Table.Briefing: Bildung

Perspektiven für Quereinsteiger + Kritik an Anna Stolz + Unicef fordert mehr Demokratiebildung

Liebe Leserin, lieber Leser,

wissen, was wirkt – das könnte die Bildungspolitik entscheidend voranbringen, geht es nach Dirk Richter, Bildungsforscher an der Uni Potsdam. Meine Kollegin Vera Kraft hat mit ihm über Quer- und Seiteneinsteigerprogramme in den Ländern gesprochen und wie diese helfen können, den Lehrkräftemangel zu bekämpfen. Dass der Personalmangel sich voraussichtlich verschieben wird, macht die Sache nicht leichter. Wie der Stand in den Ländern ist und warum es mehr Langfristplanung braucht, lesen Sie in der Analyse – und einem ausführlichen Länderüberblick.

Wissen darüber zu erlangen, was wirkt, das ist bereits das Ziel von Bund und Ländern beim Startchancen-Programm. Es soll “als lernendes Programm und im Sinne einer effektiven Umsetzung und Steuerung wissenschaftlich begleitet und evaluiert” werden, heißt es in der Verwaltungsvereinbarung. Dass Anna Stolz, Bayerns Kultusministerin, die Berichtspflichten der Schulen aber nicht so lustig findet, sagte sie Mitte der Woche im Interview mit Bildung.Table. Annette Kuhn und Holger Schleper haben sich umgehört, ob auf die Schulen tatsächlich ein Bürokratiemonster wartet.

Eine Wissenslücke kritisiert Sebastian Sedlmayr, Leiter Advocacy und Politik bei Unicef Deutschland, mit Blick auf die junge Generation: “Welche konkreten Themen für Kinder und Jugendliche bei der Europawahl im Vordergrund stehen, wissen wir leider nicht genau”, schreibt er in seinem Standpunkt. Dass das die Politik allerdings nicht daran hindern sollte, Bedürfnisse zu antizipieren und wo er Handlungsbedarf sieht, lesen Sie im Briefing.

Ich hoffe, die Lektüre bringt Ihnen gute Anregungen und neues Wissen,

Ihre
Anna Parrisius
Bild von Anna  Parrisius

Analyse

Lehrkräftemangel: Welche strukturelle Verankerung der Quereinstieg braucht

Die großen Lücken erforderten schnelle Lösungen. Angesichts ausfallender Unterrichtsstunden und wenig nachkommender Lehramtsabsolventen holten sich Schulen immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger ins Klassenzimmer. Viele von ihnen absolvierten einen zweijährigen Vorbereitungsdienst, manche aber auch nur einen vierwöchigen Kompaktkurs – wenn überhaupt. Obwohl eine Studie der Bertelsmann Stiftung für Grundschulen bald einen Lehrerüberschuss prognostizierte, ist in den kommenden Jahren trotzdem nicht überall von einer Entspannung der Situation auszugehen. Doch die Bedarfe werden sich voraussichtlich verschieben. Eine exklusive Umfrage von Table.Briefings zeigt, wie die Länder damit umgehen. Seitens der Bildungsforschung und der Universitäten gibt es konkrete Ideen, wie sich die Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern ändern muss.

In Sachsen, als ein Beispiel, könnte eigenen Angaben zufolge an Grundschulen bereits in drei bis vier Jahren der Einstellungsbedarf durch ausgebildete Lehrkräfte wieder gedeckt werden. Dass für all die Menschen, um die gerade noch massiv geworben wird, dann plötzlich kein Platz mehr an Schulen ist, ist allerdings nicht zu erwarten. Eine Entschärfung der Situation sei vor allem an den weiterführenden Schulen “noch in weiter Ferne”, wie eine Sprecherin des sächsischen Kultusministeriums Table.Briefings mitteilte.

Den exklusiven Überblick, wie Länder die Ausbildung und den Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigern aktuell und in Zukunft angehen (wollen), finden Sie hier.

Quereinsteiger verschwinden in der Statistik

Zudem gilt in den meisten Ländern: Sobald jemand den Vorbereitungsdienst abgeschlossen hat, zählt die Person als reguläre Lehrkraft. Sie übernimmt folglich die gleichen Aufgaben und kann unbefristet eingestellt beziehungsweise verbeamtet werden.

Meist heißt das aber auch: Die Personen lassen sich in der Statistik nicht mehr als Quereinsteiger identifizieren. In Relation zu sonstigen Neueinstellungen weiß man aber immerhin, dass der Anteil im aktuellen Schuljahr beispielsweise in NRW rund elf Prozent, in Thüringen circa 25 Prozent und in Brandenburg sogar knapp 40 Prozent betrug.

Wichtigste Stellschraube, um mehr Lehrer zu gewinnen

Bei großer Nachfrage sind Quer- und Seiteneinsteiger “die wichtigste Stellschraube, um substanziell mehr Personen in den Lehrerberuf zu bekommen”, sagt Dirk Richter, Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam. Aber: “Die Länder haben es versäumt, sich frühzeitig darüber zu verständigen, welche Qualitätsstandards die Ausbildung von Quereinsteigern haben soll.”

Die meisten Länder gaben bei der Länderumfrage an, in Zukunft weiterhin Quer- und Seiteneinsteiger zu benötigen. Zehn Länder überarbeiten oder überprüfen zudem die Möglichkeiten des Quer- und Seiteneinstiegs.

Professionalisierung des Quereinstiegs

Susanne Rupp, Leiterin des Zentrums für Lehrkräftebildung Hamburg, setzt sich ebenfalls für bessere Möglichkeiten des Quereinstiegs ein. “Es reicht nicht, einfach die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. Dadurch kommen nicht zwingend mehr Bewerbungen rein.” Rupp hat daher an der Universität Hamburg den Master of Education als Aufbauqualifikation mitaufgebaut, der sich an Absolventen eines Bachelorstudiums richtet, die nun Lehrer werden möchten.

Der neue Studiengang startet ab kommendem Wintersemester. Er soll den Studierenden in zwei Jahren im Wesentlichen die erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen vermitteln, die sonst über das ganze (reguläre) Lehramtsstudium hinweg erworben werden. Nur ein zweites Unterrichtsfach fehlt den Absolventen. “Da liegt es dann in den Händen der Schulbehörde, diesen Ein-Fach-Lehrkräften einen Übergang in eine reguläre Laufbahn im Schuldienst zu ermöglichen”, sagt Rupp.

SWK fordert einheitliche Standards

Solche Quereinstiegsmaster, wie es sie in ähnlicher Form zum Beispiel auch in Berlin oder für berufsbildende Schulen in NRW und Niedersachsen gibt, sind Schritte zur Professionalisierung des Quereinstiegs. Und es sind Schritte, die in Richtung der SWK-Empfehlung nach einheitlichen Standards gehen. Doch Richter geht das noch nicht weit genug. “Wir müssen auch Personen ansprechen, die im Beruf stehen und möglicherweise über einen neuen Karriereweg nachdenken.” Der Bildungsforscher hat auch eine konkrete Vorstellung, wie das funktionieren könnte: “Es braucht einen berufsbegleitenden Qualifizierungsweg, der universitär angebunden ist.”

Wer sich erst später für den Lehrerberuf entscheidet und nicht mehr in Vollzeit studieren möchte, sollte die Möglichkeit bekommen, sich außerhalb eines Studiengangs das Grundlagenwissen zu verschaffen. So könnte man etwa berufsbegleitend einzelne Kurse besuchen und Leistungspunkte sammeln.

Berufsbegleitende Studienangebote an den Universitäten

“Man sollte systematisch darüber nachdenken, ob man berufsbegleitende Studienangebote zur Weiterbildung schafft”, sagt auch Susanne Rupp. Damit könne man einer Deprofessionalisierung entgegenwirken. “Die wissenschaftliche Qualifikation sollte klar bei den Universitäten liegen”, betont Rupp. Beim Praktischen seien dagegen die Landesinstitute oder Lehrerbildungszentren näher dran und daher stärker in der Verantwortung.

Ein solches berufsbegleitendes Angebot ließe sich an den Universitäten umsetzen, sind sich die beiden Experten sicher. Denn: Die Zahl der Studienanfänger im Lehramt geht zurück. Gleichzeitig wurden mehr Studienplätze geschaffen. “An den Universitäten gibt es daher aktuell genug Ressourcen, um auch Quer- und Seiteneinsteiger auszubilden”, sagt Richter.

In Niedersachsen gibt es bereits eine berufsbegleitende Qualifizierung für ein Zweitfach. Und in Berlin können Quereinsteiger ihr Referendariat seit diesem Jahr parallel zur Arbeit an der Schule absolvieren. Doch auch “Learning on the job” brauche eine entsprechende Vorbereitung, sagt Richter.

Umdenken zu grundständigem zweiten Weg

Letztlich müsse man sich trauen, offen die Frage zu stellen, welches Modell eigentlich das Beste sei, sagt Richter. “Wir müssen daher stärker evidenzorientiert arbeiten.” Und: “Wir brauchen ein Umdenken”, fordert der Bildungsforscher. Es brauche einen grundständigen zweiten Weg für die Lehramtsausbildungen. “Aktuell gibt es viele Wege, die eher Trampelpfade sind und die wieder zugeschüttet werden, sobald es einen Überschuss an Lehrkräften gibt.”

Damit auch Universitäten besser planen können und nicht alle zwei Jahre mit gigantischem Aufwand neue Studiengänge schaffen, brauche es eine bessere Datenlage zum Lehrkräftebedarf, betont Rupp. “Hier muss ein intensiver und systematischer Austausch zwischen Schul- und Wissenschaftsbehörde sowie den Universitäten stattfinden, um die Entwicklungen besser verfolgen und schnell darauf reagieren zu können.”

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Startchancen: Wieso es Streit um einen möglichen Bürokratieaufwand gibt

Im Interview mit Table.Briefings hat Kultusministerin Anna Stolz am Mittwoch die Berichtspflichten kritisiert, die das Startchancen-Programm mit sich bringt. Die Kritik aus Bayern konterte nun die FDP. “Die Kritik der bayerischen Kultusministerin an den bürokratischen Anforderungen des Startchancen-Programms ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Gerade weil das gesamte Programm einen Paradigmenwechsel in der Bildungsfinanzierung darstellt, müssen Erfolge, Defizite und potenzielle Nachbesserungen vergleichbar erfasst werden”, sagte Gyde Jensen, FDP-Vizefraktionschefin im Bundestag Table.Briefings.

Anna Stolz hatte im Interview kritisiert: “Es ist kein Geheimnis, dass ich mit den Berichtspflichten, die dieses Programm vorsieht, nicht glücklich bin. Ziel muss es doch sein, die Schulen von unnötigem bürokratischen Aufwand zu befreien.” Jensen erwiderte, dass die Berichte und die damit enthaltenen Informationen wichtig seien, um Bilanz ziehen zu können und festzustellen, an welchen Schultypen und in welchen Ländern was wie gut oder eben nicht so gut funktioniert. “Wer dieses erforderliche Vorgehen als ,unnötigen bürokratischen Aufwand’ bezeichnet, scheint mehr Interesse an den Investitionsmitteln als an bildungspolitischen Erfolgen zu haben”, so Jensen weiter.

Kritik an Bürokratieaufwand ist nicht ganz neu

In einem Tweet auf der Plattform X war sie zuvor noch weiter gegangen: »Wie (un)bürokratisch #Startchancenprogramm ist, haben Länder mit in der Hand. Erst blockiert ⁦@KM_Bayern⁩, schindet Zeit, dann Zustimmung u. bringt jetzt gerade mal 100 von 580 Schulen an den Start. Fatal für die Bildungsgerechtigkeit in #Bayern.” Damit trifft Jensen einen neuralgischen Punkt. Hat doch gerade erst die ifo-Studie Bayern in Sachen Bildungsgerechtigkeit auf den letzten Platz gesetzt.

Die Kritik an einem möglichen Bürokratieaufwand des Startchancen-Programms ist allerdings nicht ganz neu. Bei der Startchancen-Einigung von Bund und Ländern Ende Januar hatte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien die Bürokratie bereits als “Wermutstropfen” bezeichnet. Vor allem Schulen und Schulträger drohe aus ihrer Sicht eine bürokratische Belastung. Und auch Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, die sich seit vielen Jahren für Schulen in herausfordernder Lage engagiert, hält den Bürokratieaufwand, der mit dem Startchancen-Programm einhergeht, für eine Herausforderung. “Ich kann die Sorge von Frau Stolz nachvollziehen. Ich hoffe, dass die Länder die Dinge möglichst unbürokratisch regeln, damit die Schulen einen möglichst großen Nutzen haben”, sagte er auf Nachfrage von Table.Briefings.

