stellen Sie sich vor, es ist Bundes-Bildungsgipfel – und keiner geht hin. Die Mehrheit der Länderminister hat die Einladung aus dem BMBF zum morgigen Gipfelgespräch ausgeschlagen, ein politischer Affront. Einer der dienstältesten Kultusminister, Alexander Lorz aus Hessen, erklärt seine Absage im Interview. Für den Koordinator der Bildungspolitik der CDU-Länder ist das morgige Treffen in Berlin zu inhaltsleer und unprofessionell vorbereitet. Im Gespräch mit Moritz Baumann umreißt er längst überfällige Reformen. Sie würden das Verhältnis zwischen den Ländern sowie die Arbeit in der KMK neu ordnen – und der Ständigen Wissenschaftlichen Kommissionen eine zentrale Rolle zuweisen.
Ja, Ideen für einen Neustart sprießen allerorts. Doch gibt es tatsächlich ein bildungspolitisches Momentum? Der Bildungsgipfel war im Koalitionsvertrag vereinbart, findet nun in Kleinstform statt. Doch die Realität – IQB-Schock, Pandemie-Folgen, Lehrermangel, Fachkräftemangel – hat das Thema auf die tagespolitische Agenda gesetzt. Plötzlich interessiert sich die “Bildungsrepublik Deutschland” (A. Merkel) wieder für die Realität an den Schulen. Mit dieser Energie hat das BMBF möglicherweise nicht gerechnet.
Kritik am Format und fehlender symbolischer Kraft des Gipfels kommt selbst aus den eigenen Reihen. Nina Stahr, die im Bundestag die grüne Bildungspolitik koordiniert, erinnert in ihrem Standpunkt an den Dresdener Bildungsgipfel von 2008, als die Bundeskanzlerin alle Ministerpräsidenten um einen Tisch versammelte. Das Format wäre auch 2023 angemessen gewesen. Vor dem morgigen Minigipfel machen sogar Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsame Sache. In einem Statement, das Table.Media exklusiv vorliegt, fordern sie größere politische Anstrengung, um die “Bildungskatastrophe” abzuwenden.
Wie eine neue Steuerung des Bildungssystems aussehen könnte, diskutieren wir heute Mittag mit Ex-Bundesinnenminister und Bildungsreformer Thomas de Maizère, KMK-Generalsekretär Udo Michallik und Ekkehard Winter von der Telekom-Stiftung. Melden Sie sich hier noch zum Live-Briefing an. Um 12.30 Uhr geht es los.
Kommen Sie gut in diese bildungspolitisch besonders spannende Woche.
Herr Lorz, wollen Sie Frau Stark-Watzinger scheitern sehen?
Nein. Wir brauchen eine gute Zusammenarbeit. Es gibt Aufgaben wie den neuen Digitalpakt, die können wir nur gemeinsam lösen. Anderswo sollte sich eine Bundesbildungsministerin lieber nicht einmischen und uns in Ruhe arbeiten lassen.
Wo genau?
In unserem Kerngeschäft, bei der Gestaltung von Schule, bei pädagogischen Konzepten, dem Personal, den Curricula.
Stattdessen fordert Bettina Stark-Watzinger in der BILD eine leistungsorientierte Lehrerbezahlung. Nehmen Sie ihr das übel?
Wir alle kennen die Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie, insofern habe ich ein gewisses Verständnis für solche Aktionen. Nur: Es führt uns nicht weiter. Deswegen gehe ich nach solchen Interviews einfach zur Tagesordnung über.
Wir müssen über den Bildungsgipfel sprechen. Frau Stark-Watzinger hatte Sie morgen nach Berlin eingeladen, um eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu begründen. Sie haben als Koordinator der B-Länder abgesagt, genauso alle Ihre CDU-Kollegen. Das war nicht nett.
Das BMBF hätte einen solchen Gipfel professionell vorbereiten müssen; weder der Termin noch Format und Inhalte waren mit uns abgesprochen. Schon in der Planung hätte die Ministerin alle Akteure an einen Tisch holen müssen, dann hätte man inhaltliche Pflöcke einschlagen können. Ideal wäre eine Arbeitsgruppe gewesen, in der wir Themen beraten und die auf einem Bildungsgipfel zusammenführen – aber am Ende des Prozesses. Das BMBF zäumt das Pferd vom Schwanz auf. Und im Übrigen: Am selben Tag findet bei uns in Hessen ein Ausbildungsgipfel statt.
Haben Sie ihre Handynummer?
Da muss ich nachschauen (scrollt durch seine Handykontakte). Nein, ich habe sie nicht (lacht). Aber unsere Büros sind im Kontakt. Es ist nicht so, dass wir uns verschanzen.
Warum rufen Sie in einem solchen Moment nicht einfach an? Es sagt doch viel aus, dass Sie nicht einmal den informellen SMS-Draht nach Berlin haben.
Nicht, dass wir uns missverstehen. Es gibt keinen Zwist auf der persönlichen Ebene. Wir haben nach meiner Absage miteinander telefoniert. Ich habe die terminlichen Zwänge erläutert und ein paar Tipps gegeben, wie so etwas in Zukunft besser laufen könnte.
Okay, doof gelaufen. Warum ergreifen jetzt nicht die Länder die Initiative und planen einen strukturierten Prozess, um den Brocken der Bund-Länder-Zusammenarbeit zu bearbeiten?
Das tun wir kontinuierlich. Um es plakativ zu sagen: Wir haben alle drei Monate Bildungsgipfel; der nennt sich Kultusministerkonferenz, an der die Bundesbildungsministerin jederzeit teilnehmen kann. Und das tut sie sogar auch zwei Tage später bei unserer KMK-Sitzung – Kompliment an dieser Stelle.
Und dennoch erleben Sie seit neun Jahren, wie quälend langsam sich das Bildungssystem wandelt. Woran hakt es?
