was Thüringen, Südtirol und Island miteinander zu tun haben? In all diesen Regionen gibt es Beispiele, wie europäisches Geld sinnvoll für Jugendliche in schwierigen Lagen eingesetzt wird. Allein in Thüringen etwa werden rund 1.000 Teilnehmerplätze in mehr als 60 Projekten aus dem Europäischen Sozialfond Plus (ESF+) finanziert.
Meine Kollegin Vera Kraft hat sich die ESF+-Landschaft angesehen. Sie berichtet in ihrer Analyse, mit welchen Instrumenten Jugendliche in strukturschwachen Regionen geholfen wird, auf die Beine zu kommen. Und auf ihnen zu bleiben.
Die beiden Bildungsforscherinnen Anne Sliwka und Britta Klopsch haben ein neues Buch geschrieben. Es trägt den Titel “Das lernende Schulsystem – Paradigmenwechsel in der Bildung”. Sie wollen Wege aufzeigen, wie das oft so starre Bildungswesen in Bewegung gebracht werden kann. Wie die Schüler, die darin ausgebildet werden, muss das System Lernen lernen. Wie das gehen kann, reißen Sliwka und Klopsch in einem Auszug aus ihrem Buch an, den wir Ihnen exklusiv präsentieren.
In dem Buch geht es – was denn sonst – auch um digitale Bildung. Da gab es zuletzt schlechte Nachrichten. Die Internationale Vergleichstudie für digitale Bildung, ICILS, ergab, dass die digitalen Kompetenzen der Kinder in Deutschland sogar abnehmen.
Wir laden Sie ein, darüber mit uns, vor allem aber mit unseren herausragenden Fach-Panelisten in den Austausch zu kommen. Melden Sie sich hier kostenlos für unser Live.Briefing am Dienstag, 26. November, von 12 bis 13 Uhr an. Mit dabei sind etwa Birgit Eickelmann, wissenschaftliche Leiterin des deutschen Teils der ICILS. Und Christian Büttner, Vorsitzender des Bündnisses für Bildung.
Bleiben Sie uns gewogen.
Wenn Länder und Regionen die Chancen Jugendlicher ohne Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt vergrößern wollen, setzen sie oft auf individuelle Förderung – und EU-Gelder. Allein in Thüringen gibt es mehr als 60 Projekte, die durch den Europäischen Sozialfond Plus (ESF+) finanziert sind und insgesamt rund 1.000 Teilnehmerplätze bieten.
Sie richten sich an Jugendliche, die regelmäßig die Schule schwänzen oder die eine “multiple Problemlage” haben, etwa weil sie unter psychischen Krankheiten, Drogensucht oder familiäre Schwierigkeiten leiden. Doch auch Erwachsene, die Schwierigkeiten haben, (zurück) in den Beruf zu finden, bekommen Unterstützung.
Rund 95 Milliarden Euro nimmt die Europäische Union für den Förderzeitraum 2021 bis 2027 in die Hand, um insbesondere den Arbeitsmarkt und die Kompetenzen zu stärken. Die Mitgliedstaaten stocken mit eigenen Mitteln auf insgesamt 142 Milliarden Euro auf. Deutschland erhält rund 6,56 Milliarden Euro aus dem ESF+.
Wie das Geld eingesetzt wird, wird lokal entschieden. 2023 gab es zwar EU-weit mit 11,2 Prozent so wenig 15- bis 29-Jährige wie noch nie, die weder erwerbstätig noch in Ausbildung oder Studium waren. Doch je nach Land und Region sieht die Situation oft anders aus. In Berlin gibt es beispielsweise mehr als doppelt so viele der sogenannten NEETs (12,1 Prozent) wie in Oberbayern (5,1 Prozent). Und in Nord-Ungarn ist die NEET-Rate mehr als viermal so hoch (16,9 Prozent) wie in Budapest (3,9 Prozent).
In Thüringen ist die Hilfe in drei Projektarten unterteilt:
Die Sozialpädagogen leisten in diesen Projekten viel Einzelarbeit: Sie versuchen die Menschen kennenzulernen, fahren zu ihnen nach Hause und lassen Raum für Entwicklung im eigenen Tempo.
In der Beratung sind mindestens zwei bis drei Gespräche pro Monat vorgesehen, abgedeckt werden soll damit ein ganzes “Lebenspaket”. Unterstützt wird also nicht nur bei Bewerbungen, sondern auch die Wohnungssuche oder der Umgang mit einem Schufa-Eintrag.
In den Kreativwerkstätten besteht kein Ausbildungsdruck. Die Jugendlichen sollen sich erstmal praktisch ausprobieren. Etwa, indem sie erstmals mit Holz arbeiten. Obwohl es am Ende darum geht, einen Schulabschluss nachzuholen oder einen Job zu finden, beginnt alles mit kleinen Zielen: pünktlich zu kommen, beispielsweise.
Über ganz Europa verteilt sind es vor allem ländliche und strukturschwache Regionen, die mit Jugendarbeitslosigkeit und -armut zu kämpfen haben. Die Woiwodschaft Ermland-Masuren im Nordosten Polens ist ein Beispiel dafür. Kaum Industrie, karge Sandböden. Die Region ist wirtschaftlich schwach – und damit für junge Talente nicht attraktiv. Die Arbeitslosenquote ist die höchste in ganz Polen.
In den vergangenen Jahren sind immer mehr (junge) Menschen weggezogen. Bis 2035 rechnet die Region damit, um 100.000 Einwohner zu schrumpfen. Bis 2050 könnten es Prognosen zufolge 230.000 Menschen werden. Das entspräche einem Verlust von 16 Prozent der Bevölkerung dieser Region.
Auch hier sollen mit EU-Geld finanzierte Initiativen die jungen Menschen zum Arbeiten und damit zum Bleiben in der Region bewegen, im schönen “Land der tausend Seen”.
Ein Ansatz sind Schülerstipendien. Allerdings geht die Förderung nicht an Schüler mit herausragenden Leistungen. Sondern an jene, die Lernschwierigkeiten haben. Sie bekommen Mentoren zur Seite gestellt und können an Kursen und Workshops teilnehmen. Dabei sollen die Jugendlichen soziale und berufliche Kompetenzen erlernen, aber auch stärker am Leben vor Ort teilnehmen.
Daneben kooperieren NGOs mit lokalen Behörden, um Freiwilligenzentren zu errichten. Jugendliche ab zwölf Jahren können hier je nach Interesse mit älteren oder behinderten Menschen oder mit Tieren arbeiten. Sie sollen dabei all das lernen, was ihnen die Schule nicht ausreichend vermittelt. Vor allem Soft Skills wie Teamwork, Verantwortung und Empathie stehen im Vordergrund.
Im Norden Italiens, in Südtirol, gibt es beispielsweise in Bozen ein Talentcenter, das teilfinanziert aus dem ESF+ ist. Schwerpunkt ist hier die Berufsorientierung von Zwölf- bis 15-Jährigen. Die Jugendlichen können an standardisierten Tests teilnehmen, die vier bis fünf Stunden dauern. Anschließend erhalten sie einen “Talentreport”, der ihre Stärken und Schwächen aufschlüsselt. Damit können sie sich für ein persönliches Gespräch an die Berufsberatung wenden.
Es gibt auch Projekte, die regionen- und sogar länderübergreifend funktionieren. Das Projekt YENESIS ist eine Kooperation von zehn Partnern aus acht europäischen Ländern mit Fokus auf Inseln. Denn auf Inseln, sei es Island, Irland oder Zypern, gibt es gerade unter jungen Menschen viele Arbeitslose.
YENESIS steht für Youth Employment Network for Energy Sustainability in Islands. Das Projekt bietet Schulungen zu Nachhaltigkeitsthemen. Zudem sollen eine einmonatige Ausbildung sowie ein sechsmonatiges Praktikum Jugendlichen helfen, einen “grünen Job” zu finden.
Gemeinsam ist allen Projekten eine Herausforderung: Junge, erwerbslose Menschen überhaupt zu erreichen. Die Sozialarbeiter im Projekt YENESIS erhalten ihre Informationen von Schulen und der Sozialhilfe und melden sich direkt bei den Jugendlichen. Und auch in Thüringen gibt es Kooperationen mit den Jobcentern, den Schulen und speziellen Anlaufstellen für Jugendliche, die straffällig geworden sind. Hinzu kommt die Mund-zu-Mund-Werbung.
Wichtig sei, nicht locker zu lassen, sagt Arne Håkon Sandnes vom YENESIS-Projekt zu Table.Briefings. “Wir wollen auch den ewigen Zocker aus seinem Keller bekommen und ihm zeigen, wie er seine Skills sinnvoll einsetzen kann.”
In Thüringen gibt es die ESF+-geförderten Projekte nun seit 2014. Mehr als 2.700 Menschen wurden seitdem beraten und betreut. Für immerhin rund 70 Prozent der Teilnehmenden hat sich ihre berufliche Situation verbessert. 35 Prozent der beratenen Jugendlichen konnten in eine Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden.
Dazu kommen die Erfolge, die sich nicht in den Zahlen widerspiegeln. Jugendliche schließen Freundschaften, lernen kochen oder bekommen einen Therapieplatz. Für Lydia Wenzel, die die Projekte in Thüringen fachlich begleitet, ist das die Grundlage, um arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Dabei ist auch die regionale Verwurzelung zentral: Viele teilnehmende Jugendliche erleben erstmals kulturelle und soziale Teilhabe in ihrer Region, indem sie im lokalen Verein Sport machen oder Museen besuchen.
von Anne Sliwka und Britta Klopsch
Jede Organisation, ob im Bildungssektor oder in der Wirtschaft, benötigt klare strategische Ziele, um wirksam und effizient zu arbeiten. Dies gilt umso mehr für Schulsysteme, die von Komplexität geprägt sind und vor allem dann erfolgreich arbeiten, wenn die verschiedenen Ebenen – von der Einzelschule über die Schulaufsicht bis hin zum Ministerium und den Landesinstituten beziehungsweise Qualitätsagenturen – verzahnt agieren. Nur mithilfe einer kohärenten und von allen getragenen strategischen Ausrichtung können Führungskräfte sicherstellen, dass ihre Maßnahmen und Entscheidungen dazu beitragen, übergeordnete Ziele zu erreichen.
Im internationalen Vergleich zeigt sich: In leistungsstarken Schulsystemen agieren alle Ebenen eines Schulsystems zielorientiert und koordiniert. Bildungserfolg ist nicht nur ein individueller Prozess, sondern auch ein kollektives Vorhaben, das die Entwicklung einer Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind die erfolgreichen Schulsysteme von Estland und Singapur:
Beide Beispiele verdeutlichen, dass eine strategische und koordinierte Herangehensweise auf allen Ebenen eines Bildungssystems nicht nur dessen Effizienz und Wirksamkeit steigert, sondern auch die positive gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich fördert. Die klar definierten kohärenten Ziele und die gezielten Strategien beider Länder haben wesentlich dazu beigetragen, dass ihre Schulsysteme weltweit als Erfolgsmodell für Entwicklung von Bildungssystemen gesehen werden.
Wenn die Maßnahmen auf Unterrichts-, Schul-, Schulamts- und Ministeriumsebene nicht zueinander passen, kommt es zu Inkonsistenzen, Widersprüchen, Ressourcenverschwendung, Konflikten, Zynismus und letztlich zur Zielverfehlung. Ein gut ausgerichtetes Schulsystem hingegen, in dem alle Teilbereiche miteinander verzahnt sind und zusammenarbeiten, stellt sicher, dass alle Beteiligten in dieselbe Richtung arbeiten und die ergriffenen Maßnahmen ein kohärentes Gesamtbild ergeben.
Ein Schlüssel, damit dies gelingt, ist datengestütztes Entscheidungshandeln. Wie in anderen Bereichen sind auch im Bildungswesen messbare Indikatoren und die fortlaufende Überprüfung des Erreichten von zentraler Bedeutung. Ohne Daten wissen Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulaufsichtspersonen in Schulsystemen nicht, wo die Schüler:innen und die Schulen in ihrer Entwicklung stehen, welche Fortschritte sie bereits gemacht haben und wo weiterhin Herausforderungen bestehen.
Erst Daten ermöglichen es, das Erreichen strategischer Ziele zu überwachen, den Erfolg oder Misserfolg bestimmter Maßnahmen zu bewerten und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen, denn sie liefern die Grundlage für passgenaue Interventionen, die wiederum die Zielerreichung unterstützen. (…)
(Die Quellen zum Textauszug der Seiten 46 bis 48 finden Sie hier.)
Das Buch “Das lernende Schulsystem – Paradigmenwechsel in der Bildung” erscheint im Beltz Verlag. Es umfasst 228 Seiten und bietet auch ein Glossar zu oft genutzten Begriffen in der Bildungslandschaft: von “adaptives Schulsystem” über “Ko-Konstruktion” und “Lernbänder” bis zu “transformative Führung”. Zudem gibt es zahlreiche kurze Szenen aus der Praxis, die den Wandel jeweils aus der Perspektive einer Lehrerin, eines Schulleiters und einer Schulaufsichtsbeamtin darstellen.
Die digitale Vernetzungsinfrastruktur “Mein Bildungsraum” sei nicht ausreichend gemeinwohlorientiert. Das ist die zentrale Kritik, die Wikimedia auf Basis einer Analyse des Projekts formuliert und am Mittwoch vorstellte. Das ursprüngliche Ziel war es, den Zugang zu Bildung zu erleichtern, sagte Medienwissenschaftlerin Charlotte Echterhoff, die an der Analyse beteiligt war. Das sei gescheitert, stattdessen gehe es nur noch um Zertifikate.
Acht Expertinnen und Experten für digitale Medien haben Mein Bildungsraum für Wikimedia untersucht. Im Fokus standen acht Kriterien, darunter:
Für ein staatliches Projekt, das mit bis zu 630 Millionen Euro veranschlagt ist, bestehe eine politische Pflicht, wenig beteiligte und benachteiligte Gruppen zu involvieren. Allerdings seien die Inklusion und Barrierefreiheit bislang nicht ganzheitlich gedacht, sagte Dustin Matzel, der an der Universität Bielefeld Referent für Innovation und Entwicklung barrierefreier Technologien in Forschung und Lehre ist. Auch wenn die Plattform selbst barrierefrei sei, bringe das nur wenig, wenn sie mit nicht-barrierefreien Inhalten befüllt werde.
Zudem hätten bereits in der Projektplanungsphase mehr Stakeholder und Zielgruppen beteiligt werden sollen, sagt Echterhoff. Dafür hätte das Projekt allerdings sichtbarer gemacht werden müssen – etwa mit Werbung auf Social Media oder über die Einbindung von Schüler- und Elternvertretungen oder Bürgerräten.
Gleichzeitig sei die Zielgruppe schlicht zu diffus und groß gewesen. “Alle” in so kurzer Zeit erreichen zu wollen, sei unmöglich, sagte Echterhoff. Außerdem sei die Zusammenarbeit mit den Länder zu kurz gekommen – eine Kritik, die auch die Länder selbst häufig äußerten.
Als Mein Bildungsraum 2021 unter dem Namen “Nationale Bildungsplattform” gestartet war, waren die Ziele hoch gesteckt. Die Plattform sollte die Bildung digitalisieren und einfachen Zugang zu Lernangeboten schaffen. Spätestens mit der Übergabe des Projekts an die Bundesagentur SPRIND liegt nun ein stärkerer Fokus auf technischen und organisatorischen Funktionen. Anfang des Monats etwa berichtete SPRIND, eine technische Lösung für eine digitale Zeugnismappe gefunden zu haben.
Auch Funktionen für eine digitale Identität und digitale Nachweise soll SPRIND auf den Weg bringen. Ob es aber je eine übergreifende Plattform geben wird und einen eigens erstellten Datenraum für Lernangebote ist ungewiss. Die Kritik sorgt in der SPRIND aber nur bedingt für Unruhe: Das Interesse an der Analyse und dem Austausch bestehe, aber viele der beschriebenen Probleme bezögen sich auf eine Projektphase, in der SPRIND noch nicht verantwortlich gewesen sei. Vera Kraft
Ein nationaler MINT-Aktionsplan von einer neuen Bundesregierung, bei dem alle Ministerien eingebunden sind – das forderte beim Live.Briefing von Bildung.Table am Donnerstag Indra Hadeler, Geschäftsführerin für Bildung bei Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeberverbände in der Metall- und Elektroindustrie. Der neue MINT-Aktionsplan solle “über den Bildungsbereich hinausgehen und auch die Themen Zuwanderung, Digitalisierung, Berufsorientierung, Sprachförderung oder Lehrkräfteausbildung miteinbeziehen”, sagte sie. Der Forderung schlossen sich Kerstin Wagner, Leiterin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn AG, und Axel Plünnecke, Leiter des Bildungsclusters beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), an.