Berichte für jede Säule und jede Schule

In der Verwaltungsvereinbarung zum Startchancen-Programm ist vorgesehen, dass die Länder dem Bund zu jeder der drei Säulen des Programms einmal im Jahr und für jede der beteiligten Schulen über die Mittelverwendung berichten. Unter § 10 “Nachweis der Verwendung; Kontrolle” in der Verwaltungsvereinbarung sind neun Punkte genannt, die der Bericht enthalten muss. Dazu gehören etwa eine Kurzbeschreibung der jeweiligen Maßnahmen und die “Darstellung der Begründung des unmittelbaren Zusammenhangs mit einer Maßnahme zur Verbesserung der pädagogischen Qualität der Lernumgebung”. Festgehalten ist in der Vereinbarung außerdem, dass der Bund anlassbezogen Berichte und Vorlagen von Akten verlangen kann.

Um all diese Daten zu bekommen, werden die Länder vermutlich auch die Schulen in die Berichtspflicht einbeziehen. Inwieweit Schulen aber tatsächlich ein zusätzlicher Bürokratieaufwand droht, wie es die bayerische Kultusministerin beschreibt, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Schulleiter hoffen auf “einfache, klare Strukturen”

Achim Elvert, Schulleiter der Gesamtschule Ückendorf in Gelsenkirchen, die im kommenden Schuljahr zur Startchancen-Schule werden wird, hat grundsätzlich Verständnis für die Berichtspflicht. “Grundsätzlich ist klar, dass Gelder nicht blind vergeben werden können und es einer Steuerung bedarf”, sagte er im Gespräch mit Table.Briefings. Er gibt aber auch zu bedenken, dass der derzeit große Personalmangel Schulen hier vor große Herausforderungen stellt: “Gerade deshalb ist es wichtig, dass es einfache, klare Strukturen gibt, an denen man sich orientieren kann, aber auch relativ große Freiheiten für die Kolleginnen und Kollegen.”

Ähnlich äußert sich auch Benjamin Edelstein vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), der von Anfang an den Entwicklungsprozess des Startchancen-Programms begleitet hat. “Man muss einen guten Mittelweg finden, der einerseits verhindert, dass Mittel beliebig verausgabt werden. Auf der anderen Seite muss man den Kapazitäten, die Schulen für Zusätzliches haben, im Blick haben“, sagte er Table.Briefings.

Verwaltungsstrukturen auf Länderebene entstehen erst noch

Vor allem plädiert der WZB-Wissenschaftler aber dafür, das Startchancen-Programm nicht von vornherein schlechtzureden, sondern jetzt erst einmal starten zu lassen. Außerdem sei noch gar nicht klar, wie die konkreten Prozesse im Programm aussehen: “Im Augenblick kennen wir die Verwaltungsstrukturen, die im Programm auf Länderebene entstehen werden, ja noch nicht. Daher wissen wir auch nicht, wie die Mittel an die Schulen fließen. Die Verfahren werden wahrscheinlich unterschiedlich organisiert sein.” Er ist aber überzeugt, dass sich die Länder der Problematik bewusst sind. Das sieht auch Markus Warnke so, ergänzt aber: “Insgesamt nehme ich wahr, dass die Länder wirklich gewillt sind, ein richtig gutes Programm auf den Weg zu bringen, und dass die Schulträger hochmotiviert sind.”

Welcher bürokratische Aufwand durch die Teilnahme am Startchancen-Programm entsteht, sei aus Sicht der Kommunen derzeit nicht “seriös zu benennen”, betonte Daniela Schneckenburger, Beigeordnete für Bildung beim Deutschen Städtetag. In jedem Fall fordert sie, “dass die Förderrichtlinien so ausgestaltet sein müssen, dass eine Teilnahme für die Kommunen mit wenig Aufwand möglich ist”. Dies betreffe insbesondere die Möglichkeit, bereits geplante Maßnahmen im Baubereich anrechnen zu können.

Wie groß der Bürokratieaufwand, der mit den Berichtspflichten verbunden ist, dann tatsächlich ist, wird sich möglicherweise schon bald zeigen. Der erste Bericht der Länder an den Bund ist Ende dieses Jahres fällig.

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Standpunkt

Statt Fridays for Future jetzt “Ausländer raus”? – Was die Politik für junge Menschen tun sollte

Von Sebastian Sedlmayr
Sebastian Sedlmayr hält es für wichtig, dass Kinder schon früh die Möglichkeit haben, Demokratie einzuüben.

Tickt die Jugend in Deutschland plötzlich rechtsextrem? Studien privater Forschungsinstitute haben in den vergangenen Wochen ein solches Bild gezeichnet. Videos von Partys auf Sylt und an anderen Orten in Deutschland mit menschenfeindlichen Gesängen tragen zu dem Eindruck bei, junge Menschen wendeten sich ab vom gesellschaftlich-politischen Konsens von Demokratie und Menschenrechten. Von einer offenen Gesellschaft, in der die Herkunft zweitrangig ist. Und das zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni.

Die aktuelle Debatte übersieht drei wesentliche Punkte: Erstens steht auch heute die Mehrheit junger Menschen zur Demokratie. Zweitens sollten die Themen, die junge Menschen bewegen und für die sie Antworten von der Politik erwarten, viel stärker in den Vordergrund rücken, wenn Demokratieverdrossenheit nicht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden soll. Wenn Menschen sich mit ihren Anliegen nicht gesehen fühlen, wenden sie sich ab. Drittens beginnt das Erlernen eines demokratischen Miteinanders lange vor dem Wahlakt, selbst wenn das Mindestalter für die Wahl zum Europäischen Parlament in Deutschland auf 16 Jahre gesenkt wurde. Und auch Demokratie findet nicht nur an der Urne und nicht nur in Parteien oder staatlichen Zusammenhängen statt.

Was will die Jugend?

Die wichtigeren Fragen lauten deshalb: Was treibt Kinder und Jugendliche um? Was können wir tun, damit ihre Themen und ihre Perspektiven gehört, ernst genommen und priorisiert werden? Denn nur, indem Menschen erleben, dass sie eine Stimme haben und Veränderungen herbeiführen können, behalten sie auf Dauer das Vertrauen in die Demokratie.

Welche konkreten Themen für Kinder und Jugendliche bei der Europawahl im Vordergrund stehen, wissen wir leider nicht genau. Denn im Gegensatz zu den ausgefeilten Umfragen unter Wahlberechtigten erfahren wir vor Wahlen kaum etwas über Einstellungen und Themenpräferenzen in der Altersgruppe unter 16 Jahren. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, sich einer Antwort zu nähern.

Zum einen über die Fakten zu der Welt, in der Kinder in der EU aufwachsen. 20 Millionen Kinder – jedes vierte Kind – in den Ländern der Europäischen Union sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Mehr als elf Millionen Kinder und Jugendliche in der EU leiden an einer psychischen Erkrankung. 85.000 Menschen in 16 EU-Ländern haben allein im Jahr 2022 ihre Häuser und Wohnungen aufgrund von Unwetterkatastrophen verloren, darunter Tausende von Kindern. Unter den befragten 12- bis 16-Jährigen wurden 13 Prozent laut einer im vergangenen Jahr durchgeführten Befragung mehrfach Opfer sexueller Anmache bzw. Ziel sexualisierter Inhalte im Internet.

Bedürfnisse antizipieren

Über objektive Fakten hinaus muss eine Politik für Kinder und Jugendliche antizipieren, was junge Menschen bewegt. Anfang dieses Jahres hat Unicef gemeinsam mit Partnerorganisationen und einem zehnköpfigen Jugendbeirat die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, an der sich EU-weit rund 9.000 Kinder und Jugendliche beteiligt hatten. Das Ergebnis ist nicht repräsentativ, aber als Hinweis dienlich. Die größten Probleme sind demnach: ein veraltetes, wenig auf Kinder ausgerichtetes Bildungssystem, die weit verbreitete Krise der psychischen Gesundheit von Jugendlichen, Mobbing, kaum Beteiligungsmöglichkeiten an politischen und gesellschaftlichen Debatten und schließlich die seit Jahren versprochene, bisher aber ausgebliebene massive Offensive gegen den Klimawandel.

Die Themen junger Menschen gehören auf die politische Agenda. Denn wie sollen sich junge Menschen politisch repräsentiert fühlen, wenn ihre Anliegen kaum Beachtung finden? Und: Politik muss sich erklären. Antworten so zu geben, dass junge Menschen sie verstehen, ist eine Aufgabe, die mit schwindender Zustimmung zu demokratischer Problemlösung immer dringender wird.

Demokratie früh üben

Eine weitere Aufgabe besteht darin, das Verständnis für Demokratie und ihre unschlagbaren Vorzüge für ein friedliches Miteinander schon sehr früh einzuüben – in der Kita, in der Schule, in Einrichtungen und an Orten, die Kinder und Jugendliche frequentieren. Ja, politische Bildung gehört schon in die Kita. Das bedeutet nicht, dass dort das Grundgesetz ausliegt oder ein Plakat der UN-Kinderrechtskonvention hängt, das kein Kind lesen kann. Demokratiepädagogik bedeutet, dass schon die Jüngsten erleben und verstehen, dass andere ihre Meinung oder ihren Willen ernst nehmen, dass alle einander respektvoll behandeln, dass Gewalt inakzeptabel ist, dass Regeln für alle gelten.

Später, in der Schule, verbinden sich diese grundlegenden Fähigkeiten mit den abstrakten Formeln eines politischen Systems. Dafür braucht es allerdings – für Deutschland gesprochen – einen Ruck durch die Kultusministerien der Länder. Denn das aktuelle Angebot von durchschnittlich weniger als eine Stunde Politikunterricht pro Woche ist eine geradezu lächerlich geringe Investition eines demokratischen Staates in seinen eigenen Erhalt.

Reform des Bildungssystems

Die Bildungsstiftungen des Landes und 100 Organisationen, darunter auch UNICEF Deutschland, haben vor kurzem einen Reformprozess für das deutsche Bildungssystem gefordert und verweisen auf die – von allen EU-Staaten ratifizierte – UN-Kinderrechtskonvention.

Schöner als in deren Artikel 29 ist kaum zu formulieren, was auch die Kinder und Jugendlichen der oben erwähnten Befragung in der EU wünschen: Bildung muss demnach darauf gerichtet sein, “die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen”, ihm “Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten” zu vermitteln und es “auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft” vorzubereiten.

Soweit das Ziel. Für die Kinder und Jugendlichen in Europa, auch in Deutschland, kommt es darauf an, dass die gewählten Politikerinnen und Politiker ihre Selbstverpflichtung ernst nehmen.

Quellen:

Meine 1. Europawahl (kas.de)

Trendstudie “Jugend in Deutschland 2024”

Junge Menschen in Deutschland vertrauen der Demokratie und der EU (bertelsmann-stiftung.de)

The State of Children in the European Union 2024 | UNICEF European Union

The environment and child well-being policy brief.pdf (unicef.org)

Europe Kids Want – Child & Youth Friendly Governance Project (childfriendlygovernance.org)

Politische Bildung in der Schule | Wissensatlas Bildung der Stiftungen (wissensatlas-bildung.de)

#NeustartBildungJetzt – Bildungsdialog für Deutschland (neustart-bildung-jetzt.de)

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News

KMK: Was beim Sommertreffen der Länder auf der Agenda steht

In der Kultusministerkonferenz schreitet die geplante Trennung von Bildungs- und Wissenschaftsseite weiter voran. Am Dienstag traf sich die Strukturkommission II zu einer “länderoffenen Sitzung”, in der die Aufspaltung auf der Tagesordnung stand. “Wie bereits bekannt, wird sich die Bildungsseite diesem nachvollziehbaren Wunsch der Wissenschaft nicht verschließen“, erklärte ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums Table.Briefings.

