Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner halten mit ihren Haushaltsberatungen auch die Bildungspolitik in Atem: Vor allem die Frage, ob und wie viel Geld im kommenden Jahr für die Fortsetzung des Digitalpakts Schule zur Verfügung steht, sorgt für Nervosität. Sowohl auf den Bundestagsfluren als auch bei den Sommerfesten, die momentan allabendlich im politischen Berlin stattfinden, erzählte man sich in den vergangenen Tagen, Bettina Stark-Watzinger habe gar kein Geld dafür eingeplant. Doch das sind eben bislang nur Gerüchte.
Schon am Freitagmorgen könnte es Klarheit geben: Im Bundestag finden Sondersitzungen zu den möglichen Ergebnissen der nächtlichen Beratungen statt. Und auch im Bundesrat wollen die Länder den Druck auf den Bund noch einmal erhöhen. Wir haben die Gemengelage zum Haushalt mit dem speziellen Blick durch die Bildungsbrille für Sie sortiert. Und sollte es dazu Updates geben, melden wir uns vor dem Anstoß des EM-Viertelfinales noch einmal bei Ihnen.
Schon in diesem Briefing haben wir Neuigkeiten zum Startchancen-Programm für Sie. In dieser Woche hat das Bundesbildungsministerium bekannt gegeben, dass Bildungsforscher Kai Maaz mit einem Konsortium den Zuschlag für die wissenschaftliche Begleitung erhalten hat. Annette Kuhn hat mit ihm gesprochen und erklärt, wie diese Begleitung aussehen soll – und warum sie nicht mit der ebenfalls ausgeschriebenen Evaluierung zu verwechseln ist.
Das Startchancen-Programm ist auch Thema im Interview, das Anna Parrisius mit Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris geführt hat. Darin erklärt die SPD-Politikerin außerdem, wie sie den Übergang von der Kita in die Schule und von der Schule in die Ausbildung verbessern will.
Der Tag verspricht also Spannung – vielleicht in Berlins Parlamenten, sicher aber im Stuttgarter Fußballstadion. Ich wünsche Ihnen starke Nerven!
Bildung.Table: Frau Bekeris, Sie sind jetzt ein halbes Jahr im Amt. Was haben Sie sich vorgenommen?
Ksenija Bekeris: Mir liegt das Thema Chancengerechtigkeit sehr am Herzen. Daher finde ich alarmierend, dass Bildungschancen immer noch stark von der Herkunft abhängen. Bevor ich Anfang des Jahres Bildungssenatorin wurde, war ich sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgschaft. Zentral ist für mich, dass uns am Übergang von der Schule in den Beruf niemand verloren gehen darf. In Hamburg haben wir uns das schon 2011 als Ziel gesetzt. Einen Schulabschluss zu haben und einen Beruf zu erlernen, schützt langfristig vor Armut, das sollte daher möglichst jeder erreichen.
Wer den Übergang in Ausbildung nach der zehnten Klasse nicht gleich schafft, kommt in Hamburg in die Dualisierte Ausbildungsvorbereitung (AvDual). Jugendliche sind dort drei Tage im Betrieb, zwei in der Berufsschule. Was bringt das?
In Hamburg haben wir zunächst mal erreicht, dass mehr Schulabgänger:innen gleich den Übergang in die Ausbildung schaffen – unter anderem durch eine bessere Berufsorientierung. Das gelingt heute knapp 45 Prozent, vor zehn Jahren waren es 25 Prozent. Nach einem Jahr in der AvDual schafft es ein weiteres Drittel in Ausbildung, sodass wir sagen können, dass über 60 Prozent ein Jahr nach Ende der zehnten Klasse in Ausbildung kommen. Und neben der AvDual bieten wir beruflich orientierten Jugendlichen, die keinen Ausbildungsbetrieb gefunden haben, die Berufsqualifizierung an, ein Bildungsangebot äquivalent zum ersten Ausbildungsjahr. Wer danach immer noch keinen Betrieb findet, kommt im Rahmen der Hamburger Ausbildungsplatzgarantie in eine vom Stadtstaat geförderte Ausbildung – im Sommer 2023 war das nur bei drei Jugendlichen der Fall.
Was passiert mit dem Rest?
Um den kümmert sich die Jugendberufsagentur, die wir mit der Sozialbehörde und den Partnern der beruflichen Bildung (Arbeitsagentur, Jobcenter, kommunale Bezirke) aktuell auf neue Beine stellen wollen: Wir müssen näher an die Jugendlichen ran und sie mehr dort abholen, wo sie sind. Wir müssen zudem das Potenzial von Menschen mit Behinderungen stärker nutzen. Sie können die Ausbildung mit einer Arbeitsassistenz schaffen.
Was macht Hamburg, um die Berufsorientierung schon in den allgemeinbildenden Schulen zu verbessern?
Da gibt es viele Bausteine. Zum Beispiel unsere Praxisklassen: In der zehnten Klasse gehen Schüler:innen in 35 Stadtteilschulen [Anm. d. Red.: Hamburger Form der Gesamtschule] für 20 Wochen zwei Tage pro Woche in einen Betrieb. Danach wechseln von den Schulabgängern nochmal vier Prozent mehr sofort in den Beruf. Neben der AvDual haben wir zudem die AvM-Dual, eine Ausbildungsvorbereitung für neu Zugewanderte zwischen 16 und 18 Jahren.
Gerade von Geflüchteten, die als Jugendliche nach Deutschland kommen, wird viel verlangt: Sie müssen Deutsch lernen, einen Schulabschluss nachholen und dann noch eine komplette Ausbildung machen. Braucht es für sie neue Wege der Qualifizierung?
Die AvM-Dual ist das bereits. Sie ist auf zwei Jahre angelegt und legt den Fokus auf die Sprachvermittlung. Jugendliche, die nicht zur Schule gehen konnten, werden alphabetisiert, andere können den ersten oder mittleren Schulabschluss nachholen. Mit zwei Tagen im Betrieb gibt es einen hohen Praxisanteil, damit die Jugendlichen gleich in einem Berufsfeld andocken.
Sonst braucht es also keine extra Wege für diese Gruppe?
Ich halte wenig von extra Ausbildungszentren nur für Migrantinnen und Migranten. Und auch das jetzt auf Bundesebene verabschiedete Berufsbildungsvalidierungsgesetz sehe ich in Teilen kritisch. Ungelernte mit Berufserfahrung sollen sich künftig in allen Ausbildungsberufen Kompetenzen analog zu formalen Qualifikationen anerkennen lassen können. Eine Ausbildung schützt aber langfristig vor Ausbeutung am Arbeitsmarkt, daher hat sie für mich Priorität.
Beim Startchancen-Programm werden auch Berufsschulen berücksichtigt, allerdings ohne feste Quote. Werden Bund und Länder der Bedeutung der Berufsschulen gerecht?
In Hamburg haben wir 90 Schulen ausgewählt, davon neun berufsbildende Schulen von insgesamt 30. Das ist schon ein veritabler Teil. Und langfristig wollen wir Best-Practice-Beispiele ausweiten und neue Ideen entwickeln. Über die kommenden zehn Jahre können wir sehen, was wir auf weitere Schulen übertragen können, am besten auch länderübergreifend.
Hamburg ist Vorreiter bei der datengeschützten Schulentwicklung. Warum lohnt sich dieser aufwendige Schritt?
Es lohnt sich, weil wir nicht mehr Politik nach Bauchgefühl machen, sondern schauen können, welche Maßnahmen wirken. Und ich finde sehr beeindruckend, jeder Lehrkraft Daten zur Verfügung stellen zu können, damit sie sieht, welche Entwicklung es beim einzelnen Schüler gibt – und was für Unterstützung er oder sie noch braucht.
Gibt es langfristige Pläne für eine Weiterentwicklung, gerade auch mit künstlicher Intelligenz?
Das Hamburger Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) testet mit anonymen Daten in einem Pilotprojekt, inwiefern KI künftig für die Auswertung von Freitextantworten bei Vergleichsarbeiten genutzt werden kann. Grundsätzlich ist jedoch zu beachten, dass gerade im Bildungsbereich hohe Hürden bei der Verarbeitung von Daten bestehen. Dem werden wir Rechnung tragen.
Sie haben angekündigt, den Übergang von Kita zur Schule verbessern zu wollen. Was planen Sie konkret?
