Table.Briefing: Bildung

+++ Table.Special +++ Krankenstand von Kita-Personal + Neue Ideen für digitale Bildung

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Situation in den Kitas ist nicht erst seit dem Tauziehen um das Kita-Qualitätsgesetz in den Fokus gerückt. Dass viel an der frühen Bildung hängt, ist inzwischen unbestritten. Nur der Weg zu einer guten frühkindlichen Förderung ist längst nicht geebnet. Denn auch wenn der Entwurf des Kita-Qualitätsgesetzes inzwischen vom Bundeskabinett beschlossen ist – automatisch besser werden die Einrichtungen damit noch nicht. Vor allem aus einem Grund: Das Personal fehlt vielerorts.

Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel, sondern auch daran, dass die, die da sind, häufig ausfallen. Eine Berechnung der Bertelsmann Stiftung, die am Dienstag früh veröffentlicht wird, zeigt, dass Fachkräfte in Kitas viel häufiger krank sind als in allen anderen Berufsgruppen. Mein Kollege Holger Schleper hat die Studie schon vorab einsehen können und stellt Ihnen die wichtigsten Ergebnisse aktuell vor.

Und noch eine zweite Veröffentlichung steht heute an: Das Hasso-Plattner-Institut beschreibt in einem Positionspapier Ideen, wie digitale Bildung besser vermittelt werden könnte – nämlich über außerschulische Digitalschulen. Meine Kollegin Vera Kraft hat sich mit dem Konzept befasst und weiß auch, was das mit Musikschulen zu tun hat.

Zwei aktuelle Veröffentlichungen – die wir Ihnen ganz aktuell präsentieren wollen. Daher gibt es heute ein Special von Bildung.Table. Und am Mittwoch geht es dann weiter mit der regulären Ausgabe.

Viel Stoff zum Lesen – hoffentlich finden Sie viel Spannendes!

Ihre
Annette Kuhn
Bild von Annette  Kuhn

Analyse

Kita-Personal: So alarmierend ist die Zahl der Krankheitstage

Die Hiobsbotschaften zur Personalsituation in den Kitas reißen nicht ab: Beschäftigte in der Kinderbetreuung und -erziehung waren 2023 im Schnitt an knapp 30 Tagen arbeitsunfähig. Damit liegt die Zahl der AU-Tage deutlich über dem Mittelwert für alle Berufsgruppen. Der lag bei etwa 20 Tagen. Die Zahlen gehen aus einer aktuellen Erhebung der Bertelsmann Stiftung hervor, die heute vorgestellt wird. Ihr liegen Daten der Krankenkasse DAK-Gesundheit zugrunde. Table.Briefings konnte die Auswertung vorab einsehen.

Demnach lag der Krankenstand für Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung 2023 bundesweit bei 8,1 Prozent – und damit deutlich über dem Wert von 5,5 Prozent für alle Berufsgruppen. Die Zahlen zeigen auch, dass der Krankenstand im Kita-Bereich in Ostdeutschland (ohne Berlin) mit 9,3 Prozent höher ausfällt als in Westdeutschland mit 7,9 Prozent.

Tatsächliche Fehlzeiten dürften noch viel höher liegen

Der Blick ins Kleingedruckte offenbart allerdings: Die Lage ist wohl noch alarmierender, als es die präsentierten Werte vermitteln. Denn die DAK erfasst nur AU-Meldungen, die ärztlich bescheinigt wurden. In der Regel verlangen Arbeitgeber eine solche Bescheinigung erst ab dem dritten oder vierten Kalendertag. Es “ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Fehlzeiten mit einer Dauer von 1-3 Tagen in dieser Statistik nicht erfasst wird”. Die tatsächlichen Fehlzeiten liegen also wohl noch deutlich höher. 

Den höchsten Krankenstand gibt es laut der aktuellen Erhebung in Berlin. Dort fordern die Gewerkschaften Verdi und GEW seit Längerem einen Entlastungstarifvertrag für die Beschäftigten der landeseigenen Kitas. Um das zu untermauern, kommt es immer wieder zu Streiks.