Die Strukturreform wird auch Thema der Kultusministerkonferenz sein, die kommende Woche in Vöklingen stattfindet. Es ist das erste Thema im gemeinsamen Sitzungsteil von Schul- und Hochschulseite, der laut Tagesordnung am Donnerstag (13. Juni) um 15.30 Uhr beginnen soll. Das Sommertreffen der Kultusminister findet traditionell in dem Bundesland statt, das den Vorsitz der Konferenz innehat.

Umfangreiche Tagesordnung

Außerdem beschäftigen sich die Kultusminister in Völkingen unter anderem mit dem Projekt “StarS”. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Slogan “Stark in die Grundschule starten”. Ziel der Länder ist es, in Kooperation mit dem IQB diagnostische Verfahren zur Untersuchung der Lernausgangslage zu Schulbeginn sowie der Lernentwicklung zu Beginn der zweiten Jahrgangsstufe zu entwickeln. Sie sollen den Schulen in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden. “Wir wollen allen Kindern einen guten Start in das schulische Lernen ermöglichen und die teils erheblichen Unterschiede in den Lernvoraussetzungen, die zu Beginn der Schulzeit bestehen, reduzieren”, erklärt KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD).

Als Gäste erwarten die Minister unter anderem zwei Mitglieder der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK): Susanne Prediger wird den Sachstand zu einem Gutachten mit dem Arbeitstitel “Sicherung von schulischen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I für den Übergang in die berufliche Erstausbildung” präsentieren. Außerdem stellt Kai Maaz als Sprecher der Autorengruppe Bildungsberichterstattung die Ergebnisse des Bildungsberichts 2024 vor. Weitere Themen auf der Agenda sind unter anderem der Digitalpakt II, Inklusion im Schulsport sowie die Weiterentwicklung der Bildungsstandards in den Naturwissenschaften für den Mittleren Schulabschluss. Maximilian Stascheit

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Inklusive Bildung: Wieso die Opposition dem BMBF fehlende Ambitionen vorwirft

In dieser Legislaturperiode hat das BMBF keine neuen Förderrichtlinien für die Forschung zur inklusiven Bildung auf den Weg gebracht. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor. Es seien “bislang keine entsprechenden Förderrichtlinien erlassen” worden, heißt es darin.

Lars Rohwer (CDU), Berichterstatter für inklusive Bildung, kritisiert das deutlich. Die Antwort zeige, “dass kaum Ambitionen bestehen, das Thema forschungspolitisch mit Förderprogrammen und innovativen Forschungsansätzen voranzubringen”. Alle bestehenden Programme seien bereits in der vorigen Legislaturperiode vom CDU-geführten Bildungsministerium initiiert worden.

Tatsächlich verweist das BMBF unter anderem auf die bereits bestehende Forschungsförderung. Dazu gehört das Projekt “Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung“. Es hat eine Laufzeit von 2021 bis 2026 und umfasst ein Fördervolumen von 22,6 Millionen Euro. Die Bekanntmachung zum Programm stammt aus dem Dezember 2019. Zudem nennt das Ministerium die zweite Förderphase der Längsschnittstudie “Inklusive Bildung in der Sekundarstufe I” (Laufzeit 2021 bis 2025, Fördervolumen sieben Millionen Euro).

BMBF: Umsetzung inklusiver Bildung ist Ländersache

Die Ampel müsse dafür sorgen, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit inklusiver Bildung auch in Zukunft gewährleistet sei, fordert Rohwer. “Gleichzeitig sollte sie einen pragmatischen Weg mit den Ländern finden, um sie bei der Umsetzung inklusiver Bildung effektiv zu unterstützen.” In der Antwort auf die Kleine Anfrage erklärt das Ministerium demgegenüber: “Die Umsetzung inklusiver Bildung fällt in die Zuständigkeit der Länder, die eigenverantwortlich entsprechende Maßnahmen umsetzen.” Die Bundesregierung unterstütze die Länder – unter anderem durch Förderung von Forschungsprojekten.

Dass Handlungsbedarf besteht, hatte zuletzt etwa ein Papier der Bertelsmann Stiftung (Inklusion im deutschen Schulsystem – Schuljahr 2021/2022) gezeigt. In der Veröffentlichung von September 2023 heißt es: “Die 16 Bundesländer nähern sich trotz gesetzlicher Verankerung der tatsächlichen Umsetzung eines inklusiven Schulsystems zum Teil gar nicht, zum Teil in höchst unterschiedlicher Weise und Geschwindigkeit an.” Holger Schleper

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Bafög: Wie SPD und Grüne sich gegen die Bildungsministerin durchsetzten

SPD, Grünen und FDP haben am Mittwoch eine Einigung in den Verhandlungen zur Bafög-Reform verkündet: Ab dem Wintersemester 2024/25 sollen die Bedarfssätze um fünf Prozent erhöht werden. Außerdem steigen die Elternfreibeträge um 5,25 Prozent und der Wohnkostenzuschlag von 360 auf 380 Euro. Das Bundeskabinett verabschiedete eine Formulierungshilfe (hier zum Download), mit der die Fraktionen den Gesetzentwurf des BMBF im Parlament ändern können.

Damit setzen sich SPD und Grüne gegen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und die FDP durch, die eine Erhöhung mit Verweis auf die schwierige Haushaltslage abgelehnt hatten. Für das laufende Jahr stehen im Bundeshaushalt 150 Millionen Euro zur Verfügung, die nur zweckgebunden für eine Erhöhung der Regelsätze verwendet werden dürfen. Wie die entstehenden Mehrbelastungen ab 2025 im BMBF-Etat abgedeckt werden sollen, ist allerdings unklar.

Studentenvertretung: Bafög-Erhöhung leider homöopathisch

Zudem streichen die Fraktionen Stark-Watzingers ursprünglichen Plan, die Mindestraten bei der Bafög-Rückzahlung von 130 auf 150 Euro im Monat zu erhöhen – ein Punkt, auf den insbesondere die SPD gedrungen hatte. Es bleibt also dabei, dass maximal 10.010 Euro Schulden getilgt werden müssen, da nach 77 abgezahlten Raten in der Regel der Rest erlassen wird.

Dem Freien Zusammenschluss der Student*innenschaften (fzs) gehen die Beschlüsse allerdings nicht weit genug. “Es ist zwar lobenswert, dass es zu keiner Nullrunde kommt, solch eine Erhöhung ist jedoch homöopathisch“, sagte Niklas Röpke, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Studentenvertretungen, Table.Briefings. Eine echte Strukturrform müsse die Bedarfssätze mindestens auf Höhe des Bürgergelds anheben, die Wohnkostenpauschale reformieren und eine automatische Anpassung an die allgemeine Preisentwicklung einführen, erklärte Röpke. Maximilian Stascheit

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“NEETs”: Wieso die Zahl junger Menschen ohne Ausbildung oder Beschäftigung steigt

Um etwa 50.000 Menschen ist von Ende 2022 bis Ende 2023 die Zahl der “NEETs” angestiegen – junger Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die länger als vier Wochen weder in Beschäftigung noch in Schule oder Ausbildung waren. Das Akronym steht für “Not in Education, Employment or Training”. Ende 2023 gab es in Deutschland 626.000 NEETs, was 7,4 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 24 Jahren entspricht, 0,6 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Das zeigen Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat). “Der Anstieg geht einher mit einer Schwächephase der Wirtschaft, da sind typischerweise die Arbeitslosenzahlen erhöht, auch bei jungen Menschen”, sagt Clemens Wieland, Senior Expert für Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung veröffentlicht heute einen neuen Faktencheck zu NEETs, der Table.Briefings exklusiv vorlag (zum Download).

Die Experten warnen jedoch davor, die hohe Zahl der NEETs vorschnell zu interpretieren. So ist der Anteil über die vergangenen 15 Jahre gesunken. 2009 lag die Zahl noch bei 920.000, was damals 9,8 Prozent der 15- bis 24-Jährigen entsprach. Bei den NEETs handelt es sich außerdem um eine äußerst heterogene Gruppe. Sie lässt sich in vier Teilgruppen aufteilen:

  • Personen, die nicht erwerbsfähig sind, zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder weil sie Care-Arbeit leisten,
  • junge Menschen, die einen Ausbildungs- und Studienplatz suchen,
  • Betroffene, die bereits einen Bildungsabschluss haben und nun eine Arbeitsstelle suchen oder zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen stehen,
  • Personen, die eigentlich erwerbsfähig sind, aber keine Arbeit oder Ausbildung suchen, weil sie etwa ein Gap-Year machen oder orientierungslos sind.

Lage der Jugendlichen hat auch mit Ausbildungsmarkt zu tun

“Es ist also lange nicht so, dass alle NEETs chillen und künftig keiner Arbeit oder Ausbildung nachgehen wollen, wie es manche Medienberichte gerade im vergangenen Jahr suggeriert haben”, sagt Wieland zu Table.Briefings. Dabei verweist er auch auf eine Korrelation, die sich beim Blick auf Unterschiede der Bundesländer zeigt: Je weniger Ausbildungsplätze auf jene Jugendlichen kamen, die in eine Ausbildung vermittelt werden wollten, desto mehr NEETs gab es.

Negativer Spitzenreiter ist dabei Berlin: Im Stadtstaat gab es Ende vergangenen Jahres 12,1 Prozent NEETs. Gleichzeitig kamen auch nur 83 Ausbildungsplätze auf 100 Jugendliche. “Das zeigt, dass die Zahl der NEETs auch etwas mit der Lage am Ausbildungsmarkt zu tun hat, manche Jugendliche also vermutlich unverschuldet ohne Ausbildung bleiben“, sagt Wieland. Sein Schluss daraus: Wem es schwerfällt, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, der muss noch mehr Unterstützung erhalten. Anna Parrisius

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ILeA plus: Wie Sachsen-Anhalt Schüler besser individuell fördern will

Damit Lehrkräfte die Lernstände der Schüler in Deutsch und Mathematik besser einschätzen und entsprechende Fördermaßnahmen ergreifen können, führt Sachsen-Anhalt die Lernstandsanalyse “ILeA plus” ab dem kommenden Schuljahr flächendeckend ein. Bereits im laufenden Schuljahr war ILeA plus an ausgewählten Grundschulen in der Erprobung.

“Durch kontinuierliche Lernstandsanalysen bieten wir nicht nur Einblicke in ihre Entwicklung, sondern ermöglichen auch langfristig wirksame Maßnahmen zur Unterstützung ihres Lernens”, sagte Bildungsministerin Eva Feußner bei der Vorstellung der flächendeckenden Einführung in der vergangenen Woche. Lehrkräfte sollen die standardisierten Tests zu Beginn jedes Schuljahres durchführen.

Mit ILeA plus bekommen Lehrkräfte sofort eine Auswertung

ILeA steht für individuelle Lernstandsanalysen. Das pädagogische Diagnose-Instrument fokussiert die Fächer Deutsch und Mathematik für die Jahrgangsstufen 1 bis 6. Im Gegensatz zu VERA handelt es sich hier nicht um eine Leistungserhebung, sondern um die Erfassung der Lernausgangslagen, auf die dann die entsprechende Förderung aufbauen soll. Darum werden die Tests auch nicht wie bei VERA zum Ende, sondern zu Beginn eines Schuljahres durchgeführt. Bei Bedarf können Lehrkräfte sie auch mehrfach während eines Schuljahres einsetzen.

“Das Besondere ist, dass Lehrkräfte sofort eine Auswertung bekommen und den Lernprozess selbst steuern können”, erklärt Antje Skerra Table.Briefings. Sie ist beim Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) verantwortlich für die Länderkooperation ILeA plus. Bei anderen Förder-Apps würden Kinder ein Übungsangebot bekommen, das Lehrkräfte nicht steuern können. ILeA plus biete ihnen hingegen eine Förderempfehlung und entsprechende Lernmaterialien, aber sie könnten letztlich selbst entscheiden, was sie davon nutzen.  

Inzwischen nutzen fünf Bundesländer das Instrument

Verschiedene Hochschulen haben das Instrument in Kooperation mit dem Land Brandenburg entwickelt – zunächst 2005 als analoge Variante ILeA. 2016 begann dann die Entwicklung einer digitalisierten Version – ILeA plus. Das Analyse-Tool baut zwar auf dem Berlin Brandenburger Rahmenlehrplan auf, aber da seien die Unterschiede zwischen den Ländern nicht so groß, daher lasse sich ILeA plus auch anderswo nutzen, versichert Skerra.

