Schule sei ein Tanker, der sich nur sehr schwer bewegen lässt. Das ist ein oft bemühter Satz. Und tatsächlich: Wer vor Jahrzehnten die Schule verlassen hat und doch mal wieder in einer Schule landet, erkennt vieles gleich wieder, inklusive Geruch. Aber das ist nur die Oberfläche. Wer darunter schaut, erfährt: Die Schule steht heute vor ganz anderen Herausforderungen als früher. Und es gibt Schulen, die trotz schwierigster Lage, trotz Personalmangels, trotz eines schäbigen Schulgebäudes dafür Lösungen finden.
Das ist nur möglich, weil es kreative und innovative Köpfe gibt, die Schule voranbringen, die sie verändern wollen, die entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und wichtige Entscheidungen treffen. Diese Menschen stellen wir in den kommenden Briefings vor: Die 110 entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Bildungsszene, ausgewählt von der Bildung.Table-Redaktion. Anders als bei den anderen Fachtables von Table.Briefings sind es bei Bildung nicht 100, sondern 110. Denn wir haben als zusätzliche Kategorie die Schulleitungen und Lehrkäfte dazugenommen. Ohne sie könnte das beste Schul- und Unterrichtskonzept nicht funktionieren.
Wir brauchen sie zum Beispiel auch für eine der derzeit größten Herausforderungen an Schulen – die Demokratiebildung. Gestern hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission zu diesem Thema eine neue Stellungnahme mit Empfehlungen veröffentlicht. Angesichts der multiplen gesellschaftlichen und politischen Krisen könnte der Veröffentlichungszeitpunkt kaum passender sein.
Vielleicht finden Sie hier Anregungen und entdecken bei den Top 110 bekannte oder für Sie auch überraschende Namen!
Hendrik Haverkamp – Gründer von Fiete.ai und dem Institut für zeitgemäße Prüfungskultur
Hendrik Haverkamp möchte Künstliche Intelligenz “entmystifizieren”. Er ist der Auffassung: KI ist weder Supertool, noch Teufelszeug. Als Lehrer für Deutsch und Sport und Koordinator für Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh setzt er sich dafür ein, dass seine Schülerinnen und Schüler einen verantwortungsvollen Umgang mit KI lernen. Als Gründer von fiete.ai liefert er ein KI-Tool, das den Schülern individuelles Feedback liefert. Und als Mitbegründer des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur und Mitglied des Virtuellen Kompetenzzentrums KI tritt er für neue Prüfungsformate ein und berät Schulen und Bildungsministerien.
Helmut Klemm – Schulleiter der Eichendorffschule in Erlangen
Wer auf eine Mittelschule kommt, hat meist die Erfahrung des Scheiterns hinter sich. Mittelschule ist in Bayern der Name für die Hauptschule. Kaum einer besucht diese Schulart freiwillig. An Helmut Klemms Mittelschule in Erlangen ist das anders. Er schafft es mit viel positiver Energie und einer klugen Unterrichtsgestaltung, dass Schülerinnen und Schüler hier nicht nur wieder Spaß am Lernen gewinnen, sondern alle auch einen Abschluss schaffen. Die Eichendorffschule wird für viele Kinder zum Gamechanger. Für ihre beeindruckende Arbeit bekam Klemms Schule 2023 den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises.
Nicola Küppers – Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr
Ihre Schule liegt in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Die Armutsquote ist hoch, die Deutschkenntnisse sind niedrig. Als Nicola Küppers die Schulleitung vor mehr als zehn Jahren übernahm, fielen die Ergebnisse bei Leistungsvergleichsstudien miserabel aus. Heute liegen sie über dem Landesdurchschnitt. Erreicht hat die Schulleiterin das vor allem, weil sie Bildungsgerechtigkeit zum obersten Ziel gemacht hat. Dazu gehört für sie vor allem eine individuelle Förderung und eine intensive Elternarbeit. Zweimal erhielt sie dafür bereits den Deutschen Schulpreis.
Gert Mengel – Schulleiter und Berater des Bundesbildungsministeriums
Gert Mengel ermuntert sein Kollegium dazu, statt immer zur Tafelkreide auch mal zum KI-Tool zu greifen. Er findet eine gewisse Offenheit für neue Technologien wichtig – schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Don-Bosco-Schule in Rostock Zukunftskompetenzen erlernen. Was das bedeutet, diskutiert er auch im Podcast “Kreide.KI.Klartext” mit Fobizz-Gründerin Diana Knodel. Seit Kurzem zählt er zu neun Experten, die das Bundesbildungsministerium in Sachen “Künstliche Intelligenz, Lernen und Schule” beraten.
Silke Müller – Schulleiterin der Waldschule Hatten in Niedersachsen und Autorin
Seit fast zehn Jahren leitet Silke Müller die Waldschule Hatten im Landkreis Oldenburg. Lange vor der Corona-Pandemie sah sie schon das große Potenzial digitaler Medien für den Unterricht und wurde Niedersachsens erste Digitalbotschafterin. Gleichzeitig mahnt sie aber auch immer wieder an, zum Schutz der Kinder genauer hinzuschauen, was Kinder über digitale Medien konsumieren. In ihrer Schule hat sie eine regelmäßige Social-Media-Sprechstunde eingerichtet. Zum verantwortungsvolleren Umgang mit KI und Medien hat sie zwei Bücher geschrieben, die schnell zu Bestsellern wurden.
Florian Nuxoll – entwickelt intelligente Tutorsysteme für das Fach Englisch
Der Lehrer für Englisch und Gemeinschaftskunde an der Geschwister-Scholl-Schule Tübingen ist sich sicher: “ChatGPT kann Lehrkräfte entlasten”. Im Unterricht experimentiert Florian Nuxoll viel mit dem Chatbot. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und arbeitet dort mit an der Entwicklung intelligenter Tutorsysteme für das Fach Englisch. Über Chancen und Risiken der Digitalisierung in Schulen diskutiert er regelmäßig mit verschiedenen Gästen im Podcast “Doppelstunde”.
Micha Pallesche – Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe
Eine Kultur der Digitalität ist an der Schule von Schulleiter Micha Pallesche längst Selbstverständlichkeit. Die Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe war die erste “Smart School”, eine Auszeichnung des Digitalverbands Bitkom. Aber nicht nur bei der Digitalität spielt Pallesches Schule eine Vorreiterrolle. Sie gehört auch zu den ersten zehn Schulen in Baden-Württemberg, die gerade den Demokratiepreis bekommen haben. Und sie ist seit fast 40 Jahren gebundene Ganztagsschule und hat ein Konzept für innovative Unterrichtsgestaltung im ganztägigen Lernen entwickelt, das für viele Schulen ein Vorbild ist.
Günther Schön – Lehrer mit Robotik-Leidenschaft und Lehrkräftepreis
“Je mehr Vertrauen man in die Fähigkeiten seiner Schülerinnen und Schüler hat, desto positiver wird man überrascht”, ist Günther Schön überzeugt. Seit zwölf Jahren leitet er die Robotik-AG am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Ludwigshafen und hat für dieses außercurriculare Engagement den Deutschen Lehrkräftepreis bekommen. Seine Unterrichtsfächer sind Mathematik, Biologie und Informatik.
Monika Stausberg – Schulleiterin der Beruflichen Schule ITECH in Hamburg
Berufsbilder verändern sich, die Ausbildung muss es auch. Monika Stausberg hat vor diesem Hintergrund ihre Schule, die vor allem IT-Fachkräfte ausbildet, schon vor Jahren umgekrempelt. Im Schulgebäude gibt es keine Klassenräume mit Stuhlreihen und auch kaum Frontalunterricht mehr. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten vor allem eigenständig an Projekten, die nicht aus dem Arbeitsbuch kommen, sondern echte Praxisaufgaben sind. Und Monika Stausberg tauscht sich regelmäßig mit Hamburger Unternehmen aus, um auf Stand zu bleiben, was diese brauchen. Die ITECH wurde 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.
André Szymkowiak – Schulleiter des Thusnelda-Gymnasiums in Köln
“Herr Szymkowiak schafft es, in einem extrem heterogenen Einzugsgebiet jedem ein Gefühl der individuellen Wertschätzung und des persönlichen Respekts entgegenzubringen – sei es ein Millionärskind oder ein Kind von Sozialhilfeempfängern.” Mit diesen lobenden Worten bekam André Szymkowiak den ersten Preis für vorbildliche Schulleitung im Wettbewerb um den Deutschen Lehrerpreis 2023. Neben Bildungsgerechtigkeit sieht er eine starke Partizipation und eine enge Zusammenarbeit im Kollegium als wichtige Aufgaben.
