vielerorts beklagen Betriebe einen Mangel an Nachwuchs – und die Lücke wird in den kommenden Jahren noch deutlich wachsen. Am Ausbildungsmarkt sind derweil Azubis mit ausländischer Staatsbürgerschaft eine zunehmend wichtige Gruppe. In dieser Woche blicken wir auf ein neues Projekt, das junge Geflüchtete in den Ausbildungsmarkt integrieren soll: die German Professional School (GPS) in Thüringen. Geht es nach den Thüringern, wird die GPS bundesweit Schule machen. Wie sich das Projekt bisher darstellt, lesen Sie in unserer Analyse.
Welche Chancen Künstliche Intelligenz und andere Technologien im Unterricht eröffnen, das hat OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher in seiner neuen Kolumne aufgeschrieben. Die jüngste PISA-Studie zeigte, dass mehr Technologie im Klassenraum in vielen Fällen zu schlechteren Lernresultaten führt. Schleicher sieht darin aber keinen Grund für einen Abgesang auf die Digitalisierung. Vielmehr sieht er die Resultate als Beleg, dass an den Schulen noch dringender Nachholbedarf besteht, damit Lernen und Lehren mit digitalen Mitteln wirklich besser wird.
Luft nach oben bei der Digitalisierung ist auch noch in vielen Ausbildungsbetrieben, glaubt man einer neuen Umfrage, über die Sie in dieser Ausgabe lesen. Und gleich zweimal geht es um Kitas: einmal um den Zeitplan für das Kita-Qualitätsgesetz. Und um einen drohenden Kita-Streik in Berlin, unbefristet wohlgemerkt.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!
168 Geflüchtete haben im September an der German Professional School (GPS) ihre einjährige Schulung begonnen. Die größten Gruppen: 112 kamen aus der Ukraine, 15 aus Syrien, neun aus Afghanistan und sechs aus dem Irak. Das Thüringer Wirtschaftsministerium will sie auf eine Ausbildung vorbereiten – und so den Arbeits- und Fachkräftemangel eindämmen. Für das Pilotprojekt plant das Ministerium bis 2026 11,5 Millionen Euro ein. In der ersten Gruppe ab März, die auf ein halbes Jahr angelegt war, waren 78 Teilnehmer.
Die Idee: Auf Eisenach, Mühlhausen, Gotha und Jena verteilt lernen die Teilnehmer bei zwölf Bildungsträgern Deutsch und Grundlegendes über die deutsche Rechtsordnung, Geschichte und Kultur – ähnlich wie in einem Integrationskurs. Der Deutschkurs soll sie allerdings auf B2- statt nur auf B1-Niveau bringen. Zusätzlich gibt es eine Potenzialanalyse, berufliche Orientierung und fünf bis neun Wochen Praktika in Unternehmen. “Am Ende soll ein Ausbildungsvertrag stehen”, sagte Friederike Krause, Präsidentin der German Professional School Table.Briefings.
Sarah Pierenkemper, am Institut der deutschen Wirtschaft für Fachkräftesicherung zuständig, begrüßt, dass die Landesregierung erkannt hat, dass sie Betriebe bei der Azubi-Suche unterstützen muss. “Internationale Azubis spielen eine immer wichtigere Rolle”, sagt sie. “Zwar ist die Zahl der Ausbildungsanfänger seit 2009 gesunken, gleichzeitig hat sich die Zahl ausländischer Ausbildungsanfänger aber verdoppelt.”
Trotzdem sind Bewerber mit ausländischer Staatsangehörigkeit auf dem deutschen Ausbildungsmarkt noch eine benachteiligte Gruppe: Sie finden seltener eine Stelle. “Hier braucht es mehr Unterstützung, gerade bei fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch bei mangelnder Ausbildungsreife”, sagt Pierenkemper.
Ernst Glöckner, Ökonom am Ifo-Institut in Dresden, äußert sich da etwas verhaltener: Die Zielmarke der GPS, bis 2026 bis zu 1.000 Geflüchtete für den Ausbildungsmarkt fit zu machen, hält er für “einen Tropfen auf den heißen Stein”. Aktuell sind in Thüringen über 15.000 Stellen unbesetzt, bis 2035 müssen 250.000 Stellen neu besetzt werden. Die GPS kann daher nur eine Maßnahme von vielen sein.
Eine weitere Herausforderung ist, dass viele Geflüchtete nicht wissen, welche Chancen die Ausbildung bietet. Ein Gehalt, selbst in einem Helferjob, ist oft attraktiver als die Ausbildungsvergütung, gerade, wenn eine langfristige Perspektive in Deutschland fehlt. Aus dem ersten Jahrgang der GPS hatten bis Anfang September nur 29 Personen eine Ausbildung begonnen, 23 wurden in Arbeit vermittelt.
Langfristig, sagt Glöckner, ist zudem die Frage, ob die GPS-Teilnehmer überhaupt in Thüringen bleiben möchten. Der Forscher hat ausgewertet, wie attraktiv Thüringen im Vergleich zu anderen Bundesländern ist. Sein Ergebnis: Menschen aus dem Ausland gehen oft dorthin, wo sie an Netzwerke anknüpfen können. In Deutschland konzentrierten diese sich vor allem auf große Städte, die es in Thüringen kaum gibt. Der Ausländeranteil ist in dem Bundesland insgesamt gering. Daneben ist das Gehalt verglichen mit Westdeutschland niedriger. Unternehmen müssten sich daher bemühen, attraktiv zu sein.
Zudem ist die Belegschaft nicht immer überhaupt offen für ausländische Kollegen. Carsten Fröhlich, der seit 2012 für Unternehmen Jugendliche aus Drittstaaten rekrutiert, aktuell etwa aus Marokko und Georgien, fasst es so zusammen: “Die Chefs haben inzwischen alle begriffen, dass ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland nichts mehr geht. Das Problem sind Beschäftigte, die sagen: Ich kündige, wenn ein Ausländer in den Betrieb kommt. Stellen gibt es in Thüringen schließlich genug.”
Krauses Vision ist es, dass die GPS künftig zentrale Anlaufstelle für alle Menschen aus Drittstaaten ist, die in Thüringen eine Ausbildung beginnen wollen. Ihren ursprünglichen Plan, schon für diesen Herbst Teilnehmer aus Drittstaaten zu rekrutieren, hat die GPS derweil allerdings verschoben – auf September 2025. “Über die GPS-Website soll zukünftig die Anmeldung erfolgen können”, sagt Krause. “Der Auswahlprozess wird dann über die GPS-Serviceeinheit zentral gesteuert.”
Menschen aus Drittstaaten anzuwerben, ist allerdings ein mühsames und teures Geschäft. Das weiß Ernst Glöckner aus Erfahrungsberichten, Rekrutierer Carsten Fröhlich aus eigenem Erleben. Im Jahr kommt Fröhlich auf 30 bis 35 Personen. “Viele, die im Ausland Deutsch lernen, gehen in die Schweiz oder nach Österreich.” Grund sei die aufwendige Bürokratie, die langen Wartezeiten. Aber auch die politische Entwicklung in Ostdeutschland beäugten Interessierte genau.
Damit es klappt, hält Fröhlich es für essenziell, Vertrauen bei Interessenten aufzubauen – weshalb eigentlich schon vor der Einreise Kontakt zum künftigen Ausbildungsbetrieb wichtig sei. “Wer den großen Schritt nach Deutschland wagt, möchte natürlich wissen, wo er hinkommt und welches Gehalt er bekommen wird.” Wie die GPS Menschen nur zur Vorbereitung anwerben möchte, ist Fröhlich schleierhaft.
Auch Fynn Kaese, Leiter für Aus- und Weiterbildung von Talent Orange, einem Dienstleister für die Vermittlung internationaler Fachkräfte, hält es für wichtig, dass die Jugendlichen sich schon vor der Einreise für einen Ausbildungsberuf entscheiden. Ihre Motivation und fachliche Neigung sollte eruiert werden, das sichere den Ausbildungserfolg. “Bei fast zwei Drittel unserer Bewerbungen auf eine Ausbildung in der Pflege stellen wir fest, dass die Bewerber eigentlich nur einen Weg suchen, nach Deutschland zu kommen.” Wenig sinnvoll findet Kaese zudem, dass die GPS die Teilnehmer erst in Deutschland auf B2 bringen möchte. “Sprachkurse in den Herkunftsländern sind da deutlich kostengünstiger.”
Ein Versprechen der GPS ist: Durch ihre Vorbereitung brauchen die Azubis dann in der Ausbildung nicht mehr so viel Unterstützung. Fynn Kaese betont jedoch, dass Azubis aus dem Ausland auch in der Lehre kontinuierliche Hilfe bräuchten. “Sprachlich, aber auch methodisch.” Azubis aus Drittstaaten falle es etwa schwer, aus auswendig Gelerntem eigene Schlüsse zu ziehen und kritisch zu hinterfragen, da sie aus einem anderen Schulsystem kommen. “Lernen lernen halte ich schon in der Vorbereitung daher für noch wichtiger als Staatskunde. In der Ausbildung muss es dann immer wieder Thema sein.”
ChatGPT und Co. haben uns daran erinnert, dass die Dinge, die leicht zu lehren sind, jetzt auch leicht zu digitalisieren und zu automatisieren sind. Bei der OECD haben wir verfolgt, wie gut Systeme wie ChatGPT bei globalen Tests wie PISA und unserer PIAAC-Vergleichsstudie der Kompetenzen von Erwachsenen abschneiden.
Als wir dies 2016 zum ersten Mal taten, konnte die KI alle einfachen Aufgaben auf Stufe 1 lösen, aber nur etwa 20 Prozent der komplexeren Problemlösungsaufgaben. Das ist kein großer Unterschied zur erwachsenen Bevölkerung in Ländern wie Deutschland. Bei der Wiederholung der Übung im Jahr 2021 schlug die KI jedoch die meisten Menschen auf allen Ebenen. Und im Jahr 2026 wird die KI wahrscheinlich acht von zehn der komplexesten Aufgaben auf Stufe 4 lösen, während der OECD-Durchschnitt bei den Menschen eher bei zwei von zehn liegen wird.
