“Junge Leute haben heute große Angst, sich falsch zu entscheiden”, sagt Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Sie sollten sich dringend mehr ausprobieren. Dabei helfen soll nun das Berufsorientierungspraktikum. Es ist Teil der Ausbildungsgarantie, die die SPD als großen Erfolg verbucht. Der Realitätscheck steht allerdings noch aus, wie meine Kollegin Anna Parrisius aufzeigt.
Einen Realitätscheck der digitalen Lehrerbildung hat Torben Bennink vorgenommen. Sein Ergebnis: “Lehramtsstudierende haben bislang keinen datenschutzkonformen Zugriff auf generative KI-Tools. Selbst in Ländern wie Sachsen-Anhalt, wo Lehrkräfte kostenfrei auf ChatGPT zugreifen können, profitieren die angehenden Lehrer nicht von der Lizenz.” Er hat recherchiert, welche Gründe es dafür gibt.
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher geht in seiner zweiten Kolumne für Bildung.Table der Frage nach, wie Japan sein gutes Abschneiden bei der Pisa-Studie in den Jahren der Pandemie aufrechterhalten konnte und was das Land so krisenfest macht. Eine Erkenntnis: Das Land schafft “Strukturen und Unterstützung, die das Ansehen von Lehrern öffentlich verbessern”.
Weiter verbessern wollen wir uns vom Bildung.Table natürlich auch. Dabei hilft uns Ihr Feedback, durch das wir den Blick auf so manches spannende Thema in der großen Bildungswelt nochmal geschärft haben. Heute lesen Sie die 200. Ausgabe – die Ihnen hoffentlich die gewohnt hintergründigen Informationen liefert. Auf die nächsten 200! Gern mit Ihren Anregungen an bildung@table.media.
Zu einer “Fachkonferenz für berufliche Bildung” lud die SPD-Bundestagsfraktion Anfang der Woche Jugend- und Auszubildendenvertreter, junge Betriebsräte und Gewerkschafter. “Mit der Ausbildungsgarantie sind wir bereits einen großen Schritt in die Zukunft der beruflichen Bildung gegangen”, lautete die optimistische Formulierung in der Veranstaltungsankündigung. Jetzt gelte es, weitere Vorschläge voranzutreiben. Doch was die Ausbildungsgarantie bringen wird – ob sie substanziell mehr jungen Menschen in Ausbildung bringt – ist noch offen.
Andrea Nahles, Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), bezeichnete die neue Garantie bei einer Diskussion etwas nüchtern als “gute Ergänzung zu bestehenden Möglichkeiten”. Auf dem Ausbildungsmarkt sieht sie drei große Probleme:
Große Hoffnung setzt die BA-Chefin in das Berufsorientierungspraktikum, das seit 1. April als Teil der Ausbildungsgarantie in Kraft ist. Bis zu sechs Wochen Praktika können die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter damit nun bei Ausbildungssuchenden unterstützen, in einem Betrieb oder auch in mehreren Betrieben. Übernommen werden die Kosten für Fahrt oder Unterkunft. “Junge Leute haben heute große Angst, sich falsch zu entscheiden”, sagt Nahles. Sie sollten sich dringend mehr ausprobieren.
Weniger erhofft sich die BA-Chefin vom neuen Mobilitätzuschuss. Er soll Jugendliche, die für ihre Lehre umziehen, im ersten Ausbildungsjahr das Geld für zwei Heimfahrten pro Monat erstatten – sofern sie ohne Umzug mindestens zwei Stunden am Tag hätten pendeln müssen. Allein, sagte Nahles, helfe ein solcher Zuschuss aber nicht. Was es dringend brauche, seien eigentlich mehr Azubi-Wohnheime.
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Der zentrale Baustein der Ausbildungsgarantie kommt im August: die Erweiterung der außerbetrieblichen Ausbildung. Sie findet in Bildungseinrichtungen statt, die dafür von der BA beauftragt werden, gegebenenfalls kooperieren die Einrichtungen dazu auch mit Unternehmen, in denen Teile der praktischen Ausbildung stattfinden. Ziel ist es, die Jugendlichen möglichst bald in eine betriebliche Ausbildung zu bringen. Auch hier ist der Effekt jedoch noch fraglich. Jens Peick, für die SPD im Ausschuss für Arbeit und Soziales und selbst ehemals Arbeitsvermittler im Jobcenter, betont zwar, es handele sich um einen Rechtsanspruch – anders als bei anderen Arbeitsförderungsmaßnahmen.
Doch die bisherige Kalkulation des Bundesarbeitsministeriums lässt kein großflächiges Angebot erwarten: 7.000 zusätzliche Plätze für die außerbetriebliche Ausbildung wurden in der Gesetzesbegründung im März 2023 veranschlagt (zum Download). Im Jahr 2022 begannen bereits 10.000 Jugendliche eine außerbetriebliche Ausbildung, wie aus einem Entwurf des noch unveröffentlichten Berufsbildungsberichts hervorgeht, der Table.Briefings vorliegt.
Bisher richtete die außerbetriebliche Ausbildung sich lediglich an junge Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung (in der Regel Jugendliche ohne Hauptschulabschluss), sozial Benachteiligte (unter anderem junge Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten, aber auch Alleinerziehende) und an Jugendliche, die eine Ausbildung abgebrochen haben und für die kein neuer Ausbildungsbetrieb gefunden wurde. Jetzt sollen auch “Marktbenachteiligte” profitieren.
Darunter fällt, wer in einer Region lebt, die eine “erhebliche Unterversorgung an Ausbildungsplätzen” aufweist. Laut BA ist das aktuell für 21 Regionen der Fall.
Die Jugendlichen müssen zudem “hinreichende Bewerbungsbemühungen nachgewiesen sowie Angebote der Berufsberatung wahrgenommen haben“. Und es darf “nicht zu erwarten” sein, dass sie mit anderen ausbildungsfördernden Leistungen der BA noch eine Berufsausbildung aufnehmen.
Konkret heißt das: Die Entscheidung trifft am Ende der zuständige Berufsberater beziehungsweise die zuständige Berufsberaterin. Der SPD-Abgeordnete Peick hält genau das für richtig: “Je mehr Entscheidungsspielraum Berufsberater:innen vor Ort haben, umso individueller und besser können sie auch helfen”, sagt er Table.Briefings. “Es gibt regional große Unterschiede, was das Ausbildungsangebot betrifft. Das hat Auswirkungen darauf, was als hinreichende Bewerbungsbemühung zu verstehen ist.”
Jessica Rosenthal, Berichterstatterin der SPD-Fraktion für berufliche Bildung, hält den Ermessensspielraum der Berater zwar auch für richtig, äußert sich aber zurückhaltender: “Es bleibt abzuwarten, wie effektiv die Arbeitsagentur damit umgeht. Für mich bleibt klar, jeder junge Mensch hat ein Recht auf Ausbildung. Das müssen wir sicherstellen.” Oberste Priorität habe für ihre Fraktion in dieser Wahlperiode: zu sehen, dass die Ausbildungsgarantie Wirkung zeigt. “Wir müssen die Umsetzung vor Ort eng begleiten und nachhaltig evaluieren, um anschließend dort nachbessern zu können, wo nötig.”
Lehramtsstudierende haben bislang keinen datenschutzkonformen Zugriff auf generative KI-Tools. Selbst in Ländern wie Sachsen-Anhalt, wo Lehrkräfte kostenfrei auf ChatGPT zugreifen können, profitieren die angehenden Lehrer nicht von der Lizenz. Das hat sowohl organisatorische als auch finanzielle Gründe.
In Sachsen-Anhalt können Lehrkräfte seit November auf ChatGPT in den Versionen GPT-3.5 und GPT-4 zugreifen, ohne dabei dem dahinterstehenden Konzern OpenAI private Daten preiszugeben. Möglich macht das eine vom Landesinstitut in Halle (LISA) gehostete Schnittstelle über den Landesbildungsserver. Auch in anderen Ländern gibt es Lizenzen, die den Einsatz von ChatGPT zumindest in manchen Schulen ermöglicht.
Dass Studierende in Sachsen-Anhalt nicht von der Landeslizenz profitieren, liegt an den Zuständigkeiten der Bildungsverwaltung. Für die Lehramtsstudierenden ist das Wissenschaftsministerium verantwortlich, für Lehrkräfte das Bildungsministerium. Letzteres stellt über das LISA die Zugangsdaten für den Bildungsserver zur Verfügung. Die KI-Angebote könnten nur von registrierten Nutzern des Bildungsservers beansprucht werden. “Das schließt Studierende in der ersten Phase der Lehrerbildung aus”, erklärt das Bildungsministerium auf Anfrage von Table.Briefings.
