Table.Briefing: Bildung

+++ Table.Special +++ Milliarden-Potenzial von Startchancen + Kommunikationsprobleme am Ausbildungsmarkt

Liebe Leserin, lieber Leser,

Anfang des Monats hat das Startchancen-Programm offiziell begonnen und viel drehte sich zuletzt um seine Ausgestaltung und den bürokratischen Aufwand, aber auch um die Frage, wie viel frisches Geld tatsächlich in die 4.000 Schulen in herausfordernden Lagen fließen wird. Nun geht Holger Schleper der Frage nach, was das Programm langfristig bringt – und zwar für die öffentlichen Haushalte. Denn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) veröffentlicht heute eine Studie im Auftrag des Deutschen Komitees für Unicef, die die fiskalischen Effekte von Investitionen in Bildung abschätzt. Die Studie lag unserer Redaktion vorab vor.

Eine weitere Untersuchung des IW mit der Bertelsmann-Stiftung widmet sich der vertrackten Lage am Ausbildungsmarkt: Unternehmen können Stellen nicht besetzen, Jugendliche finden keine Lehrstelle. Das IW und die Bertelsmann-Stiftung präsentieren dazu jetzt eine neue These: Viel liegt ihnen zufolge an einer fehlgeleiteten Kommunikation. An die Betriebe richten sie konkrete Verbesserungsvorschläge.

Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre – unserer 250. Ausgabe!

Ihre
Anna Parrisius
Bild von Anna  Parrisius

Analyse

IW-Gutachten: Warum Investitionen in Bildung langfristig ein Milliarden-Plus bedeuten

Es ist die Woche der großen Bildungsstudien. Gestern veröffentlichte – wie berichtet – das Allensbach-Institut eine Studie im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung. Titel: “Der Wert von Bildung”. Heute folgt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit einem Gutachten – ebenfalls mit ambitionierter bildungspolitischer Botschaft. Der Titel: “Investitionen in Kinder wirkungsvoll gestalten” (zum Download). 

Auftraggeber ist das Deutsche Komitee für Unicef. Das Gutachten lag Table.Briefings vorab vor. Zentrale Aussage: Gezielte Investitionen insbesondere für benachteiligte Kinder sind sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch sinnvoll. Sie bringen positive Effekte in Milliardenhöhe für die öffentlichen Haushalte. Dem Startchancen-Programm schreibt das Gutachten gar einen möglichen Nettoeffekt von mehr als 90 Milliarden Euro zu.

Nochmal in Kurzform: Das zentrale schulpolitische Vorhaben der Ampel-Regierung richtet sich gezielt an etwa 4.000 Schulen in herausfordernden Lagen. Ein Kernziel dabei: “Bis zum Ende der Programmlaufzeit soll die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, an den Startchancen-Schulen halbiert werden.” Dafür nehmen Bund und Länder über zehn Jahre 20 Milliarden Euro in die Hand. Dass es sich dabei – blickt man in die Länder – nur sehr begrenzt um frisches Geld zu handeln scheint, steht auf einem anderen Blatt.

Lesen Sie auch: Startchancen – Warum das 20-Milliarden-Euro-Programm viel kleiner ausfällt

Autoren sehen einen Nettoeffekt von 92,6 Milliarden Euro

Das Gutachten jedenfalls bedeutet kräftigen Rückenwind für das Programm. Denn die Autoren Wido Geis-Thöne und Axel Plünnecke rechnen vor, wie sehr es sich auszahlen könnte. Vereinfacht dargestellt geht die Rechnung so: Das aktuelle Programm, am 1. August gestartet, erreicht insgesamt zehn Prozent der Schüler. Damit werden laut Übersicht im Gutachten pro Jahrgang 6,3 Prozent an Risikoschülern erreicht. Dabei handelt es sich um die Schülerinnen und Schüler, die nach der PISA-Studie 2022 nicht mindestens die Kompetenzstufe 2 erreichen. Diese Stufe ist für eine erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig.

Wird nun diese Risikogruppe halbiert, sinkt die Zahl der Niedrigqualifizierten in absoluten Zahlen um mehr als 250.000 Personen. Für die öffentlichen Haushalte hat das enorme Auswirkungen, zum Beispiel durch zusätzliche Steuereinnahmen und niedrigere Transferleistungen. Der höhere Bildungsabschluss bedeutet laut IW-Gutachten ein Mehr an 442.800 Euro pro Person – “fiskalischer Effekt” heißt es im Papier. So ergibt sich, abzüglich der Programmkosten von 20 Milliarden Euro, ein Nettoeffekt von 92,6 Milliarden Euro.