“Besonders in den östlichen Bundesländern sind die Krankenstände sehr hoch”, sagte Elke Alsago Table.Briefings. Sie ist Leiterin der Verdi-Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit. Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin hätten die schlechtesten Personalschlüssel. “Dies bildet sich deutlich in den Zahlen der Arbeitsunfähigkeitstage ab.” 

Der Bertelsmann-Befund passt auch zu Zahlen aus NRW, die in der Vorwoche bundesweit für Aufsehen gesorgt hatten. Demnach ist die Häufigkeit der Personalengpässe in den Kitas im bevölkerungsreichsten Bundesland dramatisch gestiegen. Gab es im ersten Halbjahr 2023 knapp 8.700 Meldungen zu “Personalunterdeckung”, waren es im ersten Halbjahr 2024 fast doppelt so viele, in Summe mehr als 17.100.  

Lesen Sie auch: NRW – Personalengpässe in den Kitas nehmen stark zu

Psychische Erkrankungen haben großen Anteil

Die nun neu vorgelegten Zahlen reihen sich ein in zahlreiche alarmierende Befunde zur Personallage in der jüngeren Vergangenheit. “Wir sehen in den letzten Jahren einen Höhepunkt der bisherigen Entwicklungen”, erklärt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung, Table.Briefings. Die meisten Bundesländer hätten laut DAK-Daten 2022 einen Höchststand bei den AU-Tagen. “2023 gab es einen kleinen Abfall, insgesamt sind die AU-Tage von 2020 beziehungsweise 2021 bis 2023 dennoch stark angestiegen.”

Die aktuellen Zahlen geben auch einen tieferen Einblick in die Ursachen der Arbeitsunfähigkeiten. Am häufigsten fielen Kita-Beschäftigte im Vorjahr wegen Atemwegsinfektionen aus. Auf Rang zwei folgen psychische Erkrankungen. Sie machen bundesweit einen Anteil von etwas mehr als 20 Prozent an den Krankheitstagen des Kita-Personals aus.

Für Bock-Famulla kommt das nicht überraschend. “Der Personalmangel führt zu Überlastungen, die sich in psychischen Erkrankungen äußern können“, erklärte sie Table.Briefings. Zusätzlich fehle es an Vertretungen für Ausfallzeiten, sodass das noch vorhandene Personal die hohen Krankenstände durch Überstunden auffangen müsse. “Die Fachkräfte können ihren Aufgaben und professionellen Ansprüchen immer schwerer gerecht werden.” Es ergebe sich ein Teufelskreis, der sich auch negativ auf die Attraktivität des Berufsfeldes niederschlage.

Forderung nach Qualitätsstandards wird lauter

Die Auswertung hat die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Fachkräfte-Forum vorgestellt. Das Forum setzt sich aus Kita-Fachkräften, Leitungskräften und Fachberaterinnen und -beratern aus allen Bundesländern zusammen. Beide Institutionen verbinden die alarmierenden Zahlen mit einem gemeinsamen politischen Appell. Zu den Forderungen zählen unter anderem:

  • Eine gesetzliche Verankerung, dass Vertretungen durch qualifiziertes Personal für alle Ausfallzeiten finanziert werden.
  • Bund und Länder sollten sich auch auf einen gemeinsamen Standard einigen, der Vertretungen für Ausfallzeiten garantiert.
  • Die pädagogische Qualifizierung von Quereinsteigern sollte berufsbegleitend vorangetrieben und bundesweite Standards für die fachliche Eignung festgelegt werden.
  • Fachlich nicht ausreichend qualifizierte Personen lassen sich erst dann auf den Personalschlüssel anrechnen, wenn sie pädagogisch ausreichend weitergebildet wurden.

Der Zeitpunkt dieser Forderungen ist wohl nicht zufällig. Denn in der Vorwoche hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Fortschreibung des sogenannten Kita-Qualitätsgesetzes beschlossen. Er muss noch durch Bundestag und Bundesrat. Der Entwurf sieht keinen bundeseinheitlichen Standard für die Kitas vor, etwa bei der Betreuungsrelation. Der zuständige SPD-Berichterstatter im Bundestag, Erik von Malottki, sprach von fehlendem Mut. Der Entwurf “bleibt weit hinter den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zurück”. 