Das liegt in der Natur des Bildungssystems. Es ist ein großer Tanker. In Hessen haben wir knapp 800.000 Schülerinnen und Schüler, aber auch 1,6 Millionen Eltern, knapp 2000 Schulen, fast 65.000 Lehrer. Bis eine grundlegende Reform alle Schichten so durchlaufen hat, dass sie nicht nur auf dem Papier steht, sondern an den Schulen gelebt wird, braucht es eine Generation.
Mit Verlaub, die Ministerien haben es sich in dieser Trägheit auch bequem gemacht. Sogar ihre Parteifreundin Karin Prien sagt, ein Kernproblem sei das Modell der freiwilligen Selbstkoordination. Heißt: Jeder kann, aber keiner muss. Es gibt keinerlei Verbindlichkeit.
Die Analyse ist richtig, wobei es verschiedene Modelle für mehr Verbindlichkeit gibt. Den Zentralisten schwebt vor: ein Minister in Berlin macht die Ansagen und dann läuft das. Doch das funktioniert nur, wenn es die richtigen Ansagen sind. In Deutschland haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Schule gestaltet sein muss. Da ist das Dekretieren von oben keine Lösung. Wir Kultusminister sind uns aber auch darüber im Klaren: Wenn wir zulassen, dass über die freiwillige Selbstkoordination alles auseinanderläuft, verlieren wir das Vertrauen der Bevölkerung. Aus dieser Erkenntnis ist im Jahr 2020 eine umfassende Ländervereinbarung entstanden (zum Download) – erstmalig seit über 60 Jahren, wenngleich ich mir einen echten Staatsvertrag gewünscht hätte, ratifiziert durch die Parlamente. Jetzt arbeiten wir gerade an den daraus folgenden politischen Vorhaben.
Wären sie bereit, das Grundgesetz zu ändern – nicht um mehr Aufgaben nach Berlin zu delegieren, sondern um die Länder zur Zusammenarbeit zu verpflichten, einschließlich verbindlicher Beschlüsse?
Wenn man sich entscheidet, das Grundgesetz anzupacken, wäre das wohl der richtige Weg – besser jedenfalls, als das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu zu justieren. Eine Option wäre zum Beispiel, über die Verfassung verbindliche Mehrheitsentscheidungen in der KMK einzuführen. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, der KMK klare Zeitfenster vorzugeben. Das heißt: Wenn in einem bestimmten Aufgabengebiet beispielsweise die Minister nicht binnen zwei Jahren entscheiden, darf der Bund die Initiative ergreifen.
Das klingt doch charmant.
Es ist zumindest ein diskussionsfähiger Ansatz. Er adressiert aber nicht unser zentrales Problem. Der Föderalismus ist wie ein Sack, auf den alle einprügeln können und in dem aus Sicht der Öffentlichkeit alle Probleme stecken. Das stimmt aber nicht.
Gehen die Kultusminister eine solche Verfassungsreform an?
Eine Grundgesetzänderung hat in der KMK aktuell keine Priorität.
… obwohl es ein guter Vorschlag ist?
Ja, denn es ist kein vordringliches Problem. Themen, bei denen wir uns einig sind, bearbeiten wir sowieso gemeinsam. Und alle Minister wissen, dass ein solcher Mechanismus zur Folge hätte, dass irgendeine Seite untergebuttert würde.
Genau. Das ist der Sinn eines solchen Mechanismus.
Aber wir müssen uns über den Preis im Klaren sein.
Wäre Hessen bereit, den Preis zu zahlen?
Das schaue ich mir dann im Detail an. Ich bleibe dabei: Wir haben unsere Möglichkeiten im aktuellen Rechtsrahmen noch nicht ausgeschöpft. Ich kann mir auch vorstellen, dass eine Mehrheit der Länder als Koalition auf freiwilliger Basis voranschreitet. Das ist absolut möglich und zulässig, auch in der KMK.
Frau Stark-Watzinger dringt auf eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz. Konkret nennt sie: Digitalisierung, Daten und einheitliche Standards.
Das Problem bei allen Gemeinschaftsaufgaben ist: Wenn wir die Zuständigkeit auf zu viele Schultern verteilen, ist am Ende keiner mehr verantwortlich. Und die Bürger wissen nicht mehr, wen sie im Fall der Fälle an der Wahlurne abstrafen können. Wenn der Bund richtig einsteigen wollte, könnte man sich natürlich auf eine solche Gemeinschaftsaufgabe gesamtstaatlich verständigen. Dann reden wir aber von einem großen Programm – weit mehr als Herrn Lindners Bildungsmilliarde. Das ist weniger als ein Prozent Aufschlag, verglichen mit den jährlichen Ausgaben der Länder. Dafür brauche ich keine Bund-Länder-Kommission.
Deswegen ihr Augenrollen?
Schon. Die Ansprüche des Bundes auf Mitsprache sind wesentlich größer als das, was die Bundesregierung bereit ist, finanziell zu leisten. Das BMBF müsste sich schon substanziell beteiligten – wie beispielsweise in der Wissenschaftspolitik, wenn Sie an die Helmholtz-Gemeinschaft oder andere Forschungsorganisationen denken.
Sprechen wir über die internen Reformen der KMK. Sie unterziehen sich einer Evaluation. Wie muss ein modernes KMK-Sekretariat aufgebaut sein?
Vergangenes Wochenende titelte die FAS: Deutschland ist zu langsam. Das unterschreibe ich sofort, auch für die KMK. Unsere Beschlüsse laufen, bevor sie die Minister erreichen, durch zu viele Gremien, drehen unnötige Schleifen. Und wir wissen auch, dass sich unsere Fachleute manchmal verhaken oder nicht entscheiden, aus Sorge, sie hätten keine Prokura. Dann landen die Themen doch mindestens bei den Amtschefs, die auch direkt zu Beginn die Eckpunkte hätten klären und damit Zeit sparen können.
Immer wieder beklagen Kollegen von ihnen, in der KMK dominiere die Logik der Verwaltung – vor der Logik des Politischen. Ist das ein Problem?