Der 7. Oktober 2023 und der Nahostkonflikt, die Europawahl im Juni und zuletzt rassistische Parolen und der Wolfsgruß-Eklat bei der EM – all diese politischen Ereignisse und die damit verbundenen Kontroversen werden auch in die Schulen getragen. Sie stoßen dort im besten Fall Diskussionen an, können aber auch zu Konflikten und Sprachlosigkeit führen. Passender könnte daher die Veröffentlichung der neuen Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) am gestrigen Donnerstag kaum sein. Darin hat sich das Expertengremium mit dem Thema “Demokratiebildung als Auftrag der Schule” befasst.
“Die aktuellen Anlässe machen uns klar, dass wir in einer komplexen, pluralen Gesellschaft leben. Da gibt es unterschiedlichste Perspektiven, die sich aus historischen Narrationen speisen, die teilweise sehr verzerrt sind. Wo, wenn nicht in der Schule, sollte man sich damit auseinandersetzen?”, erläutert die SWK-Vorsitzende Felicitas Thiel im Gespräch mit Table.Briefings den Anstoß für die Veröffentlichung.
Das Expertengremium hat in der Stellungnahme eine Vielzahl an Daten und Studien angeschaut, auf dieser Basis die aktuelle Situation an den Schulen analysiert und daraus Empfehlungen abgeleitet. Die SWK sieht drei Ebenen, wo Demokratiebildung ansetzen sollte:
Thiel ist es wichtig, dass Demokratiebildung gleichermaßen auf der Unterrichtsebene und in der Schulgestaltung stattfindet: “Demokratiebildung ist mehr als soziales Lernen.” Ohne die fachlichen Voraussetzungen und ohne das entsprechende Wissen fehle das Verständnis für demokratische Prozesse. Und zu diesem Wissen gehörten auch Kenntnisse über historische Hintergründe. Sie würden die Grundlage bilden, um Argumente jenseits emotionaler Betroffenheit zu finden.
Die SWK sieht hier deutlichen Verbesserungsbedarf. “Wir wollen der KMK nicht vorgeben, wie sie Curricula umschreiben sollte”, betont Thiel. Das Gremium gibt aber Hinweise. Für das Fach Geschichte geht es zum Beispiel darum, die Geschichte jüdischen Lebens früher zu verankern und mehr transnationale Bezüge herzustellen. “Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Curricula im Fach Geschichte ist bemerkenswert, dass trotz zunehmender Heterogenität in den Biografien der Schüler überwiegend eine nationale Container-Geschichte gelehrt wird”, heißt es in der Stellungnahme.
Im Fach Politik sollten sich die Länder die Frage stellen, ob politische Medienbildung ausreichend verankert ist. Das sei insbesondere deshalb wichtig, weil soziale Medien inzwischen das wichtigste Informations- und Kommunikationsmittel für Kinder und Jugendliche seien. Das hat gerade erst die Sinus-Studie gezeigt. Darum müssten sie sich auch besser mit Manipulationstechniken auskennen. Immerhin komme mehr als ein Viertel der Schüler über soziale Medien und Gaming mit extremistischen Inhalten in Berührung, heißt es in der Bestandsaufnahme der Stellungnahme.
Die ICCS Studie, die einzige internationale Vergleichsstudie zur politischen Bildung an Schulen, hat gezeigt, dass ein Drittel der Schüler in Deutschland nur über eingeschränkte informationsbezogene Kompetenzen und über ein geringes politisches Wissen verfügen. Vor diesem Hintergrund stellt die Verbreitung von Fake News und antidemokratischen Inhalten eine große Gefahr dar.
Lesen Sie hier mehr zu den Ergebnissen der ICCS-Studie
Ein Problem sei dabei auch, das macht die Stellungnahme der SWK deutlich, dass die Fächer Geschichte und Politik oft fachfremd unterrichtet werden. Gerade im Unterricht fachfremder Lehrkräfte “dominieren oft kurzschrittige Frage-Antwort-Muster”. Und weiter heißt es: “Insbesondere Lehrkräfte ohne Lehrbefähigung sparen im Fach Politik zumindest teilweise aktuelle kontroverse Themen aus.” Zum einen, weil ihnen die didaktischen Methoden fehlten, zum anderen gebe es die “Fehlvorstellung, Lehrkräfte müssten im Unterricht politisch wertneutral agieren“.
Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Schularten: Die Statistik des Bildungsministeriums in NRW für das Schuljahr 2021/22 zeigt, dass mehr als 50 Prozent der Geschichtsstunden an Hauptschulen fachfremd erteilt wurden, an Gymnasien hingegen nur knapp fünf Prozent. Und noch ein Faktor ist entscheidend: “Wir sehen erhebliche Unterschiede im Kompetenzerwerb in Abhängigkeit vom Hintergrund der Eltern”, sagt die SWK-Vorsitzende Thiel. Die Bildungsschere geht also auch bei der fachbezogenen Demokratiebildung weit auseinander.
Als wichtige Stellschraube für eine wirksamere Demokratiebildung machen die Autoren der Stellungnahme daher auch die Elternarbeit aus, damit Schüler nicht in Schule und Elternhaus in zwei verschiedenen Welten unterwegs seien. Sie empfehlen außerdem, die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern auszubauen. Insbesondere in Bezug auf Extremismus-Prävention seien stabile Kooperation ein wichtiger Baustein.
Insgesamt sieben Empfehlungen sind in der Stellungnahme aufgeführt, um zu mehr und besserer Demokratiebildung zu kommen. Dazu gehört, dass sich die Länder auf Kompetenzziele und entsprechende Maßnahmen der Demokratiebildung verständigen und dass es ein durchgängiges Unterrichtsangebot für Politik und Geschichte von der Grundschule bis zur Sekundarstufe I gibt. In der Grundschule könne das vor allem im Sachunterricht stattfinden. Auch Partizipation und Wertevermittlung sollten mehr Gewicht bekommen. Und um die Qualität des Unterrichts vor allem von fachfremden Lehrkräften zu verbessern, sollte es mehr Weiterbildungen in dem Bereich geben.
Felicitas Thiel stellt aber auch klar, dass selbst mit einer Stärkung der Demokratiebildung an Schulen die derzeitig durch die multiplen Krisen ausgelösten Überforderungen und Probleme nicht verschwinden würden. “Wir dürfen hier keine schnellen Lösungen erwarten, aber wir müssen anfangen”, sagt sie zu Table.Briefings. Und noch etwas betont sie: Die Stärkung der Demokratiebildung sollte nicht auf Kosten der basalen Kompetenzen gehen. Im Gegenteil: Deutsch und Mathematik seien die Grundlagen, um überhaupt argumentieren und Evidenzen beurteilen zu können.
Was die Länder nun mit der Stellungnahme machen, wird sich zeigen. KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot, teilt in einer ersten Reaktion die Argumentation, dass Schüler ein fundiertes politisches und historisches Wissen für eine kritische Urteilsbildung brauchen. Sie kündigte an: “Die Kultusministerkonferenz wird die Empfehlungen prüfen und in ihre weitere Arbeit einfließen lassen.” Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands, begrüßt die Forderung nach einem größeren und durchgängigen Unterrichtsangebot in Geschichte und Politik. “Eine partielle Einstündigkeit” von sogenannten Nebenfächern genüge nicht. Kai Gehring, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, fordert angesichts der SKW-Stellungnahme, die Länder dazu auf, “ihre Lehrpläne einem Update zu unterziehen. Die Neutralitätspflicht von Lehrkräften entbindet sie nicht davon, klar Position für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beziehen.”
Das Geschlecht, das Gewicht, die ethnische Zugehörigkeit und der sozioökonomische Status der Eltern beeinflussen Lehrkräfte in Deutschland bei der Vergabe von Schulnoten. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuell veröffentlichte Studie der Universitäten Zürich und Bern. Sie trägt den plakativen Titel “Erhält der mollige Can schlechtere Noten als die dünne Sophie?” Die Antwort der Wissenschaftler Richard Nennstiel und Sandra Gilgen lautet: “Unsere Analysen zur Bewertungsverzerrung in fünf Fächern haben gezeigt, dass dies überwiegend der Fall ist.”
Für ihre Studie nutzten die Forscher Daten aus dem Nationalen Bildungspanel NEPS. Sie verglichen die Noten von mehr als 14.000 Schülerinnen und Schülern, die 2010 die neunte Klasse besuchten, mit den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests. Dabei nahmen sie gezielt die Fächer Deutsch, Mathematik, Physik, Chemie und Biologie in den Blick.
