von Inklusion sind Schulen in Deutschland noch weit entfernt. Aktuelle Zahlen der Bertelsmann Stiftung lassen zwar auf den ersten Blick etwas anderes vermuten: Danach wird zumindest bei weniger Kindern ein Förderbedarf diagnostiziert. Aber mein Kollege Holger Schleper hat sich die Zahlen noch mal ganz genau angeschaut. Zu welchem überraschenden Ergebnis er kommt, verrate ich an dieser Stelle aber noch nicht.
Ähnlich halbgar sieht es beim Thema Übergang von der Schule in die Ausbildung aus. Es klingt nach einem Meilenstein, dass alle Bundesländer ab dem kommenden Schuljahr Daten von Schulabgängern an die Agenturen für Arbeit melden. So sollen Jugendliche mit Beratungsbedarf besser erreicht werden. Gute Idee, aber dass es bei der Umsetzung noch gewaltig ruckelt, hat Anna Parrisius recherchiert.
Aus dem Ruckeln kommt auch das BMBF nach dem Rausschmiss von Staatssekretärin Sabine Döring vorerst nicht heraus. Eine Nachfolge gibt es noch nicht, und damit schickt das BMBF nun erst mal nur Abteilungsleiter in die nächste Verhandlungsrunde zum Digitalpakt. Fraglich, ob so überhaupt etwas Verhandlungsfähiges herauskommen kann.
Es gibt also noch eine Menge Baustellen, aber im nun endlich ausgebrochenen Sommer sehen sie machbar aus. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin viel Sonne!
Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich: Erstmals seit dem Zeitraum 2008/2009 ist in Deutschland der Anteil der Schüler mit Förderbedarf gesunken. Das geht aus dem jüngsten Papier “Status quo: Inklusion an Deutschlands Schulen” der Bertelsmann Stiftung hervor. Für das Schuljahr 2022/23 lag die Förderquote bei 7,6 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Von 7.680.319 Schülerinnen und Schülern (Jahrgangsstufen 1 bis 9 bzw. 10) hatten 581.265 einen Förderbedarf. 2021/22 hatte die Förderquote bei 7,8 Prozent gelegen.
Deutet sich damit eine Trendwende an? Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 hatte sich Deutschland verpflichtet, die Umsetzung eines inklusiven Schulsystems voranzutreiben. Seinerzeit lag die Förderquote bei 5,9 Prozent. Seither ist sie Jahr für Jahr gewachsen. Der UN-Ausschuss hat Deutschland bei seiner Staatenprüfung zuletzt ein schlechtes Zeugnis zur Umsetzung der Inklusion ausgestellt.
Chantal Lepper, Mitautorin der aktuellen Bertelsmann-Veröffentlichung, vermutet, dass sich daran bei näherer Betrachtung nichts geändert hat. “Dass die Förderquote erstmals gesunken ist, könnte daran liegen, dass viele neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler im System sind.” In vielen Fällen könne nicht sofort eine Diagnose gestellt oder ein Förderbedarf attestiert werden.
Noch deutlicher wird Dirk Zorn, Direktor des Programms “Bildung und Next Generation” der Bertelsmann Stiftung. “2022 hatten wir einen Zuwachs von mehr als 300.000 Schülerinnen und Schülern. In den Jahren davor lag der Wert um die 35.000.” Wenn man diesen außergewöhnlichen Anstieg herausrechne, steige die Förderquote weiter. “Wir wären dann bei etwa 7,9 Prozent.” Das Wachstum setzt sich also ungebremst fort.
Wie die KMK die einzelnen Förderschwerpunkte definiert, lässt sich in dieser Liste nachlesen. Sie stammt aus der KMK-Dokumentation “Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2013 bis 2022“. Blickt man genauer auf die einzelnen Förderschwerpunkte, gibt es beträchtliche Unterschiede. Das hat der nationale Bildungsbericht vor wenigen Tagen nochmals untermauert. Demnach steigt vor allem in drei Bereichen die Zahl der Schülerinnen und Schüler:
Angesichts des grundsätzlichen Wachstums der Förderquoten rückt die Frage nach den Ursachen einmal mehr in den Vordergrund. “Ein Grund könnte sein, dass es ja noch immer einen Ressourcenvorteil bedeutet, wenn Kinder etikettiert werden”, erklärte Rolf Werning, Professor für Sonderpädagogik an der Leibniz Universität Hannover, Table.Briefings. Eine Vermutung, die viele Inklusionsfachleute äußern und die im nationalen Bildungsbericht ebenfalls ihren Platz hat. Auch dort wird das sogenannte “Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma” angeführt. Kurz gesagt: Einzelne Schulen erhalten mehr Ressourcen, wenn sie mehr Schüler mit Förderbedarf haben.
Was Werning noch anführt: In allen Bundesländern gebe es Entwicklungen, Schüler mit Unterstützungsbedarf an allgemeinbildenden Schulen zu fördern. “Dies führt dazu, dass die Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf nicht automatisch die Umschulung an eine Förderschule nach sich zieht.” Auch das könne die Bereitschaft erhöhen, die Feststellung eines Förderbedarfs einzuleiten.
Grundsätzlich stellt Werning der Umsetzung der Inklusion in Deutschland allerdings kein gutes Zeugnis aus. “Den Turnaround bei der Inklusion haben wir nicht geschafft. Das deutsche Schulsystem ist weiterhin strukturell selektiv.” Das Bertelsmann-Papier weist aus, dass die Exklusionsquote seit 2008/2009 gerade mal um 0,6 gesunken ist, von 4,8 auf 4,2 Prozent. Die Exklusionsquote beschreibt den Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die separiert an Förderschulen unterrichtet werden.
Im nationalen Bildungsbericht liest sich das Urteil zu dieser Entwicklung wie ein freundlich formulierter Offenbarungseid. Die Autoren sprechen von einer allenfalls zögerlichen “Annäherung an die Zielsetzung der UN-Konvention, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen nicht vom allgemeinen Schulsystem auszuschließen.”
Allerdings: Zahlen allein können nicht immer die ganze Geschichte transportieren. Darauf weist Werning nachdrücklich hin. “In vielen Bundesländern entwickeln sich ,maskierte Förderschulen’ im Bereich von Haupt- und Oberschulen.” In Hannover – als Beispiel – gebe es Oberschulen mit Klassen, in denen 50 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Und bei der anderen Hälfte handele es sich ebenfalls um marginalisierte Kinder. “Die Kinder mit Förderbedarf gelten dann als integriert – aber das ist eben keine Inklusion.”
Für den Wissenschaftler aus Hannover ist das “ein Skandal”. Seine Forderung lautet: “Wir müssen das selektive Schulsystem verändern, hin zu einem Zwei-Säulen-Modell. Das heißt, neben dem Gymnasium gibt es eine gleichwertige Schulform, die auch alle Abschlüsse anbietet.” Und die müsse dann so ausgestattet sein, dass sie den Anforderungen einer erhöhten Heterogenität auch gerecht werden kann.
Wernig fordert politischen Mut ein. Und ist auch überzeugt, dass sich die Lehrkräftebildung ändern muss, “weg von schulformbezogenen Lehrämtern und einem eigenständigen Lehramt Sonderpädagogik”. Unter anderem mit Michael Wrase, leitender Bildungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, hat er einen prominenten Fürsprecher. Im Gespräch mit Table.Briefings plädierte Wrase dafür, “sonderpädagogische Inhalte breiter in der Lehramtsausbildung zu verankern”.
Werning macht es noch konkreter: Es müsse darauf hinauslaufen, dass es die Lehramtstypen Primarstufe, Sekundarstufe 1 und 2 sowie berufsbildende Schulen gebe. “Und Sonderpädagogik kann dann als Studienfach integriert werden – wie dies zum Beispiel in Berlin umgesetzt wurde.”
Es klingt wie ein Meilenstein: Ab kommendem Schuljahr wollen alle Bundesländer den Agenturen für Arbeit Daten von Schulabgängern melden, die “keine konkrete berufliche Anschlussperspektive” haben, wie es in der Schülerdatennorm heißt (SGB III § 31a). 2020 trat sie in Kraft. Für ihre Umsetzung mussten die Länder noch eigene Regelungen schaffen. Als letzte ziehen jetzt das Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach, das ergab eine Länderabfrage von Table.Briefings.
Erst kürzlich zeigte der nationale Bildungsbericht, dass die Zahl der Schüler, die nicht direkt eine Ausbildung starten, gestiegen ist. Sie drohen, ganz ohne Ausbildung zu bleiben. Da ist es ein kleiner Fortschritt, dass die Arbeitsagenturen künftig in allen Ländern Schulabgängern, die noch keine Anschlussperspektive haben, Berufsberatung anbieten können. Dreimal dürfen sie den Jugendlichen dafür Post schicken. Reagiert ein Jugendlicher nicht, sind die Agenturen mit ihrem Latein aber schon am Ende. Außer, die Länder erlauben auch den nächsten Schritt: Die Rückübermittlung der Daten von den Agenturen für Arbeit, damit das Land noch selbst auf die jungen Menschen zugehen kann. Das erlauben nach wie vor nur Bremen, Bayern und Hamburg.
Die drei Länder haben dafür jeweils ein eigenes Verfahren entwickelt:
Werden Schulabgänger ohne berufliche Perspektive erreicht, ist zentral, wie gut Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Ein Schlüssel dafür ist die Einrichtung von Jugendberufsagenturen, einem Kooperationsbündnis der drei Akteure. Das Ziel: den Jugendlichen Hilfe aus einer Hand anzubieten – egal, ob sie Berufsberatung, Suchtberatung oder psychosoziale Unterstützung benötigen. Auf dem Papier sind die Kommunen hier schon weit: 356 aller rund 400 Kommunen haben inzwischen eine JBA. In der Realität sind diese Bündnisse aber sehr unterschiedlich weit entwickelt.
Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), betonte kürzlich bei der Bildungskonferenz von DGB und BDA, es sei heute schwerer, Jugendliche zu erreichen, als noch vor der Pandemie. “Wir müssen sie mehr aufsuchen.” Inzwischen gingen Berufsberater auch mal am Wochenende zur Halfpipe – dorthin, wo junge Leute sind.
Zwar seien die 4.200 Berufsberater der BA im vergangenen Ausbildungsjahr wieder mit einer Million Jugendlichen ins Gespräch gekommen, wie noch vor Corona. Doch sie erreichten nicht die gleichen Ergebnisse. “Wir müssen wesentlich mehr Zeit investieren, um die Jugendlichen abzuholen.” Die Jugendlichen hätten deutlich mehr Probleme, Depressionen und Ängste seien ein großes Thema. Manche verfassten mit ihrem Berufsberater zwar eine Bewerbung, schickten sie dann aber nicht ab, aus Angst vor einer Absage.