Plünnecke sagte, er hoffe, die neue Bundesregierung werde “einen großen Impuls” setzen und mit allen wichtigen Akteuren in die Umsetzung kommen. Auch Fiona von Prónay diskutierte mit. Sie ist Leiterin für Digitalisierung der Organisation Joblinge, die junge Menschen aus dem Übergangssektor in Ausbildung oder Arbeit bringt – nach eigenen Angaben mit einer Erfolgsquote von 77 Prozent. Von Prónay verantwortet ein MINT-Programm, das den Jugendlichen speziell MINT-Ausbildungsberufe nahebringt. Sie forderte, der Staat sollte solche Programme langfristig finanzieren und generell Geld stärker nach Wirkung und Ergebnissen vergeben.
IW-Forscher Plünnecke äußerte die Hoffnung, ausgehend vom Startchancen-Programm ließen sich noch besser Strukturen schaffen, um Schüler beim Übergang zu unterstützen. Die Arbeit der Joblinge ließe sich dabei institutionell verankern.
Wenn Unternehmen den Jugendlichen in ihrem Programm eine Chance geben, dann sind sie nach Fiona von Prónays Beobachtung oft auch die loyaleren Mitarbeiter. Bei vielen Betrieben sehe sie aber noch Vorbehalte. Gerade bei MINT-Berufen schauten sie stark auf Zeugnisse. Die Deutschen Bahn achtet bei Ausbildungsbewerbern inzwischen gar nicht mehr auf Schulnoten. Auch fordert der Konzern kein Anschreiben mehr – in Zeiten von ChatGPT habe das Kerstin Wagner zufolge schließlich “null Mehrwert”.
Dass der Konzern im Herbst einen Einstellungsrekord mit 6.000 Azubis verzeichnete, führt Wagner darauf zurück, dass sie Jugendlichen die “Hürden so niedrig machen”. Für Schüler mit Migrations- und Fluchthintergrund gebe es Informationen in verschiedenen Sprachen sowie Buddyprogramme. Außerdem setzt die DB auf Meetings mit Eltern, die die duale Ausbildung aus ihrem Herkunftsland nicht kennen. Azubis aus Drittstaaten anzuwerben, sei auch für die Deutsche Bahn, die eine eigene Abteilung für Anwerbung hat, hingegen noch aufwendig. Nur etwa 15 bis 20 Jugendliche werbe sie im Jahr für eine Ausbildung an.
Wagner forderte, MINT-Kompetenzen in den Schulen früh zu vermitteln, genauso wie Berufsorientierung für MINT-Berufe. Die DB kooperiert selbst mit um die 700 Schulen, konzentriert sich dabei jedoch auf die neunte und zehnte Klasse. Indra Hadeler sprach sich dafür aus, schon in der Grundschule berufliche Orientierung stärker in den Unterricht einfließen zu lassen. Gerade beim Ganztagsausbau gelte es, MINT-Bildung in den Vordergrund zu rücken und mit außerschulischen Akteuren zusammenzuarbeiten. Damit Schulen hier nicht überfordert werden, hält sie es für wichtig, dass die Betriebe sich über Netzwerke wie MINT-EC oder “Schule-Wirtschaft” engagieren und gemeinsam auf Schulen zugehen.
Gerade kleine Unternehmen verstehen es Axel Plünnecke zufolge allerdings “noch nicht als ihre Kernaufgabe”, sich in der Grundschule zu engagieren. Sie richteten sich eher an die Schulen, deren Schulabgänger sie auch ausbilden, Haupt-, Real- oder Gesamtschulen. Oft seien sie vielleicht auch “nicht sicher, dass sie als Partner so erwünscht” seien. Anna Parrisius
In einem Leitantrag für den Bundesparteitag der Grünen an diesem Wochenende in Wiesbaden fordert die Grünen-Spitze ein “400-Milliarden-Euro-Investitionspaket für gute Infrastruktur”. Darin sollen Investitionen in Schulen und Kitas “höchste Priorität” haben. Außerdem sollen Krankenhäuser, bezahlbares Wohnen und das Schienennetz von dem Paket profitieren.
In einem Änderungsantrag zum Leitantrag wird zudem das aktuelle Regelwerk der Schuldenbremse als “Zukunftsbremse für Deutschland” bezeichnet. Diese bremse eine “dringend nötige Investitionsoffensive”, etwa im “Bildungssektor sowie in die Digitalisierung”, aus.
In einem weiteren Antrag mit dem Titel “Demokratie schützen – Desinformation entschlossen bekämpfen!” fordern die Antragsteller “eine umfassende Stärkung der digitalen Bildung”, um damit für mehr Medienkompetenz zu sorgen. Dies beinhalte die “Entwicklung und Implementierung” von Lehrplänen an Schulen und Bildungseinrichtungen, “die kritisches Denken, Faktenprüfung und den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien in den Vordergrund stellen”.
Ein Antrag befasst sich ausschließlich mit dem Digitalpakt II, dessen Zukunft nach dem Ampel-Aus ungewiss ist. Der Antrag, gestellt vor dem Zusammenbruch der Regierung, warnt vor einer Unterfinanzierung seitens des Bundes, der bisher 2,5 Milliarden Euro über die kommenden fünf Jahre angeboten hat. Wie viel Geld genau der Bund bereitstellen soll, sagt der Antrag nicht.
Zum Thema Nahost fordert der Antrag “Die Eskalationsspirale durchbrechen – Komplexität und Verantwortung im Nahostkonflikt und in der Nahost-Debatte in Deutschland” eine “verstärkte pädagogische Präventionsarbeit gegen alle Formen von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit”. Bildungseinrichtungen sollen “systematisch Themen wie Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Kolonialgeschichte und weitere Aspekte von Diskriminierung in ihren Lehrplänen verankern”.
Gefordert wird auch die Förderung von Projekten, “die den interkulturellen und interreligiösen Dialog unterstützen”. Und die zudem Extremismusprävention als integralen Bestandteil der Bildungsarbeit verankern. Vielfalt und Unabhängigkeit der Trägerlandschaft in Bildungs- und Präventionsarbeit müsse erhalten und nachhaltig gefördert werden, “um der zunehmenden Polarisierung entgegenzuwirken und die demokratische Resilienz zu stärken”. Thorsten Denkler
Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an Deutschlands allgemeinbildenden Schulen Französisch lernen, wieder deutlicher angewachsen. Im Schuljahr 2023/24 waren es knapp 1,3 Millionen. Das waren 75.000 mehr als im Vorjahr, das einen neuen Tiefststand markiert hatte. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
2006 hatten noch mehr als 1,75 Millionen junge Menschen den Französisch-Unterricht besucht. Von da an sank die Zahl im Grunde kontinuierlich. Nur in zwei Jahren gab es seither einen minimalen Zuwachs.
Für die neunte Konferenz der deutschen Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder und der französischen Rectrices und Recteurs d’académie sind diese Zahlen ein Lichtblick. Die Konferenz findet heute in Saarbrücken statt. Die “Recteurs d’Académie” sind die obersten Schulaufsichtsbeamten eines Verwaltungsbezirks (Académie) in Frankreich. Sie haben den Rang eines Staatssekretärs.
Auf dem Programm der Tagung steht unter anderem ein Blick auf die Sprachstrategien, die Deutschland und Frankreich Anfang 2023 vorgestellt hatten. Sie sollten dabei helfen, die Entwicklung aufzuhalten, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler die Sprache des Nachbarlandes lernen. Die Strategie rät etwa, dass jeder Französischschüler im Verlauf der Schulzeit ein Austauschangebot mit Frankreich erhalten sollte. Auch die Einführung mündlicher Prüfungen als Ersatz für schriftliche Prüfungen wird als beispielhaft genannt.
Aktuelle Zahlen, wie viele Deutschschülerinnen und -schüler es in Frankreich gibt, liegen nicht vor. Das BMBF wies in einer Kleinen Anfrage zu Jahresbeginn darauf hin, dass es 2025 erneut “eine weltweite Erhebung der Deutschlernendenzahlen” geben soll. 2020 waren es in Frankreich demnach etwa 1,15 Millionen Schülerinnen und Schüler. Laut Torsten Heil, Sprecher der KMK, lernen in Frankreich derzeit knapp eine Million Schüler Deutsch. “Die Zahlen sind insgesamt konstant, mit einem leichten Anstieg in der Grundschulbildung.”
Zu dem Treffen in Saarbrücken hatte Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) eingeladen – in ihrer Funktion als “Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheit im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit”. Weitere Einladende sind KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) und die französische Bildungsministerin Anne Genetet. Holger Schleper
Der Grund für das Absinken der Neueinschulungen seien “minimale Schwankungen, die so zu erwarten waren”, sagt Dirk Zorn, Direktor des Programms “Bildung und Next Generation” der Bertelsmann Stiftung, zu Table.Briefings. Das Statistische Bundesamt hatte am Mittwoch einen leichten Rückgang der bundesweiten Neueinschulungen um 0,5 Prozent bekanntgegeben. Der erste Rückgang seit Jahren.
Zorn hatte zu Beginn des Jahres einen starken Geburtenrückgang und entsprechend sinkende Schülerzahlen für die kommenden Jahre prognostiziert. Er hat damit auch Daten der Kultusministerkonferenz infrage gestellt.
Nach 2011, “dem historischen Tiefpunkt der Geburtenentwicklung der vergangenen Jahre”, seien die Geburten bis zu einem ersten neuen Höchststand 2016 gestiegen, sagt Zorn. Danach hätten sie “mehr oder weniger” auf diesem hohen Niveau stagniert oder seien minimal abgesunken.
Wenn die Einschulungen 2024 ein Mix der Geburtsjahrgänge 2017 und 2018 darstellten, “ergibt sich ein leichtes Absinken der Größe der einschulungsrelevanten Geburtskohorten, der den vom Statistischen Bundesamt berichteten Effekt etwa zur Hälfte erklärt”, sagt Zorn. Der Rest seien “möglicherweise zuwanderungsbedingte Schwankungen oder Veränderungen in der Zahl der Einschulungsrückstellungen”. Das Bundesamt führte den Rückgang unter anderem auf die geringere Zuwanderung ukrainischer Kinder zurück. Der Effekt sei “nicht zu vergleichen mit den Geburteneinbrüchen, die wir in den Jahren nach 2021 beobachten”, sagt Zorn.
Zorn korrigiert seine Prognose vom Januar inzwischen weiter nach unten. Anfang dieses Jahres sei er noch davon ausgegangen, dass der Rückgang der Geburten sich stabilisiere und auf dem gemessenen Niveau von 2023 verharre. Was einem Rückgang um etwa 100.000 Geburten in den Jahren 2021 bis 2023 entspreche. Jetzt sagt er: “Die Geburtenzahlen für die ersten acht Monate von 2024 lassen einen weiteren Rückgang auf etwa 97 Prozent der Geburten von 2023 erwarten.” In einigen ostdeutschen Bundesländern falle er “noch deutlich dramatischer aus”.
Die Zahl der Einschulungen liegt dem Statistischen Bundesamt zufolge im laufenden Schuljahr in fast allen Ländern unter dem Vorjahresniveau. Den größten prozentualen Rückgang verzeichnet demnach Brandenburg mit minus 4,4 Prozent, dann Thüringen mit minus 3,9 Prozent und Sachsen-Anhalt mit minus 2,1 Prozent. Ein Anstieg zeigt sich lediglich in Bayern mit plus 0,4 Prozent, Niedersachsen mit plus 0,3 Prozent und Baden-Württemberg mit plus 0,1 Prozent. Thorsten Denkler
Africa.Table: Berliner IHK-Präsident: Azubis aus Namibia bieten großes Potenzial. Der Fachkräftemangel erfordert kreative Lösungen. Die IHK Berlin will es mit einem Ausbildungszentrum in der namibischen Hauptstadt Windhoek probieren. Wie die Kooperationen nach Vorstellung des Berliner IHK-Präsidenten Sebastian Stietzel aussehen soll, lesen Sie hier.
Research.Table: Weltraumgesetz vor dem Aus. Mit dem Regierungsbruch stehen auch die Ampel-Pläne für ein Weltraumgesetz vor dem Aus. Bislang liegen nur Eckpunkte des BMWK vor. Gespräche mit der Union gab es bislang nicht. Welche Ambitionen und Vorstellungen die Union in der Weltraumpolitik hat, lesen Sie hier.
Research.Table: Trump-Administration. Auch in der zweiten Amtszeit Donald Trumps wird es kein eigenes Ministerium für Wissenschaft und Forschung geben. Traditionell werden diese Themen in den USA missions- und themenorientiert behandelt. Experten gehen von Budgetkürzungen, einer restriktiveren Visapolitik und mehr US-Alleingängen aus. Mehr lesen Sie hier.
Research.Table: Fördermittelaffäre. Es dürfte eine der letzten Amtshandlungen von Jens Brandenburg (FDP) als Parlamentarischer Staatssekretär gewesen sein: Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unions-Fraktion zur Fördermittelaffäre. Viel Neues steht nicht drin. Jetzt ist Cem Özdemir gefragt. Mehr lesen Sie hier.
New York Times: Macht Trump das Bildungsministerium dicht? Dieser Frage geht Dana Goldstein nach und versucht, die Wahlkampfaussagen Trumps zu deuten. Darin habe der künftige US-Präsident Donald Trump die öffentlichen Schulen als Verfechter extremer Ideologien in Bezug auf Geschlecht und Rasse dargestellt. Um dem zu begegnen, habe er die Schließung des Bundesministeriums für Bildung ins Spiel gebracht. Gleichzeitig sendete er aber auch Signale, Einfluss auf die Schulen nehmen zu wollen. So erklärte er laut Goldstein, “dass er diejenigen belohnen würde, die einen ausdrücklich patriotischen Lehrplan verfolgen”. (Could Trump shut down the Department of Education?)
Whitepaper: Wie digitale Tools frühe MINT-Bildung verbessern können. Das MINT-Bildungs-Netzwerk International Dialogue on STEM Education gibt in diesem Papier Empfehlungen, wie Vorteile und Risiken für den Technologieeinsatz in der frühen Bildung abgewogen werden können. Unter anderem gelte es, digitale Tools für klare Lernziele zu nutzen. Die Wahl der Lernmethoden solle den Einsatz von Technologie leiten. Digitale Tools sollten das Lernen in der realen Welt nicht ersetzen, nur ergänzen. Und, das unterstreicht das Papier auch, für einen wirksamen Einsatz digitaler Werkzeuge braucht es gut ausgebildete Pädagoginnen und die passende Infrastruktur. (Frühe MINT-Bildung im digitalen Zeitalter)
Tagesspiegel Background: Zukunft von Fairchat in Baden-Württemberg fraglich. Im Ländle sollte mit der landeseigenen Lösung Fairchat ein KI-Tool entstehen, das Schulträgern die Nutzung einer datenschutzkonformen KI-Lösung ermöglicht. Nun zeichnet sich laut Tagesspiegel Background ab, dass es nicht dazu kommt. Fächkräfte hätten festgestellt, “dass auch selbstgebaute Tools bei OpenAI abgerechnet werden müssen. Dadurch scheint das Vorhaben doch zu teuer”. Laut Ministerium sei die endgültige Entscheidung aber noch nicht gefallen. (Baden-Württemberg stellt eigenes Digital-Tool ein)
Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung: NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) verteidigt Abordnung von Lehrkräften. Im Interview mit der Zeitung äußert sich die CDU-Politikerin gegen den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern vorübergehende Versetzungen von maximal zwei Jahren anzuordnen. Es brauche auch solche kurzfristig wirkenden Instrumente. “Ich weiß, dass das umstritten ist.” Aber an den aufnehmenden Schulen blickten die neuen Lehrer in glückliche Gesichter. Allein die Grundschulen in Gelsenkirchen hätten mit dieser Maßnahme dreiviertel ihrer zum Teil seit Jahren offenen Stellen besetzen können. (Ministerin Feller kündigt an: Lehrermangel wird in 2030ern behoben)
Die Zeit: Produktionsschulen in Hamburg eröffnen jungen Menschen neue Wege. Die Wochenzeitung porträtiert diese Schulform genauer. Vor 15 Jahren wurde sie in Hamburg eingeführt, heute gibt es sieben Einrichtungen. “Sie nehmen Jugendliche auf, für die es in klassischen Schulen nicht so gut lief und die ohne Abschluss abzugehen drohen.” 386 Jugendliche haben diese Schulform im Oktober des Vorjahres besucht. Die Produktionsschule sei eine Schule der letzten Chancen. (Produktionsschule in Mümmelmannsberg: Die Schule der letzten Chancen)
Süddeutsche Zeitung: Australien führt eine strikte Altersgrenze für soziale Medien ein. Nächste Woche will das Kabinett von Premier Anthony Albanese dem Parlament ein entsprechendes Gesetz vorschlagen. Zentraler Punkt: “Erst ab 16 Jahren sollen Jugendliche künftig Zugang zu Plattformen wie Facebook, Instagram, Tiktok, X oder Youtube bekommen.” In einem offenen Brief nennen mehr als einhundert Kinderschützer und Jugendforscher den geplanten Bann ein “zu stumpfes Instrument dafür, die Risiken anzugehen”. Sie fordern, “das auch Kindern und Jugendlichen von den Vereinten Nationen verbriefte Recht auf digitale Bildung und Information zu achten”. (Instagram und Tiktok erst ab 16)
was Thüringen, Südtirol und Island miteinander zu tun haben? In all diesen Regionen gibt es Beispiele, wie europäisches Geld sinnvoll für Jugendliche in schwierigen Lagen eingesetzt wird. Allein in Thüringen etwa werden rund 1.000 Teilnehmerplätze in mehr als 60 Projekten aus dem Europäischen Sozialfond Plus (ESF+) finanziert.
Meine Kollegin Vera Kraft hat sich die ESF+-Landschaft angesehen. Sie berichtet in ihrer Analyse, mit welchen Instrumenten Jugendliche in strukturschwachen Regionen geholfen wird, auf die Beine zu kommen. Und auf ihnen zu bleiben.
Die beiden Bildungsforscherinnen Anne Sliwka und Britta Klopsch haben ein neues Buch geschrieben. Es trägt den Titel “Das lernende Schulsystem – Paradigmenwechsel in der Bildung”. Sie wollen Wege aufzeigen, wie das oft so starre Bildungswesen in Bewegung gebracht werden kann. Wie die Schüler, die darin ausgebildet werden, muss das System Lernen lernen. Wie das gehen kann, reißen Sliwka und Klopsch in einem Auszug aus ihrem Buch an, den wir Ihnen exklusiv präsentieren.
In dem Buch geht es – was denn sonst – auch um digitale Bildung. Da gab es zuletzt schlechte Nachrichten. Die Internationale Vergleichstudie für digitale Bildung, ICILS, ergab, dass die digitalen Kompetenzen der Kinder in Deutschland sogar abnehmen.
Wir laden Sie ein, darüber mit uns, vor allem aber mit unseren herausragenden Fach-Panelisten in den Austausch zu kommen. Melden Sie sich hier kostenlos für unser Live.Briefing am Dienstag, 26. November, von 12 bis 13 Uhr an. Mit dabei sind etwa Birgit Eickelmann, wissenschaftliche Leiterin des deutschen Teils der ICILS. Und Christian Büttner, Vorsitzender des Bündnisses für Bildung.
Bleiben Sie uns gewogen.
Wenn Länder und Regionen die Chancen Jugendlicher ohne Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt vergrößern wollen, setzen sie oft auf individuelle Förderung – und EU-Gelder. Allein in Thüringen gibt es mehr als 60 Projekte, die durch den Europäischen Sozialfond Plus (ESF+) finanziert sind und insgesamt rund 1.000 Teilnehmerplätze bieten.
Sie richten sich an Jugendliche, die regelmäßig die Schule schwänzen oder die eine “multiple Problemlage” haben, etwa weil sie unter psychischen Krankheiten, Drogensucht oder familiäre Schwierigkeiten leiden. Doch auch Erwachsene, die Schwierigkeiten haben, (zurück) in den Beruf zu finden, bekommen Unterstützung.
Rund 95 Milliarden Euro nimmt die Europäische Union für den Förderzeitraum 2021 bis 2027 in die Hand, um insbesondere den Arbeitsmarkt und die Kompetenzen zu stärken. Die Mitgliedstaaten stocken mit eigenen Mitteln auf insgesamt 142 Milliarden Euro auf. Deutschland erhält rund 6,56 Milliarden Euro aus dem ESF+.
Wie das Geld eingesetzt wird, wird lokal entschieden. 2023 gab es zwar EU-weit mit 11,2 Prozent so wenig 15- bis 29-Jährige wie noch nie, die weder erwerbstätig noch in Ausbildung oder Studium waren. Doch je nach Land und Region sieht die Situation oft anders aus. In Berlin gibt es beispielsweise mehr als doppelt so viele der sogenannten NEETs (12,1 Prozent) wie in Oberbayern (5,1 Prozent). Und in Nord-Ungarn ist die NEET-Rate mehr als viermal so hoch (16,9 Prozent) wie in Budapest (3,9 Prozent).
In Thüringen ist die Hilfe in drei Projektarten unterteilt:
Die Sozialpädagogen leisten in diesen Projekten viel Einzelarbeit: Sie versuchen die Menschen kennenzulernen, fahren zu ihnen nach Hause und lassen Raum für Entwicklung im eigenen Tempo.
In der Beratung sind mindestens zwei bis drei Gespräche pro Monat vorgesehen, abgedeckt werden soll damit ein ganzes “Lebenspaket”. Unterstützt wird also nicht nur bei Bewerbungen, sondern auch die Wohnungssuche oder der Umgang mit einem Schufa-Eintrag.
In den Kreativwerkstätten besteht kein Ausbildungsdruck. Die Jugendlichen sollen sich erstmal praktisch ausprobieren. Etwa, indem sie erstmals mit Holz arbeiten. Obwohl es am Ende darum geht, einen Schulabschluss nachzuholen oder einen Job zu finden, beginnt alles mit kleinen Zielen: pünktlich zu kommen, beispielsweise.
Über ganz Europa verteilt sind es vor allem ländliche und strukturschwache Regionen, die mit Jugendarbeitslosigkeit und -armut zu kämpfen haben. Die Woiwodschaft Ermland-Masuren im Nordosten Polens ist ein Beispiel dafür. Kaum Industrie, karge Sandböden. Die Region ist wirtschaftlich schwach – und damit für junge Talente nicht attraktiv. Die Arbeitslosenquote ist die höchste in ganz Polen.
In den vergangenen Jahren sind immer mehr (junge) Menschen weggezogen. Bis 2035 rechnet die Region damit, um 100.000 Einwohner zu schrumpfen. Bis 2050 könnten es Prognosen zufolge 230.000 Menschen werden. Das entspräche einem Verlust von 16 Prozent der Bevölkerung dieser Region.
Auch hier sollen mit EU-Geld finanzierte Initiativen die jungen Menschen zum Arbeiten und damit zum Bleiben in der Region bewegen, im schönen “Land der tausend Seen”.
Ein Ansatz sind Schülerstipendien. Allerdings geht die Förderung nicht an Schüler mit herausragenden Leistungen. Sondern an jene, die Lernschwierigkeiten haben. Sie bekommen Mentoren zur Seite gestellt und können an Kursen und Workshops teilnehmen. Dabei sollen die Jugendlichen soziale und berufliche Kompetenzen erlernen, aber auch stärker am Leben vor Ort teilnehmen.
Daneben kooperieren NGOs mit lokalen Behörden, um Freiwilligenzentren zu errichten. Jugendliche ab zwölf Jahren können hier je nach Interesse mit älteren oder behinderten Menschen oder mit Tieren arbeiten. Sie sollen dabei all das lernen, was ihnen die Schule nicht ausreichend vermittelt. Vor allem Soft Skills wie Teamwork, Verantwortung und Empathie stehen im Vordergrund.
Im Norden Italiens, in Südtirol, gibt es beispielsweise in Bozen ein Talentcenter, das teilfinanziert aus dem ESF+ ist. Schwerpunkt ist hier die Berufsorientierung von Zwölf- bis 15-Jährigen. Die Jugendlichen können an standardisierten Tests teilnehmen, die vier bis fünf Stunden dauern. Anschließend erhalten sie einen “Talentreport”, der ihre Stärken und Schwächen aufschlüsselt. Damit können sie sich für ein persönliches Gespräch an die Berufsberatung wenden.
Es gibt auch Projekte, die regionen- und sogar länderübergreifend funktionieren. Das Projekt YENESIS ist eine Kooperation von zehn Partnern aus acht europäischen Ländern mit Fokus auf Inseln. Denn auf Inseln, sei es Island, Irland oder Zypern, gibt es gerade unter jungen Menschen viele Arbeitslose.
YENESIS steht für Youth Employment Network for Energy Sustainability in Islands. Das Projekt bietet Schulungen zu Nachhaltigkeitsthemen. Zudem sollen eine einmonatige Ausbildung sowie ein sechsmonatiges Praktikum Jugendlichen helfen, einen “grünen Job” zu finden.
Gemeinsam ist allen Projekten eine Herausforderung: Junge, erwerbslose Menschen überhaupt zu erreichen. Die Sozialarbeiter im Projekt YENESIS erhalten ihre Informationen von Schulen und der Sozialhilfe und melden sich direkt bei den Jugendlichen. Und auch in Thüringen gibt es Kooperationen mit den Jobcentern, den Schulen und speziellen Anlaufstellen für Jugendliche, die straffällig geworden sind. Hinzu kommt die Mund-zu-Mund-Werbung.
Wichtig sei, nicht locker zu lassen, sagt Arne Håkon Sandnes vom YENESIS-Projekt zu Table.Briefings. “Wir wollen auch den ewigen Zocker aus seinem Keller bekommen und ihm zeigen, wie er seine Skills sinnvoll einsetzen kann.”
In Thüringen gibt es die ESF+-geförderten Projekte nun seit 2014. Mehr als 2.700 Menschen wurden seitdem beraten und betreut. Für immerhin rund 70 Prozent der Teilnehmenden hat sich ihre berufliche Situation verbessert. 35 Prozent der beratenen Jugendlichen konnten in eine Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden.
Dazu kommen die Erfolge, die sich nicht in den Zahlen widerspiegeln. Jugendliche schließen Freundschaften, lernen kochen oder bekommen einen Therapieplatz. Für Lydia Wenzel, die die Projekte in Thüringen fachlich begleitet, ist das die Grundlage, um arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Dabei ist auch die regionale Verwurzelung zentral: Viele teilnehmende Jugendliche erleben erstmals kulturelle und soziale Teilhabe in ihrer Region, indem sie im lokalen Verein Sport machen oder Museen besuchen.
von Anne Sliwka und Britta Klopsch
Jede Organisation, ob im Bildungssektor oder in der Wirtschaft, benötigt klare strategische Ziele, um wirksam und effizient zu arbeiten. Dies gilt umso mehr für Schulsysteme, die von Komplexität geprägt sind und vor allem dann erfolgreich arbeiten, wenn die verschiedenen Ebenen – von der Einzelschule über die Schulaufsicht bis hin zum Ministerium und den Landesinstituten beziehungsweise Qualitätsagenturen – verzahnt agieren. Nur mithilfe einer kohärenten und von allen getragenen strategischen Ausrichtung können Führungskräfte sicherstellen, dass ihre Maßnahmen und Entscheidungen dazu beitragen, übergeordnete Ziele zu erreichen.
Im internationalen Vergleich zeigt sich: In leistungsstarken Schulsystemen agieren alle Ebenen eines Schulsystems zielorientiert und koordiniert. Bildungserfolg ist nicht nur ein individueller Prozess, sondern auch ein kollektives Vorhaben, das die Entwicklung einer Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind die erfolgreichen Schulsysteme von Estland und Singapur:
Beide Beispiele verdeutlichen, dass eine strategische und koordinierte Herangehensweise auf allen Ebenen eines Bildungssystems nicht nur dessen Effizienz und Wirksamkeit steigert, sondern auch die positive gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich fördert. Die klar definierten kohärenten Ziele und die gezielten Strategien beider Länder haben wesentlich dazu beigetragen, dass ihre Schulsysteme weltweit als Erfolgsmodell für Entwicklung von Bildungssystemen gesehen werden.
Wenn die Maßnahmen auf Unterrichts-, Schul-, Schulamts- und Ministeriumsebene nicht zueinander passen, kommt es zu Inkonsistenzen, Widersprüchen, Ressourcenverschwendung, Konflikten, Zynismus und letztlich zur Zielverfehlung. Ein gut ausgerichtetes Schulsystem hingegen, in dem alle Teilbereiche miteinander verzahnt sind und zusammenarbeiten, stellt sicher, dass alle Beteiligten in dieselbe Richtung arbeiten und die ergriffenen Maßnahmen ein kohärentes Gesamtbild ergeben.
Ein Schlüssel, damit dies gelingt, ist datengestütztes Entscheidungshandeln. Wie in anderen Bereichen sind auch im Bildungswesen messbare Indikatoren und die fortlaufende Überprüfung des Erreichten von zentraler Bedeutung. Ohne Daten wissen Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulaufsichtspersonen in Schulsystemen nicht, wo die Schüler:innen und die Schulen in ihrer Entwicklung stehen, welche Fortschritte sie bereits gemacht haben und wo weiterhin Herausforderungen bestehen.
Erst Daten ermöglichen es, das Erreichen strategischer Ziele zu überwachen, den Erfolg oder Misserfolg bestimmter Maßnahmen zu bewerten und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen, denn sie liefern die Grundlage für passgenaue Interventionen, die wiederum die Zielerreichung unterstützen. (…)
(Die Quellen zum Textauszug der Seiten 46 bis 48 finden Sie hier.)
Das Buch “Das lernende Schulsystem – Paradigmenwechsel in der Bildung” erscheint im Beltz Verlag. Es umfasst 228 Seiten und bietet auch ein Glossar zu oft genutzten Begriffen in der Bildungslandschaft: von “adaptives Schulsystem” über “Ko-Konstruktion” und “Lernbänder” bis zu “transformative Führung”. Zudem gibt es zahlreiche kurze Szenen aus der Praxis, die den Wandel jeweils aus der Perspektive einer Lehrerin, eines Schulleiters und einer Schulaufsichtsbeamtin darstellen.
Die digitale Vernetzungsinfrastruktur “Mein Bildungsraum” sei nicht ausreichend gemeinwohlorientiert. Das ist die zentrale Kritik, die Wikimedia auf Basis einer Analyse des Projekts formuliert und am Mittwoch vorstellte. Das ursprüngliche Ziel war es, den Zugang zu Bildung zu erleichtern, sagte Medienwissenschaftlerin Charlotte Echterhoff, die an der Analyse beteiligt war. Das sei gescheitert, stattdessen gehe es nur noch um Zertifikate.
Acht Expertinnen und Experten für digitale Medien haben Mein Bildungsraum für Wikimedia untersucht. Im Fokus standen acht Kriterien, darunter:
Für ein staatliches Projekt, das mit bis zu 630 Millionen Euro veranschlagt ist, bestehe eine politische Pflicht, wenig beteiligte und benachteiligte Gruppen zu involvieren. Allerdings seien die Inklusion und Barrierefreiheit bislang nicht ganzheitlich gedacht, sagte Dustin Matzel, der an der Universität Bielefeld Referent für Innovation und Entwicklung barrierefreier Technologien in Forschung und Lehre ist. Auch wenn die Plattform selbst barrierefrei sei, bringe das nur wenig, wenn sie mit nicht-barrierefreien Inhalten befüllt werde.
Zudem hätten bereits in der Projektplanungsphase mehr Stakeholder und Zielgruppen beteiligt werden sollen, sagt Echterhoff. Dafür hätte das Projekt allerdings sichtbarer gemacht werden müssen – etwa mit Werbung auf Social Media oder über die Einbindung von Schüler- und Elternvertretungen oder Bürgerräten.
Gleichzeitig sei die Zielgruppe schlicht zu diffus und groß gewesen. “Alle” in so kurzer Zeit erreichen zu wollen, sei unmöglich, sagte Echterhoff. Außerdem sei die Zusammenarbeit mit den Länder zu kurz gekommen – eine Kritik, die auch die Länder selbst häufig äußerten.
Als Mein Bildungsraum 2021 unter dem Namen “Nationale Bildungsplattform” gestartet war, waren die Ziele hoch gesteckt. Die Plattform sollte die Bildung digitalisieren und einfachen Zugang zu Lernangeboten schaffen. Spätestens mit der Übergabe des Projekts an die Bundesagentur SPRIND liegt nun ein stärkerer Fokus auf technischen und organisatorischen Funktionen. Anfang des Monats etwa berichtete SPRIND, eine technische Lösung für eine digitale Zeugnismappe gefunden zu haben.
Auch Funktionen für eine digitale Identität und digitale Nachweise soll SPRIND auf den Weg bringen. Ob es aber je eine übergreifende Plattform geben wird und einen eigens erstellten Datenraum für Lernangebote ist ungewiss. Die Kritik sorgt in der SPRIND aber nur bedingt für Unruhe: Das Interesse an der Analyse und dem Austausch bestehe, aber viele der beschriebenen Probleme bezögen sich auf eine Projektphase, in der SPRIND noch nicht verantwortlich gewesen sei. Vera Kraft
Ein nationaler MINT-Aktionsplan von einer neuen Bundesregierung, bei dem alle Ministerien eingebunden sind – das forderte beim Live.Briefing von Bildung.Table am Donnerstag Indra Hadeler, Geschäftsführerin für Bildung bei Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeberverbände in der Metall- und Elektroindustrie. Der neue MINT-Aktionsplan solle “über den Bildungsbereich hinausgehen und auch die Themen Zuwanderung, Digitalisierung, Berufsorientierung, Sprachförderung oder Lehrkräfteausbildung miteinbeziehen”, sagte sie. Der Forderung schlossen sich Kerstin Wagner, Leiterin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn AG, und Axel Plünnecke, Leiter des Bildungsclusters beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), an.
Plünnecke sagte, er hoffe, die neue Bundesregierung werde “einen großen Impuls” setzen und mit allen wichtigen Akteuren in die Umsetzung kommen. Auch Fiona von Prónay diskutierte mit. Sie ist Leiterin für Digitalisierung der Organisation Joblinge, die junge Menschen aus dem Übergangssektor in Ausbildung oder Arbeit bringt – nach eigenen Angaben mit einer Erfolgsquote von 77 Prozent. Von Prónay verantwortet ein MINT-Programm, das den Jugendlichen speziell MINT-Ausbildungsberufe nahebringt. Sie forderte, der Staat sollte solche Programme langfristig finanzieren und generell Geld stärker nach Wirkung und Ergebnissen vergeben.
IW-Forscher Plünnecke äußerte die Hoffnung, ausgehend vom Startchancen-Programm ließen sich noch besser Strukturen schaffen, um Schüler beim Übergang zu unterstützen. Die Arbeit der Joblinge ließe sich dabei institutionell verankern.
Wenn Unternehmen den Jugendlichen in ihrem Programm eine Chance geben, dann sind sie nach Fiona von Prónays Beobachtung oft auch die loyaleren Mitarbeiter. Bei vielen Betrieben sehe sie aber noch Vorbehalte. Gerade bei MINT-Berufen schauten sie stark auf Zeugnisse. Die Deutschen Bahn achtet bei Ausbildungsbewerbern inzwischen gar nicht mehr auf Schulnoten. Auch fordert der Konzern kein Anschreiben mehr – in Zeiten von ChatGPT habe das Kerstin Wagner zufolge schließlich “null Mehrwert”.
Dass der Konzern im Herbst einen Einstellungsrekord mit 6.000 Azubis verzeichnete, führt Wagner darauf zurück, dass sie Jugendlichen die “Hürden so niedrig machen”. Für Schüler mit Migrations- und Fluchthintergrund gebe es Informationen in verschiedenen Sprachen sowie Buddyprogramme. Außerdem setzt die DB auf Meetings mit Eltern, die die duale Ausbildung aus ihrem Herkunftsland nicht kennen. Azubis aus Drittstaaten anzuwerben, sei auch für die Deutsche Bahn, die eine eigene Abteilung für Anwerbung hat, hingegen noch aufwendig. Nur etwa 15 bis 20 Jugendliche werbe sie im Jahr für eine Ausbildung an.
Wagner forderte, MINT-Kompetenzen in den Schulen früh zu vermitteln, genauso wie Berufsorientierung für MINT-Berufe. Die DB kooperiert selbst mit um die 700 Schulen, konzentriert sich dabei jedoch auf die neunte und zehnte Klasse. Indra Hadeler sprach sich dafür aus, schon in der Grundschule berufliche Orientierung stärker in den Unterricht einfließen zu lassen. Gerade beim Ganztagsausbau gelte es, MINT-Bildung in den Vordergrund zu rücken und mit außerschulischen Akteuren zusammenzuarbeiten. Damit Schulen hier nicht überfordert werden, hält sie es für wichtig, dass die Betriebe sich über Netzwerke wie MINT-EC oder “Schule-Wirtschaft” engagieren und gemeinsam auf Schulen zugehen.
Gerade kleine Unternehmen verstehen es Axel Plünnecke zufolge allerdings “noch nicht als ihre Kernaufgabe”, sich in der Grundschule zu engagieren. Sie richteten sich eher an die Schulen, deren Schulabgänger sie auch ausbilden, Haupt-, Real- oder Gesamtschulen. Oft seien sie vielleicht auch “nicht sicher, dass sie als Partner so erwünscht” seien. Anna Parrisius
In einem Leitantrag für den Bundesparteitag der Grünen an diesem Wochenende in Wiesbaden fordert die Grünen-Spitze ein “400-Milliarden-Euro-Investitionspaket für gute Infrastruktur”. Darin sollen Investitionen in Schulen und Kitas “höchste Priorität” haben. Außerdem sollen Krankenhäuser, bezahlbares Wohnen und das Schienennetz von dem Paket profitieren.
In einem Änderungsantrag zum Leitantrag wird zudem das aktuelle Regelwerk der Schuldenbremse als “Zukunftsbremse für Deutschland” bezeichnet. Diese bremse eine “dringend nötige Investitionsoffensive”, etwa im “Bildungssektor sowie in die Digitalisierung”, aus.
In einem weiteren Antrag mit dem Titel “Demokratie schützen – Desinformation entschlossen bekämpfen!” fordern die Antragsteller “eine umfassende Stärkung der digitalen Bildung”, um damit für mehr Medienkompetenz zu sorgen. Dies beinhalte die “Entwicklung und Implementierung” von Lehrplänen an Schulen und Bildungseinrichtungen, “die kritisches Denken, Faktenprüfung und den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien in den Vordergrund stellen”.
Ein Antrag befasst sich ausschließlich mit dem Digitalpakt II, dessen Zukunft nach dem Ampel-Aus ungewiss ist. Der Antrag, gestellt vor dem Zusammenbruch der Regierung, warnt vor einer Unterfinanzierung seitens des Bundes, der bisher 2,5 Milliarden Euro über die kommenden fünf Jahre angeboten hat. Wie viel Geld genau der Bund bereitstellen soll, sagt der Antrag nicht.
Zum Thema Nahost fordert der Antrag “Die Eskalationsspirale durchbrechen – Komplexität und Verantwortung im Nahostkonflikt und in der Nahost-Debatte in Deutschland” eine “verstärkte pädagogische Präventionsarbeit gegen alle Formen von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit”. Bildungseinrichtungen sollen “systematisch Themen wie Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Kolonialgeschichte und weitere Aspekte von Diskriminierung in ihren Lehrplänen verankern”.
Gefordert wird auch die Förderung von Projekten, “die den interkulturellen und interreligiösen Dialog unterstützen”. Und die zudem Extremismusprävention als integralen Bestandteil der Bildungsarbeit verankern. Vielfalt und Unabhängigkeit der Trägerlandschaft in Bildungs- und Präventionsarbeit müsse erhalten und nachhaltig gefördert werden, “um der zunehmenden Polarisierung entgegenzuwirken und die demokratische Resilienz zu stärken”. Thorsten Denkler
Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an Deutschlands allgemeinbildenden Schulen Französisch lernen, wieder deutlicher angewachsen. Im Schuljahr 2023/24 waren es knapp 1,3 Millionen. Das waren 75.000 mehr als im Vorjahr, das einen neuen Tiefststand markiert hatte. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
2006 hatten noch mehr als 1,75 Millionen junge Menschen den Französisch-Unterricht besucht. Von da an sank die Zahl im Grunde kontinuierlich. Nur in zwei Jahren gab es seither einen minimalen Zuwachs.
Für die neunte Konferenz der deutschen Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder und der französischen Rectrices und Recteurs d’académie sind diese Zahlen ein Lichtblick. Die Konferenz findet heute in Saarbrücken statt. Die “Recteurs d’Académie” sind die obersten Schulaufsichtsbeamten eines Verwaltungsbezirks (Académie) in Frankreich. Sie haben den Rang eines Staatssekretärs.
Auf dem Programm der Tagung steht unter anderem ein Blick auf die Sprachstrategien, die Deutschland und Frankreich Anfang 2023 vorgestellt hatten. Sie sollten dabei helfen, die Entwicklung aufzuhalten, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler die Sprache des Nachbarlandes lernen. Die Strategie rät etwa, dass jeder Französischschüler im Verlauf der Schulzeit ein Austauschangebot mit Frankreich erhalten sollte. Auch die Einführung mündlicher Prüfungen als Ersatz für schriftliche Prüfungen wird als beispielhaft genannt.
Aktuelle Zahlen, wie viele Deutschschülerinnen und -schüler es in Frankreich gibt, liegen nicht vor. Das BMBF wies in einer Kleinen Anfrage zu Jahresbeginn darauf hin, dass es 2025 erneut “eine weltweite Erhebung der Deutschlernendenzahlen” geben soll. 2020 waren es in Frankreich demnach etwa 1,15 Millionen Schülerinnen und Schüler. Laut Torsten Heil, Sprecher der KMK, lernen in Frankreich derzeit knapp eine Million Schüler Deutsch. “Die Zahlen sind insgesamt konstant, mit einem leichten Anstieg in der Grundschulbildung.”
Zu dem Treffen in Saarbrücken hatte Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) eingeladen – in ihrer Funktion als “Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheit im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit”. Weitere Einladende sind KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot (SPD) und die französische Bildungsministerin Anne Genetet. Holger Schleper
Der Grund für das Absinken der Neueinschulungen seien “minimale Schwankungen, die so zu erwarten waren”, sagt Dirk Zorn, Direktor des Programms “Bildung und Next Generation” der Bertelsmann Stiftung, zu Table.Briefings. Das Statistische Bundesamt hatte am Mittwoch einen leichten Rückgang der bundesweiten Neueinschulungen um 0,5 Prozent bekanntgegeben. Der erste Rückgang seit Jahren.
Zorn hatte zu Beginn des Jahres einen starken Geburtenrückgang und entsprechend sinkende Schülerzahlen für die kommenden Jahre prognostiziert. Er hat damit auch Daten der Kultusministerkonferenz infrage gestellt.
Nach 2011, “dem historischen Tiefpunkt der Geburtenentwicklung der vergangenen Jahre”, seien die Geburten bis zu einem ersten neuen Höchststand 2016 gestiegen, sagt Zorn. Danach hätten sie “mehr oder weniger” auf diesem hohen Niveau stagniert oder seien minimal abgesunken.
Wenn die Einschulungen 2024 ein Mix der Geburtsjahrgänge 2017 und 2018 darstellten, “ergibt sich ein leichtes Absinken der Größe der einschulungsrelevanten Geburtskohorten, der den vom Statistischen Bundesamt berichteten Effekt etwa zur Hälfte erklärt”, sagt Zorn. Der Rest seien “möglicherweise zuwanderungsbedingte Schwankungen oder Veränderungen in der Zahl der Einschulungsrückstellungen”. Das Bundesamt führte den Rückgang unter anderem auf die geringere Zuwanderung ukrainischer Kinder zurück. Der Effekt sei “nicht zu vergleichen mit den Geburteneinbrüchen, die wir in den Jahren nach 2021 beobachten”, sagt Zorn.
Zorn korrigiert seine Prognose vom Januar inzwischen weiter nach unten. Anfang dieses Jahres sei er noch davon ausgegangen, dass der Rückgang der Geburten sich stabilisiere und auf dem gemessenen Niveau von 2023 verharre. Was einem Rückgang um etwa 100.000 Geburten in den Jahren 2021 bis 2023 entspreche. Jetzt sagt er: “Die Geburtenzahlen für die ersten acht Monate von 2024 lassen einen weiteren Rückgang auf etwa 97 Prozent der Geburten von 2023 erwarten.” In einigen ostdeutschen Bundesländern falle er “noch deutlich dramatischer aus”.
Die Zahl der Einschulungen liegt dem Statistischen Bundesamt zufolge im laufenden Schuljahr in fast allen Ländern unter dem Vorjahresniveau. Den größten prozentualen Rückgang verzeichnet demnach Brandenburg mit minus 4,4 Prozent, dann Thüringen mit minus 3,9 Prozent und Sachsen-Anhalt mit minus 2,1 Prozent. Ein Anstieg zeigt sich lediglich in Bayern mit plus 0,4 Prozent, Niedersachsen mit plus 0,3 Prozent und Baden-Württemberg mit plus 0,1 Prozent. Thorsten Denkler
Africa.Table: Berliner IHK-Präsident: Azubis aus Namibia bieten großes Potenzial. Der Fachkräftemangel erfordert kreative Lösungen. Die IHK Berlin will es mit einem Ausbildungszentrum in der namibischen Hauptstadt Windhoek probieren. Wie die Kooperationen nach Vorstellung des Berliner IHK-Präsidenten Sebastian Stietzel aussehen soll, lesen Sie hier.
Research.Table: Weltraumgesetz vor dem Aus. Mit dem Regierungsbruch stehen auch die Ampel-Pläne für ein Weltraumgesetz vor dem Aus. Bislang liegen nur Eckpunkte des BMWK vor. Gespräche mit der Union gab es bislang nicht. Welche Ambitionen und Vorstellungen die Union in der Weltraumpolitik hat, lesen Sie hier.
Research.Table: Trump-Administration. Auch in der zweiten Amtszeit Donald Trumps wird es kein eigenes Ministerium für Wissenschaft und Forschung geben. Traditionell werden diese Themen in den USA missions- und themenorientiert behandelt. Experten gehen von Budgetkürzungen, einer restriktiveren Visapolitik und mehr US-Alleingängen aus. Mehr lesen Sie hier.
Research.Table: Fördermittelaffäre. Es dürfte eine der letzten Amtshandlungen von Jens Brandenburg (FDP) als Parlamentarischer Staatssekretär gewesen sein: Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unions-Fraktion zur Fördermittelaffäre. Viel Neues steht nicht drin. Jetzt ist Cem Özdemir gefragt. Mehr lesen Sie hier.
New York Times: Macht Trump das Bildungsministerium dicht? Dieser Frage geht Dana Goldstein nach und versucht, die Wahlkampfaussagen Trumps zu deuten. Darin habe der künftige US-Präsident Donald Trump die öffentlichen Schulen als Verfechter extremer Ideologien in Bezug auf Geschlecht und Rasse dargestellt. Um dem zu begegnen, habe er die Schließung des Bundesministeriums für Bildung ins Spiel gebracht. Gleichzeitig sendete er aber auch Signale, Einfluss auf die Schulen nehmen zu wollen. So erklärte er laut Goldstein, “dass er diejenigen belohnen würde, die einen ausdrücklich patriotischen Lehrplan verfolgen”. (Could Trump shut down the Department of Education?)
Whitepaper: Wie digitale Tools frühe MINT-Bildung verbessern können. Das MINT-Bildungs-Netzwerk International Dialogue on STEM Education gibt in diesem Papier Empfehlungen, wie Vorteile und Risiken für den Technologieeinsatz in der frühen Bildung abgewogen werden können. Unter anderem gelte es, digitale Tools für klare Lernziele zu nutzen. Die Wahl der Lernmethoden solle den Einsatz von Technologie leiten. Digitale Tools sollten das Lernen in der realen Welt nicht ersetzen, nur ergänzen. Und, das unterstreicht das Papier auch, für einen wirksamen Einsatz digitaler Werkzeuge braucht es gut ausgebildete Pädagoginnen und die passende Infrastruktur. (Frühe MINT-Bildung im digitalen Zeitalter)
Tagesspiegel Background: Zukunft von Fairchat in Baden-Württemberg fraglich. Im Ländle sollte mit der landeseigenen Lösung Fairchat ein KI-Tool entstehen, das Schulträgern die Nutzung einer datenschutzkonformen KI-Lösung ermöglicht. Nun zeichnet sich laut Tagesspiegel Background ab, dass es nicht dazu kommt. Fächkräfte hätten festgestellt, “dass auch selbstgebaute Tools bei OpenAI abgerechnet werden müssen. Dadurch scheint das Vorhaben doch zu teuer”. Laut Ministerium sei die endgültige Entscheidung aber noch nicht gefallen. (Baden-Württemberg stellt eigenes Digital-Tool ein)
Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung: NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) verteidigt Abordnung von Lehrkräften. Im Interview mit der Zeitung äußert sich die CDU-Politikerin gegen den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern vorübergehende Versetzungen von maximal zwei Jahren anzuordnen. Es brauche auch solche kurzfristig wirkenden Instrumente. “Ich weiß, dass das umstritten ist.” Aber an den aufnehmenden Schulen blickten die neuen Lehrer in glückliche Gesichter. Allein die Grundschulen in Gelsenkirchen hätten mit dieser Maßnahme dreiviertel ihrer zum Teil seit Jahren offenen Stellen besetzen können. (Ministerin Feller kündigt an: Lehrermangel wird in 2030ern behoben)
Die Zeit: Produktionsschulen in Hamburg eröffnen jungen Menschen neue Wege. Die Wochenzeitung porträtiert diese Schulform genauer. Vor 15 Jahren wurde sie in Hamburg eingeführt, heute gibt es sieben Einrichtungen. “Sie nehmen Jugendliche auf, für die es in klassischen Schulen nicht so gut lief und die ohne Abschluss abzugehen drohen.” 386 Jugendliche haben diese Schulform im Oktober des Vorjahres besucht. Die Produktionsschule sei eine Schule der letzten Chancen. (Produktionsschule in Mümmelmannsberg: Die Schule der letzten Chancen)
Süddeutsche Zeitung: Australien führt eine strikte Altersgrenze für soziale Medien ein. Nächste Woche will das Kabinett von Premier Anthony Albanese dem Parlament ein entsprechendes Gesetz vorschlagen. Zentraler Punkt: “Erst ab 16 Jahren sollen Jugendliche künftig Zugang zu Plattformen wie Facebook, Instagram, Tiktok, X oder Youtube bekommen.” In einem offenen Brief nennen mehr als einhundert Kinderschützer und Jugendforscher den geplanten Bann ein “zu stumpfes Instrument dafür, die Risiken anzugehen”. Sie fordern, “das auch Kindern und Jugendlichen von den Vereinten Nationen verbriefte Recht auf digitale Bildung und Information zu achten”. (Instagram und Tiktok erst ab 16)