Wir müssen also intensiver darüber nachdenken, was wir in dieser neuen Welt lernen und lehren sollten. Ebenso müssen wir uns überlegen, wie wir KI und andere Technologien für den Unterricht nutzen können. In mancher Hinsicht wirkt die Technologie als “Gamechanger”.
Der sichtbarste Vorteil ist die stärkere Personalisierung. Während wir Mathematik am Computer lernen, kann die KI nun untersuchen, wie wir lernen, und dann unsere Lernerfahrung viel detaillierter, viel anpassungsfähiger und viel interaktiver gestalten. Mit digitalen Lernspielen kann das Lernen Spaß machen.
Simulationen ermöglichen es uns, Dinge zu tun, die in der realen Welt schwierig oder kostspielig sind. Warum sollten wir einem Lehrer zuhören, der uns die Ergebnisse eines wissenschaftlichen Experiments erklärt, wenn wir dieses Experiment jetzt in einem virtuellen Labor durchführen können? Augmented Reality erweitert die reale Welt um ein Vielfaches.
Auch bei Tests und Prüfungen sind große Sprünge zu beobachten. Einer der größten Fehler, den wir vor etwa dreihundert Jahren in der Bildung gemacht haben, war die Entkopplung von Lernen und Bewertung. Wir verlangen von den Schülern, dass sie jahrelang lernen. Und dann verlangen wir von ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt: Erzähl mir alles, was Du weißt, in ein paar Stunden in einer künstlichen Umgebung.
Die Technologie gibt uns nun die Instrumente an die Hand, um Lernen und Bewertung wieder zu vereinen. Sie ermöglicht, ein unmittelbares Feedback zu geben, das den Schülern hilft, besser zu lernen. Den Lehrkräften ermöglicht die Technologie, besser zu unterrichten, und den Schulen als Ganzes, effektiver zu werden.
Die Lernanalytik ist vielleicht das größte Versprechen. Die Lehrkräfte können jetzt einen echten Eindruck davon bekommen, wie unterschiedlich die Schüler lernen, wo sie Interesse zeigen und wo sie sich langweilen. Aber auch, wo sie Fortschritte machen und wo sie stecken bleiben. So bekommen sie ein besseres Gefühl dafür, welche Schüler welche zusätzliche Unterstützung brauchen.
Wir haben jahrelang über diese Dinge gesprochen. Die Pandemie hat dies für diejenigen, die bereit waren, zur Realität werden lassen. Gleichzeitig haben die jüngsten PISA-Ergebnisse gezeigt, dass die Technologieintensität in den Klassenzimmern immer noch häufig in einem negativen Zusammenhang mit den Lernergebnissen steht.
Das wirft nicht unbedingt ein schlechtes Licht auf die Technologie, sondern vielmehr auf unsere Fähigkeit, sie effektiv zu nutzen. Die Realität sieht so aus, dass wir einen Flickenteppich an digitalen Lösungen haben. Schulen müssen mit herstellergebundenen und inkompatiblen Teillösungen arbeiten. Und da die einzelnen Schulen unterschiedliche Entscheidungen treffen, können sie die Daten nicht so nutzen, dass die Schüler besser lernen und die Lehrer besser unterrichten können.
Die wichtigste Lektion ist jedoch, dass keine Lösung funktionieren wird, wenn die Lehrkräfte nicht im Mittelpunkt der Entwicklung stehen. Wenn wir die Lehrkräfte nicht in die Forschung und Gestaltung der Technologie einbeziehen, werden sie uns bei der Umsetzung nicht helfen. Bei digitaler Bildung – smart education – geht es nicht um Technologie, sondern um eine radikale Neukonzeption dessen, was Lehren und Lernen mithilfe von Technologie sein kann.
Wir müssen die Aufmerksamkeit von der Lerntechnologie auf die Lernaktivitäten verlagern und individuelle, team- und klassenübergreifende Aktivitäten besser in digitale Umgebungen integrieren. Die Hardware muss so weiterentwickelt werden, dass die Geräte präsenter, aber weniger sichtbar und ablenkend sind. Und wir brauchen intelligente Systeme, die für alle funktionieren und bei denen Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht.
Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass die Technologie keine Zauberkraft ist. Sie ist nur ein erstaunlicher Beschleuniger und ein unglaublicher Verstärker. Sie wird gute Ideen und gute Bildungspraktiken ebenso verstärken wie schlechte Ideen und schlechte Praktiken.
Die Technologie kann uns helfen, die Bildung inklusiver zu gestalten, indem sie das Lernen viel zugänglicher macht. Und sie kann helfen, Bildung besser an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden anzupassen. Aber die Pandemie hat uns auch gezeigt, wie die Technologie fast jede Form von Ungerechtigkeit in der Bildung verstärken kann.
Die Technologie kann den Lehrkräften als Gestalter innovativer Lernerfahrungen mehr Macht verleihen. Sie kann sie aber auch entmachten und sie zu Sklaven von Lehrplänen oder Algorithmen machen, die sie nicht mehr verstehen. Technologie kann uns helfen, Vorurteile durch bessere Daten abzubauen. Aber sie kann auch Vorurteile verstärken und verfestigen. Sie kann uns über geografische, sprachliche oder kulturelle Grenzen hinweg verbinden, aber sie kann uns auch in Echokammern einsortieren, die unsere eigenen Ansichten verstärken und uns von abweichendem Denken abschirmen.
Wo das enden wird, hängt von den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die wir dafür schaffen.
Dies ist die übersetzte Fassung der Kolumne. Das englische Original finden Sie hier.
Der OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher, ist Statistiker und Bildungsforscher und kritisiert seit Jahren das deutsche Bildungssystem. 2019 erschien sein Buch “Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert”, in dem er zentrale Ergebnisse seiner Forschung zusammenfasst. Er konzipierte die PISA-Studien und stellte 2001 die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vor. Seit 2002 ist er für das PISA-Programm zuständig und beteiligt sich bei zahlreichen weiteren Bildungsprojekten.
Das Kita-Qualitätsgesetz soll bereits am 11. Oktober im Bundestag verabschiedet werden. Das geht aus einem internen Fraktionszeitplan hervor, der Table.Briefings vorliegt. Wie schon in der ersten Lesung soll die Abstimmung ohne vorherige Debatte erfolgen (wir berichteten).
Damit machen die Ampel-Fraktionen erneut deutlich, wie sehr die Zeit drängt. Nach der Verabschiedung im Bundestag muss auch noch der Bundesrat zustimmen. Das gesamte Verfahren muss bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Wie Table.Briefings aus Koalitionskreisen erfuhr, wird es keine grundlegenden Änderungen mehr an dem von Familienministerin Lisa Paus vorgelegten Gesetzentwurf geben. Insbesondere die im Koalitionsvertrag vereinbarten und von vielen Betroffenen eingeforderten verbindlichen Qualitätsstandards sind damit erst einmal vom Tisch. Zu groß war der Widerstand der Länder, die das gesamte Gesetz sonst möglicherweise im Bundesrat blockiert hätten. Das musste mittlerweile auch die SPD-Fraktion einsehen, die sich bis zuletzt für die Qualitätsstandards starkgemacht hatte.
Dem Vernehmen nach haben die Koalitionspartner aber einen Kompromiss gefunden: So soll das Gesetz um eine Formulierung ergänzt werden, die den Wunsch des Bundes nach einheitlichen Standards zum Ausdruck bringt. Möglich ist auch, dass die Ampel-Fraktionen Vorgaben zur Sprachförderung, Ausfallzeiten und Schutzkonzepten ergänzen beziehungsweise konkretisieren. Maximilian Stascheit
Lesen Sie auch: Kita-Qualität – Warum Familienministerin Paus mit dem Koalitionsvertrag bricht
BMBF und DIPF verkündeten es am Donnerstag: Der Forschungsverbund zur wissenschaftlichen Begleitung des Startchancen-Programms hat seine Arbeit aufgenommen. Bereits Anfang Juli hatte Table.Briefings über den Verbund unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation berichtet. Jetzt konnte das Institut noch eine beachtliche Personalie präsentieren: Zum Koordinationsteam am DIPF stößt auch Martina Diedrich.
Lesen Sie auch: Startchancen-Programm – DIPF übernimmt wissenschaftliche Begleitung
Diedrich war bislang Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) in Hamburg. Hamburgs Vorreiterrolle bei der datengestützten Schulentwicklung in Deutschland wird auch eng mit ihrem Namen verbunden. Vonseiten des DIPF ist die Rede von einer “Systementwicklerin”, die in Aushandlungsprozessen zwischen Ländern und Bund sehr erfahren sei. Diedrich soll das geplante “Governance-Zentrum” leiten.
Das BMBF fördert den Verbund mit rund 100 Millionen Euro. Noch steht das Vorhaben ganz am Anfang und ist schwer greifbar. Im Wiarda-Blog gibt Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF, nähere Einblicke. Demnach sollen unter anderem verschiedene Kompetenzzentren entstehen:
Dazu kommt ein “Governance-Zentrum”. Es soll die Bildungssteuerung in allen 16 Ländern in den Fokus nehmen.
Neben der wissenschaftlichen Begleitung ist auch eine Evaluation des Startchancen-Programms geplant. Hier steht die offizielle Entscheidung noch aus, wer den Zuschlag erhält. Aufgrund des noch laufenden Vergabeverfahrens können keine Auskünfte dazu erteilt werden, wer den Auftrag erhalte, teilte eine BMBF-Sprecherin Table.Briefings mit. “Dies wird aller Voraussicht nach am 14.10.2024 bekanntgegeben.” Von Beginn an hatte das BMBF vorgesehen, beide Aufgaben an unterschiedliche Forschungsverbünde zu geben. Holger Schleper
In Berlin droht ab Montag ein landesweiter, unbefristeter Kita-Streik. Gespräche zwischen dem Berliner Senat und der Gewerkschaft Verdi sind gescheitert. Die beiden gaben sich daran nach dem letzten Gespräch am Dienstag gegenseitig die Schuld. Ginge es nach Verdi, blieben 282 Einrichtungen der öffentlichen Kita-Träger (fünf Berliner Eigenbetriebe) ab Montag bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) kündigte eine Notbetreuung an.