“Schwierig wird es in aller Regel, wenn die Jugendlichen zwei, drei Jahre aus der Schule raus sind”, sagte Dagmar Brendel, Geschäftsführerin des Jobcenters Berlin-Neukölln. Es fehle ihnen dann an praktischen Erlebnissen und Feedback, was sie gut können. “Dann können wir oft nur ganz kleine Schritte machen.”
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Bei der Übertragung von Schülerdaten an die Arbeitsagenturen, die bald alle Bundesländer ermöglichen wollen, ruckelt es jedoch noch. In NRW bekamen die Arbeitsagenturen zum Beispiel vor Kurzem auf einen Schlag die Daten von 25.000 Schülern “über den Zaun gekippt”, sagte BA-Chefin Nahles. “Das müssen wir jetzt erstmal aufarbeiten.”
Nicht alle Bundesländer melden zudem Schulabgänger aller Schularten. Brandenburg meldet nur Jugendliche, die bereits in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen des Landes, also im Übergangssektor, sind. Hamburg und Hessen teilen mit, dass sie bisher Schüler der gymnasialen Oberstufe ausnehmen.
Dem Staatsministerium für Kultus in Sachsen zufolge bedarf es “seitens der Bundesagentur für Arbeit noch der Schärfung der Kriterien, welche Personengruppe genau zu den Schülerinnen und Schülern ohne berufliche Anschlussperspektive zählt und zu welchem Zeitpunkt die Datenübermittlung sinnvoll ist.”
Mehr Orientierung brauche es auch für die Jugendberufsagenturen – und zusätzliche Ressourcen. Das findet Frank Neises, der im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums die Servicestelle Jugendberufsagenturen leitet. Sie soll die Entwicklung der JBA unterstützen. “Im Sozialrecht sind Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendhilfe zwar grundsätzlich zur Zusammenarbeit angehalten. Aber die Einrichtung und Weiterentwicklung einer Jugendberufsagentur beruht auf Freiwilligkeit.”
Viel in den Jugendberufsagenturen sei daher abhängig vom “Engagement und der Kooperationskompetenz vor Ort”. Zwar unterscheiden sich die Bedingungen der JBA auch stark – in einer Großstadt ergibt etwa ein gemeinsames Gebäude Sinn, in einem Landkreis können dezentrale Anlaufstellen in der Fläche wichtig sein. “Dennoch gibt es grundlegende Fragen der Kooperationsgestaltung und der gemeinsamen Fallarbeit, an die alle stoßen.”
BA-Chefin Nahles hat eine bundesweite Evaluation der Jugendberufsagenturen für kommendes Jahr angekündigt. Auch Schulen, die mit JBA zusammenarbeiten, und Jugendliche selbst will sie einbeziehen. “Jetzt kommt die Realität”, sagte sie vergangene Woche. “Wir müssen mit jedem Bundesland die Konditionen besprechen. Sie können sich vorstellen, in was für einem Zirkus wir gerade stecken.”
Die Zahl der judenfeindlichen Vorfälle in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark angestiegen – auffällig hoch war sie in Schulen, Hochschulen, Museen oder Theatern. Das zeigt der neue Bericht der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias). Ihm zufolge stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle verglichen mit 2022 um 83 Prozent (auf 4.872 Vorfälle insgesamt). Mehr als die Hälfte dieser Fälle ereignete sich nach dem Terrorangriff und den Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober.
Allein 471 Vorfälle gab es in Bildungseinrichtungen, mehr als doppelt so viele wie noch 2022 (184). Die meisten davon fanden nach dem 7. Oktober statt (301), es gab aber auch schon davor einen Anstieg. Am häufigsten handelte es sich um antisemitische Beleidigungen – von Schülern und Lehrern – und antisemitische Schmierereien an Schulgebäuden.
Besonders erschreckend: Jüdische Eltern schickten ihre Kinder nach dem Hamas-Angriff zunächst nicht mehr in die Schule und die Kita, aus Angst vor Anfeindungen. Auch jüdische Studierende pausierten aus diesem Grund. Manche hätten sich sogar von der Uni abgemeldet beziehungsweise die Schule gewechselt. Bianca Loy, Co-Autorin des Rias-Berichts, sagte zu Table.Briefings: “Einrichtungen müssten mehr tun, um das Grundrecht auf Bildung zu gewährleisten.” Polizei und Justiz müssten sich weiter flächendeckend für die Perspektive der Betroffenen sensibilisieren, es brauche hier mehr Aus- und Fortbildung.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Bianca Loy im Berlin.Table
Auch die Zahl antimuslimischer Vorfälle hat infolge des Angriffs der Hamas auf Israel 2023 deutlich zugenommen. 1.926 Fälle wurden 2023 registriert, 114 Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt ein Lagebild auf Basis der Daten von 17 regionalen Melde- und Beratungsstellen und Polizeimeldungen. Erstellt hat es die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim), die unter anderem vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Die Bestandsaufnahme geht – ebenso wie der Rias-Bericht – von einer hohen Dunkelziffer aus.
Ein Fünftel der Fälle (21 Prozent) von Muslimfeindlichkeit betraf den Bildungsbereich, worunter Claim Kitas, Schulen und Unis fasst. Als Beispiele führt der Bericht ein pauschales Verbot an, eine palästinensische Flagge zu tragen, oder die Benachteiligung muslimischer Schüler, die nicht am christlichen Religionsunterricht teilnehmen. Nach Angaben von Claim habe 2022 auch das Beratungsaufkommen an Schulen und Unis zugenommen. Es seien vermehrt Kinder und Jugendliche betroffen gewesen. aku/anpa
Die Bund-Länder-Verhandlungen zum Digitalpakt II gehen am heutigen Mittwoch in die nächste Runde. Wie Table.Briefings aus informierten Kreisen erfuhr, treffen sich die Vertreter der Kultusministerien aus Sachsen, Bremen, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern sowie dem BMBF um 13 Uhr in den Räumen des Bundesministeriums.
Nicht mehr dabei sein wird Sabine Döring – die Staatssekretärin war nach einem umstrittenen Prüfauftrag zur Vergabe von Fördergeldern in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Ihr Stuhl in der Verhandlungsrunde bleibt nun zunächst leer. “Es handelt sich um eine Sitzung der Verhandlungsgruppe zum Digitalpakt 2.0 auf Staatssekretärsebene gemeinsam mit der Fachebene. Das BMBF wird durch Abteilungsleiter vertreten“, teilte eine Sprecherin des BMBF auf Anfrage von Table.Briefings mit.
Unklar ist, inwiefern der Bund ohne einen politischen Spitzenvertreter überhaupt verhandlungsfähig ist. Immerhin: Einen Entwurf für die Rahmenvereinbarung soll die “Vor-Verhandlungsgruppe” der Abteilungsleiter dem Vernehmen nach bereits vorgelegt haben. Die zentralen politischen Fragen – vor allem nach dem finanziellen Umfang und der Aufteilung zwischen Bund und Ländern – sind aber weiter offen. Maximilian Stascheit
In ihrer zweiten Amtszeit wird die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) ihren Fokus zunächst auf die Sekundarstufe I richten. Geplant ist ein Gutachten mit dem Arbeitstitel “Sicherung von schulischen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I”. Es ist das Pendant zum Grundschulgutachten, das Ende 2022 erschien und sich hauptsächlich mit der Förderung sprachlicher und mathematischer Kompetenzen befasst hat. Beide Gutachten sind Reaktionen auf das schlechte Abschneiden der Viert- und Neuntklässler beim IQB-Bildungstrend.
Anfangs hatte die SWK zusätzlich noch in diesem Jahr eine Stellungnahme mit Handlungsempfehlungen zu Berufsorientierung und Berufswahlkompetenz geplant. Doch wie Table.Briefings jetzt von der SWK-Geschäftsstelle erfuhr, soll das Thema nun in dem Gutachten zur Sekundarstufe I integriert werden. Es soll dabei vor allem um die Kompetenzen gehen, die für den Übergang in die berufliche Erstausbildung essenziell sind. Außerdem gibt es hier auch eine terminliche Verschiebung. Ursprünglich waren Gutachten und Stellungnahme noch für 2024 geplant. Nach Auskunft der SWK-Geschäftsstelle findet die Veröffentlichung nun voraussichtlich erst 2025 statt.
Noch im Juli dieses Jahres will die SWK eine Stellungnahme zur Demokratiebildung vorlegen. Dabei soll es um den historischen und politischen Fachunterricht, aber auch um Demokratiebildung als fachübergreifende Aufgabe gehen.
In ihrer ersten Amtszeit hat die SWK drei Gutachten, vier Stellungnahmen und zwei Impulspapiere veröffentlicht. In ihrem im Dezember 2023 erschienenen Gutachten “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht” hat die Kommission neue Wege für das Lehramtsstudium aufgezeigt – sich dabei aber gegen ein duales Studium positioniert.
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In der Besetzung der SWK gibt es hingegen wenig Neues in der zweiten Amtszeit. Die 16 Mitglieder des Beratungsgremiums sind die alten – bis auf eine Ausnahme: Michael Krelle, Deutsch-Didaktiker an der Technischen Universität Chemnitz, löst Michael Becker-Mrotzek ab, der in den Ruhestand geht. Table.Briefings berichtete bereits über die neue Personalie. Mit Krelle ist zum ersten Mal ein Vertreter einer ostdeutschen Hochschule in der SWK. Den Vorsitz haben weiterhin Felicitas Thiel von der Freien Universität Berlin und Olaf Köller vom IPN in Kiel inne. aku
Das Bundesbildungsministerium will nach der politischen Sommerpause Ideen für eine nationale Finanzbildungsstrategie vorstellen. Das kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg am Dienstag im Rahmen des “Forums Finanzwende” des Sparkassen- und Giroverbands an. Sie werde derzeit gemeinsam mit der OECD in einem umfangreichen Beteiligungsprozess erarbeitet. “Wir gehen davon aus, dass wir die Ergebnisse im frühen Herbst veröffentlichen können”, sagte Brandenburg.
Die Finanzbildungsstrategie ist Teil einer Initiative, die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im März des vergangenen Jahres gemeinsam mit ihrem Parteikollegen und Finanzminister Christian Lindner vorgestellt hatte. Dazu gehört auch die Forschung zu finanzieller Bildung. Diese werde Brandenburg zufolge erstmals mit bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr durch das BMBF gefördert. Außerdem wurde bereits die Online-Plattform “Mit Geld und Verstand” aufgebaut, auf der in einem ersten Schritt bestehende öffentlich-rechtliche Angebote zur finanziellen Bildung gebündelt werden sollen.
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In seinem Vortrag betonte Brandenburg, dass finanzielle Bildung eine wichtige Grundlage sei, um selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und “sich nicht beim ersten Beratungsgespräch über den Tisch ziehen zu lassen”. Dabei gebe es kein Richtig oder Falsch, aber Kriterien und Grundsätze, an denen man sich orientieren könne. “Es muss in der finanziellen Bildung darum gehen, das Wissen, aber auch das Verständnis von diesen Zusammenhängen so zu vermitteln, dass ein handlungsorientierter Kompetenzaufbau geschieht, sodass Menschen selbstbewusste und eigenbestimmte Entscheidungen treffen.”
