaufgaben der Vergangenheit angehören.
Nach Veröffentlichung der Pisa-Ergebnisse forderte Gohlke im Bundestag, an Schulen “endlich mal ein bisschen Druck und den Drill herauszunehmen”. “Lernen sollte in erster Linie Spaß machen und keine Bauchschmerzen verursachen.” Andere Länder seien hier erfolgreicher.
Geht es nach Gohlke, sollte es künftig nur eine Schule für alle geben – die Gemeinschaftsschule. Mithilfe multiprofessioneller Teams und in kleinen Klassen sollten Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden. “Ich finde, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Bildungsverliererinnen und -verlierer zu produzieren.” Kira Münsterberg, Anna Parrisius
Research.Table: Fünf Jahre Futurium in Berlin: Positives Echo aus Forschungsgesellschaften – mit Abstrichen. Beim Start des Berliner Futuriums vor fünf Jahren herrschte Skepsis, ob das Konzept aufgeht. Zumindest die Besucherzahlen sprechen dafür. Eine Stimmungsumfrage bei den Gesellschaftern aus der Wissenschaft. Mehr
Research.Table: “Für geschlechtergerechtes Berufungsgeschehen weiterhin Gleichstellungsinterventionen erforderlich”. Von der Tatsache, dass Frauen in Berufungsverfahren mittlerweile durchaus erfolgreich sind, sollte man sich nicht täuschen lassen, schreibt die Soziologin Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Sie formuliert drei Botschaften gegen gedankliche Kurzschlüsse. Mehr
Tagesspiegel: Alle Kinder sollen lesen können. Dieses Ziel geht aus dem Diskussionspapier eines neuen Bildungsforums hervor. Ekkehard Thümler und Siegfried Arnz sind Mitinitiatoren. Das Ziel des Startchancen-Programms, den Anteil der Schüler, die die Mindeststandards verfehlen, zu halbieren, reicht den Bildungsfachleuten nicht aus. Sie wollen 100 Prozent Lesekompetenz in der Grundschule und eine an Missionen orientierte Politik. (“Die Mondlandemission der Bildung: Diese vier Maßnahmen sollen die Zahl der Analphabeten verringern”)
BR24: Dieter Vierlbeck betont hohen Stellenwert der Ausbildung für Geflüchtete. Der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Handwerkstags hält es für wichtiger, dass Geflüchtete sofort Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen beginnen, als dass sie schnell in Arbeit kommen. Er fordert zudem, dass niemand, der sich in einer Ausbildung befindet, abgeschoben werden soll. Häufig würden sich die Geflüchteten besonders für Mangelberufe interessieren – fallen sie weg, schadet das der Wirtschaft. (“Das bayerische Handwerk setzt auf Flüchtlinge in Ausbildung”)
Handelsblatt: Meist profitieren Schüler nicht von Chancen der Digitalisierung. Laut OECD ist die Nutzung digitaler Systeme in den Schulen noch nicht ausgereift – in Deutschland unter anderem, weil den Lehrkräften entsprechende Fortbildungen fehlen. Als elektronisches Lesebuch eigne sich ein Tablet etwa nicht. KI-basierte Lernsoftware könnte dagegen helfen – sofern sie richtig eingesetzt wird. (“Bücher für die Kleinen, moderne Lernsoftware für die Großen”)
FAZ: Damit der Lehrerberuf attraktiver wird, brauchen Lehrer das Vertrauen der Gesellschaft. Das schreibt Gymnasiallehrer Klaus Mertes in seinem Gastbeitrag. Er sieht eine “Verwechslung des Lehrberufes mit einem Dienstleistungsberuf” als Ursache für die Attraktivitätskrise des Lehrberufes. Für problematisch hält er eine kleinteilige Steuerung durch die Schulbürokratie. Schulen sollten mit einem eigenen Budget ausgestattet werden und Lehrkräfte Spielräume im Unterricht erhalten. (“Lehramt in der Krise”)
Deutschlandfunk: Ab kommendem Schuljahr gibt es in Italien “Made in Italy”-Gymnasien. Das wurde im Rahmen des “Made in Italy”-Gesetzes entschieden. Es soll “italienische Exzellenzen aufwerten und schützen”. Der Soziologieprofessor Massimiliano Panarari bezeichnet es als “identitäres Symbolprojekt”. Andere Kritiker, glauben, dass Italien damit kulturell weiter nach rechts geschoben werden soll. Aktuell hält sich das Interesse von Eltern und Schülern in Grenzen. (“Gymnasien für nationalen Stolz – wie Meloni Italien wendet”)
14. März 2024, 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr, digital
Talk Generative KI in den Naturwissenschaften – Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT & Co. für Schüler:innen und Lehrer:innen
Kann ChatGPT fachlich korrekte Antworten im Bereich der Naturwissenschaften geben? Dieser Frage geht der aktuelle LEIFI-Talk, Teil einer Fortbildungsreihe für Physik- und Chemie-Lehrkräfte, auf den Grund. Außerdem werden Anwendungsmöglichkeiten im Schulkontext besprochen. INFOS & ANMELDUNG
20. März 2024, 19:00 bis 20:30 Uhr, digital
Vortrag “Schule Reloaded”: KI und Schulalltag, Kritik und Zukunft der Schule im Wandel
Sprachmodelle und KI können helfen, Bildung inklusiver und anpassungsfähiger zu gestalten. In einem Vortrag widmet sich der Lehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume der Frage “Wie kann eine Bildung aussehen, die KI integriert und reflektiert?” Anschließend gibt es die Möglichkeit, über den ethischen und verantwortungsbewussten Umgang mit KI im Kontext Schule zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG
16. April 2024, 17:00 bis 18:00 Uhr, digital
Konferenz Tea Time Bildung. Das innovative BNE-Bildungskonzept FREI DAY
In verschiedenen Impulsen stellen Miriam Remy, Bundeslandkoordinatorin NRW von der Initiative “Schule in Aufbruch”, die Grundschullehrerin Elena Link von der Marienschule Bonn und der Lehrer Andreas Olsen von der Fritz-Bauer-Gesamtschule in St. Augustin das Konzept FREI DAY vor. INFOS & ANMELDUNG
16. April 2024, 11:00 bis 12:00 Uhr, digital
Webinar “Ausbildung vs. Studium?” – Mythen zu nachschulischer Bildung
Ist der Studienboom allein die Ursache für den Azubi-Mangel? Nach dem Impulspapier zu Mythen nachschulischer Bildung von Bertelsmann Stiftung und Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) lädt das CHE zur Diskussion: Wie gelangen Akteure akademischer und beruflicher Bildung zu einem lösungsorientierten, kooperativen Dialog? INFOS & ANMELDUNG
geht es nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung soll das milliardenschwere Startchancen-Programm nicht weniger als eine bildungspolitische Trendwende einleiten. Immerhin ist es das bislang teuerste Hilfsprogramm in der Schulgeschichte der Bundesrepublik. Doch Geld allein reicht nicht für eine erfolgreiche Schulreform. Das weiß der ehemalige Schulleiter Siegfried Arnz, dem bereits vor 30 Jahren der Turnaround einer Berliner Hauptschule gelang. Arnz’ Erfolgsrezept baut vor allem auf drei Soft Skills, analysiert Christian Füller. Dieser Ansatz bietet auch für künftige Startchancen-Schulen eine Chance.