Eine Ausnahme gibt es dann, wenn Studierende die Zugangsdaten über die Schule erhalten. Das gilt für alle, die schon während des Studiums an einer Schule arbeiten. Auch Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst können diesen Zugang nutzen.
Matthias Ballod, Professor für die Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Martin-Luther-Universität (MLU) in Halle, beschäftigt sich in Forschung und Lehre schwerpunktmäßig mit digitalen Medien in Lehr-Lern-Kontexten. Anfang 2023 verfasste er mit Kollegen die “Strategie zur Digitalisierung der Lehrer*innenbildung” an der MLU. Darin heißt es, es sei “notwendig, dass sich die angehenden Lehrkräfte mit den Werkzeugen vertraut machen, die in der Schulrealität genutzt werden können”.
Ballod findet, ein Zugriff auf generative KI-Tools, wie es das LISA für Schulen anbietet, sollte auch in der Hochschule etabliert werden. Das würde Lehramtsstudierenden erlauben, die Technologien in einem Rahmen auszuprobieren, “der die deutschen Auflagen an den Datenschutz erfüllt und die Persönlichkeitsrechte wahrt”.
Deswegen – so betonen das Ministerium und Verantwortliche der Universitäten – arbeiten Hochschulen in Sachsen-Anhalt auch mit Hochdruck daran, KI-Tools schon in der Ausbildung nutzbar zu machen. Mindestens zwei große Hindernisse sind auf dem Weg dahin aber zu überwinden:
Von einem Mitarbeiter des LISA erfährt Table.Briefings, dass von offizieller Seite der Hochschulen bislang niemand an das LISA herangetreten sei, um von den Erfahrungen aus dem Schulkontext zu lernen. Einzelne Professoren und Mitarbeiter hätten aber Interesse angemeldet, die Lösung des Landesinstituts zu testen.
In anderen Bundesländern, die Lehrkräften über Lizenzmodelle einen einfachen Zugriff auf ChatGPT und andere generative KI-Tools ermöglichen, zeigt sich eine ähnliche Situation. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz gelten die Zugriffsmöglichkeiten, die über eine Landeslizenz des Fortbildungsunternehmens Fobizz realisiert werden, aktuell nicht für Lehramtsstudierende.
Einzelne Hochschulen wie die Universität Greifswald erproben unabhängig davon derzeit einen Testzugang. An der Universität Rostock hätten sich einzelne Fächer nach einer Probephase aber sogar explizit gegen eine hochschulweite Fobizz-Lizenz ausgesprochen. Im Studium gehe es vor allem darum, erlernte Prinzipien beispielhaft auszuprobieren und zu vertiefen, teilt die Hochschulleitung mit. “Open Source-Werkzeuge sind dafür meist völlig ausreichend, auch wenn ihr Funktionsumfang und ihre Leistung weit hinter kommerziellen Produkten zurückstehen.” Eine Fokussierung auf eine Software sei daher in absehbarer Zeit nicht geplant.
Auch die GEW-Landesvorsitzende Gerth sagt zu Table.Briefings: “Im Rahmen der Medienbildung müssen sich Lehramtsstudierende nicht nur mit den Tools auseinandersetzen, sondern allgemeiner damit, wie man Schülern erklärt, an welchen Stellen im Unterricht man sie einsetzen kann und was KI eben nicht kann.” Doch die Experten Gerth und Ballod sind sich auch einig: Ein einfacher und datensicherer Zugriff auf die Tools, die Schüler längst nutzen, kann den Grundstein dafür legen. Torben Bennink
Eine Möglichkeit, die Struktur und das wahre Gesicht einer Gesellschaft zu erkennen, besteht darin, zu erfahren, wie sie auf eine Krise reagiert. Am 1. Januar 2024, dem Tag, an dem die Welt das neue Jahr feierte, wurde die Noto-Halbinsel in Japan von einem Erdbeben der Stärke 7,6 erschüttert. Als ich im März stundenlang an der Küste entlang durch endlose Gebiete mit eingestürzten Häusern fuhr, konnte ich einige Ruinen sehen, die mit Kreisen und roten Kreuzen markiert waren. Sie zeigten an, wo die Menschen nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Angehörigen verloren hatten.
Aber ich war ebenso beeindruckt davon, wie ein starkes gesellschaftliches Fundament und eine widerstandsfähige Gemeinschaft solche Herausforderungen bewältigen können. Viele fragten sich, wie Japan sein gutes Abschneiden bei der PISA-Studie in den Jahren der Pandemie aufrechterhalten konnte, während in Deutschland und anderen Ländern die Lernergebnisse der Schüler stark zurückgingen. Der Besuch der Noto-Halbinsel hat mir geholfen, dies besser zu verstehen.
Japan ist ein Land, das oft von Naturkatastrophen heimgesucht wird. Aber es ist auch ein Land, das außerordentlich widerstandsfähig ist. Während nach dem Erdbeben viele Menschen die Region Noto verlassen haben, sind Lehrer und Schulleiter geblieben. Wenige Stunden nach dem Erdbeben machten sie sich auf die Suche nach den Schülern und ihren Familien, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit waren. Sobald es die Bedingungen erlaubten, nahmen sie den Unterricht wieder auf. Für Schüler, die aufgrund beschädigter Straßen und Infrastruktur noch nicht zur Schule zurückkehren können, bieten sie Hybridunterricht an.
Selbst in normalen Zeiten ist Japan ein Land, in dem es keine Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben von Lehrern zu geben scheint. Die Lehrer unterrichten nicht nur, sondern nehmen auch die Rollen von Mentoren, Coaches und Sozialarbeitern ein. Rollen, die westliche Länder normalerweise an andere Fachkräfte oder Dienste abgeben. Das bedeutet, dass japanische Lehrer wissen, wer ihre Schüler sind und was sie werden wollen. Und sie begleiten sie und ihre Familien in guten und schwierigen Zeiten. Dies erklärt auch, warum Schüler aus allen sozialen Schichten in Japan hervorragende Bildungsleistungen erbringen.
Durch die Naturkatastrophe sind die Anforderungen an die Lehrkräfte gestiegen, da die Lehrkräfte mit wenig materieller und psychologischer Unterstützung in einem unglaublichen Maß zusätzliche Verantwortung übernommen haben. Satoshi Hirano, Rektor der Wajima High School, führte mich durch seine Schule. Im Gegensatz zu den umliegenden Gebäuden blieb das Schulgebäude erhalten. Was wie ein Wunder aussieht, ist in Wirklichkeit das Ergebnis sorgfältiger Planung und einfallsreicher Ingenieurskunst in diesem Land, in dem Bildung immer Priorität hat und Bildungseinrichtungen vorausschauend und in Erwartung von Naturkatastrophen gebaut werden. Doch vom Spielplatz und der Umgebung der Schule blieben kaum mehr als Schlammfelder übrig.
Schulleiter Hirano schläft in seinem Büro, seit sein eigenes Haus während des Erdbebens eingestürzt ist. Wenn er gefragt wird, räumt er die Schwierigkeiten ein, aber er ist voll und ganz auf das Wohlergehen seiner Schüler und seiner Lehrer ausgerichtet. Wie weit kann man das Engagement und die Widerstandsfähigkeit von Lehrern, die weitgehend auf sich allein gestellt sind, noch strapazieren, bevor das Bildungssystem zusammenbricht? Als ich Schulleiter Hirano zuhörte, mit Tränen in den Augen, aber auch voller Entschlossenheit, ein neues Japan zu schaffen, schien Tokio weit, sehr weit entfernt zu sein. Er stand in krassem Gegensatz zu dem westlichen Klischee von japanischen Bürokraten, die auf Anweisungen von oben warten. Doch der April, die Zeit, in der die Lehrer den Schulen zugeteilt werden, steht vor der Tür. Und er macht sich Sorgen, dass die Lehrer die Region und den Beruf verlassen könnten.
In ganz Japan hat der Unterricht etwas von seiner Magie und Anziehungskraft verloren. Die Regierung versucht, dies durch eine Erhöhung der Lehrergehälter auszugleichen. Aber was die Lehrer vor allem fordern, ist eine bessere soziale Anerkennung, weniger Arbeitsbelastung und eine bessere Unterstützung. Geld ist offensichtlich ein extrinsischer Demotivator – wenn die Gehälter unzureichend sind, kündigen Lehrer ihren Job. Aber Geld ist selten ein intrinsischer Motivator. Was einen Arbeitsplatz attraktiv macht, ist immer eine Kombination aus dem sozialen Status des Jobs, dem Beitrag, den die Menschen ihrer Meinung nach in dem Job leisten können, und dem Ausmaß, in dem die Arbeit intellektuell zufriedenstellt.