Wir Minister versuchen hier gegenzusteuern. Aus meiner Sicht wären auch länger dauernde KMK-Präsidentschaften denkbar, über mehrere Jahre, vielleicht sogar mit einer Persönlichkeit außerhalb der Reihe der Minister. Das wäre das Modell des Europäischen Rats und könnte die politische Steuerung stärken. Denn die Doppelfunktion, parallel Landesinister und KMK-Präsident zu sein, ist eine enorme Belastung. Das hält man nicht lange durch, ohne den eigenen Laden zu Hause zu vernachlässigen.
Wie sehen Sie den KMK-Generalsekretär?
Das ist eine Rolle, die sich nicht wesentlich verändern muss. Es geht mehr um den Apparat, mit dem der Generalsekretär arbeitet – und dessen Freiheiten. Aber wir brauchen einen politischen Beamten, der das Scharnier bildet zwischen der politischen Steuerungsebene, die immer wieder wechselt, und der administrativen Ebene.
Müsste das Ziel nicht sein, die KMK, die gerne als Landschildkröte verspottet wird, zu einem echten Bildungs-Thinktank umzubauen, der Innovation aus der Bildungsforschung, auch aus dem Ausland, inhaliert und verarbeitet. Brauchen wir ein Helmholtz-Zentrum für Bildung?
Wie haben diese Institution geschaffen. Das ist die Ständige Wissenschaftliche Kommission.
Die SWK ist doch viel zu schlecht ausgestattet.
Gut, das Gremium gibt es erst seit zwei Jahren. Die Wissenschaftler haben jetzt ihre ersten Gutachten verfasst und werden uns schon sagen, was sie brauchen, um mehr Schlagkraft zu entwickeln.
Es gibt doch ein Vorbild: den Wissenschaftsrat.
Ja.
Das heißt, die SWK bekommt auch 100 Mitarbeiter?
Ich will es so formulieren: Die SWK-Struktur ist nicht in Stein gemeißelt. Wir sollten uns am Wissenschaftsrat orientieren, ohne ihn zu kopieren. Ohne Zweifel muss sich die SWK zu unserem zentralen Thinktank für Bildung entwickeln, zu einem echten Innovationszentrum, ordentlich ausgestattet, wo ich als Kultusminister anrufen kann. Dort müssen Wissenschaftler alle Erkenntnisse aus der Bildungsforschung bündeln und für die politische Arbeit auswerten. Aktuell wabern viele Studien herum, beauftragt von Stiftungen und Verbänden, die dann im öffentlichen Raum aufeinanderprallen. Die Bündelung ist die entscheidende Funktion. Das darf keine primär politische Funktion sein und kein administrativer Verwaltungsakt, sondern muss auf wissenschaftlicher Basis passieren. Der Wissenschaftsrat hat im Übrigen neben der Wissenschafts- auch eine Verwaltungskommission, die gemeinsam Beschlüsse fassen. Darüber müssen wir nachdenken: Gliedern wir ein Gremium aus der KMK aus oder bildet künftig das Sekretariat den administrativen Gegenpart zur SWK?
Abschließend, Sie schwärmten in einem Interview 2019 von der “Innovationskraft”, der “Transparenz”, den “Erkenntnissen” des Bildungsföderalismus. Kann es sein, dass sich der Harvard-Jurist Alexander Lorz zu sehr in der Theorie verliert?
Manchmal muss sich auch ein Minister aus den Niederungen der Tagespolitik erheben und die dahinterstehenden übergeordneten Ideen formulieren.
Seit neun Jahren ist Alexander Lorz Kultusminister in Hessen. Vor seiner Karriere bei den Christdemokraten studierte er Rechtswissenschaften in Mainz und Harvard und folgte 2000 einem Ruf als Professor an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Mehr als zwanzig Jahre nach PISA erleben wir wieder einen Schock: Die Ergebnisse bei Vergleichsarbeiten und Bildungstrends gehen immer weiter nach unten; die Zahl der Schulabbrecher*innen stagniert auf zu hohem Niveau.
Wir müssen daher kritisch hinterfragen, ob die Föderalismusreform von 2006, die als Antwort auf den PISA-Schock den kooperativen Föderalismus durch einen Wettbewerbsföderalismus ersetzt hat, der richtige Weg war. Bereits 2014 wurde die Reform mit Blick auf Hochschulen modifiziert. Ende des letzten Jahrzehnts folgten Anpassungen, um finanzielle Unterstützung der Länder durch den Bund auch im Bildungsbereich zu ermöglichen.
Als Ampel-Koalition haben wir uns klar positioniert: Wir brauchen wieder eine engere Kooperation aller Ebenen; ein Kooperationsgebot statt -verbot. Und wir haben uns auf einen Bildungsgipfel verständigt, der nun stattfindet. Es ist kein Geheimnis, dass wir als bündnisgrüne Fraktion uns gewünscht hätten, dass dieser Gipfel größer ausfällt beziehungsweise hochkarätiger besetzt ist – so wie etwa der Dresdner Bildungsgipfel 2008, als die damalige Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder das Ziel ausgerufen hat, die staatlichen Ausgaben für Bildung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.
Unabhängig von der Besetzung des Gipfels stellt sich die Frage: Was muss und kann der Gipfel leisten, was muss folgen? Wenn der Bildungsgipfel die Zusammenarbeit neu regeln soll, geht dies nicht losgelöst von inhaltlichen Themen. Antworten braucht es in drei großen Bereichen:
Sind das zu viele Themen für einen Tag? Möglich. Der Gipfel kann nur ein Auftakt sein. Dennoch sind alle drei Problemlagen eng miteinander verwoben.
Folge des Lehrkräftemangels ist, dass Schüler*innen nicht optimal gefördert werden. Das wiederum führt zu schlechten Ergebnissen in den Vergleichsarbeiten. Diese wiederum belegen, dass vielen Schüler*innen zum Ende der Grundschulzeit grundlegende Kompetenzen fehlen, ohne die sie in den weiterführenden Schulen zwangsläufig Probleme bekommen – und teilweise die Schule ohne Abschluss verlassen.
