Table.Briefing: Bildung

Special: Die neue KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot über Herausforderungen und Ziele 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

zuletzt hat das Saarland ganz schön Furore gemacht – zumindest beim Fußball. Bis ins Viertelfinale hat es der 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal geschafft, und auf dem Weg sogar die großen Bayern rausgekickt. Auch die saarländische Bildungsministerin, Christine Streichert-Clivot, hat einiges auf der Agenda, wenn sie am Freitag offiziell das Amt der KMK-Präsidentin für 2024 übernimmt. Im Interview mit Table.Media hat sie mir vor der Amtseinführung erklärt, wie sie sich die Kultusministerkonferenz in Zukunft vorstellt: agiler, schneller, schlanker. Wenn es nach ihr ginge, hätte die KMK jedenfalls am Ende ihrer Amtszeit schon weniger Gremien als heute. Wir erinnern uns: Das Beratungsinstitut Prognos hat im vergangenen Jahr in seinem Gutachten 177 (!) Gremien gezählt. Vielleicht sind es inzwischen sogar schon mehr geworden, so genau weiß das ja niemand. Auch das gehört zum Gremien-Wildwuchs.

Und Christine Streichert-Clivot zeigt sich selbstbewusst, wenn es um die Frage geht, was die anderen Länder vom Saarland, dem zweitkleinsten Bundesland, lernen können. Zum Vergleich: Bayern, das größte, ist von der Fläche 27-mal so groß. “Wir sind ein kleines, aber sehr stolzes Bundesland”, sagt die Ministerin und zählt auf: Einführung von verbindlichem Informatik-Unterricht ab Klasse 7 mit entsprechender Lehrkräfte-Qualifizierung. Eins-zu-Eins-Tablet-Ausstattung ab Klasse 3, Erfahrung mit multiprofessionellen Teams.

“Großes entsteht immer im Kleinen”, lautet seit 2014 der Slogan des Saarlands. Wobei wir wieder beim Fußball wären. Der 1. FC Saarbrücken muss sich am 7. Februar beweisen, dann steht im DFB-Pokal die Viertelfinal-Partie gegen Mönchengladbach an. Christine Streichert-Clivots Amts-Partie beginnt schon an diesem Freitag und dauert nicht nur 90 Minuten, sondern ein ganzes Jahr. Sie steht vor großen Herausforderungen und mit ihr die gesamte KMK.

Wir halten Sie über das, was in der Kultusministerkonferenz passiert, auch 2024 auf dem Laufenden und sagen für heute auf Saarländisch “Alle dann!”

Ihre
Annette Kuhn
Bild von Annette  Kuhn

Interview

Neue KMK-Präsidentin: “Wir müssen Schule stärker als Teil eines lokalen Netzwerks sehen”

Die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot ist 2024 auch KMK-Präsidentin.

Frau Streichert-Clivot, wo sehen Sie 2024 die größten Themen und Herausforderungen für die Kultusministerkonferenz?  

Christine Streichert-Clivot: Erstens: Kinder und Jugendliche stark zu machen. Dazu brauchen wir das Startchancen-Programm. Zweitens: Wenn man starke Kinder und Jugendliche möchte, braucht man auch starkes pädagogisches Personal. Darum müssen wir in diesem Jahr auch Entscheidungen treffen, wie wir zukünftig mit der Lehrerausbildung umgehen wollen. Mit dem Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) sind hohe Erwartungen verknüpft, dass wir Beschlüsse fassen und zur Struktur der Lehrerbildung Entscheidungen treffen. Drittens: Wir haben in der Vergangenheit sehr stark im Bereich der Digitalisierung investiert. Die Pandemie war da ein Motor. Er hat dazu geführt, dass in den Ländern gute Strukturen aufgebaut werden konnten. Jetzt brauchen wir ein klares Signal vom Bund, wie es mit dem Digitalpakt weitergeht.  

Welche Punkte sind Ihnen bei der Lehrerbildung besonders wichtig?  