“Das Startchancen-Programm kann definitiv Signalwirkung für mehr Investitionen in Bildung haben“, betont deshalb Wido Geis-Thöne im Gespräch mit Table.Briefings. Das Gutachten räumt ein, dass die Berechnungen “nur eine erste grobe Abschätzung der möglichen fiskalischen Effekte” darstellen. Und es fehlt auch nicht der Hinweis, dass vorstellbar sei, “dass die Effekte des Startchancen-Programms gering bleiben, wenn seine Umsetzung in der Praxis nicht gut gelingt”. Zugleich formulieren die Autoren aber eine deutliche Empfehlung: “Erweist sich das Startchancen-Programm als erfolgreich und erreicht nur die Hälfte der gewünschten Zieleffekte (Halbierung der Risikogruppe), sollte es dringend ausgeweitet werden.”

Saskia Eskens Forderung erlebt eine Neuauflage

Sie untermauern das mit eindrucksvollen Zahlen. Demnach würde ein 80 Milliarden Euro schweres Startchancen-Programm, das pro Jahrgang etwa 20 Prozent an Risikoschülern erreicht, einen Nettoeffekt von 285 Milliarden Euro haben – das Dreieinhalbfache der Investition. Dem ein oder anderen mögen hier die Worte der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken in den Sinn kommen. “Nötig ist eine Verfünffachung der Mittel für das Startchancen-Programm”, hatte sie Ende 2023 im Interview mit Table.Briefings gesagt.

Geis-Thöne betont allerdings, dass es nicht allein um die finanzielle Frage geht. Das Tolle am Startchancen-Programm sei auch, “dass Bund und Länder sich einigen konnten, gemeinsam ein großes Förderprogramm aufzulegen”. Dies könne einen ersten Schritt zu einer stärkeren partnerschaftlichen Zusammenarbeit der verschiedenen föderalen Ebenen im Bildungsbereich darstellen. Der zweite Schritt – Stichwort Digitalpakt – scheint beiden Seiten aber gerade sehr schwer zu fallen.

Lesen Sie auch: Digitalpakt – Warum die 1,6 Milliarden Euro für die Länder eine Mogelpackung sind

Schwer zu beantworten scheint auch eine weitere Frage: Wenn Investitionen in Bildung sich derart auszahlen und die Bevölkerung guter Bildung zugleich einen sehr hohen Stellenwert zuschreibt, wie die aktuelle Allensbach-Studie gezeigt hat – warum fällt es dann so schwer, kräftig in Bildung zu investieren?

Die Perspektive der Kinder, nicht die der Eltern zählt

Das Gutachten greift diese Frage auf, Geis-Thöne formuliert es so: Von den Entscheidungsträgern werde teilweise noch viel zu wenig gesehen, “dass Ausgaben für gute Bildung nicht nur die aktuellen Haushalte belasten, sondern Investitionen in die Zukunft darstellen und sich langfristig sehr stark lohnen”. Fehlende Daten, etwa zu den Ganztagsangeboten und der digitalen Ausstattung von Schulen, seien dabei Teil des Problems. Denn die erste PISA-Studie mit ihren belastbaren Daten zur Lernentwicklung habe ein politisches Beben ausgelöst. Dieses aufrüttelnde, großflächige Beben ist in anderen Bereichen nicht in Sicht.

Das IW-Gutachten könnte ein Startpunkt sein, diese Diskussionen neu zu führen. Nicht nur an dieser Stelle setzt das Papier beachtliche Akzente. Die Autoren legen auch Wert darauf, die Perspektive der Kinder einzunehmen und “diese in der politischen Diskussion noch stärker zu berücksichtigen”. Effekte von Maßnahmen und Leistungen aufseiten der Eltern klammern sie aus.

Und sie betonen, dass Investitionen in Kinder vielfältig Wirkung entfalten: in der Bildung, in der Gesundheit und im SozialverhaltenGeorg Graf Waldersee, Vorsitzender von Unicef Deutschland, ist überzeugt: “Investitionen für Kinder zahlen sich in jeder Hinsicht aus – für die Kinder selbst, aber auch für die Zukunft unserer Gesellschaft.”