Der Schlüssel ist die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Der Lehrerberuf wird weniger attraktiv, weil die Menschen in diesem Beruf zu häufig ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Es bleibt keine Zeit, Schüler*innen individuell zu fördern, zu viel Zeit beansprucht Verwaltung, IT und Korrekturen. Die Länder müssen multiprofessionelle Teams einsetzen, schriftliche Tests reduzieren und die Lehrpläne entschlacken. So entsteht der Freiraum, um Schüler*innen in den relevanten Grundkompetenzen besser zu fördern, und damit die Abbrecher*innenquote zu senken.
Bund, Länder und Kommunen müssen beim Bildungsgipfel Einigkeit über diese Ziele herstellen, entscheidend ist jedoch die Umsetzung. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die die weitere Zusammenarbeit strukturiert und das Erreichen der gemeinsamen Ziele sichert. Auch die Wissenschaft, Verbände und Zivilgesellschaft sollten mit am Tisch sitzen.
Die AG muss die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur föderalen Zusammenarbeit diskutieren, ohne dabei nur über die Finanzierung zu sprechen. Es braucht eine offene Diskussion: Inwiefern müssen wir die Regelungen des Artikel 91b Grundgesetz ausweiten, sodass Bund und Länder nicht nur bei der Förderung von Wissenschaft und Hochschule oder mit Blick auf die Messung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zusammenwirken können, sondern Bildung generell Gemeinschaftsaufgabe wird.
Solche Diskussionen brauchen Zeit, weshalb die AG schnell auf den Weg gebracht werden, regelmäßig tagen und alle Ebenen auf Augenhöhe mitnehmen muss. Dem BMBF kommt dabei die herausfordernde Aufgabe zu, zielstrebig Inhalte zu setzen und Prozesse zu lenken und gleichzeitig niemanden auf dem Weg zu verlieren, damit bei möglicherweise im Raum stehenden Gesetzesänderungen die Länder an unserer Seite sind. Das Angebot für eine Grundgesetzänderung, sollte sie erforderlich sein, steht.
Nina Stahr ist Sprecherin für Bildung und Forschung der Grünen-Bundestagsfraktion und ausgebildete Lehrerin.
Mit Blick auf den Bildungsgipfel machen Arbeitgeber und Arbeitnehmen gemeinsame Sache: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) rufen gemeinsam dazu auf, “die Investitionen für Bildung insgesamt deutlich zu erhöhen”.
BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, sagte, das Versprechen “Aufstieg durch Bildung” gelte in Deutschland längst nicht mehr. “Das muss uns in Alarmbereitschaft versetzen.” Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzender des DGB spricht von einer drohenden “Bildungskatastrophe”. Es brauche “endlich ein entschlossenes Umsteuern und eine gemeinsame Bildungsstrategie, in die Bund, Länder, Gemeinden und Zivilgesellschaft einbezogen werden.” Mit einer einmaligen Veranstaltung werde dies nicht gelingen.
Der Spitzenverband der Arbeitgeber und der Gewerkschaftsdachverband fordern Bund, Länder und Kommunen dazu auf, sich auf eine “wirksame Strategie” zu verständigen, damit mehr Schüler die Mindeststandards und einen Schulabschluss erreichen. Bund und Länder sollten gemeinsam gegen den Lehrermangel vorgehen. Außerdem bräuchte es mehr Personal in der frühkindlichen Bildung. Ein “Wettlauf zwischen den Bundesländern” führe hier nicht weiter.
Beim Startchancen-Programm sollten Schulen nach Sozialindizes und mit ausreichend Geld finanziert werden. Der Ausbau des Ganztages solle mit einer Qualitätsoffensive verbunden werden. Beim Digitalpakt 2.0 müsste das Geld “unbürokratisch und schnell” an die Schulen kommen.
Zu wenig schaue die Politik bisher auf Berufsschulen, an denen der Lehrkräftemangel ebenfalls “eklatant” sei. “Die Bedeutung der beruflichen Bildung wird oft verkannt”, heißt es in der Stellungnahme. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, hole einen Abschluss oft an einer Berufsschule nach. Zudem bräuchten die Betriebe die Berufsschulen als Partner in der dualen Ausbildung. Die Sozialpartner fordern, dass Bund und Länder “dringend den Pakt für Berufliche Schulen starten und in Ausbildungskonzepte, Gebäude, Ausstattung und Lehrkräfte investieren.”
Insgesamt brauche es “konkrete und verbindliche Maßnahmen und Meilensteine” von Bund, Ländern und Kommunen. Die BDA hatte neulich schon Forderungen für eine bessere Schulqualität erhoben (zum Download). Diese hat sie gemeinsam mit der DGB jetzt bekräftigt und stellenweise ausgeweitet. Anna Parrisius
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat tiefgreifende Reformen im Schul- und Bildungssystem gefordert. Sie sagte der Bild am Sonntag: “Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft.” Bund, Länder und Kommunen müssten in der Bildung an einem Strang ziehen. Der Bund könne nicht immer weiter Geld geben. “Wir müssen endlich an die strukturellen Probleme ran. Das wird nur mit einer neuen Form und Kultur der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten gehen. Wir müssen ein Team Bildung aufstellen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen.”