In Verhandlungen mit den Ländern möchte sich der Bund bei diesem Thema ausdrücklich nicht begeben. “Wir können und wollen gar nicht in die Curricula reinregieren“, erklärte Brandenburg. Es gehe daher um außerschulische Angebote. Maximilian Stascheit
Eine Online-Petition von Wikimedia und FragDenStaat zur Veröffentlichung von Altklausuren hat innerhalb von zwei Monaten bereits mehr als 54.000 Unterschriften erhalten. Darin fordern die Initiatoren der beiden Plattformen die Bundesländer auf, die Klausuren vergangener Jahre im Internet zu veröffentlichen. In vielen Bundesländern werden die Lizenzen von Abschlussprüfungen an den Stark-Verlag verkauft. Dieser macht daraus Übungshefte, mit denen sich Schüler auf die anstehenden Prüfungen vorbereiten können.
Die Übungshefte müssen die Schülerinnen und Schüler allerdings erst kaufen. Die Initiatoren der Petition sehen durch die Kosten die Bildungsgerechtigkeit verletzt. Eine einheitliche und leichter zugängliche Veröffentlichung im Internet sei zeitgemäßer. Dies erlaube den Schülern, sich selbständig auf die Prüfungen vorzubereiten. “Wir wünschen uns, dass die Länder aufhören, Prüfungsaufgaben zu verkaufen oder kostenlos abzugeben, die mit öffentlichen Mitteln erstellt wurden”, erklärt Franziska Kelch von Wikimedia Table.Briefings.
Eigentlich sollte die Petition bei der KMK Mitte Juni übergeben werden. Von der Unterschriftenübergabe erhofften sich die Organisatoren, dass mehr Bundesländer dem Beispiel von Niedersachsen und Schleswig-Holstein folgen. Diese haben bereits begonnen, die Altklausuren online zu veröffentlichen. “Es fehlt an Problembewusstsein in den Ländern”, sagt Kelch. Zur Übergabe kam es allerdings nicht. Ein Sprecher der KMK begründete auf Nachfrage von Table.Briefings die Absage mit der “sehr hohen Beratungsdichte” auf der Sommerkonferenz in Völklingen. Grundsätzlich sei KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot aber bereit, die Unterschriften bei einer nächsten Konferenz entgegenzunehmen.
Der Kritik, die Bildungsungerechtigkeit zu verschärfen, widerspricht die Kultusministerkonferenz. Sie verweist darauf, dass in den jeweiligen Ländern meist die Lehrkräfte den Schülern schulintern den Zugang zu den Altklausuren ermöglichen können und der Kauf der Übungshefte somit nicht erforderlich sei. Zudem gebe es Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung mit dem Urheberrecht, das nicht immer beim Land liege. jgl
Die Debatte um die Schulreform in Baden-Württemberg geht weiter. Ein neuer Vorschlag einer unabhängigen Arbeitsgruppe sieht vor, alle nicht-gymnasialen Schulformen zu einer Sekundarschule zusammenzuführen. Dies soll Problemen entgegenwirken, die den Experten zufolge durch die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums entstehen.
Ende April hatte sich die schwarz-grüne Landesregierung darauf verständigt, ab dem Schuljahr 2025/26 in Klasse 5 und 6 wieder G9 einzuführen. Ein Schritt, der – Experten zufolge – die Attraktivität des Gymnasiums weiter steigert. Zugleich stünden alle anderen Schulformen aber überproportional sozialen und pädagogischen Herausforderungen gegenüber, argumentiert die Arbeitsgruppe, die von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Die Gruppe besteht aus Vertretern von Wissenschaft, Praxis und Schulverwaltung.
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Die Zusammenführung von Haupt- und Werkrealschule, Realschule und Gemeinschaftsschule zu einer neuen Sekundarschule soll nun diese “Schieflage” ausgleichen. Diese inklusive Schulart soll alle Abschlüsse anbieten. Verbindlicher Ganztagsunterricht und multiprofessionelle Teams sollen den Rahmen bilden, um der Heterogenität von Schülern gerecht werden zu können.
Andreas Sturm, bildungspolitischer Sprecher der CDU, sieht den Vorschlag kritisch. “Schulentwicklung funktioniert nur als Evolution, nicht als Revolution”, sagt er zu Table.Briefings. Die Vorschläge zielten auf eine komplette Strukturänderung des Schulsystems ab, die Jahre in Anspruch nehmen würde, aber noch keine Verbesserung des Unterrichts bedeute.
Das Konzept der Autorengruppe soll stufenweise über insgesamt zehn Jahre hinweg eingeführt werden. Monika Stein, Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg, sieht den Zeitplan daher als “realistischer als alle Pläne der Landesregierung”. Zu Table.Briefings sagt sie: “Hier wird nichts übers Knie gebrochen, sondern rechtliche Rahmenbedingungen können gründlich geprüft und umgesetzt und alle Beteiligten mitgenommen werden.”
Auch bei der Opposition, die Anfang Mai die gemeinsamen Gespräche mit der Landesregierung als gescheitert erklärte, findet das Konzept Anklang. Der Vorschlag sei aus Sicht von Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD, ein guter und sinnvoller Impuls. Er sagte weiter zu Table.Briefings: “Möglicherweise kann dieser Vorschlag dazu dienen, Türen wieder zu öffnen, die geschlossen wurden.”
Die Elterninitiative, die die Debatte zu G9 mit ihrem Volksantrag zur Wiedereinführung losgetreten hatte, beschäftigt indes ein anderer Punkt. Sie fordern, dass von Beginn an auch ältere Gymnasiasten von der Reform profitieren und nicht nur die fünften und sechsten Klassen. Aus dem Volksantrag der Initiative “G9 jetzt! BW” wird daher nun ein Volksbegehren. Damit sich der Landtag damit erneut beschäftigt, sind rund 770.000 Unterschriften nötig. GEW Vorsitzende Stein hält einen Erfolg des Volksbegehrens angesichts der Haushalts-, Personal- und räumlichen Situation allerdings für unwahrscheinlich. Vera Kraft
Hinter dem vermeintlichen Nachhilfe-Vergleichsportal “nachhilfe.de” steckt der Nachhilfeanbieter GoStudent. Auf der Website wird versprochen, “die beste Nachhilfe” passend zu den “individuellen Bedürfnissen” zu finden. Suchende können Angaben zu Schulfach und -form sowie ihren Standort und Kontaktdaten eingeben, um Beratung zu erhalten. Diese erfolgt dann durch Mitarbeiter von GoStudent und die Empfehlung lautet dann in jedem Fall: GoStudent.
Dass dieses Portal als Lead-Generator für GoStudent dient, ist für Nutzer auf den ersten Blick jedoch nicht ersichtlich, wie das Start-up- und Tech-Medium “Trending Topics” zuerst berichtete. Das Design entspricht nicht dem des Online-Nachhilfeanbieters GoStudent und erst die Links zu Impressum und Datenschutz machen diese Verbindung deutlich. In Österreich wendet das Unternehmen die gleiche Marketingstrategie an. Das Pendant heißt hier “nachhilfe.at” und leitet ebenfalls zu GoStudent weiter. Investitionen in Google-Werbung sorgen dafür, dass die Websites bei Online-Suchanfragen weit oben gelistet sind.
Eine Sprecherin von GoStudent teilte Table.Briefings auf Anfrage mit: “Die Website erhebt zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf einen unabhängigen Vergleich von Angeboten auf dem Markt“. Stattdessen gehe es um einen Vergleich zwischen verschiedenen Nachhilfeformaten, beispielsweise Online-Nachhilfe, Gruppen-Nachhilfe und Offline-Nachhilfe.
Man sei allerdings dabei, “die Seite umzugestalten, um die Besucher:innen noch besser zu informieren”. In Zukunft sollen Besucher einen Vergleich aller Nachhilfeformate der GoStudent-Gruppe direkt auf der Website und bereits vor der persönlichen Beratung durch einen GoStudent-Mitarbeiter erhalten, sagte die Sprecherin. vkr
Im April hat Deutschlands Antisemitismusbeauftragter Felix Klein einen Aktionstag gegen Antisemitismus an Schulen gefordert. Er sollte noch vor den Sommerferien stattfinden. Doch die haben inzwischen schon in den ersten Bundesländern begonnen. Die Idee ist dennoch nicht vom Tisch. Und sie wird auch von anderer Stelle verfolgt. Zum Beispiel von Nicolai Schwarzer, Immobilienunternehmer aus Berlin und Gründer der Initiative “Nie wieder ist jetzt”. Schwarzer plant aber nicht nur einen einmaligen Aktionstag, sondern er will ein nachhaltiges Projekt an Schulen initiieren, um junge Menschen gegen Antisemitismus und Rassismus zu stärken.
“Wir brauchen eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Geschichte”, sagt Schwarzer. So wie der Geschichtsunterricht heute oft ablaufe, habe er mit jungen Menschen nur wenig zu tun. “Das war schon so, als ich noch zur Schule ging”, erinnert sich der 49-jährige Berliner.
Zeitgemäß bedeutet für ihn auch die Einbeziehung sozialer Medien und die Mitwirkung von Menschen, die Schülerinnen und Schüler kennen und denen sie Vertrauen schenken. Sie sollen als Hologramm in den Klassenraum kommen. Prominente wie Mirko Drotschmann von “Wissen2go” und Influencer Bob Blume haben schon zugesagt, bei dem Projekt mitzumachen.
Lesen Sie hier: Warum der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein ein verpflichtendes Fach Medienkompetenz fordert
Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler sensibler gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus und damit letztlich auch demokratiefähiger zu machen. Und ihnen auch deutlich zu machen, was der Holocaust heute mit ihrem eigenen Leben zu tun hat. Dazu soll Unterrichtsmaterial entstehen, auf das alle Lehrkräfte zugreifen können. Das didaktische und pädagogische Konzept entsteht gerade – vor allem in Zusammenarbeit mit Schulleitungen und Lehrkräften aus Berlin. “Ich mische mich nicht in das Pädagogisch-Didaktische ein, das überlasse ich denen, die es können”, sagt Schwarzer. Er könne dagegen Türen aufstoßen und die Beteiligten miteinander vernetzen.
In Berlin soll das Projekt dann nach den Sommerferien mit einem Aktionstag erstmals in Schulen vorgestellt werden. Das Go für den Aktionstag habe er schon von der Senatsverwaltung eingeholt. Berlin soll aber nur der Anfang sein. Schwarzer schwebt eine bundesweite Bewegung vor, vielleicht sogar europaweit.