  • Bildungsdaten
  • Bildungsforschung
  • Bildungspolitik
  • Digitalpakt
  • PISA-Studie
  • Startchancen-Programm

News

Ausbildung: Warum die Kommunikation zwischen Betrieben und Jugendlichen fehl läuft

Dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben und gleichzeitig Jugendliche keine Lehrstelle finden, liegt nicht nur an den bekannten Matchingproblemen, sondern auch an fehlgeschlagener Kommunikation. Das ist das Ergebnis einer Studie, in der die Bertelsmann-Stiftung und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Jugendbefragung und eine Unternehmensumfrage zusammenführen (zum Download). Die Autoren bezeichnen darin Kommunikation und Informationsverhalten als “viertes Passungsproblem im gesamten Berufsorientierungsprozess”. Sonst sprechen Experten davon, dass sich Mismatches ergeben, weil das Angebot nicht zu Wohnort, Berufswunsch und/oder Qualifikation der Jugendlichen passt.

Zwar sind Online-Stellenausschreibungen sowohl für die Jugendlichen (87 Prozent) als auch für die Betriebe (73 Prozent) der wichtigste Informationsweg – gefolgt von der Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit (jeweils 65 Prozent) und sozialen Netzwerken (62 und 64 Prozent). Der Blick auf die Nutzung von Social Media zeigt jedoch, dass Betriebe hier eher auf Kanälen unterwegs sind, die Jugendliche nicht so stark nutzen – und umgekehrt: 71 Prozent der Unternehmen verwenden zum Beispiel Facebook, um über Ausbildungsstellen zu informieren, aber nur 25 Prozent der 14- bis 25-Jährigen schauen hier nach Angeboten.

Vor allem auf Instagram, Youtube und Whatsapp haben Betriebe Potenzial

Jugendliche nutzen Youtube oder Whatsapp stärker, wo wiederum Unternehmen nicht so stark vertreten sind. Ausgeglichener ist es bei Instagram, das beide Gruppen am häufigsten für die Suche nach einer Lehrstelle beziehungsweise nach Azubis verwenden. Die Studienautoren empfehlen Unternehmen, ihre Kommunikation stärker an das Medienverhalten junger Menschen anzupassen. Insbesondere Instagram, Youtube und Whatsapp sollten sie stärker einbeziehen, die Kanäle dann aber auch zielgruppengerecht bespielen.

Auch analog kann noch mehr passieren: Vor allem Jugendliche mit niedriger Schulbildung nutzen laut den Befragungen Stellenannoncen in Zeitungen oder Aushänge am Schwarzen Brett häufiger (zu 76 Prozent) als die Unternehmen (42 Prozent).

Unternehmen sollten Orientierungsangebote ausweiten

Bei den Angeboten zur beruflichen Orientierung halten Unternehmen wie Jugendliche Praktika für das wichtigste Format. Nach Meinung der jungen Menschen braucht es aber noch mehr Ausbildungsbotschafter im Unterricht, Ausbildungsmessen oder Betriebsbesichtigungen. “Zwar können Unternehmen, vor allem kleine und mittlere, nicht alle Formate anbieten, doch der Einsatz von nur ein oder zwei zusätzlichen Maßnahmen kann bereits zu mehr Bewerbungen führen”, sagt Dirk Werner, der am IW das Cluster Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte leitet. “Gemessen am Aufwand lohnt sich zudem eine kontinuierliche Partnerschaft mit Schulen.”

Und auch bei der Frage, wonach sie suchen, können Unternehmen transparenter werden. Knapp drei Viertel der Betriebe hält persönliche Kompetenzen mittlerweile für wichtiger als formale Abschlüsse. Aber nur die Hälfte der jungen Menschen glaubt das. Clemens Wieland, Experte für berufliche Bildung der Bertelsmann-Stiftung, sagt dazu: “Unternehmen können Kandidat:innen gezielt zur Bewerbung motivieren, indem sie den Stellenwert persönlicher Kompetenzen in Ausschreibungen herausstellen.” Anna Parrisius

  • Ausbildung
  • Ausbildung 2024
  • Berufliche Bildung
  • Berufsorientierung
  • Social Media

