Table.Briefing: Bildung

+++Table.Special+++ Deutscher Schulpreis 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Deutsche Schulpreis 2024 geht an die Siebengebirgsschule in Bonn. Damit geht der wichtigste deutsche Schulpreis zum zweiten Mal an eine Förderschule. 2010 erhielt die Sophie-Scholl-Schule in Bad Hindelang-Oberjoch (Bayern), ein Förderzentrum für chronisch kranke Kinder, den Hauptpreis.

Mehr als 80 Schulen hatten sich dieses Mal um den Preis beworben, der Hauptpreis ist mit 100.000 Euro dotiert. Die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung vergeben die Auszeichnung zum 18. Mal. Nach einem aufwendigen Bewerbungsverfahren hatte die Jury 15 Schulen für die Endrunde nominiert. Gebannt warteten sie heute Vormittag im Berliner Tempodrom auf die Entscheidung.

“Wir sind schon viel besser geworden, was Bildungserfolge betrifft”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Preisverleihung. “Aber ich glaube, wir müssen in der ganzen Breite dafür sorgen, dass unser Schulsystem aus allen alles herausholt – alles Talent, alle Leistungswilligkeit, die da ist.”

Wie genau das an der Siebengebirgsschule gelingt, können Sie in einer Analyse in dieser Sonderausgabe lesen. Die Schule schafft es, dass vermeintlich unbeschulbare Kinder ins Lernen zurückfinden – und hat die Jury staunen lassen.

Meine Kollegin Anna Parrisius hat zudem aufgeschrieben, wie die zweitplatzierte Friedenauer Gemeinschaftsschule in Berlin erfolgreich arbeitet. An ihr lernen Kinder aus 22 Nationen, zehn Prozent haben einen diagnostizierten Förderbedarf, acht Kinder eine diagnostizierte Hochbegabung. Eine Herausforderung, die die Schule vorbildlich meistert.

Und zu guter Letzt finden Sie Kurzporträts der vier weiteren Schulen, die auf den zweiten Platz kamen.

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Ihr
Holger Schleper
Bild von Holger  Schleper

Analyse

Siebengebirgsschule: Wie eine Förderschule den Weg zu einer “Schule für alle” weist  

Der wichtigste Schulpreis in Deutschland – vergeben von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung – geht in diesem Jahr an die Siebengebirgsschule Bonn. 265 Schülerinnen und Schüler lernen in den Jahrgängen 1 bis 10 an der “Förderschule im Verbund“. Die Förderschwerpunkte sind Lernen, emotionale-soziale Entwicklung und Sprache. 

Die Schule, so urteilt die Jury, leiste einen wesentlichen Beitrag dazu, dass vermeintlich unbeschulbare Kinder ins Lernen zurückfinden und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigt werden. “Ich habe mich nach dem Tag an der Schule gefragt, wo denn jetzt die Unbeschulbaren gewesen sein sollen”, schildert Jury-Mitglied Carola Gnadt Table.Briefings ihre Eindrücke. Durch “eine bedürfnisorientierte, radikal individuelle Förderung” eröffnet die Schule den Kindern und Jugendlichen “ihren Weg zum Schulabschluss”, heißt es auch im Jury-Urteil.

Digitale Tools ermöglichen auch neue Raumkonzepte

Womit sich die Frage stellt: Wie konkret schafft die Siebengebirgsschule das? Die Antwort setzt sich aus vielen einzelnen Puzzle-Teilen zusammen. Wobei einige Dinge von grundlegender Bedeutung sind. Etwa diese: 

  • Es gibt eine Kultur des Vertrauens, Zutrauens und auch des ständigen Dazu-Lernens – was für die Schüler, aber auch die Lehrkräfte gilt.
  • Der Einsatz von digitalen Tools ist maßgeschneidert. Sie schaffen Freiräume für die individuelle Förderung, aber auch, um Raumkonzepte neu zu denken. 
  • Auch deshalb konnte die Siebengebirgsschule altbekannte Strukturen über Bord werfen. Klassische Stundenpläne, festgelegte Räume, feste Pausenzeiten, feste Klassenverbünde? Gibt es nicht. Vor allem dieser Mut der Schule, einen neuen Weg einzuschlagen, habe sie beeindruckt, sagt Gnadt, die das Referat Lehrerbildung im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg leitet.

Wer denkt, diese Abkehr von Strukturen mache es besonders Kindern und Jugendlichen mit diagnostizierten Förderbedarfen schwer, Orientierung zu erhalten, erlebt vor Ort das Gegenteil. Schon beim Betreten des Gebäudes fällt die konzentrierte Stille auf. Denn unstrukturiert ist an der Siebengebirgsschule kaum etwas.

Jeder Schüler hat einen individuellen Wochenarbeitsplan

Zum Konzept gehört, dass jede Schülerin und jeder Schüler einen individuellen Wochenarbeitsplan hat. Es ist die “Mission” ihrer Schulwoche, die Aufgaben dieses Plans abzuarbeiten. “Wir starten am Anfang der Woche damit, dass wir mit den Schülern Lern- und Entwicklungsgespräche führen und mit ihnen die Arbeitspläne durchsprechen. Gemeinsam überlegen wir, wie sie den Tag oder – bei den Älteren – die Woche gut strukturieren können”, schildert Lernbegleiterin Sibylle Jordan. Die Mission ist digital dargestellt auf dem Lern-Navi, der Lern-Plattform der Schule. Zu Schulbeginn loggen sich die Schüler mit dem iPad selbstständig ein.

An der Seite der Schüler stehen stets die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter. Diesen Begriff verwendet die Siebengebirgsschule bewusst, anstatt von Lehrern zu sprechen. Eine persönliche Lernbegleitung “ist in der Funktion mit der Klassenleitung zu vergleichen”, heißt es auf Stichwortkarten zum Konzept der Schule. 45 Lernbegleiter gibt es. 

In klar definierten Formaten – Coachings, Lern-Entwicklungs-Gesprächen, Impulsphasen und Briefings – unterstützen die Lernbegleiter die Schüler. Impulsphase etwa bedeutet, dass eine Lernbegleiterin einem Schüler – oder auch mehreren – ein aktuelles Themengebiet in einer der wenigen frontalen Phasen vorstellt. Lernbegleiterin Susanne Klug kann man übrigens auch dabei erleben, wie sie einem Viertklässler Stoff der Klasse sechs vermittelt – weil er schon weiter ist als andere seines Jahrgangs. 