Bereits im April veröffentlichte Verdi seine Forderungen (zum Download). Dabei geht es neben einer Entlastung für das Kita-Personal um mehr pädagogische Qualität:
Senatorin Günther-Wünsch stellte am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde im Berliner Abgeordnetenhaus die Forderungen von Verdi infrage. Die Kita-Situation sei zwar nicht rosig, aber es handele sich auch nicht um einen Flächenbrand. Noch dazu sei die Personalausstattung in den städtischen Kitas besser als bei den freien Kita-Trägern, bei denen die Mehrzahl der Kinder untergebracht ist (133.000 von insgesamt 165.000 Plätzen).
Die Kita-Eigenbetriebe bereiten sich nun darauf vor, eine Betreuung möglichst vieler Kinder sicherstellen zu können. Der Berliner Senat wollte in den Gesprächen eine Notbetreuung von 70 bis 80 Prozent erreichen. Verdi bezeichnete das als “Einschränkung des Streikrechts durch die Hintertür”. Die Gewerkschaft wollte Berichten zufolge nur zehn Prozent der Betreuung absichern, was nicht einmal für die Betreuung von Kindern von Eltern in systemrelevanten Berufen reichen würde. Verdi bestätigte diese Zahl nicht, sagte aber zu Table.Briefings: An früheren Streiks hätten sich bisher von rund 6.500 Fachkräften maximal 3.000 beteiligt. “Damit ist genug Personal im Dienst, um eine Notbetreuung sicherzustellen.”
In Sachsen hat der Landtag derweil am Donnerstag das Kita-Moratorium einstimmig beschlossen. Dieses sieht vor, dass trotz sinkender Zahl an Kita-Kindern die Landeszuschüsse an die Kommunen auf gleichem Niveau bleiben (Table.Briefings berichtete). Demnach bekommen Sachsens Kitas 2025 weiterhin 920 Millionen Euro. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte, dieses zusätzliche Geld soll dazu dienen, gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas zu halten. Vera Kraft
Nur etwas mehr als die Hälfte der Auszubildenden (54 Prozent) findet es grundsätzlich gut, zur Berufsschule zu gehen. Ähnlich viele (51 Prozent) sind unzufrieden damit, wie Berufsschulen Inhalte vermitteln. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von U-Form, einem Unternehmen, das Ausbildungsbetrieben Tools zur Rekrutierung, für Tests und das Ausbildungsmanagement anbietet. Wissenschaftlich begleitet hat die Befragung Christoph Beck von der Hochschule Koblenz. Insgesamt wurden 4.941 junge Menschen befragt, darunter vorwiegend Azubis, sowie 1.752 Ausbildungsverantwortliche.
Ebenso wie bei den Berufsschulen sehen die Azubis Verbesserungsbedarf bei ihren Ausbildern: Zwar findet knapp die Mehrheit, dass diese gut erklären können (56 Prozent) und motiviert sind (50 Prozent). Nur zwei von fünf Azubis sagen jedoch, dass sie gutes Feedback erhalten, das ihnen praktisch hilft (41 Prozent). Und größere Aufgaben, die dazu verleiten, selbstständig zu handeln und praktisch zu lernen, bekommt nur eine Minderheit (39 Prozent).
Die Ausbildungsverantwortlichen blicken interessanterweise sogar noch kritischer auf die Ausbilder ihres Betriebs. Und sie geben selbst einen Hinweis darauf, woran die mangelnde Qualität liegen könnte: Nur 17 Prozent lassen ihre Ausbildenden regelmäßig schulen. Und nur ein Drittel sagt, dass ihre Ausbilder jederzeit Zugang zu Inhalten und Materialien haben, die ihnen ihre Arbeit erleichtern.
Nachholbedarf zeigt die Befragung auch bei der Digitalisierung der Ausbildung. Nur zehn Prozent der Ausbildungsverantwortlichen sagen, dass Künstliche Intelligenz bereits in der Ausbildung ihres Betriebs thematisiert wird. Nur 26 Prozent planen das für die Zukunft. Dabei wünscht sich die Mehrheit der Azubis (58 Prozent), dass ihnen ihr Ausbildungsbetrieb vermittelt, wie sie KI einsetzen können.
Und die jungen Befragten sehen konkrete mögliche Vorteile durch KI und Digitalisierung – etwa, dass ein digitales System ihnen Lernfortschritte anzeigt.
“Es ist erschreckend, dass nur so wenige Betriebe KI in ihre Ausbildung integrieren”, sagte Felicia Ullrich, Geschäftsführerin von U-Form zu Table.Briefings. Dabei ist seit 2021 für alle neuen Ausbildungsordnungen verpflichtend, dass der Themenbereich “Digitalisierte Arbeitswelt” als sogenannte Standardberufsbildposition auftaucht. “Und eigentlich ist die Empfehlung, dass alle Azubis es lernen.” Anna Parrisius
In den Niederlanden sind die Tarifverhandlungen im Sekundarbereich (ab Klasse 9) zwischen Lehrergewerkschaften und dem Sekundarschulrat (VO-raad) ins Stocken geraten. Die Lohnentwicklung spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr drängen die Gewerkschaften darauf, Regelungen zu finden, um die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte zu reduzieren.
Die AOb, nach eigenen Angaben größte Bildungsgewerkschaft in den Niederlanden, formuliert ihren Unmut deutlich. Man wolle Vereinbarungen treffen, “etwa über die Klassengröße, mehr Stunden zur Vor- und Nachbereitung und die maximale Anzahl an Unterrichtsstunden. Die Arbeitgeber haben dazu monatelang klar ,Nein’ gesagt”.
Jetzt habe man die Gespräche beendet, erklärte AOb-Direktor Jelmer Evers. Konkret fordert die AOb etwa eine Obergrenze von 22 Unterrichtsstunden pro Lehrkraft pro Woche. “Kollegen arbeiten mittlerweile teilweise 28 Stunden”, schilderte Evers in “De Telegraaf“.
Für den Sekundarschulrat sind die Vorschläge kein akzeptabler Weg. “Da hierfür einfach keine zusätzlichen Lehrkräfte zur Verfügung stehen (Lehrermangel), fehlen die Ressourcen”, heißt es in einer Erklärung. Darüber hinaus betont der VO-raad, dass das Beharren der Gewerkschaften auf ihren Forderungen verhindere, an anderer Stelle voranzukommen. Unter anderem bei den Lohnerhöhungen – die Gewerkschaften fordern sechs Prozent – scheint eine Einigung erreichbar.
Die Gewerkschaften wollen sich nach den abgebrochenen Gesprächen nun zunächst intern abstimmen, wie es weitergehen kann. Für die kommenden Wochen schloss Evers Massenstreiks nicht aus.
In den Niederlanden sind Lehrkräfte in einem Angestelltenverhältnis mit Tarifvertrag beschäftigt. Der VO-raad vertritt praktisch alle Schulbehörden in dem knapp 18-Millionen-Einwohner-Land. Er berät sich unter anderem mit den Gewerkschaften über die Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte. Laut Bericht des niederländischen Bildungsministeriums arbeiteten im Schuljahr 2022/2023 insgesamt 77.000 Lehrkräfte im Sekundarbereich. Holger Schleper
Der Bildungsausschuss des Bundestags hat am Mittwoch über den Haushaltsentwurf des BMBF diskutiert. Dabei hob Ministerin Bettina Stark-Watzinger hervor, dass ihr in haushaltstechnisch schwierigen Zeiten eine Steigerung des Etats auf 22,3 Milliarden Euro gelungen sei. Darin noch nicht enthalten sind die Mittel für das Startchancen-Programm. Diese befinden sich im Einzelplan 60, der Einnahmen und Ausgaben umfasst, die keinem bestimmten Ressort zugeordnet werden.
In der Fragerunde ging Thomas Jarzombek (CDU) auf die vermeintlichen Haushaltslücken beim Digitalpakt und beim Bafög ein. Beim Digitalpakt seien grundsätzlich drei Milliarden bewilligt, also rund eine Milliarde mehr als geplant. Beim Bafög kam Nicole Gohlke (Linke) auf eine Lücke von 1,3 Milliarden Euro, der Mittelansatz liege sogar unter dem Ist-Wert von 2023.
Wenn der Bafög-Titel überzeichnet werde, würde sie sich freuen, meinte dazu die Ministerin. Man habe hier aber eine realistische Veranschlagung auf Basis der aktuellen Prognosen vorgenommen. Und beim Digitalpakt lägen die Mittelanforderungen zu Beginn des Jahres regelmäßig über dem Abfluss, ergänzte der ebenfalls anwesende Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg.
Von Brandenburg kaum auch eine interessante Erläuterung zur Globalen Minderausgabe (GMA). Der im Juli verabschiedete Haushaltsentwurf 2025 sieht für das BMBF eine GMA von 699,3 Millionen vor und eine zweite, etwas kleinere über 163,5 Millionen (für den Digitalpakt). Die veranschlagten 699 Millionen Euro kämen “obendrauf” auf den Plafond und könnten “gebunden” werden, sagte Brandenburg.
Die im BMBF vorherrschende Projektförderung führe standardmäßig zu Minderabflüssen, wo genau, wisse man zu Beginn der Planung noch nicht. Damit diese genutzt werden können und nicht am Ende des Jahres in den Bundeshaushalt zurückfließen, benötige man die GMA. Letztlich müsse man aber die 22,3 Milliarden Gesamtetat einhalten. Er arbeite mit seinen Leuten im BMBF daran, an diesen Betrag so nahe wie möglich heranzukommen.