Eine ganz andere Reform – bei der sich dann doch wieder alles ums liebe Geld dreht – will das BMBF am heutigen Mittwoch beschließen. Die lang diskutierten Bafög-Änderungen sollen nun endgültig Gestalt annehmen und damit sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Studierende entlasten. Den Grünen und der SPD geht der Entwurf der Bildungsministerin Stark-Watzinger allerdings nicht weit genug, wie Maximilian Stascheit analysiert. Uneinig sind sich die Mitglieder der Koalition auch darin, wie die Erhöhung der Regelsätze unter den aktuellen Haushaltsbedingungen finanzierbar ist.
Zuletzt darf ich Ihnen noch unseren neuen Kolumnisten Andreas Schleicher vorstellen – der Ihnen als Pisa-Chef wahrscheinlich schon bestens bekannt ist. Seine Äußerungen zu Lehrkräften in Deutschland lösten heftige Kritik aus. In seiner ersten Kolumne führt Andreas Schleicher aus, wie er sich eine neue Kultur der Zusammenarbeit in Schule vorstellt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Und falls auch Sie interessante Reformvorschläge für das Bildungssystem haben, steht Ihnen unser E-Mail-Postfach jederzeit offen.
Die Schulen, denen nach den Sommerferien das teuerste Hilfsprogramm in der Schulgeschichte der Bundesrepublik gewidmet ist, gab es schon in den 1990er-Jahren. Nur half damals kein 20-Milliarden-Euro-Zuschuss, sondern der Spirit mutiger Schulleiter: Siegfried Arnz zum Beispiel schaffte das, was man heute “Turnaround” nennt, nicht mit harten Faktoren wie Geld. Er baute eine Hauptschule mit fast unscheinbaren Tugenden um: Partizipation, Vertrauen und Verantwortung brachten die 180-Grad-Wende. “Es ist uns gelungen, auch Schüler, die sich aufgegeben hatten, neu zu motivieren”, sagt Arnz, der seit acht Jahren im Ruhestand ist.
Betrachtet man die Keile, die benachteiligte Schulen bald mit dem Startchancen-Programm stützen sollen – Schulleiterbudget, multiprofessionelle Teams, Investitionen in Schulgebäude -, dann wirken die Maßnahmen von Arnz wie Kleinkram. Er kürzte die Schulstunde um fünf Minuten – und ließ die Lehrkräfte die gewonnenen Zeithäppchen sammeln. Er erlaubte Schülern, die nicht mehr konnten, den Unterricht zu verlassen. Und er appellierte bei verloren geglaubten Pubertierenden an eine Ressource, die ihnen niemand zutraute: Eigenverantwortung.
“Dazu zählt, Schüler im gesamten Schulleben ernst zu nehmen”, sagt Arnz. Partizipation heißt für ihn, über die Mitwirkungsforen des Schulgesetzes hinauszugehen. Also Schüler an der Gestaltung des Unterrichts zu beteiligen. Und ihnen deutlich zu machen: “Uns interessiert, was ihr wollt. Wir interessieren uns für euch!”
Um die Situation zu verstehen, in der sich viele Schulen der Bildungsrepublik seit Jahrzehnten befinden, muss man ein Gutachten lesen, das der Bildungsforscher Jürgen Baumert 2006 veröffentlichte. Der damalige Leiter der Pisa-Studien reicherte deren Ergebnisse mit Sozialdaten an – und fand Schulen am Rande des Zusammenbruchs. Klassen voller Sitzenbleiber und Kinder mit Gewalterfahrungen. Schüler, deren Eltern von Hartz IV lebten und/oder zu Hause kein Deutsch sprachen. Baumert empfahl damals mehr oder weniger explizit, solche Schulen zu schließen. Arnz aber schaffte die Wende an einer dieser Schulen, an der Werner-Stephan-Schule in Berlin-Tempelhof.
Vielleicht kann man den Umbau der Werner-Stephan-Schule am besten an den fünf Minuten weniger Unterricht verstehen. Die Lehrkräfte an Arnz’ Schule konnten selber entscheiden, was sie mit der gewonnenen Zeit tun. Arbeitsgemeinschaften, eine Theaterarbeit, eine Schülerfirma betreuen – oder in Doppelbesetzung ins Klassenzimmer gehen. Oder eine Schulstation errichten – so etwas wie der psychologische Ruheraum einer Schule.
In der Schulstation arbeiteten jene Lehrer, berichtet Arnz, die einen besonderen Schwerpunkt hatten – etwa eine Weiterbildung in Psychologie. Sie hätten Wege gemeinsam mit den Schülern besprochen: “Die chaotischen Schüler haben mit uns zusammen überlegt: Was hilft uns, wenn wir chaotisch sind? Darüber kannst du mit den verrücktesten Schülern reden.”
Derartige Freiräume am Rande wirken nicht, wenn sich am Zentrum der Schule nichts ändert: “Wenn der Unterricht weiter miserabel bleibt, wie er ist, braucht man Reformen gar nicht anzugehen”, sagt der frühere Schulleiter. Er meint: Es gibt Schüler, die im Frontalunterricht Leistungen nicht erbringen können. Oder nicht wollen. Sie übernehmen erst dann Verantwortung für sich selbst, wenn man ihnen Projekte anbietet, in denen sie Selbstwirksamkeit erleben. Und wenn der ehemalige Schulrat schon einmal die Abrissbirne schwingt, dann auch gegen bestimmte Abschlüsse. “Zum Beispiel unser erster berufsbildender Schulabschluss, die Berufsbildungsreife, ist an sich ein unsinniger Abschluss. Weil er nicht gebraucht wird, aber viel Kraft kostet”, sagt Arnz.
Arnz gehört heute zum Beraterteam des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung für das Startchancen-Programm. Er weiß, dass dessen Elemente notwendige Hilfsmittel für die Rettung von 4.000 Schulen sind. Aber eben keine hinreichenden. “Ich glaube, dass das Startchancen-Programm nur dann eine Chance hat, wenn Schulen unter den Bedingungen zusätzlicher Ressourcen diesen Prinzipien Geltung verschaffen: Partizipation, Selbstwirksamkeit, anderer Unterricht.“
Keine Illusionen macht er sich darüber, dass die Steuerung deutscher Schulen in Teilen dysfunktional ist. Das gilt besonders für jenen Teil der Startchancen, den die FDP gern Chancenbudget nennt, also das Schulleiterbudget. Es überfordert nicht wenige Schulen, denn nicht jeder Schulleiter kann mit eigenen Budgets umgehen. Deswegen findet es Arnz richtig, dass zwei Drittel dieses Budgets an die Erfüllung bestimmter Kriterien geknüpft sind.
Arnz wurde nach seinen Erfolgen in der Werner-Stephan-Schule in die Berliner Schulverwaltung berufen. Er wurde dort zum Baumeister der erfolgreichen Berliner Schulreform unter seinem Architekten, dem damaligen Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD). Nur ist der 1950 in Solingen geborene Arnz eben kein Gesundbeter. Er sieht die Einführung einer zweigliedrigen Schule als Erfolg, auch das Etablieren der Gemeinschaftsschulen in Berlin und die Abschaffung der Hauptschule sowieso. Trotzdem sagt er: “Wir haben es nicht geschafft. Ich habe es nicht geschafft.”