Bildschirme zeigen, welcher Schüler sich gerade wo befindet

Konsequent sprechen die Lernbegleiter an der Schule nicht von Klassenräumen, sondern von Lernateliers. Es ist einer der Orte, wo die Schülerinnen und Schüler an ihren Missionen arbeiten. Sind sie der Meinung, dass eine andere Lernbegleitung ihnen besser weiterhelfen kann, haben sie auch die Möglichkeit, diese aufzusuchen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, ab 10.30 Uhr in einen Kreativraum wie Küche, Holzwerkstatt, Tüftler- oder E-Werkstatt zu gehen. Dort gibt es zum Beispiel einen 3-D-Drucker und Materialien aus dem Bereich der Robotik. Selbstverantwortlich können sie hier ein Projekt realisieren. 

Ein Drittklässler etwa entscheidet sich an diesem Morgen, die Pokemon-Figur Pikachu in der E-Werkstatt im 3D-Druck zu erstellen. Im Nebenraum stehen derweil einige Schüler Schlange, um eine Lasergravur für ihre Tablet-Stifte zu erhalten – ein Zehntklässler organisiert das Ganze eigenständig.

In den Lernräumen der Schule hängen Bildschirme, auf denen zu sehen ist, welcher Schüler sich gerade wo befindet. Lernbegleiterin Susanne Klug weiß also jederzeit, wer gerade bei ihr im Raum sein muss und auch, wie es um die Kapazitäten der anderen Lernbegleiter bestellt ist.

Der Grad der Selbstständigkeit, den eine Schülerin oder ein Schüler an der Schule hat, wird in fünf Stufen unterschieden – sogenannten Caps. Cap 0 bedeutet unter anderem: “Du musst immer in enger Begleitung einer Lernbegleitung sein.” Und: “Dein Arbeitsplan muss über abgesprochene Tagespläne gesteuert werden.” 

Cap 3 bedeutet: “Du organisierst deine Lernphasen räumlich und zeitlich eigenverantwortlich.” Und: “Du leitest aktiv Projekte und Aufgaben an der Schule.” Die Caps sind immer Bestandteil der Lern-Entwicklungs-Gespräche. “Für die Schüler ist es ein großer Anreiz, eine neue Stufe zu erreichen“, berichtet die Konrektorin Heike Petz. 

“Gezielte individuelle Förderung, ist möglich, weil die Lerninhalte komplett digitalisiert sind.”

Es sind vereinzelte Einblicke in das, was die Siebengebirgsschule auszeichnet. Verbunden sind damit aber auch einige der aktuell am stärksten diskutierten Fragen in der deutschen Schullandschaft. Dazu gehört der Einsatz von digitalen Tools an den Schulen. Wie muss er ausgestaltet sein, welches Maß ist das richtige?

“Technologie”, schreibt OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher in seiner jüngsten Kolumne für Table.Briefings, könne “ein erstaunlicher Beschleuniger und ein unglaublicher Verstärker” sein. Hört man Susanne Klug von der Siebengebirgsschule zu, versteht man diese Einschätzung umso mehr. “All das, was wir machen, diese gezielte individuelle Förderung, ist möglich, weil die Lerninhalte komplett digitalisiert sind.”

Es sei eben nicht sinnvoll, immer wieder aufs Neue zu erarbeiten, wie man Neuntklässlern die binomischen Formeln erklärt. “Die besten Materialien, die wir haben, werden standardisiert, digitalisiert und sozusagen verewigt”, sagt Susanne Klug.  “Und das eröffnet uns die Freiheiten, die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern.”  

“Das Konzept ist nicht limitiert auf eine Förderschule.”

Und dann wäre da noch die ganz große Debatte. Ist Inklusion nicht erst dann gelungen, wenn es keine Förderschulen mehr gibt? Welche Signalwirkung hat es dann, wenn ausgerechnet eine Förderschule den wichtigsten deutschen Schulpreis erhält?

Die Jury hat darüber intensiv diskutiert, berichtet Gnadt. Aber es gehe ja nicht darum, eine Schulform zu bewerten, sondern was die einzelne Schule leistet. “Und das Konzept der Siebengebirgsschule ist überhaupt nicht limitiert auf eine Förderschule“, ist Gnadt überzeugt. “Hier können ganz, ganz viele andere Schulen, egal welcher Schulform, etwas lernen und übernehmen.” Das passt zu dem, was an der Schule immer wieder zu hören ist: “Wenn jede Schule konsequent die Schülerinnen und Schüler individuell fördern würde, dann hätten wir eine Schule für alle.” 

  • Deutscher Schulpreis
  • Förderschule
  • Inklusion
  • Schulentwicklung
  • Schulpreis

Friedenauer Gemeinschaftsschule: Wie eine Schule in Berlin ihrer heterogenen Schülerschaft gerecht wird

“Wie nachhaltig ist unser Holzverbrauch?” Und: “Haben Bäume Gefühle?” Eine Klasse der Jahrgangsstufen 4 bis 6 sammelt heute Forscherfragen. Seit kurzem beschäftigen die Schüler sich mit dem Wald, waren im Museum und selbst in der Natur. Jetzt entwickeln sie eine Frage, allein oder zu zweit, der sie in den kommenden Wochen nachgehen wollen. Lehrerin Tamar Stalter hat dafür Bücher bereitgestellt, empfiehlt Internetseiten.

Eine Viertklässlerin scheint noch überfordert mit der Aufgabe zu sein, läuft suchend umher. Die Neuen müssten sich oft erst noch zurechtfinden, sagt Stalter. Aus Jahrgangsstufe 1 bis 3 seien sie noch mehr Struktur gewöhnt. Die Zeit, die es braucht, um anzufangen, sei aber nicht verschwendet.

Hohe Leistungsorientierung – ohne Noten bis Klasse 6

“Von Tag eins an lernen unsere Schüler, sich selbst zu organisieren”, sagt Daniel Dollezal, stellvertretender Schulleiter. Ein analoges Logbuch, in das die Schüler ihre Ziele und Fortschritte eintragen, soll ihnen helfen. “Bei den Älteren merken wir später deutlich, dass sie sich gut organisieren und einschätzen können.” Dazu tragen auch die Bilanz- und Zielgespräche zweimal im Jahr bei. Jeder Schüler kommt dabei mit seinem Klassenlehrer und seinen Eltern zusammen. Sie besprechen, was gut läuft, wo noch Baustellen sind. Am Ende vereinbaren sie Ziele und was jede Seite zu ihrer Erfüllung beitragen kann. Diese Gespräche ersetzen in der Grundstufe ein Halbjahreszeugnis.