Lesen Sie auch: Kita-Qualität – Warum Familienministerin Paus mit dem Koalitionsvertrag bricht

Kita-Kampagne sieht wenig Zeit, Gesetz zu verbessern

Diese Enttäuschung ist auch aus den Reihen der Petition “Jedes Kind zählt” zu hören. Sie macht sich für bundesweite Qualitätsstandards in den Kitas stark. Mehr als 215.000 Menschen haben dafür bis Anfang Juli, dem Fristende der Petition, unterschrieben. Nun warnt die Initiative: Die Bundesregierung habe das Kita-Gesetz mit einem Gesetz zum Umgang mit Zinsausgaben im Bundeshaushalt aus dem Bundesfinanzministerium gekoppelt (wie Table.Briefings bereits berichtete).

Eine solche Verknüpfung fachlich voneinander unabhängiger Gesetze wird üblicherweise genutzt, um Verfahren zu beschleunigen. Deshalb solle schon bis Mitte Oktober der gesamte Prozess zur Verabschiedung des Gesetzes abgeschlossen sein. “Das heißt, wir haben nicht mal zwei Monate Zeit, jetzt noch die Politik so zu beeinflussen, dass das Gesetz doch noch besser wird”, heißt es in einem Schreiben von Katja Ross, eine der Initiatorinnen der Kampagne, an den Kreis der Unterstützer.

Und noch etwas bemängelt Ross: “Wir haben bisher immer noch keinen Anhörungstermin für unsere Petition erhalten”, schreibt sie. Es gebe die große Sorge, “dass unsere Anliegen nicht behandelt werden, um das mittelmäßige Kita-Qualitätsgesetz möglichst schnell und geräuschlos durchzubringen”. Das wäre, so heißt es in dem Schreiben, ein wirklicher Skandal und eine Missachtung der mehr als 200.000 Menschen, die klargemacht hätten, dass die Politik mehr für die Kitas im Land unternehmen muss.

  • Bildungspolitik
  • Frühkindliche Bildung
  • GEW
  • Lisa Paus
  • Statistik
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News

Digitale Bildung: Wie Musikschulen zum Vorbild werden könnten

Programmieren, Daten analysieren sowie digitale Medien und Künstliche Intelligenz verwenden – das alles könnten Kinder und Jugendliche zukünftig an staatlich anerkannten Digitalschulen lernen. Das schlägt zumindest das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in einem neuen Positionspapier vor, das Table.Briefings vorab vorlag (zum Download). Die Autoren, darunter Informatikprofessor Patrick Baudisch von der Universität Potsdam, schlagen vor, die Digitalschulen nach dem Vorbild von Kunst- und Musikschulen aufzubauen.

Das Konzept ist folglich als “komplementäres Angebot zum regulären Schulunterricht” gedacht. Etablierte außerschulische Bildungsinitiativen und EdTech-Unternehmen sollen hier ihr Fachwissen bündeln. Notwendig sei ein solcher Schritt, da die “bisherigen Initiativen nicht ausreichen, um den notwendigen Fortschritt schnell genug zu erreichen”. Zwar hätte vor allem der Digitalpakt die technische Ausstattung an Schulen vorangetrieben, allerdings gebe es im Bereich digitale Bildung weiterhin große Herausforderungen.

Neben den “politisch initiierten Programmen” würdigen die Autoren des Papiers unter anderem zivilgesellschaftliche Initiativen, die Lehrkräfte fortbilden, digitale Inhalte für den Unterricht bereitstellen oder die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern fördern. Solche “alternativen Lösungen” seien dringend erforderlich und könnten das reguläre Schulsystem gewinnbringend ergänzen. Digitalschulen könnten die digitalen Kompetenzen zukünftiger Generationen schneller und besser fördern “und gleichzeitig den Digital-Standort Deutschland stärken“, sagt Baudisch, der das Fachgebiet Human Computer Interaction an der Universität Potsdam leitet.