Die Idee zu diesem Schulprojekt und zur Initiative “Nie wieder ist jetzt” hat einen ganz persönlichen Anfang. Es war Ende Oktober. Schwarzer saß in seinem Büro am Kurfürstendamm in Berlin. Auf einmal wurde es laut vor seinem Fenster. Eine Demo riss ihn aus dem Büroalltag. “Zuerst habe ich nichts verstanden”, erinnert er sich einige Monate später, aber dann hätten sich die Rufe klar herauskristallisiert: “Free Palestine”. Aber dabei blieb es nicht, der Ton wurde schärfer. Er ging runter auf die Straße und wollte sehen, was er bis dahin nur aus den Nachrichten gehört hatte. “Es waren Tausende auf der Straße, ich habe so viel Hass gesehen”, sagt er und stockt: “Irgendwann sind bei mir nur die Tränen gelaufen”.
Schwarzer ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Der Enkel eines Auschwitz-Überlebenden fühlt sich hier zu Hause. Antisemitismus hatte er bislang kaum erlebt. Ja, er habe schon den ein oder anderen blöden Spruch auf der Baustelle gehört, aber die richteten sich selten gegen ihn persönlich. Ganz verschwunden sei der Antisemitismus in Deutschland wohl nie. Aber er habe sein Leben nicht beeinträchtigt.
Das ist seit dem 7. Oktober anders. Schwarzer sagt heute: “Ich habe Angst”, und er fühle sich auf einmal fremd in der eigenen Stadt. Viele seiner jüdischen Freunde hätten schon die Koffer gepackt. Er hat selbst auch zum ersten Mal darüber nachgedacht, Berlin, Deutschland zu verlassen. “Aber wohin? Wo ist es sicher?”
An diesem Tag Ende Oktober hat Schwarzer, der sich als bis dahin eher unpolitischen Menschen bezeichnet, noch etwas anderes gedacht: “Nie wieder ist jetzt!” Nach den ersten antisemitisch geprägten Demonstrationen wuchs in ihm das Bedürfnis, aktiv zu werden. “Ich wollte mir nicht irgendwann nachsagen lassen: Du hast nichts getan.”
Also tat er etwas. Er organisierte am 10. Dezember eine Großdemonstration gegen Antisemitismus, Rassismus und für Demokratie in Berlin. Zigtausende kamen, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte die Schirmherrschaft übernommen und sprach auch auf der Veranstaltung. Aus Schwarzers Berliner Initiative ist inzwischen ein breites Bündnis aus allen gesellschaftlichen Bereichen geworden.
Aber ein Punkt ließ Schwarzer nicht los: “Es waren kaum Kinder und Jugendliche bei der Veranstaltung”. Dabei seien es doch gerade die, die demokratiefähig gemacht werden müssten. Gerade sie würden jetzt und in Zukunft vor den größten Herausforderungen stehen. Darum will er den Geist von “Nie wieder jetzt” nun in die Schulen tragen. Annette Kuhn
Research.Table. Was nach der IFG-Antwort über die Fördermittel-Prüfaffäre bekannt ist – und was nicht. Das Portal “FragDenStaat” hatte schon Mitte Mai die Herausgabe “sämtlicher Kommunikation” im BMBF nach dem umstrittenen Offenen Brief verlangt. Am Montag wurden die Unterlagen nun öffentlich einsehbar. Welche Fragen sich nun stellen, lesen Sie hier.
Research.Table. HRK und Junge Akademie: Welche Stellen es künftig neben der Professur geben soll. Anfang Juni hatte Table.Briefings exklusiv darüber berichtet, dass die Universitäten in der HRK Leitlinien für neue Personalkategorien neben der Professur verabschiedet haben. Am Montag wurden diese jetzt vorgestellt. Wie die Gewerkschaften auf die Vorschläge reagieren, lesen Sie hier.
Spiegel: Hat Bettina Stark-Watzinger in der Fördergeld-Affäre gelogen? Interne Dokumente aus dem Bundesbildungsministerium legen nahe, dass Ministerin Stark-Watzinger schon vor dem 11. Juni von den Überprüfungen wusste. Die Initiative “Frag den Staat” forderte das Ministerium schon am 17. Mai auf, nach dem Informationsfreiheitsgesetz alle Unterlagen zur Affäre herauszugeben. Das Ministerium hat die Herausgabe der Dokumente hinausgezögert, erst eine Woche nach der Frist kamen sie – parallel zur Ankündigung, dass Staatssekretärin Sabine Döring in den Ruhestand versetzt wird. (Stark-Watzinger wusste womöglich schon früher Bescheid)
DHZ: Betriebe holen Azubis nach Deutschland. Wegen des Mangels an Azubis bemühen sich mehr Betriebe um Nachwuchs aus dem Ausland. In Thüringen gibt es ein Förderprogramm vom Land, das Kosten zum Teil übernimmt, unter anderem für Sprachkurse. Betriebe müssen sie allerdings vorstrecken. Neben Sprachbarrieren ist die Wohnungsnot eine Herausforderung. Eine Lösung können hier Betriebswohnungen sein. Häufig müssten Betriebe ihren Azubis aus dem Ausland zudem mehr Zeit widmen, um beispielsweise bei Behördengängen zu unterstützen. (Einmal um den Globus zur Ausbildung)
SZ: Tablets in Bayern für jeden Fünftklässler. Die bayerische Landesregierung will bis 2028 alle Jugendlichen ab der fünften Klasse mit eigenen Tablets ausstatten. Die Schüler sollen sie in der Schule nutzen, aber auch zu Hause. Im Gegensatz zu Grund- und Förderschülern müssen sie dann nicht auf Gerätepools in der Schule zurückgreifen. Doch die Meinungen dazu sind geteilt. Die einen sehen in der Tablet-Ausstattung eine zeitgemäße Reaktion auf die zunehmende Digitalität. Außerdem könnten sie beim Lernen unterstützen. Dagegen spreche, dass die Kinder dann mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen. (Ist es eine gute Idee, allen Schülern ein Tablet zu besorgen?)
MDR: Bildungsforum in Sachsen-Anhalt empfiehlt Maßnahmen gegen Lehrermangel. Ein Bildungsforum hat 35 Vorschläge entworfen, wie das Bildungssystem in Sachsen-Anhalt auf den Lehrermangel reagieren sollte. Zu dem Forum gehörten unter anderem die GEW, die IHK Halle-Dessau, Schüler- und Elternvertreter sowie Politiker der Linken und Grünen. Sie befürworten unter anderem die Gründung einer Landesagentur zur Anwerbung von Lehrkräften. Die Schulsozialarbeit soll gestärkt werden, um Lehrkräfte zu entlasten. Und Seiteneinsteigern soll der Start ins Lehramt leichter gemacht werden. (Lehrermangel: Bildungsforum legt umfangreichen Maßnahmenkatalog vor)
Tagesschau: Abschiebung von potenziellen Pflegekräften. Pflegekräfte werden in Deutschland dringend gesucht. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass im Jahr 2034 insgesamt 90.000 Pflegekräfte fehlen werden. Trotzdem droht vielen Geflüchteten, die eine Ausbildung in dem Bereich aufnehmen, nach ihrem Abschluss die Abschiebung. Das führt dazu, dass gerade Azubis aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten, sich überlegen, eine weitere Ausbildung anzuschließen, um eine erzwungene Rückkehr ins Heimatland abzuwenden. (Integration durch Ausbildung: Geflüchtete in der Pflege)
26. Juni 2024, 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr, Berlin
Ausschusssitzung Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 77. Sitzung – Öffentliches Fachgespräch
Der Bildungsausschuss widmet sich dem Thema “Antisemitismus an Bildungs- und Forschungseinrichtungen bekämpfen”. Vor dem Hintergrund der Fördergeld-Affäre wird auch Bildungsministerin Stark-Watzinger an dieser Sitzung teilnehmen. Dies geht auf einen Antrag der Unionsfraktion zurück. Der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion sagt, dass Stark-Watzingers Verhalten der vergangenen Tage Fragen aufgeworfen hätte. Es ist unklar, wie früh Stark-Watzinger von dem potenziellen Entzug von Fördermitteln wusste. Sie selbst streitet ab, davon gewusst zu haben oder die Untersuchung in Auftrag gegeben zu haben. INFOS
27. Juni 2024, 11 Uhr, online
Livestream Launch of PISA 2022 Financial Literacy Results
OECD Generalsekretär Mathias Cormann, Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdirektor, und Carmine Di Noia, OECD Director for Financial and Enterprise Affairs, stellen den PISA-Bericht zur Finanzbildung vor. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen den Finanzkompetenz von Schülerinnen und Schülern und ihren Kompetenzen in Mathematik und Lesen sowie die Unterschiede zwischen soziodemografischen Gruppen beleuchtet. LIVESTREAM
28. bis 29. Juni 2024, Triest
Gipfeltreffen G7-Treffen der Bildungsminister
Wie können frühe Schulabbrüche verhindert werden? Wie kann die Lücke zwischen Angebot und Nachfragen der Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt geschlossen werden? Um Fragen wie diese zu beantworten, treffen sich die Bildungsminister der G7. Für Deutschland nimmt der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg teil. INFOS
02. Juli, 19 Uhr, online
Webinar Bildungsarbeit auf TikTok – Chancen und Herausforderungen für die Migrationsgesellschaft
TikTok zählt zu den beliebtesten Social-Media-Plattformen unter jungen Menschen. Mit ihren kurzen, kreativen Videos bietet sie ein enormes Potenzial für die Vermittlung von Bildungsinhalten. Gleichzeitig sind Hassrede und Falschinformationen allgegenwärtig. Im Fokus der Diskussion stehen daher die Fragen, was politische Bildung auf TikTok bedeutet, welche Möglichkeiten es gibt und wie die Algorithmen funktionieren.
Eine Anmeldung ist bis zum 1. Juli möglich. INFOS & ANMELDUNG
03. Juli 2024, 13.30 Uhr bis 15 Uhr, online
Webinar Kitas 2. Klasse? Mehrfachbelastungen von Kitas mit Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien
Die Friedrich-Ebert-Stiftung beauftragte das IBEB mit einer Studie zur Situation in Kitas. Diese zeigt: Mangel an Ressourcen tritt häufiger in den Kitas auf mit besonders vielen Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. In der Veranstaltung geht es darum, wie diese Mehrfachbelastung Kitas prägt und was das für die Bildungsgerechtigkeit bedeutet.
Eine Anmeldung ist noch bis zum 2. Juli möglich. INFOS & ANMELDUNG
10. Juli 2024, Saarbrücken
Fachtagung Transformation braucht Didaktik – Innovatives Lernen als Erfolgsfaktor für Unternehmen
Berufliche Aus- und Weiterbildung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Das Forschungsinstitut Bildung Digital hat Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen, um über moderne und digitale Innovationen im Bereich der beruflichen Bildung zu diskutieren. TICKETS
von Inklusion sind Schulen in Deutschland noch weit entfernt. Aktuelle Zahlen der Bertelsmann Stiftung lassen zwar auf den ersten Blick etwas anderes vermuten: Danach wird zumindest bei weniger Kindern ein Förderbedarf diagnostiziert. Aber mein Kollege Holger Schleper hat sich die Zahlen noch mal ganz genau angeschaut. Zu welchem überraschenden Ergebnis er kommt, verrate ich an dieser Stelle aber noch nicht.
