Table.Briefing: Bildung

+++Table.Special+++ Bildungsmonitor: Zusammenhang von Migration und Bildungschancen

Liebe Leserin, lieber Leser,

40 Prozent der unter 15-Jährigen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Darauf verweist Bildungsökonom Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Um ihnen bestmögliche Bildungschancen zu eröffnen, sind gute Lese- und Sprachkompetenzen zentral.

Mein Kollege Maximilian Stascheit hat den heute veröffentlichten Bildungsmonitor 2024 – Titel “Potenziale der Zuwanderung im Bildungssystem heben” – auch vor diesem Hintergrund genau analysiert. Ein kleiner Einblick in das Gutachten: “Während im Jahr 2012 der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, in deren Haushalt die deutsche Sprache gesprochen wurde, noch 72,1 Prozent betrug, nahm er bis zum Jahr 2022 auf 51,6 Prozent ab.”

Welche Herausforderungen damit für das Bildungssystem verbunden sind, warum der Migrationsstatus an sich keinen signifikanten Effekt hat und was aus Sicht der Autoren des Papiers zu tun ist, um “riesige Potenziale” zu nutzen, lesen Sie in dieser Sonderausgabe vom Bildung.Table.

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.

Ihr
Holger Schleper
Bild von Holger  Schleper

Analyse

Bildungsmonitor: Wie ein Migrationshintergrund die Chancen von Kindern beeinflusst

Ein Migrationshintergrund an sich hat keinen direkten Einfluss auf die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Kindern. Stattdessen spielen eine Reihe von damit zusammenhängenden Faktoren eine bedeutende Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) in seiner Schwerpunktstudie für den aktuellen Bildungsmonitor. Deren Ergebnisse werden am Dienstag von der Initiative Neue Soziale Markwirtschaft (INSM) als Auftraggeber in Berlin vorgestellt und liegen Table.Briefings vorab exklusiv vor. Das jährliche Länderranking war bereits am Freitag veröffentlicht worden (wir berichteten).

Sprache zu Hause als entscheidender Faktor

Als Grundlage haben die Autoren die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends und der aktuellen PISA-Studie nach Kindern mit und ohne Migrationshintergrund aufgeteilt. Dabei zeigte sich: Die Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte waren in allen Bereichen durchschnittlich deutlich schlechter als die derjenigen ohne Migrationshintergrund. Eine weitere Variable machte diesen Zusammenhang jedoch irrelevant: Die Frage, ob bei den Kindern mit Migrationshintergrund zu Hause Deutsch gesprochen wurde oder nicht.

War dies der Fall, hat dies die Ergebnisse signifikant positiv beeinflusst. “Es ist somit weniger der Migrationshintergrund an sich, der die Kompetenzen beeinflusst, sondern relevant ist eher eine gute Kenntnis
der deutschen Sprache bzw. Verwendung der deutschen Sprache im Elternhaus”
, fassen die Autoren zusammen.

Trend verschlechtert sich

Eine Analyse von PISA und IQB-Bildungstrend zeige allerdings, dass der Anteil der Haushalte, in denen Deutsch gesprochen wird, in den letzten Jahren abgenommen habe. “Während im Jahr 2012 der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, in deren Haushalt die deutsche Sprache gesprochen wurde, noch 72,1 Prozentbetrug, nahm er bis zum Jahr 2022 auf 51,6 Prozent ab”, heißt es dazu in der Studie. Besonders deutlich falle der Rückgang von 35,5 Prozent auf 12,5 Prozent bei den Schülerinnen und Schülern der ersten Generation aus.

Zudem stellten die Autoren fest, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Haushalt über deutlich weniger Bücher verfügen. Damit einher gehe der Befund, dass ihnen auch weniger vorgelesen wird. So wird nur 17,9 Prozent der Kinder im Vorschulalter, die selbst zugewandert sind, täglich zu Hause vorgelesen; bei Kindern, deren Eltern zugewandert sind, ist es gut die Hälfte (51,3 Prozent). Für Kinder ohne Migrationshintergrund liegt diese Quote hingegen bei 77 Prozent.

Kinder mit Migrationshintergrund seltener in der Kita

In den Blick genommen haben die Autoren auch die frühkindliche Bildung. Dabei stellten sie fest, dass Kinder mit Migrationshintergrund immer noch seltener eine Kita besuchen als Kinder ohne Migrationshintergrund. So haben im Jahr 2022 deutschlandweit 21 Prozent der unter Dreijährigen eine Kindertageseinrichtung besucht; diejenigen ohne Migrationshintergrund kamen auf 43 Prozent. Bei den Kindern zwischen drei und sechs Jahren waren es mit Migrationshintergrund 78 und ohne Migrationshintergrund 100 Prozent.