Zu den Ergebnissen zählt unter anderem, dass Mädchen in Deutsch, Mathematik und Biologie bessere Noten erhalten, Jungen in Physik. Übergewichtige Schülerinnen und Schüler bekommen laut der Untersuchung in allen Fächern schlechtere Noten. Im Fach Deutsch ist dieser Befund am ausgeprägtesten. Schüler, deren Eltern einen höheren sozioökonomischen Status haben, erhalten hingegen in allen untersuchten Fächern bessere Noten. Auch hier ist an erster Stelle Deutsch zu nennen.
Dass sich die größten Diskrepanzen in diesem Fach fanden, greifen die Bildungsforscher explizit auf. Eine mögliche Erklärung sei, dass Lehrkräfte bei der Bewertung sprachlicher Kompetenzen “vermutlich mehr Freiheiten haben als bei mathematischen oder naturwissenschaftlichen Kompetenzen”. In diesen Fächern gebe es eine klarere Unterscheidung zwischen einer richtigen und einer falschen Antwort.
Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass es einen “kumulativen Nachteil” für Schüler gebe, die gleichzeitig mehr als einer benachteiligten Gruppe angehören. Die schlechtere Notengebung, so ist in dem Papier zu lesen, sei bei türkischen, übergewichtigen Jungen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien im Vergleich zu mehrheitlich nicht übergewichtigen Mädchen aus begünstigten Familien in Deutschland besonders ausgeprägt. Holger Schleper
In Hamburg ist die Debatte, statt auf Schulnoten auf andere Bewertungswege zu setzen, neu aufgeflammt. Auslöser war ein Interview der Schulsenatorin Ksenjia Bekeris (SPD) in der “taz”. Darin erklärte sie, dass nicht nur die 50 Modellschulen, die am Schulversuch “Alleskönner” teilgenommen hatten, auf Noten verzichten können. “Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Wir sind in Hamburg sehr offen dafür.” Eine Noten-Pflicht gäbe es ab Klasse 9.
Bekeris verwies dabei auch auf einen Beschluss des SPD-Landesparteitags vom 9. März. Darin werden die Bürgerschaftsfraktion und sozialdemokratischen Mitglieder des Senats aufgefordert, “Möglichkeiten zur Reformierung und Weiterentwicklung der Notenvergabe und Leistungsbewertung über das Programm hinaus abzuleiten.”
Der Hamburger Schulversuch “Alleskönner” ist ein Unterrichts- und Schulentwicklungsprojekt, das bereits im Schuljahr 2008/2009 begann. Zentrale Idee ist, die Entwicklung individueller Kompetenzen von Schülern zu fördern. Dabei soll es statt Noten eine differenziertere Rückmeldung geben, etwa durch Lernentwicklungsgespräche von Schülern, Eltern und Lehrkräften. Zum Schuljahr 2022/23 wurde das Projekt verstetigt. Die beteiligten Schulen können auf Grundlage ihrer bisher geleisteten Arbeit auf unbegrenzte Zeit weiterarbeiten.
Dass viele Hamburger Schulen den Verzicht auf Noten anstreben, zeichnet sich wohl nicht ab. “Wir erwarten aktuell keine weiteren Aufnahmeanträge, da die Regelung nicht neu und der Schulversuch bestens bekannt ist”, heißt es vonseiten der Hamburger Schulbehörde auf Anfrage von Table.Briefings. Und die Übertragbarkeit auf andere Schulen müsse mit Blick auf die langjährigen Entwicklungsprozesse in den Alleskönner-Schulen mit besonderer Sorgfalt betrachtet werden.
Die Opposition ist trotzdem in Hab-Acht-Stellung. “Der Verzicht auf Noten setzt ein völlig falsches Signal an unsere Schülerinnen und Schüler”, erklärte Birgit Stöver, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Table.Briefings. “Noten bieten die Möglichkeit, den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler objektiv nachzuvollziehen.” Bei Teilen der jungen Generation sei eine abnehmende Leistungsbereitschaft zu beobachten. “Gerade deswegen muss der Leistungsgedanke für die Entwicklung der Gesellschaft erhalten bleiben.” Holger Schleper
Die Bundesregierung will den Ländern künftig verbieten, ermäßigte ÖPNV-Schülertickets aus Bundesmitteln zu finanzieren. Das bestätigte eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums auf Anfrage von Table.Briefings. Bund und Länder hätten gemeinsam vereinbart, das Deutschlandticket jeweils zur Hälfte zu finanzieren. Dabei habe das Ministerium “immer die Position vertreten, dass es den Ländern darüber hinaus freisteht, das Deutschlandticket in eigener Verantwortung zu einem vergünstigten Preis an andere Personengruppen, zum Beispiel an Schülerinnen und Schüler, Seniorinnen und Senioren oder Geringverdienende, abzugeben und den Differenzbetrag aus Landesmitteln zu finanzieren”, erklärte die Sprecherin.
Dies hat das Ministerium nun auch in einem Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes festgeschrieben. Der Bund stellt den Ländern aus Steuereinnahmen sogenannte Regionalisierungsmittel zur Verfügung, um den Bahnverkehr zu finanzieren. Einige Länder hatten das Geld genutzt, um Schülerinnen und Schülern vergünstigte Deutschlandtickets anzubieten.
Entsprechend empört sind die Landesverkehrsminister über die Entscheidung des Bundes. Man könne “das Verbot nicht hinnehmen”, heißt es im Protokoll einer Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom Montag. “Das ist vor dem Hintergrund von Verlässlichkeit und Planbarkeit nicht nachvollziehbar”, erklärte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), der in seinem Bundesland das “Deutschlandticket Schule” zum Preis von 29 Euro pro Monat bislang aus Regionalisierungsmitteln finanziert. Länder wie NRW müssten dafür künftig Geld im eigenen Landeshaushalt finden – oder die Schülertickets einstellen.
Generell gleicht das Angebot rabattierter Fahrkarten für Schülerinnen und Schüler einem Flickenteppich: Länder wie NRW bieten es flächendeckend an; Hamburg führt ab September ein komplett kostenloses Ticket ein, Berlin hat es schon. In anderen Ländern wiederum gibt es ein solches Angebot nicht. Dort entscheiden Landkreise und Kommunen, ob und welchen Schülern sie kostenlose oder vergünstigte ÖPNV-Tickets finanzieren. Maximilian Stascheit
Fast jeder zweite 14- bis 25-Jährige (40 Prozent) kann sich vorstellen, ein Unternehmen zu gründen oder sich selbstständig zu machen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. In einer Klasse mit 24 Schülern wären das mindestens neun Schüler, rechnet die Stiftung vor. Ein weiteres Drittel der Befragten kann sich aktuell zwar eher nicht vorstellen, einen Betrieb zu gründen, schließt es aber auch nicht aus. Eine grundsätzliche Bereitschaft junger Menschen ist also durchaus vorhanden. Faktisch gründet aber nur jeder Sechste in der Altersgruppe einen Betrieb, wie der Global Entrepreneurship Monitor 2023 zeigte. In der aktuellen Umfrage sagte so auch nur jeder zehnte junge Mensch, dass er oder sie eine Gründung schon fest einplane (elf Prozent).
“Das Potenzial für junges Unternehmertum in Deutschland wird noch zu selten gehoben. Daher müssen wir die Hürden besser erkennen und abbauen, die junge Menschen am Gründen hindern”, sagte Tobias Bürger, Experte der Bertelsmann-Stiftung für Jugend und Wirtschaft.
Die Bertelsmann-Stiftung fordert daher, schon in der Schule unternehmerisches Denken und Handeln stärker zu fördern. Für gut umsetzbar halten die Forscher Workshops und Schülerfirmen außerhalb der Schule. Außerdem bräuchte es dringend Angebote zum Aufbau von Resilienz und Problemlösekompetenzen, damit Jugendliche den Umgang mit Stress erlernen. Das sei besonders wichtig vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, in der viele junge Menschen psychisch sehr belastet waren.
Daneben fordern die Experten, die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, etwa indem Bewerbungsverfahren für Förderprogramme erleichtert werden. Informationen über Fördermöglichkeiten müssten noch besser zu den jungen Menschen kommen, vor allem zielgruppengerecht über Social Media. Aber auch das Stereotyp vom männlichen, weißen Gründer mittleren Alters gelte es aufzubrechen. Im ländlichen Raum brauche es Netzwerke für junge Menschen, gerade auch, um Frauen zu stärken. Männliche Jugendliche planen laut Befragung eher, ein Unternehmen zu gründen, als weibliche (14 vs. 9 Prozent). Anna Parrisius
Die Höhe der Bafög-Sätze im Jahr 2021 hat gegen das Grundgesetz verstoßen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und gab damit der Klage einer Medizinstudentin an der Charité recht. In der Begründung des Gerichts heißt es, dass der Bafög-Grundbedarf damals mit 427 Euro deutlich unter dem damaligen Hartz-IV-Regelsatz von 446 Euro gelegen habe, der für die Sicherstellung des Existenzminimums erforderlich sei. Auch der Wohnkostenzuschlag von 325 Euro sei nicht angemessen, da mehr als die Hälfte der Studierenden in Berlin höhere Mietkosten hätten.