Denn ein Kernelement der Schulreform, nämlich die gleichzeitige Unterrichtsreform, die zu mehr praktischen Haltegriffen für Schüler führen sollte, sei misslungen. “Praxis-Lernen muss ein konstitutiver Bestandteil der gesamten Unterrichtspraxis in den integrierten Sekundarschulen sein“, sagt er. “Für mich ist das die Schlüsselfrage, warum wir nicht weitergekommen sind mit den Kids, die wir nicht zum Lernen gewinnen.” Das ist ihm sehr wichtig: “Wenn wir die nicht gewinnen, können wir so viel Druck machen, wie wir wollen, dann kriegen wir sie nicht.”
In der Ampel-Koalition gibt es weiter Streit um die Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög). Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch den von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger vorgelegten Entwurf für eine Reform verabschieden. Die darin enthaltenen Maßnahmen sind in den Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP an sich zwar weitgehend unstrittig, gehen jedoch nicht allen weit genug. Stark-Watzinger möchte zwar den Kreis der Empfangsberechtigten erweitern und einige strukturelle Änderungen vornehmen, die Höhe der Zahlungen jedoch nicht antasten.
Deshalb wird das Bundeskabinett am Mittwoch nun zunächst folgende Änderungen beschließen:
Stark-Watzingers Vorschläge werden von den Ampel-Fraktionen zwar begrüßt, doch Grüne und SPD würden sich noch mehr wünschen. Die Grünen-Bundestagsfraktion hat vor zwei Wochen die Forderung nach einem Fünf-Punkte-Plan zur Modernisierung des Bafög beschlossen, der deutlich über die Vorschläge der Ministerin hinausgeht. Unter anderem wird darin gefordert, die Freibeträge um zehn statt fünf Prozent zu erhöhen und die Förderhöchstdauer um zwei Semester über die Regelstudienzeit hinaus zu verlängern.
Vor allem aber wollen die Grünen, dass die Bafög-Empfänger auch mehr Geld bekommen. “Die Bedarfssätze müssen noch einmal angehoben werden, denn die Inflation trifft besonders diejenigen schwer, die kaum Geld zur Verfügung haben wie Studierende und Schüler:innen”, sagte Laura Kraft, Obfrau der Grünen-Fraktion im Bildungsausschuss, auf Anfrage. Dem Fraktionsbeschluss zufolge sollen die Sätze “mindestens auf Bürgergeld-Niveau” steigen und durch einen festgelegten Mechanismus regelmäßig angepasst werden. Außerdem fordert die Grünen-Fraktion, die im Bafög enthaltene Wohnpauschale an die ortsüblichen Mieten für studentisches Wohnen anzupassen.
Für die Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze und einer regelmäßigen Anpassung bekommen die Grünen auch Unterstützung aus der SPD. “Die SPD will, dass diese Punkte nachgebessert werden und sieht in der Koalition eine konstruktive Diskussion dazu”, sagte der bildungspolitische Sprecher Oliver Kaczmarek zu Table.Briefings.
Den deutlich weitreichenderen Vorstoß der Grünen kritisiert er allerdings: “Jede Fraktion kann ihre Meinung in Positionspapieren zum Ausdruck bringen. Für die SPD-Fraktion ist aber entscheidend, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen, auf den sich die drei Ampel-Parteien geeinigt haben, statt neue Grundsatzdebatten zu eröffnen”, so Kaczmarek. Er sei “gespannt, wann die Forderungen aus dem grünen Positionspapier in den Verhandlungen thematisiert werden und wie sie finanziert werden sollen”.
Uneinig ist sich die Koalition darin, inwiefern eine Erhöhung der Regelsätze unter den aktuellen Haushaltsbedingungen finanzierbar ist. SPD und Grüne verweisen darauf, dass der Haushaltsausschuss für das Jahr 2024 zusätzlich 150 Millionen Euro für eine Bafög-Erhöhung bereitgestellt hat. Die Mittel sind zweckgebunden, dürfen also vom BMBF für nichts anderes verplant werden.
Bei den 150 Millionen Euro haben die Ampel-Haushälter mit einer Erhöhung ab dem Wintersemester 2024/25 gerechnet. Das Budget deckt also die Mehrkosten für die Monate Oktober bis Dezember. Ab dem Haushaltsjahr 2025 würden demnach etwa 600 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr benötigt, um die Erhöhung weiter zu finanzieren. Das jedoch sei komplett unrealistisch, argumentiert das BMBF.
Die FDP-Ministerin erhält dabei Rückendeckung von ihrer Fraktion, die eine Erhöhung der Regelsätze ohnehin nicht für notwendig hält. Die Argumentation der Liberalen: Zum Wintersemester 2022/23 war der Höchstsatz für Studierende bereits von 861 auf aktuell 934 Euro erhöht worden. Dies sei in der Regel ausreichend, zumal das verfügbare Einkommen durch Nebenjobs oder Stipendien noch aufgestockt werden könne.
Die Forderungen von SPD und Grünen werden nun im Zuge der parlamentarischen Beratungen im Bundestag auf den Tisch kommen. “Es ist gut, dass der Entwurf aus dem Bildungsministerium im Kabinett beraten wird und jetzt die Parlamentarier die Möglichkeit haben, weiter daran zu arbeiten”, sagte Kraft. Die Zeit drängt allerdings: Wenn die Reform wie geplant bereits zum Wintersemester 2024/25 in Kraft treten soll, müsste der Bundestag das Gesetz spätestens bis zur Sommerpause verabschieden. Mitarbeit: Nicola Kuhrt
Die Weichen werden früh gestellt. Kinder aus wohlhabenderen Familien finden oft viele offene Türen für ein erfolgreiches Leben. Dagegen haben Kinder aus bildungsfernen Schichten meist nur eine einzige Chance im Leben: eine gute Schulbildung als Fundament, um ihr Potenzial zu entfalten. Diejenigen, die dieses Boot verpassen, bekommen selten eine zweite Chance, da Bildungsmöglichkeiten im späteren Leben frühe Bildungsergebnisse meist noch verstärken. Das gilt nicht nur für Deutschland, aber besonders auch für Deutschland.
In den Jahren nach dem Pisa-Schock im Jahr 2001 hatte Deutschland zunächst viel erreicht. Die Bedeutung guter frühkindlicher Förderung wurde schnell erkannt und Kindertagesstätten sind heute integraler Bestandteil des Bildungssystems. Auch die Notwendigkeit, verbindliche Maßstäbe für den Erfolg von Bildung zu schaffen, ist heute weitgehend Konsens. Zu den wichtigen Reformen, die eingeleitet wurden, zählen kompetenzorientierte nationale Bildungsstandards, die Einführung der Ganztagsschule, bessere Diagnostik und Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen, sowie Reformen bei der Lehrerbildung. Im Ergebnis stand Deutschland bereits 2009 im internationalen Vergleich viel besser da.