Zum einen müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir Lehrerinnen und Lehrer gewinnen. Zum anderen wird es um die Frage gehen, wie wir die Praxis in der ersten Ausbildungsphase stärken können. Das ist ein entscheidender Diskussionspunkt, zu dem Wissenschaft und Politik unterschiedliche Auffassungen haben. Ich nehme wahr, dass angehende Lehrkräfte in der Ausbildung ein hohes Bedürfnis nach mehr Praxisorientierung haben, um bestens vorbereitet zu sein.  

Streichert-Clivot widerspricht bei Lehrerbildung der SWK

Heißt das, Sie sind für ein duales Studium – was die SWK in ihrem Gutachten ja abgelehnt hat? 

Ja, aber ich finde es durchaus legitim, dass es zwischen Politik und Wissenschaft unterschiedliche Auffassungen gibt und dass das Gutachten eine Debatte anstößt.  

Ihre Präsidentschaft haben Sie nicht wie sonst üblich unter ein Thema gestellt, sondern unter den Leitsatz: “Bildung in Zeiten des Wandels – Transformation mutig gemeinsam gestalten.” Was heißt das genau?  

Ich glaube, mit einem Thema werden wir den Herausforderungen, vor denen unsere Bildungseinrichtungen stehen, nicht mehr gerecht. Viele Menschen im Bildungssystem erleben die aktuelle Situation als Krise und wollen, dass sich etwas verändert. Es gibt aber nicht das eine Rezept, das all die Fragen beantwortet. Wir müssen mutiger rangehen und Wege finden, den komplexen und miteinander verflochtenen Problemen besser zu begegnen.  

Bildungspolitik kann zu Armut nicht allein Antworten finden”

Haben Sie dafür ein Beispiel? 

Wir tragen eine hohe Erwartungshaltung an die Schulen heran. Sie sollen viele Krisen und Konflikte der Gesellschaft lösen. Aber diesen Erwartungen können sie niemals gerecht werden. Nehmen wir das Thema Armut. Wenn Kinder von Armut betroffen sind, dann kommen sie mit einem Rucksack an Problemen in die Schule, der sie daran hindert, mit freiem Kopf zu lernen. Das können Schulen nicht lösen. Armut entsteht ja nicht in der Schule, sondern hat komplexe Ursachen. Daher kann die Bildungspolitik hier allein auch keine Antworten finden. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Wir müssen Schule stärker als Teil eines lokalen Netzwerks sehen und auch in die KMK viele Partner hineinholen, um gemeinsam Dinge zu verändern.  

Kommen wir zur Struktur der KMK: Welche Veränderungen wollen Sie nach dem Prognos-Gutachten auf den Weg bringen?  

Wir haben ein großes Netz an Gremien, die Zeit, aber vor allem auch viele Ressourcen verschlingen. Die KMK ist nicht agil genug. Wir brauchen Gremien, die zielgenauer arbeiten und zügiger Beschlüsse fassen, die in den Ländern dann auch umgesetzt werden können. Die KMK muss stärker als schlagkräftige Einrichtung wahrgenommen werden, denn mein Eindruck ist: Die KMK ist besser als ihr Ruf.  

Bildungsföderalismus – Wettbewerb um gute Ideen

Wollen Sie die Zahl der Gremien reduzieren?  

Ja, natürlich.  

Ihre Vorgängerin im Amt, Katharina Günther-Wünsch, hat sich für eine längere KMK- Präsidentschaft ausgesprochen. Können Sie sich vorstellen, länger als ein Jahr im Amt zu sein? 

Erstmal müssen wir uns mit den Gremien beschäftigen und dann damit, wie das Präsidium und die KMK künftig besser zusammenarbeiten. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob der Mechanismus, dass jedes Jahr ein anderes Land zum Zuge kommt, sinnvoll ist. Da sehe ich eine offene Diskussion.  

Sie haben den Bildungsföderalismus kürzlich in einem Interview als “Innovationsmotor” bezeichnet. Welche Innovationen hat er zuletzt hervorgebracht? 

Ich finde, der Bildungsföderalismus trägt sehr stark zu einem Wettbewerb um gute Ideen bei. Und den brauchen wir dringend. Wir müssen die KMK als einen Ort verstehen, in dem wir gute Ideen sammeln und sichtbar machen.  