Inzwischen wird das Diagnoseverfahren bereits in fünf Bundesländern genutzt: neben Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind das Berlin, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Weitere Länder, so Skerra hätten auch Interesse angemeldet. Annette Kuhn

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Brandenburg: Wie Distanzunterricht Berufsschulen auf dem Land helfen kann

In Brandenburg startet ein auf drei Jahre angelegtes Experiment, das zeigen soll, wie erfolgreicher digitaler Unterricht in der beruflichen Bildung aussehen kann. An dem Schulversuch nehmen gastronomische Ausbildungsberufe an fünf Oberstufenzentren teil. “Digitales Lernen kann den Zugang zu Bildung erleichtern”, sagt Bildungsminister Steffen Freiberg. So könne Distanzunterricht auch die Inklusion fördern. Zudem besteht die Hoffnung, dass die Integration von digitalen Elementen in den Schulalltag die Schüler besser auf die künftige Arbeitswelt vorbereitet.

Dem Projekt ist eine Änderung des Schulgesetzes im Februar vorangegangen, in der der Distanzunterricht erstmals eine rechtliche Grundlage erhielt. Der Ausbau von digitalen Unterrichtsmöglichkeiten ist besonders für die ländlichen Regionen Brandenburgs interessant. So können langfristige Bildungsangebote erhalten bleiben, aber auch neue entstehen. Der Weg zur passenden Berufsschule ist dort zum Teil sehr lang. Das schmälert die Attraktivität einer Ausbildung für junge Leute. Eine ähnliche Regelung trat deswegen auch in NRW in Kraft.

Konferenzschaltung im Klassenzimmer

In Brandenburg sollen vor allem zwei Formen des digitalen Unterrichts getestet werden:

  • Der “synchrone” Distanzunterricht startete im Mai. Bei dieser Unterrichtsform sind die Schüler in ihrer jeweiligen Schule anwesend, die die technischen Mittel zur Verfügung stellt. Digital werden die Schüler mit einer Lehrkraft verbunden, die auch auf Fragen der Schüler eingehen kann. Dieser digitale Unterricht findet dann an mehreren Standorten parallel statt.
  • Beim “asynchronen” Unterricht lernen die Schüler selbständig. Ihnen werden vollständige Unterrichtseinheiten digital zur Verfügung gestellt. Diese Form soll im nächsten Schuljahr erprobt werden. Bisher ist die Nutzung solcher vollständig digitalen Unterrichtsformen nicht Teil der Lehrerausbildung. 

Um den Distanzunterricht umsetzen zu können, erhielten die Schulen jeweils 20.000 Euro aus dem Digitalpakt. Zudem investierte der Landkreis Prignitz als Schulträger eigenen Angaben zufolge weitere 70.000 Euro, um drei Räume am OSZ in Wittenberge für den Digitalunterricht auszustatten. Kosten für mögliche Weiterbildungen für Lehrkräfte übernimmt das Land Brandenburg. dpa/jgl

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Katrin Langer: Wie sie Thüringen zu Azubis verhelfen will

Seit Dezember 2023 Gründungspräsidentin der German Professional School: Katrin Langer.

Im März hat für den ersten Jahrgang der German Professional School (GPS) in Thüringen der Unterricht begonnen und seit Dezember 2023 ist Katrin Langer Gründungspräsidentin. Die GPS soll Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund auf eine Ausbildung vorbereiten. Das Wirtschaftsministerium stellt dafür in einer Pilotphase bis 2026 11,5 Millionen Euro zur Verfügung. Eigentlich wollte Langer einmal Lehrerin in der Erwachsenenbildung werden.

Doch die politischen Ereignisse im Jahr ihres Diploms in Germanistik, Slawistik und Pädagogik waren in großem Maße mit dafür verantwortlich, dass Langers Karriere sich schnell von ihrem eigentlichen Berufsplan entfernte. An der Pädagogischen Hochschule Erfurt promovierte sie in Pädagogik und Philologie. Als es Anfang der 1990er-Jahre zur ersten Digitalisierungswelle kam, setzte sie als Gaststudentin nach Großbritannien über, damals Vorreiter im Computer Assisted Learning. Langer zufolge eine “Initialzündung” für ihr weiteres berufliches Leben, da sie dort mitbekam, wie ein innovativer Ansatz sich etablierte.

Gründete nach der Wende Institut für akademische Weiterbildung

Zurück in Deutschland gründete Langer im Jahr 1993 das Thüringer Institut für akademische Weiterbildung. In der Umbruchsituation auf dem Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung setzte das Team Weiterbildungsprogramme auf, die die Teilnehmer fit für die Bedarfe der Wirtschaft machen und in Arbeit bringen sollten.

Ein vergleichbares Konzept verfolgt Langer nun mit der GPS. In einer aktuell sechsmonatigen Qualifizierungsphase erhalten die Teilnehmer, die einen Schulabschluss vorweisen müssen und ein Sprachzertifikat auf B1-Niveau, Sprachförderung, politische und interkulturelle Bildung sowie berufliche Orientierung. Neben Praktika gibt es einen Matchingprozess, an dessen Ende der Ausbildungsvertrag stehen soll.

Aufgabe von Langers Team ist es, bestehende Programme in Thüringen zu bündeln und neu auszurichten – Sprach- und Integrationskurse, Angebote für politische Bildung und Berufsorientierung. So will die GPS instabilen Ausbildungsverhältnissen oder frühzeitigen Abbrüchen vorbeugen. Auch während des ersten Ausbildungsjahrs soll es eine Begleitung der jungen Erwachsenen geben.

90 Teilnehmer im ersten Jahrgang

Dass das Konzept bei Geflüchteten anzukommen scheint, darauf deuten Langer zufolge die Zahlen des ersten Jahrgangs hin: Statt ursprünglich geplant 80 verteilen sich seit März 90 Teilnehmer aus elf Ländern auf vier Standorte in Thüringen – Eisenach, Mühlhausen, Gotha und Jena. Bis zu 1.000 Teilnehmer sind bis 2026 geplant. Dafür will die GPS auch erst noch junge Menschen anwerben, die aktuell noch im Ausland leben.

Wie genau diese Anwerbung vonstattengehen soll, kann Langer aber noch nicht sagen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, schon ab September soll der zweite Jahrgang starten – dann für Schulungen über zwölf Monate und ohne, dass die Teilnehmer ein bestimmtes Sprachzertifikat vorweisen müssen. In der Pilotphase bis 2026 sei es Langers Aufgabe, Curricula zu entwickeln und diese zu akkreditieren. Die GPS sehe sie derweil mit einer angespannten Personallage konfrontiert.

AfD könnte GPS gefährden

Aus einer weiteren Herausforderung für die GPS macht Langer keinen Hehl: Die AfD könnte die Einrichtung nach der Landtagswahl in Thüringen im September gefährden. Immer wieder haben AfD-Vertreter gefordert, dem Fachkräftemangel in Deutschland mit mehr Geburten statt Zuwanderung beizukommen. Falls die Partei in Regierungsverantwortung kommt, hält Langer etwa einen Umbau der GPS für wahrscheinlich. Auch deshalb ist Schnelligkeit für Langer wichtig. “Noch vor der parlamentarischen Sommerpause wollen wir möglichst viel im Aufbau der GPS geschafft haben.”

Dass es gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rückhalt für das Projekt gibt, damit ist die GPS-Präsidentin sich trotzdem sicher. Denn die Nachfrage nach ausgebildeten Fachkräften ist hoch in Thüringen. Langer sagt: “Wenn die Unternehmen dadurch verlässliche Fachkräfte bekommen, wird die Wirtschaft immer hinter einem Ansatz wie dem der GPS stehen.” Jasper Bennink

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Mehr von Table.Media

Research.Table. Rankings: So haben deutsche Unis im QS World University Ranking abgeschnitten. In internationalen Hochschulrankings finden sich für gewöhnlich nur wenige deutsche Unis im Spitzenfeld. Seit einigen Jahren ist man um bessere Platzierungen bemüht. Ob die Bemühungen erfolgreich waren, lesen Sie hier.

Research.Table. EU Programm: Wie viel Geld es künftig für internationale Studierendenmobilität geben soll. Für den aktuellen Förderaufruf der Erasmus+-Programme sind für 2024 und 2025 216 Millionen Euro eingeplant. Wie diese Summe im Vergleich zum Aufruf im Jahr 2023 aussieht, lesen Sie hier.

Presseschau

Taz: Bildung gegen Überforderung in der Digitalisierung. Nach einer Studie von Bitkom fühlen sich 41 Prozent der Deutschen von den digitalen Technologien überfordert. Auch von Angst berichtet ein Drittel. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst sieht in den Ergebnissen der Studie einen klaren Handlungsbedarf. “Wir dürfen hier keine Bevölkerungsgruppe außen vor lassen”, sagt er. An verschiedenen Stellen müsse nachgebessert werden. Arbeitgeber sollten ihre Beschäftigten mit Fortbildungen auf die Digitalisierung vorbereiten. Auch in der Schule solle durch Fächer wie Informatik schon früh der Umgang mit Technik Thema sein. (Gefühlte Überforderung

SZ: Welche Ausbildungen im NRW-Gesundheitswesen besonders viele Frauen und Ausländer absolvieren. Eine Umfrage des Statistischen Landesamtes in NRW ergab, dass zwölf Prozent aller Lernenden an Schulen des Gesundheitswesens in NRW keinen deutschen Pass haben. Besonders hoch war ihr Anteil in den Bildungsgängen Pflegefachassistenz (30 Prozent) und Pharmazeutisch-technische Assistenz (27 Prozent). Insgesamt waren 69 Prozent der Schüler Frauen. Im Bereich Ergotherapie und Pharmazeutisch-technische Assistenz lag der Frauenanteil sogar bei über 80 Prozent. (Schulen im Gesundheitswesen: Jeder achte Schüler Ausländer

SZ: Mehr Fachkräfte fehlen in Kitas als bisher angenommen. In jeder Kita fehlen mindestens zwei Fachkräfte. Das ergibt der Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes. Demnach fehlen 125.000 Fachkräfte. Bundesfamilienministerin Lisa Paus sprach hier zuletzt von 50.000 bis 90.000 unbesetzten Stellen. Die Gefahr des Personalmangels ist nicht nur ein schlechteres Angebot für Kinder, sondern es droht auch der Ausfall von Personal aufgrund von Überarbeitung durch Überstunden. (Situation in Kitas verschlechtert sich zunehmend)  

Der Standard: Forderungen für ein moderneres Bildungssystem in Österreich. Die Experteninitiative “Mehr Grips” fordert in Österreich, dass Bildung zur obersten Priorität der Regierung ernannt wird. So sei auch ein Bildungsbeauftragter der Regierung notwendig, der sich der Modernisierung des Bildungssystems widmet. Der Ausbau von Ganztagsschulen solle helfen, dass Bildungschancen weniger vom Elternhaus abhängen. Zudem solle die Kita-Betreuung aufgewertet werden. Es solle kleinere Gruppen geben und die dort tätigen Pädagogen sollten finanziell mit denen anderer Schultypen gleichgestellt werden. (Initiative “Mehr Grips” will mehr Ganztagsschulen und bessere Bezahlung von Elementarpädagogen

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Mehr Unterstützung für Studium und Ausbildung für junge Mütter notwendig. Eine Studie des BiB zeigt, dass ein höheres Alter der Mutter (30+) sich leicht positiv auf die mathematischen Kompetenzen und das sozial-emotionale Verhalten ihrer Kinder auswirkt. Dieses Ergebnis resultiere wohl daraus, dass kindliche Bildung noch immer stark vom Elternhaus abhängt. Ältere Mütter haben häufig höhere Bildungsabschlüsse oder konnten auch mehr Berufserfahrung sammeln. Als Reaktion auf die Ergebnisse hofft das Institut auf einen Ausbau der Unterstützungsressourcen für jüngere Mütter. Verlässliche und öffentlich finanzierte Kinderbetreuungsangebote könnten es jungen Müttern ermöglichen, ihre Ausbildung oder ihr Studium abzuschließen und so besser in die Berufswelt zu starten. (Kinder von älteren Müttern sind besser in Mathe und sozial kompetenter

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wissen, was wirkt – das könnte die Bildungspolitik entscheidend voranbringen, geht es nach Dirk Richter, Bildungsforscher an der Uni Potsdam. Meine Kollegin Vera Kraft hat mit ihm über Quer- und Seiteneinsteigerprogramme in den Ländern gesprochen und wie diese helfen können, den Lehrkräftemangel zu bekämpfen. Dass der Personalmangel sich voraussichtlich verschieben wird, macht die Sache nicht leichter. Wie der Stand in den Ländern ist und warum es mehr Langfristplanung braucht, lesen Sie in der Analyse – und einem ausführlichen Länderüberblick.