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Anfang des Monats hat das Startchancen-Programm offiziell begonnen und viel drehte sich zuletzt um seine Ausgestaltung und den bürokratischen Aufwand, aber auch um die Frage, wie viel frisches Geld tatsächlich in die 4.000 Schulen in herausfordernden Lagen fließen wird. Nun geht Holger Schleper der Frage nach, was das Programm langfristig bringt – und zwar für die öffentlichen Haushalte. Denn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) veröffentlicht heute eine Studie im Auftrag des Deutschen Komitees für Unicef, die die fiskalischen Effekte von Investitionen in Bildung abschätzt. Die Studie lag unserer Redaktion vorab vor.

    Eine weitere Untersuchung des IW mit der Bertelsmann-Stiftung widmet sich der vertrackten Lage am Ausbildungsmarkt: Unternehmen können Stellen nicht besetzen, Jugendliche finden keine Lehrstelle. Das IW und die Bertelsmann-Stiftung präsentieren dazu jetzt eine neue These: Viel liegt ihnen zufolge an einer fehlgeleiteten Kommunikation. An die Betriebe richten sie konkrete Verbesserungsvorschläge.

    Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre – unserer 250. Ausgabe!

    Ihre
    Anna Parrisius
    Bild von Anna  Parrisius

    Analyse

    IW-Gutachten: Warum Investitionen in Bildung langfristig ein Milliarden-Plus bedeuten

    Es ist die Woche der großen Bildungsstudien. Gestern veröffentlichte – wie berichtet – das Allensbach-Institut eine Studie im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung. Titel: “Der Wert von Bildung”. Heute folgt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit einem Gutachten – ebenfalls mit ambitionierter bildungspolitischer Botschaft. Der Titel: “Investitionen in Kinder wirkungsvoll gestalten” (zum Download). 

    Auftraggeber ist das Deutsche Komitee für Unicef. Das Gutachten lag Table.Briefings vorab vor. Zentrale Aussage: Gezielte Investitionen insbesondere für benachteiligte Kinder sind sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch sinnvoll. Sie bringen positive Effekte in Milliardenhöhe für die öffentlichen Haushalte. Dem Startchancen-Programm schreibt das Gutachten gar einen möglichen Nettoeffekt von mehr als 90 Milliarden Euro zu.

    Nochmal in Kurzform: Das zentrale schulpolitische Vorhaben der Ampel-Regierung richtet sich gezielt an etwa 4.000 Schulen in herausfordernden Lagen. Ein Kernziel dabei: “Bis zum Ende der Programmlaufzeit soll die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, an den Startchancen-Schulen halbiert werden.” Dafür nehmen Bund und Länder über zehn Jahre 20 Milliarden Euro in die Hand. Dass es sich dabei – blickt man in die Länder – nur sehr begrenzt um frisches Geld zu handeln scheint, steht auf einem anderen Blatt.

    Lesen Sie auch: Startchancen – Warum das 20-Milliarden-Euro-Programm viel kleiner ausfällt

    Autoren sehen einen Nettoeffekt von 92,6 Milliarden Euro

    Das Gutachten jedenfalls bedeutet kräftigen Rückenwind für das Programm. Denn die Autoren Wido Geis-Thöne und Axel Plünnecke rechnen vor, wie sehr es sich auszahlen könnte. Vereinfacht dargestellt geht die Rechnung so: Das aktuelle Programm, am 1. August gestartet, erreicht insgesamt zehn Prozent der Schüler. Damit werden laut Übersicht im Gutachten pro Jahrgang 6,3 Prozent an Risikoschülern erreicht. Dabei handelt es sich um die Schülerinnen und Schüler, die nach der PISA-Studie 2022 nicht mindestens die Kompetenzstufe 2 erreichen. Diese Stufe ist für eine erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig.

    Wird nun diese Risikogruppe halbiert, sinkt die Zahl der Niedrigqualifizierten in absoluten Zahlen um mehr als 250.000 Personen. Für die öffentlichen Haushalte hat das enorme Auswirkungen, zum Beispiel durch zusätzliche Steuereinnahmen und niedrigere Transferleistungen. Der höhere Bildungsabschluss bedeutet laut IW-Gutachten ein Mehr an 442.800 Euro pro Person – “fiskalischer Effekt” heißt es im Papier. So ergibt sich, abzüglich der Programmkosten von 20 Milliarden Euro, ein Nettoeffekt von 92,6 Milliarden Euro.