Allerdings kam diese positive Reformdynamik in den vergangenen 15 Jahren praktisch zum Erliegen. Seitdem sehen wir Rückschritte, nicht unbedingt, weil die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems abnimmt, aber weil sich das Bildungssystem in Deutschland nicht schnell genug an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpasst. 2022 fuhr Deutschland die bislang schlechtesten Ergebnisse im Pisa-Leistungstest ein. Die Covid-19-Pandemie allein erklärt diese Rückschritte nicht.
Vielleicht möchten Sie diesen Artikel gleich wieder weglegen und sich keine weiteren Gedanken zur Verbesserung des Bildungssystems machen. Weil Sie denken, etwas so Komplexes wie Bildung kann man nicht verändern. Dennoch bitte ich Sie, weiterzulesen. Warum? Weil zum Beispiel die sozioökonomisch am schlechtesten gestellten zehn Prozent der Schüler in den chinesischen Pisa-Provinzen genauso gute Leistungswerte wie die Durchschnittsschüler in Deutschland erreichen. Weil viele Schulen in Deutschland auch in schwierigem Umfeld Spitzenleistungen erbringen. Weil wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass die Anforderungen an moderne Bildungssysteme weiter steigen.
Wir leben in einer Welt, in der Dinge, die leicht zu lernen und zu testen sind, auch leicht digitalisiert und automatisiert werden können. Schüler in Deutschland sind vergleichsweise gut darin, fertiges Wissen zu reproduzieren. Wie die Pisa-Studie aber zeigt, fällt es ihnen schwer, von dem, was sie wissen, zu extrapolieren und ihr Wissen kreativ auf neue Zusammenhänge zu übertragen. Genau darauf kommt es aber an.
Die wachsende Komplexität des modernen Lebens für den Einzelnen und für Gemeinschaften bedeutet, dass auch die Lösungen für unsere Probleme komplex sein werden. Es geht darum, das richtige Gleichgewicht zwischen konkurrierenden Forderungen zu finden – ob Gerechtigkeit und Freiheit, Autonomie und Gemeinschaft, Innovation und Kontinuität oder Effizienz und demokratischer Prozess. Dazu müssen wir in einer stärker integrierenden Weise denken. Die Fähigkeit, mit Unwägbarkeiten und Mehrdeutigkeiten umzugehen, wird zum Schlüssel.
Nur wie schaffen wir all das? Politiker behaupten gerne, Bildung habe oberste Priorität. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass sie diesem Anspruch in der Praxis oft nicht gerecht werden. In Japan oder China investieren Eltern und der Staat die letzten Mittel in die Zukunft ihres Landes, das heißt in die Bildung ihrer Kinder. In Deutschland haben wir das Geld unserer Kinder bereits für unseren eigenen Konsum ausgegeben. Das müssen wir ändern.
In deutschen Schulen werden Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Bedürfnissen meist noch in einheitlicher Weise unterrichtet. Zukünftige Schulsysteme begegnen den vielfältigen Schülerbedürfnissen mit differenzierten pädagogischen Ansätzen – ohne Abstriche bei den Leistungserwartungen. Vielfalt ist mancherorts eine Herausforderung, sie bietet aber Chancen und Potenziale.
Wir brauchen gut aus- und weitergebildetes Personal, Räume, in denen Schüler die für sie wichtige Lern- und Lebenserfahrungen machen können, Rahmenlehrpläne, die sich auf das Wesentliche konzentrieren, eine Schule, die inklusiv, demokratisch, gesund und bewegt ist.
Das, was Kinder aus der Pandemie mitnahmen, war nicht die zusätzliche Hausaufgabe, sondern die Erinnerung an die Lehrkräfte, die in dieser schwierigen Zeit für sie da waren. Lehrkräfte, die erkannt hatten, wer sie sind und wer sie werden wollen, und die sie beim Erreichen ihrer Träume unterstützt haben. Die Zukunft braucht Lehrer als Experten, die Schüler begleiten und dabei unterstützen, durch eigenständiges Denken und Handeln selbstständig und kooperativ zu lernen.
Nirgendwo ist ein Schulsystem besser als seine Lehrkräfte. Zukünftige Schulsysteme wählen und bilden ihre Lehrkräfte sorgfältig aus, und sie gehen von administrativer Kontrolle und Rechenschaftslegung über zu professionellen Formen der Arbeitsorganisation. Sie ermutigen ihre Lehrkräfte dazu, innovativ zu sein, ihre eigenen Fähigkeiten und die ihrer Kollegen weiterzuentwickeln. Es geht um eine Kultur der Zusammenarbeit und starke Innovationsnetzwerke. Außerdem werden neue Technologien wirksam eingesetzt, um Lernen zu individualisieren und zeitgemäße Lernumgebungen zu schaffen.
Zukünftige Schulsysteme bieten allen eine qualitativ hochwertige Bildung, sodass jeder Schüler exzellenten Unterricht genießt. Hierfür gewinnen sie die besten Schulleiter für die schwierigsten Schulen, und die talentiertesten Lehrkräfte für die Schüler mit den größten Herausforderungen.
Die Herausforderungen sind gewaltig, aber wir haben die Fähigkeit zu gestalten. Chancengerechte Bildung von hoher Qualität ist ein erreichbares Ziel. Durch ein modernes Bildungssystem ist es möglich, Millionen von Lernenden eine Zukunft zu bieten, die heute keine haben. Die Aufgabe ist dabei nicht, das Unmögliche möglich zu machen, sondern das Mögliche zu realisieren.
Andreas Schleicher ist Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er ist dort Chefkoordinator der Pisa-Studie. Er wird in Zukunft regelmäßig für Bildung.Table Kolumnen schreiben und Einblicke in die Arbeit von Schulen verschiedener Länder geben.
Der Lehrkräftemangel an allgemeinbildenden Schulen bleibt voraussichtlich bis 2035 bestehen, selbst an Grundschulen soll es – wenn überhaupt – nur einen minimalen Lehrerüberschuss geben. Zu diesem Ergebnis kommt das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Nach den Lehrerbedarfsprognosen der KMK und der Bertelsmann Stiftung ist es die dritte Berechnung innerhalb von drei Monaten. Grund für die erneut unterschiedlichen Ergebnisse sollen aktuellere Zahlen sein – und ein stärkerer Fokus auf ausscheidende Lehrkräfte.
Mindestens 115.000 bis 177.500 Lehrkräfte werden bis 2035 an allgemeinbildenden Schulen fehlen, berechnet das FiBS in einer aktuellen Studie (zum Download). Das wären knapp zwei- bis dreimal so viele, wie von der KMK zuletzt erwartet, folgert Studienautor Dieter Dohmen. Er verwendet in seiner Berechnung aktuelle Daten zur Bevölkerungsentwicklung, Schülerzahlen und Lehrkräfteausbildung. Auch die starke Zuwanderung als Folge des Ukraine-Kriegs hat er berücksichtigt. Dies geschah bei den Berechnungen der KMK und der Bertelsmann Studie nur implizit, da diese auf ältere Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung zurückgriffen.
Ein Teil des Mehrbedarfs an Lehrkräften lässt sich auf steigende Schülerzahlen zurückführen. Entscheidender sei aber der Ersatzbedarf für Lehrkräfte, die die Schule verlassen. Bis zum Jahr 2035 scheiden der Studie zufolge knapp 16.000 Lehrkräfte altersbedingt aus. FiBS-Direktor Dohmen geht davon aus, dass das aber nur ein Drittel der Lehrkräfte ausmacht, die den Schuldienst quittieren. Viele kehrten wegen Dienst- oder Berufsunfähigkeit aus oder sie kehrten der Schule vorübergehend den Rücken. Sollte es nicht gelingen, ihre Zahl zu reduzieren, könnte der Mangel sogar bei über 225.000 Lehrkräften liegen.
Am größten fällt der Lehrermangel voraussichtlich in der Sekundarstufe I aus. Für die Sekundarstufe II geht die Studie dagegen von einem Überschuss von rund 60.000 Personen aus. Für die Grundschulen berechnet Dieter Dohmen einen Mangel von rund 16.000 Lehrkräften. Nur bei deutlich sinkenden Geburten- beziehungsweise Schülerzahlen und wenn Lehrer mehr Schüler als aktuell betreuen, könnte es ihm zufolge einen Überschuss von rund 1.000 Lehrkräften geben. Das steht im starken Kontrast zu dem von der Bertelsmann Stiftung berechneten Überschuss von knapp 46.000 Lehrkräften bis 2035. Vera Kraft
Warum Lehrkräfteprognosen zu solch unterschiedlichen Ergebnissen kommen, können Sie hier lesen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich dafür ausgesprochen, Übernachtungs- oder Wohnmöglichkeiten an den Berufsschulen zu schaffen. Ein Mangel an Optionen der Unterbringung dürfe “kein Abschreckungskriterium” sein. “Wir müssen alle Wege öffnen, um Menschen in Arbeit zu bringen, die arbeiten wollen”, sagte er bei der Handwerksmesse in München.
Habeck verwies dabei auf sein Gespräch mit Auszubildenden beim Fachkräftekongress in der vergangenen Woche. Sehr viele Azubis hätten geklagt, dass die Wohnsituation schwierig sei, gerade wenn sie in die Berufsschule müssten. Das führe dazu, “dass einige sagen: ,Dann mache ich lieber keine Ausbildung’, weil es so teuer ist”.
Der Bund stellt den Ländern seit 2023 im Rahmen des Sonderprogramms “Junges Wohnen” jährlich 500 Millionen Euro für Wohnheimplätze zur Verfügung. Nur Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wollen laut Abfrage von Table.Briefings jedoch ausdrücklich zu gleichen Teilen Wohnheimplätze für Auszubildende und für Studierende fördern.
Lesen Sie auch: Nur zwei Länder planen Bundesmittel für Azubi-Wohnheime fest ein
Die Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, kündigte derweil an, dass ihre Behörde das neue Ausbildungsjahr mit “zwei Wochen Powerplay” einläuten wolle. In dieser Woche veranstaltet die Bundesagentur zum zweiten Mal die Woche der digitalen Elternabende. Zahlreiche Unternehmen, moderiert von der BA, stellen Ausbildungsmöglichkeiten vor. Im vergangenen Jahr haben laut BA 11.000 Eltern teilgenommen.
In der kommenden Woche wollen Arbeitsagenturen und Jobcenter im Rahmen der jährlich stattfindenden Woche der Ausbildung Jugendliche informieren, Nahles zufolge “teilweise mit sehr innovativen Ideen”. So stünden in Detmold nachhaltige Ausbildungsberufe im Fokus, andernorts soll mit Vorurteilen gegenüber klassischen Ausbildungsberufen aufgeräumt werden. Ein Dachdecker zeige etwa, dass er für seine Arbeit Drohnen einsetzt.
Daneben sprach sich die BA-Chefin auch für einen früheren Beginn der Berufsorientierung aus: “Wir brauchen eigentlich eine Stärkung der Berufswahlkompetenzen ab der fünften Klasse.” Anna Parrisius
Bis 2027 könnten 128.000 Fachkräfte in Berufen fehlen, die für den Erfolg der digitalen Transformation entscheidend sind. Die Zahl der Beschäftigten in Digitalisierungsberufen soll bis dahin insgesamt auf mehr als drei Millionen ansteigen, ein Plus von 13,7 Prozent. Das ergibt eine Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) (zum Download). Die Forscher haben zugrunde gelegt, dass sich die Entwicklung der Jahre 2016 bis 2022 weiter fortsetzt, und berechnen die Differenz von zu erwartenden offenen Stellen und passend qualifizierten Arbeitslosen.
Der Blick auf einzelne Berufe zeigt: Am größten soll die Fachkräftelücke 2027 bei studierten Informatikern (19.022) sein, gefolgt von ausgebildeten Bauelektrikern (15.477). In der Relation am stärksten wächst die Lücke von 2022 bis 2027 laut Prognose bei IT-Systemadministratoren, die ein Bachelorstudium oder eine IT-Ausbildung mit anschließender Weiterbildung absolviert haben (Anstieg auf 4.196, seit 2022 um 88 Prozent).
Die Forscher empfehlen, die Berufsorientierung weiterzuentwickeln. Es solle einen standardisierten Prozess geben, der auch über weniger bekannte Mangelberufe aufklärt und längere Praktika beinhaltet. Insbesondere für digitale Elektroberufe – zum Beispiel Mechatroniker oder IT-System-Elektroniker – müssten mehr junge Menschen begeistert werden. Die Autoren fordern zudem einen Wandel der beruflichen Bildung. Zum Beispiel sollten die Berufsschulen moderner und Hochschulen in die berufliche Bildung eingebunden werden.
Die IG Metall hat den Unternehmen Anfang der Woche mangelnde Ausbildungsbereitschaft, gar einen “Ausbildungsboykott“, vorgeworfen. “Wer nicht oder kaum ausbildet, darf kein Fachkräfteproblem beklagen”, sagte Gewerkschafts-Vorstand Hans-Jürgen Urban. So gab es in IT-Berufen zwar elf Prozent mehr Azubis als noch vor der Corona-Pandemie 2019, bei Metall- und Elektroberufen gingen die Ausbildungsverträge aber seither um neun Prozent zurück (Ausbildungsbilanz zum Download).
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verweist hingegen darauf, dass die Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr 2023 angestiegen sind: bei industriellen Metallberufen um rund neun, bei industriellen Elektroberufen um fast 13 Prozent. Der Verband verwies außerdem auf ein neues Karriereportal von Gesamtmetall, das im Februar an den Start ging. Anna Parrisius
Etwas weniger als die Hälfte der Geflüchteten und Zugewanderten, die von 2016 bis 2022 am BMBF-Programm “Berufliche Orientierung für Zugewanderte“ (BOF) teilgenommen haben, ist der Übergang in die Ausbildung gelungen. Zumindest, wenn sie den vorgesehenen sechsmonatigen Kurs bis zum Ende besucht haben. Sie kamen dann direkt in eine Ausbildung oder eine Einstiegsqualifizierung – ein sozialversicherungspflichtiges Praktikum, das die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter fördern. Dies ergibt ein Gutachten der Beratungsfirma Prognos (zum Download).