    Wissen darüber zu erlangen, was wirkt, das ist bereits das Ziel von Bund und Ländern beim Startchancen-Programm. Es soll “als lernendes Programm und im Sinne einer effektiven Umsetzung und Steuerung wissenschaftlich begleitet und evaluiert” werden, heißt es in der Verwaltungsvereinbarung. Dass Anna Stolz, Bayerns Kultusministerin, die Berichtspflichten der Schulen aber nicht so lustig findet, sagte sie Mitte der Woche im Interview mit Bildung.Table. Annette Kuhn und Holger Schleper haben sich umgehört, ob auf die Schulen tatsächlich ein Bürokratiemonster wartet.

    Eine Wissenslücke kritisiert Sebastian Sedlmayr, Leiter Advocacy und Politik bei Unicef Deutschland, mit Blick auf die junge Generation: “Welche konkreten Themen für Kinder und Jugendliche bei der Europawahl im Vordergrund stehen, wissen wir leider nicht genau”, schreibt er in seinem Standpunkt. Dass das die Politik allerdings nicht daran hindern sollte, Bedürfnisse zu antizipieren und wo er Handlungsbedarf sieht, lesen Sie im Briefing.

    Ich hoffe, die Lektüre bringt Ihnen gute Anregungen und neues Wissen,

    Ihre
    Anna Parrisius
    Bild von Anna  Parrisius

    Analyse

    Lehrkräftemangel: Welche strukturelle Verankerung der Quereinstieg braucht

    Die großen Lücken erforderten schnelle Lösungen. Angesichts ausfallender Unterrichtsstunden und wenig nachkommender Lehramtsabsolventen holten sich Schulen immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger ins Klassenzimmer. Viele von ihnen absolvierten einen zweijährigen Vorbereitungsdienst, manche aber auch nur einen vierwöchigen Kompaktkurs – wenn überhaupt. Obwohl eine Studie der Bertelsmann Stiftung für Grundschulen bald einen Lehrerüberschuss prognostizierte, ist in den kommenden Jahren trotzdem nicht überall von einer Entspannung der Situation auszugehen. Doch die Bedarfe werden sich voraussichtlich verschieben. Eine exklusive Umfrage von Table.Briefings zeigt, wie die Länder damit umgehen. Seitens der Bildungsforschung und der Universitäten gibt es konkrete Ideen, wie sich die Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern ändern muss.

    In Sachsen, als ein Beispiel, könnte eigenen Angaben zufolge an Grundschulen bereits in drei bis vier Jahren der Einstellungsbedarf durch ausgebildete Lehrkräfte wieder gedeckt werden. Dass für all die Menschen, um die gerade noch massiv geworben wird, dann plötzlich kein Platz mehr an Schulen ist, ist allerdings nicht zu erwarten. Eine Entschärfung der Situation sei vor allem an den weiterführenden Schulen “noch in weiter Ferne”, wie eine Sprecherin des sächsischen Kultusministeriums Table.Briefings mitteilte.

    Den exklusiven Überblick, wie Länder die Ausbildung und den Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigern aktuell und in Zukunft angehen (wollen), finden Sie hier.

    Quereinsteiger verschwinden in der Statistik

    Zudem gilt in den meisten Ländern: Sobald jemand den Vorbereitungsdienst abgeschlossen hat, zählt die Person als reguläre Lehrkraft. Sie übernimmt folglich die gleichen Aufgaben und kann unbefristet eingestellt beziehungsweise verbeamtet werden.

    Meist heißt das aber auch: Die Personen lassen sich in der Statistik nicht mehr als Quereinsteiger identifizieren. In Relation zu sonstigen Neueinstellungen weiß man aber immerhin, dass der Anteil im aktuellen Schuljahr beispielsweise in NRW rund elf Prozent, in Thüringen circa 25 Prozent und in Brandenburg sogar knapp 40 Prozent betrug.

    Wichtigste Stellschraube, um mehr Lehrer zu gewinnen

    Bei großer Nachfrage sind Quer- und Seiteneinsteiger “die wichtigste Stellschraube, um substanziell mehr Personen in den Lehrerberuf zu bekommen”, sagt Dirk Richter, Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam. Aber: “Die Länder haben es versäumt, sich frühzeitig darüber zu verständigen, welche Qualitätsstandards die Ausbildung von Quereinsteigern haben soll.”

    Die meisten Länder gaben bei der Länderumfrage an, in Zukunft weiterhin Quer- und Seiteneinsteiger zu benötigen. Zehn Länder überarbeiten oder überprüfen zudem die Möglichkeiten des Quer- und Seiteneinstiegs.

    Professionalisierung des Quereinstiegs

    Susanne Rupp, Leiterin des Zentrums für Lehrkräftebildung Hamburg, setzt sich ebenfalls für bessere Möglichkeiten des Quereinstiegs ein. “Es reicht nicht, einfach die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. Dadurch kommen nicht zwingend mehr Bewerbungen rein.” Rupp hat daher an der Universität Hamburg den Master of Education als Aufbauqualifikation mitaufgebaut, der sich an Absolventen eines Bachelorstudiums richtet, die nun Lehrer werden möchten.

    Der neue Studiengang startet ab kommendem Wintersemester. Er soll den Studierenden in zwei Jahren im Wesentlichen die erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen vermitteln, die sonst über das ganze (reguläre) Lehramtsstudium hinweg erworben werden. Nur ein zweites Unterrichtsfach fehlt den Absolventen. “Da liegt es dann in den Händen der Schulbehörde, diesen Ein-Fach-Lehrkräften einen Übergang in eine reguläre Laufbahn im Schuldienst zu ermöglichen”, sagt Rupp.

    SWK fordert einheitliche Standards

    Solche Quereinstiegsmaster, wie es sie in ähnlicher Form zum Beispiel auch in Berlin oder für berufsbildende Schulen in NRW und Niedersachsen gibt, sind Schritte zur Professionalisierung des Quereinstiegs. Und es sind Schritte, die in Richtung der SWK-Empfehlung nach einheitlichen Standards gehen. Doch Richter geht das noch nicht weit genug. “Wir müssen auch Personen ansprechen, die im Beruf stehen und möglicherweise über einen neuen Karriereweg nachdenken.” Der Bildungsforscher hat auch eine konkrete Vorstellung, wie das funktionieren könnte: “Es braucht einen berufsbegleitenden Qualifizierungsweg, der universitär angebunden ist.”

    Wer sich erst später für den Lehrerberuf entscheidet und nicht mehr in Vollzeit studieren möchte, sollte die Möglichkeit bekommen, sich außerhalb eines Studiengangs das Grundlagenwissen zu verschaffen. So könnte man etwa berufsbegleitend einzelne Kurse besuchen und Leistungspunkte sammeln.

    Berufsbegleitende Studienangebote an den Universitäten

    “Man sollte systematisch darüber nachdenken, ob man berufsbegleitende Studienangebote zur Weiterbildung schafft”, sagt auch Susanne Rupp. Damit könne man einer Deprofessionalisierung entgegenwirken. “Die wissenschaftliche Qualifikation sollte klar bei den Universitäten liegen”, betont Rupp. Beim Praktischen seien dagegen die Landesinstitute oder Lehrerbildungszentren näher dran und daher stärker in der Verantwortung.

    Ein solches berufsbegleitendes Angebot ließe sich an den Universitäten umsetzen, sind sich die beiden Experten sicher. Denn: Die Zahl der Studienanfänger im Lehramt geht zurück. Gleichzeitig wurden mehr Studienplätze geschaffen. “An den Universitäten gibt es daher aktuell genug Ressourcen, um auch Quer- und Seiteneinsteiger auszubilden”, sagt Richter.

    In Niedersachsen gibt es bereits eine berufsbegleitende Qualifizierung für ein Zweitfach. Und in Berlin können Quereinsteiger ihr Referendariat seit diesem Jahr parallel zur Arbeit an der Schule absolvieren. Doch auch “Learning on the job” brauche eine entsprechende Vorbereitung, sagt Richter.

    Umdenken zu grundständigem zweiten Weg

    Letztlich müsse man sich trauen, offen die Frage zu stellen, welches Modell eigentlich das Beste sei, sagt Richter. “Wir müssen daher stärker evidenzorientiert arbeiten.” Und: “Wir brauchen ein Umdenken”, fordert der Bildungsforscher. Es brauche einen grundständigen zweiten Weg für die Lehramtsausbildungen. “Aktuell gibt es viele Wege, die eher Trampelpfade sind und die wieder zugeschüttet werden, sobald es einen Überschuss an Lehrkräften gibt.”

    Damit auch Universitäten besser planen können und nicht alle zwei Jahre mit gigantischem Aufwand neue Studiengänge schaffen, brauche es eine bessere Datenlage zum Lehrkräftebedarf, betont Rupp. “Hier muss ein intensiver und systematischer Austausch zwischen Schul- und Wissenschaftsbehörde sowie den Universitäten stattfinden, um die Entwicklungen besser verfolgen und schnell darauf reagieren zu können.”

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    Startchancen: Wieso es Streit um einen möglichen Bürokratieaufwand gibt

    Im Interview mit Table.Briefings hat Kultusministerin Anna Stolz am Mittwoch die Berichtspflichten kritisiert, die das Startchancen-Programm mit sich bringt. Die Kritik aus Bayern konterte nun die FDP. “Die Kritik der bayerischen Kultusministerin an den bürokratischen Anforderungen des Startchancen-Programms ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Gerade weil das gesamte Programm einen Paradigmenwechsel in der Bildungsfinanzierung darstellt, müssen Erfolge, Defizite und potenzielle Nachbesserungen vergleichbar erfasst werden”, sagte Gyde Jensen, FDP-Vizefraktionschefin im Bundestag Table.Briefings.

    Anna Stolz hatte im Interview kritisiert: “Es ist kein Geheimnis, dass ich mit den Berichtspflichten, die dieses Programm vorsieht, nicht glücklich bin. Ziel muss es doch sein, die Schulen von unnötigem bürokratischen Aufwand zu befreien.” Jensen erwiderte, dass die Berichte und die damit enthaltenen Informationen wichtig seien, um Bilanz ziehen zu können und festzustellen, an welchen Schultypen und in welchen Ländern was wie gut oder eben nicht so gut funktioniert. “Wer dieses erforderliche Vorgehen als ,unnötigen bürokratischen Aufwand’ bezeichnet, scheint mehr Interesse an den Investitionsmitteln als an bildungspolitischen Erfolgen zu haben”, so Jensen weiter.

    Kritik an Bürokratieaufwand ist nicht ganz neu

    In einem Tweet auf der Plattform X war sie zuvor noch weiter gegangen: »Wie (un)bürokratisch #Startchancenprogramm ist, haben Länder mit in der Hand. Erst blockiert ⁦@KM_Bayern⁩, schindet Zeit, dann Zustimmung u. bringt jetzt gerade mal 100 von 580 Schulen an den Start. Fatal für die Bildungsgerechtigkeit in #Bayern.” Damit trifft Jensen einen neuralgischen Punkt. Hat doch gerade erst die ifo-Studie Bayern in Sachen Bildungsgerechtigkeit auf den letzten Platz gesetzt.

    Die Kritik an einem möglichen Bürokratieaufwand des Startchancen-Programms ist allerdings nicht ganz neu. Bei der Startchancen-Einigung von Bund und Ländern Ende Januar hatte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien die Bürokratie bereits als “Wermutstropfen” bezeichnet. Vor allem Schulen und Schulträger drohe aus ihrer Sicht eine bürokratische Belastung. Und auch Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, die sich seit vielen Jahren für Schulen in herausfordernder Lage engagiert, hält den Bürokratieaufwand, der mit dem Startchancen-Programm einhergeht, für eine Herausforderung. “Ich kann die Sorge von Frau Stolz nachvollziehen. Ich hoffe, dass die Länder die Dinge möglichst unbürokratisch regeln, damit die Schulen einen möglichst großen Nutzen haben”, sagte er auf Nachfrage von Table.Briefings.

    Berichte für jede Säule und jede Schule

    In der Verwaltungsvereinbarung zum Startchancen-Programm ist vorgesehen, dass die Länder dem Bund zu jeder der drei Säulen des Programms einmal im Jahr und für jede der beteiligten Schulen über die Mittelverwendung berichten. Unter § 10 “Nachweis der Verwendung; Kontrolle” in der Verwaltungsvereinbarung sind neun Punkte genannt, die der Bericht enthalten muss. Dazu gehören etwa eine Kurzbeschreibung der jeweiligen Maßnahmen und die “Darstellung der Begründung des unmittelbaren Zusammenhangs mit einer Maßnahme zur Verbesserung der pädagogischen Qualität der Lernumgebung”. Festgehalten ist in der Vereinbarung außerdem, dass der Bund anlassbezogen Berichte und Vorlagen von Akten verlangen kann.

    Um all diese Daten zu bekommen, werden die Länder vermutlich auch die Schulen in die Berichtspflicht einbeziehen. Inwieweit Schulen aber tatsächlich ein zusätzlicher Bürokratieaufwand droht, wie es die bayerische Kultusministerin beschreibt, ist derzeit noch nicht abzusehen.

    Schulleiter hoffen auf “einfache, klare Strukturen”

    Achim Elvert, Schulleiter der Gesamtschule Ückendorf in Gelsenkirchen, die im kommenden Schuljahr zur Startchancen-Schule werden wird, hat grundsätzlich Verständnis für die Berichtspflicht. “Grundsätzlich ist klar, dass Gelder nicht blind vergeben werden können und es einer Steuerung bedarf”, sagte er im Gespräch mit Table.Briefings. Er gibt aber auch zu bedenken, dass der derzeit große Personalmangel Schulen hier vor große Herausforderungen stellt: “Gerade deshalb ist es wichtig, dass es einfache, klare Strukturen gibt, an denen man sich orientieren kann, aber auch relativ große Freiheiten für die Kolleginnen und Kollegen.”

    Ähnlich äußert sich auch Benjamin Edelstein vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), der von Anfang an den Entwicklungsprozess des Startchancen-Programms begleitet hat. “Man muss einen guten Mittelweg finden, der einerseits verhindert, dass Mittel beliebig verausgabt werden. Auf der anderen Seite muss man den Kapazitäten, die Schulen für Zusätzliches haben, im Blick haben“, sagte er Table.Briefings.

    Verwaltungsstrukturen auf Länderebene entstehen erst noch

    Vor allem plädiert der WZB-Wissenschaftler aber dafür, das Startchancen-Programm nicht von vornherein schlechtzureden, sondern jetzt erst einmal starten zu lassen. Außerdem sei noch gar nicht klar, wie die konkreten Prozesse im Programm aussehen: “Im Augenblick kennen wir die Verwaltungsstrukturen, die im Programm auf Länderebene entstehen werden, ja noch nicht. Daher wissen wir auch nicht, wie die Mittel an die Schulen fließen. Die Verfahren werden wahrscheinlich unterschiedlich organisiert sein.” Er ist aber überzeugt, dass sich die Länder der Problematik bewusst sind. Das sieht auch Markus Warnke so, ergänzt aber: “Insgesamt nehme ich wahr, dass die Länder wirklich gewillt sind, ein richtig gutes Programm auf den Weg zu bringen, und dass die Schulträger hochmotiviert sind.”

    Welcher bürokratische Aufwand durch die Teilnahme am Startchancen-Programm entsteht, sei aus Sicht der Kommunen derzeit nicht “seriös zu benennen”, betonte Daniela Schneckenburger, Beigeordnete für Bildung beim Deutschen Städtetag. In jedem Fall fordert sie, “dass die Förderrichtlinien so ausgestaltet sein müssen, dass eine Teilnahme für die Kommunen mit wenig Aufwand möglich ist”. Dies betreffe insbesondere die Möglichkeit, bereits geplante Maßnahmen im Baubereich anrechnen zu können.

    Wie groß der Bürokratieaufwand, der mit den Berichtspflichten verbunden ist, dann tatsächlich ist, wird sich möglicherweise schon bald zeigen. Der erste Bericht der Länder an den Bund ist Ende dieses Jahres fällig.

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    Standpunkt

    Statt Fridays for Future jetzt “Ausländer raus”? – Was die Politik für junge Menschen tun sollte

    Von Sebastian Sedlmayr
    Sebastian Sedlmayr hält es für wichtig, dass Kinder schon früh die Möglichkeit haben, Demokratie einzuüben.

    Tickt die Jugend in Deutschland plötzlich rechtsextrem? Studien privater Forschungsinstitute haben in den vergangenen Wochen ein solches Bild gezeichnet. Videos von Partys auf Sylt und an anderen Orten in Deutschland mit menschenfeindlichen Gesängen tragen zu dem Eindruck bei, junge Menschen wendeten sich ab vom gesellschaftlich-politischen Konsens von Demokratie und Menschenrechten. Von einer offenen Gesellschaft, in der die Herkunft zweitrangig ist. Und das zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni.

    Die aktuelle Debatte übersieht drei wesentliche Punkte: Erstens steht auch heute die Mehrheit junger Menschen zur Demokratie. Zweitens sollten die Themen, die junge Menschen bewegen und für die sie Antworten von der Politik erwarten, viel stärker in den Vordergrund rücken, wenn Demokratieverdrossenheit nicht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden soll. Wenn Menschen sich mit ihren Anliegen nicht gesehen fühlen, wenden sie sich ab. Drittens beginnt das Erlernen eines demokratischen Miteinanders lange vor dem Wahlakt, selbst wenn das Mindestalter für die Wahl zum Europäischen Parlament in Deutschland auf 16 Jahre gesenkt wurde. Und auch Demokratie findet nicht nur an der Urne und nicht nur in Parteien oder staatlichen Zusammenhängen statt.

    Was will die Jugend?

    Die wichtigeren Fragen lauten deshalb: Was treibt Kinder und Jugendliche um? Was können wir tun, damit ihre Themen und ihre Perspektiven gehört, ernst genommen und priorisiert werden? Denn nur, indem Menschen erleben, dass sie eine Stimme haben und Veränderungen herbeiführen können, behalten sie auf Dauer das Vertrauen in die Demokratie.

    Welche konkreten Themen für Kinder und Jugendliche bei der Europawahl im Vordergrund stehen, wissen wir leider nicht genau. Denn im Gegensatz zu den ausgefeilten Umfragen unter Wahlberechtigten erfahren wir vor Wahlen kaum etwas über Einstellungen und Themenpräferenzen in der Altersgruppe unter 16 Jahren. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, sich einer Antwort zu nähern.

    Zum einen über die Fakten zu der Welt, in der Kinder in der EU aufwachsen. 20 Millionen Kinder – jedes vierte Kind – in den Ländern der Europäischen Union sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Mehr als elf Millionen Kinder und Jugendliche in der EU leiden an einer psychischen Erkrankung. 85.000 Menschen in 16 EU-Ländern haben allein im Jahr 2022 ihre Häuser und Wohnungen aufgrund von Unwetterkatastrophen verloren, darunter Tausende von Kindern. Unter den befragten 12- bis 16-Jährigen wurden 13 Prozent laut einer im vergangenen Jahr durchgeführten Befragung mehrfach Opfer sexueller Anmache bzw. Ziel sexualisierter Inhalte im Internet.

    Bedürfnisse antizipieren

    Über objektive Fakten hinaus muss eine Politik für Kinder und Jugendliche antizipieren, was junge Menschen bewegt. Anfang dieses Jahres hat Unicef gemeinsam mit Partnerorganisationen und einem zehnköpfigen Jugendbeirat die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, an der sich EU-weit rund 9.000 Kinder und Jugendliche beteiligt hatten. Das Ergebnis ist nicht repräsentativ, aber als Hinweis dienlich. Die größten Probleme sind demnach: ein veraltetes, wenig auf Kinder ausgerichtetes Bildungssystem, die weit verbreitete Krise der psychischen Gesundheit von Jugendlichen, Mobbing, kaum Beteiligungsmöglichkeiten an politischen und gesellschaftlichen Debatten und schließlich die seit Jahren versprochene, bisher aber ausgebliebene massive Offensive gegen den Klimawandel.

    Die Themen junger Menschen gehören auf die politische Agenda. Denn wie sollen sich junge Menschen politisch repräsentiert fühlen, wenn ihre Anliegen kaum Beachtung finden? Und: Politik muss sich erklären. Antworten so zu geben, dass junge Menschen sie verstehen, ist eine Aufgabe, die mit schwindender Zustimmung zu demokratischer Problemlösung immer dringender wird.

    Demokratie früh üben

    Eine weitere Aufgabe besteht darin, das Verständnis für Demokratie und ihre unschlagbaren Vorzüge für ein friedliches Miteinander schon sehr früh einzuüben – in der Kita, in der Schule, in Einrichtungen und an Orten, die Kinder und Jugendliche frequentieren. Ja, politische Bildung gehört schon in die Kita. Das bedeutet nicht, dass dort das Grundgesetz ausliegt oder ein Plakat der UN-Kinderrechtskonvention hängt, das kein Kind lesen kann. Demokratiepädagogik bedeutet, dass schon die Jüngsten erleben und verstehen, dass andere ihre Meinung oder ihren Willen ernst nehmen, dass alle einander respektvoll behandeln, dass Gewalt inakzeptabel ist, dass Regeln für alle gelten.

    Später, in der Schule, verbinden sich diese grundlegenden Fähigkeiten mit den abstrakten Formeln eines politischen Systems. Dafür braucht es allerdings – für Deutschland gesprochen – einen Ruck durch die Kultusministerien der Länder. Denn das aktuelle Angebot von durchschnittlich weniger als eine Stunde Politikunterricht pro Woche ist eine geradezu lächerlich geringe Investition eines demokratischen Staates in seinen eigenen Erhalt.

    Reform des Bildungssystems

    Die Bildungsstiftungen des Landes und 100 Organisationen, darunter auch UNICEF Deutschland, haben vor kurzem einen Reformprozess für das deutsche Bildungssystem gefordert und verweisen auf die – von allen EU-Staaten ratifizierte – UN-Kinderrechtskonvention.

    Schöner als in deren Artikel 29 ist kaum zu formulieren, was auch die Kinder und Jugendlichen der oben erwähnten Befragung in der EU wünschen: Bildung muss demnach darauf gerichtet sein, “die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen”, ihm “Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten” zu vermitteln und es “auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft” vorzubereiten.

    Soweit das Ziel. Für die Kinder und Jugendlichen in Europa, auch in Deutschland, kommt es darauf an, dass die gewählten Politikerinnen und Politiker ihre Selbstverpflichtung ernst nehmen.

    Quellen:

    Meine 1. Europawahl (kas.de)

    Trendstudie “Jugend in Deutschland 2024”

    Junge Menschen in Deutschland vertrauen der Demokratie und der EU (bertelsmann-stiftung.de)

    The State of Children in the European Union 2024 | UNICEF European Union

    The environment and child well-being policy brief.pdf (unicef.org)

    Europe Kids Want – Child & Youth Friendly Governance Project (childfriendlygovernance.org)

    Politische Bildung in der Schule | Wissensatlas Bildung der Stiftungen (wissensatlas-bildung.de)

    #NeustartBildungJetzt – Bildungsdialog für Deutschland (neustart-bildung-jetzt.de)

    • Europawahlen 2024
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    News

    KMK: Was beim Sommertreffen der Länder auf der Agenda steht

    In der Kultusministerkonferenz schreitet die geplante Trennung von Bildungs- und Wissenschaftsseite weiter voran. Am Dienstag traf sich die Strukturkommission II zu einer “länderoffenen Sitzung”, in der die Aufspaltung auf der Tagesordnung stand. “Wie bereits bekannt, wird sich die Bildungsseite diesem nachvollziehbaren Wunsch der Wissenschaft nicht verschließen“, erklärte ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums Table.Briefings.