Die Bildungsministerin sagte der Zeitung, besonders bei der Digitalisierung brauche es “mehr Tempo”. “Von den fünf Milliarden Euro des eigentlichen Digitalpakts ist zwar schon viel verplant, aber noch zu wenig an den Schulen angekommen. Das liegt auch an der zu bürokratischen Umsetzung.” Zugleich kritisierte Stark-Watzinger, dass vielerorts Schulgebäude marode seien: “Es stimmt, dass die Schulen in Deutschland teilweise in einem schlimmen Zustand sind. Nicht nur bei der Digitalisierung gibt es Defizite, sondern auch in Bezug auf sanitäre Anlagen und Turnhallen. Der Investitionsstau muss parallel zur Digitalisierung angegangen werden.” dpa
stellen Sie sich vor, es ist Bundes-Bildungsgipfel – und keiner geht hin. Die Mehrheit der Länderminister hat die Einladung aus dem BMBF zum morgigen Gipfelgespräch ausgeschlagen, ein politischer Affront. Einer der dienstältesten Kultusminister, Alexander Lorz aus Hessen, erklärt seine Absage im Interview. Für den Koordinator der Bildungspolitik der CDU-Länder ist das morgige Treffen in Berlin zu inhaltsleer und unprofessionell vorbereitet. Im Gespräch mit Moritz Baumann umreißt er längst überfällige Reformen. Sie würden das Verhältnis zwischen den Ländern sowie die Arbeit in der KMK neu ordnen – und der Ständigen Wissenschaftlichen Kommissionen eine zentrale Rolle zuweisen.
Ja, Ideen für einen Neustart sprießen allerorts. Doch gibt es tatsächlich ein bildungspolitisches Momentum? Der Bildungsgipfel war im Koalitionsvertrag vereinbart, findet nun in Kleinstform statt. Doch die Realität – IQB-Schock, Pandemie-Folgen, Lehrermangel, Fachkräftemangel – hat das Thema auf die tagespolitische Agenda gesetzt. Plötzlich interessiert sich die “Bildungsrepublik Deutschland” (A. Merkel) wieder für die Realität an den Schulen. Mit dieser Energie hat das BMBF möglicherweise nicht gerechnet.
Kritik am Format und fehlender symbolischer Kraft des Gipfels kommt selbst aus den eigenen Reihen. Nina Stahr, die im Bundestag die grüne Bildungspolitik koordiniert, erinnert in ihrem Standpunkt an den Dresdener Bildungsgipfel von 2008, als die Bundeskanzlerin alle Ministerpräsidenten um einen Tisch versammelte. Das Format wäre auch 2023 angemessen gewesen. Vor dem morgigen Minigipfel machen sogar Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsame Sache. In einem Statement, das Table.Media exklusiv vorliegt, fordern sie größere politische Anstrengung, um die “Bildungskatastrophe” abzuwenden.
Wie eine neue Steuerung des Bildungssystems aussehen könnte, diskutieren wir heute Mittag mit Ex-Bundesinnenminister und Bildungsreformer Thomas de Maizère, KMK-Generalsekretär Udo Michallik und Ekkehard Winter von der Telekom-Stiftung. Melden Sie sich hier noch zum Live-Briefing an. Um 12.30 Uhr geht es los.
Kommen Sie gut in diese bildungspolitisch besonders spannende Woche.
Herr Lorz, wollen Sie Frau Stark-Watzinger scheitern sehen?
Nein. Wir brauchen eine gute Zusammenarbeit. Es gibt Aufgaben wie den neuen Digitalpakt, die können wir nur gemeinsam lösen. Anderswo sollte sich eine Bundesbildungsministerin lieber nicht einmischen und uns in Ruhe arbeiten lassen.
Wo genau?
In unserem Kerngeschäft, bei der Gestaltung von Schule, bei pädagogischen Konzepten, dem Personal, den Curricula.
Stattdessen fordert Bettina Stark-Watzinger in der BILD eine leistungsorientierte Lehrerbezahlung. Nehmen Sie ihr das übel?
Wir alle kennen die Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie, insofern habe ich ein gewisses Verständnis für solche Aktionen. Nur: Es führt uns nicht weiter. Deswegen gehe ich nach solchen Interviews einfach zur Tagesordnung über.
Wir müssen über den Bildungsgipfel sprechen. Frau Stark-Watzinger hatte Sie morgen nach Berlin eingeladen, um eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu begründen. Sie haben als Koordinator der B-Länder abgesagt, genauso alle Ihre CDU-Kollegen. Das war nicht nett.
Das BMBF hätte einen solchen Gipfel professionell vorbereiten müssen; weder der Termin noch Format und Inhalte waren mit uns abgesprochen. Schon in der Planung hätte die Ministerin alle Akteure an einen Tisch holen müssen, dann hätte man inhaltliche Pflöcke einschlagen können. Ideal wäre eine Arbeitsgruppe gewesen, in der wir Themen beraten und die auf einem Bildungsgipfel zusammenführen – aber am Ende des Prozesses. Das BMBF zäumt das Pferd vom Schwanz auf. Und im Übrigen: Am selben Tag findet bei uns in Hessen ein Ausbildungsgipfel statt.
Haben Sie ihre Handynummer?
Da muss ich nachschauen (scrollt durch seine Handykontakte). Nein, ich habe sie nicht (lacht). Aber unsere Büros sind im Kontakt. Es ist nicht so, dass wir uns verschanzen.
Warum rufen Sie in einem solchen Moment nicht einfach an? Es sagt doch viel aus, dass Sie nicht einmal den informellen SMS-Draht nach Berlin haben.
Nicht, dass wir uns missverstehen. Es gibt keinen Zwist auf der persönlichen Ebene. Wir haben nach meiner Absage miteinander telefoniert. Ich habe die terminlichen Zwänge erläutert und ein paar Tipps gegeben, wie so etwas in Zukunft besser laufen könnte.
Okay, doof gelaufen. Warum ergreifen jetzt nicht die Länder die Initiative und planen einen strukturierten Prozess, um den Brocken der Bund-Länder-Zusammenarbeit zu bearbeiten?
Das tun wir kontinuierlich. Um es plakativ zu sagen: Wir haben alle drei Monate Bildungsgipfel; der nennt sich Kultusministerkonferenz, an der die Bundesbildungsministerin jederzeit teilnehmen kann. Und das tut sie sogar auch zwei Tage später bei unserer KMK-Sitzung – Kompliment an dieser Stelle.
Und dennoch erleben Sie seit neun Jahren, wie quälend langsam sich das Bildungssystem wandelt. Woran hakt es?