Ähnlich halbgar sieht es beim Thema Übergang von der Schule in die Ausbildung aus. Es klingt nach einem Meilenstein, dass alle Bundesländer ab dem kommenden Schuljahr Daten von Schulabgängern an die Agenturen für Arbeit melden. So sollen Jugendliche mit Beratungsbedarf besser erreicht werden. Gute Idee, aber dass es bei der Umsetzung noch gewaltig ruckelt, hat Anna Parrisius recherchiert.
Aus dem Ruckeln kommt auch das BMBF nach dem Rausschmiss von Staatssekretärin Sabine Döring vorerst nicht heraus. Eine Nachfolge gibt es noch nicht, und damit schickt das BMBF nun erst mal nur Abteilungsleiter in die nächste Verhandlungsrunde zum Digitalpakt. Fraglich, ob so überhaupt etwas Verhandlungsfähiges herauskommen kann.
Es gibt also noch eine Menge Baustellen, aber im nun endlich ausgebrochenen Sommer sehen sie machbar aus. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin viel Sonne!
Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich: Erstmals seit dem Zeitraum 2008/2009 ist in Deutschland der Anteil der Schüler mit Förderbedarf gesunken. Das geht aus dem jüngsten Papier “Status quo: Inklusion an Deutschlands Schulen” der Bertelsmann Stiftung hervor. Für das Schuljahr 2022/23 lag die Förderquote bei 7,6 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Von 7.680.319 Schülerinnen und Schülern (Jahrgangsstufen 1 bis 9 bzw. 10) hatten 581.265 einen Förderbedarf. 2021/22 hatte die Förderquote bei 7,8 Prozent gelegen.
Deutet sich damit eine Trendwende an? Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 hatte sich Deutschland verpflichtet, die Umsetzung eines inklusiven Schulsystems voranzutreiben. Seinerzeit lag die Förderquote bei 5,9 Prozent. Seither ist sie Jahr für Jahr gewachsen. Der UN-Ausschuss hat Deutschland bei seiner Staatenprüfung zuletzt ein schlechtes Zeugnis zur Umsetzung der Inklusion ausgestellt.
Chantal Lepper, Mitautorin der aktuellen Bertelsmann-Veröffentlichung, vermutet, dass sich daran bei näherer Betrachtung nichts geändert hat. “Dass die Förderquote erstmals gesunken ist, könnte daran liegen, dass viele neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler im System sind.” In vielen Fällen könne nicht sofort eine Diagnose gestellt oder ein Förderbedarf attestiert werden.
Noch deutlicher wird Dirk Zorn, Direktor des Programms “Bildung und Next Generation” der Bertelsmann Stiftung. “2022 hatten wir einen Zuwachs von mehr als 300.000 Schülerinnen und Schülern. In den Jahren davor lag der Wert um die 35.000.” Wenn man diesen außergewöhnlichen Anstieg herausrechne, steige die Förderquote weiter. “Wir wären dann bei etwa 7,9 Prozent.” Das Wachstum setzt sich also ungebremst fort.
Wie die KMK die einzelnen Förderschwerpunkte definiert, lässt sich in dieser Liste nachlesen. Sie stammt aus der KMK-Dokumentation “Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2013 bis 2022“. Blickt man genauer auf die einzelnen Förderschwerpunkte, gibt es beträchtliche Unterschiede. Das hat der nationale Bildungsbericht vor wenigen Tagen nochmals untermauert. Demnach steigt vor allem in drei Bereichen die Zahl der Schülerinnen und Schüler:
Angesichts des grundsätzlichen Wachstums der Förderquoten rückt die Frage nach den Ursachen einmal mehr in den Vordergrund. “Ein Grund könnte sein, dass es ja noch immer einen Ressourcenvorteil bedeutet, wenn Kinder etikettiert werden”, erklärte Rolf Werning, Professor für Sonderpädagogik an der Leibniz Universität Hannover, Table.Briefings. Eine Vermutung, die viele Inklusionsfachleute äußern und die im nationalen Bildungsbericht ebenfalls ihren Platz hat. Auch dort wird das sogenannte “Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma” angeführt. Kurz gesagt: Einzelne Schulen erhalten mehr Ressourcen, wenn sie mehr Schüler mit Förderbedarf haben.
Was Werning noch anführt: In allen Bundesländern gebe es Entwicklungen, Schüler mit Unterstützungsbedarf an allgemeinbildenden Schulen zu fördern. “Dies führt dazu, dass die Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf nicht automatisch die Umschulung an eine Förderschule nach sich zieht.” Auch das könne die Bereitschaft erhöhen, die Feststellung eines Förderbedarfs einzuleiten.
Grundsätzlich stellt Werning der Umsetzung der Inklusion in Deutschland allerdings kein gutes Zeugnis aus. “Den Turnaround bei der Inklusion haben wir nicht geschafft. Das deutsche Schulsystem ist weiterhin strukturell selektiv.” Das Bertelsmann-Papier weist aus, dass die Exklusionsquote seit 2008/2009 gerade mal um 0,6 gesunken ist, von 4,8 auf 4,2 Prozent. Die Exklusionsquote beschreibt den Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die separiert an Förderschulen unterrichtet werden.
Im nationalen Bildungsbericht liest sich das Urteil zu dieser Entwicklung wie ein freundlich formulierter Offenbarungseid. Die Autoren sprechen von einer allenfalls zögerlichen “Annäherung an die Zielsetzung der UN-Konvention, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen nicht vom allgemeinen Schulsystem auszuschließen.”
Allerdings: Zahlen allein können nicht immer die ganze Geschichte transportieren. Darauf weist Werning nachdrücklich hin. “In vielen Bundesländern entwickeln sich ,maskierte Förderschulen’ im Bereich von Haupt- und Oberschulen.” In Hannover – als Beispiel – gebe es Oberschulen mit Klassen, in denen 50 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Und bei der anderen Hälfte handele es sich ebenfalls um marginalisierte Kinder. “Die Kinder mit Förderbedarf gelten dann als integriert – aber das ist eben keine Inklusion.”
Für den Wissenschaftler aus Hannover ist das “ein Skandal”. Seine Forderung lautet: “Wir müssen das selektive Schulsystem verändern, hin zu einem Zwei-Säulen-Modell. Das heißt, neben dem Gymnasium gibt es eine gleichwertige Schulform, die auch alle Abschlüsse anbietet.” Und die müsse dann so ausgestattet sein, dass sie den Anforderungen einer erhöhten Heterogenität auch gerecht werden kann.
Wernig fordert politischen Mut ein. Und ist auch überzeugt, dass sich die Lehrkräftebildung ändern muss, “weg von schulformbezogenen Lehrämtern und einem eigenständigen Lehramt Sonderpädagogik”. Unter anderem mit Michael Wrase, leitender Bildungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, hat er einen prominenten Fürsprecher. Im Gespräch mit Table.Briefings plädierte Wrase dafür, “sonderpädagogische Inhalte breiter in der Lehramtsausbildung zu verankern”.
Werning macht es noch konkreter: Es müsse darauf hinauslaufen, dass es die Lehramtstypen Primarstufe, Sekundarstufe 1 und 2 sowie berufsbildende Schulen gebe. “Und Sonderpädagogik kann dann als Studienfach integriert werden – wie dies zum Beispiel in Berlin umgesetzt wurde.”
Es klingt wie ein Meilenstein: Ab kommendem Schuljahr wollen alle Bundesländer den Agenturen für Arbeit Daten von Schulabgängern melden, die “keine konkrete berufliche Anschlussperspektive” haben, wie es in der Schülerdatennorm heißt (SGB III § 31a). 2020 trat sie in Kraft. Für ihre Umsetzung mussten die Länder noch eigene Regelungen schaffen. Als letzte ziehen jetzt das Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach, das ergab eine Länderabfrage von Table.Briefings.
Erst kürzlich zeigte der nationale Bildungsbericht, dass die Zahl der Schüler, die nicht direkt eine Ausbildung starten, gestiegen ist. Sie drohen, ganz ohne Ausbildung zu bleiben. Da ist es ein kleiner Fortschritt, dass die Arbeitsagenturen künftig in allen Ländern Schulabgängern, die noch keine Anschlussperspektive haben, Berufsberatung anbieten können. Dreimal dürfen sie den Jugendlichen dafür Post schicken. Reagiert ein Jugendlicher nicht, sind die Agenturen mit ihrem Latein aber schon am Ende. Außer, die Länder erlauben auch den nächsten Schritt: Die Rückübermittlung der Daten von den Agenturen für Arbeit, damit das Land noch selbst auf die jungen Menschen zugehen kann. Das erlauben nach wie vor nur Bremen, Bayern und Hamburg.
Die drei Länder haben dafür jeweils ein eigenes Verfahren entwickelt:
Werden Schulabgänger ohne berufliche Perspektive erreicht, ist zentral, wie gut Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Ein Schlüssel dafür ist die Einrichtung von Jugendberufsagenturen, einem Kooperationsbündnis der drei Akteure. Das Ziel: den Jugendlichen Hilfe aus einer Hand anzubieten – egal, ob sie Berufsberatung, Suchtberatung oder psychosoziale Unterstützung benötigen. Auf dem Papier sind die Kommunen hier schon weit: 356 aller rund 400 Kommunen haben inzwischen eine JBA. In der Realität sind diese Bündnisse aber sehr unterschiedlich weit entwickelt.
Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), betonte kürzlich bei der Bildungskonferenz von DGB und BDA, es sei heute schwerer, Jugendliche zu erreichen, als noch vor der Pandemie. “Wir müssen sie mehr aufsuchen.” Inzwischen gingen Berufsberater auch mal am Wochenende zur Halfpipe – dorthin, wo junge Leute sind.
Zwar seien die 4.200 Berufsberater der BA im vergangenen Ausbildungsjahr wieder mit einer Million Jugendlichen ins Gespräch gekommen, wie noch vor Corona. Doch sie erreichten nicht die gleichen Ergebnisse. “Wir müssen wesentlich mehr Zeit investieren, um die Jugendlichen abzuholen.” Die Jugendlichen hätten deutlich mehr Probleme, Depressionen und Ängste seien ein großes Thema. Manche verfassten mit ihrem Berufsberater zwar eine Bewerbung, schickten sie dann aber nicht ab, aus Angst vor einer Absage.
“Schwierig wird es in aller Regel, wenn die Jugendlichen zwei, drei Jahre aus der Schule raus sind”, sagte Dagmar Brendel, Geschäftsführerin des Jobcenters Berlin-Neukölln. Es fehle ihnen dann an praktischen Erlebnissen und Feedback, was sie gut können. “Dann können wir oft nur ganz kleine Schritte machen.”
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Bei der Übertragung von Schülerdaten an die Arbeitsagenturen, die bald alle Bundesländer ermöglichen wollen, ruckelt es jedoch noch. In NRW bekamen die Arbeitsagenturen zum Beispiel vor Kurzem auf einen Schlag die Daten von 25.000 Schülern “über den Zaun gekippt”, sagte BA-Chefin Nahles. “Das müssen wir jetzt erstmal aufarbeiten.”
Nicht alle Bundesländer melden zudem Schulabgänger aller Schularten. Brandenburg meldet nur Jugendliche, die bereits in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen des Landes, also im Übergangssektor, sind. Hamburg und Hessen teilen mit, dass sie bisher Schüler der gymnasialen Oberstufe ausnehmen.
Dem Staatsministerium für Kultus in Sachsen zufolge bedarf es “seitens der Bundesagentur für Arbeit noch der Schärfung der Kriterien, welche Personengruppe genau zu den Schülerinnen und Schülern ohne berufliche Anschlussperspektive zählt und zu welchem Zeitpunkt die Datenübermittlung sinnvoll ist.”
Mehr Orientierung brauche es auch für die Jugendberufsagenturen – und zusätzliche Ressourcen. Das findet Frank Neises, der im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums die Servicestelle Jugendberufsagenturen leitet. Sie soll die Entwicklung der JBA unterstützen. “Im Sozialrecht sind Arbeitsagenturen, Jobcenter und Jugendhilfe zwar grundsätzlich zur Zusammenarbeit angehalten. Aber die Einrichtung und Weiterentwicklung einer Jugendberufsagentur beruht auf Freiwilligkeit.”
Viel in den Jugendberufsagenturen sei daher abhängig vom “Engagement und der Kooperationskompetenz vor Ort”. Zwar unterscheiden sich die Bedingungen der JBA auch stark – in einer Großstadt ergibt etwa ein gemeinsames Gebäude Sinn, in einem Landkreis können dezentrale Anlaufstellen in der Fläche wichtig sein. “Dennoch gibt es grundlegende Fragen der Kooperationsgestaltung und der gemeinsamen Fallarbeit, an die alle stoßen.”
BA-Chefin Nahles hat eine bundesweite Evaluation der Jugendberufsagenturen für kommendes Jahr angekündigt. Auch Schulen, die mit JBA zusammenarbeiten, und Jugendliche selbst will sie einbeziehen. “Jetzt kommt die Realität”, sagte sie vergangene Woche. “Wir müssen mit jedem Bundesland die Konditionen besprechen. Sie können sich vorstellen, in was für einem Zirkus wir gerade stecken.”
Die Zahl der judenfeindlichen Vorfälle in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark angestiegen – auffällig hoch war sie in Schulen, Hochschulen, Museen oder Theatern. Das zeigt der neue Bericht der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias). Ihm zufolge stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle verglichen mit 2022 um 83 Prozent (auf 4.872 Vorfälle insgesamt). Mehr als die Hälfte dieser Fälle ereignete sich nach dem Terrorangriff und den Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober.
Allein 471 Vorfälle gab es in Bildungseinrichtungen, mehr als doppelt so viele wie noch 2022 (184). Die meisten davon fanden nach dem 7. Oktober statt (301), es gab aber auch schon davor einen Anstieg. Am häufigsten handelte es sich um antisemitische Beleidigungen – von Schülern und Lehrern – und antisemitische Schmierereien an Schulgebäuden.
Besonders erschreckend: Jüdische Eltern schickten ihre Kinder nach dem Hamas-Angriff zunächst nicht mehr in die Schule und die Kita, aus Angst vor Anfeindungen. Auch jüdische Studierende pausierten aus diesem Grund. Manche hätten sich sogar von der Uni abgemeldet beziehungsweise die Schule gewechselt. Bianca Loy, Co-Autorin des Rias-Berichts, sagte zu Table.Briefings: “Einrichtungen müssten mehr tun, um das Grundrecht auf Bildung zu gewährleisten.” Polizei und Justiz müssten sich weiter flächendeckend für die Perspektive der Betroffenen sensibilisieren, es brauche hier mehr Aus- und Fortbildung.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Bianca Loy im Berlin.Table
Auch die Zahl antimuslimischer Vorfälle hat infolge des Angriffs der Hamas auf Israel 2023 deutlich zugenommen. 1.926 Fälle wurden 2023 registriert, 114 Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt ein Lagebild auf Basis der Daten von 17 regionalen Melde- und Beratungsstellen und Polizeimeldungen. Erstellt hat es die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim), die unter anderem vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Die Bestandsaufnahme geht – ebenso wie der Rias-Bericht – von einer hohen Dunkelziffer aus.
Ein Fünftel der Fälle (21 Prozent) von Muslimfeindlichkeit betraf den Bildungsbereich, worunter Claim Kitas, Schulen und Unis fasst. Als Beispiele führt der Bericht ein pauschales Verbot an, eine palästinensische Flagge zu tragen, oder die Benachteiligung muslimischer Schüler, die nicht am christlichen Religionsunterricht teilnehmen. Nach Angaben von Claim habe 2022 auch das Beratungsaufkommen an Schulen und Unis zugenommen. Es seien vermehrt Kinder und Jugendliche betroffen gewesen. aku/anpa
Die Bund-Länder-Verhandlungen zum Digitalpakt II gehen am heutigen Mittwoch in die nächste Runde. Wie Table.Briefings aus informierten Kreisen erfuhr, treffen sich die Vertreter der Kultusministerien aus Sachsen, Bremen, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern sowie dem BMBF um 13 Uhr in den Räumen des Bundesministeriums.
Nicht mehr dabei sein wird Sabine Döring – die Staatssekretärin war nach einem umstrittenen Prüfauftrag zur Vergabe von Fördergeldern in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Ihr Stuhl in der Verhandlungsrunde bleibt nun zunächst leer. “Es handelt sich um eine Sitzung der Verhandlungsgruppe zum Digitalpakt 2.0 auf Staatssekretärsebene gemeinsam mit der Fachebene. Das BMBF wird durch Abteilungsleiter vertreten“, teilte eine Sprecherin des BMBF auf Anfrage von Table.Briefings mit.
Unklar ist, inwiefern der Bund ohne einen politischen Spitzenvertreter überhaupt verhandlungsfähig ist. Immerhin: Einen Entwurf für die Rahmenvereinbarung soll die “Vor-Verhandlungsgruppe” der Abteilungsleiter dem Vernehmen nach bereits vorgelegt haben. Die zentralen politischen Fragen – vor allem nach dem finanziellen Umfang und der Aufteilung zwischen Bund und Ländern – sind aber weiter offen. Maximilian Stascheit
In ihrer zweiten Amtszeit wird die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) ihren Fokus zunächst auf die Sekundarstufe I richten. Geplant ist ein Gutachten mit dem Arbeitstitel “Sicherung von schulischen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I”. Es ist das Pendant zum Grundschulgutachten, das Ende 2022 erschien und sich hauptsächlich mit der Förderung sprachlicher und mathematischer Kompetenzen befasst hat. Beide Gutachten sind Reaktionen auf das schlechte Abschneiden der Viert- und Neuntklässler beim IQB-Bildungstrend.
Anfangs hatte die SWK zusätzlich noch in diesem Jahr eine Stellungnahme mit Handlungsempfehlungen zu Berufsorientierung und Berufswahlkompetenz geplant. Doch wie Table.Briefings jetzt von der SWK-Geschäftsstelle erfuhr, soll das Thema nun in dem Gutachten zur Sekundarstufe I integriert werden. Es soll dabei vor allem um die Kompetenzen gehen, die für den Übergang in die berufliche Erstausbildung essenziell sind. Außerdem gibt es hier auch eine terminliche Verschiebung. Ursprünglich waren Gutachten und Stellungnahme noch für 2024 geplant. Nach Auskunft der SWK-Geschäftsstelle findet die Veröffentlichung nun voraussichtlich erst 2025 statt.
Noch im Juli dieses Jahres will die SWK eine Stellungnahme zur Demokratiebildung vorlegen. Dabei soll es um den historischen und politischen Fachunterricht, aber auch um Demokratiebildung als fachübergreifende Aufgabe gehen.
In ihrer ersten Amtszeit hat die SWK drei Gutachten, vier Stellungnahmen und zwei Impulspapiere veröffentlicht. In ihrem im Dezember 2023 erschienenen Gutachten “Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht” hat die Kommission neue Wege für das Lehramtsstudium aufgezeigt – sich dabei aber gegen ein duales Studium positioniert.
Lesen Sie hier: SWK-Gutachten: Viele Ansätze, kein mutiger Wurf
In der Besetzung der SWK gibt es hingegen wenig Neues in der zweiten Amtszeit. Die 16 Mitglieder des Beratungsgremiums sind die alten – bis auf eine Ausnahme: Michael Krelle, Deutsch-Didaktiker an der Technischen Universität Chemnitz, löst Michael Becker-Mrotzek ab, der in den Ruhestand geht. Table.Briefings berichtete bereits über die neue Personalie. Mit Krelle ist zum ersten Mal ein Vertreter einer ostdeutschen Hochschule in der SWK. Den Vorsitz haben weiterhin Felicitas Thiel von der Freien Universität Berlin und Olaf Köller vom IPN in Kiel inne. aku
Das Bundesbildungsministerium will nach der politischen Sommerpause Ideen für eine nationale Finanzbildungsstrategie vorstellen. Das kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg am Dienstag im Rahmen des “Forums Finanzwende” des Sparkassen- und Giroverbands an. Sie werde derzeit gemeinsam mit der OECD in einem umfangreichen Beteiligungsprozess erarbeitet. “Wir gehen davon aus, dass wir die Ergebnisse im frühen Herbst veröffentlichen können”, sagte Brandenburg.
Die Finanzbildungsstrategie ist Teil einer Initiative, die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im März des vergangenen Jahres gemeinsam mit ihrem Parteikollegen und Finanzminister Christian Lindner vorgestellt hatte. Dazu gehört auch die Forschung zu finanzieller Bildung. Diese werde Brandenburg zufolge erstmals mit bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr durch das BMBF gefördert. Außerdem wurde bereits die Online-Plattform “Mit Geld und Verstand” aufgebaut, auf der in einem ersten Schritt bestehende öffentlich-rechtliche Angebote zur finanziellen Bildung gebündelt werden sollen.
Lesen Sie auch: Warum es an der Finanzbildungs-Initiative des Bundes Kritik gibt
In seinem Vortrag betonte Brandenburg, dass finanzielle Bildung eine wichtige Grundlage sei, um selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und “sich nicht beim ersten Beratungsgespräch über den Tisch ziehen zu lassen”. Dabei gebe es kein Richtig oder Falsch, aber Kriterien und Grundsätze, an denen man sich orientieren könne. “Es muss in der finanziellen Bildung darum gehen, das Wissen, aber auch das Verständnis von diesen Zusammenhängen so zu vermitteln, dass ein handlungsorientierter Kompetenzaufbau geschieht, sodass Menschen selbstbewusste und eigenbestimmte Entscheidungen treffen.”