Offen blieb die Frage, ob diese Ausschöpfung des Möglichen dann problematisch wird, wenn das BMBF auch zur “Bodensatz”-GMA des Bundeshaushaltes – derzeit zwölf Milliarden Euro – beitragen muss. Fragen dazu wurden weder vom Staatssekretär noch von der Ministerin beantwortet. “Keiner weiß, wo die ,Bodensatz’-GMA gespart wird”, sagte Thomas Jarzombek nach der Sitzung auf Anfrage von Table.Briefings. mw/max
Schon Anfang der Nullerjahre, als angehender Förderschullehrer mit den Schwerpunkten emotionale und soziale Entwicklung und Lernen, fiel Heinrich Ricking auf, dass eine Gruppe von Jugendlichen dem Unterricht im ländlichen Ostfriesland immer wieder fernblieb. “In einem Maisfeld in der Nähe der Schule hatten diese Schüler an einer geschützten Stelle die Stauden abgetrennt”, erinnert sich Ricking im Gespräch mit Table.Briefings. Immer wenn sie “abhängen wollten”, hätten sie sich in dieses “Nest” zurückgezogen.
Das war der Punkt, an dem sich der Norddeutsche auch aus wissenschaftlicher Sicht für das Thema Schulabsentismus zu interessieren begann. Inzwischen ist der 58-Jährige “Professor für emotionale und soziale Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung sonderpädagogischer Förderung und inklusiver Kontexte” am Institut für Förderpädagogik der Universität Leipzig.
Er hat ein erklärtes Forschungsziel: Einfluss zu nehmen auf die Qualität formeller Bildung für Kinder und Jugendliche in Risikolagen. In diesem Zusammenhang beschäftigt Ricking sich auch mit der Frage, wie sich Schulabsentismus bekämpfen lässt, damit langfristige Folgen vermieden werden können. Denn wer die Schule abbricht, hat oft eine lange Geschichte unentschuldigter Fehlzeiten vorzuweisen.
Um sich dem Problem Schulabsentismus nähern zu können, sei es wichtig, Fehlzeiten als ein komplexes Phänomen wahrzunehmen, betont Ricking. “Schulabsentismus ist multikausal. Es gibt nicht den einen Hebel, den wir umlegen müssen, damit alles wieder besser wird”, sagt er.
Im Gespräch mit dem Wissenschaftler wird schnell klar, wie wichtig es ist, beim Thema Schulabsentismus deshalb zu differenzieren. Denn nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler, die der Schule regelmäßig fernbleiben, zählt die Forschung zu den sogenannten “Schulschwänzern”. Sowohl im sozialen Miteinander als auch bei ihren schulischen Leistungen hätten diese Jugendlichen “in einem relativ großen Ausmaß negative Erfahrungen in der Schule gemacht und wollen dieser Situation entfliehen”, sagt Ricking.
Andere Jugendliche, so der Wissenschaftler, würden die Schule aus Angst meiden. “Schule ist eine Einrichtung, die eine ganze Menge an Ängsten produziert.” Oft blieben Schülerinnen und Schüler dem Unterricht fern, weil sie Angst vor Prüfungen hätten oder weil sie fürchteten, von Mitschülern gemobbt zu werden.
Was viele vielleicht nicht erwarten: Auch Eltern können die Ursache für Schulversäumnisse sein. “Studien zeigen, dass etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler, die häufiger fehlen, von ihren Eltern zu Hause gehalten werden“, sagt Ricking. Entweder, weil Mütter oder Väter die Hilfe ihrer Kinder zu Hause beanspruchten. Oder weil die Erziehungsberechtigten das Schulsystem generell ablehnen würden.
Während unentschuldigte Fehlzeiten meistens erst in der 9. und 10. Klasse ihren Höhepunkt erreichen, werden Risikofaktoren für Schulabsentismus häufig schon viel früher sichtbar. “Kritische Bildungsbiografien beginnen bereits in der Grundschule. Dabei geht es um Kinder, die in ihrem Sozial- und Leistungsverhalten der Erwartungshaltung der Schule nicht entsprechen”, sagt Ricking. Diese Schülerinnen und Schüler, so der Wissenschaftler, müssten idealerweise bereits beim Übergang in die Grundschule individuell gefördert werden.
Um Schulabsentismus bekämpfen zu können, sei – neben früher Prävention – aber zunächst einmal die offizielle Registrierung von Fehlzeiten notwendig. Der Wissenschaftler kritisiert: “Wir haben keine offiziellen Zahlen zum Schulabsentismus.” Dahinter könnte durchaus politisches Kalkül stecken, bemängelt Ricking. “Wo es keine Zahlen gibt, existiert eben auch kein Problem.”
Wenn der Wissenschaftler Zahlen braucht, dann muss er sich deshalb immer noch auf einzelne Studien beziehen. Zum Beispiel auf sein Forschungsprojekt “Jeder Schultag zählt”, ein Kooperationsprojekt der Joachim Herz Stiftung, der Alfred Toepfer Stiftung, der Universität Oldenburg und der Hamburger Schulbehörde.
Gemeinsam mit einem Forscherteam entwickelte und erprobte Ricking während der Corona-Pandemie an vier Hamburger Schulen Maßnahmen gegen Schulabsentismus und schulisches Scheitern. Heraus kam, dass die Prävention von Absentismus nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden kann. Vielmehr braucht es
ein Gesamtkonzept – und eine positive Schulkultur. Gabriele Voßkühler
Anne Genetet ist seit dieser Woche neue Bildungsministerin in Frankreich. Die 61-Jährige gehört der liberalen Partei Renaissance an, die 2016 unter dem Namen “La République En Marche !” von Emmanuel Macron gegründet wurde. Ihre Nominierung gilt als überraschend. In ihren früheren Tätigkeiten im Parlament befasste sich Genetet vor allem mit Auslands- und Verteidigungsfragen. Seit 2005 lebt die ausgebildete Ärztin in Singapur und war zuletzt als Abgeordnete für Franzosen im Ausland zuständig sowie Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.
Lehrerverbände und Gewerkschaften kritisierten die Ernennung von Genetet als Bildungsministerin, da sie keine Erfahrung im Bildungsbereich mitbringe. Genetet selbst betonte, sie wolle den Lehrerberuf aufwerten und die Weiterbildung stärken. Bildungspolitische Herausforderungen werde sie mit der gleichen Strenge und Entschlossenheit angehen, die ihr früheres Engagement geprägt haben. vkr
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Research.Table: Was die erste Frau an der Spitze der Leopoldina plant. Bettina Rockenbach wird die neue Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die Wirtschaftswissenschaftlerin möchte unter anderem die Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften unterstreichen. An die Politik richtet Rockenbach einen drängenden Appell. Mehr dazu.
Research.Table: Warum die Suche nach außerirdischer Intelligenz erfolgreich sein wird. Bei der Leopoldina-Jahresversammlung ging es auch um die Suche nach dem Leben im All. Das könnte schon bald gefunden werden, sind sich Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und Thomas Zurbuchen, langjähriger Wissenschaftlicher Direktor der Nasa, sicher. Was, wenn Sie Recht haben?
BR: Elternvertreter “entsetzt” über Söder. Im Handstreich hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei der CSU-Fraktionsklausur eine Petition bayerischer Schülerinnen und Schüler abgelehnt. Sie fordern (wie berichtet) die Abschaffung von nicht-angekündigten Tests – sogenannten Exen. Scharfer Gegenwind für Söder kommt nun auch aus den Reihen der Eltern. Der Vorsitzende Martin Löwe schrieb in einem offenen Brief, dass der Bayerische Elternverband “über Ihre bildungspolitischen Äußerungen während der CSU-Fraktionsklausur in Kloster Banz entsetzt” sei. (Streit über Exen)
NYT: Kalifornien beschließt Phone-Free Schools Act. Der Gouverneur Kaliforniens, Gavin Newsom, hat ein Gesetz verabschiedet, das Schulen in seinem Bundesstaat bis Juli 2026 verpflichtet, die Handynutzung in der Schule zu regulieren. Kalifornien ist somit der fünfzehnte Bundes-Staat, der ein solches Gesetz erlässt. Grund hierfür sind Studien, die Handynutzung in Verbindung mit Unkonzentriertheit und depressiven Symptomen sehen. (California Schools Must Restrict Phones Under New Law Signed by Newsom)
NZZ: Schweizer Inflation der Matura. Die Zahl der Hochschulzulassungen in der Schweiz steigt. Dies spreche für einen Qualitätsverlust der Ausbildung und führe zu einem Problem: Zu viele Leute entscheiden sich für ein Studium statt für eine Ausbildung. Um den eigenen Bildungsabschluss aufzuwerten, würden zudem viele zusätzliche Qualifizierungen erwerben und blieben so dem Arbeitsmarkt fern – trotz Fachkräftemangel. (Schweizer Bildungswesen: Jedem Güselmann seine Matura)
NDR: Protest für mehr Lohn für Schulassistenten. Verdi und GEW fordern in Niedersachsen mehr Lohn für Schulassistenten. Sie übernähmen inzwischen auch viele Aufgaben, die mit der Digitalisierung an die Schulen kamen, obwohl diese eigentlich nicht in ihren Aufgabenbereich fielen. Lehrkräfte berichten, dass digitaler Unterricht ohne die Assistenz kaum möglich ist. Die derzeitige Bezahlung der Assistenzkräfte orientiert sich noch an einem Erlass von 1994. (Schulassistenten in Niedersachsen fordern mehr Lohn)
FR: Unis kritisieren vereinfachten Quereinstieg. In Hessen sollen Personen mit akademischem Abschluss in einem Mangelfach wie Mathematik direkt in ein Referendariat starten können. Wenn diese das zweite Staatsexamen bestehen, werden sie verbeamtet. Die hessischen Universitäten kritisieren das Vorhaben und fordern eine Professionalisierung des Quereinstiegs, etwa durch universitäre Vorbereitungsprogramme. (Mangel an Professionalität: Kritik in Hessen an direktem Quereinstieg in Lehrerberuf)
Dlf: Sollen Unternehmen in staatliche Schulen investieren? Verena Pausder, die Vorsitzende des Start-Up-Verbands und Initiatorin von #WirfürSchule, schlägt private Investitionen in die Schulbildung vor. Unternehmen würden von guter Schulbildung profitieren und hätte daher auch ein berechtigtes Eigeninteresse. So könnte der Staat etwa zusammen mit privaten Geldgebern in einen gemeinsamen Fonds einzahlen, der zum Beispiel dem Startchancen-Programm zugutekäme. (Bildung in Deutschland: Sollte die Wirtschaft mehr investieren?)
vielerorts beklagen Betriebe einen Mangel an Nachwuchs – und die Lücke wird in den kommenden Jahren noch deutlich wachsen. Am Ausbildungsmarkt sind derweil Azubis mit ausländischer Staatsbürgerschaft eine zunehmend wichtige Gruppe. In dieser Woche blicken wir auf ein neues Projekt, das junge Geflüchtete in den Ausbildungsmarkt integrieren soll: die German Professional School (GPS) in Thüringen. Geht es nach den Thüringern, wird die GPS bundesweit Schule machen. Wie sich das Projekt bisher darstellt, lesen Sie in unserer Analyse.