Das Saarland hat in diesem laufenden Schuljahr das Fach Informatik in der siebten Klasse als verbindliches Fach eingeführt. Wir haben diesen Prozess mit einer Expertenkommission entwickelt und mit der Universität des Saarlandes die nötigen Qualifizierungsmaßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften umgesetzt. Diesen Prozess haben wir als eines der ersten Länder durchgespielt und Erfahrungen gesammelt. Das kann als Beispiel für andere Länder dienen. Natürlich lassen sich nicht alle Bundesländer miteinander vergleichen. Aber viele Arbeiten sind gleich, unabhängig davon, ob sie im Süden oder im Norden Deutschlands gemacht werden. Ich stelle mir vor, dass die KMK noch stärker eine Einrichtung wird, in der die Länder voneinander lernen. 

“Die kommunalen Belange werden zu sehr ausgeblendet”

Sie haben sich auch in Ihrer Leitidee zur KMK-Präsidentschaft dafür ausgesprochen, die Kommunen stärker ins Boot zu holen. Wie kann das aussehen? 

Die Bildungsminister können ihre Arbeit ohne eine enge Verknüpfung mit den Kommunen überhaupt nicht umsetzen – mit Blick auf Gebäude und auf lokale Netzwerke. Diese Zusammenarbeit gibt es also schon. Aber wir sollten sie intensivieren. Denn nur so erreichen wir Verlässlichkeit und Vertrauen in der Zusammenarbeit mit den Kommunen. 

Und wie ist es um die Zusammenarbeit mit dem Bund bestellt?  

Ich sehe da schon einen guten Ansatz. Das Bundesbildungsministerium nimmt an den KMK- Sitzungen teil. Und in den gemeinsamen Programmen wie dem Startchancen-Programm haben wir eine gemeinsame Bund-Länder-Verhandlungsgruppe. Für die Planungssicherheit in den Ländern ist es aber schwierig, wenn bestehende Vereinbarungen nicht fortgeführt werden, wie es beim Digitalpakt aktuell der Fall ist. Ich sehe zwar eine große Bereitschaft beim Bundesbildungsministerium, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Doch diese Gemeinsamkeit wird sich am Ende auch daran messen lassen müssen, wie zukünftige Programme ausgestaltet werden und wie verlässlich sie sind, auch was die Finanzierung anbelangt.  

Die zukünftige Finanzierung ist ja vonseiten des Bundes klar: Er hat sich auf eine Fifty-fifty-Beteiligung festgelegt. 

Ja, wir haben das erst mal zur Kenntnis genommen. Aber da sehen wir in der KMK für den Digitalpakt noch Klärungsbedarf. Wir sind als Länder hier nicht allein verantwortlich, sondern das hängt auch von der Finanzkraft der Kommunen ab. Die kommunalen Belange werden hier zu sehr ausgeblendet.  

Startchancen: Streichert-Clivot hofft auf ein Gelingen

Erwarten Sie, dass die Vereinbarung zum Startchancen-Programm wie geplant Ende Januar unterschrieben wird? 

Ich erinnere daran, dass die Länder gern schon früher über eine Bund-Länder-Vereinbarung gesprochen hätten. Wir haben uns jetzt über den Jahreswechsel und in den Januartagen intensiv in den Ländern mit der Vereinbarung auseinandergesetzt. Es gibt noch Punkte, die wir besprechen müssen. Aber wir haben uns das Ziel gesetzt, dies bis zum Ende des Monats abzuschließen. Aber auch dann bleibt der Zeitplan sehr ambitioniert, um das Programm zum Sommer an den Start zu bringen. Noch habe ich die Hoffnung, dass uns das gelingt.  

Erwarten Sie auch, dass es Ende Januar schon Klarheit darüber gibt, ob der Digitalpakt dann weitergeführt wird? 

Das würde ich mir natürlich wünschen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben wir einen Rückschlag erlebt. Hier sind noch viele Punkte offen.  

Das heißt, das Startchancen-Programm wird auch ohne Zusage zum Digitalpakt umgesetzt?  