Allerdings hat der Beschluss zunächst keine konkreten Auswirkungen, da das Berliner Verwaltungsgericht nicht berechtigt ist, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat daher zunächst grundsätzlich geprüft, ob die Klage der Berliner Studentin berechtigt ist, und den Fall nun dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Wann das Urteil in Karlsruhe fällt, “ist derzeit noch nicht konkret absehbar”, erklärte ein Sprecher des Gerichts auf Anfrage von Table.Briefings. Mit einer zeitnahen Entscheidung ist wohl nicht zu rechnen.
Für die Bundesregierung könnte das Urteil große Auswirkungen haben: Folgt das Bundesverfassungsgericht der Argumentation des Berliner Verwaltungsgerichts, müssten die Bafög-Sätze künftig auf Bürgergeld-Niveau angehoben und die Wohnkostenpauschale individuell an die Mietkosten im jeweiligen Studienort angepasst werden. Die Grünen hatten das bereits im Zuge der Verhandlungen zur jüngst verabschiedeten Bafög-Reform gefordert, waren damit aber am Widerstand der FDP gescheitert. Am Ende stand ein Kompromiss, der unter anderem vorsieht, die Bedarfssätze um fünf Prozent anzuheben.
Das BMBF reagierte zurückhaltend auf die Entscheidung des Berliner Gerichts. Das Ministerium verfolge “das Verfahren und die vorgebrachten Argumente des Verwaltungsgerichts Berlin mit großer Aufmerksamkeit”, teilte eine Sprecherin auf Anfrage von Table.Briefings mit. “Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, können wir uns hierzu allerdings nicht abschließend äußern.” Maximilian Stascheit
Studierende nutzen zunehmend KI-Anwendungen wie ChatGPT. Allerdings gibt es Unterschiede von Fach zu Fach, zeigt eine Publikation des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh. Die Befragung von mehr als 34.000 Studierenden weist auch auf Defizite im KI-Angebot der Hochschulen hin.
Nutzungsintensität und Anwendungsschwerpunkte unterscheiden sich deutlich. Insbesondere in der Informatik werden KI-Programme regelmäßig genutzt. 61 Prozent der Informatik-Studierenden gaben an, von einmal im Monat bis täglich KI bei Programmiertätigkeiten zu verwenden. In Fächern wie Sportwissenschaft, Soziologie oder Politikwissenschaft nutzen rund ein Viertel der Studierenden KI-Anwendungen regelmäßig beim Schreiben von Berichten, Seminar- oder Abschlussarbeiten. In der Medizin hingegen greifen nur etwa 15 Prozent der Befragten für diese Zwecke regelmäßig auf KI zurück.
Verbessern muss sich auch das Angebot der Hochschulen. Vor allem in Fächern außerhalb der Informatik bestünden nicht ausreichend viele Möglichkeiten, den praktischen Umgang mit KI-Tools zu üben und die Leistungsfähigkeiten und Grenzen von Künstlicher Intelligenz kritisch zu reflektieren, heißt es in der Publikation. Im Durchschnitt bewerten die Studierenden außerhalb der Informatik das Angebot nur mit 2,1 von 5 Sternen. Nur im Fach Informatik sind die Studierenden mit dem Angebot bereits mehrheitlich zufrieden (3,4 von 5 Sternen).
Problembewusstsein ist jedoch vorhanden. Rund 40 Prozent der Befragten halten einen KI-Verhaltenskodex ihrer Hochschule für “wichtig” beziehungsweise “sehr wichtig”. Datengrundlage der am Mittwoch veröffentlichten Studie ist eine Befragung von 34.147 Studierenden an deutschen und österreichischen Hochschulen in 15 unterschiedlichen Studienfächern aus dem Wintersemester 2023/24. abg
Research.Table. Warum das BMBF die Kommunikation seines neuen Staatssekretärs nicht kommentieren will. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger gerät in der Fördergeld-Affäre erneut unter Druck. Interne “Wire”-Nachrichten aus der Chat-Gruppe der BMBF-Hausspitze werfen Fragen auf. Welche Rolle der Nachfolger Sabine Dörings hierbei spielt, lesen Sie hier.
Research.Table. Impulspapier zur Zukunft der Wissenschaft: Wie Diagnose und Forderungen bei Experten und Adressaten ankommen. Volkswagenstiftung und Stifterverband sehen die deutsche Wissenschaft in einem “tiefen Tal”. Table.Briefings hat mit Experten und Adressaten des neuen Impulspapiers “Veränderung wagen” gesprochen. Wie diese auf auf das Papier reagierten, lesen Sie hier.
Tagesspiegel: Berliner GEW-Vorsitzender tritt zurück. Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann hat seinen Rücktritt angekündigt. Neuwahlen soll es wohl im November geben. Erdmann stellte in der Landesvorstandssitzung die Vertrauensfrage, erhielt allerdings keine Mehrheit. Hintergrund ist Erdmanns Umgang mit einer illegal aufgezeichneten Tonaufnahme aus der Personalräte AG. Erdmann hatte diesen Mitschnitt zugesandt bekommen und ihn in einer GEW-Cloud gespeichert – zeitweise war dieser Ausschnitt so auch für Dritte zugänglich. (Er gab einen illegal angefertigten Mitschnitt weiter: Berliner GEW-Chef Tom Erdmann kündigt Rücktritt an)
Die Zeit: Warum an einer Grundschule jedes vierte Kind die erste Klasse wiederholt. Die Gräfenauschule in Ludwigshafen war schon öfter in den Nachrichten – viele ihrer Schüler müssen die erste Klasse wiederholen. 98 Prozent der Grundschüler haben hier einen Migrationshintergrund. Vielfach gibt es Sprachdefizite, viele der Kinder waren vorher zudem nicht in der Kita. Ihnen fehlen meist Grundkenntnisse, auch in Bezug auf den Umgang mit anderen Kindern. In dem Bezirk, in dem die Schule liegt, kämen die Kinder ebenfalls kaum in Kontakt mit Deutsch – in fast jedem Geschäft werde auch Türkisch oder Bulgarisch gesprochen. (Deutsch? “Egal, egal!”)
BIBB: In Jugendberufsagenturen braucht es Qualitätsmanagement. 87 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte hatten 2021 eine Jugendberufsagentur (JBA) – ein Kooperationsbündnis von Arbeitsagentur, Jobcenter und Jugendhilfe, das die Beratung junger Menschen am Übergang in den Beruf verbessern soll. Damit die JBA den Jugendlichen gerecht werden und zur Fachkräftesicherung beitragen, braucht es kontinuierliche Selbstreflexion, schreibt Oliver Dick, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sozialpädagogische Forschung Mainz, in einem Gastbeitrag. Er plädiert für folgenden Prozess: 1. Anliegen junger Menschen verstehen, 2. Überblick über Angebote am Übergang verschaffen, 3. Angebote und Anliegen abgleichen, 4. Angebote anpassen, 5. regelmäßige Evaluation. (Qualitätsentwicklung in Jugendberufsagenturen)
Ostsee Zeitung: CDU in MV kritisiert Lehramtsreform. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern plant, das Lehramt für das Gymnasium und für die Regionalschule zusammenzulegen. Die CDU sieht in diesem Vorhaben eine Schwächung oder sogar Abschaffung des Gymnasiums. Die Reform sieht ebenfalls mehr Pädagogikanteile im Studium sowie weniger Fachanteile und Prüfungen vor. Die Abbrecherquote im Lehramt liegt in MV teilweise bei 70 Prozent. (CDU kritisiert Reformpläne zur Lehrerausbildung in MV: “Rot-Rot will das Gymnasium abschaffen”)
NTV: MV – Leitfaden für Ersthelfer-Schulungen in Mittelstufe. In Mecklenburg-Vorpommern startet ein zweijähriges Modellvorhaben, um Erste-Hilfe-Unterricht mehr im Schulalltag zu integrieren. Die Teilnahme ist für die Schulen freiwillig. Im Zuge des Sport- und Biologieunterrichts sollen Schüler der siebten und achten Klasse die Erste-Hilfe-Unterweisung erhalten. Das Bildungsministerium rechnet mit Materialkosten von 2.000 Euro pro Schule, die der Schulträger übernehmen müsste. (Erste-Hilfe-Ausbildung an Schulen soll mehr Raum einnehmen)
Schule sei ein Tanker, der sich nur sehr schwer bewegen lässt. Das ist ein oft bemühter Satz. Und tatsächlich: Wer vor Jahrzehnten die Schule verlassen hat und doch mal wieder in einer Schule landet, erkennt vieles gleich wieder, inklusive Geruch. Aber das ist nur die Oberfläche. Wer darunter schaut, erfährt: Die Schule steht heute vor ganz anderen Herausforderungen als früher. Und es gibt Schulen, die trotz schwierigster Lage, trotz Personalmangels, trotz eines schäbigen Schulgebäudes dafür Lösungen finden.
Das ist nur möglich, weil es kreative und innovative Köpfe gibt, die Schule voranbringen, die sie verändern wollen, die entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und wichtige Entscheidungen treffen. Diese Menschen stellen wir in den kommenden Briefings vor: Die 110 entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Bildungsszene, ausgewählt von der Bildung.Table-Redaktion. Anders als bei den anderen Fachtables von Table.Briefings sind es bei Bildung nicht 100, sondern 110. Denn wir haben als zusätzliche Kategorie die Schulleitungen und Lehrkäfte dazugenommen. Ohne sie könnte das beste Schul- und Unterrichtskonzept nicht funktionieren.
Wir brauchen sie zum Beispiel auch für eine der derzeit größten Herausforderungen an Schulen – die Demokratiebildung. Gestern hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission zu diesem Thema eine neue Stellungnahme mit Empfehlungen veröffentlicht. Angesichts der multiplen gesellschaftlichen und politischen Krisen könnte der Veröffentlichungszeitpunkt kaum passender sein.
Vielleicht finden Sie hier Anregungen und entdecken bei den Top 110 bekannte oder für Sie auch überraschende Namen!
Hendrik Haverkamp – Gründer von Fiete.ai und dem Institut für zeitgemäße Prüfungskultur
Hendrik Haverkamp möchte Künstliche Intelligenz “entmystifizieren”. Er ist der Auffassung: KI ist weder Supertool, noch Teufelszeug. Als Lehrer für Deutsch und Sport und Koordinator für Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh setzt er sich dafür ein, dass seine Schülerinnen und Schüler einen verantwortungsvollen Umgang mit KI lernen. Als Gründer von fiete.ai liefert er ein KI-Tool, das den Schülern individuelles Feedback liefert. Und als Mitbegründer des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur und Mitglied des Virtuellen Kompetenzzentrums KI tritt er für neue Prüfungsformate ein und berät Schulen und Bildungsministerien.
Helmut Klemm – Schulleiter der Eichendorffschule in Erlangen
Wer auf eine Mittelschule kommt, hat meist die Erfahrung des Scheiterns hinter sich. Mittelschule ist in Bayern der Name für die Hauptschule. Kaum einer besucht diese Schulart freiwillig. An Helmut Klemms Mittelschule in Erlangen ist das anders. Er schafft es mit viel positiver Energie und einer klugen Unterrichtsgestaltung, dass Schülerinnen und Schüler hier nicht nur wieder Spaß am Lernen gewinnen, sondern alle auch einen Abschluss schaffen. Die Eichendorffschule wird für viele Kinder zum Gamechanger. Für ihre beeindruckende Arbeit bekam Klemms Schule 2023 den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises.
Nicola Küppers – Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr
Ihre Schule liegt in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Die Armutsquote ist hoch, die Deutschkenntnisse sind niedrig. Als Nicola Küppers die Schulleitung vor mehr als zehn Jahren übernahm, fielen die Ergebnisse bei Leistungsvergleichsstudien miserabel aus. Heute liegen sie über dem Landesdurchschnitt. Erreicht hat die Schulleiterin das vor allem, weil sie Bildungsgerechtigkeit zum obersten Ziel gemacht hat. Dazu gehört für sie vor allem eine individuelle Förderung und eine intensive Elternarbeit. Zweimal erhielt sie dafür bereits den Deutschen Schulpreis.
Gert Mengel – Schulleiter und Berater des Bundesbildungsministeriums
Gert Mengel ermuntert sein Kollegium dazu, statt immer zur Tafelkreide auch mal zum KI-Tool zu greifen. Er findet eine gewisse Offenheit für neue Technologien wichtig – schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Don-Bosco-Schule in Rostock Zukunftskompetenzen erlernen. Was das bedeutet, diskutiert er auch im Podcast “Kreide.KI.Klartext” mit Fobizz-Gründerin Diana Knodel. Seit Kurzem zählt er zu neun Experten, die das Bundesbildungsministerium in Sachen “Künstliche Intelligenz, Lernen und Schule” beraten.
Silke Müller – Schulleiterin der Waldschule Hatten in Niedersachsen und Autorin
Seit fast zehn Jahren leitet Silke Müller die Waldschule Hatten im Landkreis Oldenburg. Lange vor der Corona-Pandemie sah sie schon das große Potenzial digitaler Medien für den Unterricht und wurde Niedersachsens erste Digitalbotschafterin. Gleichzeitig mahnt sie aber auch immer wieder an, zum Schutz der Kinder genauer hinzuschauen, was Kinder über digitale Medien konsumieren. In ihrer Schule hat sie eine regelmäßige Social-Media-Sprechstunde eingerichtet. Zum verantwortungsvolleren Umgang mit KI und Medien hat sie zwei Bücher geschrieben, die schnell zu Bestsellern wurden.
Florian Nuxoll – entwickelt intelligente Tutorsysteme für das Fach Englisch
Der Lehrer für Englisch und Gemeinschaftskunde an der Geschwister-Scholl-Schule Tübingen ist sich sicher: “ChatGPT kann Lehrkräfte entlasten”. Im Unterricht experimentiert Florian Nuxoll viel mit dem Chatbot. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und arbeitet dort mit an der Entwicklung intelligenter Tutorsysteme für das Fach Englisch. Über Chancen und Risiken der Digitalisierung in Schulen diskutiert er regelmäßig mit verschiedenen Gästen im Podcast “Doppelstunde”.
Micha Pallesche – Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe
Eine Kultur der Digitalität ist an der Schule von Schulleiter Micha Pallesche längst Selbstverständlichkeit. Die Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe war die erste “Smart School”, eine Auszeichnung des Digitalverbands Bitkom. Aber nicht nur bei der Digitalität spielt Pallesches Schule eine Vorreiterrolle. Sie gehört auch zu den ersten zehn Schulen in Baden-Württemberg, die gerade den Demokratiepreis bekommen haben. Und sie ist seit fast 40 Jahren gebundene Ganztagsschule und hat ein Konzept für innovative Unterrichtsgestaltung im ganztägigen Lernen entwickelt, das für viele Schulen ein Vorbild ist.
Günther Schön – Lehrer mit Robotik-Leidenschaft und Lehrkräftepreis
“Je mehr Vertrauen man in die Fähigkeiten seiner Schülerinnen und Schüler hat, desto positiver wird man überrascht”, ist Günther Schön überzeugt. Seit zwölf Jahren leitet er die Robotik-AG am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Ludwigshafen und hat für dieses außercurriculare Engagement den Deutschen Lehrkräftepreis bekommen. Seine Unterrichtsfächer sind Mathematik, Biologie und Informatik.
Monika Stausberg – Schulleiterin der Beruflichen Schule ITECH in Hamburg
Berufsbilder verändern sich, die Ausbildung muss es auch. Monika Stausberg hat vor diesem Hintergrund ihre Schule, die vor allem IT-Fachkräfte ausbildet, schon vor Jahren umgekrempelt. Im Schulgebäude gibt es keine Klassenräume mit Stuhlreihen und auch kaum Frontalunterricht mehr. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten vor allem eigenständig an Projekten, die nicht aus dem Arbeitsbuch kommen, sondern echte Praxisaufgaben sind. Und Monika Stausberg tauscht sich regelmäßig mit Hamburger Unternehmen aus, um auf Stand zu bleiben, was diese brauchen. Die ITECH wurde 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.
André Szymkowiak – Schulleiter des Thusnelda-Gymnasiums in Köln
“Herr Szymkowiak schafft es, in einem extrem heterogenen Einzugsgebiet jedem ein Gefühl der individuellen Wertschätzung und des persönlichen Respekts entgegenzubringen – sei es ein Millionärskind oder ein Kind von Sozialhilfeempfängern.” Mit diesen lobenden Worten bekam André Szymkowiak den ersten Preis für vorbildliche Schulleitung im Wettbewerb um den Deutschen Lehrerpreis 2023. Neben Bildungsgerechtigkeit sieht er eine starke Partizipation und eine enge Zusammenarbeit im Kollegium als wichtige Aufgaben.
Der 7. Oktober 2023 und der Nahostkonflikt, die Europawahl im Juni und zuletzt rassistische Parolen und der Wolfsgruß-Eklat bei der EM – all diese politischen Ereignisse und die damit verbundenen Kontroversen werden auch in die Schulen getragen. Sie stoßen dort im besten Fall Diskussionen an, können aber auch zu Konflikten und Sprachlosigkeit führen. Passender könnte daher die Veröffentlichung der neuen Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) am gestrigen Donnerstag kaum sein. Darin hat sich das Expertengremium mit dem Thema “Demokratiebildung als Auftrag der Schule” befasst.
“Die aktuellen Anlässe machen uns klar, dass wir in einer komplexen, pluralen Gesellschaft leben. Da gibt es unterschiedlichste Perspektiven, die sich aus historischen Narrationen speisen, die teilweise sehr verzerrt sind. Wo, wenn nicht in der Schule, sollte man sich damit auseinandersetzen?”, erläutert die SWK-Vorsitzende Felicitas Thiel im Gespräch mit Table.Briefings den Anstoß für die Veröffentlichung.
Das Expertengremium hat in der Stellungnahme eine Vielzahl an Daten und Studien angeschaut, auf dieser Basis die aktuelle Situation an den Schulen analysiert und daraus Empfehlungen abgeleitet. Die SWK sieht drei Ebenen, wo Demokratiebildung ansetzen sollte:
Thiel ist es wichtig, dass Demokratiebildung gleichermaßen auf der Unterrichtsebene und in der Schulgestaltung stattfindet: “Demokratiebildung ist mehr als soziales Lernen.” Ohne die fachlichen Voraussetzungen und ohne das entsprechende Wissen fehle das Verständnis für demokratische Prozesse. Und zu diesem Wissen gehörten auch Kenntnisse über historische Hintergründe. Sie würden die Grundlage bilden, um Argumente jenseits emotionaler Betroffenheit zu finden.
Die SWK sieht hier deutlichen Verbesserungsbedarf. “Wir wollen der KMK nicht vorgeben, wie sie Curricula umschreiben sollte”, betont Thiel. Das Gremium gibt aber Hinweise. Für das Fach Geschichte geht es zum Beispiel darum, die Geschichte jüdischen Lebens früher zu verankern und mehr transnationale Bezüge herzustellen. “Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Curricula im Fach Geschichte ist bemerkenswert, dass trotz zunehmender Heterogenität in den Biografien der Schüler überwiegend eine nationale Container-Geschichte gelehrt wird”, heißt es in der Stellungnahme.
Im Fach Politik sollten sich die Länder die Frage stellen, ob politische Medienbildung ausreichend verankert ist. Das sei insbesondere deshalb wichtig, weil soziale Medien inzwischen das wichtigste Informations- und Kommunikationsmittel für Kinder und Jugendliche seien. Das hat gerade erst die Sinus-Studie gezeigt. Darum müssten sie sich auch besser mit Manipulationstechniken auskennen. Immerhin komme mehr als ein Viertel der Schüler über soziale Medien und Gaming mit extremistischen Inhalten in Berührung, heißt es in der Bestandsaufnahme der Stellungnahme.
Die ICCS Studie, die einzige internationale Vergleichsstudie zur politischen Bildung an Schulen, hat gezeigt, dass ein Drittel der Schüler in Deutschland nur über eingeschränkte informationsbezogene Kompetenzen und über ein geringes politisches Wissen verfügen. Vor diesem Hintergrund stellt die Verbreitung von Fake News und antidemokratischen Inhalten eine große Gefahr dar.
Lesen Sie hier mehr zu den Ergebnissen der ICCS-Studie
Ein Problem sei dabei auch, das macht die Stellungnahme der SWK deutlich, dass die Fächer Geschichte und Politik oft fachfremd unterrichtet werden. Gerade im Unterricht fachfremder Lehrkräfte “dominieren oft kurzschrittige Frage-Antwort-Muster”. Und weiter heißt es: “Insbesondere Lehrkräfte ohne Lehrbefähigung sparen im Fach Politik zumindest teilweise aktuelle kontroverse Themen aus.” Zum einen, weil ihnen die didaktischen Methoden fehlten, zum anderen gebe es die “Fehlvorstellung, Lehrkräfte müssten im Unterricht politisch wertneutral agieren“.
Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Schularten: Die Statistik des Bildungsministeriums in NRW für das Schuljahr 2021/22 zeigt, dass mehr als 50 Prozent der Geschichtsstunden an Hauptschulen fachfremd erteilt wurden, an Gymnasien hingegen nur knapp fünf Prozent. Und noch ein Faktor ist entscheidend: “Wir sehen erhebliche Unterschiede im Kompetenzerwerb in Abhängigkeit vom Hintergrund der Eltern”, sagt die SWK-Vorsitzende Thiel. Die Bildungsschere geht also auch bei der fachbezogenen Demokratiebildung weit auseinander.
Als wichtige Stellschraube für eine wirksamere Demokratiebildung machen die Autoren der Stellungnahme daher auch die Elternarbeit aus, damit Schüler nicht in Schule und Elternhaus in zwei verschiedenen Welten unterwegs seien. Sie empfehlen außerdem, die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern auszubauen. Insbesondere in Bezug auf Extremismus-Prävention seien stabile Kooperation ein wichtiger Baustein.
Insgesamt sieben Empfehlungen sind in der Stellungnahme aufgeführt, um zu mehr und besserer Demokratiebildung zu kommen. Dazu gehört, dass sich die Länder auf Kompetenzziele und entsprechende Maßnahmen der Demokratiebildung verständigen und dass es ein durchgängiges Unterrichtsangebot für Politik und Geschichte von der Grundschule bis zur Sekundarstufe I gibt. In der Grundschule könne das vor allem im Sachunterricht stattfinden. Auch Partizipation und Wertevermittlung sollten mehr Gewicht bekommen. Und um die Qualität des Unterrichts vor allem von fachfremden Lehrkräften zu verbessern, sollte es mehr Weiterbildungen in dem Bereich geben.
Felicitas Thiel stellt aber auch klar, dass selbst mit einer Stärkung der Demokratiebildung an Schulen die derzeitig durch die multiplen Krisen ausgelösten Überforderungen und Probleme nicht verschwinden würden. “Wir dürfen hier keine schnellen Lösungen erwarten, aber wir müssen anfangen”, sagt sie zu Table.Briefings. Und noch etwas betont sie: Die Stärkung der Demokratiebildung sollte nicht auf Kosten der basalen Kompetenzen gehen. Im Gegenteil: Deutsch und Mathematik seien die Grundlagen, um überhaupt argumentieren und Evidenzen beurteilen zu können.
Was die Länder nun mit der Stellungnahme machen, wird sich zeigen. KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot, teilt in einer ersten Reaktion die Argumentation, dass Schüler ein fundiertes politisches und historisches Wissen für eine kritische Urteilsbildung brauchen. Sie kündigte an: “Die Kultusministerkonferenz wird die Empfehlungen prüfen und in ihre weitere Arbeit einfließen lassen.” Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands, begrüßt die Forderung nach einem größeren und durchgängigen Unterrichtsangebot in Geschichte und Politik. “Eine partielle Einstündigkeit” von sogenannten Nebenfächern genüge nicht. Kai Gehring, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, fordert angesichts der SKW-Stellungnahme, die Länder dazu auf, “ihre Lehrpläne einem Update zu unterziehen. Die Neutralitätspflicht von Lehrkräften entbindet sie nicht davon, klar Position für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beziehen.”
Das Geschlecht, das Gewicht, die ethnische Zugehörigkeit und der sozioökonomische Status der Eltern beeinflussen Lehrkräfte in Deutschland bei der Vergabe von Schulnoten. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuell veröffentlichte Studie der Universitäten Zürich und Bern. Sie trägt den plakativen Titel “Erhält der mollige Can schlechtere Noten als die dünne Sophie?” Die Antwort der Wissenschaftler Richard Nennstiel und Sandra Gilgen lautet: “Unsere Analysen zur Bewertungsverzerrung in fünf Fächern haben gezeigt, dass dies überwiegend der Fall ist.”
Für ihre Studie nutzten die Forscher Daten aus dem Nationalen Bildungspanel NEPS. Sie verglichen die Noten von mehr als 14.000 Schülerinnen und Schülern, die 2010 die neunte Klasse besuchten, mit den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests. Dabei nahmen sie gezielt die Fächer Deutsch, Mathematik, Physik, Chemie und Biologie in den Blick.
Zu den Ergebnissen zählt unter anderem, dass Mädchen in Deutsch, Mathematik und Biologie bessere Noten erhalten, Jungen in Physik. Übergewichtige Schülerinnen und Schüler bekommen laut der Untersuchung in allen Fächern schlechtere Noten. Im Fach Deutsch ist dieser Befund am ausgeprägtesten. Schüler, deren Eltern einen höheren sozioökonomischen Status haben, erhalten hingegen in allen untersuchten Fächern bessere Noten. Auch hier ist an erster Stelle Deutsch zu nennen.
Dass sich die größten Diskrepanzen in diesem Fach fanden, greifen die Bildungsforscher explizit auf. Eine mögliche Erklärung sei, dass Lehrkräfte bei der Bewertung sprachlicher Kompetenzen “vermutlich mehr Freiheiten haben als bei mathematischen oder naturwissenschaftlichen Kompetenzen”. In diesen Fächern gebe es eine klarere Unterscheidung zwischen einer richtigen und einer falschen Antwort.
Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass es einen “kumulativen Nachteil” für Schüler gebe, die gleichzeitig mehr als einer benachteiligten Gruppe angehören. Die schlechtere Notengebung, so ist in dem Papier zu lesen, sei bei türkischen, übergewichtigen Jungen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien im Vergleich zu mehrheitlich nicht übergewichtigen Mädchen aus begünstigten Familien in Deutschland besonders ausgeprägt. Holger Schleper
In Hamburg ist die Debatte, statt auf Schulnoten auf andere Bewertungswege zu setzen, neu aufgeflammt. Auslöser war ein Interview der Schulsenatorin Ksenjia Bekeris (SPD) in der “taz”. Darin erklärte sie, dass nicht nur die 50 Modellschulen, die am Schulversuch “Alleskönner” teilgenommen hatten, auf Noten verzichten können. “Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Wir sind in Hamburg sehr offen dafür.” Eine Noten-Pflicht gäbe es ab Klasse 9.
Bekeris verwies dabei auch auf einen Beschluss des SPD-Landesparteitags vom 9. März. Darin werden die Bürgerschaftsfraktion und sozialdemokratischen Mitglieder des Senats aufgefordert, “Möglichkeiten zur Reformierung und Weiterentwicklung der Notenvergabe und Leistungsbewertung über das Programm hinaus abzuleiten.”
Der Hamburger Schulversuch “Alleskönner” ist ein Unterrichts- und Schulentwicklungsprojekt, das bereits im Schuljahr 2008/2009 begann. Zentrale Idee ist, die Entwicklung individueller Kompetenzen von Schülern zu fördern. Dabei soll es statt Noten eine differenziertere Rückmeldung geben, etwa durch Lernentwicklungsgespräche von Schülern, Eltern und Lehrkräften. Zum Schuljahr 2022/23 wurde das Projekt verstetigt. Die beteiligten Schulen können auf Grundlage ihrer bisher geleisteten Arbeit auf unbegrenzte Zeit weiterarbeiten.
Dass viele Hamburger Schulen den Verzicht auf Noten anstreben, zeichnet sich wohl nicht ab. “Wir erwarten aktuell keine weiteren Aufnahmeanträge, da die Regelung nicht neu und der Schulversuch bestens bekannt ist”, heißt es vonseiten der Hamburger Schulbehörde auf Anfrage von Table.Briefings. Und die Übertragbarkeit auf andere Schulen müsse mit Blick auf die langjährigen Entwicklungsprozesse in den Alleskönner-Schulen mit besonderer Sorgfalt betrachtet werden.
Die Opposition ist trotzdem in Hab-Acht-Stellung. “Der Verzicht auf Noten setzt ein völlig falsches Signal an unsere Schülerinnen und Schüler”, erklärte Birgit Stöver, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Table.Briefings. “Noten bieten die Möglichkeit, den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler objektiv nachzuvollziehen.” Bei Teilen der jungen Generation sei eine abnehmende Leistungsbereitschaft zu beobachten. “Gerade deswegen muss der Leistungsgedanke für die Entwicklung der Gesellschaft erhalten bleiben.” Holger Schleper
Die Bundesregierung will den Ländern künftig verbieten, ermäßigte ÖPNV-Schülertickets aus Bundesmitteln zu finanzieren. Das bestätigte eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums auf Anfrage von Table.Briefings. Bund und Länder hätten gemeinsam vereinbart, das Deutschlandticket jeweils zur Hälfte zu finanzieren. Dabei habe das Ministerium “immer die Position vertreten, dass es den Ländern darüber hinaus freisteht, das Deutschlandticket in eigener Verantwortung zu einem vergünstigten Preis an andere Personengruppen, zum Beispiel an Schülerinnen und Schüler, Seniorinnen und Senioren oder Geringverdienende, abzugeben und den Differenzbetrag aus Landesmitteln zu finanzieren”, erklärte die Sprecherin.
Dies hat das Ministerium nun auch in einem Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes festgeschrieben. Der Bund stellt den Ländern aus Steuereinnahmen sogenannte Regionalisierungsmittel zur Verfügung, um den Bahnverkehr zu finanzieren. Einige Länder hatten das Geld genutzt, um Schülerinnen und Schülern vergünstigte Deutschlandtickets anzubieten.
Entsprechend empört sind die Landesverkehrsminister über die Entscheidung des Bundes. Man könne “das Verbot nicht hinnehmen”, heißt es im Protokoll einer Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom Montag. “Das ist vor dem Hintergrund von Verlässlichkeit und Planbarkeit nicht nachvollziehbar”, erklärte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), der in seinem Bundesland das “Deutschlandticket Schule” zum Preis von 29 Euro pro Monat bislang aus Regionalisierungsmitteln finanziert. Länder wie NRW müssten dafür künftig Geld im eigenen Landeshaushalt finden – oder die Schülertickets einstellen.
Generell gleicht das Angebot rabattierter Fahrkarten für Schülerinnen und Schüler einem Flickenteppich: Länder wie NRW bieten es flächendeckend an; Hamburg führt ab September ein komplett kostenloses Ticket ein, Berlin hat es schon. In anderen Ländern wiederum gibt es ein solches Angebot nicht. Dort entscheiden Landkreise und Kommunen, ob und welchen Schülern sie kostenlose oder vergünstigte ÖPNV-Tickets finanzieren. Maximilian Stascheit
Fast jeder zweite 14- bis 25-Jährige (40 Prozent) kann sich vorstellen, ein Unternehmen zu gründen oder sich selbstständig zu machen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. In einer Klasse mit 24 Schülern wären das mindestens neun Schüler, rechnet die Stiftung vor. Ein weiteres Drittel der Befragten kann sich aktuell zwar eher nicht vorstellen, einen Betrieb zu gründen, schließt es aber auch nicht aus. Eine grundsätzliche Bereitschaft junger Menschen ist also durchaus vorhanden. Faktisch gründet aber nur jeder Sechste in der Altersgruppe einen Betrieb, wie der Global Entrepreneurship Monitor 2023 zeigte. In der aktuellen Umfrage sagte so auch nur jeder zehnte junge Mensch, dass er oder sie eine Gründung schon fest einplane (elf Prozent).
“Das Potenzial für junges Unternehmertum in Deutschland wird noch zu selten gehoben. Daher müssen wir die Hürden besser erkennen und abbauen, die junge Menschen am Gründen hindern”, sagte Tobias Bürger, Experte der Bertelsmann-Stiftung für Jugend und Wirtschaft.
Die Bertelsmann-Stiftung fordert daher, schon in der Schule unternehmerisches Denken und Handeln stärker zu fördern. Für gut umsetzbar halten die Forscher Workshops und Schülerfirmen außerhalb der Schule. Außerdem bräuchte es dringend Angebote zum Aufbau von Resilienz und Problemlösekompetenzen, damit Jugendliche den Umgang mit Stress erlernen. Das sei besonders wichtig vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, in der viele junge Menschen psychisch sehr belastet waren.
Daneben fordern die Experten, die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, etwa indem Bewerbungsverfahren für Förderprogramme erleichtert werden. Informationen über Fördermöglichkeiten müssten noch besser zu den jungen Menschen kommen, vor allem zielgruppengerecht über Social Media. Aber auch das Stereotyp vom männlichen, weißen Gründer mittleren Alters gelte es aufzubrechen. Im ländlichen Raum brauche es Netzwerke für junge Menschen, gerade auch, um Frauen zu stärken. Männliche Jugendliche planen laut Befragung eher, ein Unternehmen zu gründen, als weibliche (14 vs. 9 Prozent). Anna Parrisius
Die Höhe der Bafög-Sätze im Jahr 2021 hat gegen das Grundgesetz verstoßen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und gab damit der Klage einer Medizinstudentin an der Charité recht. In der Begründung des Gerichts heißt es, dass der Bafög-Grundbedarf damals mit 427 Euro deutlich unter dem damaligen Hartz-IV-Regelsatz von 446 Euro gelegen habe, der für die Sicherstellung des Existenzminimums erforderlich sei. Auch der Wohnkostenzuschlag von 325 Euro sei nicht angemessen, da mehr als die Hälfte der Studierenden in Berlin höhere Mietkosten hätten.