Rechtlicher Rahmen angelehnt an “Erfolgsmodell Musikschule”

Die Digitalschulen sollen dem Papier zufolge in allen Bundesländern aufgebaut und staatlich gefördert werden. Dadurch soll auch sichergestellt werden, dass die Elternbeiträge niedrig bleiben, damit alle Kinder von dem Angebot profitieren können. Zudem seien Lösungen wie “Bildungsgutscheine” für einkommensschwache Elternhäuser angestrebt, sagt Baudisch zu Table.Briefings.

Dabei orientieren sich die Autoren stark an der Praxis und dem rechtlichen Rahmen von Musikschulen. Den Titel “Anerkannte Digitalschule” soll demnach nur die oberste Landesbehörde erteilen können. Um anerkannt zu werden, muss eine Digitalschule eine Reihe von Kriterien erfüllen, unter anderem:

  • eine festgelegte Zahl an Unterrichtsstunden pro Woche im Fachbereich Informatik und digitale Kompetenzen, die sowohl Frühförderung, Einzel- und Gruppenstunden als auch spezielle Talentförderung umfasst;
  • überwiegend im Fachbereich Informatik ausgebildete Lehrkräfte einstellen;
  • Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen und Trägern digitaler Bildung durchführen.

Da das Papier zunächst als Impuls zu verstehen ist, beinhaltet es keinen Zeitplan oder konkrete Anleitungen für das weitere Vorgehen. Die praktische Ausgestaltung des konkreten Unterrichts soll dann in den Händen der Schulträger der Digitalschulen liegen.

Ziel sei es, eine enge Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen aufzubauen, so dass Digitalschulen zum Beispiel bei Schulprojekten einbezogen werden können, sagt Baudisch zu Table.Briefings. Die Autoren appellieren: Es sei dringend erforderlich, dass alle relevanten Interessensgruppen zusammenarbeiten, um einen umfassenden und integrativen Ansatz zur digitalen Bildung zu schaffen. Vera Kraft

  • Bildung
  • Bildungsföderalismus
  • Bildungspolitik
  • Digitales Lernen
  • Digitalisierung
  • Digitalpakt
  • Künstliche Intelligenz
  • Länder
  • Medienkompetenz
  • Schulträger
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Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Situation in den Kitas ist nicht erst seit dem Tauziehen um das Kita-Qualitätsgesetz in den Fokus gerückt. Dass viel an der frühen Bildung hängt, ist inzwischen unbestritten. Nur der Weg zu einer guten frühkindlichen Förderung ist längst nicht geebnet. Denn auch wenn der Entwurf des Kita-Qualitätsgesetzes inzwischen vom Bundeskabinett beschlossen ist – automatisch besser werden die Einrichtungen damit noch nicht. Vor allem aus einem Grund: Das Personal fehlt vielerorts.

    Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel, sondern auch daran, dass die, die da sind, häufig ausfallen. Eine Berechnung der Bertelsmann Stiftung, die am Dienstag früh veröffentlicht wird, zeigt, dass Fachkräfte in Kitas viel häufiger krank sind als in allen anderen Berufsgruppen. Mein Kollege Holger Schleper hat die Studie schon vorab einsehen können und stellt Ihnen die wichtigsten Ergebnisse aktuell vor.

    Und noch eine zweite Veröffentlichung steht heute an: Das Hasso-Plattner-Institut beschreibt in einem Positionspapier Ideen, wie digitale Bildung besser vermittelt werden könnte – nämlich über außerschulische Digitalschulen. Meine Kollegin Vera Kraft hat sich mit dem Konzept befasst und weiß auch, was das mit Musikschulen zu tun hat.

    Zwei aktuelle Veröffentlichungen – die wir Ihnen ganz aktuell präsentieren wollen. Daher gibt es heute ein Special von Bildung.Table. Und am Mittwoch geht es dann weiter mit der regulären Ausgabe.

    Viel Stoff zum Lesen – hoffentlich finden Sie viel Spannendes!