Am Ende entscheiden das die Ministerinnen und Minister bei der KMK-Sitzung Ende Januar.  

Pisa-Ergebnisse als Auftrag, Schule zu verändern

Ein weiteres Thema, mit dem sich die KMK in diesem Jahr sicher beschäftigen wird, sind die Pisa-Ergebnisse. Was muss aus Ihrer Sicht jetzt vordringlich passieren? 

Die zentrale Frage ist für mich: Was muss sich verändern, damit der Bildungserfolg in Deutschland nicht mehr so stark von der Herkunft abhängt? Da schließt sich letzten Endes auch der Kreis zur Leitidee der Transformation. Ich sehe, dass sehr viele Schulen und Lehrkräfte mit hohem Engagement versuchen, dieses Thema aufzubrechen. Aber sie können es allein nicht schaffen. Deswegen ist für mich die Diskussion zu Pisa nicht nur eine, in der es darum geht, wo wir im Vergleich zu vor zehn Jahren stehen, sondern ein Auftrag, Schule mit allen Akteuren gemeinsam zu verändern.  

Und wie wollen Sie das schaffen? 

Wir müssen die Basiskompetenzen stärken. Das gelingt uns besser in der Ganztagsschule. Und dazu brauchen wir auch vor allem in der Grundschule ein gutes Zusammenspiel zwischen Schule und Elternhaus. Die Bereitschaft in den Familien, Kinder zu unterstützen, hat abgenommen. Die Gründe dafür sind aber ausgesprochen vielfältig. Das hat nicht nur etwas mit Armut zu tun, sondern auch damit, dass Familien heute anders aufgestellt sind. In der Regel arbeiten beide Elternteile. Und auch die Digitalisierung spielt eine Rolle. Das heißt für mich aber nicht, dass wir Grundschule zu einem digitalfreien Raum machen, denn das Digitale gehört zur Lebensrealität von Kindern dazu. Aber wir müssen uns anschauen, wie wir digitale Instrumente sinnvoll für die Unterrichtsgestaltung nutzen. 

Vor einer Kitapflicht erst mal ausreichend Plätze schaffen

Reicht es, in der Grundschule anzusetzen? Die soziale Spaltung ist ja schon sehr groß, wenn die Kinder in die Schule kommen. Brauchen wir eine Kita- oder Vorschulpflicht? 

Wenn ich über Basiskompetenzen in der Grundschule spreche, muss ich natürlich die Kita mitdenken. Aber bevor wir über eine Kita- oder Vorschulpflicht sprechen, müssen wir erst mal dafür Sorge tragen, dass wir den Familien ausreichend Plätze anbieten können und dass wir die Elternbeiträge abbauen. Im Saarland haben wir ab Januar 2027 eine beitragsfreie Kita. Dadurch wird sich die Nachfrage bei den Eltern erhöhen, für die die Kita bislang eine finanzielle Herausforderung war.  

Was kann das Saarland als zweitkleinstes Bundesland in die KMK einbringen? 

Wir sind ein kleines, aber sehr stolzes Bundesland. Die Menschen sind hier dadurch geprägt, dass sie sehr zuversichtlich sind und gerne hart und intensiv arbeiten. Das sind die Leitplanken auch meiner Arbeit.  

Und im Bildungswesen sind wir beim Thema Transformation weit: zum Beispiel bei der Digitalisierung. Das Fach Informatik habe ich schon erwähnt. Ab der dritten Klasse gibt es außerdem eine Eins-zu-Eins-Ausstattung der Schüler und Lehrkräfte mit Tablets, und wir haben eine gut funktionierende Plattform mit der Online Schule Saarland. Außerdem bringen wir viel Erfahrung mit multiprofessionellen Teams mit. Und wir haben uns schon lange vom dreigliedrigen Schulsystem verabschiedet. Es gibt im Saarland nur noch zwei Schulen, die beide zum Abitur führen: die Gemeinschaftsschule und das Gymnasium. Man kann also, wenn man will, viel vom Saarland lernen.  