Generell gibt es bis Klasse 6 keine Noten. Die Leistungsorientierung sei dennoch hoch, betont Thorsten Bohl, Direktor der Tübingen School of Education und Jurysprecher des Schulpreises. “Es besteht oft ein Missverständnis, dass es ohne Noten keine Leistungsorientierung gibt. Dabei ist sogar das Gegenteil der Fall, wenn Noten durch ein elaboriertes Feedbacksystem ersetzt werden.”

Schulkonzept ermöglicht Arbeiten im eigenen Tempo

Gleichzeitig schafft es die Gemeinschaftsschule Bohl zufolge, “durch eine beeindruckende Schulkultur, mit allen Schülerinnen und Schülern wertschätzend umzugehen, bei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen.” 61 Prozent der über 1.100 Schüler haben einen Migrationshintergrund, zehn Prozent einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf, einige Kinder eine Hochbegabung. Doch da sie bis Klasse 9 jahrgangsübergreifend lernen, fällt nicht auf, wenn ein Kind langsamer ist als seine Altersgenossen – oder schneller.

Das jahrgangsübergreifende Lernen stärkt zugleich die sozialen Kompetenzen, denn die Schüler unterstützen sich beim Lernen und bei ganz praktischen Dingen. Jedem Sonnenkind – so nennen sie die Erstklässler – wird ein Paten zugeteilt. “Er hilft beim Schuhe binden oder erinnert daran, zum Sport ein Haargummi mitzunehmen”, erklärt Franca Timm, stellvertretende Grundstufenleiterin.

In den Hauptfächern gibt es Lernwege, denen die Kinder im eigenen Tempo folgen. “Wer in kürzester Zeit vorankommt, dem geben wir zusätzliches Futter, damit die Lust am Lernen nicht verloren geht.” Bei denen, die länger bräuchten, überlegen die Lehrkräfte, was sich kürzen lässt.

Interdisziplinärer und themenorientierter Unterricht

Phasen individualisierten Lernens wechseln sich dabei mit stärker strukturierten Einheiten ab. Tamar Stalters Klasse versammelt sich gerade vorn in einem Kreis. Sie diskutieren das Zitat des türkischen Dichters Nâzım Hikmet: “Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.”

“Greeetchen, bitte mach mit!”, ermahnt Stalter. Die Sechstklässler kennt sie schon seit Klasse 1, begleitet sie seitdem auf ihrem Lernweg. Da sie in der Klasse mehrere Fächer unterrichtet, kombiniert sie Sachkunde, Deutsch und Kunst. Jetzt bittet sie die Kinder, in ihrem Heft den Seitenrand bunt zu bemalen, das Zitat schön abzuschreiben – und einen inneren Monolog anzuschließen. “Ihr könnt auch Fragen stellen, auf einzelne Wörter eingehen”, sagt Stalter. “Ich bin gespannt, wie es weitergeht!” Manche schreiben drauflos. Bei anderen stockt schnell der Stift. Ein Lehrer aus der Sekundarstufe I ist dabei, geht zu einzelnen Schülern. Über das Schuljahr verteilt wird er häufig vorbeikommen.

Übergänge sollen so sanft wie möglich ausfallen

Die Idee: Wenn die Sechstklässler kommendes Jahr in die nächste jahrgangsübergreifende Klasse wechseln, haben sie zu ihrem neuen Lehrer schon eine Beziehung aufgebaut. “Wir versuchen die Übergänge möglichst sanft zu gestalten, um den Kindern Stress zu ersparen“, sagt Vize-Schulleiter Dollezal. Seitdem die Schule auch eine gymnasiale Oberstufe anbietet, bleiben 75 Prozent der Schüler nach der Grundstufe.

Den Übergang von der Kita soll ein Vorschulprogramm drei Wochen vor Schulstart in der Ganztagsbetreuung erleichtern. “Wir können uns von den Kindern bereits ein Bild machen”, sagt die stellvertretende Grundstufenleiterin Timm. Dafür lädt die Schule während des Anmeldezeitraums auch bereits die Eltern zu Gesprächen – und tauscht sich mit elf umliegenden Kooperationskitas aus.

Erfolg basiert auf komplexer Kooperationsstruktur

Zusammenarbeit schreibt die Gemeinschaftsschule generell groß. “Damit das jahrgangsgemischte und individualisierte Lernen aufgeht, braucht es auch eine top Organisation”, sagt Thorsten Bohl aus der Schulpreisjury. Die Kooperation in den verschiedenen Gremien – in denen seit kurzem auch jeweils ein Schülervertreter sitzt – gliedert sich in:

  • Klassenteams: Jede Klasse hat eine doppelte Klassenleitung und in der Grundstufe mindestens einen Bezugserzieher.
  • Strangteams (bestehend aus drei Klassen): Jede Lehrkraft, jeder Erzieher, Schulsozialarbeiter und Schulhelfer hat pro Woche zwei Teamstunden zum Austausch über die Klassen und künftigen Unterricht.
  • Fachteams: Um jedem Kind die jeweils passende Aufgabe bereitstellen zu können, erstellen die Lehrkräfte Materialien, auf die jeder zugreifen kann.
  • Fallteams: Einmal im Monat besprechen Schulpsychologen, Sozialarbeiter, Ganztagsleitung, Schulleitung und Lehrkräfte herausfordernde Fälle und einigen sich auf eine gemeinsame Strategie.
  • Erweiterte Schulleitungssitzungen: Neben der Schulleitung kommt hier je ein Vertreter aus jedem Team. Um die Stufen zu verzahnen, ist bei der Sitzung der Grundstufe jemand aus der Sekundarstufe dabei und andersherum.
  • Schulleitungssitzungen: Einmal in der Woche trifft sich das komplette Leitungsteam der gesamten Schule, einschließlich des Ganztagsbereichs. Darüber hinaus gibt es auch stufenbezogene Leitungssitzungen.

Credo: Auf die Stärken gucken

“Die wenigsten Entscheidungen werden top-down getroffen, viel Schulentwicklung kommt aus dem Kollegium heraus”, sagt Timm. Wenn ein Lehrer eine Idee einbringt, die die anderen für gut befinden, wird sie nach guter Überlegung in einer Klasse umgesetzt und wenn sie sich bewährt, ausgeweitet. “Wir gucken immer sehr auf die Stärken”, sagt Timm. “Nicht nur bei unseren Schülern, auch bei der Schulentwicklung. Und dann schauen wir, wie wir es noch besser machen können.”