In Verhandlungen mit den Ländern möchte sich der Bund bei diesem Thema ausdrücklich nicht begeben. “Wir können und wollen gar nicht in die Curricula reinregieren“, erklärte Brandenburg. Es gehe daher um außerschulische Angebote. Maximilian Stascheit
Eine Online-Petition von Wikimedia und FragDenStaat zur Veröffentlichung von Altklausuren hat innerhalb von zwei Monaten bereits mehr als 54.000 Unterschriften erhalten. Darin fordern die Initiatoren der beiden Plattformen die Bundesländer auf, die Klausuren vergangener Jahre im Internet zu veröffentlichen. In vielen Bundesländern werden die Lizenzen von Abschlussprüfungen an den Stark-Verlag verkauft. Dieser macht daraus Übungshefte, mit denen sich Schüler auf die anstehenden Prüfungen vorbereiten können.
Die Übungshefte müssen die Schülerinnen und Schüler allerdings erst kaufen. Die Initiatoren der Petition sehen durch die Kosten die Bildungsgerechtigkeit verletzt. Eine einheitliche und leichter zugängliche Veröffentlichung im Internet sei zeitgemäßer. Dies erlaube den Schülern, sich selbständig auf die Prüfungen vorzubereiten. “Wir wünschen uns, dass die Länder aufhören, Prüfungsaufgaben zu verkaufen oder kostenlos abzugeben, die mit öffentlichen Mitteln erstellt wurden”, erklärt Franziska Kelch von Wikimedia Table.Briefings.
Eigentlich sollte die Petition bei der KMK Mitte Juni übergeben werden. Von der Unterschriftenübergabe erhofften sich die Organisatoren, dass mehr Bundesländer dem Beispiel von Niedersachsen und Schleswig-Holstein folgen. Diese haben bereits begonnen, die Altklausuren online zu veröffentlichen. “Es fehlt an Problembewusstsein in den Ländern”, sagt Kelch. Zur Übergabe kam es allerdings nicht. Ein Sprecher der KMK begründete auf Nachfrage von Table.Briefings die Absage mit der “sehr hohen Beratungsdichte” auf der Sommerkonferenz in Völklingen. Grundsätzlich sei KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot aber bereit, die Unterschriften bei einer nächsten Konferenz entgegenzunehmen.
Der Kritik, die Bildungsungerechtigkeit zu verschärfen, widerspricht die Kultusministerkonferenz. Sie verweist darauf, dass in den jeweiligen Ländern meist die Lehrkräfte den Schülern schulintern den Zugang zu den Altklausuren ermöglichen können und der Kauf der Übungshefte somit nicht erforderlich sei. Zudem gebe es Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung mit dem Urheberrecht, das nicht immer beim Land liege. jgl
Die Debatte um die Schulreform in Baden-Württemberg geht weiter. Ein neuer Vorschlag einer unabhängigen Arbeitsgruppe sieht vor, alle nicht-gymnasialen Schulformen zu einer Sekundarschule zusammenzuführen. Dies soll Problemen entgegenwirken, die den Experten zufolge durch die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums entstehen.
Ende April hatte sich die schwarz-grüne Landesregierung darauf verständigt, ab dem Schuljahr 2025/26 in Klasse 5 und 6 wieder G9 einzuführen. Ein Schritt, der – Experten zufolge – die Attraktivität des Gymnasiums weiter steigert. Zugleich stünden alle anderen Schulformen aber überproportional sozialen und pädagogischen Herausforderungen gegenüber, argumentiert die Arbeitsgruppe, die von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Die Gruppe besteht aus Vertretern von Wissenschaft, Praxis und Schulverwaltung.
Lesen Sie auch: Wer von der Schulreform in Baden-Württemberg profitiert – und wer nicht
Die Zusammenführung von Haupt- und Werkrealschule, Realschule und Gemeinschaftsschule zu einer neuen Sekundarschule soll nun diese “Schieflage” ausgleichen. Diese inklusive Schulart soll alle Abschlüsse anbieten. Verbindlicher Ganztagsunterricht und multiprofessionelle Teams sollen den Rahmen bilden, um der Heterogenität von Schülern gerecht werden zu können.
Andreas Sturm, bildungspolitischer Sprecher der CDU, sieht den Vorschlag kritisch. “Schulentwicklung funktioniert nur als Evolution, nicht als Revolution”, sagt er zu Table.Briefings. Die Vorschläge zielten auf eine komplette Strukturänderung des Schulsystems ab, die Jahre in Anspruch nehmen würde, aber noch keine Verbesserung des Unterrichts bedeute.
Das Konzept der Autorengruppe soll stufenweise über insgesamt zehn Jahre hinweg eingeführt werden. Monika Stein, Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg, sieht den Zeitplan daher als “realistischer als alle Pläne der Landesregierung”. Zu Table.Briefings sagt sie: “Hier wird nichts übers Knie gebrochen, sondern rechtliche Rahmenbedingungen können gründlich geprüft und umgesetzt und alle Beteiligten mitgenommen werden.”
Auch bei der Opposition, die Anfang Mai die gemeinsamen Gespräche mit der Landesregierung als gescheitert erklärte, findet das Konzept Anklang. Der Vorschlag sei aus Sicht von Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD, ein guter und sinnvoller Impuls. Er sagte weiter zu Table.Briefings: “Möglicherweise kann dieser Vorschlag dazu dienen, Türen wieder zu öffnen, die geschlossen wurden.”
Die Elterninitiative, die die Debatte zu G9 mit ihrem Volksantrag zur Wiedereinführung losgetreten hatte, beschäftigt indes ein anderer Punkt. Sie fordern, dass von Beginn an auch ältere Gymnasiasten von der Reform profitieren und nicht nur die fünften und sechsten Klassen. Aus dem Volksantrag der Initiative “G9 jetzt! BW” wird daher nun ein Volksbegehren. Damit sich der Landtag damit erneut beschäftigt, sind rund 770.000 Unterschriften nötig. GEW Vorsitzende Stein hält einen Erfolg des Volksbegehrens angesichts der Haushalts-, Personal- und räumlichen Situation allerdings für unwahrscheinlich. Vera Kraft
Hinter dem vermeintlichen Nachhilfe-Vergleichsportal “nachhilfe.de” steckt der Nachhilfeanbieter GoStudent. Auf der Website wird versprochen, “die beste Nachhilfe” passend zu den “individuellen Bedürfnissen” zu finden. Suchende können Angaben zu Schulfach und -form sowie ihren Standort und Kontaktdaten eingeben, um Beratung zu erhalten. Diese erfolgt dann durch Mitarbeiter von GoStudent und die Empfehlung lautet dann in jedem Fall: GoStudent.
Dass dieses Portal als Lead-Generator für GoStudent dient, ist für Nutzer auf den ersten Blick jedoch nicht ersichtlich, wie das Start-up- und Tech-Medium “Trending Topics” zuerst berichtete. Das Design entspricht nicht dem des Online-Nachhilfeanbieters GoStudent und erst die Links zu Impressum und Datenschutz machen diese Verbindung deutlich. In Österreich wendet das Unternehmen die gleiche Marketingstrategie an. Das Pendant heißt hier “nachhilfe.at” und leitet ebenfalls zu GoStudent weiter. Investitionen in Google-Werbung sorgen dafür, dass die Websites bei Online-Suchanfragen weit oben gelistet sind.
Eine Sprecherin von GoStudent teilte Table.Briefings auf Anfrage mit: “Die Website erhebt zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf einen unabhängigen Vergleich von Angeboten auf dem Markt“. Stattdessen gehe es um einen Vergleich zwischen verschiedenen Nachhilfeformaten, beispielsweise Online-Nachhilfe, Gruppen-Nachhilfe und Offline-Nachhilfe.
Man sei allerdings dabei, “die Seite umzugestalten, um die Besucher:innen noch besser zu informieren”. In Zukunft sollen Besucher einen Vergleich aller Nachhilfeformate der GoStudent-Gruppe direkt auf der Website und bereits vor der persönlichen Beratung durch einen GoStudent-Mitarbeiter erhalten, sagte die Sprecherin. vkr
Im April hat Deutschlands Antisemitismusbeauftragter Felix Klein einen Aktionstag gegen Antisemitismus an Schulen gefordert. Er sollte noch vor den Sommerferien stattfinden. Doch die haben inzwischen schon in den ersten Bundesländern begonnen. Die Idee ist dennoch nicht vom Tisch. Und sie wird auch von anderer Stelle verfolgt. Zum Beispiel von Nicolai Schwarzer, Immobilienunternehmer aus Berlin und Gründer der Initiative “Nie wieder ist jetzt”. Schwarzer plant aber nicht nur einen einmaligen Aktionstag, sondern er will ein nachhaltiges Projekt an Schulen initiieren, um junge Menschen gegen Antisemitismus und Rassismus zu stärken.
“Wir brauchen eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Geschichte”, sagt Schwarzer. So wie der Geschichtsunterricht heute oft ablaufe, habe er mit jungen Menschen nur wenig zu tun. “Das war schon so, als ich noch zur Schule ging”, erinnert sich der 49-jährige Berliner.
Zeitgemäß bedeutet für ihn auch die Einbeziehung sozialer Medien und die Mitwirkung von Menschen, die Schülerinnen und Schüler kennen und denen sie Vertrauen schenken. Sie sollen als Hologramm in den Klassenraum kommen. Prominente wie Mirko Drotschmann von “Wissen2go” und Influencer Bob Blume haben schon zugesagt, bei dem Projekt mitzumachen.
Lesen Sie hier: Warum der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein ein verpflichtendes Fach Medienkompetenz fordert
Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler sensibler gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus und damit letztlich auch demokratiefähiger zu machen. Und ihnen auch deutlich zu machen, was der Holocaust heute mit ihrem eigenen Leben zu tun hat. Dazu soll Unterrichtsmaterial entstehen, auf das alle Lehrkräfte zugreifen können. Das didaktische und pädagogische Konzept entsteht gerade – vor allem in Zusammenarbeit mit Schulleitungen und Lehrkräften aus Berlin. “Ich mische mich nicht in das Pädagogisch-Didaktische ein, das überlasse ich denen, die es können”, sagt Schwarzer. Er könne dagegen Türen aufstoßen und die Beteiligten miteinander vernetzen.
In Berlin soll das Projekt dann nach den Sommerferien mit einem Aktionstag erstmals in Schulen vorgestellt werden. Das Go für den Aktionstag habe er schon von der Senatsverwaltung eingeholt. Berlin soll aber nur der Anfang sein. Schwarzer schwebt eine bundesweite Bewegung vor, vielleicht sogar europaweit.