Darüber hinaus nennen die Autoren eine Reihe weiterer Indikatoren, die bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund stärker ausgeprägt sind und ihre Bildungschancen negativ beeinflussen:

  • Familien, in denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren ist, haben durchschnittlich einen niedrigeren sozioökonomischen Status und einen niedrigeren Bildungsstand als Familien ohne Migrationshintergrund. Diese Merkmale wiederum haben ebenfalls Einfluss auf die erreichten Kompetenzen der Kinder.
  • Kinder mit Migrationshintergrund fehlt zu Hause häufiger ein eigener Raum zum Lernen sowie ein eigener Computer. Dies hat besonders während der Corona-Pandemie zu Nachteilen geführt.
  • Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund nehmen seltener an Elternabenden teil und bringen sich weniger aktiv in Elterngremien der Schulen ein. Als Gründe dafür nannten die Eltern am häufigsten ungünstige Zeitpunkte und fehlende Deutschkenntnisse.

Sprachkenntnisse und Bildungsstand der Eltern als zentrale Faktoren

Studienleiter und IW-Bildungsökonom Axel Plünnecke fordert von der Bildungspolitik daher einen “vollen Fokus” auf Kinder, die aus bildungsfernen Haushalten stammen und zu Hause nicht gut in der deutschen Sprache gefördert werden können. Er weist darauf hin, dass über 40 Prozent der unter 15-Jährigen einen Migrationshintergrund haben. Die Zuwanderung habe großes Potenzial im Blick auf die Fachkräftesicherung. “Gute Lese- und Sprachkompetenzen sind der Schlüssel, diese Potenziale zu heben”, so Plünnecke.

INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben wirft der Politik vor, dafür bislang zu wenig zu tun: “Wir haben hier riesige Potenziale, die uns helfen können, die Herausforderungen unserer überalternden Gesellschaft zu meistern. Doch die Politik kümmert sich nicht richtig darum.” Als konkrete Maßnahmen fordert er verpflichtende Sprachtests im Alter von vier Jahren und eine Ausweitung des Startchancen-Programms von zehn auf 40 Prozent aller Schulen.

Lesen Sie auch: Bildungsmonitor: Das sind die Gewinner und Verlierer des Ländervergleichs.

  • Bildung
  • Bildungsforschung
  • Bildungspolitik
  • Frühkindliche Bildung
  • Institut der deutschen Wirtschaft
  • Migration
  • PISA-Studie
  • Studie
Translation missing.

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    40 Prozent der unter 15-Jährigen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Darauf verweist Bildungsökonom Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Um ihnen bestmögliche Bildungschancen zu eröffnen, sind gute Lese- und Sprachkompetenzen zentral.

    Mein Kollege Maximilian Stascheit hat den heute veröffentlichten Bildungsmonitor 2024 – Titel “Potenziale der Zuwanderung im Bildungssystem heben” – auch vor diesem Hintergrund genau analysiert. Ein kleiner Einblick in das Gutachten: “Während im Jahr 2012 der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, in deren Haushalt die deutsche Sprache gesprochen wurde, noch 72,1 Prozent betrug, nahm er bis zum Jahr 2022 auf 51,6 Prozent ab.”

    Welche Herausforderungen damit für das Bildungssystem verbunden sind, warum der Migrationsstatus an sich keinen signifikanten Effekt hat und was aus Sicht der Autoren des Papiers zu tun ist, um “riesige Potenziale” zu nutzen, lesen Sie in dieser Sonderausgabe vom Bildung.Table.

    Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.

    Ihr
    Holger Schleper
    Bild von Holger  Schleper

    Analyse

    Bildungsmonitor: Wie ein Migrationshintergrund die Chancen von Kindern beeinflusst

    Ein Migrationshintergrund an sich hat keinen direkten Einfluss auf die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Kindern. Stattdessen spielen eine Reihe von damit zusammenhängenden Faktoren eine bedeutende Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) in seiner Schwerpunktstudie für den aktuellen Bildungsmonitor. Deren Ergebnisse werden am Dienstag von der Initiative Neue Soziale Markwirtschaft (INSM) als Auftraggeber in Berlin vorgestellt und liegen Table.Briefings vorab exklusiv vor. Das jährliche Länderranking war bereits am Freitag veröffentlicht worden (wir berichteten).

    Sprache zu Hause als entscheidender Faktor

    Als Grundlage haben die Autoren die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends und der aktuellen PISA-Studie nach Kindern mit und ohne Migrationshintergrund aufgeteilt. Dabei zeigte sich: Die Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte waren in allen Bereichen durchschnittlich deutlich schlechter als die derjenigen ohne Migrationshintergrund. Eine weitere Variable machte diesen Zusammenhang jedoch irrelevant: Die Frage, ob bei den Kindern mit Migrationshintergrund zu Hause Deutsch gesprochen wurde oder nicht.