Wenn ein direkter Übergang nicht gelang, lag das laut Prognos oft daran, dass sprachliche und fachliche Kenntnisse immer noch nicht ausreichten. Es gab auch Teilnehmer, die sich wegen ihres Alters oder ihrer finanziellen Situation gegen eine Ausbildung entschieden. Bei manchen waren zudem aufenthaltsrechtliche Fragen ein Hemmnis. Für mögliche weitere Maßnahmen empfiehlt die Beratungsfirma, eine Orientierungsphase einzuführen, in der die Kompetenzen der Teilnehmer und deren individuelle Lage schon vorab besser geklärt werden. Das Programm lief bis Ende 2023.
Im Rahmen von BOF erhielten Teilnehmer Fach- und Sprachunterricht verbunden mit Werkstatttagen und einer Betriebsphase. Diese Verzahnung bewertet Prognos sehr positiv. Bis 2022 haben insgesamt 6.545 Menschen am Programm teilgenommen. Ein Drittel kam aus NRW, 15 Prozent aus Bayern und jeder Zehnte aus Berlin.
Einen Erfolgsfaktor sehen die Gutachter in der individuellen Begleitung der Teilnehmer. Mit Blick auf künftige Ausbildungsbetriebe empfehlen sie daher auch, diese besser darüber zu informieren und sie frühzeitig bei der Begleitung zu unterstützen.
Interessieren dürfte das Prognos-Gutachten die Verantwortlichen des Thüringer Modellprojekts German Professional School, das Anfang der Woche seine Arbeit aufnahm. Es will junge Menschen aus dem Ausland auf eine Ausbildung vorbereiten. Zunächst sollen 74 junge Menschen aus der Ukraine, der Türkei, Afghanistan, Syrien, Kuba, Marokko und dem Irak neben Berufsvorbereitung Sprachunterricht und Gesellschaftskunde erhalten – im ersten Jahrgang für die Dauer von sechs Monaten wie beim BOF, danach für ein Jahr. Es sollen dann auch gezielt junge Menschen aus Drittstaaten angeworben werden. Insgesamt plant Thüringen bis 2026 mit 1.000 Teilnehmern. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums stellt das Land insgesamt 11,5 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Anna Parrisius
38 Prozent der Schüler in Deutschland im Alter zwischen zehn und 16 Jahren sagen, dass KI in ihrer Schule zum Einsatz kommt. 65 Prozent der Eltern sprechen sich für den Einsatz von KI in der Schule aus. Das geht aus einer Umfrage des österreichischen Nachhilfe-Start-ups GoStudent zur Zukunft der Bildung hervor. Dafür wurden 60 Lehrkräfte sowie mehr als 11.000 Eltern und Schüler im Alter von zehn bis 16 Jahren aus sechs europäischen Ländern befragt.
KI-Technologie hat für Kinder und Jugendliche in Deutschland demnach einen immer größeren Stellenwert, sie sehen darin das wichtigste Thema, zu dem sie lernen wollen. 56 Prozent der Schüler glauben auch, dass ihr zukünftiger Beruf mit Technologie zu tun hat.
Während in der Umfrage von 2023 noch 64 Prozent der Schüler in der Technologie ein großes Bildungspotenzial sahen, sind es bei der aktuellen Befragung 77 Prozent. Digitales Lernen bekommt auch eine immer größere Selbstverständlichkeit. Acht von zehn Kindern und Jugendlichen benutzen digitale Apps zur Unterstützung des Lernens.
Bei den Lehrkräften zeigt sich laut der Befragung allerdings noch eine große Diskrepanz zwischen Realität und Vision: Neun von zehn Lehrern halten digitale Apps zwar für sehr lernwirksam, aber nur die Hälfte nutzt diese Apps regelmäßig. Bei 60 befragten Lehrkräften in sechs Ländern sind das allerdings eher anekdotische Beobachtungen.
GoStudent ist einer der großen Player auf dem Online-Nachhilfemarkt. Ende 2022 haben die Österreicher den Anbieter Studienkreis übernommen. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen eine eigene kostenpflichtige Virtual-Reality-Plattform gestartet. Über GoVR können Schüler dabei mit muttersprachlichen Tutoren Sprachen üben. aku
Das Kölner EdTech-Start-up studyspace stellt NRW-Schulen in herausfordernden Lagen seine Lern-App zur Abiturvorbereitung kostenlos zur Verfügung. “Mit unserer Initiative möchten wir einen Beitrag zur Verringerung der Bildungsungleichheit leisten”, erklärte Geschäftsführerin Katharina Farkas den Schritt. Ab sofort bis zum Abitur 2024 können Schulen mit einem Sozialindex ab 4 die Lernplattform kostenfrei nutzen.
Der Schulsozialindex in NRW umfasst neun Stufen. Schulen in Stufe 1 haben die niedrigste Belastung, Schulen in Stufe 9 die höchste. Für das laufende Schuljahr gilt, dass von 4.130 Schulen in NRW 1.055 den Stufen 4 bis 9 zugerechnet werden.
“Aktuell”, so berichtet Farkas Table.Briefings, “hat eine Kölner Schule eine kostenpflichtige Lizenz für studyspace über drei Jahre erworben.” Vier weitere Schulen nutzen die App auf Basis des Sozialindex-Modells kostenfrei bis zum Abitur. Aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium hieß es, dass man keine Auskunft darüber geben könne, ob es weitere derartige Initiativen gibt.
Schullizenzen für studyspace kosten einen Euro pro Kind pro Monat. Möglich ist auch, dass einzelne Schülerinnen und Schüler ein Abo abschließen, dass dann regulär bei 7,99 Euro im Monat liegt oder bei knapp 60 Euro im Jahr. Die Inhalte der App sind laut studyspace zugeschnitten auf die Abiturvorgaben in NRW.
Ralph Müller-Eiselt, geschäftsführender Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung, lobt die Initiative. Zugleich betont er den Handlungsbedarf auf der höheren politischen Ebene. “Wenn private Bildungsanbieter Schulen in herausfordernden Lagen mit kostenfreien Angeboten unterstützen, ist das ein positives Signal, aber keine systemische Lösung.” Vielmehr sollten Bund und Länder öffentliche Initiativen wie das Startchancen-Programm oder den Digitalpakt II so gestalten, dass die notwendige Unterstützung nachhaltig dort ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird. Holger Schleper
Brandenburg hat zum 1. Januar 2025 ein eigenes pädagogisches Landesinstitut gegründet. Der Schritt wurde nötig, nachdem sich Berlin entschieden hatte, das gemeinsame Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) zu verlassen.
Details dazu, wie es um die Pläne für das Berliner Institut steht, konnte die Senatsverwaltung für Bildung dagegen auf Anfrage von Table.Briefings nicht mitteilen. Ein Sprecher teilte lediglich mit, eine Aufnahme des Betriebs für 2025 sei in Vorbereitung. “Es geht insbesondere um die effiziente Bündelung aller Maßnahmen zur Qualifizierung von Lehrkräften und zur Qualitätsentwicklung an Schulen zentral in einem Institut.” In den nächsten Wochen sollten die Pläne jedoch finalisiert werden.