Das liegt in der Natur des Bildungssystems. Es ist ein großer Tanker. In Hessen haben wir knapp 800.000 Schülerinnen und Schüler, aber auch 1,6 Millionen Eltern, knapp 2000 Schulen, fast 65.000 Lehrer. Bis eine grundlegende Reform alle Schichten so durchlaufen hat, dass sie nicht nur auf dem Papier steht, sondern an den Schulen gelebt wird, braucht es eine Generation.
Mit Verlaub, die Ministerien haben es sich in dieser Trägheit auch bequem gemacht. Sogar ihre Parteifreundin Karin Prien sagt, ein Kernproblem sei das Modell der freiwilligen Selbstkoordination. Heißt: Jeder kann, aber keiner muss. Es gibt keinerlei Verbindlichkeit.
Die Analyse ist richtig, wobei es verschiedene Modelle für mehr Verbindlichkeit gibt. Den Zentralisten schwebt vor: ein Minister in Berlin macht die Ansagen und dann läuft das. Doch das funktioniert nur, wenn es die richtigen Ansagen sind. In Deutschland haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Schule gestaltet sein muss. Da ist das Dekretieren von oben keine Lösung. Wir Kultusminister sind uns aber auch darüber im Klaren: Wenn wir zulassen, dass über die freiwillige Selbstkoordination alles auseinanderläuft, verlieren wir das Vertrauen der Bevölkerung. Aus dieser Erkenntnis ist im Jahr 2020 eine umfassende Ländervereinbarung entstanden (zum Download) – erstmalig seit über 60 Jahren, wenngleich ich mir einen echten Staatsvertrag gewünscht hätte, ratifiziert durch die Parlamente. Jetzt arbeiten wir gerade an den daraus folgenden politischen Vorhaben.
Wären sie bereit, das Grundgesetz zu ändern – nicht um mehr Aufgaben nach Berlin zu delegieren, sondern um die Länder zur Zusammenarbeit zu verpflichten, einschließlich verbindlicher Beschlüsse?
Wenn man sich entscheidet, das Grundgesetz anzupacken, wäre das wohl der richtige Weg – besser jedenfalls, als das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu zu justieren. Eine Option wäre zum Beispiel, über die Verfassung verbindliche Mehrheitsentscheidungen in der KMK einzuführen. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, der KMK klare Zeitfenster vorzugeben. Das heißt: Wenn in einem bestimmten Aufgabengebiet beispielsweise die Minister nicht binnen zwei Jahren entscheiden, darf der Bund die Initiative ergreifen.
Das klingt doch charmant.
Es ist zumindest ein diskussionsfähiger Ansatz. Er adressiert aber nicht unser zentrales Problem. Der Föderalismus ist wie ein Sack, auf den alle einprügeln können und in dem aus Sicht der Öffentlichkeit alle Probleme stecken. Das stimmt aber nicht.
Gehen die Kultusminister eine solche Verfassungsreform an?
Eine Grundgesetzänderung hat in der KMK aktuell keine Priorität.
… obwohl es ein guter Vorschlag ist?
Ja, denn es ist kein vordringliches Problem. Themen, bei denen wir uns einig sind, bearbeiten wir sowieso gemeinsam. Und alle Minister wissen, dass ein solcher Mechanismus zur Folge hätte, dass irgendeine Seite untergebuttert würde.
Genau. Das ist der Sinn eines solchen Mechanismus.
Aber wir müssen uns über den Preis im Klaren sein.
Wäre Hessen bereit, den Preis zu zahlen?
Das schaue ich mir dann im Detail an. Ich bleibe dabei: Wir haben unsere Möglichkeiten im aktuellen Rechtsrahmen noch nicht ausgeschöpft. Ich kann mir auch vorstellen, dass eine Mehrheit der Länder als Koalition auf freiwilliger Basis voranschreitet. Das ist absolut möglich und zulässig, auch in der KMK.
Frau Stark-Watzinger dringt auf eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz. Konkret nennt sie: Digitalisierung, Daten und einheitliche Standards.
Das Problem bei allen Gemeinschaftsaufgaben ist: Wenn wir die Zuständigkeit auf zu viele Schultern verteilen, ist am Ende keiner mehr verantwortlich. Und die Bürger wissen nicht mehr, wen sie im Fall der Fälle an der Wahlurne abstrafen können. Wenn der Bund richtig einsteigen wollte, könnte man sich natürlich auf eine solche Gemeinschaftsaufgabe gesamtstaatlich verständigen. Dann reden wir aber von einem großen Programm – weit mehr als Herrn Lindners Bildungsmilliarde. Das ist weniger als ein Prozent Aufschlag, verglichen mit den jährlichen Ausgaben der Länder. Dafür brauche ich keine Bund-Länder-Kommission.
Deswegen ihr Augenrollen?
Schon. Die Ansprüche des Bundes auf Mitsprache sind wesentlich größer als das, was die Bundesregierung bereit ist, finanziell zu leisten. Das BMBF müsste sich schon substanziell beteiligten – wie beispielsweise in der Wissenschaftspolitik, wenn Sie an die Helmholtz-Gemeinschaft oder andere Forschungsorganisationen denken.
Sprechen wir über die internen Reformen der KMK. Sie unterziehen sich einer Evaluation. Wie muss ein modernes KMK-Sekretariat aufgebaut sein?
Vergangenes Wochenende titelte die FAS: Deutschland ist zu langsam. Das unterschreibe ich sofort, auch für die KMK. Unsere Beschlüsse laufen, bevor sie die Minister erreichen, durch zu viele Gremien, drehen unnötige Schleifen. Und wir wissen auch, dass sich unsere Fachleute manchmal verhaken oder nicht entscheiden, aus Sorge, sie hätten keine Prokura. Dann landen die Themen doch mindestens bei den Amtschefs, die auch direkt zu Beginn die Eckpunkte hätten klären und damit Zeit sparen können.
Immer wieder beklagen Kollegen von ihnen, in der KMK dominiere die Logik der Verwaltung – vor der Logik des Politischen. Ist das ein Problem?