    “Das Startchancen-Programm kann definitiv Signalwirkung für mehr Investitionen in Bildung haben“, betont deshalb Wido Geis-Thöne im Gespräch mit Table.Briefings. Das Gutachten räumt ein, dass die Berechnungen “nur eine erste grobe Abschätzung der möglichen fiskalischen Effekte” darstellen. Und es fehlt auch nicht der Hinweis, dass vorstellbar sei, “dass die Effekte des Startchancen-Programms gering bleiben, wenn seine Umsetzung in der Praxis nicht gut gelingt”. Zugleich formulieren die Autoren aber eine deutliche Empfehlung: “Erweist sich das Startchancen-Programm als erfolgreich und erreicht nur die Hälfte der gewünschten Zieleffekte (Halbierung der Risikogruppe), sollte es dringend ausgeweitet werden.”

    Saskia Eskens Forderung erlebt eine Neuauflage

    Sie untermauern das mit eindrucksvollen Zahlen. Demnach würde ein 80 Milliarden Euro schweres Startchancen-Programm, das pro Jahrgang etwa 20 Prozent an Risikoschülern erreicht, einen Nettoeffekt von 285 Milliarden Euro haben – das Dreieinhalbfache der Investition. Dem ein oder anderen mögen hier die Worte der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken in den Sinn kommen. “Nötig ist eine Verfünffachung der Mittel für das Startchancen-Programm”, hatte sie Ende 2023 im Interview mit Table.Briefings gesagt.

    Geis-Thöne betont allerdings, dass es nicht allein um die finanzielle Frage geht. Das Tolle am Startchancen-Programm sei auch, “dass Bund und Länder sich einigen konnten, gemeinsam ein großes Förderprogramm aufzulegen”. Dies könne einen ersten Schritt zu einer stärkeren partnerschaftlichen Zusammenarbeit der verschiedenen föderalen Ebenen im Bildungsbereich darstellen. Der zweite Schritt – Stichwort Digitalpakt – scheint beiden Seiten aber gerade sehr schwer zu fallen.

    Lesen Sie auch: Digitalpakt – Warum die 1,6 Milliarden Euro für die Länder eine Mogelpackung sind

    Schwer zu beantworten scheint auch eine weitere Frage: Wenn Investitionen in Bildung sich derart auszahlen und die Bevölkerung guter Bildung zugleich einen sehr hohen Stellenwert zuschreibt, wie die aktuelle Allensbach-Studie gezeigt hat – warum fällt es dann so schwer, kräftig in Bildung zu investieren?

    Die Perspektive der Kinder, nicht die der Eltern zählt

    Das Gutachten greift diese Frage auf, Geis-Thöne formuliert es so: Von den Entscheidungsträgern werde teilweise noch viel zu wenig gesehen, “dass Ausgaben für gute Bildung nicht nur die aktuellen Haushalte belasten, sondern Investitionen in die Zukunft darstellen und sich langfristig sehr stark lohnen”. Fehlende Daten, etwa zu den Ganztagsangeboten und der digitalen Ausstattung von Schulen, seien dabei Teil des Problems. Denn die erste PISA-Studie mit ihren belastbaren Daten zur Lernentwicklung habe ein politisches Beben ausgelöst. Dieses aufrüttelnde, großflächige Beben ist in anderen Bereichen nicht in Sicht.

    Das IW-Gutachten könnte ein Startpunkt sein, diese Diskussionen neu zu führen. Nicht nur an dieser Stelle setzt das Papier beachtliche Akzente. Die Autoren legen auch Wert darauf, die Perspektive der Kinder einzunehmen und “diese in der politischen Diskussion noch stärker zu berücksichtigen”. Effekte von Maßnahmen und Leistungen aufseiten der Eltern klammern sie aus.

    Und sie betonen, dass Investitionen in Kinder vielfältig Wirkung entfalten: in der Bildung, in der Gesundheit und im SozialverhaltenGeorg Graf Waldersee, Vorsitzender von Unicef Deutschland, ist überzeugt: “Investitionen für Kinder zahlen sich in jeder Hinsicht aus – für die Kinder selbst, aber auch für die Zukunft unserer Gesellschaft.”