Auch das neue Brandenburger Institut soll die Lehrerbildung unter einem Dach bündeln. Dafür soll es mehr Aufgaben erhalten als die bisherige gemeinsame Einrichtung von Berlin und Brandenburg:
Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) sagte, sein Bundesland wäre den Weg gern mit Berlin gegangen, allerdings sei “kein Rankommen gewesen”, berichtet der Tagesspiegel. Berlin hatte sich 2022 unter Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) für das Verlassen der gemeinsamen Einrichtung entschieden. Hintergrund war die Empfehlung einer Expertenkommission unter Vorsitz von Bildungsforscher Olaf Köller. Sie empfahl unter anderem, die zweite Phase der Lehrerausbildung mit der Fort- und Weiterbildung zusammenzufassen und systematischer die Forschung einzubeziehen – etwas, das Brandenburg in seinem neuen Institut nun auch plant. Es soll vor allem mit dem Zentrum für Lehrerbildung an der Uni Potsdam stärker zusammenarbeiten.
Berlin und Brandenburg seien aber weiterhin bei der Überarbeitung der Rahmenlehrpläne oder der Erstellung zentraler Prüfungsaufgaben eng verzahnt, betonte Steffen Freiberg. Auch den Bildungsserver, ein Online-Informationsportal für Lehrkräfte, nutzten vorerst weiter beide Länder gemeinsam. Anna Parrisius
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Noch in diesem Jahr wollen die Wissenschaftsminister der Bundesländer eine eigene Wissenschaftskonferenz unter dem Dach der Kultusministerkonferenz (KMK) organisieren. Über die neue “WissenschaftsMK” hatte der Wiarda-Blog am Montag zuerst berichtet. Auf Anfrage von Table.Briefings bestätigte die KMK den entsprechenden Bericht. Eine offizielle Stellungnahme sei allerdings bislang nicht geplant, da die länderübergreifenden Gespräche noch laufen. Eine Entscheidung und ein Beschluss werden voraussichtlich erst in der Juni-Sitzung erfolgen, heißt es aus der KMK.
“Die Wissenschaftspolitik ist ein eigenständiger Politikbereich mit einer enormen Bedeutung für unsere Innovationskraft und für uns als Wissensgesellschaft. Dem werden wir mit einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz unter dem Dach der KMK Rechnung tragen”, sagte Saarlands Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker auf Anfrage. Das Saarland hat in diesem Jahr den KMK-Vorsitz.
Weizsäcker wäre dementsprechend der erste Vorsitzende der WissenschaftsMK, wenn sich diese tatsächlich noch in diesem Jahr konstituiert und an den Turnus der KMK hält. “Durch eine eigene Konferenz wird das Zusammenspiel der Wissenschaftspolitik von Ländern und Bund weiter befördert und die Schlagkraft Deutschlands im internationalen Wettbewerb gestärkt”, sagte der SPD-Politiker. Es gehe darum, auch im Lichte der Prognos-Studie, die Arbeitsstrukturen an die Erfordernisse der Zeit anzupassen.
Eine Strukturkommission der KMK hatte im vergangenen November auf Grundlage der Prognos-Studie Vorschläge für eine effizientere KMK-Organisation vorgelegt. Die Kommission riet darin, gemeinsamen Sitzungen und Beratungsstrukturen der Bereiche Schule und Hochschule/Wissenschaft stärker zu trennen.
Die Kommission hatte schon damals in den Raum gestellt, dass der Bereich Hochschule und Wissenschaft im Rahmen der KMK einen eigenen Vorsitz und ein eigenes Präsidium “mit separaten Beratungsstrukturen” erhält. Alternativ wäre auch eine gänzlich eigenständige Konferenz der Wissenschaftsminister denkbar gewesen. “Wichtig ist mir – und anderen Ressortministerinnen und -ministern – dass wir uns nicht von der KMK loslösen, denn wir haben weiterhin wichtige gemeinsame Themen zu bearbeiten“, sagte Petra Olschowski (CDU), Wissenschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg im Gespräch mit Table.Briefings.
Sie erwarte sich von dem neuen Format “in erster Linie mehr Raum zur inhaltlichen Diskussion und eine größere Sichtbarkeit für die wissenschafts- und hochschulpolitischen Themen. Beides ist notwendig”. Tim Gabel
Mit Auflösung der Linksfraktion hat sich auch für Nicole Gohlke einiges geändert. Seit 2009 war sie die Sprecherin der Fraktion für Hochschulpolitik, seit 2021 zudem für Bildungspolitik. Darüber hinaus war Gohlke Fraktionsvize. In der neuen Gruppe Die Linke verantwortet sie weiterhin den Bereich Bildung, aber ist mit Einschränkungen konfrontiert.
Nur noch zehn Kleine Anfragen darf die Linke als Gruppe monatlich stellen, 120 im Jahr. In dieser Wahlperiode hatte die Partei bis zum 1. Februar bereits 966 Kleine Anfragen gestellt, deutlich mehr. Für ihre Oppositionsarbeit, aber auch für Verbände und NGOs sei das “wirklich dramatisch”, sagt Gohlke. Ihre Redezeit im Plenum ist eingeschränkt – bei der Haushaltsdebatte war das schon so – und sie kann weniger eigene Tagesordnungspunkte setzen.
Und: Sie muss mit einer personellen Lücke umgehen. Denn Mitarbeiter, die bei der Fraktion angestellt waren, mussten entlassen werden. Gerade bei wissenschaftlichen Referenten, die sonst Unterlagen und Drucksachen gesichtet haben, wiegt das schwer.
Dabei hält Gohlke ihre linke Oppositionsarbeit gerade jetzt für wichtig. Bildung werde viel zu wenig Gewicht beigemessen, auch finanziell. Ihre zentrale Forderung: ein Sondervermögen Bildung. Außerdem befürwortet sie eine Aufhebung des Kooperationsverbots. Geht es nach Gohlke, sollte Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen im Grundgesetz verankert werden. Der Bund müsse deutlich stärker finanzieren – auch Schulsanierungen.
Besonders mit Blick auf den Ganztagsanspruch ab 2026 sollten Schulen anders aufgebaut sein, findet Gohlke. Es brauche mehr und unterschiedliche Räume – die sich neben Unterricht auch für Freizeitangebote eignen.
Mit ihren ehemaligen Fraktionskollegen, die jetzt im Bündnis Sahra Wagenknecht sind, schließt Gohlke künftig eine Zusammenarbeit nicht aus. Sie erwartet aber wenig. “Ich kenne die Kolleginnen und Kollegen, Bildung war vorher schon kein Thema, um das sie sich geprügelt haben.”
Politisiert wurde die gebürtige Münchnerin als Schülerin. Damals geht sie gegen den Zweiten Golfkrieg und die rassistischen Pogrome der 1990er-Jahre auf die Straße. Im Studium der Kommunikationswissenschaft wird sie Mitglied der NGO Attac, weil sie deren Kapitalismuskritik überzeugt.
Daneben tritt sie der trotzkistischen Gruppe “Linksruck” bei, deren Ziel die Beseitigung des bürgerlichen Staates durch Klassenkampf ist. Auch dem Nachfolgenetzwerk Marx21 innerhalb der Linkspartei gehört sie an – das sei inzwischen jedoch Jahre her. Bis 2015 wurde Gohlke vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet.