  • Bildungsföderalismus
  • Bildungspolitik
  • KMK
  • Multiprofessionelle Teams
  • Saarland
  • Ständige Wissenschaftliche Kommission

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zuletzt hat das Saarland ganz schön Furore gemacht – zumindest beim Fußball. Bis ins Viertelfinale hat es der 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal geschafft, und auf dem Weg sogar die großen Bayern rausgekickt. Auch die saarländische Bildungsministerin, Christine Streichert-Clivot, hat einiges auf der Agenda, wenn sie am Freitag offiziell das Amt der KMK-Präsidentin für 2024 übernimmt. Im Interview mit Table.Media hat sie mir vor der Amtseinführung erklärt, wie sie sich die Kultusministerkonferenz in Zukunft vorstellt: agiler, schneller, schlanker. Wenn es nach ihr ginge, hätte die KMK jedenfalls am Ende ihrer Amtszeit schon weniger Gremien als heute. Wir erinnern uns: Das Beratungsinstitut Prognos hat im vergangenen Jahr in seinem Gutachten 177 (!) Gremien gezählt. Vielleicht sind es inzwischen sogar schon mehr geworden, so genau weiß das ja niemand. Auch das gehört zum Gremien-Wildwuchs.

    Und Christine Streichert-Clivot zeigt sich selbstbewusst, wenn es um die Frage geht, was die anderen Länder vom Saarland, dem zweitkleinsten Bundesland, lernen können. Zum Vergleich: Bayern, das größte, ist von der Fläche 27-mal so groß. “Wir sind ein kleines, aber sehr stolzes Bundesland”, sagt die Ministerin und zählt auf: Einführung von verbindlichem Informatik-Unterricht ab Klasse 7 mit entsprechender Lehrkräfte-Qualifizierung. Eins-zu-Eins-Tablet-Ausstattung ab Klasse 3, Erfahrung mit multiprofessionellen Teams.

    “Großes entsteht immer im Kleinen”, lautet seit 2014 der Slogan des Saarlands. Wobei wir wieder beim Fußball wären. Der 1. FC Saarbrücken muss sich am 7. Februar beweisen, dann steht im DFB-Pokal die Viertelfinal-Partie gegen Mönchengladbach an. Christine Streichert-Clivots Amts-Partie beginnt schon an diesem Freitag und dauert nicht nur 90 Minuten, sondern ein ganzes Jahr. Sie steht vor großen Herausforderungen und mit ihr die gesamte KMK.

    Wir halten Sie über das, was in der Kultusministerkonferenz passiert, auch 2024 auf dem Laufenden und sagen für heute auf Saarländisch “Alle dann!”

    Ihre
    Annette Kuhn
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    Neue KMK-Präsidentin: “Wir müssen Schule stärker als Teil eines lokalen Netzwerks sehen”

    Die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot ist 2024 auch KMK-Präsidentin.

    Frau Streichert-Clivot, wo sehen Sie 2024 die größten Themen und Herausforderungen für die Kultusministerkonferenz?  

    Christine Streichert-Clivot: Erstens: Kinder und Jugendliche stark zu machen. Dazu brauchen wir das Startchancen-Programm. Zweitens: Wenn man starke Kinder und Jugendliche möchte, braucht man auch starkes pädagogisches Personal. Darum müssen wir in diesem Jahr auch Entscheidungen treffen, wie wir zukünftig mit der Lehrerausbildung umgehen wollen. Mit dem Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) sind hohe Erwartungen verknüpft, dass wir Beschlüsse fassen und zur Struktur der Lehrerbildung Entscheidungen treffen. Drittens: Wir haben in der Vergangenheit sehr stark im Bereich der Digitalisierung investiert. Die Pandemie war da ein Motor. Er hat dazu geführt, dass in den Ländern gute Strukturen aufgebaut werden konnten. Jetzt brauchen wir ein klares Signal vom Bund, wie es mit dem Digitalpakt weitergeht.  

    Welche Punkte sind Ihnen bei der Lehrerbildung besonders wichtig?  