  • Berlin
  • Brennpunktschule
  • Deutscher Schulpreis
  • Grundschule
  • Noten
  • Robert Bosch Stiftung
  • Schulpreis
  • Sekundarstufe II

Deutscher Schulpreis: Welche Schulen noch ausgezeichnet werden

Die ganzheitliche Schule: Joseph-DuMont-Berufskolleg

Am Joseph-DuMont-Berufskolleg lernen die rund 2.300 Schüler möglichst selbstorganisiert. Die angehenden Kaufleute für audiovisuelle Medien drehen etwa einen Film, den sie am Ende ihrer Ausbildung in einem Kino präsentieren. Aus dem selbstorganisierten Lernen sind an der beruflichen Schule für Medienberufe und kaufmännische Berufe weitere Ideen entstanden, zuvorderst ein Coaching für die Berufsschüler.

Anfangs als Lerncoaching gedacht, adressiert es auf Wunsch der Schüler inzwischen auch Fragen der Lebensführung und des Berufs. Schulleiter Michael Piek nennt Table.Briefings den Grund: “Wir stellen eine zunehmende Orientierungslosigkeit bei den jungen Menschen fest.” Viele seien “überfordert mit dem Übergang in den Betrieb und in die erste eigene Wohnung. Für Azubis gibt es hier bisher wenige Angebote”. Die Hälfte der rund 100 Lehrkräfte am Berufskolleg ist für das Coaching ausgebildet, erhält fortlaufend Supervision und bietet die Stunden zusätzlich zum Deputat an. Jeder Schüler kann sie auf Wunsch wahrnehmen.

Daneben legt die Schule einen Fokus auf Gesundheit. In ihren selbst gewählten Pausen können die Schüler digital angeleitet Aktivierungsübungen machen. Im März fand an der Schule der letzte große Gesundheitstag statt, bei dem auch externe Partner vor Ort waren. Schulleiter Piek will, dass die Vermittlung von Gesundheitskompetenzen künftig fester Bestandteil aller Unterrichtseinheiten ist.

Die eigenverantwortliche Schule: St.-Pius-Gymnasium

Am katholischen St.-Pius-Gymnasium in Coesfeld (NRW) dienen auch Gänge und Hallen als Lernorte. Die knapp 700 Schülerinnen und Schüler lernen großteils individualisiert und flexibel. Aus der Freiarbeit, die an der Schule besonders in Klasse 5 und 6 eine lange Tradition hatte, ist das Modell der “Sternstunden” entstanden. In diesen arbeiten die Schüler montags und freitags je zwei Doppelstunden lang selbstständig an ihren Aufgaben. Wer Probleme beim Lernen hat, erhält frühzeitig ein Lerncoaching.

In der Oberstufe werden die Sternstunden als abiturrelevante Projektkurse fortgeführt, die die Schüler frei wählen können. Die Ergebnisse sind einer klassischen Facharbeit gleichgestellt. Die Jugendlichen arbeiten sowohl fächerübergreifend als auch mit außerschulischen Akteuren. Die Schule bietet zudem Profilkurse an, die nicht benotet werden, damit die Schüler sich stressfrei ausprobieren und spezialisieren können.

In den Klassen 5 bis 10 gibt es das Fach Verantwortung. Hier geht es um soziale Kompetenzen. In der 9. Klasse gibt es das Projekt “Soziales Engagement”. Dabei sollen die Schüler mindestens 20 Stunden ehrenamtliche Tätigkeit innerhalb der Schule oder an einer selbst gewählten karitativen Einrichtung leisten. Jury-Mitglied Isabella Keßler, Landesfachberaterin im saarländischen Bildungsministerium, lobt, Absolventen der Schule hätten “eine Idee davon, wer sie sind, was sie können und wo sie hinwollen”.

Die nachhaltige Schule: Das Thomas-Morus-Gymnasium

Das Thomas-Morus-Gymnasium in Oelde (NRW) hat seine Schulentwicklung auf nachhaltiges, selbstgesteuertes Lernen ausgerichtet. Seit 24 Jahren ist das Gymnasium Unesco-Projektschule und orientiert sich folglich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Unesco. Rund 860 Schüler besuchen die Ganztagsschule und haben Lernzeiten statt Hausaufgaben. Die Lernzeiten sind nicht fachgebunden und in Stillarbeit im Klassenzimmer, in Gruppenarbeit oder mit Unterstützung der Lehrkräfte möglich.

Es gibt unbenotete “Neigungsfächer”, die die Schüler je nach Interesse wählen können. Dabei reicht das Angebot von einer Robotik-AG bis hin zur Schülerzeitung und Streitschlichtung.

In Klasse 7, 8 und 9 haben die Schüler zudem zwei Stunden pro Woche “Phänomenbasiertes Lernen” (PBL). Ergänzend zum Fachunterricht beschäftigen sich die Schüler ausgehend von einem erlebbaren Phänomen oder Problem mit sozialer Gerechtigkeit, Big Data & KI oder Klimawandel und Energie. Das Unterrichtsprojekt soll vernetztes, problemlösendes und kreatives Denken fördern sowie Kommunikations- und Kooperationskompetenzen.

Die hybride Schule: Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

Die knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Prenzlauer Berg, Berlin, lernen nicht nur im Klassenraum. Im Rahmen des Berliner Schulversuchs “Hybride Formen des Lehrens und Lernens” können sie auch digital zu Hause arbeiten. In der Grundstufe gibt es seit diesem Jahr eine Draußen-Lerngruppe: Die “Eichhörnchen” arbeiten zweimal in der Woche im Bucher Forst zwischen Eichen und Buchen.

Im 7. Jahrgang übernehmen die Schülerinnen und Schüler wöchentlich einen halben Tag Verantwortung außerhalb der Schule – etwa in Seniorenheimen, Kindergärten oder einem Museum. Bis zur 10. Klasse arbeiten die Schüler fächer- und jahrgangsübergreifend zusammen, in 35 Lerngruppen. Instruktionen der Lehrkräfte wechseln sich dabei mit individualisiertem Lernen und kooperativem Lernen ab. Die Lehrkräfte kooperieren in Jahrgangsteams und in Hausteams – denn die Schüler sind auf drei Häuser aufgeteilt. Im Modellversuch mit einer beruflichen Schule bietet die Schule eine gymnasiale Oberstufe an.

Noten erhalten die Schüler erst ab der 9. Klasse. Davor dient ein Kompetenzraster der Bewertung, welches auch Empathie und Selbstbewusstsein berücksichtigt. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands und Jury-Mitglied, hebt den “respektvollen Umgangston” an der Schule hervor. “Er zeugt von einer beeindruckenden Beziehungsarbeit.” Wenn Schüler extra Unterstützung bräuchten, werde das “weder thematisiert noch klassifiziert oder gar stigmatisiert”. Der Erfolg speise sich auch daraus, dass die Schule für die Unterrichtsentwicklung auf Evaluationsdaten zurückgreift und viele externe Partner einbezieht.

