Table.Briefing: Bildung

+++ Table.Alert: Kindergrundsicherung: Großreform ohne vereinfachte Bildungszuschüsse +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

Geht es nach Finanzminister Christian Lindner, wird sich Deutschland auf Jahre keine größere Sozialreform mehr leisten können. Umso größer dürften die Erwartungen an die heutige Einigung der Ampel zur Kindergrundsicherung sein. Christian Füller analysiert für Sie die vorgestellten Eckpunkte. Die Erwartungen muss er dabei direkt senken: Insbesondere eine bedürftige Gruppe wird bei schulrelevanten Zuschüssen – für Nachhilfe, Bücher, Materialien oder Ausflüge – auf unbestimmte Zeit weiterhin sehr komplizierten Antragsverfahren ausgesetzt bleiben.

Armut ist ein essenzieller Faktor, der Aufstieg durch Bildung verhindert. Ein Kind, das sich schämt, weil es immer um Unterstützung der Schule bitten muss, kann nicht frei lernen. Dennoch soll Halbherzigkeit bei der Reform offensichtlich den deutschen Haushalt schonen. Es sei daran erinnert, dass Familienministerin Lisa Paus vom Koalitionär Lindner ursprünglich auch deutlich mehr Geld forderte: zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Einigen konnte sich die Ampel nach langem Ringen nun auf einen Plan, für den in 2025 schätzungsweise 2,4 Milliarden Euro fällig werden.

Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht

Ihre
Anna Parrisius
Bild von Anna  Parrisius

Analyse

Kindergrundsicherung: Alleinerziehende sofort, Migranten später

Sie lächelten sich an, und sie duzten sich sogar. Die Lisa (Familienministerin Lisa Paus, Bündnisgrüne) und der Christian (Finanzminister Christian Lindner, FDP) sprachen von konstruktiven Gesprächen. Obwohl sich die beiden öffentlich wie die Kesselflicker gestritten hatten. Aber tatsächlich konnte jeder der beiden einen Erfolg feiern. Die Grünen schafften den Einstieg in einen grundlegenden Systemwechsel. Das heißt, viele verschiedene Zuschüsse für Kinder werden gebündelt und künftig nach einem Berechtigungscheck quasi automatisch überwiesen. 

Die FDP kann für sich beanspruchen, Leistungsanreize gesetzt zu haben und gleichzeitig ein futuristisches Kinderchancenportal auf den Weg gebracht zu haben. Dass es auch einen Verlierer gab, wollte niemand so genau wissen. Nicht einmal das “Bündnis Kindergrundsicherung”, immerhin ein Cluster aus 20 Sozialverbänden, sah sich gestern imstande zu dem Nachteil für Migrantenfamilien Auskunft zu geben. “Rufen Sie gern morgen wieder an.” Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, sagte eher allgemein: “Selbst bei der Zusammenführung von Leistungen bleibt zum Beispiel der Leistungsdschungel des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten.” Rückfragen dazu wurden nicht beantwort.

Ursprünglich sollten Schulzuschüsse pauschaliert werden

Die Kindergrundsicherung besteht prinzipiell aus zwei Elementen. Dem Garantiebetrag, das ist das bisherige Kindergeld, das jedem Kind zusteht. Kinder über 18 können diesen Betrag künftig direkt bekommen. Außerdem gibt es noch einen Zusatzbetrag, der einkommensabhängig ist. In diesem Zusatzbetrag sollen verschiedene Leistungen gebündelt werden, die jenseits des Kindergeldes möglich sind. Die Reform soll im Jahr 2025 mit 2,4 Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Allerdings gibt es eben nicht nur die politischen Gewinner Paus und Lindner. Es ist ziemlich klar, wer der Verlierer dieser in der Tat großen Sozialreform sein wird. Es ist nicht einer, sondern es sind rund 880.000 Kinder aus Migrantenfamilien, Zuwanderern genauso wie Asylbewerbern und Geflüchteten etwa des Angriffskriegs auf die Ukraine. Für sie war ursprünglich geplant gewesen, alle schulrelevanten Zuschüsse zu bündeln – und zum Teil über Pauschalen abzurechnen. Dazu gehört zum Beispiel ein Schulstarterpaket im Wert von pauschal 174 Euro. 

Das Kinderchancenportal der FDP kommt – irgendwanm

Aber diese, aus bildungspolitischer Perspektive wichtige Vereinfachung des bisherigen Bildungs- und Teilhabepakets wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Denn die Zusammenfassung der Anträge für Nachhilfe, für Klassenfahrten und für den schulischen Bedarf von Kindern wird es wohl erst in einigen Jahren geben. “Dazu wollen wir in einem Kinderchancenportal, das wir in den nächsten Jahren entwickeln werden, diese Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets weiter bündeln”, steht dazu im Eckpunktepapier, auf das sich Lindner und Paus zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geeinigt hatten.

Auf Deutsch: Die FDP kann sich rühmen, ein Kinderchancenportal erfunden zu haben. Wann es Realität wird? Das weiß keiner. Noch vor wenigen Tagen lästerte man in der FDP, dass Lisa Paus das Kinderchancenportal immer noch nicht in Angriff genommen habe. Ursprünglich hatte Paus die schulbedingten Zuschüsse vereinfachen und automatisieren wollen. Da machte die FDP jedoch nicht mit.

Alleinerziehende profitieren ab 1. Januar 2025

Unterdessen kommen die Erleichterungen für die zweite große Risikogruppe in Sachen Kinderarmut sofort, also zum Start der Reform am 1. Januar 2025. Es sind die Kinder von Alleinerziehenden, die als jene Gruppe gelten, von denen relativ am meisten Kinder betroffen sind. Alleinerziehende müssen künftig die Unterhaltszahlungen ihrer Ex-Partner nicht mehr zu 100 Prozent als Einkommen angeben. Das bedeutet, die Zuschüsse von Amts wegen steigen sofort mit Beginn der Reform. Weil etwa ein Alleinerziehender bis zu 55 Prozent des Unterhaltsbeitrags seiner Ex-Frau künftig de facto doppelt erhält – einmal als Unterhalt und dann als Zuschuss der Behörde. 

Hier legte die FDP großen Wert darauf, Arbeitsanreize gesetzt zu haben. Das bedeutet, die Alleinerziehenden können von der verkürzten Anrechnung der Unterhaltsleistungen nur dann profitieren, wenn sie für mindestens 600 Euro im Monat selbst arbeiten gehen. 

Ziel der Kindergrundsicherung ist eine Entwirrung verschiedener staatlicher Leistungen, die Kinder von Arbeitslosen beziehungsweise Geringverdienern erhalten können. Dazu zählt etwa der Kinderzuschlag für Menschen mit geringen Einkommen, Bürgergeld für Kinder oder finanzielle Hilfen für Schulmaterial, Klassenfahrten oder Mitgliedschaften in Sportverein und Musikschule. Vielen Familien gerade aus der migrantischen Community ist bisher nämlich gar nicht bewusst, dass sie Anspruch auf Leistungen haben und wie sie an das Geld kommen. (Mit dpa)

  • Christian Lindner
  • Kinderarmut
  • Kindergrundsicherung
  • Lisa Paus

Bildung.Table Redaktion

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    Geht es nach Finanzminister Christian Lindner, wird sich Deutschland auf Jahre keine größere Sozialreform mehr leisten können. Umso größer dürften die Erwartungen an die heutige Einigung der Ampel zur Kindergrundsicherung sein. Christian Füller analysiert für Sie die vorgestellten Eckpunkte. Die Erwartungen muss er dabei direkt senken: Insbesondere eine bedürftige Gruppe wird bei schulrelevanten Zuschüssen – für Nachhilfe, Bücher, Materialien oder Ausflüge – auf unbestimmte Zeit weiterhin sehr komplizierten Antragsverfahren ausgesetzt bleiben.

    Armut ist ein essenzieller Faktor, der Aufstieg durch Bildung verhindert. Ein Kind, das sich schämt, weil es immer um Unterstützung der Schule bitten muss, kann nicht frei lernen. Dennoch soll Halbherzigkeit bei der Reform offensichtlich den deutschen Haushalt schonen. Es sei daran erinnert, dass Familienministerin Lisa Paus vom Koalitionär Lindner ursprünglich auch deutlich mehr Geld forderte: zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Einigen konnte sich die Ampel nach langem Ringen nun auf einen Plan, für den in 2025 schätzungsweise 2,4 Milliarden Euro fällig werden.

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    Kindergrundsicherung: Alleinerziehende sofort, Migranten später

    Sie lächelten sich an, und sie duzten sich sogar. Die Lisa (Familienministerin Lisa Paus, Bündnisgrüne) und der Christian (Finanzminister Christian Lindner, FDP) sprachen von konstruktiven Gesprächen. Obwohl sich die beiden öffentlich wie die Kesselflicker gestritten hatten. Aber tatsächlich konnte jeder der beiden einen Erfolg feiern. Die Grünen schafften den Einstieg in einen grundlegenden Systemwechsel. Das heißt, viele verschiedene Zuschüsse für Kinder werden gebündelt und künftig nach einem Berechtigungscheck quasi automatisch überwiesen. 