Welche Chancen Künstliche Intelligenz und andere Technologien im Unterricht eröffnen, das hat OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher in seiner neuen Kolumne aufgeschrieben. Die jüngste PISA-Studie zeigte, dass mehr Technologie im Klassenraum in vielen Fällen zu schlechteren Lernresultaten führt. Schleicher sieht darin aber keinen Grund für einen Abgesang auf die Digitalisierung. Vielmehr sieht er die Resultate als Beleg, dass an den Schulen noch dringender Nachholbedarf besteht, damit Lernen und Lehren mit digitalen Mitteln wirklich besser wird.
Luft nach oben bei der Digitalisierung ist auch noch in vielen Ausbildungsbetrieben, glaubt man einer neuen Umfrage, über die Sie in dieser Ausgabe lesen. Und gleich zweimal geht es um Kitas: einmal um den Zeitplan für das Kita-Qualitätsgesetz. Und um einen drohenden Kita-Streik in Berlin, unbefristet wohlgemerkt.
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168 Geflüchtete haben im September an der German Professional School (GPS) ihre einjährige Schulung begonnen. Die größten Gruppen: 112 kamen aus der Ukraine, 15 aus Syrien, neun aus Afghanistan und sechs aus dem Irak. Das Thüringer Wirtschaftsministerium will sie auf eine Ausbildung vorbereiten – und so den Arbeits- und Fachkräftemangel eindämmen. Für das Pilotprojekt plant das Ministerium bis 2026 11,5 Millionen Euro ein. In der ersten Gruppe ab März, die auf ein halbes Jahr angelegt war, waren 78 Teilnehmer.
Die Idee: Auf Eisenach, Mühlhausen, Gotha und Jena verteilt lernen die Teilnehmer bei zwölf Bildungsträgern Deutsch und Grundlegendes über die deutsche Rechtsordnung, Geschichte und Kultur – ähnlich wie in einem Integrationskurs. Der Deutschkurs soll sie allerdings auf B2- statt nur auf B1-Niveau bringen. Zusätzlich gibt es eine Potenzialanalyse, berufliche Orientierung und fünf bis neun Wochen Praktika in Unternehmen. “Am Ende soll ein Ausbildungsvertrag stehen”, sagte Friederike Krause, Präsidentin der German Professional School Table.Briefings.
Sarah Pierenkemper, am Institut der deutschen Wirtschaft für Fachkräftesicherung zuständig, begrüßt, dass die Landesregierung erkannt hat, dass sie Betriebe bei der Azubi-Suche unterstützen muss. “Internationale Azubis spielen eine immer wichtigere Rolle”, sagt sie. “Zwar ist die Zahl der Ausbildungsanfänger seit 2009 gesunken, gleichzeitig hat sich die Zahl ausländischer Ausbildungsanfänger aber verdoppelt.”
Trotzdem sind Bewerber mit ausländischer Staatsangehörigkeit auf dem deutschen Ausbildungsmarkt noch eine benachteiligte Gruppe: Sie finden seltener eine Stelle. “Hier braucht es mehr Unterstützung, gerade bei fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch bei mangelnder Ausbildungsreife”, sagt Pierenkemper.
Ernst Glöckner, Ökonom am Ifo-Institut in Dresden, äußert sich da etwas verhaltener: Die Zielmarke der GPS, bis 2026 bis zu 1.000 Geflüchtete für den Ausbildungsmarkt fit zu machen, hält er für “einen Tropfen auf den heißen Stein”. Aktuell sind in Thüringen über 15.000 Stellen unbesetzt, bis 2035 müssen 250.000 Stellen neu besetzt werden. Die GPS kann daher nur eine Maßnahme von vielen sein.
Eine weitere Herausforderung ist, dass viele Geflüchtete nicht wissen, welche Chancen die Ausbildung bietet. Ein Gehalt, selbst in einem Helferjob, ist oft attraktiver als die Ausbildungsvergütung, gerade, wenn eine langfristige Perspektive in Deutschland fehlt. Aus dem ersten Jahrgang der GPS hatten bis Anfang September nur 29 Personen eine Ausbildung begonnen, 23 wurden in Arbeit vermittelt.
Langfristig, sagt Glöckner, ist zudem die Frage, ob die GPS-Teilnehmer überhaupt in Thüringen bleiben möchten. Der Forscher hat ausgewertet, wie attraktiv Thüringen im Vergleich zu anderen Bundesländern ist. Sein Ergebnis: Menschen aus dem Ausland gehen oft dorthin, wo sie an Netzwerke anknüpfen können. In Deutschland konzentrierten diese sich vor allem auf große Städte, die es in Thüringen kaum gibt. Der Ausländeranteil ist in dem Bundesland insgesamt gering. Daneben ist das Gehalt verglichen mit Westdeutschland niedriger. Unternehmen müssten sich daher bemühen, attraktiv zu sein.
Zudem ist die Belegschaft nicht immer überhaupt offen für ausländische Kollegen. Carsten Fröhlich, der seit 2012 für Unternehmen Jugendliche aus Drittstaaten rekrutiert, aktuell etwa aus Marokko und Georgien, fasst es so zusammen: “Die Chefs haben inzwischen alle begriffen, dass ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland nichts mehr geht. Das Problem sind Beschäftigte, die sagen: Ich kündige, wenn ein Ausländer in den Betrieb kommt. Stellen gibt es in Thüringen schließlich genug.”
Krauses Vision ist es, dass die GPS künftig zentrale Anlaufstelle für alle Menschen aus Drittstaaten ist, die in Thüringen eine Ausbildung beginnen wollen. Ihren ursprünglichen Plan, schon für diesen Herbst Teilnehmer aus Drittstaaten zu rekrutieren, hat die GPS derweil allerdings verschoben – auf September 2025. “Über die GPS-Website soll zukünftig die Anmeldung erfolgen können”, sagt Krause. “Der Auswahlprozess wird dann über die GPS-Serviceeinheit zentral gesteuert.”
Menschen aus Drittstaaten anzuwerben, ist allerdings ein mühsames und teures Geschäft. Das weiß Ernst Glöckner aus Erfahrungsberichten, Rekrutierer Carsten Fröhlich aus eigenem Erleben. Im Jahr kommt Fröhlich auf 30 bis 35 Personen. “Viele, die im Ausland Deutsch lernen, gehen in die Schweiz oder nach Österreich.” Grund sei die aufwendige Bürokratie, die langen Wartezeiten. Aber auch die politische Entwicklung in Ostdeutschland beäugten Interessierte genau.
Damit es klappt, hält Fröhlich es für essenziell, Vertrauen bei Interessenten aufzubauen – weshalb eigentlich schon vor der Einreise Kontakt zum künftigen Ausbildungsbetrieb wichtig sei. “Wer den großen Schritt nach Deutschland wagt, möchte natürlich wissen, wo er hinkommt und welches Gehalt er bekommen wird.” Wie die GPS Menschen nur zur Vorbereitung anwerben möchte, ist Fröhlich schleierhaft.
Auch Fynn Kaese, Leiter für Aus- und Weiterbildung von Talent Orange, einem Dienstleister für die Vermittlung internationaler Fachkräfte, hält es für wichtig, dass die Jugendlichen sich schon vor der Einreise für einen Ausbildungsberuf entscheiden. Ihre Motivation und fachliche Neigung sollte eruiert werden, das sichere den Ausbildungserfolg. “Bei fast zwei Drittel unserer Bewerbungen auf eine Ausbildung in der Pflege stellen wir fest, dass die Bewerber eigentlich nur einen Weg suchen, nach Deutschland zu kommen.” Wenig sinnvoll findet Kaese zudem, dass die GPS die Teilnehmer erst in Deutschland auf B2 bringen möchte. “Sprachkurse in den Herkunftsländern sind da deutlich kostengünstiger.”
Ein Versprechen der GPS ist: Durch ihre Vorbereitung brauchen die Azubis dann in der Ausbildung nicht mehr so viel Unterstützung. Fynn Kaese betont jedoch, dass Azubis aus dem Ausland auch in der Lehre kontinuierliche Hilfe bräuchten. “Sprachlich, aber auch methodisch.” Azubis aus Drittstaaten falle es etwa schwer, aus auswendig Gelerntem eigene Schlüsse zu ziehen und kritisch zu hinterfragen, da sie aus einem anderen Schulsystem kommen. “Lernen lernen halte ich schon in der Vorbereitung daher für noch wichtiger als Staatskunde. In der Ausbildung muss es dann immer wieder Thema sein.”
ChatGPT und Co. haben uns daran erinnert, dass die Dinge, die leicht zu lehren sind, jetzt auch leicht zu digitalisieren und zu automatisieren sind. Bei der OECD haben wir verfolgt, wie gut Systeme wie ChatGPT bei globalen Tests wie PISA und unserer PIAAC-Vergleichsstudie der Kompetenzen von Erwachsenen abschneiden.
Als wir dies 2016 zum ersten Mal taten, konnte die KI alle einfachen Aufgaben auf Stufe 1 lösen, aber nur etwa 20 Prozent der komplexeren Problemlösungsaufgaben. Das ist kein großer Unterschied zur erwachsenen Bevölkerung in Ländern wie Deutschland. Bei der Wiederholung der Übung im Jahr 2021 schlug die KI jedoch die meisten Menschen auf allen Ebenen. Und im Jahr 2026 wird die KI wahrscheinlich acht von zehn der komplexesten Aufgaben auf Stufe 4 lösen, während der OECD-Durchschnitt bei den Menschen eher bei zwei von zehn liegen wird.