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Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Deutsche Schulpreis 2024 geht an die Siebengebirgsschule in Bonn. Damit geht der wichtigste deutsche Schulpreis zum zweiten Mal an eine Förderschule. 2010 erhielt die Sophie-Scholl-Schule in Bad Hindelang-Oberjoch (Bayern), ein Förderzentrum für chronisch kranke Kinder, den Hauptpreis.

    Mehr als 80 Schulen hatten sich dieses Mal um den Preis beworben, der Hauptpreis ist mit 100.000 Euro dotiert. Die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung vergeben die Auszeichnung zum 18. Mal. Nach einem aufwendigen Bewerbungsverfahren hatte die Jury 15 Schulen für die Endrunde nominiert. Gebannt warteten sie heute Vormittag im Berliner Tempodrom auf die Entscheidung.

    “Wir sind schon viel besser geworden, was Bildungserfolge betrifft”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Preisverleihung. “Aber ich glaube, wir müssen in der ganzen Breite dafür sorgen, dass unser Schulsystem aus allen alles herausholt – alles Talent, alle Leistungswilligkeit, die da ist.”

    Wie genau das an der Siebengebirgsschule gelingt, können Sie in einer Analyse in dieser Sonderausgabe lesen. Die Schule schafft es, dass vermeintlich unbeschulbare Kinder ins Lernen zurückfinden – und hat die Jury staunen lassen.

    Meine Kollegin Anna Parrisius hat zudem aufgeschrieben, wie die zweitplatzierte Friedenauer Gemeinschaftsschule in Berlin erfolgreich arbeitet. An ihr lernen Kinder aus 22 Nationen, zehn Prozent haben einen diagnostizierten Förderbedarf, acht Kinder eine diagnostizierte Hochbegabung. Eine Herausforderung, die die Schule vorbildlich meistert.

    Und zu guter Letzt finden Sie Kurzporträts der vier weiteren Schulen, die auf den zweiten Platz kamen.

    Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

    Ihr
    Holger Schleper
    Bild von Holger  Schleper

    Analyse

    Siebengebirgsschule: Wie eine Förderschule den Weg zu einer “Schule für alle” weist  

    Der wichtigste Schulpreis in Deutschland – vergeben von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung – geht in diesem Jahr an die Siebengebirgsschule Bonn. 265 Schülerinnen und Schüler lernen in den Jahrgängen 1 bis 10 an der “Förderschule im Verbund“. Die Förderschwerpunkte sind Lernen, emotionale-soziale Entwicklung und Sprache. 

    Die Schule, so urteilt die Jury, leiste einen wesentlichen Beitrag dazu, dass vermeintlich unbeschulbare Kinder ins Lernen zurückfinden und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigt werden. “Ich habe mich nach dem Tag an der Schule gefragt, wo denn jetzt die Unbeschulbaren gewesen sein sollen”, schildert Jury-Mitglied Carola Gnadt Table.Briefings ihre Eindrücke. Durch “eine bedürfnisorientierte, radikal individuelle Förderung” eröffnet die Schule den Kindern und Jugendlichen “ihren Weg zum Schulabschluss”, heißt es auch im Jury-Urteil.

    Digitale Tools ermöglichen auch neue Raumkonzepte

    Womit sich die Frage stellt: Wie konkret schafft die Siebengebirgsschule das? Die Antwort setzt sich aus vielen einzelnen Puzzle-Teilen zusammen. Wobei einige Dinge von grundlegender Bedeutung sind. Etwa diese: 

    • Es gibt eine Kultur des Vertrauens, Zutrauens und auch des ständigen Dazu-Lernens – was für die Schüler, aber auch die Lehrkräfte gilt.
    • Der Einsatz von digitalen Tools ist maßgeschneidert. Sie schaffen Freiräume für die individuelle Förderung, aber auch, um Raumkonzepte neu zu denken. 
    • Auch deshalb konnte die Siebengebirgsschule altbekannte Strukturen über Bord werfen. Klassische Stundenpläne, festgelegte Räume, feste Pausenzeiten, feste Klassenverbünde? Gibt es nicht. Vor allem dieser Mut der Schule, einen neuen Weg einzuschlagen, habe sie beeindruckt, sagt Gnadt, die das Referat Lehrerbildung im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg leitet.

    Wer denkt, diese Abkehr von Strukturen mache es besonders Kindern und Jugendlichen mit diagnostizierten Förderbedarfen schwer, Orientierung zu erhalten, erlebt vor Ort das Gegenteil. Schon beim Betreten des Gebäudes fällt die konzentrierte Stille auf. Denn unstrukturiert ist an der Siebengebirgsschule kaum etwas.

    Jeder Schüler hat einen individuellen Wochenarbeitsplan

    Zum Konzept gehört, dass jede Schülerin und jeder Schüler einen individuellen Wochenarbeitsplan hat. Es ist die “Mission” ihrer Schulwoche, die Aufgaben dieses Plans abzuarbeiten. “Wir starten am Anfang der Woche damit, dass wir mit den Schülern Lern- und Entwicklungsgespräche führen und mit ihnen die Arbeitspläne durchsprechen. Gemeinsam überlegen wir, wie sie den Tag oder – bei den Älteren – die Woche gut strukturieren können”, schildert Lernbegleiterin Sibylle Jordan. Die Mission ist digital dargestellt auf dem Lern-Navi, der Lern-Plattform der Schule. Zu Schulbeginn loggen sich die Schüler mit dem iPad selbstständig ein.

    An der Seite der Schüler stehen stets die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter. Diesen Begriff verwendet die Siebengebirgsschule bewusst, anstatt von Lehrern zu sprechen. Eine persönliche Lernbegleitung “ist in der Funktion mit der Klassenleitung zu vergleichen”, heißt es auf Stichwortkarten zum Konzept der Schule. 45 Lernbegleiter gibt es. 

    In klar definierten Formaten – Coachings, Lern-Entwicklungs-Gesprächen, Impulsphasen und Briefings – unterstützen die Lernbegleiter die Schüler. Impulsphase etwa bedeutet, dass eine Lernbegleiterin einem Schüler – oder auch mehreren – ein aktuelles Themengebiet in einer der wenigen frontalen Phasen vorstellt. Lernbegleiterin Susanne Klug kann man übrigens auch dabei erleben, wie sie einem Viertklässler Stoff der Klasse sechs vermittelt – weil er schon weiter ist als andere seines Jahrgangs. 