    Die Strukturreform wird auch Thema der Kultusministerkonferenz sein, die kommende Woche in Vöklingen stattfindet. Es ist das erste Thema im gemeinsamen Sitzungsteil von Schul- und Hochschulseite, der laut Tagesordnung am Donnerstag (13. Juni) um 15.30 Uhr beginnen soll. Das Sommertreffen der Kultusminister findet traditionell in dem Bundesland statt, das den Vorsitz der Konferenz innehat.

    Umfangreiche Tagesordnung

    Außerdem beschäftigen sich die Kultusminister in Völkingen unter anderem mit dem Projekt “StarS”. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Slogan “Stark in die Grundschule starten”. Ziel der Länder ist es, in Kooperation mit dem IQB diagnostische Verfahren zur Untersuchung der Lernausgangslage zu Schulbeginn sowie der Lernentwicklung zu Beginn der zweiten Jahrgangsstufe zu entwickeln. Sie sollen den Schulen in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden. “Wir wollen allen Kindern einen guten Start in das schulische Lernen ermöglichen und die teils erheblichen Unterschiede in den Lernvoraussetzungen, die zu Beginn der Schulzeit bestehen, reduzieren”, erklärt KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD).

    Als Gäste erwarten die Minister unter anderem zwei Mitglieder der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK): Susanne Prediger wird den Sachstand zu einem Gutachten mit dem Arbeitstitel “Sicherung von schulischen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I für den Übergang in die berufliche Erstausbildung” präsentieren. Außerdem stellt Kai Maaz als Sprecher der Autorengruppe Bildungsberichterstattung die Ergebnisse des Bildungsberichts 2024 vor. Weitere Themen auf der Agenda sind unter anderem der Digitalpakt II, Inklusion im Schulsport sowie die Weiterentwicklung der Bildungsstandards in den Naturwissenschaften für den Mittleren Schulabschluss. Maximilian Stascheit

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    • Schulsport

    Inklusive Bildung: Wieso die Opposition dem BMBF fehlende Ambitionen vorwirft

    In dieser Legislaturperiode hat das BMBF keine neuen Förderrichtlinien für die Forschung zur inklusiven Bildung auf den Weg gebracht. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor. Es seien “bislang keine entsprechenden Förderrichtlinien erlassen” worden, heißt es darin.

    Lars Rohwer (CDU), Berichterstatter für inklusive Bildung, kritisiert das deutlich. Die Antwort zeige, “dass kaum Ambitionen bestehen, das Thema forschungspolitisch mit Förderprogrammen und innovativen Forschungsansätzen voranzubringen”. Alle bestehenden Programme seien bereits in der vorigen Legislaturperiode vom CDU-geführten Bildungsministerium initiiert worden.

    Tatsächlich verweist das BMBF unter anderem auf die bereits bestehende Forschungsförderung. Dazu gehört das Projekt “Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung“. Es hat eine Laufzeit von 2021 bis 2026 und umfasst ein Fördervolumen von 22,6 Millionen Euro. Die Bekanntmachung zum Programm stammt aus dem Dezember 2019. Zudem nennt das Ministerium die zweite Förderphase der Längsschnittstudie “Inklusive Bildung in der Sekundarstufe I” (Laufzeit 2021 bis 2025, Fördervolumen sieben Millionen Euro).

    BMBF: Umsetzung inklusiver Bildung ist Ländersache

    Die Ampel müsse dafür sorgen, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit inklusiver Bildung auch in Zukunft gewährleistet sei, fordert Rohwer. “Gleichzeitig sollte sie einen pragmatischen Weg mit den Ländern finden, um sie bei der Umsetzung inklusiver Bildung effektiv zu unterstützen.” In der Antwort auf die Kleine Anfrage erklärt das Ministerium demgegenüber: “Die Umsetzung inklusiver Bildung fällt in die Zuständigkeit der Länder, die eigenverantwortlich entsprechende Maßnahmen umsetzen.” Die Bundesregierung unterstütze die Länder – unter anderem durch Förderung von Forschungsprojekten.

    Dass Handlungsbedarf besteht, hatte zuletzt etwa ein Papier der Bertelsmann Stiftung (Inklusion im deutschen Schulsystem – Schuljahr 2021/2022) gezeigt. In der Veröffentlichung von September 2023 heißt es: “Die 16 Bundesländer nähern sich trotz gesetzlicher Verankerung der tatsächlichen Umsetzung eines inklusiven Schulsystems zum Teil gar nicht, zum Teil in höchst unterschiedlicher Weise und Geschwindigkeit an.” Holger Schleper

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    Bafög: Wie SPD und Grüne sich gegen die Bildungsministerin durchsetzten

    SPD, Grünen und FDP haben am Mittwoch eine Einigung in den Verhandlungen zur Bafög-Reform verkündet: Ab dem Wintersemester 2024/25 sollen die Bedarfssätze um fünf Prozent erhöht werden. Außerdem steigen die Elternfreibeträge um 5,25 Prozent und der Wohnkostenzuschlag von 360 auf 380 Euro. Das Bundeskabinett verabschiedete eine Formulierungshilfe (hier zum Download), mit der die Fraktionen den Gesetzentwurf des BMBF im Parlament ändern können.

    Damit setzen sich SPD und Grüne gegen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und die FDP durch, die eine Erhöhung mit Verweis auf die schwierige Haushaltslage abgelehnt hatten. Für das laufende Jahr stehen im Bundeshaushalt 150 Millionen Euro zur Verfügung, die nur zweckgebunden für eine Erhöhung der Regelsätze verwendet werden dürfen. Wie die entstehenden Mehrbelastungen ab 2025 im BMBF-Etat abgedeckt werden sollen, ist allerdings unklar.

    Studentenvertretung: Bafög-Erhöhung leider homöopathisch

    Zudem streichen die Fraktionen Stark-Watzingers ursprünglichen Plan, die Mindestraten bei der Bafög-Rückzahlung von 130 auf 150 Euro im Monat zu erhöhen – ein Punkt, auf den insbesondere die SPD gedrungen hatte. Es bleibt also dabei, dass maximal 10.010 Euro Schulden getilgt werden müssen, da nach 77 abgezahlten Raten in der Regel der Rest erlassen wird.

    Dem Freien Zusammenschluss der Student*innenschaften (fzs) gehen die Beschlüsse allerdings nicht weit genug. “Es ist zwar lobenswert, dass es zu keiner Nullrunde kommt, solch eine Erhöhung ist jedoch homöopathisch“, sagte Niklas Röpke, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Studentenvertretungen, Table.Briefings. Eine echte Strukturrform müsse die Bedarfssätze mindestens auf Höhe des Bürgergelds anheben, die Wohnkostenpauschale reformieren und eine automatische Anpassung an die allgemeine Preisentwicklung einführen, erklärte Röpke. Maximilian Stascheit

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    “NEETs”: Wieso die Zahl junger Menschen ohne Ausbildung oder Beschäftigung steigt

    Um etwa 50.000 Menschen ist von Ende 2022 bis Ende 2023 die Zahl der “NEETs” angestiegen – junger Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die länger als vier Wochen weder in Beschäftigung noch in Schule oder Ausbildung waren. Das Akronym steht für “Not in Education, Employment or Training”. Ende 2023 gab es in Deutschland 626.000 NEETs, was 7,4 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 24 Jahren entspricht, 0,6 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Das zeigen Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat). “Der Anstieg geht einher mit einer Schwächephase der Wirtschaft, da sind typischerweise die Arbeitslosenzahlen erhöht, auch bei jungen Menschen”, sagt Clemens Wieland, Senior Expert für Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung veröffentlicht heute einen neuen Faktencheck zu NEETs, der Table.Briefings exklusiv vorlag (zum Download).

    Die Experten warnen jedoch davor, die hohe Zahl der NEETs vorschnell zu interpretieren. So ist der Anteil über die vergangenen 15 Jahre gesunken. 2009 lag die Zahl noch bei 920.000, was damals 9,8 Prozent der 15- bis 24-Jährigen entsprach. Bei den NEETs handelt es sich außerdem um eine äußerst heterogene Gruppe. Sie lässt sich in vier Teilgruppen aufteilen:

    • Personen, die nicht erwerbsfähig sind, zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder weil sie Care-Arbeit leisten,
    • junge Menschen, die einen Ausbildungs- und Studienplatz suchen,
    • Betroffene, die bereits einen Bildungsabschluss haben und nun eine Arbeitsstelle suchen oder zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen stehen,
    • Personen, die eigentlich erwerbsfähig sind, aber keine Arbeit oder Ausbildung suchen, weil sie etwa ein Gap-Year machen oder orientierungslos sind.

    Lage der Jugendlichen hat auch mit Ausbildungsmarkt zu tun

    “Es ist also lange nicht so, dass alle NEETs chillen und künftig keiner Arbeit oder Ausbildung nachgehen wollen, wie es manche Medienberichte gerade im vergangenen Jahr suggeriert haben”, sagt Wieland zu Table.Briefings. Dabei verweist er auch auf eine Korrelation, die sich beim Blick auf Unterschiede der Bundesländer zeigt: Je weniger Ausbildungsplätze auf jene Jugendlichen kamen, die in eine Ausbildung vermittelt werden wollten, desto mehr NEETs gab es.

    Negativer Spitzenreiter ist dabei Berlin: Im Stadtstaat gab es Ende vergangenen Jahres 12,1 Prozent NEETs. Gleichzeitig kamen auch nur 83 Ausbildungsplätze auf 100 Jugendliche. “Das zeigt, dass die Zahl der NEETs auch etwas mit der Lage am Ausbildungsmarkt zu tun hat, manche Jugendliche also vermutlich unverschuldet ohne Ausbildung bleiben“, sagt Wieland. Sein Schluss daraus: Wem es schwerfällt, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, der muss noch mehr Unterstützung erhalten. Anna Parrisius

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    ILeA plus: Wie Sachsen-Anhalt Schüler besser individuell fördern will

    Damit Lehrkräfte die Lernstände der Schüler in Deutsch und Mathematik besser einschätzen und entsprechende Fördermaßnahmen ergreifen können, führt Sachsen-Anhalt die Lernstandsanalyse “ILeA plus” ab dem kommenden Schuljahr flächendeckend ein. Bereits im laufenden Schuljahr war ILeA plus an ausgewählten Grundschulen in der Erprobung.

    “Durch kontinuierliche Lernstandsanalysen bieten wir nicht nur Einblicke in ihre Entwicklung, sondern ermöglichen auch langfristig wirksame Maßnahmen zur Unterstützung ihres Lernens”, sagte Bildungsministerin Eva Feußner bei der Vorstellung der flächendeckenden Einführung in der vergangenen Woche. Lehrkräfte sollen die standardisierten Tests zu Beginn jedes Schuljahres durchführen.

    Mit ILeA plus bekommen Lehrkräfte sofort eine Auswertung

    ILeA steht für individuelle Lernstandsanalysen. Das pädagogische Diagnose-Instrument fokussiert die Fächer Deutsch und Mathematik für die Jahrgangsstufen 1 bis 6. Im Gegensatz zu VERA handelt es sich hier nicht um eine Leistungserhebung, sondern um die Erfassung der Lernausgangslagen, auf die dann die entsprechende Förderung aufbauen soll. Darum werden die Tests auch nicht wie bei VERA zum Ende, sondern zu Beginn eines Schuljahres durchgeführt. Bei Bedarf können Lehrkräfte sie auch mehrfach während eines Schuljahres einsetzen.

    “Das Besondere ist, dass Lehrkräfte sofort eine Auswertung bekommen und den Lernprozess selbst steuern können”, erklärt Antje Skerra Table.Briefings. Sie ist beim Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) verantwortlich für die Länderkooperation ILeA plus. Bei anderen Förder-Apps würden Kinder ein Übungsangebot bekommen, das Lehrkräfte nicht steuern können. ILeA plus biete ihnen hingegen eine Förderempfehlung und entsprechende Lernmaterialien, aber sie könnten letztlich selbst entscheiden, was sie davon nutzen.  

    Inzwischen nutzen fünf Bundesländer das Instrument

    Verschiedene Hochschulen haben das Instrument in Kooperation mit dem Land Brandenburg entwickelt – zunächst 2005 als analoge Variante ILeA. 2016 begann dann die Entwicklung einer digitalisierten Version – ILeA plus. Das Analyse-Tool baut zwar auf dem Berlin Brandenburger Rahmenlehrplan auf, aber da seien die Unterschiede zwischen den Ländern nicht so groß, daher lasse sich ILeA plus auch anderswo nutzen, versichert Skerra.