    Zum einen müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir Lehrerinnen und Lehrer gewinnen. Zum anderen wird es um die Frage gehen, wie wir die Praxis in der ersten Ausbildungsphase stärken können. Das ist ein entscheidender Diskussionspunkt, zu dem Wissenschaft und Politik unterschiedliche Auffassungen haben. Ich nehme wahr, dass angehende Lehrkräfte in der Ausbildung ein hohes Bedürfnis nach mehr Praxisorientierung haben, um bestens vorbereitet zu sein.  

    Streichert-Clivot widerspricht bei Lehrerbildung der SWK

    Heißt das, Sie sind für ein duales Studium – was die SWK in ihrem Gutachten ja abgelehnt hat? 

    Ja, aber ich finde es durchaus legitim, dass es zwischen Politik und Wissenschaft unterschiedliche Auffassungen gibt und dass das Gutachten eine Debatte anstößt.  

    Ihre Präsidentschaft haben Sie nicht wie sonst üblich unter ein Thema gestellt, sondern unter den Leitsatz: “Bildung in Zeiten des Wandels – Transformation mutig gemeinsam gestalten.” Was heißt das genau?  

    Ich glaube, mit einem Thema werden wir den Herausforderungen, vor denen unsere Bildungseinrichtungen stehen, nicht mehr gerecht. Viele Menschen im Bildungssystem erleben die aktuelle Situation als Krise und wollen, dass sich etwas verändert. Es gibt aber nicht das eine Rezept, das all die Fragen beantwortet. Wir müssen mutiger rangehen und Wege finden, den komplexen und miteinander verflochtenen Problemen besser zu begegnen.  

    Bildungspolitik kann zu Armut nicht allein Antworten finden”

    Haben Sie dafür ein Beispiel? 

    Wir tragen eine hohe Erwartungshaltung an die Schulen heran. Sie sollen viele Krisen und Konflikte der Gesellschaft lösen. Aber diesen Erwartungen können sie niemals gerecht werden. Nehmen wir das Thema Armut. Wenn Kinder von Armut betroffen sind, dann kommen sie mit einem Rucksack an Problemen in die Schule, der sie daran hindert, mit freiem Kopf zu lernen. Das können Schulen nicht lösen. Armut entsteht ja nicht in der Schule, sondern hat komplexe Ursachen. Daher kann die Bildungspolitik hier allein auch keine Antworten finden. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Wir müssen Schule stärker als Teil eines lokalen Netzwerks sehen und auch in die KMK viele Partner hineinholen, um gemeinsam Dinge zu verändern.  

    Kommen wir zur Struktur der KMK: Welche Veränderungen wollen Sie nach dem Prognos-Gutachten auf den Weg bringen?  

    Wir haben ein großes Netz an Gremien, die Zeit, aber vor allem auch viele Ressourcen verschlingen. Die KMK ist nicht agil genug. Wir brauchen Gremien, die zielgenauer arbeiten und zügiger Beschlüsse fassen, die in den Ländern dann auch umgesetzt werden können. Die KMK muss stärker als schlagkräftige Einrichtung wahrgenommen werden, denn mein Eindruck ist: Die KMK ist besser als ihr Ruf.  

    Bildungsföderalismus – Wettbewerb um gute Ideen

    Wollen Sie die Zahl der Gremien reduzieren?  

    Ja, natürlich.  

    Ihre Vorgängerin im Amt, Katharina Günther-Wünsch, hat sich für eine längere KMK- Präsidentschaft ausgesprochen. Können Sie sich vorstellen, länger als ein Jahr im Amt zu sein? 

    Erstmal müssen wir uns mit den Gremien beschäftigen und dann damit, wie das Präsidium und die KMK künftig besser zusammenarbeiten. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob der Mechanismus, dass jedes Jahr ein anderes Land zum Zuge kommt, sinnvoll ist. Da sehe ich eine offene Diskussion.  

    Sie haben den Bildungsföderalismus kürzlich in einem Interview als “Innovationsmotor” bezeichnet. Welche Innovationen hat er zuletzt hervorgebracht? 

    Ich finde, der Bildungsföderalismus trägt sehr stark zu einem Wettbewerb um gute Ideen bei. Und den brauchen wir dringend. Wir müssen die KMK als einen Ort verstehen, in dem wir gute Ideen sammeln und sichtbar machen.  