    Bildschirme zeigen, welcher Schüler sich gerade wo befindet

    Konsequent sprechen die Lernbegleiter an der Schule nicht von Klassenräumen, sondern von Lernateliers. Es ist einer der Orte, wo die Schülerinnen und Schüler an ihren Missionen arbeiten. Sind sie der Meinung, dass eine andere Lernbegleitung ihnen besser weiterhelfen kann, haben sie auch die Möglichkeit, diese aufzusuchen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, ab 10.30 Uhr in einen Kreativraum wie Küche, Holzwerkstatt, Tüftler- oder E-Werkstatt zu gehen. Dort gibt es zum Beispiel einen 3-D-Drucker und Materialien aus dem Bereich der Robotik. Selbstverantwortlich können sie hier ein Projekt realisieren. 

    Ein Drittklässler etwa entscheidet sich an diesem Morgen, die Pokemon-Figur Pikachu in der E-Werkstatt im 3D-Druck zu erstellen. Im Nebenraum stehen derweil einige Schüler Schlange, um eine Lasergravur für ihre Tablet-Stifte zu erhalten – ein Zehntklässler organisiert das Ganze eigenständig.

    In den Lernräumen der Schule hängen Bildschirme, auf denen zu sehen ist, welcher Schüler sich gerade wo befindet. Lernbegleiterin Susanne Klug weiß also jederzeit, wer gerade bei ihr im Raum sein muss und auch, wie es um die Kapazitäten der anderen Lernbegleiter bestellt ist.

    Der Grad der Selbstständigkeit, den eine Schülerin oder ein Schüler an der Schule hat, wird in fünf Stufen unterschieden – sogenannten Caps. Cap 0 bedeutet unter anderem: “Du musst immer in enger Begleitung einer Lernbegleitung sein.” Und: “Dein Arbeitsplan muss über abgesprochene Tagespläne gesteuert werden.” 

    Cap 3 bedeutet: “Du organisierst deine Lernphasen räumlich und zeitlich eigenverantwortlich.” Und: “Du leitest aktiv Projekte und Aufgaben an der Schule.” Die Caps sind immer Bestandteil der Lern-Entwicklungs-Gespräche. “Für die Schüler ist es ein großer Anreiz, eine neue Stufe zu erreichen“, berichtet die Konrektorin Heike Petz. 

    “Gezielte individuelle Förderung, ist möglich, weil die Lerninhalte komplett digitalisiert sind.”

    Es sind vereinzelte Einblicke in das, was die Siebengebirgsschule auszeichnet. Verbunden sind damit aber auch einige der aktuell am stärksten diskutierten Fragen in der deutschen Schullandschaft. Dazu gehört der Einsatz von digitalen Tools an den Schulen. Wie muss er ausgestaltet sein, welches Maß ist das richtige?

    “Technologie”, schreibt OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher in seiner jüngsten Kolumne für Table.Briefings, könne “ein erstaunlicher Beschleuniger und ein unglaublicher Verstärker” sein. Hört man Susanne Klug von der Siebengebirgsschule zu, versteht man diese Einschätzung umso mehr. “All das, was wir machen, diese gezielte individuelle Förderung, ist möglich, weil die Lerninhalte komplett digitalisiert sind.”

    Es sei eben nicht sinnvoll, immer wieder aufs Neue zu erarbeiten, wie man Neuntklässlern die binomischen Formeln erklärt. “Die besten Materialien, die wir haben, werden standardisiert, digitalisiert und sozusagen verewigt”, sagt Susanne Klug.  “Und das eröffnet uns die Freiheiten, die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern.”  

    “Das Konzept ist nicht limitiert auf eine Förderschule.”

    Und dann wäre da noch die ganz große Debatte. Ist Inklusion nicht erst dann gelungen, wenn es keine Förderschulen mehr gibt? Welche Signalwirkung hat es dann, wenn ausgerechnet eine Förderschule den wichtigsten deutschen Schulpreis erhält?

    Die Jury hat darüber intensiv diskutiert, berichtet Gnadt. Aber es gehe ja nicht darum, eine Schulform zu bewerten, sondern was die einzelne Schule leistet. “Und das Konzept der Siebengebirgsschule ist überhaupt nicht limitiert auf eine Förderschule“, ist Gnadt überzeugt. “Hier können ganz, ganz viele andere Schulen, egal welcher Schulform, etwas lernen und übernehmen.” Das passt zu dem, was an der Schule immer wieder zu hören ist: “Wenn jede Schule konsequent die Schülerinnen und Schüler individuell fördern würde, dann hätten wir eine Schule für alle.” 

    • Deutscher Schulpreis
    • Förderschule
    • Inklusion
    • Schulentwicklung
    • Schulpreis

    Friedenauer Gemeinschaftsschule: Wie eine Schule in Berlin ihrer heterogenen Schülerschaft gerecht wird

    “Wie nachhaltig ist unser Holzverbrauch?” Und: “Haben Bäume Gefühle?” Eine Klasse der Jahrgangsstufen 4 bis 6 sammelt heute Forscherfragen. Seit kurzem beschäftigen die Schüler sich mit dem Wald, waren im Museum und selbst in der Natur. Jetzt entwickeln sie eine Frage, allein oder zu zweit, der sie in den kommenden Wochen nachgehen wollen. Lehrerin Tamar Stalter hat dafür Bücher bereitgestellt, empfiehlt Internetseiten.

    Eine Viertklässlerin scheint noch überfordert mit der Aufgabe zu sein, läuft suchend umher. Die Neuen müssten sich oft erst noch zurechtfinden, sagt Stalter. Aus Jahrgangsstufe 1 bis 3 seien sie noch mehr Struktur gewöhnt. Die Zeit, die es braucht, um anzufangen, sei aber nicht verschwendet.

    Hohe Leistungsorientierung – ohne Noten bis Klasse 6

    “Von Tag eins an lernen unsere Schüler, sich selbst zu organisieren”, sagt Daniel Dollezal, stellvertretender Schulleiter. Ein analoges Logbuch, in das die Schüler ihre Ziele und Fortschritte eintragen, soll ihnen helfen. “Bei den Älteren merken wir später deutlich, dass sie sich gut organisieren und einschätzen können.” Dazu tragen auch die Bilanz- und Zielgespräche zweimal im Jahr bei. Jeder Schüler kommt dabei mit seinem Klassenlehrer und seinen Eltern zusammen. Sie besprechen, was gut läuft, wo noch Baustellen sind. Am Ende vereinbaren sie Ziele und was jede Seite zu ihrer Erfüllung beitragen kann. Diese Gespräche ersetzen in der Grundstufe ein Halbjahreszeugnis.