    Inzwischen wird das Diagnoseverfahren bereits in fünf Bundesländern genutzt: neben Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind das Berlin, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Weitere Länder, so Skerra hätten auch Interesse angemeldet. Annette Kuhn

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    Brandenburg: Wie Distanzunterricht Berufsschulen auf dem Land helfen kann

    In Brandenburg startet ein auf drei Jahre angelegtes Experiment, das zeigen soll, wie erfolgreicher digitaler Unterricht in der beruflichen Bildung aussehen kann. An dem Schulversuch nehmen gastronomische Ausbildungsberufe an fünf Oberstufenzentren teil. “Digitales Lernen kann den Zugang zu Bildung erleichtern”, sagt Bildungsminister Steffen Freiberg. So könne Distanzunterricht auch die Inklusion fördern. Zudem besteht die Hoffnung, dass die Integration von digitalen Elementen in den Schulalltag die Schüler besser auf die künftige Arbeitswelt vorbereitet.

    Dem Projekt ist eine Änderung des Schulgesetzes im Februar vorangegangen, in der der Distanzunterricht erstmals eine rechtliche Grundlage erhielt. Der Ausbau von digitalen Unterrichtsmöglichkeiten ist besonders für die ländlichen Regionen Brandenburgs interessant. So können langfristige Bildungsangebote erhalten bleiben, aber auch neue entstehen. Der Weg zur passenden Berufsschule ist dort zum Teil sehr lang. Das schmälert die Attraktivität einer Ausbildung für junge Leute. Eine ähnliche Regelung trat deswegen auch in NRW in Kraft.

    Konferenzschaltung im Klassenzimmer

    In Brandenburg sollen vor allem zwei Formen des digitalen Unterrichts getestet werden:

    • Der “synchrone” Distanzunterricht startete im Mai. Bei dieser Unterrichtsform sind die Schüler in ihrer jeweiligen Schule anwesend, die die technischen Mittel zur Verfügung stellt. Digital werden die Schüler mit einer Lehrkraft verbunden, die auch auf Fragen der Schüler eingehen kann. Dieser digitale Unterricht findet dann an mehreren Standorten parallel statt.
    • Beim “asynchronen” Unterricht lernen die Schüler selbständig. Ihnen werden vollständige Unterrichtseinheiten digital zur Verfügung gestellt. Diese Form soll im nächsten Schuljahr erprobt werden. Bisher ist die Nutzung solcher vollständig digitalen Unterrichtsformen nicht Teil der Lehrerausbildung. 

    Um den Distanzunterricht umsetzen zu können, erhielten die Schulen jeweils 20.000 Euro aus dem Digitalpakt. Zudem investierte der Landkreis Prignitz als Schulträger eigenen Angaben zufolge weitere 70.000 Euro, um drei Räume am OSZ in Wittenberge für den Digitalunterricht auszustatten. Kosten für mögliche Weiterbildungen für Lehrkräfte übernimmt das Land Brandenburg. dpa/jgl

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    Katrin Langer: Wie sie Thüringen zu Azubis verhelfen will

    Seit Dezember 2023 Gründungspräsidentin der German Professional School: Katrin Langer.

    Im März hat für den ersten Jahrgang der German Professional School (GPS) in Thüringen der Unterricht begonnen und seit Dezember 2023 ist Katrin Langer Gründungspräsidentin. Die GPS soll Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund auf eine Ausbildung vorbereiten. Das Wirtschaftsministerium stellt dafür in einer Pilotphase bis 2026 11,5 Millionen Euro zur Verfügung. Eigentlich wollte Langer einmal Lehrerin in der Erwachsenenbildung werden.

    Doch die politischen Ereignisse im Jahr ihres Diploms in Germanistik, Slawistik und Pädagogik waren in großem Maße mit dafür verantwortlich, dass Langers Karriere sich schnell von ihrem eigentlichen Berufsplan entfernte. An der Pädagogischen Hochschule Erfurt promovierte sie in Pädagogik und Philologie. Als es Anfang der 1990er-Jahre zur ersten Digitalisierungswelle kam, setzte sie als Gaststudentin nach Großbritannien über, damals Vorreiter im Computer Assisted Learning. Langer zufolge eine “Initialzündung” für ihr weiteres berufliches Leben, da sie dort mitbekam, wie ein innovativer Ansatz sich etablierte.

    Gründete nach der Wende Institut für akademische Weiterbildung

    Zurück in Deutschland gründete Langer im Jahr 1993 das Thüringer Institut für akademische Weiterbildung. In der Umbruchsituation auf dem Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung setzte das Team Weiterbildungsprogramme auf, die die Teilnehmer fit für die Bedarfe der Wirtschaft machen und in Arbeit bringen sollten.

    Ein vergleichbares Konzept verfolgt Langer nun mit der GPS. In einer aktuell sechsmonatigen Qualifizierungsphase erhalten die Teilnehmer, die einen Schulabschluss vorweisen müssen und ein Sprachzertifikat auf B1-Niveau, Sprachförderung, politische und interkulturelle Bildung sowie berufliche Orientierung. Neben Praktika gibt es einen Matchingprozess, an dessen Ende der Ausbildungsvertrag stehen soll.

    Aufgabe von Langers Team ist es, bestehende Programme in Thüringen zu bündeln und neu auszurichten – Sprach- und Integrationskurse, Angebote für politische Bildung und Berufsorientierung. So will die GPS instabilen Ausbildungsverhältnissen oder frühzeitigen Abbrüchen vorbeugen. Auch während des ersten Ausbildungsjahrs soll es eine Begleitung der jungen Erwachsenen geben.

    90 Teilnehmer im ersten Jahrgang

    Dass das Konzept bei Geflüchteten anzukommen scheint, darauf deuten Langer zufolge die Zahlen des ersten Jahrgangs hin: Statt ursprünglich geplant 80 verteilen sich seit März 90 Teilnehmer aus elf Ländern auf vier Standorte in Thüringen – Eisenach, Mühlhausen, Gotha und Jena. Bis zu 1.000 Teilnehmer sind bis 2026 geplant. Dafür will die GPS auch erst noch junge Menschen anwerben, die aktuell noch im Ausland leben.

    Wie genau diese Anwerbung vonstattengehen soll, kann Langer aber noch nicht sagen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, schon ab September soll der zweite Jahrgang starten – dann für Schulungen über zwölf Monate und ohne, dass die Teilnehmer ein bestimmtes Sprachzertifikat vorweisen müssen. In der Pilotphase bis 2026 sei es Langers Aufgabe, Curricula zu entwickeln und diese zu akkreditieren. Die GPS sehe sie derweil mit einer angespannten Personallage konfrontiert.

    AfD könnte GPS gefährden

    Aus einer weiteren Herausforderung für die GPS macht Langer keinen Hehl: Die AfD könnte die Einrichtung nach der Landtagswahl in Thüringen im September gefährden. Immer wieder haben AfD-Vertreter gefordert, dem Fachkräftemangel in Deutschland mit mehr Geburten statt Zuwanderung beizukommen. Falls die Partei in Regierungsverantwortung kommt, hält Langer etwa einen Umbau der GPS für wahrscheinlich. Auch deshalb ist Schnelligkeit für Langer wichtig. “Noch vor der parlamentarischen Sommerpause wollen wir möglichst viel im Aufbau der GPS geschafft haben.”

    Dass es gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rückhalt für das Projekt gibt, damit ist die GPS-Präsidentin sich trotzdem sicher. Denn die Nachfrage nach ausgebildeten Fachkräften ist hoch in Thüringen. Langer sagt: “Wenn die Unternehmen dadurch verlässliche Fachkräfte bekommen, wird die Wirtschaft immer hinter einem Ansatz wie dem der GPS stehen.” Jasper Bennink

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    Research.Table. Rankings: So haben deutsche Unis im QS World University Ranking abgeschnitten. In internationalen Hochschulrankings finden sich für gewöhnlich nur wenige deutsche Unis im Spitzenfeld. Seit einigen Jahren ist man um bessere Platzierungen bemüht. Ob die Bemühungen erfolgreich waren, lesen Sie hier.

    Research.Table. EU Programm: Wie viel Geld es künftig für internationale Studierendenmobilität geben soll. Für den aktuellen Förderaufruf der Erasmus+-Programme sind für 2024 und 2025 216 Millionen Euro eingeplant. Wie diese Summe im Vergleich zum Aufruf im Jahr 2023 aussieht, lesen Sie hier.

    Presseschau

    Taz: Bildung gegen Überforderung in der Digitalisierung. Nach einer Studie von Bitkom fühlen sich 41 Prozent der Deutschen von den digitalen Technologien überfordert. Auch von Angst berichtet ein Drittel. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst sieht in den Ergebnissen der Studie einen klaren Handlungsbedarf. “Wir dürfen hier keine Bevölkerungsgruppe außen vor lassen”, sagt er. An verschiedenen Stellen müsse nachgebessert werden. Arbeitgeber sollten ihre Beschäftigten mit Fortbildungen auf die Digitalisierung vorbereiten. Auch in der Schule solle durch Fächer wie Informatik schon früh der Umgang mit Technik Thema sein. (Gefühlte Überforderung

    SZ: Welche Ausbildungen im NRW-Gesundheitswesen besonders viele Frauen und Ausländer absolvieren. Eine Umfrage des Statistischen Landesamtes in NRW ergab, dass zwölf Prozent aller Lernenden an Schulen des Gesundheitswesens in NRW keinen deutschen Pass haben. Besonders hoch war ihr Anteil in den Bildungsgängen Pflegefachassistenz (30 Prozent) und Pharmazeutisch-technische Assistenz (27 Prozent). Insgesamt waren 69 Prozent der Schüler Frauen. Im Bereich Ergotherapie und Pharmazeutisch-technische Assistenz lag der Frauenanteil sogar bei über 80 Prozent. (Schulen im Gesundheitswesen: Jeder achte Schüler Ausländer

    SZ: Mehr Fachkräfte fehlen in Kitas als bisher angenommen. In jeder Kita fehlen mindestens zwei Fachkräfte. Das ergibt der Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes. Demnach fehlen 125.000 Fachkräfte. Bundesfamilienministerin Lisa Paus sprach hier zuletzt von 50.000 bis 90.000 unbesetzten Stellen. Die Gefahr des Personalmangels ist nicht nur ein schlechteres Angebot für Kinder, sondern es droht auch der Ausfall von Personal aufgrund von Überarbeitung durch Überstunden. (Situation in Kitas verschlechtert sich zunehmend)  

    Der Standard: Forderungen für ein moderneres Bildungssystem in Österreich. Die Experteninitiative “Mehr Grips” fordert in Österreich, dass Bildung zur obersten Priorität der Regierung ernannt wird. So sei auch ein Bildungsbeauftragter der Regierung notwendig, der sich der Modernisierung des Bildungssystems widmet. Der Ausbau von Ganztagsschulen solle helfen, dass Bildungschancen weniger vom Elternhaus abhängen. Zudem solle die Kita-Betreuung aufgewertet werden. Es solle kleinere Gruppen geben und die dort tätigen Pädagogen sollten finanziell mit denen anderer Schultypen gleichgestellt werden. (Initiative “Mehr Grips” will mehr Ganztagsschulen und bessere Bezahlung von Elementarpädagogen

    Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Mehr Unterstützung für Studium und Ausbildung für junge Mütter notwendig. Eine Studie des BiB zeigt, dass ein höheres Alter der Mutter (30+) sich leicht positiv auf die mathematischen Kompetenzen und das sozial-emotionale Verhalten ihrer Kinder auswirkt. Dieses Ergebnis resultiere wohl daraus, dass kindliche Bildung noch immer stark vom Elternhaus abhängt. Ältere Mütter haben häufig höhere Bildungsabschlüsse oder konnten auch mehr Berufserfahrung sammeln. Als Reaktion auf die Ergebnisse hofft das Institut auf einen Ausbau der Unterstützungsressourcen für jüngere Mütter. Verlässliche und öffentlich finanzierte Kinderbetreuungsangebote könnten es jungen Müttern ermöglichen, ihre Ausbildung oder ihr Studium abzuschließen und so besser in die Berufswelt zu starten. (Kinder von älteren Müttern sind besser in Mathe und sozial kompetenter

    Bildung.Table Redaktion

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