Die Idee zu diesem Schulprojekt und zur Initiative “Nie wieder ist jetzt” hat einen ganz persönlichen Anfang. Es war Ende Oktober. Schwarzer saß in seinem Büro am Kurfürstendamm in Berlin. Auf einmal wurde es laut vor seinem Fenster. Eine Demo riss ihn aus dem Büroalltag. “Zuerst habe ich nichts verstanden”, erinnert er sich einige Monate später, aber dann hätten sich die Rufe klar herauskristallisiert: “Free Palestine”. Aber dabei blieb es nicht, der Ton wurde schärfer. Er ging runter auf die Straße und wollte sehen, was er bis dahin nur aus den Nachrichten gehört hatte. “Es waren Tausende auf der Straße, ich habe so viel Hass gesehen”, sagt er und stockt: “Irgendwann sind bei mir nur die Tränen gelaufen”.
Schwarzer ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Der Enkel eines Auschwitz-Überlebenden fühlt sich hier zu Hause. Antisemitismus hatte er bislang kaum erlebt. Ja, er habe schon den ein oder anderen blöden Spruch auf der Baustelle gehört, aber die richteten sich selten gegen ihn persönlich. Ganz verschwunden sei der Antisemitismus in Deutschland wohl nie. Aber er habe sein Leben nicht beeinträchtigt.
Das ist seit dem 7. Oktober anders. Schwarzer sagt heute: “Ich habe Angst”, und er fühle sich auf einmal fremd in der eigenen Stadt. Viele seiner jüdischen Freunde hätten schon die Koffer gepackt. Er hat selbst auch zum ersten Mal darüber nachgedacht, Berlin, Deutschland zu verlassen. “Aber wohin? Wo ist es sicher?”
An diesem Tag Ende Oktober hat Schwarzer, der sich als bis dahin eher unpolitischen Menschen bezeichnet, noch etwas anderes gedacht: “Nie wieder ist jetzt!” Nach den ersten antisemitisch geprägten Demonstrationen wuchs in ihm das Bedürfnis, aktiv zu werden. “Ich wollte mir nicht irgendwann nachsagen lassen: Du hast nichts getan.”
Also tat er etwas. Er organisierte am 10. Dezember eine Großdemonstration gegen Antisemitismus, Rassismus und für Demokratie in Berlin. Zigtausende kamen, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte die Schirmherrschaft übernommen und sprach auch auf der Veranstaltung. Aus Schwarzers Berliner Initiative ist inzwischen ein breites Bündnis aus allen gesellschaftlichen Bereichen geworden.
Aber ein Punkt ließ Schwarzer nicht los: “Es waren kaum Kinder und Jugendliche bei der Veranstaltung”. Dabei seien es doch gerade die, die demokratiefähig gemacht werden müssten. Gerade sie würden jetzt und in Zukunft vor den größten Herausforderungen stehen. Darum will er den Geist von “Nie wieder jetzt” nun in die Schulen tragen. Annette Kuhn
Research.Table. Was nach der IFG-Antwort über die Fördermittel-Prüfaffäre bekannt ist – und was nicht. Das Portal “FragDenStaat” hatte schon Mitte Mai die Herausgabe “sämtlicher Kommunikation” im BMBF nach dem umstrittenen Offenen Brief verlangt. Am Montag wurden die Unterlagen nun öffentlich einsehbar. Welche Fragen sich nun stellen, lesen Sie hier.
Research.Table. HRK und Junge Akademie: Welche Stellen es künftig neben der Professur geben soll. Anfang Juni hatte Table.Briefings exklusiv darüber berichtet, dass die Universitäten in der HRK Leitlinien für neue Personalkategorien neben der Professur verabschiedet haben. Am Montag wurden diese jetzt vorgestellt. Wie die Gewerkschaften auf die Vorschläge reagieren, lesen Sie hier.
Spiegel: Hat Bettina Stark-Watzinger in der Fördergeld-Affäre gelogen? Interne Dokumente aus dem Bundesbildungsministerium legen nahe, dass Ministerin Stark-Watzinger schon vor dem 11. Juni von den Überprüfungen wusste. Die Initiative “Frag den Staat” forderte das Ministerium schon am 17. Mai auf, nach dem Informationsfreiheitsgesetz alle Unterlagen zur Affäre herauszugeben. Das Ministerium hat die Herausgabe der Dokumente hinausgezögert, erst eine Woche nach der Frist kamen sie – parallel zur Ankündigung, dass Staatssekretärin Sabine Döring in den Ruhestand versetzt wird. (Stark-Watzinger wusste womöglich schon früher Bescheid)
DHZ: Betriebe holen Azubis nach Deutschland. Wegen des Mangels an Azubis bemühen sich mehr Betriebe um Nachwuchs aus dem Ausland. In Thüringen gibt es ein Förderprogramm vom Land, das Kosten zum Teil übernimmt, unter anderem für Sprachkurse. Betriebe müssen sie allerdings vorstrecken. Neben Sprachbarrieren ist die Wohnungsnot eine Herausforderung. Eine Lösung können hier Betriebswohnungen sein. Häufig müssten Betriebe ihren Azubis aus dem Ausland zudem mehr Zeit widmen, um beispielsweise bei Behördengängen zu unterstützen. (Einmal um den Globus zur Ausbildung)
SZ: Tablets in Bayern für jeden Fünftklässler. Die bayerische Landesregierung will bis 2028 alle Jugendlichen ab der fünften Klasse mit eigenen Tablets ausstatten. Die Schüler sollen sie in der Schule nutzen, aber auch zu Hause. Im Gegensatz zu Grund- und Förderschülern müssen sie dann nicht auf Gerätepools in der Schule zurückgreifen. Doch die Meinungen dazu sind geteilt. Die einen sehen in der Tablet-Ausstattung eine zeitgemäße Reaktion auf die zunehmende Digitalität. Außerdem könnten sie beim Lernen unterstützen. Dagegen spreche, dass die Kinder dann mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen. (Ist es eine gute Idee, allen Schülern ein Tablet zu besorgen?)
MDR: Bildungsforum in Sachsen-Anhalt empfiehlt Maßnahmen gegen Lehrermangel. Ein Bildungsforum hat 35 Vorschläge entworfen, wie das Bildungssystem in Sachsen-Anhalt auf den Lehrermangel reagieren sollte. Zu dem Forum gehörten unter anderem die GEW, die IHK Halle-Dessau, Schüler- und Elternvertreter sowie Politiker der Linken und Grünen. Sie befürworten unter anderem die Gründung einer Landesagentur zur Anwerbung von Lehrkräften. Die Schulsozialarbeit soll gestärkt werden, um Lehrkräfte zu entlasten. Und Seiteneinsteigern soll der Start ins Lehramt leichter gemacht werden. (Lehrermangel: Bildungsforum legt umfangreichen Maßnahmenkatalog vor)
Tagesschau: Abschiebung von potenziellen Pflegekräften. Pflegekräfte werden in Deutschland dringend gesucht. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass im Jahr 2034 insgesamt 90.000 Pflegekräfte fehlen werden. Trotzdem droht vielen Geflüchteten, die eine Ausbildung in dem Bereich aufnehmen, nach ihrem Abschluss die Abschiebung. Das führt dazu, dass gerade Azubis aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten, sich überlegen, eine weitere Ausbildung anzuschließen, um eine erzwungene Rückkehr ins Heimatland abzuwenden. (Integration durch Ausbildung: Geflüchtete in der Pflege)
26. Juni 2024, 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr, Berlin
Ausschusssitzung Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 77. Sitzung – Öffentliches Fachgespräch
Der Bildungsausschuss widmet sich dem Thema “Antisemitismus an Bildungs- und Forschungseinrichtungen bekämpfen”. Vor dem Hintergrund der Fördergeld-Affäre wird auch Bildungsministerin Stark-Watzinger an dieser Sitzung teilnehmen. Dies geht auf einen Antrag der Unionsfraktion zurück. Der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion sagt, dass Stark-Watzingers Verhalten der vergangenen Tage Fragen aufgeworfen hätte. Es ist unklar, wie früh Stark-Watzinger von dem potenziellen Entzug von Fördermitteln wusste. Sie selbst streitet ab, davon gewusst zu haben oder die Untersuchung in Auftrag gegeben zu haben. INFOS
27. Juni 2024, 11 Uhr, online
Livestream Launch of PISA 2022 Financial Literacy Results
OECD Generalsekretär Mathias Cormann, Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdirektor, und Carmine Di Noia, OECD Director for Financial and Enterprise Affairs, stellen den PISA-Bericht zur Finanzbildung vor. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen den Finanzkompetenz von Schülerinnen und Schülern und ihren Kompetenzen in Mathematik und Lesen sowie die Unterschiede zwischen soziodemografischen Gruppen beleuchtet. LIVESTREAM
28. bis 29. Juni 2024, Triest
Gipfeltreffen G7-Treffen der Bildungsminister
Wie können frühe Schulabbrüche verhindert werden? Wie kann die Lücke zwischen Angebot und Nachfragen der Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt geschlossen werden? Um Fragen wie diese zu beantworten, treffen sich die Bildungsminister der G7. Für Deutschland nimmt der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg teil. INFOS
02. Juli, 19 Uhr, online
Webinar Bildungsarbeit auf TikTok – Chancen und Herausforderungen für die Migrationsgesellschaft
TikTok zählt zu den beliebtesten Social-Media-Plattformen unter jungen Menschen. Mit ihren kurzen, kreativen Videos bietet sie ein enormes Potenzial für die Vermittlung von Bildungsinhalten. Gleichzeitig sind Hassrede und Falschinformationen allgegenwärtig. Im Fokus der Diskussion stehen daher die Fragen, was politische Bildung auf TikTok bedeutet, welche Möglichkeiten es gibt und wie die Algorithmen funktionieren.
Eine Anmeldung ist bis zum 1. Juli möglich. INFOS & ANMELDUNG
03. Juli 2024, 13.30 Uhr bis 15 Uhr, online
Webinar Kitas 2. Klasse? Mehrfachbelastungen von Kitas mit Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien
Die Friedrich-Ebert-Stiftung beauftragte das IBEB mit einer Studie zur Situation in Kitas. Diese zeigt: Mangel an Ressourcen tritt häufiger in den Kitas auf mit besonders vielen Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. In der Veranstaltung geht es darum, wie diese Mehrfachbelastung Kitas prägt und was das für die Bildungsgerechtigkeit bedeutet.
Eine Anmeldung ist noch bis zum 2. Juli möglich. INFOS & ANMELDUNG
10. Juli 2024, Saarbrücken
Fachtagung Transformation braucht Didaktik – Innovatives Lernen als Erfolgsfaktor für Unternehmen
Berufliche Aus- und Weiterbildung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Das Forschungsinstitut Bildung Digital hat Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen, um über moderne und digitale Innovationen im Bereich der beruflichen Bildung zu diskutieren. TICKETS