    Ihre
    Annette Kuhn
    Bild von Annette  Kuhn

    Analyse

    Kita-Personal: So alarmierend ist die Zahl der Krankheitstage

    Die Hiobsbotschaften zur Personalsituation in den Kitas reißen nicht ab: Beschäftigte in der Kinderbetreuung und -erziehung waren 2023 im Schnitt an knapp 30 Tagen arbeitsunfähig. Damit liegt die Zahl der AU-Tage deutlich über dem Mittelwert für alle Berufsgruppen. Der lag bei etwa 20 Tagen. Die Zahlen gehen aus einer aktuellen Erhebung der Bertelsmann Stiftung hervor, die heute vorgestellt wird. Ihr liegen Daten der Krankenkasse DAK-Gesundheit zugrunde. Table.Briefings konnte die Auswertung vorab einsehen.

    Demnach lag der Krankenstand für Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung 2023 bundesweit bei 8,1 Prozent – und damit deutlich über dem Wert von 5,5 Prozent für alle Berufsgruppen. Die Zahlen zeigen auch, dass der Krankenstand im Kita-Bereich in Ostdeutschland (ohne Berlin) mit 9,3 Prozent höher ausfällt als in Westdeutschland mit 7,9 Prozent.

    Tatsächliche Fehlzeiten dürften noch viel höher liegen

    Der Blick ins Kleingedruckte offenbart allerdings: Die Lage ist wohl noch alarmierender, als es die präsentierten Werte vermitteln. Denn die DAK erfasst nur AU-Meldungen, die ärztlich bescheinigt wurden. In der Regel verlangen Arbeitgeber eine solche Bescheinigung erst ab dem dritten oder vierten Kalendertag. Es “ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Fehlzeiten mit einer Dauer von 1-3 Tagen in dieser Statistik nicht erfasst wird”. Die tatsächlichen Fehlzeiten liegen also wohl noch deutlich höher. 

    Den höchsten Krankenstand gibt es laut der aktuellen Erhebung in Berlin. Dort fordern die Gewerkschaften Verdi und GEW seit Längerem einen Entlastungstarifvertrag für die Beschäftigten der landeseigenen Kitas. Um das zu untermauern, kommt es immer wieder zu Streiks.

    “Besonders in den östlichen Bundesländern sind die Krankenstände sehr hoch”, sagte Elke Alsago Table.Briefings. Sie ist Leiterin der Verdi-Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit. Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin hätten die schlechtesten Personalschlüssel. “Dies bildet sich deutlich in den Zahlen der Arbeitsunfähigkeitstage ab.” 

    Der Bertelsmann-Befund passt auch zu Zahlen aus NRW, die in der Vorwoche bundesweit für Aufsehen gesorgt hatten. Demnach ist die Häufigkeit der Personalengpässe in den Kitas im bevölkerungsreichsten Bundesland dramatisch gestiegen. Gab es im ersten Halbjahr 2023 knapp 8.700 Meldungen zu “Personalunterdeckung”, waren es im ersten Halbjahr 2024 fast doppelt so viele, in Summe mehr als 17.100.  

    Lesen Sie auch: NRW – Personalengpässe in den Kitas nehmen stark zu

    Psychische Erkrankungen haben großen Anteil

    Die nun neu vorgelegten Zahlen reihen sich ein in zahlreiche alarmierende Befunde zur Personallage in der jüngeren Vergangenheit. “Wir sehen in den letzten Jahren einen Höhepunkt der bisherigen Entwicklungen”, erklärt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung, Table.Briefings. Die meisten Bundesländer hätten laut DAK-Daten 2022 einen Höchststand bei den AU-Tagen. “2023 gab es einen kleinen Abfall, insgesamt sind die AU-Tage von 2020 beziehungsweise 2021 bis 2023 dennoch stark angestiegen.”

    Die aktuellen Zahlen geben auch einen tieferen Einblick in die Ursachen der Arbeitsunfähigkeiten. Am häufigsten fielen Kita-Beschäftigte im Vorjahr wegen Atemwegsinfektionen aus. Auf Rang zwei folgen psychische Erkrankungen. Sie machen bundesweit einen Anteil von etwas mehr als 20 Prozent an den Krankheitstagen des Kita-Personals aus.