    • Bildungsdaten
    • Bildungsforschung
    • Bildungspolitik
    • Digitalpakt
    • PISA-Studie
    • Startchancen-Programm

    News

    Ausbildung: Warum die Kommunikation zwischen Betrieben und Jugendlichen fehl läuft

    Dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben und gleichzeitig Jugendliche keine Lehrstelle finden, liegt nicht nur an den bekannten Matchingproblemen, sondern auch an fehlgeschlagener Kommunikation. Das ist das Ergebnis einer Studie, in der die Bertelsmann-Stiftung und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Jugendbefragung und eine Unternehmensumfrage zusammenführen (zum Download). Die Autoren bezeichnen darin Kommunikation und Informationsverhalten als “viertes Passungsproblem im gesamten Berufsorientierungsprozess”. Sonst sprechen Experten davon, dass sich Mismatches ergeben, weil das Angebot nicht zu Wohnort, Berufswunsch und/oder Qualifikation der Jugendlichen passt.

    Zwar sind Online-Stellenausschreibungen sowohl für die Jugendlichen (87 Prozent) als auch für die Betriebe (73 Prozent) der wichtigste Informationsweg – gefolgt von der Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit (jeweils 65 Prozent) und sozialen Netzwerken (62 und 64 Prozent). Der Blick auf die Nutzung von Social Media zeigt jedoch, dass Betriebe hier eher auf Kanälen unterwegs sind, die Jugendliche nicht so stark nutzen – und umgekehrt: 71 Prozent der Unternehmen verwenden zum Beispiel Facebook, um über Ausbildungsstellen zu informieren, aber nur 25 Prozent der 14- bis 25-Jährigen schauen hier nach Angeboten.

    Vor allem auf Instagram, Youtube und Whatsapp haben Betriebe Potenzial

    Jugendliche nutzen Youtube oder Whatsapp stärker, wo wiederum Unternehmen nicht so stark vertreten sind. Ausgeglichener ist es bei Instagram, das beide Gruppen am häufigsten für die Suche nach einer Lehrstelle beziehungsweise nach Azubis verwenden. Die Studienautoren empfehlen Unternehmen, ihre Kommunikation stärker an das Medienverhalten junger Menschen anzupassen. Insbesondere Instagram, Youtube und Whatsapp sollten sie stärker einbeziehen, die Kanäle dann aber auch zielgruppengerecht bespielen.

    Auch analog kann noch mehr passieren: Vor allem Jugendliche mit niedriger Schulbildung nutzen laut den Befragungen Stellenannoncen in Zeitungen oder Aushänge am Schwarzen Brett häufiger (zu 76 Prozent) als die Unternehmen (42 Prozent).

    Unternehmen sollten Orientierungsangebote ausweiten

    Bei den Angeboten zur beruflichen Orientierung halten Unternehmen wie Jugendliche Praktika für das wichtigste Format. Nach Meinung der jungen Menschen braucht es aber noch mehr Ausbildungsbotschafter im Unterricht, Ausbildungsmessen oder Betriebsbesichtigungen. “Zwar können Unternehmen, vor allem kleine und mittlere, nicht alle Formate anbieten, doch der Einsatz von nur ein oder zwei zusätzlichen Maßnahmen kann bereits zu mehr Bewerbungen führen”, sagt Dirk Werner, der am IW das Cluster Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte leitet. “Gemessen am Aufwand lohnt sich zudem eine kontinuierliche Partnerschaft mit Schulen.”

    Und auch bei der Frage, wonach sie suchen, können Unternehmen transparenter werden. Knapp drei Viertel der Betriebe hält persönliche Kompetenzen mittlerweile für wichtiger als formale Abschlüsse. Aber nur die Hälfte der jungen Menschen glaubt das. Clemens Wieland, Experte für berufliche Bildung der Bertelsmann-Stiftung, sagt dazu: “Unternehmen können Kandidat:innen gezielt zur Bewerbung motivieren, indem sie den Stellenwert persönlicher Kompetenzen in Ausschreibungen herausstellen.” Anna Parrisius

    • Ausbildung
    • Ausbildung 2024
    • Berufliche Bildung
    • Berufsorientierung
    • Social Media

    Bildung.Table Redaktion

    BILDUNG.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen