Table.Briefing: Bildung

KMK-Präsidentin über die neue KMK + Nahostkrieg in Schulen + Digitalpakt II

Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal wird es einfach Zeit, etwas Neues zu wagen. Genau das macht jetzt die Kultusministerkonferenz. An diesem Donnerstag wird mit der Konstituierung der neuen Bildungs-MK die neue Struktur der KMK aufgesetzt. Unter dem Dach der KMK werden sich jetzt die Ressorts Bildung, Wissenschaft und Kultur separat treffen. Die Hoffnung: schnellere Prozesse, bessere Lösungen. 

Ob der Plan aufgehen wird, darüber hat mein Kollege Holger Schleper mit der KMK-Präsidentin und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, Christine Streichert-Clivot (SPD) gesprochen. 

Manchmal wird es auch einfach Zeit, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel in der schwierigen Frage, wie Lehrkräfte mit Schülern über den Krieg in Nahost sprechen können. Eine Frage, die seit dem 7. Oktober viele umtreibt.

Meine Kollegin Anna Parrisius und ich haben mit Menschen gesprochen, die regelmäßig an Schulen gehen und diese beraten. Ihre Botschaft: Lehrkräfte sollten Schülern zuhören und ihren Gefühlen Raum geben.

Bleiben Sie uns gewogen.

Ihr
Thorsten Denkler
Bild von Thorsten  Denkler

Analyse

Streichert-Clivot: KI ist in den Kinderzimmern längst angekommen

Christine Streichert-Clivot (SPD) ist amtierende KMK-Präsidentin und seit 2019 Bildungsministerin des Saarlandes.

Frau Streichert-Clivot, am Donnerstag findet die konstituierende Sitzung der Bildungs-MK statt. Was wird anders? 

Das erste sichtbare Ergebnis ist der Einstieg in eigene Ministerkonferenzen. Die Bildungsministerkonferenz wird am Donnerstag gegründet. Damit schärfen wir unseren Fokus auf die drängenden Fragen, etwa zur Bildungsgerechtigkeit oder den Übergang von der Kita zur Grundschule. 

Das war vorher nicht möglich?

Ein Stück weit waren wir in den KMK-Konferenzen immer gefangen in der Notwendigkeit, dass natürlich auch der Wissenschaftsbereich Entscheidungen voranbringen und treffen musste. Jetzt gibt es separate Ministerkonferenzen. Das macht uns schlagkräftiger. Wir können zum Beispiel gezielter mit anderen Fachministerkonferenzen zusammenarbeiten.  

Die Zusammenarbeit mit den Jugend- und Familienministern in der JFMK gilt schon jetzt als schwierig. Wie wollen sie frühkindliche und schulische Bildung besser koordinieren?

Als KMK haben wir vor knapp zwei Jahren entschieden, die Zusammenarbeit zu institutionalisieren. All das, was zum Übergang gehört – Basiskompetenzen oder die Förderung in der deutschen Sprache – haben wir als Bildungs-MK ohnehin auf der Tagesordnung. Aber wir brauchen auch die JFMK. Dazu werden wir in diesem Jahr noch eine gemeinsame Sitzung haben.

Frühkindliche Bildung gehört in die Hände der Bildungsressorts

Das wäre nach 2023 erst die zweite gemeinsame Sitzung. Müsste da nicht mehr kommen?

Um es so zu beantworten: Der Forderung, dass der frühkindliche Bereich in die Hände der Bildungsressorts gehört, kann ich mich ohne Zweifel anschließen. Im Saarland leben wir das schon vor. Das gilt übrigens auch für die Jugendhilfe. Da haben die Bildungsministerien meist keine Zuständigkeit. Die braucht es aber für die Zukunft. 

Warum?

Ich muss als Ministerin oder Minister die Übergänge gestalten können. Das geht nur, wenn alles aus einer Hand kommt. Es beginnt mit der Frage der Verfügbarkeit von Kitaplätzen, geht weiter über die Bildungsinhalte, und mündet in der Frage, wie Zugangsbarrieren abgebaut werden können. Wir werden im Saarland zum 1. Januar 2027 die Kita-Beiträge auf Null gebracht haben. Dann können wir über Kitas als echte Bildungseinrichtungen sprechen.

Die Strukturreform der KMK ist mit der Gründung der Bildungs-MK nicht abgeschlossen. Was steht noch auf der Agenda?

Wir müssen dafür sorgen, dass die KMK resilient bleibt gegen Entwicklungen, die unseren demokratischen Grundkonsens über Bildungsgerechtigkeit und die Förderung aller Kinder und Jugendlichen infrage stellen. Kinder und Jugendliche müssen unabhängig von ihrer Herkunft, einer Behinderung oder auch ihrer sexuellen Orientierung in der Schule gefördert werden. Wer das Recht auf Bildung für alle, insbesondere wenn es um Kinder mit Behinderungen geht, infrage stellt, verlässt diesen gemeinsamen Grundkonsens. Dafür müssen wir gewappnet sein.

Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben. Wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen, soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben. Dieser wird ein wichtiges Instrument der Resilienzbildung sein.

Lesen Sie auch: Was die Sonder-KMK zur Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit beschlossen hat

Wir müssen die Lebensrealität in unseren Schulen abbilden

Das BSW hat in seinen Wahlprogrammen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg deutlich gemacht, dass Grundschulen digitalfreie Zonen sein sollen. Ein BSW-geführtes Kultusministerium wäre schon deshalb nicht in Ihrem Sinne, oder?

Die digitale Transformation erfordert, Kindern und Jugendlichen Zukunftskompetenzen an die Hand zu geben. Schauen wir uns doch einmal um: Viele Kinder im Grundschulalter nutzen wie selbstverständlich Handys und digitale Medien. Da können wir nicht sagen, ,aber in der Schule wollen wir sie davor beschützen’. Wir müssen die Lebensrealität von Schülerinnen und Schülern in unseren Schulen abbilden. 

Fast alle Bereiche unseres Lebens sind heute schon von Algorithmen und künstlicher Intelligenz gesteuert. Dieser Prozess ist nicht mehr aufzuhalten. Wir können ihn aber prägen. Entscheidend ist, dass Schüler und Lehrkräfte ein tiefes Verständnis der Funktionsweise und ethischen Implikationen von KI entwickeln, um die Technologien reflektiert und verantwortungsbewusst nutzen zu können. Digitale Bildung muss zu einer zusätzlichen Kulturtechnik werden. 

Sie sprechen am Donnerstag auch über Handlungsempfehlungen zum Umgang mit KI in der Schule. Nach der Beschlussvorlage steht die Bildung-MK dem Einsatz von KI in der Grundschule offener gegenüber als die SWK. Warum?

Das Entscheidende ist: KI ist in den Kinderzimmern längst angekommen. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden, aber das ist der Fall. Die Diskussion darum, was Digitalisierung oder auch KI in Grundschule angeht, werden immer sehr hitzig geführt. Schulen lassen sich aber nicht von den gesellschaftlichen Entwicklungen abkoppeln. Alles, was ich ausschließe, führt letzten Endes auch dazu, dass ich mich mit Risiken und Chancen nicht auseinandersetze. Ich halte das für den falschen Weg. 

Was ist der richtige Weg?

Wir müssen auch Grundschulkinder an KI heranführen und die Risiken deutlich machen. Wenn Grundschulkinder im Montagsmorgenkreis berichten, dass sie sich am Wochenende mit Alexa unterhalten haben und das Gefühl haben, sich mit einem Menschen ausgetauscht zu haben, müssen wir ihnen helfen, das einzuordnen. Es geht nicht darum, dass ein Erstklässler Chat-GPT bedienen soll. Die Schülerinnen und Schüler müssen lesen, schreiben und rechnen lernen und die Grundschulen sollen ihre sozial-emotionale Entwicklung fördern. Das ist auch der Grundkonsens der Bildungs-MK. Aber Medienbildung müssen wir miteinbeziehen.

Lesen Sie auch: KI-Empfehlungen – Wo die Schulminister der SWK widersprechen


Transparenz-Hinweis: Der Text wurde an einer Stelle nach der Erstveröffentlichung korrigiert.

Neue Version: “Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben und wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen. In diesen Bereichen soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben.”

Vorige Version: “Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben und wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen. In anderen Bereichen soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben.”

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Krieg in Nahost: Wie Lehrkräfte über ihn sprechen können

Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober sind viele Lehrkräfte immer noch verunsichert, wie sie über den Nahostkrieg sprechen können. In Hamburg sorgte kurz vor dem Jahrestag ein Schreiben des Landesinstituts für Lehrerbildung an alle Schulleitungen für Diskussionen: In ihm forderte das Institut die Schulen auf, auf Schweigeminuten und Aufforderungen zu Trauer oder Empathie zu verzichten. Stattdessen, hieß es in dem Newsletter, sollten Schüler und Lehrkräfte Raum erhalten, ihre Emotionen zu teilen.

Die Schulbehörde hat sich von der Bitte inzwischen distanziert. “Wir sind im Gegenteil der Meinung, dass Schweigeminuten und andere Formen des Trauerns ermöglicht werden müssen”, sagte ein Sprecher dem NDR. Die Frage, die dahintersteht, beschäftigt auch andernorts Lehrkräfte: Dürfen Emotionen von Schülern angesichts des Kriegs in Nahost einen Raum bekommen? Oder ist es sicherer, das Thema lieber ganz aus dem Klassenzimmer zu verbannen?

Table.Briefings hat mit außerschulischen Bildungsakteuren gesprochen. Dabei zeigt sich: Der Umgang mit den Gefühlen der Schüler ist eigentlich zentral. Damit mehr Lehrkräfte sich das zutrauen, müssten sie besser ausgebildet und unterstützt werden.

Betroffenheit von Schülern ist zuletzt sogar gestiegen

Während der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah aktuell eskaliert und sich möglicherweise auch auf den Iran ausweitet, steigt auch die Betroffenheit von Schülern in Deutschland, gerade unter Kindern und Jugendlichen mit libanesischen Wurzeln. Das beobachtet Shai Hoffmann, der kurz nach dem 7. Oktober 2023 “Trialoge” mit Jouanna Hassoun an Schulen gestartet hat.

Er als Deutsch-Jude mit israelischen Wurzeln und sie als Deutsch-Palästinenserin sprechen in ihnen mit Jugendlichen über die Situation in Nahost. Die Idee kam Hoffmann, der selbst kein Pädagoge ist, kurz nach dem 7. Oktober, als es an einer Schule in Berlin-Neukölln wegen einer Palästinafahne zu Handgreiflichkeiten zwischen zwei Schülern und einem Lehrer kam.

Inzwischen gibt es acht weitere Trialogpaten mit ähnlichen biografischen Bezügen wie Hassoun und Hoffmann. Läuft alles nach Plan, werden sie bis Jahresende bundesweit circa 120 Schulen erreicht haben und damit über 3.000 Schüler.

Zahl radikalisierter Schüler habe zugenommen

Die aktuelle Eskalation setze den Nahostkrieg in den Schulen gerade wieder stärker auf die Tagesordnung. “Bei vielen Schülern bemerken wir eine krasse Angst vor einem Weltkrieg”, sagt Hoffmann. Gleichzeitig hätten radikale Ansichten zugenommen, befeuert durch die sozialen Medien. “Hatten wir anfangs im Schnitt eine Person pro Schulklasse, die radikalisiert war, sind es inzwischen eher zwei, drei, die ein geschlossenes Weltbild haben.” Ihr Angebot könne diesen Schülern eigentlich nicht mehr helfen, stattdessen brauche es Deradikalisierungsmaßnahmen.

Mit den meisten Schülerinnen und Schülern sei aber durchaus ein Dialog möglich. Zu zeigen, dass man miteinander ins Gespräch kommen kann, auch wenn man unterschiedlicher Ansicht ist, das ist das zentrale Anliegen der “Trialoge”. Gleich zu Beginn geht es um die Betroffenheit der Jugendlichen. “Wir fragen, wer biografisch betroffen ist. Und dann, wer sich dem Krieg emotional nah fühlt. Da gehen oft relativ viele Hände hoch.”

Über Gefühle zu sprechen, ist oft ein Türöffner

Auch von deutschen Schülern, die sich über einen Schuldkomplex mit Jüdinnen und Juden verbunden fühlen, die gleichzeitig oft aber auch beschäftigt, wie Israel mit den Palästinensern umgeht. “Vor allem an Gymnasien stellen wir das fest”, sagt Hoffmann. Aus knapp 50 Emotionskarten sollen die Jugendlichen auswählen, wie sie sich angesichts der Situation in Nahost fühlen – verzweifelt, euphorisch, sprachlos. Manche hätten den Mut, auch zu erklären, warum sie sich so fühlen.

Der Zugang über Gefühle sei nicht jeder Lehrkraft geheuer, gerade Pädagogen alter Schule. Die Idee dahinter: Der israelisch-palästinensische Konflikt und der Krieg wecken starke Emotionen in jungen Menschen, die die sozialen Medien noch verstärken. Ihnen Raum zu geben, könne da überhaupt erst die Tür zum Dialog eröffnen, auch bei Themen, die vermeintlich nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun haben.

In ihrem jüngst veröffentlichten Buch beschreiben Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun, wie eine Schulklasse mit ihrer Geschichtslehrerin in Konflikt geriet. Die Schüler – größtenteils mit migrantischen Familienbezügen – stritten mit der Lehrerin über die Teilnahme an einem Gedenkprogramm zum 9. November. Sie fanden, dass das Leid der Palästinenser außen vor gelassen werde. Dass die Schüler im “Trialog” erstmals über den Israel-Gaza-Krieg und ihre Gefühle sprechen konnte, habe die Wogen geglättet, die Schüler konnten die Empörung ihrer Lehrerin über ihren Protest dann auch besser verstehen.

Schülerinnen und Schülern erstmal zuhören

Auch Derviş Hızarcı stellt immer wieder fest, dass Kinder und Jugendliche aus palästinensischen und arabisch-stämmigen Familien mit Gefühlen wie Ohnmacht, Verzweiflung und auch Hass gegenüber Repräsentanten des Staates Israel oder ganz allgemein gegenüber Jüdinnen und Juden in die Schule gingen. Hızarcı ist Experte für Rassismus und Antisemitismus und leitet die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), die Schulen seit 20 Jahren im Umgang mit Antisemitismus berät und Workshops anbietet.

Ähnlich wie Hoffmann hält Hızarcı es für wichtig, im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern erstmal zuzuhören, Vertrauen aufzubauen, Fragen zu stellen. Etwa: “Wie geht es Dir, was bringt Dich zu Deiner Ansicht?” Erst wenn sich daraus ein Gespräch entwickelt, könne nicht vorhandenes Wissen aufgefüllt und falsches Wissen berichtigt werden. 

Lehrkräfteausbildung muss sich ändern – und Erinnerungskultur

Akut helfen können Lehrkräften dabei Fortbildungen, wie sie die KIgA und die Israel-Palästina-Bildungsvideos der Gesellschaft im Wandel, deren Geschäftsführer Shai Hoffmann ist, anbieten. Damit solche Fortbildungen allerdings noch mehr Lehrkräfte erreichen, müssten sie weiter oben auf die Agenda, wenn nicht sogar zur Pflicht für Lehrkräfte bestimmter Fächer werden. Daneben sieht Hoffmann grundlegend Handlungsbedarf:

  • Schon in der Lehrkräfteausbildung sollten Antisemitismus, der Nahostkonflikt, die Geschichte Israels oder das Judentum außerhalb der Geschichte des Zweiten Weltkriegs eine größere Rolle spielen. Nicht alle Politik- oder Geschichtslehrer beschäftigen sich im Studium zwingend mit den Themen.
  • Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungsakteuren müsse gestärkt werden. Im Fall der “Trialoge” basiert diese darauf, dass einzelne engagierte Lehrkräfte sich an die Organisatoren wenden, vorausgesetzt die Schulleitung stimmt zu. Ob das Trialog-Projekt ab dem 1. Januar weiter über das Bundesprogramm “Demokratie leben!” finanziert wird, ist aktuell zudem noch unklar.
  • Die Erinnerungskultur solle insgesamt stärker berücksichtigen, dass Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist. Geht es nach Hoffmann müsse sie sich für alle öffnen, die sich bisher nicht gesehen fühlen – ohne den Holocaust zu relativieren, das ist ihm als Enkelkind von Holocaust-Überlebenden wichtig. “Dennoch”, sagt er, “müssen wir uns dringend der Frage stellen, wie wir mit den vielen gleichzeitigen Traumata und Schmerzen in unserer Gesellschaft umgehen.”
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Standpunkt

KI-Empfehlungen der KMK: Warum sie sich wie ein Wunschzettel lesen

Von Sibylle Schwarz

Schulrechtlerin Sibylle Schwarz.

In wenigen Wochen ist die Einführung des Chatbot ChatGPT zwei Jahre her. Aber jetzt erst präsentiert die KMK ihre “Handlungsempfehlung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen”. 

Der Beschlussentwurf, der bei der anstehenden Bildungs-MK auf dem Tisch liegen wird, umfasst Formulierungen wie diese: 

  • “Die Länder werden bei künftigen Anpassungen …”, 
  • ” … sind entsprechend anzupassen.”
  •  ” … wird von den Ländern zeitnah umgesetzt.” 
  • “Alle künftigen Novellierungen …”

Es liest sich wie ein früher Weihnachtswunschzettel.

Hier zum Download: Entwurf der KI-Handlungsempfehlungen

Nicht verwunderlich, denn die KMK ist kein Gesetzgebungsorgan. Auch eine Zuständigkeit des Bundes für ein Bundes-Schulgesetz gibt es nicht. Im Entwurf kann es nur darum gehen, wie es die KMK – oder künftig: Bildungs-MK – auch selbst formuliert: eine ländergemeinsame Position zum Umgang zu finden und gemeinsame Schritte zu vereinbaren.

Bisher gibt es noch keine umgesetzten gesetzlichen Regelungen

Umsetzen muss dann das jeweilige Bundesland in Parlaments-Schulgesetz und Ministeriums-Verordnungen. Bisher gibt es noch keine umgesetzten gesetzlichen Regelungen. Ein Schüler oder eine Schülerin kann sich also nach wie vor dem Vorwurf der Täuschung ausgesetzt sehen, wenn (generative) KI zum Einsatz kommt.

Wie eine Umsetzung aussehen könnte, zeigt womöglich der jüngste Erlass zur Leistungsbewertung in den Schulen des Saarlandes. Darin wird beispielsweise zwischen großen Leistungsnach­weisen (unter Aufsicht durchgeführte schriftliche Einzelprüfungen) und sonstigen Leistungen unterschieden.

Lesen Sie auch: Digitalisierung – Welche neuen Prüfungsformate im Saarland möglich sind

Bei medien- und materialgestützten Arbeiten soll nun die Zuhilfenahme digitaler Nachschlagewerke, Zeichensoftware oder KI-basierter Anwendungen erlaubt sein. Der Erlass schweigt sich aus, was KI-basierte Anwendungen genau sein sollen. Doch so ganz traut sich das Saarland dann auch wieder nicht.

Denn die sonstigen Leistungen schließen Heft- und Ordnerführung ein – eine Note für Heftführung wie in analogen Zeiten. Für die gymnasiale Oberstufe soll der Erlass gar nicht erst gelten. Überhaupt ein Erlass. In der Normenhierarchie steht er ganz weit unten. Regelungen im Schulgesetz und in einer Verordnung sind stets vorrangig. 

Situation der Schülerinnen und Schüler kommt zu kurz

Fast schwärmerisch, aber ohne ins Detail zu gehen, beschreibt der Beschlussentwurf die vielfältigen Möglichkeiten von KI-Anwendungen. Muss aber sogleich zugeben, dass Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) sich noch in der Entwicklung für eine flächendeckende Anwendung befinden. Die KI-Anwendungen unterstützen Lehrkräfte bei der Unterrichtsvorbereitung, -durchführung und -nachbereitung und führen zu Arbeitserleichterungen. Aber diese Vorteile für die Unterrichtsgestaltung nehmen doch zu viel Raum ein.

Hingegen kommt die Situation der Schülerinnen und Schüler zu kurz. In deren Lebenswirklichkeit füttern sie Sprachmodelle wie ChatGPT und nutzen den Output in Hausaufgaben und Hausarbeiten. Der Beschlussentwurf sieht zumindest das Dilemma, dass die nicht für den Bildungsbereich entwickelten LLM dennoch rasant Einzug halten. Wie damit umzugehen ist, lassen die Handlungsempfehlungen weitgehend unbeantwortet.

Sie sehen eine Lösung darin, dass Präsentation und Reflexion in die Leistungsfeststellung einbezogen werden, wenn KI eingesetzt worden ist. Jedenfalls soll “eine an einer Kultur der Digitalität ausgerichtete Prüfungskultur” geschaffen werden.

Schulische Verordnungen regeln, dass nicht allein KI Bewertungen vornehmen kann

Sogleich im nächsten Abschnitt geht es aber schon wieder um Lehrkräfte. Darum, wie KI sie beim Korrigieren und bei der Notengebung unterstützen kann. Der zwar richtige Hinweis auf Art. 22 Abs. 1 DSGVO und auf den am 1. August in Kraft getretenen EU AI Act lässt dennoch außer Acht, dass die schulischen Verordnungen menschliche Beteiligung bei Bewertungen längst regeln

Im Beispiel der saarländischen Abitur-Verordnung obliegt die Vorbereitung und Durchführung des Abiturs der Abiturprüfungskommission. Deren Mitglieder entscheiden mit Stimmenmehrheit und müssen beide Prüfungen für ein Lehramt abgelegt haben und die Lehrbefähigung für die gymnasiale Oberstufe besitzen.

Nach Einreichung von Aufgabenvorschlägen durch Fachlehrkräfte legt die Schulaufsichtsbehörde landeszentral die Aufgaben fest. Die eigentliche Abiturprüfungsleistung wird zunächst von der Fachlehrkraft als Erstkorrektur korrigiert und beurteilt. Danach erfolgt eine selbständige Beurteilung durch eine zweite Person, die korrigiert. Übrigens: Nach dieser Verordnung gilt das Mitführen eines elektronischen Gerätes mit Sende-/Empfangsfunktion, auch wenn es ausgeschaltet ist, als Täuschungsversuch.

Dies zeigt deutlich, dass nach jetziger Rechtslage schon viele Menschen bei einem Abitur als Hochschulzugangsberechtigung beteiligt sind. Eines Rückgriffs auf EU-Recht braucht es daher an anderer Stelle. Und zwar für künftige KI-Systeme, die dazu dienen, den Zugang oder die Zulassung zu Bildungseinrichtungen zuzuweisen oder die zur Bewertung von Lernergebnissen eingesetzt werden sollen. Sie gelten als hochriskante KI-Systeme und müssen ab August 2026 bestimmte Anforderungen erfüllen.

Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin in der Kanzlei else.schwarz Rechtsanwälte in Wiesbaden. Ihr Schwerpunkt liegt im Beamten- und Bildungsrecht als besonderem Verwaltungsrecht. Sie befasst sich mit Rechtsfragen des Schulbetriebs und des Hochschulwesens. Einer ihrer Schwerpunkte ist außerdem KI im Bildungsbereich

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  • KI in der Schule
  • KI-Handlungsempfehlungen
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News

Digitalpakt: Wann die nächste Verhandlungsrunde ansteht

Kommenden Montag wird es die nächste Verhandlungsrunde zum Digitalpakt II auf Ebene der Staatssekretäre geben. Das erfuhr Table.Briefings aus dem Umfeld der Verhandlungen.

Für die Länder führen Wilfried Kühner, Amtschef in Sachsens Kultusministerium, und der Bremer Staatsrat Torsten Klieme die Verhandlungen. Aufseiten des BMBF ist es Staatssekretär Roland Philippi. Zuletzt hatte die Runde am 17. September getagt – ohne einen Durchbruch zu erzielen.

Hauptstreitpunkt: Der Bund pocht auf eine 50-prozentige Beteiligung der Länder für den Digitalpakt II. Der Digitalpakt I war noch zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den Ländern finanziert worden.

Für KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) sind diese zehn Prozent eine wenig aussagekräftige Zahl: “Die Länder haben in den vergangenen Jahren sehr viel eigenes Geld für die Digitalisierung in die Schulen investiert.” Zusammengerechnet sei das den jetzt geforderten 50 Prozent sehr nahe gekommen, sagte sie Table.Briefings.

BMBF und KMK untermauern Gegensätze

Am Dienstag verwiesen Streichert-Clivot und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in einer gemeinsamen Pressemitteilung von BMBF und KMK darauf, dass 97 Prozent der Mittel im Basis-Digitalpakt I (2019-2024) bewilligt seien. Sie untermauerten zugleich ihre gegensätzlichen Positionen. 

Klar sei, “dass die Unterstützung des Bundes immer nur die nötigen Investitionen der Länder ergänzen kann”, erklärte Stark-Watzinger. Sie soll auch Gast bei der Bildungs-MK am Donnerstag sein. Streichert-Clivot sprach dagegen von der Digitalisierung als Daueraufgabe, für die eine beachtliche finanzielle “Unterstützung in einer gemeinsamen, nationalen Kraftanstrengung” notwendig sei.

Auch die Frage, ob ein Digitalpakt II, der am 1. Januar 2025 beginnen soll, rückwirkend an den im Mai ausgelaufenen Digitalpakt I anknüpft, gehört für Streichert-Clivot weiter in den Verhandlungstopf. Zudem fordert sie im Gespräch mit Table.Briefings, die Verteilung des Geldes weiter nach dem Königsteiner Schlüssel vorzunehmen.

Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) hält den Druck auf das BMBF hoch: “Der Bund hält seine Zusagen nicht ein und sorgt für komplette Planungsunsicherheit bei den Ländern”, sagte er Table.Briefings. “Die Zeit drängt, wir müssen verhindern, dass mehr als elf Millionen Schülerinnen und Schülern der digitale Stecker gezogen wird.” Holger Schleper

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Vorlesemonitor: In welchen Altersgruppen Eltern zu selten vorlesen

Eltern lesen ihren ein- bis achtjährigen Kindern zu selten vor. Das gilt in besonderem Maße für Sieben- und Achtjährige. Das ist eines der Ergebnisse des am Dienstag veröffentlichen Vorlesemonitors 2024. Für die Untersuchung wurden 815 Eltern von Kindern in diesen Altersgruppen befragt.  

Danach lesen etwa ein Drittel der Eltern (32,3 Prozent) ihren Kindern selten oder nie vor. Damit liegt der Wert wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie. 2022 hatte er bei 39, im Vorjahr bei 37 Prozent gelegen. 

In einigen Altersgruppen gibt es Ausschläge nach oben. Von den befragten Eltern von achtjährigen Kindern gaben 41 Prozent an, nie vorzulesen, 13 Prozent selten – in Summe also 54 Prozent. Für die Siebenjährigen liegt der Wert bei 42 Prozent, für die Einjährigen bei 38 Prozent. Bei Dreijährigen sehen die Zahlen anders aus. Nur sechs Prozent ihrer Eltern geben an, nie oder seltener vorzulesen.

Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, warnt, dass es zu einer “deutlichen Frustration beim Lesenlernen” führen kann, wenn Eltern mit dem Vorlesen aufhören, sobald Kinder in die Schule kommen. “Bei vielen Eltern dürfte es die Vorstellung geben, dass das Kind ja jetzt das Lesen lernt”, sagt die Leseforscherin Table.Briefings.

Das sei zwar nachvollziehbar. Es “verkennt aber, dass die Kinder sich am Anfang beim Lesen lernen in der Regel schwertun, auch mit einfacheren Texten”. Weiter vorzulesen, schaffe für die Kinder einen guten Übergang zum eigenen Lesenlernen. “Und nicht zuletzt erhalten Eltern so auch eine für Eltern und Kinder schöne, gemeinsame Situation.”

Auch das Potenzial von Smartphones nutzen

Ehmig hält auch Smartphones und Tablets für eine geeignete “Ergänzung zum Buch”. Solche Geräte hätten Eltern meist dabei. “Eine Geschichte, die sie auf das Smartphone heruntergeladen haben, können sie dann überall vorlesen, sei es im Wartezimmer beim Arzt oder im Bus.” Und: Kinder lernten so von Beginn an, “dass dieser Bildschirm auch tolle Geschichten zum Lesen und Vorlesen bietet – und nicht allein Videos, Spiele oder Musik”.

Der Vorlesemonitor wird von der Stiftung Lesen, Die Zeit und der Deutsche Bahn Stiftung herausgegeben. Zentrale Veranstaltung ist der “Bundesweite Vorlesetag“. Er findet am 15. November statt. Holger Schleper

Die Studie zum Download
Lesen Sie auch: Frühe Bildung – Die Demokratie lebt auch vom (Vor-)Lesen

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SchuMaS: Studie bemängelt schwache Schulleitungen

In seiner ersten wissenschaftlichen Publikation bemängelt der Bund-Länder-Forschungsverbund in der Initiative “Schule macht stark” (SchuMaS) die schwache Rolle der Schulleiter im Schulsystem. Die 367 Seiten umfassenden Zwischenbilanz des Forschungsverbunds trägt den Titel “Sozialraumorientierte Schul- und Unterrichtsentwicklung an Schulen in schwierigen Lagen”.

Danach führten Schulleitende in Deutschland ihre Schulen “mit Blick auf die pädagogische Programmatik” durchschnittlich “weniger stark” als Schulleitende in anglophonen Ländern

Deutsche Schulleiter führen weniger als in den USA

Vergleichsdaten zeigten, dass Schulleitungen “an sozialräumlich benachteiligten Standorten” in Deutschland ihre Entscheidungen “stärker vom Willen des Kollegiums abhängig machen” als an ähnlichen Standorten in den USA. Sie führten konsensorientierter und wirkten weniger darauf hin, dass ihre Lehrkräfte zielorientiert arbeiten, sich professionalisieren oder etwa den Unterricht ihrer Kollegen beobachten. Auch in ihrer Selbstwahrnehmung fühlten sich Schulleiter zu oft nicht mächtig genug, um pädagogische Neuerungen umzusetzen.

Der Leiter des Forschungsverbunds und Geschäftsführende Direktor des DIPF, Kai Maaz sieht für Schulleiter drei Wege, um die gefühlte Ohnmacht zu überwinden:

  • Die eigenen Spielräume kennen: Oft fühlten sich Schulleitungen in ein enges regulatorisches Korsett eingebunden. “Das ist aber oftmals gar nicht so”, sagt Maaz. In Schleswig-Holstein etwa sei nach der Einführung einer Experimentierklausel festgestellt worden, dass fast alle Anträge, diese Klausel anzuwenden, nicht nötig gewesen wären. Die Wünsche wären auch ohne Klausel erfüllbar gewesen. 
  • Eine neue Art der Schulaufsicht: Maaz fordert, dass die Schulaufsicht den Schulen künftig beratend als Partner zur Seite stehen müssten. Denkbar seien etwas Zielvereinbarungen der Schule mit der Schulaufsicht, deren Einhaltungen den Zugang zu Ressourcen erleichtert. Da braucht es “anderes, neues Selbstverständnis der Schulaufsicht”. 
  • Dem Kollegium zeigen, welche Vorteile Neuerungen bringen. Maaz: “Jede Neuerung wird dann im Kollegium sofort auf Zustimmung stoßen, wenn sie mit Vereinfachungen und Verbesserungen für das eigene Handeln zusammenkommt.”

Der Forschungsverbund begleitet das Programm “Schule macht stark” wissenschaftlich. An SchuMaS beteiligen sich 200 Schulen, um den Unterricht insbesondere in den Fächern Mathematik und Deutsch weiterzuentwickeln. Das Programm wird vom DIPF, dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation koordiniert. Thorsten Denkler

Zum Download: Die Studie des SchuMaS-Forschungsverbundes.

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Einsamkeit: Was Jugendliche von der Politik fordern

Um die Einsamkeit junger Menschen zu bekämpfen, braucht es eine gesetzliche Pflicht für Bildungseinrichtungen, psychologische Hilfsangebote bereitzustellen oder zu vermitteln. Das ist eine von 15 Forderungen, die 22 Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren im Rahmen eines Projekts des Berliner Thinktanks “Progressives Zentrum” gesammelt haben (zum Download). Die Fragestellung war, was die Politik gegen die Einsamkeit von Jugendlichen und für eine Stärkung von Teilhabe und Demokratie junger Menschen unternehmen sollte.

Vorbild für die verpflichtenden Angebote könnte laut dem Papier Österreich sein. Seit 2019 muss dort jede Region in ihrer Bildungsdirektion einen schulpsychologischen Dienst einrichten, der Beratungsangebote für Schulen anbietet und koordiniert. In den Schulgesetzen der deutschen Bundesländer steht eine einheitliche Verankerung bislang aus.

Mit den Mental Health Coaches gibt es in Deutschland zwar bereits geschultes Personal, das reicht den Jugendlichen zufolge aber nicht aus. Deutschlandweit sind seit September 2023 rund 80 Mental Health Coaches an insgesamt etwa 100 Schulen tätig. Das Bundesfamilienministerium hatte kürzlich mitgeteilt, dass die Finanzierung des Modellprojekts nach Stand der aktuellen Haushaltsverhandlungen noch bis zu den Sommerferien 2025 sichergestellt sei.

Lesen Sie auch: Mental Health Coaches: Wie es mit dem Modellprojekt weitergeht

Volkshochschulen als “Lebenskompetenzzentren”

Daneben sprachen sich die Jugendlichen unter anderem für öffentlich geförderte “Lebenskompetenzzentren” in jedem Landkreis aus. Diese sollen Jugendliche für den Umgang mit Umbrüchen rüsten, um Einsamkeit präventiv zu begegnen. In den westdeutschen Bundesländern eignen sich laut dem Forderungskatalog Volkshochschulen am besten, weil sie flächendeckend vorhanden sind. Im Osten müsste man teilweise separate Zentren eröffnen.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Christine Streichert-Clivot sprach sich bei der Vorstellung der Forderungen am Dienstagabend dafür aus, Kinder schon in der Kita über ihren Alltag mitbestimmen zu lassen. Außerdem müssten Schulen und Jugendzentren bei künftigen Krisen geöffnet bleiben. “Die Coronamaßnahmen waren staatlich verordnete Einsamkeitspolitik für Jugendliche“, sagte sie.

Fast jeder zweite junge Mensch fühlt sich einsam, das zeigte im Sommer eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Besonders betroffen sind Jugendliche zwischen 19 und 22 Jahren. Schulen könnten hier helfen, frühzeitig zu sensibilisieren. Und, das zeigte eine Studie des Progressiven Zentrums: Maßnahmen gegen Einsamkeit helfen dabei, die Demokratie zu stärken. Denn einsame Jugendliche sind empfänglicher für antidemokratische Einstellungen und Verschwörungstheorien. Insofern, heißt es im nun erschienenen Forderungskatalog, sei Einsamkeit “kein individuelles, sondern ein kollektives und sogar demokratisches Problem”. Torben Bennink

Lesen Sie auch: Psychische Gesundheit: Was Schulen gegen Einsamkeit tun können

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Best of Table

Research.Table: Die entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Wissenschafts-Szene. Die Redaktion hat die 100 entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Wissenschafts-Szene ausgewählt. Hier die wichtigsten Persönlichkeiten aus Stiftungen.

Research.Table: Dauerstellen neben der Professur: Warum ein Bruch des Koalitionsvertrags kaum noch zu verhindern ist. Das BMBF hat dem Haushaltsausschuss den angeforderten Dauerstellen-Bericht vorgelegt. Ländervertreter sehen darin keinen “weitreichenden inhaltlichen Beitrag”. Warum auch die Koalitionspartner verschnupft reagieren, lesen Sie hier.

Presseschau

Tagesspiegel: Warum vielleicht bald noch mehr Kita-Plätze in Berlin frei bleiben. In Berlin rechnet der Senat mit deutlich weniger Unter-Zweijährigen als bisher angenommen. Die Prognose beeinflusst die Berliner Kita-Entwicklungsplanung. In ihr wird festgelegt, wie viele Kita-Plätze geschaffen werden müssen. Schon jetzt gibt es über 34.000 freie Kita-Plätze in Berlin. Inwieweit die falsche Prognose die Zahl der freien Kita-Plätze beeinflussen wird, wird sich demnächst zeigen. (Tausende freie Kitaplätze in Berlin: Senat hat die Geburtenrate deutlich überschätzt

Spiegel: Bildungsforscherin Veronika Verbeek für späteren Kita-Besuch. Insbesondere für Unter-Dreijährige sei der Kita-Besuch stressig und eine enge Bindung zu den Eltern förderlicher als Fremdbetreuung. Für eine längere Betreuung zu Hause sei eine Verlängerung der Elternzeit auf zwei Jahre notwendig. Für den späteren Bildungserfolg sollten pädagogische Kita-Konzepte sowohl Disziplin als auch bedürfnisorientierte Erziehung umfassen. (“In den Kitas verspielt man die Bildungspotenziale von Kindern”

SZ: “Mega-BIZ” eröffnet in München. Die Agentur für Arbeit in München eröffnet ein neues Berufsinformationszentrum. Mit seiner Größe und seinem Angebot ist es unter den bundesweit 184 Zentren einmalig. Die Räumlichkeiten bieten sowohl Platz für große Veranstaltungen als auch für individuelle Beratungen. Zielgruppe sind sowohl Jugendliche, die neu ins Berufsleben starten, als auch Erwachsene, die sich neu orientieren wollen. (Berufsberatung mit der VR-Brille

NDR: Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung gegen Schweigeminute. Vor dem Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel bat das Landesinstitut für Lehrerbildung die Hamburger Schulen, auf Schweigeminuten oder ähnliche Trauerbekundungen zu verzichten. Auch solle das Zeigen von Reportagen anlässlich des Jahrestags unterlassen werden. Die Schulbehörden in Hamburg distanzieren sich nun von dieser Aufforderung. Eine Aufarbeitung ist angesetzt. (Jahrestag Hamas-Überfall: Umstrittener Brief an Hamburgs Schulen

Dlf: Über die Notwendigkeit von Schulnoten. DPhV-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing und der Referent in der Schulaufsicht der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO, Björn Nölte, diskutieren über die Aussagekraft von Schulnoten. Lin-Kitzling sieht in Noten die Möglichkeiten, Leistungen zu vergleichen und Prognosen für Beruf und Studium zu erstellen. Nölte hingegen sieht diese Aussagekraft nicht gegeben und fordert Alternativen der Leistungsmessung. So seien individuelle Aufnahmeverfahren beispielsweise für Hochschulen passender. (Schulnoten abschaffen – ja oder nein?

Termine

24. Oktober 2024, Bielefeld
Messe EdTech Next Summit 2024
Für fachlichen Austausch und Netzwerken finden auf dieser Messe Vertreter aus der Edtech-Szene zusammen. Zu Themengebieten wie KI und dem deutschen Bildungsmarkt gibt es eine Vielzahl an Vorträgen. INFOS & ANMELDUNG

28. bis 29. Oktober 2024, Berlin
Kongress Deutscher Kitaleitungskongress
In Seminaren und Vorträgen widmet sich der Kitaleitungskongress verschiedenen derzeitigen Herausforderungen in der Kita. So sind auch die erfolgreiche Gestaltung von frühkindlicher Bildung sowie der Umgang mit Demokratie- und Medienbildung Thema mehrerer Vorträge. INFOS & ANMELDUNG

29. Oktober 2024, Rostock
Messe BILDUNG.DIG!TAL 2024
Eine Vielzahl von Unternehmen stellen sich und ihre Lösungen im Bereich der digitalen Bildung und der digitalen Bildungsverwaltung vor. Es gibt sowohl die Möglichkeit, an Messeständen als auch in Vorträgen und Diskussionen in den Austausch zu gelangen. INFOS & ANMELDUNG

08. November bis 09. November 2024, Leipzig
Tagung Lehrkräfte gewinnen, stärken, halten – Impulse für die Aus-, Fort- und Weiterbildung
Der Verband Sonderpädagogik lädt zu seiner diesjährigen Tagung, um sich mit aktuellen Herausforderungen für die Sonderpädagogik auseinanderzusetzen. So umfassen einige Vortragsthemen etwa die Qualitätssicherung und Qualifizierung in der Sonderpädagogik sowie Möglichkeiten des Quer- und Seiteneinstiegs. Eine Anmeldung ist noch bis zum 01. November möglich. INFOS & ANMELDUNG

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    manchmal wird es einfach Zeit, etwas Neues zu wagen. Genau das macht jetzt die Kultusministerkonferenz. An diesem Donnerstag wird mit der Konstituierung der neuen Bildungs-MK die neue Struktur der KMK aufgesetzt. Unter dem Dach der KMK werden sich jetzt die Ressorts Bildung, Wissenschaft und Kultur separat treffen. Die Hoffnung: schnellere Prozesse, bessere Lösungen. 

    Ob der Plan aufgehen wird, darüber hat mein Kollege Holger Schleper mit der KMK-Präsidentin und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, Christine Streichert-Clivot (SPD) gesprochen. 

    Manchmal wird es auch einfach Zeit, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel in der schwierigen Frage, wie Lehrkräfte mit Schülern über den Krieg in Nahost sprechen können. Eine Frage, die seit dem 7. Oktober viele umtreibt.

    Meine Kollegin Anna Parrisius und ich haben mit Menschen gesprochen, die regelmäßig an Schulen gehen und diese beraten. Ihre Botschaft: Lehrkräfte sollten Schülern zuhören und ihren Gefühlen Raum geben.

    Bleiben Sie uns gewogen.

    Ihr
    Thorsten Denkler
    Bild von Thorsten  Denkler

    Analyse

    Streichert-Clivot: KI ist in den Kinderzimmern längst angekommen

    Christine Streichert-Clivot (SPD) ist amtierende KMK-Präsidentin und seit 2019 Bildungsministerin des Saarlandes.

    Frau Streichert-Clivot, am Donnerstag findet die konstituierende Sitzung der Bildungs-MK statt. Was wird anders? 

    Das erste sichtbare Ergebnis ist der Einstieg in eigene Ministerkonferenzen. Die Bildungsministerkonferenz wird am Donnerstag gegründet. Damit schärfen wir unseren Fokus auf die drängenden Fragen, etwa zur Bildungsgerechtigkeit oder den Übergang von der Kita zur Grundschule. 

    Das war vorher nicht möglich?

    Ein Stück weit waren wir in den KMK-Konferenzen immer gefangen in der Notwendigkeit, dass natürlich auch der Wissenschaftsbereich Entscheidungen voranbringen und treffen musste. Jetzt gibt es separate Ministerkonferenzen. Das macht uns schlagkräftiger. Wir können zum Beispiel gezielter mit anderen Fachministerkonferenzen zusammenarbeiten.  

    Die Zusammenarbeit mit den Jugend- und Familienministern in der JFMK gilt schon jetzt als schwierig. Wie wollen sie frühkindliche und schulische Bildung besser koordinieren?

    Als KMK haben wir vor knapp zwei Jahren entschieden, die Zusammenarbeit zu institutionalisieren. All das, was zum Übergang gehört – Basiskompetenzen oder die Förderung in der deutschen Sprache – haben wir als Bildungs-MK ohnehin auf der Tagesordnung. Aber wir brauchen auch die JFMK. Dazu werden wir in diesem Jahr noch eine gemeinsame Sitzung haben.

    Frühkindliche Bildung gehört in die Hände der Bildungsressorts

    Das wäre nach 2023 erst die zweite gemeinsame Sitzung. Müsste da nicht mehr kommen?

    Um es so zu beantworten: Der Forderung, dass der frühkindliche Bereich in die Hände der Bildungsressorts gehört, kann ich mich ohne Zweifel anschließen. Im Saarland leben wir das schon vor. Das gilt übrigens auch für die Jugendhilfe. Da haben die Bildungsministerien meist keine Zuständigkeit. Die braucht es aber für die Zukunft. 

    Warum?

    Ich muss als Ministerin oder Minister die Übergänge gestalten können. Das geht nur, wenn alles aus einer Hand kommt. Es beginnt mit der Frage der Verfügbarkeit von Kitaplätzen, geht weiter über die Bildungsinhalte, und mündet in der Frage, wie Zugangsbarrieren abgebaut werden können. Wir werden im Saarland zum 1. Januar 2027 die Kita-Beiträge auf Null gebracht haben. Dann können wir über Kitas als echte Bildungseinrichtungen sprechen.

    Die Strukturreform der KMK ist mit der Gründung der Bildungs-MK nicht abgeschlossen. Was steht noch auf der Agenda?

    Wir müssen dafür sorgen, dass die KMK resilient bleibt gegen Entwicklungen, die unseren demokratischen Grundkonsens über Bildungsgerechtigkeit und die Förderung aller Kinder und Jugendlichen infrage stellen. Kinder und Jugendliche müssen unabhängig von ihrer Herkunft, einer Behinderung oder auch ihrer sexuellen Orientierung in der Schule gefördert werden. Wer das Recht auf Bildung für alle, insbesondere wenn es um Kinder mit Behinderungen geht, infrage stellt, verlässt diesen gemeinsamen Grundkonsens. Dafür müssen wir gewappnet sein.

    Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben. Wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen, soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben. Dieser wird ein wichtiges Instrument der Resilienzbildung sein.

    Lesen Sie auch: Was die Sonder-KMK zur Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit beschlossen hat

    Wir müssen die Lebensrealität in unseren Schulen abbilden

    Das BSW hat in seinen Wahlprogrammen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg deutlich gemacht, dass Grundschulen digitalfreie Zonen sein sollen. Ein BSW-geführtes Kultusministerium wäre schon deshalb nicht in Ihrem Sinne, oder?

    Die digitale Transformation erfordert, Kindern und Jugendlichen Zukunftskompetenzen an die Hand zu geben. Schauen wir uns doch einmal um: Viele Kinder im Grundschulalter nutzen wie selbstverständlich Handys und digitale Medien. Da können wir nicht sagen, ,aber in der Schule wollen wir sie davor beschützen’. Wir müssen die Lebensrealität von Schülerinnen und Schülern in unseren Schulen abbilden. 

    Fast alle Bereiche unseres Lebens sind heute schon von Algorithmen und künstlicher Intelligenz gesteuert. Dieser Prozess ist nicht mehr aufzuhalten. Wir können ihn aber prägen. Entscheidend ist, dass Schüler und Lehrkräfte ein tiefes Verständnis der Funktionsweise und ethischen Implikationen von KI entwickeln, um die Technologien reflektiert und verantwortungsbewusst nutzen zu können. Digitale Bildung muss zu einer zusätzlichen Kulturtechnik werden. 

    Sie sprechen am Donnerstag auch über Handlungsempfehlungen zum Umgang mit KI in der Schule. Nach der Beschlussvorlage steht die Bildung-MK dem Einsatz von KI in der Grundschule offener gegenüber als die SWK. Warum?

    Das Entscheidende ist: KI ist in den Kinderzimmern längst angekommen. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden, aber das ist der Fall. Die Diskussion darum, was Digitalisierung oder auch KI in Grundschule angeht, werden immer sehr hitzig geführt. Schulen lassen sich aber nicht von den gesellschaftlichen Entwicklungen abkoppeln. Alles, was ich ausschließe, führt letzten Endes auch dazu, dass ich mich mit Risiken und Chancen nicht auseinandersetze. Ich halte das für den falschen Weg. 

    Was ist der richtige Weg?

    Wir müssen auch Grundschulkinder an KI heranführen und die Risiken deutlich machen. Wenn Grundschulkinder im Montagsmorgenkreis berichten, dass sie sich am Wochenende mit Alexa unterhalten haben und das Gefühl haben, sich mit einem Menschen ausgetauscht zu haben, müssen wir ihnen helfen, das einzuordnen. Es geht nicht darum, dass ein Erstklässler Chat-GPT bedienen soll. Die Schülerinnen und Schüler müssen lesen, schreiben und rechnen lernen und die Grundschulen sollen ihre sozial-emotionale Entwicklung fördern. Das ist auch der Grundkonsens der Bildungs-MK. Aber Medienbildung müssen wir miteinbeziehen.

    Lesen Sie auch: KI-Empfehlungen – Wo die Schulminister der SWK widersprechen


    Transparenz-Hinweis: Der Text wurde an einer Stelle nach der Erstveröffentlichung korrigiert.

    Neue Version: “Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben und wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen. In diesen Bereichen soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben.”

    Vorige Version: “Wir haben in der vergangenen Sonder-KMK Anfang September bereits beschlossen, wo wir am Einstimmigkeitsprinzip festhalten wollen. Zum Beispiel bei Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen, wo Beschlüsse Auswirkungen auf die Landeshaushalte haben und wo Beschlüsse die KMK selbst als Institution betreffen. In anderen Bereichen soll es zukünftig bei Uneinigkeiten einen Klärungs- und Vermittlungsprozess geben.”

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    Krieg in Nahost: Wie Lehrkräfte über ihn sprechen können

    Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober sind viele Lehrkräfte immer noch verunsichert, wie sie über den Nahostkrieg sprechen können. In Hamburg sorgte kurz vor dem Jahrestag ein Schreiben des Landesinstituts für Lehrerbildung an alle Schulleitungen für Diskussionen: In ihm forderte das Institut die Schulen auf, auf Schweigeminuten und Aufforderungen zu Trauer oder Empathie zu verzichten. Stattdessen, hieß es in dem Newsletter, sollten Schüler und Lehrkräfte Raum erhalten, ihre Emotionen zu teilen.

    Die Schulbehörde hat sich von der Bitte inzwischen distanziert. “Wir sind im Gegenteil der Meinung, dass Schweigeminuten und andere Formen des Trauerns ermöglicht werden müssen”, sagte ein Sprecher dem NDR. Die Frage, die dahintersteht, beschäftigt auch andernorts Lehrkräfte: Dürfen Emotionen von Schülern angesichts des Kriegs in Nahost einen Raum bekommen? Oder ist es sicherer, das Thema lieber ganz aus dem Klassenzimmer zu verbannen?

    Table.Briefings hat mit außerschulischen Bildungsakteuren gesprochen. Dabei zeigt sich: Der Umgang mit den Gefühlen der Schüler ist eigentlich zentral. Damit mehr Lehrkräfte sich das zutrauen, müssten sie besser ausgebildet und unterstützt werden.

    Betroffenheit von Schülern ist zuletzt sogar gestiegen

    Während der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah aktuell eskaliert und sich möglicherweise auch auf den Iran ausweitet, steigt auch die Betroffenheit von Schülern in Deutschland, gerade unter Kindern und Jugendlichen mit libanesischen Wurzeln. Das beobachtet Shai Hoffmann, der kurz nach dem 7. Oktober 2023 “Trialoge” mit Jouanna Hassoun an Schulen gestartet hat.

    Er als Deutsch-Jude mit israelischen Wurzeln und sie als Deutsch-Palästinenserin sprechen in ihnen mit Jugendlichen über die Situation in Nahost. Die Idee kam Hoffmann, der selbst kein Pädagoge ist, kurz nach dem 7. Oktober, als es an einer Schule in Berlin-Neukölln wegen einer Palästinafahne zu Handgreiflichkeiten zwischen zwei Schülern und einem Lehrer kam.

    Inzwischen gibt es acht weitere Trialogpaten mit ähnlichen biografischen Bezügen wie Hassoun und Hoffmann. Läuft alles nach Plan, werden sie bis Jahresende bundesweit circa 120 Schulen erreicht haben und damit über 3.000 Schüler.

    Zahl radikalisierter Schüler habe zugenommen

    Die aktuelle Eskalation setze den Nahostkrieg in den Schulen gerade wieder stärker auf die Tagesordnung. “Bei vielen Schülern bemerken wir eine krasse Angst vor einem Weltkrieg”, sagt Hoffmann. Gleichzeitig hätten radikale Ansichten zugenommen, befeuert durch die sozialen Medien. “Hatten wir anfangs im Schnitt eine Person pro Schulklasse, die radikalisiert war, sind es inzwischen eher zwei, drei, die ein geschlossenes Weltbild haben.” Ihr Angebot könne diesen Schülern eigentlich nicht mehr helfen, stattdessen brauche es Deradikalisierungsmaßnahmen.

    Mit den meisten Schülerinnen und Schülern sei aber durchaus ein Dialog möglich. Zu zeigen, dass man miteinander ins Gespräch kommen kann, auch wenn man unterschiedlicher Ansicht ist, das ist das zentrale Anliegen der “Trialoge”. Gleich zu Beginn geht es um die Betroffenheit der Jugendlichen. “Wir fragen, wer biografisch betroffen ist. Und dann, wer sich dem Krieg emotional nah fühlt. Da gehen oft relativ viele Hände hoch.”

    Über Gefühle zu sprechen, ist oft ein Türöffner

    Auch von deutschen Schülern, die sich über einen Schuldkomplex mit Jüdinnen und Juden verbunden fühlen, die gleichzeitig oft aber auch beschäftigt, wie Israel mit den Palästinensern umgeht. “Vor allem an Gymnasien stellen wir das fest”, sagt Hoffmann. Aus knapp 50 Emotionskarten sollen die Jugendlichen auswählen, wie sie sich angesichts der Situation in Nahost fühlen – verzweifelt, euphorisch, sprachlos. Manche hätten den Mut, auch zu erklären, warum sie sich so fühlen.

    Der Zugang über Gefühle sei nicht jeder Lehrkraft geheuer, gerade Pädagogen alter Schule. Die Idee dahinter: Der israelisch-palästinensische Konflikt und der Krieg wecken starke Emotionen in jungen Menschen, die die sozialen Medien noch verstärken. Ihnen Raum zu geben, könne da überhaupt erst die Tür zum Dialog eröffnen, auch bei Themen, die vermeintlich nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun haben.

    In ihrem jüngst veröffentlichten Buch beschreiben Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun, wie eine Schulklasse mit ihrer Geschichtslehrerin in Konflikt geriet. Die Schüler – größtenteils mit migrantischen Familienbezügen – stritten mit der Lehrerin über die Teilnahme an einem Gedenkprogramm zum 9. November. Sie fanden, dass das Leid der Palästinenser außen vor gelassen werde. Dass die Schüler im “Trialog” erstmals über den Israel-Gaza-Krieg und ihre Gefühle sprechen konnte, habe die Wogen geglättet, die Schüler konnten die Empörung ihrer Lehrerin über ihren Protest dann auch besser verstehen.

    Schülerinnen und Schülern erstmal zuhören

    Auch Derviş Hızarcı stellt immer wieder fest, dass Kinder und Jugendliche aus palästinensischen und arabisch-stämmigen Familien mit Gefühlen wie Ohnmacht, Verzweiflung und auch Hass gegenüber Repräsentanten des Staates Israel oder ganz allgemein gegenüber Jüdinnen und Juden in die Schule gingen. Hızarcı ist Experte für Rassismus und Antisemitismus und leitet die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), die Schulen seit 20 Jahren im Umgang mit Antisemitismus berät und Workshops anbietet.

    Ähnlich wie Hoffmann hält Hızarcı es für wichtig, im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern erstmal zuzuhören, Vertrauen aufzubauen, Fragen zu stellen. Etwa: “Wie geht es Dir, was bringt Dich zu Deiner Ansicht?” Erst wenn sich daraus ein Gespräch entwickelt, könne nicht vorhandenes Wissen aufgefüllt und falsches Wissen berichtigt werden. 

    Lehrkräfteausbildung muss sich ändern – und Erinnerungskultur

    Akut helfen können Lehrkräften dabei Fortbildungen, wie sie die KIgA und die Israel-Palästina-Bildungsvideos der Gesellschaft im Wandel, deren Geschäftsführer Shai Hoffmann ist, anbieten. Damit solche Fortbildungen allerdings noch mehr Lehrkräfte erreichen, müssten sie weiter oben auf die Agenda, wenn nicht sogar zur Pflicht für Lehrkräfte bestimmter Fächer werden. Daneben sieht Hoffmann grundlegend Handlungsbedarf:

    • Schon in der Lehrkräfteausbildung sollten Antisemitismus, der Nahostkonflikt, die Geschichte Israels oder das Judentum außerhalb der Geschichte des Zweiten Weltkriegs eine größere Rolle spielen. Nicht alle Politik- oder Geschichtslehrer beschäftigen sich im Studium zwingend mit den Themen.
    • Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungsakteuren müsse gestärkt werden. Im Fall der “Trialoge” basiert diese darauf, dass einzelne engagierte Lehrkräfte sich an die Organisatoren wenden, vorausgesetzt die Schulleitung stimmt zu. Ob das Trialog-Projekt ab dem 1. Januar weiter über das Bundesprogramm “Demokratie leben!” finanziert wird, ist aktuell zudem noch unklar.
    • Die Erinnerungskultur solle insgesamt stärker berücksichtigen, dass Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist. Geht es nach Hoffmann müsse sie sich für alle öffnen, die sich bisher nicht gesehen fühlen – ohne den Holocaust zu relativieren, das ist ihm als Enkelkind von Holocaust-Überlebenden wichtig. “Dennoch”, sagt er, “müssen wir uns dringend der Frage stellen, wie wir mit den vielen gleichzeitigen Traumata und Schmerzen in unserer Gesellschaft umgehen.”
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    Standpunkt

    KI-Empfehlungen der KMK: Warum sie sich wie ein Wunschzettel lesen

    Von Sibylle Schwarz

    Schulrechtlerin Sibylle Schwarz.

    In wenigen Wochen ist die Einführung des Chatbot ChatGPT zwei Jahre her. Aber jetzt erst präsentiert die KMK ihre “Handlungsempfehlung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen”. 

    Der Beschlussentwurf, der bei der anstehenden Bildungs-MK auf dem Tisch liegen wird, umfasst Formulierungen wie diese: 

    • “Die Länder werden bei künftigen Anpassungen …”, 
    • ” … sind entsprechend anzupassen.”
    •  ” … wird von den Ländern zeitnah umgesetzt.” 
    • “Alle künftigen Novellierungen …”

    Es liest sich wie ein früher Weihnachtswunschzettel.

    Hier zum Download: Entwurf der KI-Handlungsempfehlungen

    Nicht verwunderlich, denn die KMK ist kein Gesetzgebungsorgan. Auch eine Zuständigkeit des Bundes für ein Bundes-Schulgesetz gibt es nicht. Im Entwurf kann es nur darum gehen, wie es die KMK – oder künftig: Bildungs-MK – auch selbst formuliert: eine ländergemeinsame Position zum Umgang zu finden und gemeinsame Schritte zu vereinbaren.

    Bisher gibt es noch keine umgesetzten gesetzlichen Regelungen

    Umsetzen muss dann das jeweilige Bundesland in Parlaments-Schulgesetz und Ministeriums-Verordnungen. Bisher gibt es noch keine umgesetzten gesetzlichen Regelungen. Ein Schüler oder eine Schülerin kann sich also nach wie vor dem Vorwurf der Täuschung ausgesetzt sehen, wenn (generative) KI zum Einsatz kommt.

    Wie eine Umsetzung aussehen könnte, zeigt womöglich der jüngste Erlass zur Leistungsbewertung in den Schulen des Saarlandes. Darin wird beispielsweise zwischen großen Leistungsnach­weisen (unter Aufsicht durchgeführte schriftliche Einzelprüfungen) und sonstigen Leistungen unterschieden.

    Lesen Sie auch: Digitalisierung – Welche neuen Prüfungsformate im Saarland möglich sind

    Bei medien- und materialgestützten Arbeiten soll nun die Zuhilfenahme digitaler Nachschlagewerke, Zeichensoftware oder KI-basierter Anwendungen erlaubt sein. Der Erlass schweigt sich aus, was KI-basierte Anwendungen genau sein sollen. Doch so ganz traut sich das Saarland dann auch wieder nicht.

    Denn die sonstigen Leistungen schließen Heft- und Ordnerführung ein – eine Note für Heftführung wie in analogen Zeiten. Für die gymnasiale Oberstufe soll der Erlass gar nicht erst gelten. Überhaupt ein Erlass. In der Normenhierarchie steht er ganz weit unten. Regelungen im Schulgesetz und in einer Verordnung sind stets vorrangig. 

    Situation der Schülerinnen und Schüler kommt zu kurz

    Fast schwärmerisch, aber ohne ins Detail zu gehen, beschreibt der Beschlussentwurf die vielfältigen Möglichkeiten von KI-Anwendungen. Muss aber sogleich zugeben, dass Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) sich noch in der Entwicklung für eine flächendeckende Anwendung befinden. Die KI-Anwendungen unterstützen Lehrkräfte bei der Unterrichtsvorbereitung, -durchführung und -nachbereitung und führen zu Arbeitserleichterungen. Aber diese Vorteile für die Unterrichtsgestaltung nehmen doch zu viel Raum ein.

    Hingegen kommt die Situation der Schülerinnen und Schüler zu kurz. In deren Lebenswirklichkeit füttern sie Sprachmodelle wie ChatGPT und nutzen den Output in Hausaufgaben und Hausarbeiten. Der Beschlussentwurf sieht zumindest das Dilemma, dass die nicht für den Bildungsbereich entwickelten LLM dennoch rasant Einzug halten. Wie damit umzugehen ist, lassen die Handlungsempfehlungen weitgehend unbeantwortet.

    Sie sehen eine Lösung darin, dass Präsentation und Reflexion in die Leistungsfeststellung einbezogen werden, wenn KI eingesetzt worden ist. Jedenfalls soll “eine an einer Kultur der Digitalität ausgerichtete Prüfungskultur” geschaffen werden.

    Schulische Verordnungen regeln, dass nicht allein KI Bewertungen vornehmen kann

    Sogleich im nächsten Abschnitt geht es aber schon wieder um Lehrkräfte. Darum, wie KI sie beim Korrigieren und bei der Notengebung unterstützen kann. Der zwar richtige Hinweis auf Art. 22 Abs. 1 DSGVO und auf den am 1. August in Kraft getretenen EU AI Act lässt dennoch außer Acht, dass die schulischen Verordnungen menschliche Beteiligung bei Bewertungen längst regeln

    Im Beispiel der saarländischen Abitur-Verordnung obliegt die Vorbereitung und Durchführung des Abiturs der Abiturprüfungskommission. Deren Mitglieder entscheiden mit Stimmenmehrheit und müssen beide Prüfungen für ein Lehramt abgelegt haben und die Lehrbefähigung für die gymnasiale Oberstufe besitzen.

    Nach Einreichung von Aufgabenvorschlägen durch Fachlehrkräfte legt die Schulaufsichtsbehörde landeszentral die Aufgaben fest. Die eigentliche Abiturprüfungsleistung wird zunächst von der Fachlehrkraft als Erstkorrektur korrigiert und beurteilt. Danach erfolgt eine selbständige Beurteilung durch eine zweite Person, die korrigiert. Übrigens: Nach dieser Verordnung gilt das Mitführen eines elektronischen Gerätes mit Sende-/Empfangsfunktion, auch wenn es ausgeschaltet ist, als Täuschungsversuch.

    Dies zeigt deutlich, dass nach jetziger Rechtslage schon viele Menschen bei einem Abitur als Hochschulzugangsberechtigung beteiligt sind. Eines Rückgriffs auf EU-Recht braucht es daher an anderer Stelle. Und zwar für künftige KI-Systeme, die dazu dienen, den Zugang oder die Zulassung zu Bildungseinrichtungen zuzuweisen oder die zur Bewertung von Lernergebnissen eingesetzt werden sollen. Sie gelten als hochriskante KI-Systeme und müssen ab August 2026 bestimmte Anforderungen erfüllen.

    Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin in der Kanzlei else.schwarz Rechtsanwälte in Wiesbaden. Ihr Schwerpunkt liegt im Beamten- und Bildungsrecht als besonderem Verwaltungsrecht. Sie befasst sich mit Rechtsfragen des Schulbetriebs und des Hochschulwesens. Einer ihrer Schwerpunkte ist außerdem KI im Bildungsbereich

    Zum Download:

    • Abitur
    • Bildungs-MK
    • Intelligente tutorielle Systeme
    • KI in der Schule
    • KI-Handlungsempfehlungen
    • KMK

    News

    Digitalpakt: Wann die nächste Verhandlungsrunde ansteht

    Kommenden Montag wird es die nächste Verhandlungsrunde zum Digitalpakt II auf Ebene der Staatssekretäre geben. Das erfuhr Table.Briefings aus dem Umfeld der Verhandlungen.

    Für die Länder führen Wilfried Kühner, Amtschef in Sachsens Kultusministerium, und der Bremer Staatsrat Torsten Klieme die Verhandlungen. Aufseiten des BMBF ist es Staatssekretär Roland Philippi. Zuletzt hatte die Runde am 17. September getagt – ohne einen Durchbruch zu erzielen.

    Hauptstreitpunkt: Der Bund pocht auf eine 50-prozentige Beteiligung der Länder für den Digitalpakt II. Der Digitalpakt I war noch zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den Ländern finanziert worden.

    Für KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) sind diese zehn Prozent eine wenig aussagekräftige Zahl: “Die Länder haben in den vergangenen Jahren sehr viel eigenes Geld für die Digitalisierung in die Schulen investiert.” Zusammengerechnet sei das den jetzt geforderten 50 Prozent sehr nahe gekommen, sagte sie Table.Briefings.

    BMBF und KMK untermauern Gegensätze

    Am Dienstag verwiesen Streichert-Clivot und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in einer gemeinsamen Pressemitteilung von BMBF und KMK darauf, dass 97 Prozent der Mittel im Basis-Digitalpakt I (2019-2024) bewilligt seien. Sie untermauerten zugleich ihre gegensätzlichen Positionen. 

    Klar sei, “dass die Unterstützung des Bundes immer nur die nötigen Investitionen der Länder ergänzen kann”, erklärte Stark-Watzinger. Sie soll auch Gast bei der Bildungs-MK am Donnerstag sein. Streichert-Clivot sprach dagegen von der Digitalisierung als Daueraufgabe, für die eine beachtliche finanzielle “Unterstützung in einer gemeinsamen, nationalen Kraftanstrengung” notwendig sei.

    Auch die Frage, ob ein Digitalpakt II, der am 1. Januar 2025 beginnen soll, rückwirkend an den im Mai ausgelaufenen Digitalpakt I anknüpft, gehört für Streichert-Clivot weiter in den Verhandlungstopf. Zudem fordert sie im Gespräch mit Table.Briefings, die Verteilung des Geldes weiter nach dem Königsteiner Schlüssel vorzunehmen.

    Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) hält den Druck auf das BMBF hoch: “Der Bund hält seine Zusagen nicht ein und sorgt für komplette Planungsunsicherheit bei den Ländern”, sagte er Table.Briefings. “Die Zeit drängt, wir müssen verhindern, dass mehr als elf Millionen Schülerinnen und Schülern der digitale Stecker gezogen wird.” Holger Schleper

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    Vorlesemonitor: In welchen Altersgruppen Eltern zu selten vorlesen

    Eltern lesen ihren ein- bis achtjährigen Kindern zu selten vor. Das gilt in besonderem Maße für Sieben- und Achtjährige. Das ist eines der Ergebnisse des am Dienstag veröffentlichen Vorlesemonitors 2024. Für die Untersuchung wurden 815 Eltern von Kindern in diesen Altersgruppen befragt.  

    Danach lesen etwa ein Drittel der Eltern (32,3 Prozent) ihren Kindern selten oder nie vor. Damit liegt der Wert wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie. 2022 hatte er bei 39, im Vorjahr bei 37 Prozent gelegen. 

    In einigen Altersgruppen gibt es Ausschläge nach oben. Von den befragten Eltern von achtjährigen Kindern gaben 41 Prozent an, nie vorzulesen, 13 Prozent selten – in Summe also 54 Prozent. Für die Siebenjährigen liegt der Wert bei 42 Prozent, für die Einjährigen bei 38 Prozent. Bei Dreijährigen sehen die Zahlen anders aus. Nur sechs Prozent ihrer Eltern geben an, nie oder seltener vorzulesen.

    Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, warnt, dass es zu einer “deutlichen Frustration beim Lesenlernen” führen kann, wenn Eltern mit dem Vorlesen aufhören, sobald Kinder in die Schule kommen. “Bei vielen Eltern dürfte es die Vorstellung geben, dass das Kind ja jetzt das Lesen lernt”, sagt die Leseforscherin Table.Briefings.

    Das sei zwar nachvollziehbar. Es “verkennt aber, dass die Kinder sich am Anfang beim Lesen lernen in der Regel schwertun, auch mit einfacheren Texten”. Weiter vorzulesen, schaffe für die Kinder einen guten Übergang zum eigenen Lesenlernen. “Und nicht zuletzt erhalten Eltern so auch eine für Eltern und Kinder schöne, gemeinsame Situation.”

    Auch das Potenzial von Smartphones nutzen

    Ehmig hält auch Smartphones und Tablets für eine geeignete “Ergänzung zum Buch”. Solche Geräte hätten Eltern meist dabei. “Eine Geschichte, die sie auf das Smartphone heruntergeladen haben, können sie dann überall vorlesen, sei es im Wartezimmer beim Arzt oder im Bus.” Und: Kinder lernten so von Beginn an, “dass dieser Bildschirm auch tolle Geschichten zum Lesen und Vorlesen bietet – und nicht allein Videos, Spiele oder Musik”.

    Der Vorlesemonitor wird von der Stiftung Lesen, Die Zeit und der Deutsche Bahn Stiftung herausgegeben. Zentrale Veranstaltung ist der “Bundesweite Vorlesetag“. Er findet am 15. November statt. Holger Schleper

    Die Studie zum Download
    Lesen Sie auch: Frühe Bildung – Die Demokratie lebt auch vom (Vor-)Lesen

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    SchuMaS: Studie bemängelt schwache Schulleitungen

    In seiner ersten wissenschaftlichen Publikation bemängelt der Bund-Länder-Forschungsverbund in der Initiative “Schule macht stark” (SchuMaS) die schwache Rolle der Schulleiter im Schulsystem. Die 367 Seiten umfassenden Zwischenbilanz des Forschungsverbunds trägt den Titel “Sozialraumorientierte Schul- und Unterrichtsentwicklung an Schulen in schwierigen Lagen”.

    Danach führten Schulleitende in Deutschland ihre Schulen “mit Blick auf die pädagogische Programmatik” durchschnittlich “weniger stark” als Schulleitende in anglophonen Ländern

    Deutsche Schulleiter führen weniger als in den USA

    Vergleichsdaten zeigten, dass Schulleitungen “an sozialräumlich benachteiligten Standorten” in Deutschland ihre Entscheidungen “stärker vom Willen des Kollegiums abhängig machen” als an ähnlichen Standorten in den USA. Sie führten konsensorientierter und wirkten weniger darauf hin, dass ihre Lehrkräfte zielorientiert arbeiten, sich professionalisieren oder etwa den Unterricht ihrer Kollegen beobachten. Auch in ihrer Selbstwahrnehmung fühlten sich Schulleiter zu oft nicht mächtig genug, um pädagogische Neuerungen umzusetzen.