    War dies der Fall, hat dies die Ergebnisse signifikant positiv beeinflusst. “Es ist somit weniger der Migrationshintergrund an sich, der die Kompetenzen beeinflusst, sondern relevant ist eher eine gute Kenntnis
    der deutschen Sprache bzw. Verwendung der deutschen Sprache im Elternhaus”
    , fassen die Autoren zusammen.

    Trend verschlechtert sich

    Eine Analyse von PISA und IQB-Bildungstrend zeige allerdings, dass der Anteil der Haushalte, in denen Deutsch gesprochen wird, in den letzten Jahren abgenommen habe. “Während im Jahr 2012 der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, in deren Haushalt die deutsche Sprache gesprochen wurde, noch 72,1 Prozentbetrug, nahm er bis zum Jahr 2022 auf 51,6 Prozent ab”, heißt es dazu in der Studie. Besonders deutlich falle der Rückgang von 35,5 Prozent auf 12,5 Prozent bei den Schülerinnen und Schülern der ersten Generation aus.

    Zudem stellten die Autoren fest, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Haushalt über deutlich weniger Bücher verfügen. Damit einher gehe der Befund, dass ihnen auch weniger vorgelesen wird. So wird nur 17,9 Prozent der Kinder im Vorschulalter, die selbst zugewandert sind, täglich zu Hause vorgelesen; bei Kindern, deren Eltern zugewandert sind, ist es gut die Hälfte (51,3 Prozent). Für Kinder ohne Migrationshintergrund liegt diese Quote hingegen bei 77 Prozent.

    Kinder mit Migrationshintergrund seltener in der Kita

    In den Blick genommen haben die Autoren auch die frühkindliche Bildung. Dabei stellten sie fest, dass Kinder mit Migrationshintergrund immer noch seltener eine Kita besuchen als Kinder ohne Migrationshintergrund. So haben im Jahr 2022 deutschlandweit 21 Prozent der unter Dreijährigen eine Kindertageseinrichtung besucht; diejenigen ohne Migrationshintergrund kamen auf 43 Prozent. Bei den Kindern zwischen drei und sechs Jahren waren es mit Migrationshintergrund 78 und ohne Migrationshintergrund 100 Prozent.

    Darüber hinaus nennen die Autoren eine Reihe weiterer Indikatoren, die bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund stärker ausgeprägt sind und ihre Bildungschancen negativ beeinflussen:

    • Familien, in denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren ist, haben durchschnittlich einen niedrigeren sozioökonomischen Status und einen niedrigeren Bildungsstand als Familien ohne Migrationshintergrund. Diese Merkmale wiederum haben ebenfalls Einfluss auf die erreichten Kompetenzen der Kinder.
    • Kinder mit Migrationshintergrund fehlt zu Hause häufiger ein eigener Raum zum Lernen sowie ein eigener Computer. Dies hat besonders während der Corona-Pandemie zu Nachteilen geführt.
    • Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund nehmen seltener an Elternabenden teil und bringen sich weniger aktiv in Elterngremien der Schulen ein. Als Gründe dafür nannten die Eltern am häufigsten ungünstige Zeitpunkte und fehlende Deutschkenntnisse.

    Sprachkenntnisse und Bildungsstand der Eltern als zentrale Faktoren

    Studienleiter und IW-Bildungsökonom Axel Plünnecke fordert von der Bildungspolitik daher einen “vollen Fokus” auf Kinder, die aus bildungsfernen Haushalten stammen und zu Hause nicht gut in der deutschen Sprache gefördert werden können. Er weist darauf hin, dass über 40 Prozent der unter 15-Jährigen einen Migrationshintergrund haben. Die Zuwanderung habe großes Potenzial im Blick auf die Fachkräftesicherung. “Gute Lese- und Sprachkompetenzen sind der Schlüssel, diese Potenziale zu heben”, so Plünnecke.

    INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben wirft der Politik vor, dafür bislang zu wenig zu tun: “Wir haben hier riesige Potenziale, die uns helfen können, die Herausforderungen unserer überalternden Gesellschaft zu meistern. Doch die Politik kümmert sich nicht richtig darum.” Als konkrete Maßnahmen fordert er verpflichtende Sprachtests im Alter von vier Jahren und eine Ausweitung des Startchancen-Programms von zehn auf 40 Prozent aller Schulen.

    Lesen Sie auch: Bildungsmonitor: Das sind die Gewinner und Verlierer des Ländervergleichs.

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