    Das Saarland hat in diesem laufenden Schuljahr das Fach Informatik in der siebten Klasse als verbindliches Fach eingeführt. Wir haben diesen Prozess mit einer Expertenkommission entwickelt und mit der Universität des Saarlandes die nötigen Qualifizierungsmaßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften umgesetzt. Diesen Prozess haben wir als eines der ersten Länder durchgespielt und Erfahrungen gesammelt. Das kann als Beispiel für andere Länder dienen. Natürlich lassen sich nicht alle Bundesländer miteinander vergleichen. Aber viele Arbeiten sind gleich, unabhängig davon, ob sie im Süden oder im Norden Deutschlands gemacht werden. Ich stelle mir vor, dass die KMK noch stärker eine Einrichtung wird, in der die Länder voneinander lernen. 

    “Die kommunalen Belange werden zu sehr ausgeblendet”

    Sie haben sich auch in Ihrer Leitidee zur KMK-Präsidentschaft dafür ausgesprochen, die Kommunen stärker ins Boot zu holen. Wie kann das aussehen? 

    Die Bildungsminister können ihre Arbeit ohne eine enge Verknüpfung mit den Kommunen überhaupt nicht umsetzen – mit Blick auf Gebäude und auf lokale Netzwerke. Diese Zusammenarbeit gibt es also schon. Aber wir sollten sie intensivieren. Denn nur so erreichen wir Verlässlichkeit und Vertrauen in der Zusammenarbeit mit den Kommunen. 

    Und wie ist es um die Zusammenarbeit mit dem Bund bestellt?  

    Ich sehe da schon einen guten Ansatz. Das Bundesbildungsministerium nimmt an den KMK- Sitzungen teil. Und in den gemeinsamen Programmen wie dem Startchancen-Programm haben wir eine gemeinsame Bund-Länder-Verhandlungsgruppe. Für die Planungssicherheit in den Ländern ist es aber schwierig, wenn bestehende Vereinbarungen nicht fortgeführt werden, wie es beim Digitalpakt aktuell der Fall ist. Ich sehe zwar eine große Bereitschaft beim Bundesbildungsministerium, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Doch diese Gemeinsamkeit wird sich am Ende auch daran messen lassen müssen, wie zukünftige Programme ausgestaltet werden und wie verlässlich sie sind, auch was die Finanzierung anbelangt.  

    Die zukünftige Finanzierung ist ja vonseiten des Bundes klar: Er hat sich auf eine Fifty-fifty-Beteiligung festgelegt. 

    Ja, wir haben das erst mal zur Kenntnis genommen. Aber da sehen wir in der KMK für den Digitalpakt noch Klärungsbedarf. Wir sind als Länder hier nicht allein verantwortlich, sondern das hängt auch von der Finanzkraft der Kommunen ab. Die kommunalen Belange werden hier zu sehr ausgeblendet.  

    Startchancen: Streichert-Clivot hofft auf ein Gelingen

    Erwarten Sie, dass die Vereinbarung zum Startchancen-Programm wie geplant Ende Januar unterschrieben wird? 

    Ich erinnere daran, dass die Länder gern schon früher über eine Bund-Länder-Vereinbarung gesprochen hätten. Wir haben uns jetzt über den Jahreswechsel und in den Januartagen intensiv in den Ländern mit der Vereinbarung auseinandergesetzt. Es gibt noch Punkte, die wir besprechen müssen. Aber wir haben uns das Ziel gesetzt, dies bis zum Ende des Monats abzuschließen. Aber auch dann bleibt der Zeitplan sehr ambitioniert, um das Programm zum Sommer an den Start zu bringen. Noch habe ich die Hoffnung, dass uns das gelingt.  

    Erwarten Sie auch, dass es Ende Januar schon Klarheit darüber gibt, ob der Digitalpakt dann weitergeführt wird? 

    Das würde ich mir natürlich wünschen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben wir einen Rückschlag erlebt. Hier sind noch viele Punkte offen.  