Wir Minister versuchen hier gegenzusteuern. Aus meiner Sicht wären auch länger dauernde KMK-Präsidentschaften denkbar, über mehrere Jahre, vielleicht sogar mit einer Persönlichkeit außerhalb der Reihe der Minister. Das wäre das Modell des Europäischen Rats und könnte die politische Steuerung stärken. Denn die Doppelfunktion, parallel Landesinister und KMK-Präsident zu sein, ist eine enorme Belastung. Das hält man nicht lange durch, ohne den eigenen Laden zu Hause zu vernachlässigen.
Wie sehen Sie den KMK-Generalsekretär?
Das ist eine Rolle, die sich nicht wesentlich verändern muss. Es geht mehr um den Apparat, mit dem der Generalsekretär arbeitet – und dessen Freiheiten. Aber wir brauchen einen politischen Beamten, der das Scharnier bildet zwischen der politischen Steuerungsebene, die immer wieder wechselt, und der administrativen Ebene.
Müsste das Ziel nicht sein, die KMK, die gerne als Landschildkröte verspottet wird, zu einem echten Bildungs-Thinktank umzubauen, der Innovation aus der Bildungsforschung, auch aus dem Ausland, inhaliert und verarbeitet. Brauchen wir ein Helmholtz-Zentrum für Bildung?
Wie haben diese Institution geschaffen. Das ist die Ständige Wissenschaftliche Kommission.
Die SWK ist doch viel zu schlecht ausgestattet.
Gut, das Gremium gibt es erst seit zwei Jahren. Die Wissenschaftler haben jetzt ihre ersten Gutachten verfasst und werden uns schon sagen, was sie brauchen, um mehr Schlagkraft zu entwickeln.
Es gibt doch ein Vorbild: den Wissenschaftsrat.
Ja.
Das heißt, die SWK bekommt auch 100 Mitarbeiter?
Ich will es so formulieren: Die SWK-Struktur ist nicht in Stein gemeißelt. Wir sollten uns am Wissenschaftsrat orientieren, ohne ihn zu kopieren. Ohne Zweifel muss sich die SWK zu unserem zentralen Thinktank für Bildung entwickeln, zu einem echten Innovationszentrum, ordentlich ausgestattet, wo ich als Kultusminister anrufen kann. Dort müssen Wissenschaftler alle Erkenntnisse aus der Bildungsforschung bündeln und für die politische Arbeit auswerten. Aktuell wabern viele Studien herum, beauftragt von Stiftungen und Verbänden, die dann im öffentlichen Raum aufeinanderprallen. Die Bündelung ist die entscheidende Funktion. Das darf keine primär politische Funktion sein und kein administrativer Verwaltungsakt, sondern muss auf wissenschaftlicher Basis passieren. Der Wissenschaftsrat hat im Übrigen neben der Wissenschafts- auch eine Verwaltungskommission, die gemeinsam Beschlüsse fassen. Darüber müssen wir nachdenken: Gliedern wir ein Gremium aus der KMK aus oder bildet künftig das Sekretariat den administrativen Gegenpart zur SWK?
Abschließend, Sie schwärmten in einem Interview 2019 von der “Innovationskraft”, der “Transparenz”, den “Erkenntnissen” des Bildungsföderalismus. Kann es sein, dass sich der Harvard-Jurist Alexander Lorz zu sehr in der Theorie verliert?
Manchmal muss sich auch ein Minister aus den Niederungen der Tagespolitik erheben und die dahinterstehenden übergeordneten Ideen formulieren.
Seit neun Jahren ist Alexander Lorz Kultusminister in Hessen. Vor seiner Karriere bei den Christdemokraten studierte er Rechtswissenschaften in Mainz und Harvard und folgte 2000 einem Ruf als Professor an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Mehr als zwanzig Jahre nach PISA erleben wir wieder einen Schock: Die Ergebnisse bei Vergleichsarbeiten und Bildungstrends gehen immer weiter nach unten; die Zahl der Schulabbrecher*innen stagniert auf zu hohem Niveau.
Wir müssen daher kritisch hinterfragen, ob die Föderalismusreform von 2006, die als Antwort auf den PISA-Schock den kooperativen Föderalismus durch einen Wettbewerbsföderalismus ersetzt hat, der richtige Weg war. Bereits 2014 wurde die Reform mit Blick auf Hochschulen modifiziert. Ende des letzten Jahrzehnts folgten Anpassungen, um finanzielle Unterstützung der Länder durch den Bund auch im Bildungsbereich zu ermöglichen.
Als Ampel-Koalition haben wir uns klar positioniert: Wir brauchen wieder eine engere Kooperation aller Ebenen; ein Kooperationsgebot statt -verbot. Und wir haben uns auf einen Bildungsgipfel verständigt, der nun stattfindet. Es ist kein Geheimnis, dass wir als bündnisgrüne Fraktion uns gewünscht hätten, dass dieser Gipfel größer ausfällt beziehungsweise hochkarätiger besetzt ist – so wie etwa der Dresdner Bildungsgipfel 2008, als die damalige Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder das Ziel ausgerufen hat, die staatlichen Ausgaben für Bildung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.
Unabhängig von der Besetzung des Gipfels stellt sich die Frage: Was muss und kann der Gipfel leisten, was muss folgen? Wenn der Bildungsgipfel die Zusammenarbeit neu regeln soll, geht dies nicht losgelöst von inhaltlichen Themen. Antworten braucht es in drei großen Bereichen:
Sind das zu viele Themen für einen Tag? Möglich. Der Gipfel kann nur ein Auftakt sein. Dennoch sind alle drei Problemlagen eng miteinander verwoben.
Folge des Lehrkräftemangels ist, dass Schüler*innen nicht optimal gefördert werden. Das wiederum führt zu schlechten Ergebnissen in den Vergleichsarbeiten. Diese wiederum belegen, dass vielen Schüler*innen zum Ende der Grundschulzeit grundlegende Kompetenzen fehlen, ohne die sie in den weiterführenden Schulen zwangsläufig Probleme bekommen – und teilweise die Schule ohne Abschluss verlassen.