    Generell gibt es bis Klasse 6 keine Noten. Die Leistungsorientierung sei dennoch hoch, betont Thorsten Bohl, Direktor der Tübingen School of Education und Jurysprecher des Schulpreises. “Es besteht oft ein Missverständnis, dass es ohne Noten keine Leistungsorientierung gibt. Dabei ist sogar das Gegenteil der Fall, wenn Noten durch ein elaboriertes Feedbacksystem ersetzt werden.”

    Schulkonzept ermöglicht Arbeiten im eigenen Tempo

    Gleichzeitig schafft es die Gemeinschaftsschule Bohl zufolge, “durch eine beeindruckende Schulkultur, mit allen Schülerinnen und Schülern wertschätzend umzugehen, bei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen.” 61 Prozent der über 1.100 Schüler haben einen Migrationshintergrund, zehn Prozent einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf, einige Kinder eine Hochbegabung. Doch da sie bis Klasse 9 jahrgangsübergreifend lernen, fällt nicht auf, wenn ein Kind langsamer ist als seine Altersgenossen – oder schneller.

    Das jahrgangsübergreifende Lernen stärkt zugleich die sozialen Kompetenzen, denn die Schüler unterstützen sich beim Lernen und bei ganz praktischen Dingen. Jedem Sonnenkind – so nennen sie die Erstklässler – wird ein Paten zugeteilt. “Er hilft beim Schuhe binden oder erinnert daran, zum Sport ein Haargummi mitzunehmen”, erklärt Franca Timm, stellvertretende Grundstufenleiterin.

    In den Hauptfächern gibt es Lernwege, denen die Kinder im eigenen Tempo folgen. “Wer in kürzester Zeit vorankommt, dem geben wir zusätzliches Futter, damit die Lust am Lernen nicht verloren geht.” Bei denen, die länger bräuchten, überlegen die Lehrkräfte, was sich kürzen lässt.

    Interdisziplinärer und themenorientierter Unterricht

    Phasen individualisierten Lernens wechseln sich dabei mit stärker strukturierten Einheiten ab. Tamar Stalters Klasse versammelt sich gerade vorn in einem Kreis. Sie diskutieren das Zitat des türkischen Dichters Nâzım Hikmet: “Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.”

    “Greeetchen, bitte mach mit!”, ermahnt Stalter. Die Sechstklässler kennt sie schon seit Klasse 1, begleitet sie seitdem auf ihrem Lernweg. Da sie in der Klasse mehrere Fächer unterrichtet, kombiniert sie Sachkunde, Deutsch und Kunst. Jetzt bittet sie die Kinder, in ihrem Heft den Seitenrand bunt zu bemalen, das Zitat schön abzuschreiben – und einen inneren Monolog anzuschließen. “Ihr könnt auch Fragen stellen, auf einzelne Wörter eingehen”, sagt Stalter. “Ich bin gespannt, wie es weitergeht!” Manche schreiben drauflos. Bei anderen stockt schnell der Stift. Ein Lehrer aus der Sekundarstufe I ist dabei, geht zu einzelnen Schülern. Über das Schuljahr verteilt wird er häufig vorbeikommen.

    Übergänge sollen so sanft wie möglich ausfallen

    Die Idee: Wenn die Sechstklässler kommendes Jahr in die nächste jahrgangsübergreifende Klasse wechseln, haben sie zu ihrem neuen Lehrer schon eine Beziehung aufgebaut. “Wir versuchen die Übergänge möglichst sanft zu gestalten, um den Kindern Stress zu ersparen“, sagt Vize-Schulleiter Dollezal. Seitdem die Schule auch eine gymnasiale Oberstufe anbietet, bleiben 75 Prozent der Schüler nach der Grundstufe.

    Den Übergang von der Kita soll ein Vorschulprogramm drei Wochen vor Schulstart in der Ganztagsbetreuung erleichtern. “Wir können uns von den Kindern bereits ein Bild machen”, sagt die stellvertretende Grundstufenleiterin Timm. Dafür lädt die Schule während des Anmeldezeitraums auch bereits die Eltern zu Gesprächen – und tauscht sich mit elf umliegenden Kooperationskitas aus.

    Erfolg basiert auf komplexer Kooperationsstruktur

    Zusammenarbeit schreibt die Gemeinschaftsschule generell groß. “Damit das jahrgangsgemischte und individualisierte Lernen aufgeht, braucht es auch eine top Organisation”, sagt Thorsten Bohl aus der Schulpreisjury. Die Kooperation in den verschiedenen Gremien – in denen seit kurzem auch jeweils ein Schülervertreter sitzt – gliedert sich in:

    • Klassenteams: Jede Klasse hat eine doppelte Klassenleitung und in der Grundstufe mindestens einen Bezugserzieher.
    • Strangteams (bestehend aus drei Klassen): Jede Lehrkraft, jeder Erzieher, Schulsozialarbeiter und Schulhelfer hat pro Woche zwei Teamstunden zum Austausch über die Klassen und künftigen Unterricht.
    • Fachteams: Um jedem Kind die jeweils passende Aufgabe bereitstellen zu können, erstellen die Lehrkräfte Materialien, auf die jeder zugreifen kann.
    • Fallteams: Einmal im Monat besprechen Schulpsychologen, Sozialarbeiter, Ganztagsleitung, Schulleitung und Lehrkräfte herausfordernde Fälle und einigen sich auf eine gemeinsame Strategie.
    • Erweiterte Schulleitungssitzungen: Neben der Schulleitung kommt hier je ein Vertreter aus jedem Team. Um die Stufen zu verzahnen, ist bei der Sitzung der Grundstufe jemand aus der Sekundarstufe dabei und andersherum.
    • Schulleitungssitzungen: Einmal in der Woche trifft sich das komplette Leitungsteam der gesamten Schule, einschließlich des Ganztagsbereichs. Darüber hinaus gibt es auch stufenbezogene Leitungssitzungen.

    Credo: Auf die Stärken gucken

    “Die wenigsten Entscheidungen werden top-down getroffen, viel Schulentwicklung kommt aus dem Kollegium heraus”, sagt Timm. Wenn ein Lehrer eine Idee einbringt, die die anderen für gut befinden, wird sie nach guter Überlegung in einer Klasse umgesetzt und wenn sie sich bewährt, ausgeweitet. “Wir gucken immer sehr auf die Stärken”, sagt Timm. “Nicht nur bei unseren Schülern, auch bei der Schulentwicklung. Und dann schauen wir, wie wir es noch besser machen können.”