    Für Bock-Famulla kommt das nicht überraschend. “Der Personalmangel führt zu Überlastungen, die sich in psychischen Erkrankungen äußern können“, erklärte sie Table.Briefings. Zusätzlich fehle es an Vertretungen für Ausfallzeiten, sodass das noch vorhandene Personal die hohen Krankenstände durch Überstunden auffangen müsse. “Die Fachkräfte können ihren Aufgaben und professionellen Ansprüchen immer schwerer gerecht werden.” Es ergebe sich ein Teufelskreis, der sich auch negativ auf die Attraktivität des Berufsfeldes niederschlage.

    Forderung nach Qualitätsstandards wird lauter

    Die Auswertung hat die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Fachkräfte-Forum vorgestellt. Das Forum setzt sich aus Kita-Fachkräften, Leitungskräften und Fachberaterinnen und -beratern aus allen Bundesländern zusammen. Beide Institutionen verbinden die alarmierenden Zahlen mit einem gemeinsamen politischen Appell. Zu den Forderungen zählen unter anderem:

    • Eine gesetzliche Verankerung, dass Vertretungen durch qualifiziertes Personal für alle Ausfallzeiten finanziert werden.
    • Bund und Länder sollten sich auch auf einen gemeinsamen Standard einigen, der Vertretungen für Ausfallzeiten garantiert.
    • Die pädagogische Qualifizierung von Quereinsteigern sollte berufsbegleitend vorangetrieben und bundesweite Standards für die fachliche Eignung festgelegt werden.
    • Fachlich nicht ausreichend qualifizierte Personen lassen sich erst dann auf den Personalschlüssel anrechnen, wenn sie pädagogisch ausreichend weitergebildet wurden.

    Der Zeitpunkt dieser Forderungen ist wohl nicht zufällig. Denn in der Vorwoche hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Fortschreibung des sogenannten Kita-Qualitätsgesetzes beschlossen. Er muss noch durch Bundestag und Bundesrat. Der Entwurf sieht keinen bundeseinheitlichen Standard für die Kitas vor, etwa bei der Betreuungsrelation. Der zuständige SPD-Berichterstatter im Bundestag, Erik von Malottki, sprach von fehlendem Mut. Der Entwurf “bleibt weit hinter den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zurück”. 

    Lesen Sie auch: Kita-Qualität – Warum Familienministerin Paus mit dem Koalitionsvertrag bricht

    Kita-Kampagne sieht wenig Zeit, Gesetz zu verbessern

    Diese Enttäuschung ist auch aus den Reihen der Petition “Jedes Kind zählt” zu hören. Sie macht sich für bundesweite Qualitätsstandards in den Kitas stark. Mehr als 215.000 Menschen haben dafür bis Anfang Juli, dem Fristende der Petition, unterschrieben. Nun warnt die Initiative: Die Bundesregierung habe das Kita-Gesetz mit einem Gesetz zum Umgang mit Zinsausgaben im Bundeshaushalt aus dem Bundesfinanzministerium gekoppelt (wie Table.Briefings bereits berichtete).

    Eine solche Verknüpfung fachlich voneinander unabhängiger Gesetze wird üblicherweise genutzt, um Verfahren zu beschleunigen. Deshalb solle schon bis Mitte Oktober der gesamte Prozess zur Verabschiedung des Gesetzes abgeschlossen sein. “Das heißt, wir haben nicht mal zwei Monate Zeit, jetzt noch die Politik so zu beeinflussen, dass das Gesetz doch noch besser wird”, heißt es in einem Schreiben von Katja Ross, eine der Initiatorinnen der Kampagne, an den Kreis der Unterstützer.