Wir müssen also intensiver darüber nachdenken, was wir in dieser neuen Welt lernen und lehren sollten. Ebenso müssen wir uns überlegen, wie wir KI und andere Technologien für den Unterricht nutzen können. In mancher Hinsicht wirkt die Technologie als “Gamechanger”.
Der sichtbarste Vorteil ist die stärkere Personalisierung. Während wir Mathematik am Computer lernen, kann die KI nun untersuchen, wie wir lernen, und dann unsere Lernerfahrung viel detaillierter, viel anpassungsfähiger und viel interaktiver gestalten. Mit digitalen Lernspielen kann das Lernen Spaß machen.
Simulationen ermöglichen es uns, Dinge zu tun, die in der realen Welt schwierig oder kostspielig sind. Warum sollten wir einem Lehrer zuhören, der uns die Ergebnisse eines wissenschaftlichen Experiments erklärt, wenn wir dieses Experiment jetzt in einem virtuellen Labor durchführen können? Augmented Reality erweitert die reale Welt um ein Vielfaches.
Auch bei Tests und Prüfungen sind große Sprünge zu beobachten. Einer der größten Fehler, den wir vor etwa dreihundert Jahren in der Bildung gemacht haben, war die Entkopplung von Lernen und Bewertung. Wir verlangen von den Schülern, dass sie jahrelang lernen. Und dann verlangen wir von ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt: Erzähl mir alles, was Du weißt, in ein paar Stunden in einer künstlichen Umgebung.
Die Technologie gibt uns nun die Instrumente an die Hand, um Lernen und Bewertung wieder zu vereinen. Sie ermöglicht, ein unmittelbares Feedback zu geben, das den Schülern hilft, besser zu lernen. Den Lehrkräften ermöglicht die Technologie, besser zu unterrichten, und den Schulen als Ganzes, effektiver zu werden.
Die Lernanalytik ist vielleicht das größte Versprechen. Die Lehrkräfte können jetzt einen echten Eindruck davon bekommen, wie unterschiedlich die Schüler lernen, wo sie Interesse zeigen und wo sie sich langweilen. Aber auch, wo sie Fortschritte machen und wo sie stecken bleiben. So bekommen sie ein besseres Gefühl dafür, welche Schüler welche zusätzliche Unterstützung brauchen.
Wir haben jahrelang über diese Dinge gesprochen. Die Pandemie hat dies für diejenigen, die bereit waren, zur Realität werden lassen. Gleichzeitig haben die jüngsten PISA-Ergebnisse gezeigt, dass die Technologieintensität in den Klassenzimmern immer noch häufig in einem negativen Zusammenhang mit den Lernergebnissen steht.
Das wirft nicht unbedingt ein schlechtes Licht auf die Technologie, sondern vielmehr auf unsere Fähigkeit, sie effektiv zu nutzen. Die Realität sieht so aus, dass wir einen Flickenteppich an digitalen Lösungen haben. Schulen müssen mit herstellergebundenen und inkompatiblen Teillösungen arbeiten. Und da die einzelnen Schulen unterschiedliche Entscheidungen treffen, können sie die Daten nicht so nutzen, dass die Schüler besser lernen und die Lehrer besser unterrichten können.
Die wichtigste Lektion ist jedoch, dass keine Lösung funktionieren wird, wenn die Lehrkräfte nicht im Mittelpunkt der Entwicklung stehen. Wenn wir die Lehrkräfte nicht in die Forschung und Gestaltung der Technologie einbeziehen, werden sie uns bei der Umsetzung nicht helfen. Bei digitaler Bildung – smart education – geht es nicht um Technologie, sondern um eine radikale Neukonzeption dessen, was Lehren und Lernen mithilfe von Technologie sein kann.
Wir müssen die Aufmerksamkeit von der Lerntechnologie auf die Lernaktivitäten verlagern und individuelle, team- und klassenübergreifende Aktivitäten besser in digitale Umgebungen integrieren. Die Hardware muss so weiterentwickelt werden, dass die Geräte präsenter, aber weniger sichtbar und ablenkend sind. Und wir brauchen intelligente Systeme, die für alle funktionieren und bei denen Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht.
Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass die Technologie keine Zauberkraft ist. Sie ist nur ein erstaunlicher Beschleuniger und ein unglaublicher Verstärker. Sie wird gute Ideen und gute Bildungspraktiken ebenso verstärken wie schlechte Ideen und schlechte Praktiken.
Die Technologie kann uns helfen, die Bildung inklusiver zu gestalten, indem sie das Lernen viel zugänglicher macht. Und sie kann helfen, Bildung besser an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden anzupassen. Aber die Pandemie hat uns auch gezeigt, wie die Technologie fast jede Form von Ungerechtigkeit in der Bildung verstärken kann.
Die Technologie kann den Lehrkräften als Gestalter innovativer Lernerfahrungen mehr Macht verleihen. Sie kann sie aber auch entmachten und sie zu Sklaven von Lehrplänen oder Algorithmen machen, die sie nicht mehr verstehen. Technologie kann uns helfen, Vorurteile durch bessere Daten abzubauen. Aber sie kann auch Vorurteile verstärken und verfestigen. Sie kann uns über geografische, sprachliche oder kulturelle Grenzen hinweg verbinden, aber sie kann uns auch in Echokammern einsortieren, die unsere eigenen Ansichten verstärken und uns von abweichendem Denken abschirmen.
Wo das enden wird, hängt von den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die wir dafür schaffen.
Dies ist die übersetzte Fassung der Kolumne. Das englische Original finden Sie hier.
Der OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher, ist Statistiker und Bildungsforscher und kritisiert seit Jahren das deutsche Bildungssystem. 2019 erschien sein Buch “Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert”, in dem er zentrale Ergebnisse seiner Forschung zusammenfasst. Er konzipierte die PISA-Studien und stellte 2001 die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vor. Seit 2002 ist er für das PISA-Programm zuständig und beteiligt sich bei zahlreichen weiteren Bildungsprojekten.
Das Kita-Qualitätsgesetz soll bereits am 11. Oktober im Bundestag verabschiedet werden. Das geht aus einem internen Fraktionszeitplan hervor, der Table.Briefings vorliegt. Wie schon in der ersten Lesung soll die Abstimmung ohne vorherige Debatte erfolgen (wir berichteten).
Damit machen die Ampel-Fraktionen erneut deutlich, wie sehr die Zeit drängt. Nach der Verabschiedung im Bundestag muss auch noch der Bundesrat zustimmen. Das gesamte Verfahren muss bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Wie Table.Briefings aus Koalitionskreisen erfuhr, wird es keine grundlegenden Änderungen mehr an dem von Familienministerin Lisa Paus vorgelegten Gesetzentwurf geben. Insbesondere die im Koalitionsvertrag vereinbarten und von vielen Betroffenen eingeforderten verbindlichen Qualitätsstandards sind damit erst einmal vom Tisch. Zu groß war der Widerstand der Länder, die das gesamte Gesetz sonst möglicherweise im Bundesrat blockiert hätten. Das musste mittlerweile auch die SPD-Fraktion einsehen, die sich bis zuletzt für die Qualitätsstandards starkgemacht hatte.
Dem Vernehmen nach haben die Koalitionspartner aber einen Kompromiss gefunden: So soll das Gesetz um eine Formulierung ergänzt werden, die den Wunsch des Bundes nach einheitlichen Standards zum Ausdruck bringt. Möglich ist auch, dass die Ampel-Fraktionen Vorgaben zur Sprachförderung, Ausfallzeiten und Schutzkonzepten ergänzen beziehungsweise konkretisieren. Maximilian Stascheit
Lesen Sie auch: Kita-Qualität – Warum Familienministerin Paus mit dem Koalitionsvertrag bricht
BMBF und DIPF verkündeten es am Donnerstag: Der Forschungsverbund zur wissenschaftlichen Begleitung des Startchancen-Programms hat seine Arbeit aufgenommen. Bereits Anfang Juli hatte Table.Briefings über den Verbund unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation berichtet. Jetzt konnte das Institut noch eine beachtliche Personalie präsentieren: Zum Koordinationsteam am DIPF stößt auch Martina Diedrich.
Lesen Sie auch: Startchancen-Programm – DIPF übernimmt wissenschaftliche Begleitung
Diedrich war bislang Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) in Hamburg. Hamburgs Vorreiterrolle bei der datengestützten Schulentwicklung in Deutschland wird auch eng mit ihrem Namen verbunden. Vonseiten des DIPF ist die Rede von einer “Systementwicklerin”, die in Aushandlungsprozessen zwischen Ländern und Bund sehr erfahren sei. Diedrich soll das geplante “Governance-Zentrum” leiten.
Das BMBF fördert den Verbund mit rund 100 Millionen Euro. Noch steht das Vorhaben ganz am Anfang und ist schwer greifbar. Im Wiarda-Blog gibt Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF, nähere Einblicke. Demnach sollen unter anderem verschiedene Kompetenzzentren entstehen:
Dazu kommt ein “Governance-Zentrum”. Es soll die Bildungssteuerung in allen 16 Ländern in den Fokus nehmen.
Neben der wissenschaftlichen Begleitung ist auch eine Evaluation des Startchancen-Programms geplant. Hier steht die offizielle Entscheidung noch aus, wer den Zuschlag erhält. Aufgrund des noch laufenden Vergabeverfahrens können keine Auskünfte dazu erteilt werden, wer den Auftrag erhalte, teilte eine BMBF-Sprecherin Table.Briefings mit. “Dies wird aller Voraussicht nach am 14.10.2024 bekanntgegeben.” Von Beginn an hatte das BMBF vorgesehen, beide Aufgaben an unterschiedliche Forschungsverbünde zu geben. Holger Schleper
In Berlin droht ab Montag ein landesweiter, unbefristeter Kita-Streik. Gespräche zwischen dem Berliner Senat und der Gewerkschaft Verdi sind gescheitert. Die beiden gaben sich daran nach dem letzten Gespräch am Dienstag gegenseitig die Schuld. Ginge es nach Verdi, blieben 282 Einrichtungen der öffentlichen Kita-Träger (fünf Berliner Eigenbetriebe) ab Montag bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) kündigte eine Notbetreuung an.