Heute hat Gohlke eine neunjährige Tochter, die in München zur Schule geht. Durch sie sieht sie, welcher Druck in Bayern auf die Schüler beim Wechsel in die weiterführende Schule ausgeübt werde, sagt Gohlke. Als Bildungspolitikerin spricht sie sich dafür aus, dass Noten und Hausaufgaben der Vergangenheit angehören.
Nach Veröffentlichung der Pisa-Ergebnisse forderte Gohlke im Bundestag, an Schulen “endlich mal ein bisschen Druck und den Drill herauszunehmen”. “Lernen sollte in erster Linie Spaß machen und keine Bauchschmerzen verursachen.” Andere Länder seien hier erfolgreicher.
Geht es nach Gohlke, sollte es künftig nur eine Schule für alle geben – die Gemeinschaftsschule. Mithilfe multiprofessioneller Teams und in kleinen Klassen sollten Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden. “Ich finde, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Bildungsverliererinnen und -verlierer zu produzieren.” Kira Münsterberg, Anna Parrisius
Research.Table: Fünf Jahre Futurium in Berlin: Positives Echo aus Forschungsgesellschaften – mit Abstrichen. Beim Start des Berliner Futuriums vor fünf Jahren herrschte Skepsis, ob das Konzept aufgeht. Zumindest die Besucherzahlen sprechen dafür. Eine Stimmungsumfrage bei den Gesellschaftern aus der Wissenschaft. Mehr
Research.Table: “Für geschlechtergerechtes Berufungsgeschehen weiterhin Gleichstellungsinterventionen erforderlich”. Von der Tatsache, dass Frauen in Berufungsverfahren mittlerweile durchaus erfolgreich sind, sollte man sich nicht täuschen lassen, schreibt die Soziologin Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Sie formuliert drei Botschaften gegen gedankliche Kurzschlüsse. Mehr
Tagesspiegel: Alle Kinder sollen lesen können. Dieses Ziel geht aus dem Diskussionspapier eines neuen Bildungsforums hervor. Ekkehard Thümler und Siegfried Arnz sind Mitinitiatoren. Das Ziel des Startchancen-Programms, den Anteil der Schüler, die die Mindeststandards verfehlen, zu halbieren, reicht den Bildungsfachleuten nicht aus. Sie wollen 100 Prozent Lesekompetenz in der Grundschule und eine an Missionen orientierte Politik. (“Die Mondlandemission der Bildung: Diese vier Maßnahmen sollen die Zahl der Analphabeten verringern”)
BR24: Dieter Vierlbeck betont hohen Stellenwert der Ausbildung für Geflüchtete. Der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Handwerkstags hält es für wichtiger, dass Geflüchtete sofort Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen beginnen, als dass sie schnell in Arbeit kommen. Er fordert zudem, dass niemand, der sich in einer Ausbildung befindet, abgeschoben werden soll. Häufig würden sich die Geflüchteten besonders für Mangelberufe interessieren – fallen sie weg, schadet das der Wirtschaft. (“Das bayerische Handwerk setzt auf Flüchtlinge in Ausbildung”)
Handelsblatt: Meist profitieren Schüler nicht von Chancen der Digitalisierung. Laut OECD ist die Nutzung digitaler Systeme in den Schulen noch nicht ausgereift – in Deutschland unter anderem, weil den Lehrkräften entsprechende Fortbildungen fehlen. Als elektronisches Lesebuch eigne sich ein Tablet etwa nicht. KI-basierte Lernsoftware könnte dagegen helfen – sofern sie richtig eingesetzt wird. (“Bücher für die Kleinen, moderne Lernsoftware für die Großen”)
FAZ: Damit der Lehrerberuf attraktiver wird, brauchen Lehrer das Vertrauen der Gesellschaft. Das schreibt Gymnasiallehrer Klaus Mertes in seinem Gastbeitrag. Er sieht eine “Verwechslung des Lehrberufes mit einem Dienstleistungsberuf” als Ursache für die Attraktivitätskrise des Lehrberufes. Für problematisch hält er eine kleinteilige Steuerung durch die Schulbürokratie. Schulen sollten mit einem eigenen Budget ausgestattet werden und Lehrkräfte Spielräume im Unterricht erhalten. (“Lehramt in der Krise”)
Deutschlandfunk: Ab kommendem Schuljahr gibt es in Italien “Made in Italy”-Gymnasien. Das wurde im Rahmen des “Made in Italy”-Gesetzes entschieden. Es soll “italienische Exzellenzen aufwerten und schützen”. Der Soziologieprofessor Massimiliano Panarari bezeichnet es als “identitäres Symbolprojekt”. Andere Kritiker, glauben, dass Italien damit kulturell weiter nach rechts geschoben werden soll. Aktuell hält sich das Interesse von Eltern und Schülern in Grenzen. (“Gymnasien für nationalen Stolz – wie Meloni Italien wendet”)
14. März 2024, 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr, digital
Talk Generative KI in den Naturwissenschaften – Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT & Co. für Schüler:innen und Lehrer:innen
Kann ChatGPT fachlich korrekte Antworten im Bereich der Naturwissenschaften geben? Dieser Frage geht der aktuelle LEIFI-Talk, Teil einer Fortbildungsreihe für Physik- und Chemie-Lehrkräfte, auf den Grund. Außerdem werden Anwendungsmöglichkeiten im Schulkontext besprochen. INFOS & ANMELDUNG
20. März 2024, 19:00 bis 20:30 Uhr, digital
Vortrag “Schule Reloaded”: KI und Schulalltag, Kritik und Zukunft der Schule im Wandel
Sprachmodelle und KI können helfen, Bildung inklusiver und anpassungsfähiger zu gestalten. In einem Vortrag widmet sich der Lehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume der Frage “Wie kann eine Bildung aussehen, die KI integriert und reflektiert?” Anschließend gibt es die Möglichkeit, über den ethischen und verantwortungsbewussten Umgang mit KI im Kontext Schule zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG
16. April 2024, 17:00 bis 18:00 Uhr, digital
Konferenz Tea Time Bildung. Das innovative BNE-Bildungskonzept FREI DAY
In verschiedenen Impulsen stellen Miriam Remy, Bundeslandkoordinatorin NRW von der Initiative “Schule in Aufbruch”, die Grundschullehrerin Elena Link von der Marienschule Bonn und der Lehrer Andreas Olsen von der Fritz-Bauer-Gesamtschule in St. Augustin das Konzept FREI DAY vor. INFOS & ANMELDUNG
16. April 2024, 11:00 bis 12:00 Uhr, digital
Webinar “Ausbildung vs. Studium?” – Mythen zu nachschulischer Bildung
Ist der Studienboom allein die Ursache für den Azubi-Mangel? Nach dem Impulspapier zu Mythen nachschulischer Bildung von Bertelsmann Stiftung und Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) lädt das CHE zur Diskussion: Wie gelangen Akteure akademischer und beruflicher Bildung zu einem lösungsorientierten, kooperativen Dialog? INFOS & ANMELDUNG