Der Schlüssel ist die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Der Lehrerberuf wird weniger attraktiv, weil die Menschen in diesem Beruf zu häufig ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Es bleibt keine Zeit, Schüler*innen individuell zu fördern, zu viel Zeit beansprucht Verwaltung, IT und Korrekturen. Die Länder müssen multiprofessionelle Teams einsetzen, schriftliche Tests reduzieren und die Lehrpläne entschlacken. So entsteht der Freiraum, um Schüler*innen in den relevanten Grundkompetenzen besser zu fördern, und damit die Abbrecher*innenquote zu senken.
Bund, Länder und Kommunen müssen beim Bildungsgipfel Einigkeit über diese Ziele herstellen, entscheidend ist jedoch die Umsetzung. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die die weitere Zusammenarbeit strukturiert und das Erreichen der gemeinsamen Ziele sichert. Auch die Wissenschaft, Verbände und Zivilgesellschaft sollten mit am Tisch sitzen.
Die AG muss die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur föderalen Zusammenarbeit diskutieren, ohne dabei nur über die Finanzierung zu sprechen. Es braucht eine offene Diskussion: Inwiefern müssen wir die Regelungen des Artikel 91b Grundgesetz ausweiten, sodass Bund und Länder nicht nur bei der Förderung von Wissenschaft und Hochschule oder mit Blick auf die Messung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zusammenwirken können, sondern Bildung generell Gemeinschaftsaufgabe wird.
Solche Diskussionen brauchen Zeit, weshalb die AG schnell auf den Weg gebracht werden, regelmäßig tagen und alle Ebenen auf Augenhöhe mitnehmen muss. Dem BMBF kommt dabei die herausfordernde Aufgabe zu, zielstrebig Inhalte zu setzen und Prozesse zu lenken und gleichzeitig niemanden auf dem Weg zu verlieren, damit bei möglicherweise im Raum stehenden Gesetzesänderungen die Länder an unserer Seite sind. Das Angebot für eine Grundgesetzänderung, sollte sie erforderlich sein, steht.
Nina Stahr ist Sprecherin für Bildung und Forschung der Grünen-Bundestagsfraktion und ausgebildete Lehrerin.
Mit Blick auf den Bildungsgipfel machen Arbeitgeber und Arbeitnehmen gemeinsame Sache: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) rufen gemeinsam dazu auf, “die Investitionen für Bildung insgesamt deutlich zu erhöhen”.
BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, sagte, das Versprechen “Aufstieg durch Bildung” gelte in Deutschland längst nicht mehr. “Das muss uns in Alarmbereitschaft versetzen.” Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzender des DGB spricht von einer drohenden “Bildungskatastrophe”. Es brauche “endlich ein entschlossenes Umsteuern und eine gemeinsame Bildungsstrategie, in die Bund, Länder, Gemeinden und Zivilgesellschaft einbezogen werden.” Mit einer einmaligen Veranstaltung werde dies nicht gelingen.
Der Spitzenverband der Arbeitgeber und der Gewerkschaftsdachverband fordern Bund, Länder und Kommunen dazu auf, sich auf eine “wirksame Strategie” zu verständigen, damit mehr Schüler die Mindeststandards und einen Schulabschluss erreichen. Bund und Länder sollten gemeinsam gegen den Lehrermangel vorgehen. Außerdem bräuchte es mehr Personal in der frühkindlichen Bildung. Ein “Wettlauf zwischen den Bundesländern” führe hier nicht weiter.
Beim Startchancen-Programm sollten Schulen nach Sozialindizes und mit ausreichend Geld finanziert werden. Der Ausbau des Ganztages solle mit einer Qualitätsoffensive verbunden werden. Beim Digitalpakt 2.0 müsste das Geld “unbürokratisch und schnell” an die Schulen kommen.
Zu wenig schaue die Politik bisher auf Berufsschulen, an denen der Lehrkräftemangel ebenfalls “eklatant” sei. “Die Bedeutung der beruflichen Bildung wird oft verkannt”, heißt es in der Stellungnahme. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, hole einen Abschluss oft an einer Berufsschule nach. Zudem bräuchten die Betriebe die Berufsschulen als Partner in der dualen Ausbildung. Die Sozialpartner fordern, dass Bund und Länder “dringend den Pakt für Berufliche Schulen starten und in Ausbildungskonzepte, Gebäude, Ausstattung und Lehrkräfte investieren.”
Insgesamt brauche es “konkrete und verbindliche Maßnahmen und Meilensteine” von Bund, Ländern und Kommunen. Die BDA hatte neulich schon Forderungen für eine bessere Schulqualität erhoben (zum Download). Diese hat sie gemeinsam mit der DGB jetzt bekräftigt und stellenweise ausgeweitet. Anna Parrisius
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat tiefgreifende Reformen im Schul- und Bildungssystem gefordert. Sie sagte der Bild am Sonntag: “Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft.” Bund, Länder und Kommunen müssten in der Bildung an einem Strang ziehen. Der Bund könne nicht immer weiter Geld geben. “Wir müssen endlich an die strukturellen Probleme ran. Das wird nur mit einer neuen Form und Kultur der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten gehen. Wir müssen ein Team Bildung aufstellen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen.”
Die Bildungsministerin sagte der Zeitung, besonders bei der Digitalisierung brauche es “mehr Tempo”. “Von den fünf Milliarden Euro des eigentlichen Digitalpakts ist zwar schon viel verplant, aber noch zu wenig an den Schulen angekommen. Das liegt auch an der zu bürokratischen Umsetzung.” Zugleich kritisierte Stark-Watzinger, dass vielerorts Schulgebäude marode seien: “Es stimmt, dass die Schulen in Deutschland teilweise in einem schlimmen Zustand sind. Nicht nur bei der Digitalisierung gibt es Defizite, sondern auch in Bezug auf sanitäre Anlagen und Turnhallen. Der Investitionsstau muss parallel zur Digitalisierung angegangen werden.” dpa