Bereits im April veröffentlichte Verdi seine Forderungen (zum Download). Dabei geht es neben einer Entlastung für das Kita-Personal um mehr pädagogische Qualität:
Senatorin Günther-Wünsch stellte am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde im Berliner Abgeordnetenhaus die Forderungen von Verdi infrage. Die Kita-Situation sei zwar nicht rosig, aber es handele sich auch nicht um einen Flächenbrand. Noch dazu sei die Personalausstattung in den städtischen Kitas besser als bei den freien Kita-Trägern, bei denen die Mehrzahl der Kinder untergebracht ist (133.000 von insgesamt 165.000 Plätzen).
Die Kita-Eigenbetriebe bereiten sich nun darauf vor, eine Betreuung möglichst vieler Kinder sicherstellen zu können. Der Berliner Senat wollte in den Gesprächen eine Notbetreuung von 70 bis 80 Prozent erreichen. Verdi bezeichnete das als “Einschränkung des Streikrechts durch die Hintertür”. Die Gewerkschaft wollte Berichten zufolge nur zehn Prozent der Betreuung absichern, was nicht einmal für die Betreuung von Kindern von Eltern in systemrelevanten Berufen reichen würde. Verdi bestätigte diese Zahl nicht, sagte aber zu Table.Briefings: An früheren Streiks hätten sich bisher von rund 6.500 Fachkräften maximal 3.000 beteiligt. “Damit ist genug Personal im Dienst, um eine Notbetreuung sicherzustellen.”
In Sachsen hat der Landtag derweil am Donnerstag das Kita-Moratorium einstimmig beschlossen. Dieses sieht vor, dass trotz sinkender Zahl an Kita-Kindern die Landeszuschüsse an die Kommunen auf gleichem Niveau bleiben (Table.Briefings berichtete). Demnach bekommen Sachsens Kitas 2025 weiterhin 920 Millionen Euro. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte, dieses zusätzliche Geld soll dazu dienen, gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas zu halten. Vera Kraft
Nur etwas mehr als die Hälfte der Auszubildenden (54 Prozent) findet es grundsätzlich gut, zur Berufsschule zu gehen. Ähnlich viele (51 Prozent) sind unzufrieden damit, wie Berufsschulen Inhalte vermitteln. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von U-Form, einem Unternehmen, das Ausbildungsbetrieben Tools zur Rekrutierung, für Tests und das Ausbildungsmanagement anbietet. Wissenschaftlich begleitet hat die Befragung Christoph Beck von der Hochschule Koblenz. Insgesamt wurden 4.941 junge Menschen befragt, darunter vorwiegend Azubis, sowie 1.752 Ausbildungsverantwortliche.
Ebenso wie bei den Berufsschulen sehen die Azubis Verbesserungsbedarf bei ihren Ausbildern: Zwar findet knapp die Mehrheit, dass diese gut erklären können (56 Prozent) und motiviert sind (50 Prozent). Nur zwei von fünf Azubis sagen jedoch, dass sie gutes Feedback erhalten, das ihnen praktisch hilft (41 Prozent). Und größere Aufgaben, die dazu verleiten, selbstständig zu handeln und praktisch zu lernen, bekommt nur eine Minderheit (39 Prozent).
Die Ausbildungsverantwortlichen blicken interessanterweise sogar noch kritischer auf die Ausbilder ihres Betriebs. Und sie geben selbst einen Hinweis darauf, woran die mangelnde Qualität liegen könnte: Nur 17 Prozent lassen ihre Ausbildenden regelmäßig schulen. Und nur ein Drittel sagt, dass ihre Ausbilder jederzeit Zugang zu Inhalten und Materialien haben, die ihnen ihre Arbeit erleichtern.
Nachholbedarf zeigt die Befragung auch bei der Digitalisierung der Ausbildung. Nur zehn Prozent der Ausbildungsverantwortlichen sagen, dass Künstliche Intelligenz bereits in der Ausbildung ihres Betriebs thematisiert wird. Nur 26 Prozent planen das für die Zukunft. Dabei wünscht sich die Mehrheit der Azubis (58 Prozent), dass ihnen ihr Ausbildungsbetrieb vermittelt, wie sie KI einsetzen können.
Und die jungen Befragten sehen konkrete mögliche Vorteile durch KI und Digitalisierung – etwa, dass ein digitales System ihnen Lernfortschritte anzeigt.
“Es ist erschreckend, dass nur so wenige Betriebe KI in ihre Ausbildung integrieren”, sagte Felicia Ullrich, Geschäftsführerin von U-Form zu Table.Briefings. Dabei ist seit 2021 für alle neuen Ausbildungsordnungen verpflichtend, dass der Themenbereich “Digitalisierte Arbeitswelt” als sogenannte Standardberufsbildposition auftaucht. “Und eigentlich ist die Empfehlung, dass alle Azubis es lernen.” Anna Parrisius
In den Niederlanden sind die Tarifverhandlungen im Sekundarbereich (ab Klasse 9) zwischen Lehrergewerkschaften und dem Sekundarschulrat (VO-raad) ins Stocken geraten. Die Lohnentwicklung spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr drängen die Gewerkschaften darauf, Regelungen zu finden, um die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte zu reduzieren.
Die AOb, nach eigenen Angaben größte Bildungsgewerkschaft in den Niederlanden, formuliert ihren Unmut deutlich. Man wolle Vereinbarungen treffen, “etwa über die Klassengröße, mehr Stunden zur Vor- und Nachbereitung und die maximale Anzahl an Unterrichtsstunden. Die Arbeitgeber haben dazu monatelang klar ,Nein’ gesagt”.
Jetzt habe man die Gespräche beendet, erklärte AOb-Direktor Jelmer Evers. Konkret fordert die AOb etwa eine Obergrenze von 22 Unterrichtsstunden pro Lehrkraft pro Woche. “Kollegen arbeiten mittlerweile teilweise 28 Stunden”, schilderte Evers in “De Telegraaf“.
Für den Sekundarschulrat sind die Vorschläge kein akzeptabler Weg. “Da hierfür einfach keine zusätzlichen Lehrkräfte zur Verfügung stehen (Lehrermangel), fehlen die Ressourcen”, heißt es in einer Erklärung. Darüber hinaus betont der VO-raad, dass das Beharren der Gewerkschaften auf ihren Forderungen verhindere, an anderer Stelle voranzukommen. Unter anderem bei den Lohnerhöhungen – die Gewerkschaften fordern sechs Prozent – scheint eine Einigung erreichbar.
Die Gewerkschaften wollen sich nach den abgebrochenen Gesprächen nun zunächst intern abstimmen, wie es weitergehen kann. Für die kommenden Wochen schloss Evers Massenstreiks nicht aus.
In den Niederlanden sind Lehrkräfte in einem Angestelltenverhältnis mit Tarifvertrag beschäftigt. Der VO-raad vertritt praktisch alle Schulbehörden in dem knapp 18-Millionen-Einwohner-Land. Er berät sich unter anderem mit den Gewerkschaften über die Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte. Laut Bericht des niederländischen Bildungsministeriums arbeiteten im Schuljahr 2022/2023 insgesamt 77.000 Lehrkräfte im Sekundarbereich. Holger Schleper
Der Bildungsausschuss des Bundestags hat am Mittwoch über den Haushaltsentwurf des BMBF diskutiert. Dabei hob Ministerin Bettina Stark-Watzinger hervor, dass ihr in haushaltstechnisch schwierigen Zeiten eine Steigerung des Etats auf 22,3 Milliarden Euro gelungen sei. Darin noch nicht enthalten sind die Mittel für das Startchancen-Programm. Diese befinden sich im Einzelplan 60, der Einnahmen und Ausgaben umfasst, die keinem bestimmten Ressort zugeordnet werden.
In der Fragerunde ging Thomas Jarzombek (CDU) auf die vermeintlichen Haushaltslücken beim Digitalpakt und beim Bafög ein. Beim Digitalpakt seien grundsätzlich drei Milliarden bewilligt, also rund eine Milliarde mehr als geplant. Beim Bafög kam Nicole Gohlke (Linke) auf eine Lücke von 1,3 Milliarden Euro, der Mittelansatz liege sogar unter dem Ist-Wert von 2023.
Wenn der Bafög-Titel überzeichnet werde, würde sie sich freuen, meinte dazu die Ministerin. Man habe hier aber eine realistische Veranschlagung auf Basis der aktuellen Prognosen vorgenommen. Und beim Digitalpakt lägen die Mittelanforderungen zu Beginn des Jahres regelmäßig über dem Abfluss, ergänzte der ebenfalls anwesende Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg.
Von Brandenburg kaum auch eine interessante Erläuterung zur Globalen Minderausgabe (GMA). Der im Juli verabschiedete Haushaltsentwurf 2025 sieht für das BMBF eine GMA von 699,3 Millionen vor und eine zweite, etwas kleinere über 163,5 Millionen (für den Digitalpakt). Die veranschlagten 699 Millionen Euro kämen “obendrauf” auf den Plafond und könnten “gebunden” werden, sagte Brandenburg.
Die im BMBF vorherrschende Projektförderung führe standardmäßig zu Minderabflüssen, wo genau, wisse man zu Beginn der Planung noch nicht. Damit diese genutzt werden können und nicht am Ende des Jahres in den Bundeshaushalt zurückfließen, benötige man die GMA. Letztlich müsse man aber die 22,3 Milliarden Gesamtetat einhalten. Er arbeite mit seinen Leuten im BMBF daran, an diesen Betrag so nahe wie möglich heranzukommen.