    Das heißt, das Startchancen-Programm wird auch ohne Zusage zum Digitalpakt umgesetzt?  

    Am Ende entscheiden das die Ministerinnen und Minister bei der KMK-Sitzung Ende Januar.  

    Pisa-Ergebnisse als Auftrag, Schule zu verändern

    Ein weiteres Thema, mit dem sich die KMK in diesem Jahr sicher beschäftigen wird, sind die Pisa-Ergebnisse. Was muss aus Ihrer Sicht jetzt vordringlich passieren? 

    Die zentrale Frage ist für mich: Was muss sich verändern, damit der Bildungserfolg in Deutschland nicht mehr so stark von der Herkunft abhängt? Da schließt sich letzten Endes auch der Kreis zur Leitidee der Transformation. Ich sehe, dass sehr viele Schulen und Lehrkräfte mit hohem Engagement versuchen, dieses Thema aufzubrechen. Aber sie können es allein nicht schaffen. Deswegen ist für mich die Diskussion zu Pisa nicht nur eine, in der es darum geht, wo wir im Vergleich zu vor zehn Jahren stehen, sondern ein Auftrag, Schule mit allen Akteuren gemeinsam zu verändern.  

    Und wie wollen Sie das schaffen? 

    Wir müssen die Basiskompetenzen stärken. Das gelingt uns besser in der Ganztagsschule. Und dazu brauchen wir auch vor allem in der Grundschule ein gutes Zusammenspiel zwischen Schule und Elternhaus. Die Bereitschaft in den Familien, Kinder zu unterstützen, hat abgenommen. Die Gründe dafür sind aber ausgesprochen vielfältig. Das hat nicht nur etwas mit Armut zu tun, sondern auch damit, dass Familien heute anders aufgestellt sind. In der Regel arbeiten beide Elternteile. Und auch die Digitalisierung spielt eine Rolle. Das heißt für mich aber nicht, dass wir Grundschule zu einem digitalfreien Raum machen, denn das Digitale gehört zur Lebensrealität von Kindern dazu. Aber wir müssen uns anschauen, wie wir digitale Instrumente sinnvoll für die Unterrichtsgestaltung nutzen. 

    Vor einer Kitapflicht erst mal ausreichend Plätze schaffen

    Reicht es, in der Grundschule anzusetzen? Die soziale Spaltung ist ja schon sehr groß, wenn die Kinder in die Schule kommen. Brauchen wir eine Kita- oder Vorschulpflicht? 

    Wenn ich über Basiskompetenzen in der Grundschule spreche, muss ich natürlich die Kita mitdenken. Aber bevor wir über eine Kita- oder Vorschulpflicht sprechen, müssen wir erst mal dafür Sorge tragen, dass wir den Familien ausreichend Plätze anbieten können und dass wir die Elternbeiträge abbauen. Im Saarland haben wir ab Januar 2027 eine beitragsfreie Kita. Dadurch wird sich die Nachfrage bei den Eltern erhöhen, für die die Kita bislang eine finanzielle Herausforderung war.  

    Was kann das Saarland als zweitkleinstes Bundesland in die KMK einbringen? 

    Wir sind ein kleines, aber sehr stolzes Bundesland. Die Menschen sind hier dadurch geprägt, dass sie sehr zuversichtlich sind und gerne hart und intensiv arbeiten. Das sind die Leitplanken auch meiner Arbeit.  

    Und im Bildungswesen sind wir beim Thema Transformation weit: zum Beispiel bei der Digitalisierung. Das Fach Informatik habe ich schon erwähnt. Ab der dritten Klasse gibt es außerdem eine Eins-zu-Eins-Ausstattung der Schüler und Lehrkräfte mit Tablets, und wir haben eine gut funktionierende Plattform mit der Online Schule Saarland. Außerdem bringen wir viel Erfahrung mit multiprofessionellen Teams mit. Und wir haben uns schon lange vom dreigliedrigen Schulsystem verabschiedet. Es gibt im Saarland nur noch zwei Schulen, die beide zum Abitur führen: die Gemeinschaftsschule und das Gymnasium. Man kann also, wenn man will, viel vom Saarland lernen.  

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