    Der Leiter des Forschungsverbunds und Geschäftsführende Direktor des DIPF, Kai Maaz sieht für Schulleiter drei Wege, um die gefühlte Ohnmacht zu überwinden:

    • Die eigenen Spielräume kennen: Oft fühlten sich Schulleitungen in ein enges regulatorisches Korsett eingebunden. “Das ist aber oftmals gar nicht so”, sagt Maaz. In Schleswig-Holstein etwa sei nach der Einführung einer Experimentierklausel festgestellt worden, dass fast alle Anträge, diese Klausel anzuwenden, nicht nötig gewesen wären. Die Wünsche wären auch ohne Klausel erfüllbar gewesen. 
    • Eine neue Art der Schulaufsicht: Maaz fordert, dass die Schulaufsicht den Schulen künftig beratend als Partner zur Seite stehen müssten. Denkbar seien etwas Zielvereinbarungen der Schule mit der Schulaufsicht, deren Einhaltungen den Zugang zu Ressourcen erleichtert. Da braucht es “anderes, neues Selbstverständnis der Schulaufsicht”. 
    • Dem Kollegium zeigen, welche Vorteile Neuerungen bringen. Maaz: “Jede Neuerung wird dann im Kollegium sofort auf Zustimmung stoßen, wenn sie mit Vereinfachungen und Verbesserungen für das eigene Handeln zusammenkommt.”

    Der Forschungsverbund begleitet das Programm “Schule macht stark” wissenschaftlich. An SchuMaS beteiligen sich 200 Schulen, um den Unterricht insbesondere in den Fächern Mathematik und Deutsch weiterzuentwickeln. Das Programm wird vom DIPF, dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation koordiniert. Thorsten Denkler

    Zum Download: Die Studie des SchuMaS-Forschungsverbundes.

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    • Schulentwicklung

    Einsamkeit: Was Jugendliche von der Politik fordern

    Um die Einsamkeit junger Menschen zu bekämpfen, braucht es eine gesetzliche Pflicht für Bildungseinrichtungen, psychologische Hilfsangebote bereitzustellen oder zu vermitteln. Das ist eine von 15 Forderungen, die 22 Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren im Rahmen eines Projekts des Berliner Thinktanks “Progressives Zentrum” gesammelt haben (zum Download). Die Fragestellung war, was die Politik gegen die Einsamkeit von Jugendlichen und für eine Stärkung von Teilhabe und Demokratie junger Menschen unternehmen sollte.

    Vorbild für die verpflichtenden Angebote könnte laut dem Papier Österreich sein. Seit 2019 muss dort jede Region in ihrer Bildungsdirektion einen schulpsychologischen Dienst einrichten, der Beratungsangebote für Schulen anbietet und koordiniert. In den Schulgesetzen der deutschen Bundesländer steht eine einheitliche Verankerung bislang aus.

    Mit den Mental Health Coaches gibt es in Deutschland zwar bereits geschultes Personal, das reicht den Jugendlichen zufolge aber nicht aus. Deutschlandweit sind seit September 2023 rund 80 Mental Health Coaches an insgesamt etwa 100 Schulen tätig. Das Bundesfamilienministerium hatte kürzlich mitgeteilt, dass die Finanzierung des Modellprojekts nach Stand der aktuellen Haushaltsverhandlungen noch bis zu den Sommerferien 2025 sichergestellt sei.

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    Volkshochschulen als “Lebenskompetenzzentren”

    Daneben sprachen sich die Jugendlichen unter anderem für öffentlich geförderte “Lebenskompetenzzentren” in jedem Landkreis aus. Diese sollen Jugendliche für den Umgang mit Umbrüchen rüsten, um Einsamkeit präventiv zu begegnen. In den westdeutschen Bundesländern eignen sich laut dem Forderungskatalog Volkshochschulen am besten, weil sie flächendeckend vorhanden sind. Im Osten müsste man teilweise separate Zentren eröffnen.

    Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Christine Streichert-Clivot sprach sich bei der Vorstellung der Forderungen am Dienstagabend dafür aus, Kinder schon in der Kita über ihren Alltag mitbestimmen zu lassen. Außerdem müssten Schulen und Jugendzentren bei künftigen Krisen geöffnet bleiben. “Die Coronamaßnahmen waren staatlich verordnete Einsamkeitspolitik für Jugendliche“, sagte sie.

    Fast jeder zweite junge Mensch fühlt sich einsam, das zeigte im Sommer eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Besonders betroffen sind Jugendliche zwischen 19 und 22 Jahren. Schulen könnten hier helfen, frühzeitig zu sensibilisieren. Und, das zeigte eine Studie des Progressiven Zentrums: Maßnahmen gegen Einsamkeit helfen dabei, die Demokratie zu stärken. Denn einsame Jugendliche sind empfänglicher für antidemokratische Einstellungen und Verschwörungstheorien. Insofern, heißt es im nun erschienenen Forderungskatalog, sei Einsamkeit “kein individuelles, sondern ein kollektives und sogar demokratisches Problem”. Torben Bennink

    Lesen Sie auch: Psychische Gesundheit: Was Schulen gegen Einsamkeit tun können

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    Best of Table

    Research.Table: Die entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Wissenschafts-Szene. Die Redaktion hat die 100 entscheidenden Köpfe der deutschsprachigen Wissenschafts-Szene ausgewählt. Hier die wichtigsten Persönlichkeiten aus Stiftungen.

    Research.Table: Dauerstellen neben der Professur: Warum ein Bruch des Koalitionsvertrags kaum noch zu verhindern ist. Das BMBF hat dem Haushaltsausschuss den angeforderten Dauerstellen-Bericht vorgelegt. Ländervertreter sehen darin keinen “weitreichenden inhaltlichen Beitrag”. Warum auch die Koalitionspartner verschnupft reagieren, lesen Sie hier.

    Presseschau

    Tagesspiegel: Warum vielleicht bald noch mehr Kita-Plätze in Berlin frei bleiben. In Berlin rechnet der Senat mit deutlich weniger Unter-Zweijährigen als bisher angenommen. Die Prognose beeinflusst die Berliner Kita-Entwicklungsplanung. In ihr wird festgelegt, wie viele Kita-Plätze geschaffen werden müssen. Schon jetzt gibt es über 34.000 freie Kita-Plätze in Berlin. Inwieweit die falsche Prognose die Zahl der freien Kita-Plätze beeinflussen wird, wird sich demnächst zeigen. (Tausende freie Kitaplätze in Berlin: Senat hat die Geburtenrate deutlich überschätzt

    Spiegel: Bildungsforscherin Veronika Verbeek für späteren Kita-Besuch. Insbesondere für Unter-Dreijährige sei der Kita-Besuch stressig und eine enge Bindung zu den Eltern förderlicher als Fremdbetreuung. Für eine längere Betreuung zu Hause sei eine Verlängerung der Elternzeit auf zwei Jahre notwendig. Für den späteren Bildungserfolg sollten pädagogische Kita-Konzepte sowohl Disziplin als auch bedürfnisorientierte Erziehung umfassen. (“In den Kitas verspielt man die Bildungspotenziale von Kindern”

    SZ: “Mega-BIZ” eröffnet in München. Die Agentur für Arbeit in München eröffnet ein neues Berufsinformationszentrum. Mit seiner Größe und seinem Angebot ist es unter den bundesweit 184 Zentren einmalig. Die Räumlichkeiten bieten sowohl Platz für große Veranstaltungen als auch für individuelle Beratungen. Zielgruppe sind sowohl Jugendliche, die neu ins Berufsleben starten, als auch Erwachsene, die sich neu orientieren wollen. (Berufsberatung mit der VR-Brille

    NDR: Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung gegen Schweigeminute. Vor dem Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel bat das Landesinstitut für Lehrerbildung die Hamburger Schulen, auf Schweigeminuten oder ähnliche Trauerbekundungen zu verzichten. Auch solle das Zeigen von Reportagen anlässlich des Jahrestags unterlassen werden. Die Schulbehörden in Hamburg distanzieren sich nun von dieser Aufforderung. Eine Aufarbeitung ist angesetzt. (Jahrestag Hamas-Überfall: Umstrittener Brief an Hamburgs Schulen

    Dlf: Über die Notwendigkeit von Schulnoten. DPhV-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing und der Referent in der Schulaufsicht der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO, Björn Nölte, diskutieren über die Aussagekraft von Schulnoten. Lin-Kitzling sieht in Noten die Möglichkeiten, Leistungen zu vergleichen und Prognosen für Beruf und Studium zu erstellen. Nölte hingegen sieht diese Aussagekraft nicht gegeben und fordert Alternativen der Leistungsmessung. So seien individuelle Aufnahmeverfahren beispielsweise für Hochschulen passender. (Schulnoten abschaffen – ja oder nein?

    Termine

    24. Oktober 2024, Bielefeld
    Messe EdTech Next Summit 2024
    Für fachlichen Austausch und Netzwerken finden auf dieser Messe Vertreter aus der Edtech-Szene zusammen. Zu Themengebieten wie KI und dem deutschen Bildungsmarkt gibt es eine Vielzahl an Vorträgen. INFOS & ANMELDUNG

    28. bis 29. Oktober 2024, Berlin
    Kongress Deutscher Kitaleitungskongress
    In Seminaren und Vorträgen widmet sich der Kitaleitungskongress verschiedenen derzeitigen Herausforderungen in der Kita. So sind auch die erfolgreiche Gestaltung von frühkindlicher Bildung sowie der Umgang mit Demokratie- und Medienbildung Thema mehrerer Vorträge. INFOS & ANMELDUNG

    29. Oktober 2024, Rostock
    Messe BILDUNG.DIG!TAL 2024
    Eine Vielzahl von Unternehmen stellen sich und ihre Lösungen im Bereich der digitalen Bildung und der digitalen Bildungsverwaltung vor. Es gibt sowohl die Möglichkeit, an Messeständen als auch in Vorträgen und Diskussionen in den Austausch zu gelangen. INFOS & ANMELDUNG

    08. November bis 09. November 2024, Leipzig
    Tagung Lehrkräfte gewinnen, stärken, halten – Impulse für die Aus-, Fort- und Weiterbildung
    Der Verband Sonderpädagogik lädt zu seiner diesjährigen Tagung, um sich mit aktuellen Herausforderungen für die Sonderpädagogik auseinanderzusetzen. So umfassen einige Vortragsthemen etwa die Qualitätssicherung und Qualifizierung in der Sonderpädagogik sowie Möglichkeiten des Quer- und Seiteneinstiegs. Eine Anmeldung ist noch bis zum 01. November möglich. INFOS & ANMELDUNG

    Bildung.Table Redaktion

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