    Die FDP kann für sich beanspruchen, Leistungsanreize gesetzt zu haben und gleichzeitig ein futuristisches Kinderchancenportal auf den Weg gebracht zu haben. Dass es auch einen Verlierer gab, wollte niemand so genau wissen. Nicht einmal das “Bündnis Kindergrundsicherung”, immerhin ein Cluster aus 20 Sozialverbänden, sah sich gestern imstande zu dem Nachteil für Migrantenfamilien Auskunft zu geben. “Rufen Sie gern morgen wieder an.” Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, sagte eher allgemein: “Selbst bei der Zusammenführung von Leistungen bleibt zum Beispiel der Leistungsdschungel des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten.” Rückfragen dazu wurden nicht beantwort.

    Ursprünglich sollten Schulzuschüsse pauschaliert werden

    Die Kindergrundsicherung besteht prinzipiell aus zwei Elementen. Dem Garantiebetrag, das ist das bisherige Kindergeld, das jedem Kind zusteht. Kinder über 18 können diesen Betrag künftig direkt bekommen. Außerdem gibt es noch einen Zusatzbetrag, der einkommensabhängig ist. In diesem Zusatzbetrag sollen verschiedene Leistungen gebündelt werden, die jenseits des Kindergeldes möglich sind. Die Reform soll im Jahr 2025 mit 2,4 Milliarden Euro zu Buche schlagen.

    Allerdings gibt es eben nicht nur die politischen Gewinner Paus und Lindner. Es ist ziemlich klar, wer der Verlierer dieser in der Tat großen Sozialreform sein wird. Es ist nicht einer, sondern es sind rund 880.000 Kinder aus Migrantenfamilien, Zuwanderern genauso wie Asylbewerbern und Geflüchteten etwa des Angriffskriegs auf die Ukraine. Für sie war ursprünglich geplant gewesen, alle schulrelevanten Zuschüsse zu bündeln – und zum Teil über Pauschalen abzurechnen. Dazu gehört zum Beispiel ein Schulstarterpaket im Wert von pauschal 174 Euro. 

    Das Kinderchancenportal der FDP kommt – irgendwanm

    Aber diese, aus bildungspolitischer Perspektive wichtige Vereinfachung des bisherigen Bildungs- und Teilhabepakets wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Denn die Zusammenfassung der Anträge für Nachhilfe, für Klassenfahrten und für den schulischen Bedarf von Kindern wird es wohl erst in einigen Jahren geben. “Dazu wollen wir in einem Kinderchancenportal, das wir in den nächsten Jahren entwickeln werden, diese Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets weiter bündeln”, steht dazu im Eckpunktepapier, auf das sich Lindner und Paus zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geeinigt hatten.

    Auf Deutsch: Die FDP kann sich rühmen, ein Kinderchancenportal erfunden zu haben. Wann es Realität wird? Das weiß keiner. Noch vor wenigen Tagen lästerte man in der FDP, dass Lisa Paus das Kinderchancenportal immer noch nicht in Angriff genommen habe. Ursprünglich hatte Paus die schulbedingten Zuschüsse vereinfachen und automatisieren wollen. Da machte die FDP jedoch nicht mit.

    Alleinerziehende profitieren ab 1. Januar 2025

    Unterdessen kommen die Erleichterungen für die zweite große Risikogruppe in Sachen Kinderarmut sofort, also zum Start der Reform am 1. Januar 2025. Es sind die Kinder von Alleinerziehenden, die als jene Gruppe gelten, von denen relativ am meisten Kinder betroffen sind. Alleinerziehende müssen künftig die Unterhaltszahlungen ihrer Ex-Partner nicht mehr zu 100 Prozent als Einkommen angeben. Das bedeutet, die Zuschüsse von Amts wegen steigen sofort mit Beginn der Reform. Weil etwa ein Alleinerziehender bis zu 55 Prozent des Unterhaltsbeitrags seiner Ex-Frau künftig de facto doppelt erhält – einmal als Unterhalt und dann als Zuschuss der Behörde. 

    Hier legte die FDP großen Wert darauf, Arbeitsanreize gesetzt zu haben. Das bedeutet, die Alleinerziehenden können von der verkürzten Anrechnung der Unterhaltsleistungen nur dann profitieren, wenn sie für mindestens 600 Euro im Monat selbst arbeiten gehen. 

    Ziel der Kindergrundsicherung ist eine Entwirrung verschiedener staatlicher Leistungen, die Kinder von Arbeitslosen beziehungsweise Geringverdienern erhalten können. Dazu zählt etwa der Kinderzuschlag für Menschen mit geringen Einkommen, Bürgergeld für Kinder oder finanzielle Hilfen für Schulmaterial, Klassenfahrten oder Mitgliedschaften in Sportverein und Musikschule. Vielen Familien gerade aus der migrantischen Community ist bisher nämlich gar nicht bewusst, dass sie Anspruch auf Leistungen haben und wie sie an das Geld kommen. (Mit dpa)

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