    Und noch etwas bemängelt Ross: “Wir haben bisher immer noch keinen Anhörungstermin für unsere Petition erhalten”, schreibt sie. Es gebe die große Sorge, “dass unsere Anliegen nicht behandelt werden, um das mittelmäßige Kita-Qualitätsgesetz möglichst schnell und geräuschlos durchzubringen”. Das wäre, so heißt es in dem Schreiben, ein wirklicher Skandal und eine Missachtung der mehr als 200.000 Menschen, die klargemacht hätten, dass die Politik mehr für die Kitas im Land unternehmen muss.

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    Programmieren, Daten analysieren sowie digitale Medien und Künstliche Intelligenz verwenden – das alles könnten Kinder und Jugendliche zukünftig an staatlich anerkannten Digitalschulen lernen. Das schlägt zumindest das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in einem neuen Positionspapier vor, das Table.Briefings vorab vorlag (zum Download). Die Autoren, darunter Informatikprofessor Patrick Baudisch von der Universität Potsdam, schlagen vor, die Digitalschulen nach dem Vorbild von Kunst- und Musikschulen aufzubauen.

    Das Konzept ist folglich als “komplementäres Angebot zum regulären Schulunterricht” gedacht. Etablierte außerschulische Bildungsinitiativen und EdTech-Unternehmen sollen hier ihr Fachwissen bündeln. Notwendig sei ein solcher Schritt, da die “bisherigen Initiativen nicht ausreichen, um den notwendigen Fortschritt schnell genug zu erreichen”. Zwar hätte vor allem der Digitalpakt die technische Ausstattung an Schulen vorangetrieben, allerdings gebe es im Bereich digitale Bildung weiterhin große Herausforderungen.

    Neben den “politisch initiierten Programmen” würdigen die Autoren des Papiers unter anderem zivilgesellschaftliche Initiativen, die Lehrkräfte fortbilden, digitale Inhalte für den Unterricht bereitstellen oder die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern fördern. Solche “alternativen Lösungen” seien dringend erforderlich und könnten das reguläre Schulsystem gewinnbringend ergänzen. Digitalschulen könnten die digitalen Kompetenzen zukünftiger Generationen schneller und besser fördern “und gleichzeitig den Digital-Standort Deutschland stärken“, sagt Baudisch, der das Fachgebiet Human Computer Interaction an der Universität Potsdam leitet.

    Rechtlicher Rahmen angelehnt an “Erfolgsmodell Musikschule”

    Die Digitalschulen sollen dem Papier zufolge in allen Bundesländern aufgebaut und staatlich gefördert werden. Dadurch soll auch sichergestellt werden, dass die Elternbeiträge niedrig bleiben, damit alle Kinder von dem Angebot profitieren können. Zudem seien Lösungen wie “Bildungsgutscheine” für einkommensschwache Elternhäuser angestrebt, sagt Baudisch zu Table.Briefings.

    Dabei orientieren sich die Autoren stark an der Praxis und dem rechtlichen Rahmen von Musikschulen. Den Titel “Anerkannte Digitalschule” soll demnach nur die oberste Landesbehörde erteilen können. Um anerkannt zu werden, muss eine Digitalschule eine Reihe von Kriterien erfüllen, unter anderem:

    • eine festgelegte Zahl an Unterrichtsstunden pro Woche im Fachbereich Informatik und digitale Kompetenzen, die sowohl Frühförderung, Einzel- und Gruppenstunden als auch spezielle Talentförderung umfasst;
    • überwiegend im Fachbereich Informatik ausgebildete Lehrkräfte einstellen;
    • Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen und Trägern digitaler Bildung durchführen.

    Da das Papier zunächst als Impuls zu verstehen ist, beinhaltet es keinen Zeitplan oder konkrete Anleitungen für das weitere Vorgehen. Die praktische Ausgestaltung des konkreten Unterrichts soll dann in den Händen der Schulträger der Digitalschulen liegen.

    Ziel sei es, eine enge Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen aufzubauen, so dass Digitalschulen zum Beispiel bei Schulprojekten einbezogen werden können, sagt Baudisch zu Table.Briefings. Die Autoren appellieren: Es sei dringend erforderlich, dass alle relevanten Interessensgruppen zusammenarbeiten, um einen umfassenden und integrativen Ansatz zur digitalen Bildung zu schaffen. Vera Kraft

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