Wenn wir uns Länder ansehen, denen es gelingt, großartige Leute für den Lehrerberuf zu gewinnen, können wir zwei Faktoren erkennen, die diese Länder auszeichnen:
Aber diese Faktoren geraten in Japan unter Druck. Der weltweite Trend zur Kommerzialisierung von Bildung, bei dem Schüler zu Konsumenten von Lerninhalten, Lehrer als Dienstleister und Eltern als Kunden gesehen werden, beginnt sich auch in Japan durchzusetzen. Das zerstört eine Tradition, in der die Schule im Mittelpunkt der Gemeinschaft stand.
Am meisten hat mich bei meinem Besuch in Noto beeindruckt, dass Schulleiter Hirano und seine Lehrer selbst in diesem schwierigen Kontext über den Tellerrand blicken. Sie wollen nicht nur die Schule wieder aufbauen. Sie setzen sich auch für einen anderen Aufbau ein, um die Schüler für ihre Zukunft und nicht für unsere Vergangenheit auszubilden. Und um diese Region, die unter Entvölkerung und wirtschaftlichem Niedergang leidet, wiederzubeleben.
Sie wollen ein Bildungssystem aufbauen, das sich weg von der Reproduktion von Bildungsinhalten hin zur Stärkung von Kompetenzen für das Leben entwickelt. Weg von der Bildung für den Nationalstaat hin zur Erziehung im Sinne der Staatsbürgerschaft in der lokalen Gemeinschaft, der japanischen Gesellschaft und der globalen Gemeinschaft. Weg von der Ausbildung für den Wettbewerb, für Prüfungen hin zur Stärkung von tiefem Verständnis, sozialen Fähigkeiten und sozialem Zusammenhalt. Weg von der Erziehung zu einer Haltung, nur das zu tun, was eine Situation erlaubt, hin zu nachhaltigen Werten, die die Gegenwart mit der Zukunft in Einklang bringen.
Dies ist die gekürzte und übersetzte Fassung der Kolumne. Das englische Original finden Sie hier.
Der OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher, ist Statistiker und Bildungsforscher und kritisiert seit Jahren das deutsche Bildungssystem. 2019 erschien sein Buch “Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert”, in dem er zentrale Ergebnisse seiner Forschung zusammenfasst. Er konzipierte die PISA-Studien und stellte 2001 die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vor. Seit 2002 ist er für das PISA-Programm zuständig und beteiligt sich bei zahlreichen weiteren Bildungsprojekten.
Das politische Ringen um die Fortsetzung des Digitalpaktes prägte auch die aktuelle Debatte zum Startchancen-Programm im Bundestag, die die Ampel mit einem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Es werde vieles verbessern, sagte Franziska Krumwiede-Steiner (Grüne). Aber man dürfe die digitalen Kompetenzen nicht vergessen. “Wir brauchen den Digitalpakt 2.0. Wir Grüne erwarten vom BMBF, dass die Verhandlungen mit den Ländern hierzu endlich vorankommen. Der Finanzminister muss die Mittel bereitstellen.”
Auch Nadine Schön (CDU) kritisierte: “Der Digitalpakt 2.0 ist weit und breit nicht in Sicht.” Es gebe “eine Riesen-Verunsicherung bei Ländern und Kommunen”. Im Mai, wenn der Digitalpakt I ausläuft, soll der Entwurf für eine neue Bund-Länder-Vereinbarung zur Fortsetzung des Milliardenprogramms vorliegen. Vorher werden sich die Blicke aber auf den Bundeshaushalt 2025 richten. Verbunden mit der Frage, ob dort die Digitalpakt-Mittel eingestellt sind. Bis Ende nächster Woche sollen die Ministerien, also auch das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geführte BMBF, dem Finanzministerium ihre Pläne vorlegen.
Die Einschätzungen zum Startchancen-Programm schwankten – wie schon in den Vorwochen – zwischen fundamentaler Bildungswende und Tropfen auf den heißen Stein. Ria Schröder (FDP) etwa sprach davon, dass das größte Bildungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik an den Start gehe. Thomas Jarzombek hielt dagegen, dass das Programm zu klein ausfiele. Zudem hielt der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion der Ampel-Koalition vor, dass sie nicht bei der frühkindlichen Bildung ansetzt, also schon vor der Schule.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wollte sich das Programm nicht kleinreden lassen. Es sei ein großer Schritt, und es mache vieles besser als bisherige Bund-Länder-Programme, etwa durch seine Langfristigkeit: “Es läuft über zehn Jahre. Das ist ungewöhnlich, aber absolut sinnvoll.” Und das Programm werde kontinuierlich wissenschaftlich begleitet und evaluiert. “Davon wird unser Bildungssystem als Ganzes profitieren.”
Zugleich machte Esken keinen Hehl daraus, dass grundsätzlich viel mehr in die Bildung investiert werden müsse. Und deshalb platzierte sie noch eine weitere Botschaft. Dafür nahm sie Bezug auf eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, über die der Tagesspiegel berichtete: Über 70 Prozent der Deutschen sind demnach der Meinung, dass die Schuldenbremse für Investitionen in Bildung nicht gelten solle. Holger Schleper
Bis Ende 2026 wollen alle 16 Länder gemeinsam ein neues KI-gestütztes Lernsystem schaffen, das Schüler mit personalisierten Lerninhalten versorgen kann. Für die Umsetzung stehen 52 Millionen Euro aus dem Digitalpakt bereit. Träger des Projekts Adaptives Intelligentes System (AIS) ist das Medieninstitut der Länder (FWU). Die offizielle Ausschreibung des Projekts ist für Anfang Juni vorgesehen – bis dahin soll vor allem noch die Frage der Machbarkeit geklärt werden. Erste ambitionierte Ziele mussten wegen des straffen Zeitplans bereits angepasst werden.
Zuvor wurde an zwei länderübergreifenden KI-gestützten Projekten getüftelt, die ebenfalls aus dem Digitalpakt finanziert wurden. Die zwei Projekte Adaptive Learning Cloud (ALC) und Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) werden nun zusammengelegt. Sie hätten sich bei der Entwicklung “inhaltlich und konzeptionell” aufeinander zubewegt, begründet Andreas Koschinsky, Leiter des FWUs, die Entscheidung. Dazu hätten auch die neuen Möglichkeiten der großen Sprachmodelle (LLM) beigetragen.
Ziel des Projekts AIS ist es, ein KI-gestütztes Lernsystem zu schaffen, bei dem Schüler individuelle Lernpfade einschlagen können. AIS soll also der vorläufigen Ausschreibung zufolge den Lernfortschritt der Kinder und Jugendlichen erfassen und auf dieser Basis Aufgaben und Inhalte individuell anpassen. Das soll wiederum Lehrkräfte unterstützen, ihre Schüler gezielter zu fördern.
Die Lerninhalte können dabei sowohl von kommerziellen als auch nicht kommerziellen Anbietern kommen. “Es ist angedacht, dass die Anbieter über die AIS ihre Inhalte lizenzieren können”, sagte Koschinsky zu Table.Briefings. Geplant ist laut Ausschreibung, die über AIS betriebenen adaptiven Lernmedien dann datenschutzkonform in die Bildungsplattformen der Länder zu integrieren.
Die größte Schwierigkeit dürfte wohl sein, das Projekt bis Ende 2026 fertigzustellen. Diese zeitliche Vorgabe liege an der Laufzeit des Digitalpakts, sagte Koschinsky. Wie Table.Briefings von Projektbeteiligten erfuhr, war anfangs die Überlegung, ein Lernsystem für alle Schulformen, Jahrgangsstufen und Fächer zu entwickeln. Nun ist das Ziel, zum Start der AIS mindestens zwei Fächer in zwei Jahrgangsstufen abdecken zu können. “Die Umsetzung ist ambitioniert, aber realistisch”, zeigte sich FWU-Leiter Koschinsky optimistisch. Vera Kraft
2040 könnten 663.000 IT-Fachkräfte fehlen, das ergibt eine neue Berechnung des Digitalverbands Bitkom, die sich auf Daten des BIBB und Unternehmen stützt. Der Verband fordert daher jetzt eine “ambitionierte Gesamtstrategie”. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst sagte bei der Vorstellung der Ergebnisse: “Eine immer größer werdende Fachkräftelücke in der IT bedeutet einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand. Ohne IT-Spezialistinnen und -Spezialisten verspielt Deutschland seine digitale Zukunft.” Zwar gibt es laut Prognose bis 2040 sogar mehr IT-Fachkräfte als aktuell. Allerdings soll der Bedarf der Wirtschaft gleichzeitig noch stärker wachsen. Schon im vergangenen Jahr meldete Bitkom 149.000 unbesetzte IT-Stellen.
Um die Lücke zu schließen, schlägt der Verband Maßnahmen in mehreren Bereichen vor. In Ausbildung und Studium könnten bis 2040 insgesamt 108.000 zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden:
Weiteres Potenzial sieht der Verband darin, noch mehr Personen über das Renteneinstiegsalter hinaus zu beschäftigen (68.500) und in der Gewinnung von mehr Quereinsteigern (129.500). Der weitaus größten Teil zusätzlicher Kräfte müsse aber durch mehr Zuwanderung komme: Ganze 321.000 IT-Fachkräfte aus Drittstaaten und der EU sollten gewonnen werden. Geht es nach Bitkom-Präsident Wintergerst, dann sollten diese möglichst schon qualifiziert sein. Er sagte: “Sonst gibt es hier einen noch größeren Zeitverzug.” Anna Parrisius
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Rechtschreibfehler in Deutsch-Prüfungen sollen in Schleswig-Holstein ab dem kommenden Schuljahr nur noch qualitativ in die Bewertung einfließen. Bislang war der Fehlerquotient entscheidend für die Note, welcher sich aus dem Verhältnis der Rechtschreibfehler und der geschriebenen Wörter errechnete. Die Änderung soll zu bundesweit einheitlichen Prüfungsbedingungen beitragen, wie die Kieler Nachrichten zuerst berichteten. Die Bewertung der Rechtschreibung und Zeichensetzung soll dennoch weiterhin wichtiger Bestandteil der Note sein, sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU).
Nach Angaben des Bildungsministeriums kommt der Fehlerquotient neben Schleswig-Holstein sonst nur noch in Hessen zum Einsatz. Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, schrieb auf Linkedin, es gebe keine länderübergreifende Regelung für einen Fehlerquotienten. Vereinbarungen gebe es lediglich zur Bewertung der schriftlichen Abiturklausuren. Im Abitur könnten demnach “bei schwerwiegenden Verstößen gegen die sprachliche Richtigkeit” bis zu 2 Punkte, also weniger als eine Note, abgezogen werden.
Basis für die neue Bewertung soll ein differenzierter Analysebogen sein, den das Ministerium aktuell entwickele. Dieser soll den Lehrkräften zum neuen Schuljahr zur Verfügung stehen.
Olaf Köller, Professor für empirische Bildungsforschung und Co-Vorsitzender der SWK, erachtet es für sinnvoll, dass Schüler in Schleswig-Holstein nun stärker inhaltliches Feedback über ihre typischen Fehler bekommen sollen. So eine formative Rückmeldung sei lernförderlicher als der Fehlerquotient, sagt Köller zu Table.Briefings. Allerdings sei fraglich, wie groß der Lerneffekt in der gymnasialen Oberstufe noch sei, gibt er zu bedenken. Wichtig sei daher, bereits in der Mittelstufe auf qualitatives Feedback zu setzen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt die qualitative Fehler-Analyse ebenfalls, wie der NDR berichtete. Da eine entsprechende Förderung aufwendiger sei, forderte sie aber gleichzeitig mehr Zeit für die Lehrkräfte, beispielsweise indem das Land Unterrichtsinhalte reduziere. vkr
Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium und die Wübben Stiftung Bildung haben ein Qualifizierungsprogramm für die Schulaufsicht vereinbart. Es beinhaltet unter anderem Fortbildungen zu datengestützter Schulentwicklung, Konfliktmoderation oder systemischer Beratung. Auch Hospitationen und der Austausch mit Schulaufsichten anderer Bundesländer sind geplant. “Die Schulaufsicht hat eine Schlüsselfunktion im Schulsystem, nicht nur bei der Personalplanung, bei Beratung und Aufsicht, sondern gerade auch bei der Schulentwicklung”, erklärte Ministerin Stefanie Hubig (SPD). Man wolle die Referenten in ihrer Beratungsrolle stärken.
Das Programm läuft bis 2026 und hat ein Volumen von rund 500.000 Euro, teilte das Ministerium Table.Briefings mit. Die Qualifizierung knüpft an die Erfahrungen aus dem Programm “S4 – Schule stärken, starke Schule” an. In ihm unterstützte Rheinland-Pfalz seit 2020 insgesamt 53 Schulen in herausfordernden sozialen Lagen. Dabei stand die Stärkung und Qualifizierung von Schulleiterinnen und Schulleitern im Mittelpunkt. Die Grundlage bildete das Programm “impakt schulleitung” der Wübben Stiftung Bildung.
Eingebunden in “S4” waren auch das Pädagogische Landesinstitut und die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), zentrale Verwaltungsbehörde in Rheinland-Pfalz. Die Schulabteilung der ADD ist nach eigenen Angaben zuständig für knapp 1.600 Schulen und betreut mehr als 41.000 Lehrkräfte.
Mit dem Abschluss des Programms “S4” konkretisiert Rheinland-Pfalz nun auch die weitere Umsetzung des Startchancen-Programms. Vonseiten des Bildungsministeriums hieß es: “Alle S4-Schulen werden auch Startchancen-Schulen werden und können ihren begonnenen Entwicklungsprozess so weitergehen.” hsc
Das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern hängt stark davon ab, in welchem Maß sie mit dissozialem Verhalten und Gewalt in Berührung kommen. Jungen machen im Schnitt mehr dieser negativen Erfahrungen als Mädchen. Und es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen der Lesekompetenz und Erfahrungen mit dissozialem Verhalten. Das zeigt eine Sonderauswertung der Iglu-Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund, die am Dienstag vorgestellt wurde (Kurzbericht der Studie zum Download).
Demnach zeigten Kinder, die häufiger dissoziales Verhalten erleben, eine geringere Lesekompetenz. Und negative soziale Erfahrungen in der Schule könnten auch ein negatives Lernverhalten nach sich ziehen, sagt Justine Stang-Rabrig, die an der Studie mitgewirkt hat, bei der Präsentation der Ergebnisse.
Insgesamt machen Schüler in Deutschland etwas häufiger Erfahrungen mit dissozialem Verhalten als in anderen EU-Ländern. Die Zahlen liegen aber nah am EU-Schnitt. Die meisten Kinder würden Schule allerdings als einen positiven Ort erleben, sagt Institutsleiterin Nele McEvany mit Verweis auf die Studienergebnisse.
Der Appell der Forschenden ist trotzdem: Schule müsse einen stärkeren Fokus auf die Relevanz von Wohlbefinden im Schulkontext legen, um eine bessere Lernatmosphäre und eine höhere Lernbereitschaft zu fördern. Dafür sollten Lehrkräfte und auch Eltern für die Thematik sensibilisiert werden. Und wichtig sei auch, präventiv zu arbeiten und nicht darauf zu warten, bis sich Betroffene melden. Die Forschenden raten daher, auch die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen zu stärken. Davor hätten Schulleitungen allerdings oft Angst, weil sie dem Image der Schule nicht schaden wollen, meint McEvany. Philine Elster
Am Gymnasium Plochingen in Baden-Württemberg testen Schülerinnen und Schüler seit dieser Woche einen Gleitzeitunterricht. An zwei Tagen in der Woche können die Kinder erst zur dritten Stunde erscheinen. Immer wieder wird der für den Biorhythmus von Kindern und Jugendlichen zu frühe Schulbeginn diskutiert. Die Idee eines Gleitzeitunterrichts ist nicht neu. Ein Gymnasium in Alsdorf in Nordrhein-Westfalen führte beispielsweise ein solches Konzept schon vor mehreren Jahren ein. In Plochingen möchte man nun den verkürzten Pflicht-Unterricht für individuelles Lernen nutzen.
Das Projekt entstand auf Wunsch der Schüler und läuft für sechs Wochen. Dabei wird jeweils eine der zwei Doppelstunden Deutsch und Englisch pro Woche zur Gleitzeit. In den Präsenzstunden werden Aufgaben vergeben, die die Kinder dann selbstständig, entweder daheim oder während des Gleitzeitunterrichts, bearbeiten können. Länger in der Schule müssen die Schüler aber nicht bleiben.
Damit leistungsschwache Kinder nicht abgehängt werden, sei denkbar, diese Kinder zur Präsenz zu verpflichten, sagt der verantwortliche Lehrer Till Richter zu Table.Briefings. Dieser Vorschlag kam wohl sogar seitens der Schüler. Richter sieht darin eine Chance, die Kinder stärker individuell zu unterstützen.
Evaluiert wird das Projekt mit drei Umfragen in der Klasse, durchgeführt von den Kindern selbst. Für die beiden beteiligten Lehrkräfte sei vor allem relevant, ob sie gut mit ihren Lerninhalten durchkommen. Mit Klassenarbeiten über den Stoff aus dem Gleitzeitunterricht soll eine Entwicklung der Noten festgehalten werden. Ob das Projekt anschließend weitergeführt oder gar auf andere Klassen ausgeweitet wird, müsse dann entschieden werden. Grundsätzlich zeigte sich die Schulleitung offen dafür. Gabriel Berg
Eigentlich müsste Anja Reinalter schon gut genug ausgelastet sein. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen ist nicht nur Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, sondern auch Parlamentarische Geschäftsführerin. Als solche gehört sie dem Fraktionsvorstand an und kümmert sich um organisatorische Angelegenheiten.
Doch im März kam für sie ein weiteres Amt hinzu: Mit dem Ausscheiden von Nina Stahr aus dem Bundestag musste auch das Amt der bildungs- und forschungspolitischen Sprecherin neu vergeben werden. Denn für Stahr rückte zwar Franziska Krumwiede-Steiner ins Parlament nach; dass sie jedoch als Neuling direkt das Sprecherinnenamt übernimmt, galt als ausgeschlossen.
Die Entscheidung für Anja Reinalter überraschte dennoch: Als Favorit galt eigentlich Stahrs Stellvertreterin Laura Kraft, die sich vor allem als Expertin für Hochschulthemen wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz einen Namen gemacht hatte. Warum die Entscheidung letztendlich auf Reinalter fiel, wollte aus der Grünen-Fraktion niemand kommentieren.
Reinalter ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags, zog über die Landesliste Baden-Württemberg ins Parlament ein. “Ich war schon immer ein politischer Mensch”, erzählt sie im Gespräch mit Table.Briefings. Sie war Klassen- und Schülersprecherin, Elternvertreterin, Vorsitzende des Landesfrauenrats – die Liste ihrer bisherigen Ehrenämter ist lang. Dem Stadtrat in ihrer Heimatstadt Laupheim und dem Kreistag Biberach gehört sie auch als Bundestagsabgeordnete noch an. 2011 erhielt sie für ihr Engagement als Kommunalpolitikerin den Helene-Weber-Preis.
Auch der berufliche Werdegang der studierten Erziehungswissenschaftlerin ist vielfältig: Zunächst arbeitete sie als Pflegerin für Menschen mit Behinderung und als Referentin in der Erwachsenenbildung. Anschließend wurde sie Berufsschullehrerin für angehende Erzieherinnen und Erzieher und Pflegefachkräfte. 2020 wurde sie schließlich Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit an der Hochschule Kempten.
Aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit habe sie viel für den Job als Politikerin mitgenommen: “Kommunikation und der Umgang mit Menschen spielen als Lehrerin und Professorin eine entscheidende Rolle”, erzählt sie. “Auch für meine Aufgabe als Parlamentarische Geschäftsführerin muss ich wissen: Wie geht man mit einer Gruppe um? Wie fördert man Teamgeist?” Außerdem kenne sie viele unterschiedliche Lebensentwürfe.
In der Fraktion kümmert sich Reinalter vor allem um die berufliche Bildung – das soll sich auch durch ihr Amt als Sprecherin nicht ändern. “Ich stehe für die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung“, erklärt sie. Dabei sehe sie noch viel Aufholbedarf: “Es ist zum Beispiel normal, dass es Studentenwohnheime gibt, aber es gibt kaum Azubi-Wohnheime. Und wenn es im ÖPNV ein Studi-Ticket gibt, sollte es auch ein Azubi-Ticket geben.”
Mit ihrer Vorgängerin Nina Stahr, die fraktionsübergreifend hohe Anerkennung genoss, verbinde sie vieles: “Sie ist auch Mutter von drei Kindern und total gut organisiert”, so Reinalter. Sie setze daher auf ein konstruktives Miteinander innerhalb der Koalition: “Für mich ist es wichtig, gute Kompromisse zu finden. Das ist für mich der Kern der Demokratie.” Maximilian Stascheit
Research.Table: TU Dresden schmiedet Bündnis für Demokratie. Im September wird in Sachsen gewählt. Derzeit liegt in Umfragen die AfD vorne. Ein Bündnis aus Dresdner Wissenschafts- und Kultureinrichtungen – das alleine 20.000 Forschende umfassen soll – plant nun für Mai eine Demonstration für die Demokratie. Parteipolitisch will man sich nicht einmischen. Mehr
Research.Table: Besserstellungsverbot: Forschungseinrichtungen drängen auf gesetzliche Regelung. Das Ringen der Industrieforschungseinrichtungen um die Gleichstellung mit Bund-Länder-finanzierten Forschungseinrichtungen hält an. Damit sie marktübliche Gehälter zahlen können, bedarf es entweder einer Regelung im Haushaltsgesetz oder einer Änderung des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes. Mehr
“Junge Leute haben heute große Angst, sich falsch zu entscheiden”, sagt Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Sie sollten sich dringend mehr ausprobieren. Dabei helfen soll nun das Berufsorientierungspraktikum. Es ist Teil der Ausbildungsgarantie, die die SPD als großen Erfolg verbucht. Der Realitätscheck steht allerdings noch aus, wie meine Kollegin Anna Parrisius aufzeigt.
Einen Realitätscheck der digitalen Lehrerbildung hat Torben Bennink vorgenommen. Sein Ergebnis: “Lehramtsstudierende haben bislang keinen datenschutzkonformen Zugriff auf generative KI-Tools. Selbst in Ländern wie Sachsen-Anhalt, wo Lehrkräfte kostenfrei auf ChatGPT zugreifen können, profitieren die angehenden Lehrer nicht von der Lizenz.” Er hat recherchiert, welche Gründe es dafür gibt.
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher geht in seiner zweiten Kolumne für Bildung.Table der Frage nach, wie Japan sein gutes Abschneiden bei der Pisa-Studie in den Jahren der Pandemie aufrechterhalten konnte und was das Land so krisenfest macht. Eine Erkenntnis: Das Land schafft “Strukturen und Unterstützung, die das Ansehen von Lehrern öffentlich verbessern”.
Weiter verbessern wollen wir uns vom Bildung.Table natürlich auch. Dabei hilft uns Ihr Feedback, durch das wir den Blick auf so manches spannende Thema in der großen Bildungswelt nochmal geschärft haben. Heute lesen Sie die 200. Ausgabe – die Ihnen hoffentlich die gewohnt hintergründigen Informationen liefert. Auf die nächsten 200! Gern mit Ihren Anregungen an bildung@table.media.
Zu einer “Fachkonferenz für berufliche Bildung” lud die SPD-Bundestagsfraktion Anfang der Woche Jugend- und Auszubildendenvertreter, junge Betriebsräte und Gewerkschafter. “Mit der Ausbildungsgarantie sind wir bereits einen großen Schritt in die Zukunft der beruflichen Bildung gegangen”, lautete die optimistische Formulierung in der Veranstaltungsankündigung. Jetzt gelte es, weitere Vorschläge voranzutreiben. Doch was die Ausbildungsgarantie bringen wird – ob sie substanziell mehr jungen Menschen in Ausbildung bringt – ist noch offen.
Andrea Nahles, Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), bezeichnete die neue Garantie bei einer Diskussion etwas nüchtern als “gute Ergänzung zu bestehenden Möglichkeiten”. Auf dem Ausbildungsmarkt sieht sie drei große Probleme:
Große Hoffnung setzt die BA-Chefin in das Berufsorientierungspraktikum, das seit 1. April als Teil der Ausbildungsgarantie in Kraft ist. Bis zu sechs Wochen Praktika können die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter damit nun bei Ausbildungssuchenden unterstützen, in einem Betrieb oder auch in mehreren Betrieben. Übernommen werden die Kosten für Fahrt oder Unterkunft. “Junge Leute haben heute große Angst, sich falsch zu entscheiden”, sagt Nahles. Sie sollten sich dringend mehr ausprobieren.
Weniger erhofft sich die BA-Chefin vom neuen Mobilitätzuschuss. Er soll Jugendliche, die für ihre Lehre umziehen, im ersten Ausbildungsjahr das Geld für zwei Heimfahrten pro Monat erstatten – sofern sie ohne Umzug mindestens zwei Stunden am Tag hätten pendeln müssen. Allein, sagte Nahles, helfe ein solcher Zuschuss aber nicht. Was es dringend brauche, seien eigentlich mehr Azubi-Wohnheime.
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Der zentrale Baustein der Ausbildungsgarantie kommt im August: die Erweiterung der außerbetrieblichen Ausbildung. Sie findet in Bildungseinrichtungen statt, die dafür von der BA beauftragt werden, gegebenenfalls kooperieren die Einrichtungen dazu auch mit Unternehmen, in denen Teile der praktischen Ausbildung stattfinden. Ziel ist es, die Jugendlichen möglichst bald in eine betriebliche Ausbildung zu bringen. Auch hier ist der Effekt jedoch noch fraglich. Jens Peick, für die SPD im Ausschuss für Arbeit und Soziales und selbst ehemals Arbeitsvermittler im Jobcenter, betont zwar, es handele sich um einen Rechtsanspruch – anders als bei anderen Arbeitsförderungsmaßnahmen.
Doch die bisherige Kalkulation des Bundesarbeitsministeriums lässt kein großflächiges Angebot erwarten: 7.000 zusätzliche Plätze für die außerbetriebliche Ausbildung wurden in der Gesetzesbegründung im März 2023 veranschlagt (zum Download). Im Jahr 2022 begannen bereits 10.000 Jugendliche eine außerbetriebliche Ausbildung, wie aus einem Entwurf des noch unveröffentlichten Berufsbildungsberichts hervorgeht, der Table.Briefings vorliegt.
Bisher richtete die außerbetriebliche Ausbildung sich lediglich an junge Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung (in der Regel Jugendliche ohne Hauptschulabschluss), sozial Benachteiligte (unter anderem junge Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten, aber auch Alleinerziehende) und an Jugendliche, die eine Ausbildung abgebrochen haben und für die kein neuer Ausbildungsbetrieb gefunden wurde. Jetzt sollen auch “Marktbenachteiligte” profitieren.
Darunter fällt, wer in einer Region lebt, die eine “erhebliche Unterversorgung an Ausbildungsplätzen” aufweist. Laut BA ist das aktuell für 21 Regionen der Fall.
Die Jugendlichen müssen zudem “hinreichende Bewerbungsbemühungen nachgewiesen sowie Angebote der Berufsberatung wahrgenommen haben“. Und es darf “nicht zu erwarten” sein, dass sie mit anderen ausbildungsfördernden Leistungen der BA noch eine Berufsausbildung aufnehmen.
Konkret heißt das: Die Entscheidung trifft am Ende der zuständige Berufsberater beziehungsweise die zuständige Berufsberaterin. Der SPD-Abgeordnete Peick hält genau das für richtig: “Je mehr Entscheidungsspielraum Berufsberater:innen vor Ort haben, umso individueller und besser können sie auch helfen”, sagt er Table.Briefings. “Es gibt regional große Unterschiede, was das Ausbildungsangebot betrifft. Das hat Auswirkungen darauf, was als hinreichende Bewerbungsbemühung zu verstehen ist.”
Jessica Rosenthal, Berichterstatterin der SPD-Fraktion für berufliche Bildung, hält den Ermessensspielraum der Berater zwar auch für richtig, äußert sich aber zurückhaltender: “Es bleibt abzuwarten, wie effektiv die Arbeitsagentur damit umgeht. Für mich bleibt klar, jeder junge Mensch hat ein Recht auf Ausbildung. Das müssen wir sicherstellen.” Oberste Priorität habe für ihre Fraktion in dieser Wahlperiode: zu sehen, dass die Ausbildungsgarantie Wirkung zeigt. “Wir müssen die Umsetzung vor Ort eng begleiten und nachhaltig evaluieren, um anschließend dort nachbessern zu können, wo nötig.”
Lehramtsstudierende haben bislang keinen datenschutzkonformen Zugriff auf generative KI-Tools. Selbst in Ländern wie Sachsen-Anhalt, wo Lehrkräfte kostenfrei auf ChatGPT zugreifen können, profitieren die angehenden Lehrer nicht von der Lizenz. Das hat sowohl organisatorische als auch finanzielle Gründe.
In Sachsen-Anhalt können Lehrkräfte seit November auf ChatGPT in den Versionen GPT-3.5 und GPT-4 zugreifen, ohne dabei dem dahinterstehenden Konzern OpenAI private Daten preiszugeben. Möglich macht das eine vom Landesinstitut in Halle (LISA) gehostete Schnittstelle über den Landesbildungsserver. Auch in anderen Ländern gibt es Lizenzen, die den Einsatz von ChatGPT zumindest in manchen Schulen ermöglicht.
Dass Studierende in Sachsen-Anhalt nicht von der Landeslizenz profitieren, liegt an den Zuständigkeiten der Bildungsverwaltung. Für die Lehramtsstudierenden ist das Wissenschaftsministerium verantwortlich, für Lehrkräfte das Bildungsministerium. Letzteres stellt über das LISA die Zugangsdaten für den Bildungsserver zur Verfügung. Die KI-Angebote könnten nur von registrierten Nutzern des Bildungsservers beansprucht werden. “Das schließt Studierende in der ersten Phase der Lehrerbildung aus”, erklärt das Bildungsministerium auf Anfrage von Table.Briefings.
Eine Ausnahme gibt es dann, wenn Studierende die Zugangsdaten über die Schule erhalten. Das gilt für alle, die schon während des Studiums an einer Schule arbeiten. Auch Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst können diesen Zugang nutzen.
Matthias Ballod, Professor für die Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Martin-Luther-Universität (MLU) in Halle, beschäftigt sich in Forschung und Lehre schwerpunktmäßig mit digitalen Medien in Lehr-Lern-Kontexten. Anfang 2023 verfasste er mit Kollegen die “Strategie zur Digitalisierung der Lehrer*innenbildung” an der MLU. Darin heißt es, es sei “notwendig, dass sich die angehenden Lehrkräfte mit den Werkzeugen vertraut machen, die in der Schulrealität genutzt werden können”.
Ballod findet, ein Zugriff auf generative KI-Tools, wie es das LISA für Schulen anbietet, sollte auch in der Hochschule etabliert werden. Das würde Lehramtsstudierenden erlauben, die Technologien in einem Rahmen auszuprobieren, “der die deutschen Auflagen an den Datenschutz erfüllt und die Persönlichkeitsrechte wahrt”.
Deswegen – so betonen das Ministerium und Verantwortliche der Universitäten – arbeiten Hochschulen in Sachsen-Anhalt auch mit Hochdruck daran, KI-Tools schon in der Ausbildung nutzbar zu machen. Mindestens zwei große Hindernisse sind auf dem Weg dahin aber zu überwinden:
Von einem Mitarbeiter des LISA erfährt Table.Briefings, dass von offizieller Seite der Hochschulen bislang niemand an das LISA herangetreten sei, um von den Erfahrungen aus dem Schulkontext zu lernen. Einzelne Professoren und Mitarbeiter hätten aber Interesse angemeldet, die Lösung des Landesinstituts zu testen.
In anderen Bundesländern, die Lehrkräften über Lizenzmodelle einen einfachen Zugriff auf ChatGPT und andere generative KI-Tools ermöglichen, zeigt sich eine ähnliche Situation. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz gelten die Zugriffsmöglichkeiten, die über eine Landeslizenz des Fortbildungsunternehmens Fobizz realisiert werden, aktuell nicht für Lehramtsstudierende.
Einzelne Hochschulen wie die Universität Greifswald erproben unabhängig davon derzeit einen Testzugang. An der Universität Rostock hätten sich einzelne Fächer nach einer Probephase aber sogar explizit gegen eine hochschulweite Fobizz-Lizenz ausgesprochen. Im Studium gehe es vor allem darum, erlernte Prinzipien beispielhaft auszuprobieren und zu vertiefen, teilt die Hochschulleitung mit. “Open Source-Werkzeuge sind dafür meist völlig ausreichend, auch wenn ihr Funktionsumfang und ihre Leistung weit hinter kommerziellen Produkten zurückstehen.” Eine Fokussierung auf eine Software sei daher in absehbarer Zeit nicht geplant.
Auch die GEW-Landesvorsitzende Gerth sagt zu Table.Briefings: “Im Rahmen der Medienbildung müssen sich Lehramtsstudierende nicht nur mit den Tools auseinandersetzen, sondern allgemeiner damit, wie man Schülern erklärt, an welchen Stellen im Unterricht man sie einsetzen kann und was KI eben nicht kann.” Doch die Experten Gerth und Ballod sind sich auch einig: Ein einfacher und datensicherer Zugriff auf die Tools, die Schüler längst nutzen, kann den Grundstein dafür legen. Torben Bennink
Eine Möglichkeit, die Struktur und das wahre Gesicht einer Gesellschaft zu erkennen, besteht darin, zu erfahren, wie sie auf eine Krise reagiert. Am 1. Januar 2024, dem Tag, an dem die Welt das neue Jahr feierte, wurde die Noto-Halbinsel in Japan von einem Erdbeben der Stärke 7,6 erschüttert. Als ich im März stundenlang an der Küste entlang durch endlose Gebiete mit eingestürzten Häusern fuhr, konnte ich einige Ruinen sehen, die mit Kreisen und roten Kreuzen markiert waren. Sie zeigten an, wo die Menschen nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Angehörigen verloren hatten.
Aber ich war ebenso beeindruckt davon, wie ein starkes gesellschaftliches Fundament und eine widerstandsfähige Gemeinschaft solche Herausforderungen bewältigen können. Viele fragten sich, wie Japan sein gutes Abschneiden bei der PISA-Studie in den Jahren der Pandemie aufrechterhalten konnte, während in Deutschland und anderen Ländern die Lernergebnisse der Schüler stark zurückgingen. Der Besuch der Noto-Halbinsel hat mir geholfen, dies besser zu verstehen.
Japan ist ein Land, das oft von Naturkatastrophen heimgesucht wird. Aber es ist auch ein Land, das außerordentlich widerstandsfähig ist. Während nach dem Erdbeben viele Menschen die Region Noto verlassen haben, sind Lehrer und Schulleiter geblieben. Wenige Stunden nach dem Erdbeben machten sie sich auf die Suche nach den Schülern und ihren Familien, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit waren. Sobald es die Bedingungen erlaubten, nahmen sie den Unterricht wieder auf. Für Schüler, die aufgrund beschädigter Straßen und Infrastruktur noch nicht zur Schule zurückkehren können, bieten sie Hybridunterricht an.
Selbst in normalen Zeiten ist Japan ein Land, in dem es keine Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben von Lehrern zu geben scheint. Die Lehrer unterrichten nicht nur, sondern nehmen auch die Rollen von Mentoren, Coaches und Sozialarbeitern ein. Rollen, die westliche Länder normalerweise an andere Fachkräfte oder Dienste abgeben. Das bedeutet, dass japanische Lehrer wissen, wer ihre Schüler sind und was sie werden wollen. Und sie begleiten sie und ihre Familien in guten und schwierigen Zeiten. Dies erklärt auch, warum Schüler aus allen sozialen Schichten in Japan hervorragende Bildungsleistungen erbringen.
Durch die Naturkatastrophe sind die Anforderungen an die Lehrkräfte gestiegen, da die Lehrkräfte mit wenig materieller und psychologischer Unterstützung in einem unglaublichen Maß zusätzliche Verantwortung übernommen haben. Satoshi Hirano, Rektor der Wajima High School, führte mich durch seine Schule. Im Gegensatz zu den umliegenden Gebäuden blieb das Schulgebäude erhalten. Was wie ein Wunder aussieht, ist in Wirklichkeit das Ergebnis sorgfältiger Planung und einfallsreicher Ingenieurskunst in diesem Land, in dem Bildung immer Priorität hat und Bildungseinrichtungen vorausschauend und in Erwartung von Naturkatastrophen gebaut werden. Doch vom Spielplatz und der Umgebung der Schule blieben kaum mehr als Schlammfelder übrig.
Schulleiter Hirano schläft in seinem Büro, seit sein eigenes Haus während des Erdbebens eingestürzt ist. Wenn er gefragt wird, räumt er die Schwierigkeiten ein, aber er ist voll und ganz auf das Wohlergehen seiner Schüler und seiner Lehrer ausgerichtet. Wie weit kann man das Engagement und die Widerstandsfähigkeit von Lehrern, die weitgehend auf sich allein gestellt sind, noch strapazieren, bevor das Bildungssystem zusammenbricht? Als ich Schulleiter Hirano zuhörte, mit Tränen in den Augen, aber auch voller Entschlossenheit, ein neues Japan zu schaffen, schien Tokio weit, sehr weit entfernt zu sein. Er stand in krassem Gegensatz zu dem westlichen Klischee von japanischen Bürokraten, die auf Anweisungen von oben warten. Doch der April, die Zeit, in der die Lehrer den Schulen zugeteilt werden, steht vor der Tür. Und er macht sich Sorgen, dass die Lehrer die Region und den Beruf verlassen könnten.
In ganz Japan hat der Unterricht etwas von seiner Magie und Anziehungskraft verloren. Die Regierung versucht, dies durch eine Erhöhung der Lehrergehälter auszugleichen. Aber was die Lehrer vor allem fordern, ist eine bessere soziale Anerkennung, weniger Arbeitsbelastung und eine bessere Unterstützung. Geld ist offensichtlich ein extrinsischer Demotivator – wenn die Gehälter unzureichend sind, kündigen Lehrer ihren Job. Aber Geld ist selten ein intrinsischer Motivator. Was einen Arbeitsplatz attraktiv macht, ist immer eine Kombination aus dem sozialen Status des Jobs, dem Beitrag, den die Menschen ihrer Meinung nach in dem Job leisten können, und dem Ausmaß, in dem die Arbeit intellektuell zufriedenstellt.
Wenn wir uns Länder ansehen, denen es gelingt, großartige Leute für den Lehrerberuf zu gewinnen, können wir zwei Faktoren erkennen, die diese Länder auszeichnen:
Aber diese Faktoren geraten in Japan unter Druck. Der weltweite Trend zur Kommerzialisierung von Bildung, bei dem Schüler zu Konsumenten von Lerninhalten, Lehrer als Dienstleister und Eltern als Kunden gesehen werden, beginnt sich auch in Japan durchzusetzen. Das zerstört eine Tradition, in der die Schule im Mittelpunkt der Gemeinschaft stand.
Am meisten hat mich bei meinem Besuch in Noto beeindruckt, dass Schulleiter Hirano und seine Lehrer selbst in diesem schwierigen Kontext über den Tellerrand blicken. Sie wollen nicht nur die Schule wieder aufbauen. Sie setzen sich auch für einen anderen Aufbau ein, um die Schüler für ihre Zukunft und nicht für unsere Vergangenheit auszubilden. Und um diese Region, die unter Entvölkerung und wirtschaftlichem Niedergang leidet, wiederzubeleben.
Sie wollen ein Bildungssystem aufbauen, das sich weg von der Reproduktion von Bildungsinhalten hin zur Stärkung von Kompetenzen für das Leben entwickelt. Weg von der Bildung für den Nationalstaat hin zur Erziehung im Sinne der Staatsbürgerschaft in der lokalen Gemeinschaft, der japanischen Gesellschaft und der globalen Gemeinschaft. Weg von der Ausbildung für den Wettbewerb, für Prüfungen hin zur Stärkung von tiefem Verständnis, sozialen Fähigkeiten und sozialem Zusammenhalt. Weg von der Erziehung zu einer Haltung, nur das zu tun, was eine Situation erlaubt, hin zu nachhaltigen Werten, die die Gegenwart mit der Zukunft in Einklang bringen.
Dies ist die gekürzte und übersetzte Fassung der Kolumne. Das englische Original finden Sie hier.
Der OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher, ist Statistiker und Bildungsforscher und kritisiert seit Jahren das deutsche Bildungssystem. 2019 erschien sein Buch “Weltklasse: Schule für das 21. Jahrhundert”, in dem er zentrale Ergebnisse seiner Forschung zusammenfasst. Er konzipierte die PISA-Studien und stellte 2001 die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vor. Seit 2002 ist er für das PISA-Programm zuständig und beteiligt sich bei zahlreichen weiteren Bildungsprojekten.
Das politische Ringen um die Fortsetzung des Digitalpaktes prägte auch die aktuelle Debatte zum Startchancen-Programm im Bundestag, die die Ampel mit einem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Es werde vieles verbessern, sagte Franziska Krumwiede-Steiner (Grüne). Aber man dürfe die digitalen Kompetenzen nicht vergessen. “Wir brauchen den Digitalpakt 2.0. Wir Grüne erwarten vom BMBF, dass die Verhandlungen mit den Ländern hierzu endlich vorankommen. Der Finanzminister muss die Mittel bereitstellen.”
Auch Nadine Schön (CDU) kritisierte: “Der Digitalpakt 2.0 ist weit und breit nicht in Sicht.” Es gebe “eine Riesen-Verunsicherung bei Ländern und Kommunen”. Im Mai, wenn der Digitalpakt I ausläuft, soll der Entwurf für eine neue Bund-Länder-Vereinbarung zur Fortsetzung des Milliardenprogramms vorliegen. Vorher werden sich die Blicke aber auf den Bundeshaushalt 2025 richten. Verbunden mit der Frage, ob dort die Digitalpakt-Mittel eingestellt sind. Bis Ende nächster Woche sollen die Ministerien, also auch das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geführte BMBF, dem Finanzministerium ihre Pläne vorlegen.