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    Deutscher Schulpreis: Welche Schulen noch ausgezeichnet werden

    Die ganzheitliche Schule: Joseph-DuMont-Berufskolleg

    Am Joseph-DuMont-Berufskolleg lernen die rund 2.300 Schüler möglichst selbstorganisiert. Die angehenden Kaufleute für audiovisuelle Medien drehen etwa einen Film, den sie am Ende ihrer Ausbildung in einem Kino präsentieren. Aus dem selbstorganisierten Lernen sind an der beruflichen Schule für Medienberufe und kaufmännische Berufe weitere Ideen entstanden, zuvorderst ein Coaching für die Berufsschüler.

    Anfangs als Lerncoaching gedacht, adressiert es auf Wunsch der Schüler inzwischen auch Fragen der Lebensführung und des Berufs. Schulleiter Michael Piek nennt Table.Briefings den Grund: “Wir stellen eine zunehmende Orientierungslosigkeit bei den jungen Menschen fest.” Viele seien “überfordert mit dem Übergang in den Betrieb und in die erste eigene Wohnung. Für Azubis gibt es hier bisher wenige Angebote”. Die Hälfte der rund 100 Lehrkräfte am Berufskolleg ist für das Coaching ausgebildet, erhält fortlaufend Supervision und bietet die Stunden zusätzlich zum Deputat an. Jeder Schüler kann sie auf Wunsch wahrnehmen.

    Daneben legt die Schule einen Fokus auf Gesundheit. In ihren selbst gewählten Pausen können die Schüler digital angeleitet Aktivierungsübungen machen. Im März fand an der Schule der letzte große Gesundheitstag statt, bei dem auch externe Partner vor Ort waren. Schulleiter Piek will, dass die Vermittlung von Gesundheitskompetenzen künftig fester Bestandteil aller Unterrichtseinheiten ist.

    Die eigenverantwortliche Schule: St.-Pius-Gymnasium

    Am katholischen St.-Pius-Gymnasium in Coesfeld (NRW) dienen auch Gänge und Hallen als Lernorte. Die knapp 700 Schülerinnen und Schüler lernen großteils individualisiert und flexibel. Aus der Freiarbeit, die an der Schule besonders in Klasse 5 und 6 eine lange Tradition hatte, ist das Modell der “Sternstunden” entstanden. In diesen arbeiten die Schüler montags und freitags je zwei Doppelstunden lang selbstständig an ihren Aufgaben. Wer Probleme beim Lernen hat, erhält frühzeitig ein Lerncoaching.

    In der Oberstufe werden die Sternstunden als abiturrelevante Projektkurse fortgeführt, die die Schüler frei wählen können. Die Ergebnisse sind einer klassischen Facharbeit gleichgestellt. Die Jugendlichen arbeiten sowohl fächerübergreifend als auch mit außerschulischen Akteuren. Die Schule bietet zudem Profilkurse an, die nicht benotet werden, damit die Schüler sich stressfrei ausprobieren und spezialisieren können.

    In den Klassen 5 bis 10 gibt es das Fach Verantwortung. Hier geht es um soziale Kompetenzen. In der 9. Klasse gibt es das Projekt “Soziales Engagement”. Dabei sollen die Schüler mindestens 20 Stunden ehrenamtliche Tätigkeit innerhalb der Schule oder an einer selbst gewählten karitativen Einrichtung leisten. Jury-Mitglied Isabella Keßler, Landesfachberaterin im saarländischen Bildungsministerium, lobt, Absolventen der Schule hätten “eine Idee davon, wer sie sind, was sie können und wo sie hinwollen”.

    Die nachhaltige Schule: Das Thomas-Morus-Gymnasium

    Das Thomas-Morus-Gymnasium in Oelde (NRW) hat seine Schulentwicklung auf nachhaltiges, selbstgesteuertes Lernen ausgerichtet. Seit 24 Jahren ist das Gymnasium Unesco-Projektschule und orientiert sich folglich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Unesco. Rund 860 Schüler besuchen die Ganztagsschule und haben Lernzeiten statt Hausaufgaben. Die Lernzeiten sind nicht fachgebunden und in Stillarbeit im Klassenzimmer, in Gruppenarbeit oder mit Unterstützung der Lehrkräfte möglich.

    Es gibt unbenotete “Neigungsfächer”, die die Schüler je nach Interesse wählen können. Dabei reicht das Angebot von einer Robotik-AG bis hin zur Schülerzeitung und Streitschlichtung.

    In Klasse 7, 8 und 9 haben die Schüler zudem zwei Stunden pro Woche “Phänomenbasiertes Lernen” (PBL). Ergänzend zum Fachunterricht beschäftigen sich die Schüler ausgehend von einem erlebbaren Phänomen oder Problem mit sozialer Gerechtigkeit, Big Data & KI oder Klimawandel und Energie. Das Unterrichtsprojekt soll vernetztes, problemlösendes und kreatives Denken fördern sowie Kommunikations- und Kooperationskompetenzen.

    Die hybride Schule: Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

    Die knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Prenzlauer Berg, Berlin, lernen nicht nur im Klassenraum. Im Rahmen des Berliner Schulversuchs “Hybride Formen des Lehrens und Lernens” können sie auch digital zu Hause arbeiten. In der Grundstufe gibt es seit diesem Jahr eine Draußen-Lerngruppe: Die “Eichhörnchen” arbeiten zweimal in der Woche im Bucher Forst zwischen Eichen und Buchen.

    Im 7. Jahrgang übernehmen die Schülerinnen und Schüler wöchentlich einen halben Tag Verantwortung außerhalb der Schule – etwa in Seniorenheimen, Kindergärten oder einem Museum. Bis zur 10. Klasse arbeiten die Schüler fächer- und jahrgangsübergreifend zusammen, in 35 Lerngruppen. Instruktionen der Lehrkräfte wechseln sich dabei mit individualisiertem Lernen und kooperativem Lernen ab. Die Lehrkräfte kooperieren in Jahrgangsteams und in Hausteams – denn die Schüler sind auf drei Häuser aufgeteilt. Im Modellversuch mit einer beruflichen Schule bietet die Schule eine gymnasiale Oberstufe an.

    Noten erhalten die Schüler erst ab der 9. Klasse. Davor dient ein Kompetenzraster der Bewertung, welches auch Empathie und Selbstbewusstsein berücksichtigt. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands und Jury-Mitglied, hebt den “respektvollen Umgangston” an der Schule hervor. “Er zeugt von einer beeindruckenden Beziehungsarbeit.” Wenn Schüler extra Unterstützung bräuchten, werde das “weder thematisiert noch klassifiziert oder gar stigmatisiert”. Der Erfolg speise sich auch daraus, dass die Schule für die Unterrichtsentwicklung auf Evaluationsdaten zurückgreift und viele externe Partner einbezieht.

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