Allerdings hat der Beschluss zunächst keine konkreten Auswirkungen, da das Berliner Verwaltungsgericht nicht berechtigt ist, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat daher zunächst grundsätzlich geprüft, ob die Klage der Berliner Studentin berechtigt ist, und den Fall nun dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Wann das Urteil in Karlsruhe fällt, “ist derzeit noch nicht konkret absehbar”, erklärte ein Sprecher des Gerichts auf Anfrage von Table.Briefings. Mit einer zeitnahen Entscheidung ist wohl nicht zu rechnen.
Für die Bundesregierung könnte das Urteil große Auswirkungen haben: Folgt das Bundesverfassungsgericht der Argumentation des Berliner Verwaltungsgerichts, müssten die Bafög-Sätze künftig auf Bürgergeld-Niveau angehoben und die Wohnkostenpauschale individuell an die Mietkosten im jeweiligen Studienort angepasst werden. Die Grünen hatten das bereits im Zuge der Verhandlungen zur jüngst verabschiedeten Bafög-Reform gefordert, waren damit aber am Widerstand der FDP gescheitert. Am Ende stand ein Kompromiss, der unter anderem vorsieht, die Bedarfssätze um fünf Prozent anzuheben.
Das BMBF reagierte zurückhaltend auf die Entscheidung des Berliner Gerichts. Das Ministerium verfolge “das Verfahren und die vorgebrachten Argumente des Verwaltungsgerichts Berlin mit großer Aufmerksamkeit”, teilte eine Sprecherin auf Anfrage von Table.Briefings mit. “Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, können wir uns hierzu allerdings nicht abschließend äußern.” Maximilian Stascheit
Studierende nutzen zunehmend KI-Anwendungen wie ChatGPT. Allerdings gibt es Unterschiede von Fach zu Fach, zeigt eine Publikation des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh. Die Befragung von mehr als 34.000 Studierenden weist auch auf Defizite im KI-Angebot der Hochschulen hin.
Nutzungsintensität und Anwendungsschwerpunkte unterscheiden sich deutlich. Insbesondere in der Informatik werden KI-Programme regelmäßig genutzt. 61 Prozent der Informatik-Studierenden gaben an, von einmal im Monat bis täglich KI bei Programmiertätigkeiten zu verwenden. In Fächern wie Sportwissenschaft, Soziologie oder Politikwissenschaft nutzen rund ein Viertel der Studierenden KI-Anwendungen regelmäßig beim Schreiben von Berichten, Seminar- oder Abschlussarbeiten. In der Medizin hingegen greifen nur etwa 15 Prozent der Befragten für diese Zwecke regelmäßig auf KI zurück.
Verbessern muss sich auch das Angebot der Hochschulen. Vor allem in Fächern außerhalb der Informatik bestünden nicht ausreichend viele Möglichkeiten, den praktischen Umgang mit KI-Tools zu üben und die Leistungsfähigkeiten und Grenzen von Künstlicher Intelligenz kritisch zu reflektieren, heißt es in der Publikation. Im Durchschnitt bewerten die Studierenden außerhalb der Informatik das Angebot nur mit 2,1 von 5 Sternen. Nur im Fach Informatik sind die Studierenden mit dem Angebot bereits mehrheitlich zufrieden (3,4 von 5 Sternen).
Problembewusstsein ist jedoch vorhanden. Rund 40 Prozent der Befragten halten einen KI-Verhaltenskodex ihrer Hochschule für “wichtig” beziehungsweise “sehr wichtig”. Datengrundlage der am Mittwoch veröffentlichten Studie ist eine Befragung von 34.147 Studierenden an deutschen und österreichischen Hochschulen in 15 unterschiedlichen Studienfächern aus dem Wintersemester 2023/24. abg
Research.Table. Warum das BMBF die Kommunikation seines neuen Staatssekretärs nicht kommentieren will. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger gerät in der Fördergeld-Affäre erneut unter Druck. Interne “Wire”-Nachrichten aus der Chat-Gruppe der BMBF-Hausspitze werfen Fragen auf. Welche Rolle der Nachfolger Sabine Dörings hierbei spielt, lesen Sie hier.
Research.Table. Impulspapier zur Zukunft der Wissenschaft: Wie Diagnose und Forderungen bei Experten und Adressaten ankommen. Volkswagenstiftung und Stifterverband sehen die deutsche Wissenschaft in einem “tiefen Tal”. Table.Briefings hat mit Experten und Adressaten des neuen Impulspapiers “Veränderung wagen” gesprochen. Wie diese auf auf das Papier reagierten, lesen Sie hier.
Tagesspiegel: Berliner GEW-Vorsitzender tritt zurück. Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann hat seinen Rücktritt angekündigt. Neuwahlen soll es wohl im November geben. Erdmann stellte in der Landesvorstandssitzung die Vertrauensfrage, erhielt allerdings keine Mehrheit. Hintergrund ist Erdmanns Umgang mit einer illegal aufgezeichneten Tonaufnahme aus der Personalräte AG. Erdmann hatte diesen Mitschnitt zugesandt bekommen und ihn in einer GEW-Cloud gespeichert – zeitweise war dieser Ausschnitt so auch für Dritte zugänglich. (Er gab einen illegal angefertigten Mitschnitt weiter: Berliner GEW-Chef Tom Erdmann kündigt Rücktritt an)
Die Zeit: Warum an einer Grundschule jedes vierte Kind die erste Klasse wiederholt. Die Gräfenauschule in Ludwigshafen war schon öfter in den Nachrichten – viele ihrer Schüler müssen die erste Klasse wiederholen. 98 Prozent der Grundschüler haben hier einen Migrationshintergrund. Vielfach gibt es Sprachdefizite, viele der Kinder waren vorher zudem nicht in der Kita. Ihnen fehlen meist Grundkenntnisse, auch in Bezug auf den Umgang mit anderen Kindern. In dem Bezirk, in dem die Schule liegt, kämen die Kinder ebenfalls kaum in Kontakt mit Deutsch – in fast jedem Geschäft werde auch Türkisch oder Bulgarisch gesprochen. (Deutsch? “Egal, egal!”)
BIBB: In Jugendberufsagenturen braucht es Qualitätsmanagement. 87 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte hatten 2021 eine Jugendberufsagentur (JBA) – ein Kooperationsbündnis von Arbeitsagentur, Jobcenter und Jugendhilfe, das die Beratung junger Menschen am Übergang in den Beruf verbessern soll. Damit die JBA den Jugendlichen gerecht werden und zur Fachkräftesicherung beitragen, braucht es kontinuierliche Selbstreflexion, schreibt Oliver Dick, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sozialpädagogische Forschung Mainz, in einem Gastbeitrag. Er plädiert für folgenden Prozess: 1. Anliegen junger Menschen verstehen, 2. Überblick über Angebote am Übergang verschaffen, 3. Angebote und Anliegen abgleichen, 4. Angebote anpassen, 5. regelmäßige Evaluation. (Qualitätsentwicklung in Jugendberufsagenturen)
Ostsee Zeitung: CDU in MV kritisiert Lehramtsreform. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern plant, das Lehramt für das Gymnasium und für die Regionalschule zusammenzulegen. Die CDU sieht in diesem Vorhaben eine Schwächung oder sogar Abschaffung des Gymnasiums. Die Reform sieht ebenfalls mehr Pädagogikanteile im Studium sowie weniger Fachanteile und Prüfungen vor. Die Abbrecherquote im Lehramt liegt in MV teilweise bei 70 Prozent. (CDU kritisiert Reformpläne zur Lehrerausbildung in MV: “Rot-Rot will das Gymnasium abschaffen”)
NTV: MV – Leitfaden für Ersthelfer-Schulungen in Mittelstufe. In Mecklenburg-Vorpommern startet ein zweijähriges Modellvorhaben, um Erste-Hilfe-Unterricht mehr im Schulalltag zu integrieren. Die Teilnahme ist für die Schulen freiwillig. Im Zuge des Sport- und Biologieunterrichts sollen Schüler der siebten und achten Klasse die Erste-Hilfe-Unterweisung erhalten. Das Bildungsministerium rechnet mit Materialkosten von 2.000 Euro pro Schule, die der Schulträger übernehmen müsste. (Erste-Hilfe-Ausbildung an Schulen soll mehr Raum einnehmen)