Offen blieb die Frage, ob diese Ausschöpfung des Möglichen dann problematisch wird, wenn das BMBF auch zur “Bodensatz”-GMA des Bundeshaushaltes – derzeit zwölf Milliarden Euro – beitragen muss. Fragen dazu wurden weder vom Staatssekretär noch von der Ministerin beantwortet. “Keiner weiß, wo die ,Bodensatz’-GMA gespart wird”, sagte Thomas Jarzombek nach der Sitzung auf Anfrage von Table.Briefings. mw/max
Schon Anfang der Nullerjahre, als angehender Förderschullehrer mit den Schwerpunkten emotionale und soziale Entwicklung und Lernen, fiel Heinrich Ricking auf, dass eine Gruppe von Jugendlichen dem Unterricht im ländlichen Ostfriesland immer wieder fernblieb. “In einem Maisfeld in der Nähe der Schule hatten diese Schüler an einer geschützten Stelle die Stauden abgetrennt”, erinnert sich Ricking im Gespräch mit Table.Briefings. Immer wenn sie “abhängen wollten”, hätten sie sich in dieses “Nest” zurückgezogen.
Das war der Punkt, an dem sich der Norddeutsche auch aus wissenschaftlicher Sicht für das Thema Schulabsentismus zu interessieren begann. Inzwischen ist der 58-Jährige “Professor für emotionale und soziale Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung sonderpädagogischer Förderung und inklusiver Kontexte” am Institut für Förderpädagogik der Universität Leipzig.
Er hat ein erklärtes Forschungsziel: Einfluss zu nehmen auf die Qualität formeller Bildung für Kinder und Jugendliche in Risikolagen. In diesem Zusammenhang beschäftigt Ricking sich auch mit der Frage, wie sich Schulabsentismus bekämpfen lässt, damit langfristige Folgen vermieden werden können. Denn wer die Schule abbricht, hat oft eine lange Geschichte unentschuldigter Fehlzeiten vorzuweisen.
Um sich dem Problem Schulabsentismus nähern zu können, sei es wichtig, Fehlzeiten als ein komplexes Phänomen wahrzunehmen, betont Ricking. “Schulabsentismus ist multikausal. Es gibt nicht den einen Hebel, den wir umlegen müssen, damit alles wieder besser wird”, sagt er.
Im Gespräch mit dem Wissenschaftler wird schnell klar, wie wichtig es ist, beim Thema Schulabsentismus deshalb zu differenzieren. Denn nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler, die der Schule regelmäßig fernbleiben, zählt die Forschung zu den sogenannten “Schulschwänzern”. Sowohl im sozialen Miteinander als auch bei ihren schulischen Leistungen hätten diese Jugendlichen “in einem relativ großen Ausmaß negative Erfahrungen in der Schule gemacht und wollen dieser Situation entfliehen”, sagt Ricking.
Andere Jugendliche, so der Wissenschaftler, würden die Schule aus Angst meiden. “Schule ist eine Einrichtung, die eine ganze Menge an Ängsten produziert.” Oft blieben Schülerinnen und Schüler dem Unterricht fern, weil sie Angst vor Prüfungen hätten oder weil sie fürchteten, von Mitschülern gemobbt zu werden.
Was viele vielleicht nicht erwarten: Auch Eltern können die Ursache für Schulversäumnisse sein. “Studien zeigen, dass etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler, die häufiger fehlen, von ihren Eltern zu Hause gehalten werden“, sagt Ricking. Entweder, weil Mütter oder Väter die Hilfe ihrer Kinder zu Hause beanspruchten. Oder weil die Erziehungsberechtigten das Schulsystem generell ablehnen würden.
Während unentschuldigte Fehlzeiten meistens erst in der 9. und 10. Klasse ihren Höhepunkt erreichen, werden Risikofaktoren für Schulabsentismus häufig schon viel früher sichtbar. “Kritische Bildungsbiografien beginnen bereits in der Grundschule. Dabei geht es um Kinder, die in ihrem Sozial- und Leistungsverhalten der Erwartungshaltung der Schule nicht entsprechen”, sagt Ricking. Diese Schülerinnen und Schüler, so der Wissenschaftler, müssten idealerweise bereits beim Übergang in die Grundschule individuell gefördert werden.
Um Schulabsentismus bekämpfen zu können, sei – neben früher Prävention – aber zunächst einmal die offizielle Registrierung von Fehlzeiten notwendig. Der Wissenschaftler kritisiert: “Wir haben keine offiziellen Zahlen zum Schulabsentismus.” Dahinter könnte durchaus politisches Kalkül stecken, bemängelt Ricking. “Wo es keine Zahlen gibt, existiert eben auch kein Problem.”
Wenn der Wissenschaftler Zahlen braucht, dann muss er sich deshalb immer noch auf einzelne Studien beziehen. Zum Beispiel auf sein Forschungsprojekt “Jeder Schultag zählt”, ein Kooperationsprojekt der Joachim Herz Stiftung, der Alfred Toepfer Stiftung, der Universität Oldenburg und der Hamburger Schulbehörde.
Gemeinsam mit einem Forscherteam entwickelte und erprobte Ricking während der Corona-Pandemie an vier Hamburger Schulen Maßnahmen gegen Schulabsentismus und schulisches Scheitern. Heraus kam, dass die Prävention von Absentismus nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden kann. Vielmehr braucht es
ein Gesamtkonzept – und eine positive Schulkultur. Gabriele Voßkühler
Anne Genetet ist seit dieser Woche neue Bildungsministerin in Frankreich. Die 61-Jährige gehört der liberalen Partei Renaissance an, die 2016 unter dem Namen “La République En Marche !” von Emmanuel Macron gegründet wurde. Ihre Nominierung gilt als überraschend. In ihren früheren Tätigkeiten im Parlament befasste sich Genetet vor allem mit Auslands- und Verteidigungsfragen. Seit 2005 lebt die ausgebildete Ärztin in Singapur und war zuletzt als Abgeordnete für Franzosen im Ausland zuständig sowie Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.
Lehrerverbände und Gewerkschaften kritisierten die Ernennung von Genetet als Bildungsministerin, da sie keine Erfahrung im Bildungsbereich mitbringe. Genetet selbst betonte, sie wolle den Lehrerberuf aufwerten und die Weiterbildung stärken. Bildungspolitische Herausforderungen werde sie mit der gleichen Strenge und Entschlossenheit angehen, die ihr früheres Engagement geprägt haben. vkr
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Research.Table: Was die erste Frau an der Spitze der Leopoldina plant. Bettina Rockenbach wird die neue Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die Wirtschaftswissenschaftlerin möchte unter anderem die Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften unterstreichen. An die Politik richtet Rockenbach einen drängenden Appell. Mehr dazu.
Research.Table: Warum die Suche nach außerirdischer Intelligenz erfolgreich sein wird. Bei der Leopoldina-Jahresversammlung ging es auch um die Suche nach dem Leben im All. Das könnte schon bald gefunden werden, sind sich Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und Thomas Zurbuchen, langjähriger Wissenschaftlicher Direktor der Nasa, sicher. Was, wenn Sie Recht haben?
BR: Elternvertreter “entsetzt” über Söder. Im Handstreich hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei der CSU-Fraktionsklausur eine Petition bayerischer Schülerinnen und Schüler abgelehnt. Sie fordern (wie berichtet) die Abschaffung von nicht-angekündigten Tests – sogenannten Exen. Scharfer Gegenwind für Söder kommt nun auch aus den Reihen der Eltern. Der Vorsitzende Martin Löwe schrieb in einem offenen Brief, dass der Bayerische Elternverband “über Ihre bildungspolitischen Äußerungen während der CSU-Fraktionsklausur in Kloster Banz entsetzt” sei. (Streit über Exen)
NYT: Kalifornien beschließt Phone-Free Schools Act. Der Gouverneur Kaliforniens, Gavin Newsom, hat ein Gesetz verabschiedet, das Schulen in seinem Bundesstaat bis Juli 2026 verpflichtet, die Handynutzung in der Schule zu regulieren. Kalifornien ist somit der fünfzehnte Bundes-Staat, der ein solches Gesetz erlässt. Grund hierfür sind Studien, die Handynutzung in Verbindung mit Unkonzentriertheit und depressiven Symptomen sehen. (California Schools Must Restrict Phones Under New Law Signed by Newsom)
NZZ: Schweizer Inflation der Matura. Die Zahl der Hochschulzulassungen in der Schweiz steigt. Dies spreche für einen Qualitätsverlust der Ausbildung und führe zu einem Problem: Zu viele Leute entscheiden sich für ein Studium statt für eine Ausbildung. Um den eigenen Bildungsabschluss aufzuwerten, würden zudem viele zusätzliche Qualifizierungen erwerben und blieben so dem Arbeitsmarkt fern – trotz Fachkräftemangel. (Schweizer Bildungswesen: Jedem Güselmann seine Matura)
NDR: Protest für mehr Lohn für Schulassistenten. Verdi und GEW fordern in Niedersachsen mehr Lohn für Schulassistenten. Sie übernähmen inzwischen auch viele Aufgaben, die mit der Digitalisierung an die Schulen kamen, obwohl diese eigentlich nicht in ihren Aufgabenbereich fielen. Lehrkräfte berichten, dass digitaler Unterricht ohne die Assistenz kaum möglich ist. Die derzeitige Bezahlung der Assistenzkräfte orientiert sich noch an einem Erlass von 1994. (Schulassistenten in Niedersachsen fordern mehr Lohn)
FR: Unis kritisieren vereinfachten Quereinstieg. In Hessen sollen Personen mit akademischem Abschluss in einem Mangelfach wie Mathematik direkt in ein Referendariat starten können. Wenn diese das zweite Staatsexamen bestehen, werden sie verbeamtet. Die hessischen Universitäten kritisieren das Vorhaben und fordern eine Professionalisierung des Quereinstiegs, etwa durch universitäre Vorbereitungsprogramme. (Mangel an Professionalität: Kritik in Hessen an direktem Quereinstieg in Lehrerberuf)
Dlf: Sollen Unternehmen in staatliche Schulen investieren? Verena Pausder, die Vorsitzende des Start-Up-Verbands und Initiatorin von #WirfürSchule, schlägt private Investitionen in die Schulbildung vor. Unternehmen würden von guter Schulbildung profitieren und hätte daher auch ein berechtigtes Eigeninteresse. So könnte der Staat etwa zusammen mit privaten Geldgebern in einen gemeinsamen Fonds einzahlen, der zum Beispiel dem Startchancen-Programm zugutekäme. (Bildung in Deutschland: Sollte die Wirtschaft mehr investieren?)