Kita und Schule müssen an einem Strang ziehen. Hamburg hat daher schon begonnen, Erzieherinnen und Erzieher aus Kitas und Schulen gemeinsam fortzubilden. Ich will voranbringen, dass kindbezogene entwicklungspsychologische Daten zwischen Schule und Kita regelhaft ausgetauscht werden, und nicht nur auf freiwilliger Basis. Bei Kindern, die schon in der Kita Unterstützung gebraucht haben, sollte die Schule direkt mit Maßnahmen anknüpfen. Das entlastet auch die Lehrkräfte. Meine Behörde muss da besser mit der für Kitas zuständigen Sozialbehörde kooperieren.
Für den Datenaustausch von Kitas zu Schulen müssen Sie allerdings den Bund ins Boot holen, da er hier die Gesetzgebungskompetenz hat.
Ja, ich hoffe, wir können eine gesetzliche Änderung auf Bundesebene herbeiführen.
Hamburg erhebt seit 2006 den Sprachstand bei Viereinhalbjährigen. Wer Förderbedarf hat, muss zur Sprachförderung. Wie nehmen Sie die Eltern hier mit?
Wir haben dafür im Schulgesetz eine verpflichtende Förderung im letzten vorschulischen Jahr eingeführt, quasi eine vorgezogene Schulpflicht für die, bei denen wir ausgeprägten Sprachförderbedarf feststellen. Die Förderung kann in der Kita stattfinden, meist gehen die Kinder aber in eine Vorschulklasse an einer Grundschule. Eltern, die sich der Pflicht widersetzen, müssen mit Hausbesuchen und Bußgeldern rechnen. Tatsächlich kommt das aber sehr selten vor, die Akzeptanz ist in Hamburg sehr hoch.
Apropos Spracherwerb: In Hamburg gibt es bereits die Möglichkeit, Unterricht in zahlreichen Herkunftssprachen zu wählen. Planen Sie das auch für Ukrainisch?
Tatsächlich bieten wir – übrigens als eines der ersten Bundesländer – seit diesem Schuljahr Ukrainisch als Herkunftssprache an. Ukrainisch kann auf Wunsch sogar als 2. oder 3. Fremdsprache anerkannt werden, allerdings ist noch keine Abiturprüfung möglich.
Ihr Vorgänger, Ties Rabe, war fast 13 Jahre lang Schulsenator in Hamburg und hat viele Reformen angestoßen, die Vorbildcharakter haben. Setzt Sie das unter Erfolgsdruck?
Nein, gar nicht. Ich sehe es als ein tolles Fundament, auf dem ich aufbauen kann. Und natürlich wünsche ich mir, dass ich auch nach den Wahlen im März 2025 weiter gestalten darf.
Ksenija Bekeris war seit 2011 Fraktionsvize und sozialpolitische Sprecherin der SPD, zudem stellvertretende Landesvorsitzende. Als Berufsschullehrerin arbeitete sie an einer Fachschule für Erzieher, sozialpädagogische Assistenten und Heilerziehungspfleger. Sie hat Soziologie mit einem Schwerpunkt auf Kinderarmut und Generationengerechtigkeit studiert und arbeitete zunächst in der Sprachförderung in Kitas, dann als Erzieherin. 2014 begann Bekeris den Vorbereitungsdienst zur Berufsschullehrerin.
Unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) soll ein interdisziplinärer Forschungsverbund das Startchancen-Programm wissenschaftlich begleiten. Das hat das BMBF am Mittwoch bekanntgegeben. Zusammen mit dem DIPF gehören insgesamt 20 institutionelle Partner zum Verbund. Darunter sind unter anderem das Deutsche Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik (mit IPN, TU Dortmund, Münster und anderen Hochschulen), das Mercator-Institut für Sprachförderung in Köln sowie weitere Universitäten und Hochschulen.
Die wissenschaftliche Begleitung ebenso wie die Evaluation hat das BMBF in seiner Ausschreibung als integralen Bestandteil des Startchancen-Programms bezeichnet. Dass die Evaluation von Anfang an mitgedacht sei, sieht Kai Maaz, geschäftsführender Direktor des DIPF, als etwas grundsätzlich Neues: “Auch andere Programme werden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit analysiert, aber meist erst, wenn das Programm bereits läuft oder schon wieder abgeschlossen ist.”
Insgesamt ist für die wissenschaftliche Begleitung ein Prozent des gesamten Finanzvolumens, das der Bund beisteuert, veranschlagt. Bei den geplanten zehn Milliarden sind das also 100 Millionen Euro.
In der wissenschaftlichen Begleitung werde sich der Forschungsverbund, angelehnt an die in der Bund-Länder-Vereinbarung genannten Zielsetzungen, vor allem auf drei Bereiche fokussieren, wie Maaz Table.Briefings erläutert:
Neben der wissenschaftlichen Begleitung ist auch eine Evaluation des Startchancen-Programms geplant. Das seien zwei unterschiedliche Begleitmaßnahmen, betont das BMBF. Daher “liegen ihnen auch zwei vollkommen voneinander getrennte, formal unterschiedliche Verfahren zugrunde”, heißt es auf Anfrage von Table.Briefings. Während die Angebotsfrist für die wissenschaftliche Begleitung bis Mai lief, endet sie bei der Evaluation erst am 8. Juli. Wer dann den Zuschlag dafür bekommen soll, wird nach Angaben des Bundesbildungsministeriums voraussichtlich Anfang September feststehen. Starten sollen beide Maßnahmen ab Oktober 2024.
Von Beginn hat das BMBF geplant, beide Aufgaben an unterschiedliche Forschungsverbünde zu geben. “Sowohl bei der Evaluation als auch bei der wissenschaftlichen Begleitung ist aufgrund der jeweiligen Komplexität der Aufgabenstellungen von einer Vielzahl von Akteuren auszugehen”, sagte die BMBF-Sprecherin Table.Briefings. Verfahrensrechtlich könne dabei zwar nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Akteure in beiden Programmen sind. Befangenheit und Interessenkollisionen müssten aber ausgeschlossen sein.
Das heißt laut BMBF insbesondere, dass “diejenigen, die Teil des Forschungsverbunds für die wissenschaftliche Begleitung des Startchancen-Programms sind, nicht gleichzeitig damit betraut werden können, die wissenschaftliche Begleitung zu evaluieren, also insbesondere zu beantworten, ob und mit welchem Zielerreichungsgrad die mit der wissenschaftlichen Begleitung verfolgten Ziele erreicht wurden”. Auch Kai Maaz sieht das so. Eine Abteilung, die Maßnahmen vorschlage, könne diese Maßnahmen nicht gleichzeitig zum Gegenstand der Evaluation machen, “das wäre völlig schräg”.
Auch noch aus einem anderen Grund können wissenschaftliche Begleitung und Evaluation nicht in einer Hand sein. Denn schon in der Ausschreibung im Februar hat das BMBF für 2028 eine Zwischenevaluation angekündigt. Sollte sich dabei kein Effekt der vorgeschlagenen Maßnahmen und Instrumente zeigen, will sich das Ministerium vorbehalten, “den Zuwendungsbescheid ab 2028 vollständig oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen”. Dazu braucht es die geforderte Unbefangenheit.
Maaz sieht darin kein Damoklesschwert, sondern begrüßt diese Zwischenevaluation, weil sie eine gute Möglichkeit sei, nachzusteuern und “Dinge zu forcieren oder vielleicht wieder zurückzufahren”. Als Sprecher der Autorengruppe für den Nationalen Bildungsbericht hofft er selbst, dass das Startchancen-Programm bald positive Wirkung zeigt. Das sei sicher noch nicht beim nächsten oder übernächsten Bildungsbericht der Fall, aber spätestens zum Abschluss des Programms 2034 sollte die Wirksamkeit sichtbar werden.
Die Zukunft des Digitalpakts Schule wird am Freitag an gleich zwei zentralen Orten des politischen Berlins diskutiert: Im Bundestag warten die Parlamentarier auf Ergebnisse der Haushaltsverhandlungen. Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und ihre engsten Berater diskutierten am Donnerstag noch bis in die Nacht.
Unter den Bildungspolitikern der Ampel-Koalition machte sich in den vergangenen zwei Tagen Nervosität breit: Gerüchteweise hat das BMBF in seinem Haushaltsplan keine Mittel für den Digitalpakt II eingestellt. Bestätigen ließ sich dies allerdings bis Redaktionsschluss nicht. Am frühen Freitagmorgen soll es aber mehr Klarheit geben: Alle drei Ampel-Fraktionen treffen sich um am frühen Morgen zu Sonder-Fraktionssitzungen, um sich über die Verhandlungsergebnisse informieren zu lassen.
Wenige Stunden später befasst sich auch der Bundesrat mit dem Digitalpakt: Die Länder wollen mit einem Entschließungsantrag den Druck auf den Bund erhöhen. Darin manifestieren sie ihre Forderung, 1,3 Milliarden Euro pro Jahr für das Programm bereitzustellen. “Wir sind uns als Länder alle einig, dass jetzt endgültig Schluss sein muss mit dem unsäglichen Versteckspiel des Bundes beim Digitalpakt”, sagte Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) Table.Briefings. “Wir müssen gemeinsam verhindern, dass mehr als elf Millionen Schülerinnen und Schülern der digitale Stecker gezogen wird.”
Neben Schwarz stehen auch die Kultusminister Christine Streichert-Clivot (SPD, Saarland) und Karin Prien (CDU, Schleswig-Holstein) sowie Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), auf der Rednerliste. Nach Informationen von Table.Briefings wird anschließend der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg (FDP), die Gegenrede für den Bund halten. Die Ländervertreter warten mit Spannung auf seine Ausführungen.
Für Aufregung hatte in dieser Woche auch Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg gesorgt. Er hatte im Handelsblatt einen eigenen Vorstoß für Milliarden-Einsparungen im Bundeshaushalt gemacht und darin sowohl den Digitalpakt als auch das Startchancen-Programm zur Disposition gestellt. Ein Vorschlag, für den er selbst aus den eigenen Reihen in die Schranken gewiesen wurde. Prien, die auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ist, erinnerte Middelberg daran, dass ihre Partei sich in ihrem Grundsatzprogramm gerade erst auf eine Erhöhung der Bildungsinvestitionen verständigt habe: “Es wäre töricht, an dieser Stelle zu sparen.”
Auch die Ampel-Parteien kritisierten die Vorschläge scharf: “Solche Gedankenexperimente erschüttern langfristig das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Bundes und sind ein Spiel mit den Bildungschancen von einer Million Schülerinnen und Schülern in unserem Land”, sagte Martin Rabanus, SPD-Berichterstatter für das Startchancen-Programm, Table.Briefings. Die Mittel dafür sind ohnehin kaum noch anzufechten: Am Donnerstagabend verabschiedete der Bundestag das Finanzausgleichsgesetz 2024. Darin sind die Umsatzsteuerpunkte für die Länder, durch die das Programm zum Teil finanziert wird, verankert. Maximilian Stascheit
Für die nationale Bildungsplattform “Mein Bildungsraum” fehlt weiterhin ein konkreter Plan. Der Bund wollte eigenen Angaben zufolge im Frühjahr dieses Jahres eine Open-Beta-Version “einer breiten Öffentlichkeit zugänglich” machen. Doch erst vergangene Woche wurde das Beta-Testprogramm eingestellt, eine Open-Beta ist noch in Arbeit. Eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, die Table.Briefings vorliegt, zeigt: Für die Closed-Beta-Version haben genau 850 Personen einen Testzugang erhalten.
Noch dazu gab es seit Oktober 2023 keine formalen Gespräche mehr zwischen Bund und Ländern. Es ist also weiter unklar, ob und wie die Länder die Vernetzungsinfrastruktur nutzen sollen. Der Bund zeigt sich damit seit bald einem Jahr unbekümmert von der Kritik, bis zu 630 Millionen Euro in eine im Zweifel unnütze Parallelstruktur zu den in den Ländern etablierten Systemen zu verschwenden.
Seit Herbst 2023 hat die Bundesregierung dem eigenen Bericht zufolge nichts weiter unternommen, um existente Angebote einzubinden. Für die nächsten Monaten seien jedoch wieder Gespräche mit einzelnen Arbeitsgruppen der KMK in Planung, teilte eine Sprecherin des BMBF Table.Briefings auf Anfrage mit. Zudem finde aktuell in Rheinland-Pfalz unter Mitwirkung Sachsen-Anhalts ein Feldtest zum “Digitalen Schulzeugnis” statt.
Konkret gefragt nach dem Mehrwert der Plattform gegenüber der Single-Sign-on-Lösung Vidis verweist Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesbildungsministeriums, auf den Übergang von der Schule zu weiterführenden Bildungsabschnitten.
Während sich Vidis vor allem auf den schulischen Bereich konzentriere, verfolge “Mein Bildungsraum” einen umfassenderen Ansatz. Dieser bilde “alle Bildungsphasen von der Schule über die berufliche Ausbildung und das Studium bis hin zur Erwachsenenbildung ab”, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage, über die Tagesspiegel Background zuerst berichtete.
Den bislang fehlenden Innovationsschub erhofft sich das BMBF nun von der Agentur für Sprunginnovationen “Sprind”, wie Table.Briefings bereits berichtete. Ob es damit aber in großen Sprüngen zum erfolgreichen Betrieb der Plattform kommt, bleibt abzuwarten. Die Verträge für die Kooperation wurden erst am Wochenende unterzeichnet. Jetzt müsse man sich bei Sprind erst einmal “sortieren und strukturieren”, wie man das Projekt angehen wolle, erfuhr Table.Briefings.
Eine Chance für Synergien sieht Sprind-Direktor Rafael Laguna de la Vera bei dem Projekt EUDI-Wallet – eine App für den E-Personalausweis, die Sprind im Auftrag des Innenministeriums entwickelt. “Wenn wir schon den Personalausweis und Führerschein auf dem Handy haben, dann ist ein weiterer logischer Schritt, dass wir auch Schul- und Bildungsabschlüsse sicher digital verwalten und versenden beziehungsweise benutzen können”, sagte ein Sprecher zu Table.Briefings. Vera Kraft
Eine Expertenkommission hat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen Maßnahmen vorgelegt, um Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll in Schulen, Hochschulen und der Weiterbildung zu integrieren (zum Download). Für “nachhaltige Rahmenbedingungen” fordern die Vertreter aus Wissenschaft, Landesverwaltung und Bildungspraxis mehr Rechtssicherheit, dauerhaft angelegte KI-Fortbildungen und die Entwicklung und Erprobung von Good Practices und Standards. Zentrale Voraussetzung sei zudem eine tragfähige IT-Infrastruktur und ein gesicherter Zugang zu KI-Anwendungen für alle Bildungseinrichtungen.
Wissenschaftler und Schulverantwortliche sollten zudem die Entwicklung und Nutzung von KI-Anwendungen wie Learning Analytics, adaptiven Systemen und generativer KI stets gemeinsam begleiten. Dafür sollte ein Kompetenznetzwerk “KI in der Bildung” gegründet werden, fordern die Experten. Dabei solle der Austausch zwischen interdisziplinärer Forschung, Bildungspraxis, Bildungspolitik, Bildungsverwaltung, EdTech-Unternehmen und Zivilgesellschaft im Vordergrund stehen.
Eine Chance sieht die Kommission in der geplanten Reform der Lehrkräftefortbildung in NRW. Auch hier ist eine permanente und systematische Zusammenarbeit mit Hochschulen vorgesehen. Das Themenfeld KI ließe sich gut in ein neues Kernkonzept der Lehrkräftefortbildung integrieren, heißt es in den Empfehlungen. Die Fortbildungen sollten wissenschaftsbasiert sein und sowohl KI-Grundkenntnisse als auch ethische Dimensionen von KI behandeln. Im Curriculum des Lehramtsstudiums sowie des Vorbereitungsdienstes sollten diese Inhalte ebenfalls verankert sein.
NRW hat als erstes Land einen Leitfaden an Schulen zum Umgang mit KI herausgegeben. Doch während der Leitfaden konkrete, praxisnahe Anleitungen für Lehrkräfte und Schulen beinhaltet, liefert das Papier der Expertengruppe nun umfassendere, strategische Empfehlungen. Ihren Arbeitsauftrag hat die sogenannte Taskforce “Künstliche Intelligenz im Bildungswesen” direkt vom Schul-, vom Wissenschaftsministerium und der Staatskanzlei NRW erhalten.
Die Landesregierung zeigte sich daher offen für die Vorschläge. “Die Empfehlungen greifen viele wichtige Punkte auf, an denen wir bereits arbeiten. Wir werden die Vorschläge nun sorgfältig auswerten“, sagte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) bei der Übergabe am Dienstag. vkr
Gleich zwei Bundesländern haben beschlossen, die Berufsorientierung zu stärken. Der schwarz-rote Berliner Senat will speziell das Handwerk mehr unterstützen und hat in einem Aktionsprogramm (zum Download) Maßnahmen mit der Handwerkskammer beschlossen. Die rot-rote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern passt die Vorgaben für die berufliche Orientierung an den Schulen an.
Im Detail will Berlin handwerkliche Berufe stärker in die Schule bringen. Beitragen soll dazu:
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Daneben will der Berliner Senat die berufliche Bildung stärken: So soll es für alle, die die Meisterprüfung bestanden haben, ab diesem Jahr einen Bonus über 5.000 Euro geben. Meisterschüler erhalten einen Ausweis, um wie Studierende Ermäßigungen zu erhalten, zum Beispiel für Museen oder Schwimmbäder.
Mecklenburg-Vorpommern führt neue Vorgaben für die berufliche Orientierung ein, allerdings erst für das Schuljahr 2025/26:
Kritik kam vom GEW-Landesvorsitzenden Nico Leschinski. Er sagte dem Nordkurier, die Landesregierung weite die Berufsorientierung aus, ohne die Lehrkräfte dafür umfassend fort- und weiterzubilden. Anna Parrisius
In der kommenden Woche startet der Stifterverband die “Allianz für MINT-Fachkräfte”. Ziel der Initiative ist es, die MINT-Bildung zu verbessern und den Anteil von Absolventen im MINT-Bereich bis 2030 deutlich zu steigern. Zwei Aspekte stehen im Vordergrund:
Der Stifterverband will nun alle Akteure aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die auf diese Ziele einzahlen, an einen Tisch bringen. Dafür gibt es ein erstes Online-Treffen am 9. Juli 2024, von 16 bis 18 Uhr. Interessierte können sich bis 8. Juli hier anmelden.
Die Allianz für MINT-Lehrkräfte ist Teil der Zukunftsmission Bildung, die der Stifterverband Anfang des Jahres ins Leben gerufen hat. Die rund 50 im Vorstand des Stifterverbandes engagierten Unternehmen und Unternehmensverbände reagieren damit auf das schlechte Abschneiden bei Leistungsvergleichsstudien, den Lehrermangel und die Probleme bei der Fachkräftegewinnung.
Es gebe zwar bereits viele Ansätze und Anregungen, um auf die Bildungsmisere zu reagieren, aber es brauche mehr Bündelung, schrieb Andrea Frank, Mitglied der Geschäftsführung des Stifterverbands, in einem Standpunkt für Table.Briefings: “Wir müssen erkennen, dass sich das Potenzial dieser einzelnen Aktivitäten nur entfalten kann, wenn sie – anders als bisher – Teil einer gebündelten nationalen Bildungsroadmap werden, an deren Umsetzung staatliche Bildungsverantwortliche und private Akteure gemeinsam arbeiten.”
Die Zukunftsmission Bildung besteht aus vier Teilen, die sich auf jeweils eine Herausforderung im Bildungssystem fokussieren. Im April startete die Allianz für Lehrkräfte, in der es vor allem um die Lehrkräftebildung geht. Hauptziel ist hier, die Lehrkräftelücke bis 2030 zu halbieren.
Lesen Sie hier das Interview zur Allianz für Lehrkräfte mit Bettina Jorzik vom Stifterverband
Im Herbst sollen dann noch die zwei weiteren Allianzen starten: “Schule plus”, dabei geht es vor allem um eine bessere Vernetzung von schulischen und außerschulischen Lernangeboten im Ganztag. Auch hier liegt ein Schwerpunkt auf MINT-Themen. Als Viertes startet die “Allianz für Future Skills“. Hier geht es vor allem darum, Studierenden KI-Lernangebote zu machen. aku
Berlin.Table. Freiberufliche Lehrkräfte: Urteil zur Scheinselbstständigkeit gefährdet Bildungsangebote. Ein zwei Jahre altes Urteil des Bundessozialgerichts sorgt für Unsicherheit bei Ländern und Kommunen. An Volkshochschulen und Musikschulen sind Lehrende typischerweise nicht fest angestellt. Warum nun soziale und kulturelle Angebote, aber auch Sprach- und Integrationskurse auf dem Spiel stehen, lesen Sie hier.
Research.Table. Antisemitismus: Warum ein weiterer offener Brief für Kontroversen sorgt. 70 Erstunterzeichnende hatte ein offener Brief gegen Antisemitismus an Hochschulen. Mit bei den “Profs against Antisemitism” dabei: Sabine Döring, Staatssekretärin a.D.. Warum das nur ein Aspekt ist, weshalb viele Wissenschaftler die Initiative kritisch sehen, lesen Sie hier.
Research.Table. Start der Medizinischen Universität Lausitz: So geht es weiter mit dem Leuchtturmprojekt. Die Medizinische Universität Lausitz ist am 1. Juli in Cottbus gestartet. Sie ist in Rekordtempo entstanden und soll die Gesundheitsversorgung verbessern. Was für das Erstsemester geplant ist, lesen Sie hier.
Stuttgarter Zeitung: OECD-Bericht lobt Integration im Bildungssystem. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland gut ab, jedenfalls, wenn es um schulische Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund der zweiten Generation geht. Diese haben sich in den vergangenen Jahren verbessert und sind höher als in den meisten anderen Ländern mit ähnlicher Zuwanderungsquote. Allerdings ist die Differenz zwischen den Leistungen eingewanderter und in Deutschland geborener Kinder gestiegen. Und die OECD empfiehlt zudem, erwachsene Zugewanderte besser auszubilden. (OECD stellt Deutschland bei Integration gutes Zeugnis aus)
Dlf: Ukrainisch als zweite Fremdsprache in Hessen. Ab dem Schuljahr 2024/25 bietet Hessen Ukrainisch als zweite Fremdsprache an, auch im Abitur. Für einen weiterführenden Schulabschluss fehlte ukrainischen Schülern bisher oft noch die zweite Fremdsprache. 300 Lehrkräfte aus der Ukraine werden das Fach unterrichten. 20.000 Kinder und Jugendliche sind infolge des Krieges aus der Ukraine nach Hessen geflüchtet und kommen für den Unterricht infrage. Aber auch deutsche Schüler können teilnehmen. (Pilotversuch in Hessen: Ukrainisch als Fremdsprache)
Deutsches Schulportal: Was Berufsschullehrern die Arbeit erschwert. Das Deutsche Schulbarometer hat gezeigt, dass psychische Belastungen von Schülern an Berufsschulen eine größere Rolle spielen als an anderen Schulen. Auch Verhaltensauffälligkeiten und fehlende Motivation treten häufiger auf. Sven Mohr, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands und Leiter einer Flensburger Berufsschule, berichtet, dass viele an die Berufsschule kommen, weil sie den Schulabschluss nicht geschafft haben. Oft liege das auch an längeren Krankheitsphasen. Seine Schule hat nach mehreren Suizidfällen einen Schulpsychologen und einen Schulsozialarbeiter. Zusätzlich seien Beratungslehrkräfte für Aufgaben ausgebildet worden, die sonst Sozialarbeiter übernehmen. (Schüler an beruflichen Schulen sind häufiger psychisch belastet)
Rheinische Post: Sorgentelefon für Azubis. In Düsseldorf und im Kreis Mettmann können Azubis sich neuerdings an eine Hilfe-Hotline der IHK Düsseldorf wenden. Sie soll Ausbildungsabbrüchen vorbeugen. Derzeit brechen elf Prozent der dortigen Azubis ihre Ausbildung ab. Ursache von Abbrüchen seien neben persönlichen Problemen auch Schwierigkeiten im Betrieb. Über das Hilfetelefon haben die Azubis auch Zugang zu kostenlosen persönlichen Beratungssitzungen. (Bei Problemen finden Azubis hier Hilfe)
Stuttgarter Zeitung: Berufsschulen in Ludwigsburg melden Überlastung bei Beschulung von Flüchtlingen. Es gebe zu wenig Räume und zu wenig Lehrkräfte. Viele Geflüchtete brauchten für den Erwerb der deutschen Sprache und von Grundkenntnissen zudem länger als vorgesehen – bis zu drei Jahre statt wie vorgesehen ein Jahr. Manche haben in ihrem Herkunftsland noch keine Schule besucht. Die Wartezeiten für neue Schüler liegen bei bis zu einem halben Jahr. Das Schulamt verweist zur Entlastung auf Anbieter wie die Volkshochschulen. Doch auch dort fehlen Lehrkräfte. (Berufsschulen schlagen Alarm – “Gibt Jugendliche, die noch nie eine Schule besucht haben”)
Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner halten mit ihren Haushaltsberatungen auch die Bildungspolitik in Atem: Vor allem die Frage, ob und wie viel Geld im kommenden Jahr für die Fortsetzung des Digitalpakts Schule zur Verfügung steht, sorgt für Nervosität. Sowohl auf den Bundestagsfluren als auch bei den Sommerfesten, die momentan allabendlich im politischen Berlin stattfinden, erzählte man sich in den vergangenen Tagen, Bettina Stark-Watzinger habe gar kein Geld dafür eingeplant. Doch das sind eben bislang nur Gerüchte.
Schon am Freitagmorgen könnte es Klarheit geben: Im Bundestag finden Sondersitzungen zu den möglichen Ergebnissen der nächtlichen Beratungen statt. Und auch im Bundesrat wollen die Länder den Druck auf den Bund noch einmal erhöhen. Wir haben die Gemengelage zum Haushalt mit dem speziellen Blick durch die Bildungsbrille für Sie sortiert. Und sollte es dazu Updates geben, melden wir uns vor dem Anstoß des EM-Viertelfinales noch einmal bei Ihnen.
Schon in diesem Briefing haben wir Neuigkeiten zum Startchancen-Programm für Sie. In dieser Woche hat das Bundesbildungsministerium bekannt gegeben, dass Bildungsforscher Kai Maaz mit einem Konsortium den Zuschlag für die wissenschaftliche Begleitung erhalten hat. Annette Kuhn hat mit ihm gesprochen und erklärt, wie diese Begleitung aussehen soll – und warum sie nicht mit der ebenfalls ausgeschriebenen Evaluierung zu verwechseln ist.
Das Startchancen-Programm ist auch Thema im Interview, das Anna Parrisius mit Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris geführt hat. Darin erklärt die SPD-Politikerin außerdem, wie sie den Übergang von der Kita in die Schule und von der Schule in die Ausbildung verbessern will.
Der Tag verspricht also Spannung – vielleicht in Berlins Parlamenten, sicher aber im Stuttgarter Fußballstadion. Ich wünsche Ihnen starke Nerven!
Bildung.Table: Frau Bekeris, Sie sind jetzt ein halbes Jahr im Amt. Was haben Sie sich vorgenommen?
Ksenija Bekeris: Mir liegt das Thema Chancengerechtigkeit sehr am Herzen. Daher finde ich alarmierend, dass Bildungschancen immer noch stark von der Herkunft abhängen. Bevor ich Anfang des Jahres Bildungssenatorin wurde, war ich sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgschaft. Zentral ist für mich, dass uns am Übergang von der Schule in den Beruf niemand verloren gehen darf. In Hamburg haben wir uns das schon 2011 als Ziel gesetzt. Einen Schulabschluss zu haben und einen Beruf zu erlernen, schützt langfristig vor Armut, das sollte daher möglichst jeder erreichen.
Wer den Übergang in Ausbildung nach der zehnten Klasse nicht gleich schafft, kommt in Hamburg in die Dualisierte Ausbildungsvorbereitung (AvDual). Jugendliche sind dort drei Tage im Betrieb, zwei in der Berufsschule. Was bringt das?
In Hamburg haben wir zunächst mal erreicht, dass mehr Schulabgänger:innen gleich den Übergang in die Ausbildung schaffen – unter anderem durch eine bessere Berufsorientierung. Das gelingt heute knapp 45 Prozent, vor zehn Jahren waren es 25 Prozent. Nach einem Jahr in der AvDual schafft es ein weiteres Drittel in Ausbildung, sodass wir sagen können, dass über 60 Prozent ein Jahr nach Ende der zehnten Klasse in Ausbildung kommen. Und neben der AvDual bieten wir beruflich orientierten Jugendlichen, die keinen Ausbildungsbetrieb gefunden haben, die Berufsqualifizierung an, ein Bildungsangebot äquivalent zum ersten Ausbildungsjahr. Wer danach immer noch keinen Betrieb findet, kommt im Rahmen der Hamburger Ausbildungsplatzgarantie in eine vom Stadtstaat geförderte Ausbildung – im Sommer 2023 war das nur bei drei Jugendlichen der Fall.
Was passiert mit dem Rest?
Um den kümmert sich die Jugendberufsagentur, die wir mit der Sozialbehörde und den Partnern der beruflichen Bildung (Arbeitsagentur, Jobcenter, kommunale Bezirke) aktuell auf neue Beine stellen wollen: Wir müssen näher an die Jugendlichen ran und sie mehr dort abholen, wo sie sind. Wir müssen zudem das Potenzial von Menschen mit Behinderungen stärker nutzen. Sie können die Ausbildung mit einer Arbeitsassistenz schaffen.
Was macht Hamburg, um die Berufsorientierung schon in den allgemeinbildenden Schulen zu verbessern?
Da gibt es viele Bausteine. Zum Beispiel unsere Praxisklassen: In der zehnten Klasse gehen Schüler:innen in 35 Stadtteilschulen [Anm. d. Red.: Hamburger Form der Gesamtschule] für 20 Wochen zwei Tage pro Woche in einen Betrieb. Danach wechseln von den Schulabgängern nochmal vier Prozent mehr sofort in den Beruf. Neben der AvDual haben wir zudem die AvM-Dual, eine Ausbildungsvorbereitung für neu Zugewanderte zwischen 16 und 18 Jahren.
Gerade von Geflüchteten, die als Jugendliche nach Deutschland kommen, wird viel verlangt: Sie müssen Deutsch lernen, einen Schulabschluss nachholen und dann noch eine komplette Ausbildung machen. Braucht es für sie neue Wege der Qualifizierung?
Die AvM-Dual ist das bereits. Sie ist auf zwei Jahre angelegt und legt den Fokus auf die Sprachvermittlung. Jugendliche, die nicht zur Schule gehen konnten, werden alphabetisiert, andere können den ersten oder mittleren Schulabschluss nachholen. Mit zwei Tagen im Betrieb gibt es einen hohen Praxisanteil, damit die Jugendlichen gleich in einem Berufsfeld andocken.
Sonst braucht es also keine extra Wege für diese Gruppe?
Ich halte wenig von extra Ausbildungszentren nur für Migrantinnen und Migranten. Und auch das jetzt auf Bundesebene verabschiedete Berufsbildungsvalidierungsgesetz sehe ich in Teilen kritisch. Ungelernte mit Berufserfahrung sollen sich künftig in allen Ausbildungsberufen Kompetenzen analog zu formalen Qualifikationen anerkennen lassen können. Eine Ausbildung schützt aber langfristig vor Ausbeutung am Arbeitsmarkt, daher hat sie für mich Priorität.
Beim Startchancen-Programm werden auch Berufsschulen berücksichtigt, allerdings ohne feste Quote. Werden Bund und Länder der Bedeutung der Berufsschulen gerecht?
In Hamburg haben wir 90 Schulen ausgewählt, davon neun berufsbildende Schulen von insgesamt 30. Das ist schon ein veritabler Teil. Und langfristig wollen wir Best-Practice-Beispiele ausweiten und neue Ideen entwickeln. Über die kommenden zehn Jahre können wir sehen, was wir auf weitere Schulen übertragen können, am besten auch länderübergreifend.
Hamburg ist Vorreiter bei der datengeschützten Schulentwicklung. Warum lohnt sich dieser aufwendige Schritt?
Es lohnt sich, weil wir nicht mehr Politik nach Bauchgefühl machen, sondern schauen können, welche Maßnahmen wirken. Und ich finde sehr beeindruckend, jeder Lehrkraft Daten zur Verfügung stellen zu können, damit sie sieht, welche Entwicklung es beim einzelnen Schüler gibt – und was für Unterstützung er oder sie noch braucht.
Gibt es langfristige Pläne für eine Weiterentwicklung, gerade auch mit künstlicher Intelligenz?
Das Hamburger Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) testet mit anonymen Daten in einem Pilotprojekt, inwiefern KI künftig für die Auswertung von Freitextantworten bei Vergleichsarbeiten genutzt werden kann. Grundsätzlich ist jedoch zu beachten, dass gerade im Bildungsbereich hohe Hürden bei der Verarbeitung von Daten bestehen. Dem werden wir Rechnung tragen.
Sie haben angekündigt, den Übergang von Kita zur Schule verbessern zu wollen. Was planen Sie konkret?
Kita und Schule müssen an einem Strang ziehen. Hamburg hat daher schon begonnen, Erzieherinnen und Erzieher aus Kitas und Schulen gemeinsam fortzubilden. Ich will voranbringen, dass kindbezogene entwicklungspsychologische Daten zwischen Schule und Kita regelhaft ausgetauscht werden, und nicht nur auf freiwilliger Basis. Bei Kindern, die schon in der Kita Unterstützung gebraucht haben, sollte die Schule direkt mit Maßnahmen anknüpfen. Das entlastet auch die Lehrkräfte. Meine Behörde muss da besser mit der für Kitas zuständigen Sozialbehörde kooperieren.
Für den Datenaustausch von Kitas zu Schulen müssen Sie allerdings den Bund ins Boot holen, da er hier die Gesetzgebungskompetenz hat.
Ja, ich hoffe, wir können eine gesetzliche Änderung auf Bundesebene herbeiführen.
Hamburg erhebt seit 2006 den Sprachstand bei Viereinhalbjährigen. Wer Förderbedarf hat, muss zur Sprachförderung. Wie nehmen Sie die Eltern hier mit?
Wir haben dafür im Schulgesetz eine verpflichtende Förderung im letzten vorschulischen Jahr eingeführt, quasi eine vorgezogene Schulpflicht für die, bei denen wir ausgeprägten Sprachförderbedarf feststellen. Die Förderung kann in der Kita stattfinden, meist gehen die Kinder aber in eine Vorschulklasse an einer Grundschule. Eltern, die sich der Pflicht widersetzen, müssen mit Hausbesuchen und Bußgeldern rechnen. Tatsächlich kommt das aber sehr selten vor, die Akzeptanz ist in Hamburg sehr hoch.
Apropos Spracherwerb: In Hamburg gibt es bereits die Möglichkeit, Unterricht in zahlreichen Herkunftssprachen zu wählen. Planen Sie das auch für Ukrainisch?
Tatsächlich bieten wir – übrigens als eines der ersten Bundesländer – seit diesem Schuljahr Ukrainisch als Herkunftssprache an. Ukrainisch kann auf Wunsch sogar als 2. oder 3. Fremdsprache anerkannt werden, allerdings ist noch keine Abiturprüfung möglich.
Ihr Vorgänger, Ties Rabe, war fast 13 Jahre lang Schulsenator in Hamburg und hat viele Reformen angestoßen, die Vorbildcharakter haben. Setzt Sie das unter Erfolgsdruck?
Nein, gar nicht. Ich sehe es als ein tolles Fundament, auf dem ich aufbauen kann. Und natürlich wünsche ich mir, dass ich auch nach den Wahlen im März 2025 weiter gestalten darf.
Ksenija Bekeris war seit 2011 Fraktionsvize und sozialpolitische Sprecherin der SPD, zudem stellvertretende Landesvorsitzende. Als Berufsschullehrerin arbeitete sie an einer Fachschule für Erzieher, sozialpädagogische Assistenten und Heilerziehungspfleger. Sie hat Soziologie mit einem Schwerpunkt auf Kinderarmut und Generationengerechtigkeit studiert und arbeitete zunächst in der Sprachförderung in Kitas, dann als Erzieherin. 2014 begann Bekeris den Vorbereitungsdienst zur Berufsschullehrerin.
Unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) soll ein interdisziplinärer Forschungsverbund das Startchancen-Programm wissenschaftlich begleiten. Das hat das BMBF am Mittwoch bekanntgegeben. Zusammen mit dem DIPF gehören insgesamt 20 institutionelle Partner zum Verbund. Darunter sind unter anderem das Deutsche Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik (mit IPN, TU Dortmund, Münster und anderen Hochschulen), das Mercator-Institut für Sprachförderung in Köln sowie weitere Universitäten und Hochschulen.
Die wissenschaftliche Begleitung ebenso wie die Evaluation hat das BMBF in seiner Ausschreibung als integralen Bestandteil des Startchancen-Programms bezeichnet. Dass die Evaluation von Anfang an mitgedacht sei, sieht Kai Maaz, geschäftsführender Direktor des DIPF, als etwas grundsätzlich Neues: “Auch andere Programme werden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit analysiert, aber meist erst, wenn das Programm bereits läuft oder schon wieder abgeschlossen ist.”
Insgesamt ist für die wissenschaftliche Begleitung ein Prozent des gesamten Finanzvolumens, das der Bund beisteuert, veranschlagt. Bei den geplanten zehn Milliarden sind das also 100 Millionen Euro.
In der wissenschaftlichen Begleitung werde sich der Forschungsverbund, angelehnt an die in der Bund-Länder-Vereinbarung genannten Zielsetzungen, vor allem auf drei Bereiche fokussieren, wie Maaz Table.Briefings erläutert:
Neben der wissenschaftlichen Begleitung ist auch eine Evaluation des Startchancen-Programms geplant. Das seien zwei unterschiedliche Begleitmaßnahmen, betont das BMBF. Daher “liegen ihnen auch zwei vollkommen voneinander getrennte, formal unterschiedliche Verfahren zugrunde”, heißt es auf Anfrage von Table.Briefings. Während die Angebotsfrist für die wissenschaftliche Begleitung bis Mai lief, endet sie bei der Evaluation erst am 8. Juli. Wer dann den Zuschlag dafür bekommen soll, wird nach Angaben des Bundesbildungsministeriums voraussichtlich Anfang September feststehen. Starten sollen beide Maßnahmen ab Oktober 2024.
Von Beginn hat das BMBF geplant, beide Aufgaben an unterschiedliche Forschungsverbünde zu geben. “Sowohl bei der Evaluation als auch bei der wissenschaftlichen Begleitung ist aufgrund der jeweiligen Komplexität der Aufgabenstellungen von einer Vielzahl von Akteuren auszugehen”, sagte die BMBF-Sprecherin Table.Briefings. Verfahrensrechtlich könne dabei zwar nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Akteure in beiden Programmen sind. Befangenheit und Interessenkollisionen müssten aber ausgeschlossen sein.
Das heißt laut BMBF insbesondere, dass “diejenigen, die Teil des Forschungsverbunds für die wissenschaftliche Begleitung des Startchancen-Programms sind, nicht gleichzeitig damit betraut werden können, die wissenschaftliche Begleitung zu evaluieren, also insbesondere zu beantworten, ob und mit welchem Zielerreichungsgrad die mit der wissenschaftlichen Begleitung verfolgten Ziele erreicht wurden”. Auch Kai Maaz sieht das so. Eine Abteilung, die Maßnahmen vorschlage, könne diese Maßnahmen nicht gleichzeitig zum Gegenstand der Evaluation machen, “das wäre völlig schräg”.
Auch noch aus einem anderen Grund können wissenschaftliche Begleitung und Evaluation nicht in einer Hand sein. Denn schon in der Ausschreibung im Februar hat das BMBF für 2028 eine Zwischenevaluation angekündigt. Sollte sich dabei kein Effekt der vorgeschlagenen Maßnahmen und Instrumente zeigen, will sich das Ministerium vorbehalten, “den Zuwendungsbescheid ab 2028 vollständig oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen”. Dazu braucht es die geforderte Unbefangenheit.
Maaz sieht darin kein Damoklesschwert, sondern begrüßt diese Zwischenevaluation, weil sie eine gute Möglichkeit sei, nachzusteuern und “Dinge zu forcieren oder vielleicht wieder zurückzufahren”. Als Sprecher der Autorengruppe für den Nationalen Bildungsbericht hofft er selbst, dass das Startchancen-Programm bald positive Wirkung zeigt. Das sei sicher noch nicht beim nächsten oder übernächsten Bildungsbericht der Fall, aber spätestens zum Abschluss des Programms 2034 sollte die Wirksamkeit sichtbar werden.
Die Zukunft des Digitalpakts Schule wird am Freitag an gleich zwei zentralen Orten des politischen Berlins diskutiert: Im Bundestag warten die Parlamentarier auf Ergebnisse der Haushaltsverhandlungen. Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und ihre engsten Berater diskutierten am Donnerstag noch bis in die Nacht.
Unter den Bildungspolitikern der Ampel-Koalition machte sich in den vergangenen zwei Tagen Nervosität breit: Gerüchteweise hat das BMBF in seinem Haushaltsplan keine Mittel für den Digitalpakt II eingestellt. Bestätigen ließ sich dies allerdings bis Redaktionsschluss nicht. Am frühen Freitagmorgen soll es aber mehr Klarheit geben: Alle drei Ampel-Fraktionen treffen sich um am frühen Morgen zu Sonder-Fraktionssitzungen, um sich über die Verhandlungsergebnisse informieren zu lassen.
Wenige Stunden später befasst sich auch der Bundesrat mit dem Digitalpakt: Die Länder wollen mit einem Entschließungsantrag den Druck auf den Bund erhöhen. Darin manifestieren sie ihre Forderung, 1,3 Milliarden Euro pro Jahr für das Programm bereitzustellen. “Wir sind uns als Länder alle einig, dass jetzt endgültig Schluss sein muss mit dem unsäglichen Versteckspiel des Bundes beim Digitalpakt”, sagte Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) Table.Briefings. “Wir müssen gemeinsam verhindern, dass mehr als elf Millionen Schülerinnen und Schülern der digitale Stecker gezogen wird.”
Neben Schwarz stehen auch die Kultusminister Christine Streichert-Clivot (SPD, Saarland) und Karin Prien (CDU, Schleswig-Holstein) sowie Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), auf der Rednerliste. Nach Informationen von Table.Briefings wird anschließend der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg (FDP), die Gegenrede für den Bund halten. Die Ländervertreter warten mit Spannung auf seine Ausführungen.
Für Aufregung hatte in dieser Woche auch Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg gesorgt. Er hatte im Handelsblatt einen eigenen Vorstoß für Milliarden-Einsparungen im Bundeshaushalt gemacht und darin sowohl den Digitalpakt als auch das Startchancen-Programm zur Disposition gestellt. Ein Vorschlag, für den er selbst aus den eigenen Reihen in die Schranken gewiesen wurde. Prien, die auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ist, erinnerte Middelberg daran, dass ihre Partei sich in ihrem Grundsatzprogramm gerade erst auf eine Erhöhung der Bildungsinvestitionen verständigt habe: “Es wäre töricht, an dieser Stelle zu sparen.”
Auch die Ampel-Parteien kritisierten die Vorschläge scharf: “Solche Gedankenexperimente erschüttern langfristig das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Bundes und sind ein Spiel mit den Bildungschancen von einer Million Schülerinnen und Schülern in unserem Land”, sagte Martin Rabanus, SPD-Berichterstatter für das Startchancen-Programm, Table.Briefings. Die Mittel dafür sind ohnehin kaum noch anzufechten: Am Donnerstagabend verabschiedete der Bundestag das Finanzausgleichsgesetz 2024. Darin sind die Umsatzsteuerpunkte für die Länder, durch die das Programm zum Teil finanziert wird, verankert. Maximilian Stascheit
Für die nationale Bildungsplattform “Mein Bildungsraum” fehlt weiterhin ein konkreter Plan. Der Bund wollte eigenen Angaben zufolge im Frühjahr dieses Jahres eine Open-Beta-Version “einer breiten Öffentlichkeit zugänglich” machen. Doch erst vergangene Woche wurde das Beta-Testprogramm eingestellt, eine Open-Beta ist noch in Arbeit. Eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, die Table.Briefings vorliegt, zeigt: Für die Closed-Beta-Version haben genau 850 Personen einen Testzugang erhalten.
Noch dazu gab es seit Oktober 2023 keine formalen Gespräche mehr zwischen Bund und Ländern. Es ist also weiter unklar, ob und wie die Länder die Vernetzungsinfrastruktur nutzen sollen. Der Bund zeigt sich damit seit bald einem Jahr unbekümmert von der Kritik, bis zu 630 Millionen Euro in eine im Zweifel unnütze Parallelstruktur zu den in den Ländern etablierten Systemen zu verschwenden.
Seit Herbst 2023 hat die Bundesregierung dem eigenen Bericht zufolge nichts weiter unternommen, um existente Angebote einzubinden. Für die nächsten Monaten seien jedoch wieder Gespräche mit einzelnen Arbeitsgruppen der KMK in Planung, teilte eine Sprecherin des BMBF Table.Briefings auf Anfrage mit. Zudem finde aktuell in Rheinland-Pfalz unter Mitwirkung Sachsen-Anhalts ein Feldtest zum “Digitalen Schulzeugnis” statt.
Konkret gefragt nach dem Mehrwert der Plattform gegenüber der Single-Sign-on-Lösung Vidis verweist Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesbildungsministeriums, auf den Übergang von der Schule zu weiterführenden Bildungsabschnitten.
Während sich Vidis vor allem auf den schulischen Bereich konzentriere, verfolge “Mein Bildungsraum” einen umfassenderen Ansatz. Dieser bilde “alle Bildungsphasen von der Schule über die berufliche Ausbildung und das Studium bis hin zur Erwachsenenbildung ab”, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage, über die Tagesspiegel Background zuerst berichtete.
Den bislang fehlenden Innovationsschub erhofft sich das BMBF nun von der Agentur für Sprunginnovationen “Sprind”, wie Table.Briefings bereits berichtete. Ob es damit aber in großen Sprüngen zum erfolgreichen Betrieb der Plattform kommt, bleibt abzuwarten. Die Verträge für die Kooperation wurden erst am Wochenende unterzeichnet. Jetzt müsse man sich bei Sprind erst einmal “sortieren und strukturieren”, wie man das Projekt angehen wolle, erfuhr Table.Briefings.
Eine Chance für Synergien sieht Sprind-Direktor Rafael Laguna de la Vera bei dem Projekt EUDI-Wallet – eine App für den E-Personalausweis, die Sprind im Auftrag des Innenministeriums entwickelt. “Wenn wir schon den Personalausweis und Führerschein auf dem Handy haben, dann ist ein weiterer logischer Schritt, dass wir auch Schul- und Bildungsabschlüsse sicher digital verwalten und versenden beziehungsweise benutzen können”, sagte ein Sprecher zu Table.Briefings. Vera Kraft
Eine Expertenkommission hat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen Maßnahmen vorgelegt, um Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll in Schulen, Hochschulen und der Weiterbildung zu integrieren (zum Download). Für “nachhaltige Rahmenbedingungen” fordern die Vertreter aus Wissenschaft, Landesverwaltung und Bildungspraxis mehr Rechtssicherheit, dauerhaft angelegte KI-Fortbildungen und die Entwicklung und Erprobung von Good Practices und Standards. Zentrale Voraussetzung sei zudem eine tragfähige IT-Infrastruktur und ein gesicherter Zugang zu KI-Anwendungen für alle Bildungseinrichtungen.
Wissenschaftler und Schulverantwortliche sollten zudem die Entwicklung und Nutzung von KI-Anwendungen wie Learning Analytics, adaptiven Systemen und generativer KI stets gemeinsam begleiten. Dafür sollte ein Kompetenznetzwerk “KI in der Bildung” gegründet werden, fordern die Experten. Dabei solle der Austausch zwischen interdisziplinärer Forschung, Bildungspraxis, Bildungspolitik, Bildungsverwaltung, EdTech-Unternehmen und Zivilgesellschaft im Vordergrund stehen.
Eine Chance sieht die Kommission in der geplanten Reform der Lehrkräftefortbildung in NRW. Auch hier ist eine permanente und systematische Zusammenarbeit mit Hochschulen vorgesehen. Das Themenfeld KI ließe sich gut in ein neues Kernkonzept der Lehrkräftefortbildung integrieren, heißt es in den Empfehlungen. Die Fortbildungen sollten wissenschaftsbasiert sein und sowohl KI-Grundkenntnisse als auch ethische Dimensionen von KI behandeln. Im Curriculum des Lehramtsstudiums sowie des Vorbereitungsdienstes sollten diese Inhalte ebenfalls verankert sein.
NRW hat als erstes Land einen Leitfaden an Schulen zum Umgang mit KI herausgegeben. Doch während der Leitfaden konkrete, praxisnahe Anleitungen für Lehrkräfte und Schulen beinhaltet, liefert das Papier der Expertengruppe nun umfassendere, strategische Empfehlungen. Ihren Arbeitsauftrag hat die sogenannte Taskforce “Künstliche Intelligenz im Bildungswesen” direkt vom Schul-, vom Wissenschaftsministerium und der Staatskanzlei NRW erhalten.
Die Landesregierung zeigte sich daher offen für die Vorschläge. “Die Empfehlungen greifen viele wichtige Punkte auf, an denen wir bereits arbeiten. Wir werden die Vorschläge nun sorgfältig auswerten“, sagte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) bei der Übergabe am Dienstag. vkr
Gleich zwei Bundesländern haben beschlossen, die Berufsorientierung zu stärken. Der schwarz-rote Berliner Senat will speziell das Handwerk mehr unterstützen und hat in einem Aktionsprogramm (zum Download) Maßnahmen mit der Handwerkskammer beschlossen. Die rot-rote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern passt die Vorgaben für die berufliche Orientierung an den Schulen an.
Im Detail will Berlin handwerkliche Berufe stärker in die Schule bringen. Beitragen soll dazu:
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Daneben will der Berliner Senat die berufliche Bildung stärken: So soll es für alle, die die Meisterprüfung bestanden haben, ab diesem Jahr einen Bonus über 5.000 Euro geben. Meisterschüler erhalten einen Ausweis, um wie Studierende Ermäßigungen zu erhalten, zum Beispiel für Museen oder Schwimmbäder.
Mecklenburg-Vorpommern führt neue Vorgaben für die berufliche Orientierung ein, allerdings erst für das Schuljahr 2025/26:
Kritik kam vom GEW-Landesvorsitzenden Nico Leschinski. Er sagte dem Nordkurier, die Landesregierung weite die Berufsorientierung aus, ohne die Lehrkräfte dafür umfassend fort- und weiterzubilden. Anna Parrisius
In der kommenden Woche startet der Stifterverband die “Allianz für MINT-Fachkräfte”. Ziel der Initiative ist es, die MINT-Bildung zu verbessern und den Anteil von Absolventen im MINT-Bereich bis 2030 deutlich zu steigern. Zwei Aspekte stehen im Vordergrund:
Der Stifterverband will nun alle Akteure aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die auf diese Ziele einzahlen, an einen Tisch bringen. Dafür gibt es ein erstes Online-Treffen am 9. Juli 2024, von 16 bis 18 Uhr. Interessierte können sich bis 8. Juli hier anmelden.
Die Allianz für MINT-Lehrkräfte ist Teil der Zukunftsmission Bildung, die der Stifterverband Anfang des Jahres ins Leben gerufen hat. Die rund 50 im Vorstand des Stifterverbandes engagierten Unternehmen und Unternehmensverbände reagieren damit auf das schlechte Abschneiden bei Leistungsvergleichsstudien, den Lehrermangel und die Probleme bei der Fachkräftegewinnung.
Es gebe zwar bereits viele Ansätze und Anregungen, um auf die Bildungsmisere zu reagieren, aber es brauche mehr Bündelung, schrieb Andrea Frank, Mitglied der Geschäftsführung des Stifterverbands, in einem Standpunkt für Table.Briefings: “Wir müssen erkennen, dass sich das Potenzial dieser einzelnen Aktivitäten nur entfalten kann, wenn sie – anders als bisher – Teil einer gebündelten nationalen Bildungsroadmap werden, an deren Umsetzung staatliche Bildungsverantwortliche und private Akteure gemeinsam arbeiten.”
Die Zukunftsmission Bildung besteht aus vier Teilen, die sich auf jeweils eine Herausforderung im Bildungssystem fokussieren. Im April startete die Allianz für Lehrkräfte, in der es vor allem um die Lehrkräftebildung geht. Hauptziel ist hier, die Lehrkräftelücke bis 2030 zu halbieren.
Lesen Sie hier das Interview zur Allianz für Lehrkräfte mit Bettina Jorzik vom Stifterverband
Im Herbst sollen dann noch die zwei weiteren Allianzen starten: “Schule plus”, dabei geht es vor allem um eine bessere Vernetzung von schulischen und außerschulischen Lernangeboten im Ganztag. Auch hier liegt ein Schwerpunkt auf MINT-Themen. Als Viertes startet die “Allianz für Future Skills“. Hier geht es vor allem darum, Studierenden KI-Lernangebote zu machen. aku
Berlin.Table. Freiberufliche Lehrkräfte: Urteil zur Scheinselbstständigkeit gefährdet Bildungsangebote. Ein zwei Jahre altes Urteil des Bundessozialgerichts sorgt für Unsicherheit bei Ländern und Kommunen. An Volkshochschulen und Musikschulen sind Lehrende typischerweise nicht fest angestellt. Warum nun soziale und kulturelle Angebote, aber auch Sprach- und Integrationskurse auf dem Spiel stehen, lesen Sie hier.
Research.Table. Antisemitismus: Warum ein weiterer offener Brief für Kontroversen sorgt. 70 Erstunterzeichnende hatte ein offener Brief gegen Antisemitismus an Hochschulen. Mit bei den “Profs against Antisemitism” dabei: Sabine Döring, Staatssekretärin a.D.. Warum das nur ein Aspekt ist, weshalb viele Wissenschaftler die Initiative kritisch sehen, lesen Sie hier.
Research.Table. Start der Medizinischen Universität Lausitz: So geht es weiter mit dem Leuchtturmprojekt. Die Medizinische Universität Lausitz ist am 1. Juli in Cottbus gestartet. Sie ist in Rekordtempo entstanden und soll die Gesundheitsversorgung verbessern. Was für das Erstsemester geplant ist, lesen Sie hier.
Stuttgarter Zeitung: OECD-Bericht lobt Integration im Bildungssystem. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland gut ab, jedenfalls, wenn es um schulische Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund der zweiten Generation geht. Diese haben sich in den vergangenen Jahren verbessert und sind höher als in den meisten anderen Ländern mit ähnlicher Zuwanderungsquote. Allerdings ist die Differenz zwischen den Leistungen eingewanderter und in Deutschland geborener Kinder gestiegen. Und die OECD empfiehlt zudem, erwachsene Zugewanderte besser auszubilden. (OECD stellt Deutschland bei Integration gutes Zeugnis aus)
Dlf: Ukrainisch als zweite Fremdsprache in Hessen. Ab dem Schuljahr 2024/25 bietet Hessen Ukrainisch als zweite Fremdsprache an, auch im Abitur. Für einen weiterführenden Schulabschluss fehlte ukrainischen Schülern bisher oft noch die zweite Fremdsprache. 300 Lehrkräfte aus der Ukraine werden das Fach unterrichten. 20.000 Kinder und Jugendliche sind infolge des Krieges aus der Ukraine nach Hessen geflüchtet und kommen für den Unterricht infrage. Aber auch deutsche Schüler können teilnehmen. (Pilotversuch in Hessen: Ukrainisch als Fremdsprache)
Deutsches Schulportal: Was Berufsschullehrern die Arbeit erschwert. Das Deutsche Schulbarometer hat gezeigt, dass psychische Belastungen von Schülern an Berufsschulen eine größere Rolle spielen als an anderen Schulen. Auch Verhaltensauffälligkeiten und fehlende Motivation treten häufiger auf. Sven Mohr, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands und Leiter einer Flensburger Berufsschule, berichtet, dass viele an die Berufsschule kommen, weil sie den Schulabschluss nicht geschafft haben. Oft liege das auch an längeren Krankheitsphasen. Seine Schule hat nach mehreren Suizidfällen einen Schulpsychologen und einen Schulsozialarbeiter. Zusätzlich seien Beratungslehrkräfte für Aufgaben ausgebildet worden, die sonst Sozialarbeiter übernehmen. (Schüler an beruflichen Schulen sind häufiger psychisch belastet)
Rheinische Post: Sorgentelefon für Azubis. In Düsseldorf und im Kreis Mettmann können Azubis sich neuerdings an eine Hilfe-Hotline der IHK Düsseldorf wenden. Sie soll Ausbildungsabbrüchen vorbeugen. Derzeit brechen elf Prozent der dortigen Azubis ihre Ausbildung ab. Ursache von Abbrüchen seien neben persönlichen Problemen auch Schwierigkeiten im Betrieb. Über das Hilfetelefon haben die Azubis auch Zugang zu kostenlosen persönlichen Beratungssitzungen. (Bei Problemen finden Azubis hier Hilfe)
Stuttgarter Zeitung: Berufsschulen in Ludwigsburg melden Überlastung bei Beschulung von Flüchtlingen. Es gebe zu wenig Räume und zu wenig Lehrkräfte. Viele Geflüchtete brauchten für den Erwerb der deutschen Sprache und von Grundkenntnissen zudem länger als vorgesehen – bis zu drei Jahre statt wie vorgesehen ein Jahr. Manche haben in ihrem Herkunftsland noch keine Schule besucht. Die Wartezeiten für neue Schüler liegen bei bis zu einem halben Jahr. Das Schulamt verweist zur Entlastung auf Anbieter wie die Volkshochschulen. Doch auch dort fehlen Lehrkräfte. (Berufsschulen schlagen Alarm – “Gibt Jugendliche, die noch nie eine Schule besucht haben”)