Die Einschätzungen zum Startchancen-Programm schwankten – wie schon in den Vorwochen – zwischen fundamentaler Bildungswende und Tropfen auf den heißen Stein. Ria Schröder (FDP) etwa sprach davon, dass das größte Bildungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik an den Start gehe. Thomas Jarzombek hielt dagegen, dass das Programm zu klein ausfiele. Zudem hielt der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion der Ampel-Koalition vor, dass sie nicht bei der frühkindlichen Bildung ansetzt, also schon vor der Schule.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wollte sich das Programm nicht kleinreden lassen. Es sei ein großer Schritt, und es mache vieles besser als bisherige Bund-Länder-Programme, etwa durch seine Langfristigkeit: “Es läuft über zehn Jahre. Das ist ungewöhnlich, aber absolut sinnvoll.” Und das Programm werde kontinuierlich wissenschaftlich begleitet und evaluiert. “Davon wird unser Bildungssystem als Ganzes profitieren.”
Zugleich machte Esken keinen Hehl daraus, dass grundsätzlich viel mehr in die Bildung investiert werden müsse. Und deshalb platzierte sie noch eine weitere Botschaft. Dafür nahm sie Bezug auf eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, über die der Tagesspiegel berichtete: Über 70 Prozent der Deutschen sind demnach der Meinung, dass die Schuldenbremse für Investitionen in Bildung nicht gelten solle. Holger Schleper
Bis Ende 2026 wollen alle 16 Länder gemeinsam ein neues KI-gestütztes Lernsystem schaffen, das Schüler mit personalisierten Lerninhalten versorgen kann. Für die Umsetzung stehen 52 Millionen Euro aus dem Digitalpakt bereit. Träger des Projekts Adaptives Intelligentes System (AIS) ist das Medieninstitut der Länder (FWU). Die offizielle Ausschreibung des Projekts ist für Anfang Juni vorgesehen – bis dahin soll vor allem noch die Frage der Machbarkeit geklärt werden. Erste ambitionierte Ziele mussten wegen des straffen Zeitplans bereits angepasst werden.
Zuvor wurde an zwei länderübergreifenden KI-gestützten Projekten getüftelt, die ebenfalls aus dem Digitalpakt finanziert wurden. Die zwei Projekte Adaptive Learning Cloud (ALC) und Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) werden nun zusammengelegt. Sie hätten sich bei der Entwicklung “inhaltlich und konzeptionell” aufeinander zubewegt, begründet Andreas Koschinsky, Leiter des FWUs, die Entscheidung. Dazu hätten auch die neuen Möglichkeiten der großen Sprachmodelle (LLM) beigetragen.
Ziel des Projekts AIS ist es, ein KI-gestütztes Lernsystem zu schaffen, bei dem Schüler individuelle Lernpfade einschlagen können. AIS soll also der vorläufigen Ausschreibung zufolge den Lernfortschritt der Kinder und Jugendlichen erfassen und auf dieser Basis Aufgaben und Inhalte individuell anpassen. Das soll wiederum Lehrkräfte unterstützen, ihre Schüler gezielter zu fördern.
Die Lerninhalte können dabei sowohl von kommerziellen als auch nicht kommerziellen Anbietern kommen. “Es ist angedacht, dass die Anbieter über die AIS ihre Inhalte lizenzieren können”, sagte Koschinsky zu Table.Briefings. Geplant ist laut Ausschreibung, die über AIS betriebenen adaptiven Lernmedien dann datenschutzkonform in die Bildungsplattformen der Länder zu integrieren.
Die größte Schwierigkeit dürfte wohl sein, das Projekt bis Ende 2026 fertigzustellen. Diese zeitliche Vorgabe liege an der Laufzeit des Digitalpakts, sagte Koschinsky. Wie Table.Briefings von Projektbeteiligten erfuhr, war anfangs die Überlegung, ein Lernsystem für alle Schulformen, Jahrgangsstufen und Fächer zu entwickeln. Nun ist das Ziel, zum Start der AIS mindestens zwei Fächer in zwei Jahrgangsstufen abdecken zu können. “Die Umsetzung ist ambitioniert, aber realistisch”, zeigte sich FWU-Leiter Koschinsky optimistisch. Vera Kraft
2040 könnten 663.000 IT-Fachkräfte fehlen, das ergibt eine neue Berechnung des Digitalverbands Bitkom, die sich auf Daten des BIBB und Unternehmen stützt. Der Verband fordert daher jetzt eine “ambitionierte Gesamtstrategie”. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst sagte bei der Vorstellung der Ergebnisse: “Eine immer größer werdende Fachkräftelücke in der IT bedeutet einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand. Ohne IT-Spezialistinnen und -Spezialisten verspielt Deutschland seine digitale Zukunft.” Zwar gibt es laut Prognose bis 2040 sogar mehr IT-Fachkräfte als aktuell. Allerdings soll der Bedarf der Wirtschaft gleichzeitig noch stärker wachsen. Schon im vergangenen Jahr meldete Bitkom 149.000 unbesetzte IT-Stellen.
Um die Lücke zu schließen, schlägt der Verband Maßnahmen in mehreren Bereichen vor. In Ausbildung und Studium könnten bis 2040 insgesamt 108.000 zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden:
Weiteres Potenzial sieht der Verband darin, noch mehr Personen über das Renteneinstiegsalter hinaus zu beschäftigen (68.500) und in der Gewinnung von mehr Quereinsteigern (129.500). Der weitaus größten Teil zusätzlicher Kräfte müsse aber durch mehr Zuwanderung komme: Ganze 321.000 IT-Fachkräfte aus Drittstaaten und der EU sollten gewonnen werden. Geht es nach Bitkom-Präsident Wintergerst, dann sollten diese möglichst schon qualifiziert sein. Er sagte: “Sonst gibt es hier einen noch größeren Zeitverzug.” Anna Parrisius
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Rechtschreibfehler in Deutsch-Prüfungen sollen in Schleswig-Holstein ab dem kommenden Schuljahr nur noch qualitativ in die Bewertung einfließen. Bislang war der Fehlerquotient entscheidend für die Note, welcher sich aus dem Verhältnis der Rechtschreibfehler und der geschriebenen Wörter errechnete. Die Änderung soll zu bundesweit einheitlichen Prüfungsbedingungen beitragen, wie die Kieler Nachrichten zuerst berichteten. Die Bewertung der Rechtschreibung und Zeichensetzung soll dennoch weiterhin wichtiger Bestandteil der Note sein, sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU).
Nach Angaben des Bildungsministeriums kommt der Fehlerquotient neben Schleswig-Holstein sonst nur noch in Hessen zum Einsatz. Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, schrieb auf Linkedin, es gebe keine länderübergreifende Regelung für einen Fehlerquotienten. Vereinbarungen gebe es lediglich zur Bewertung der schriftlichen Abiturklausuren. Im Abitur könnten demnach “bei schwerwiegenden Verstößen gegen die sprachliche Richtigkeit” bis zu 2 Punkte, also weniger als eine Note, abgezogen werden.
Basis für die neue Bewertung soll ein differenzierter Analysebogen sein, den das Ministerium aktuell entwickele. Dieser soll den Lehrkräften zum neuen Schuljahr zur Verfügung stehen.
Olaf Köller, Professor für empirische Bildungsforschung und Co-Vorsitzender der SWK, erachtet es für sinnvoll, dass Schüler in Schleswig-Holstein nun stärker inhaltliches Feedback über ihre typischen Fehler bekommen sollen. So eine formative Rückmeldung sei lernförderlicher als der Fehlerquotient, sagt Köller zu Table.Briefings. Allerdings sei fraglich, wie groß der Lerneffekt in der gymnasialen Oberstufe noch sei, gibt er zu bedenken. Wichtig sei daher, bereits in der Mittelstufe auf qualitatives Feedback zu setzen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt die qualitative Fehler-Analyse ebenfalls, wie der NDR berichtete. Da eine entsprechende Förderung aufwendiger sei, forderte sie aber gleichzeitig mehr Zeit für die Lehrkräfte, beispielsweise indem das Land Unterrichtsinhalte reduziere. vkr
Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium und die Wübben Stiftung Bildung haben ein Qualifizierungsprogramm für die Schulaufsicht vereinbart. Es beinhaltet unter anderem Fortbildungen zu datengestützter Schulentwicklung, Konfliktmoderation oder systemischer Beratung. Auch Hospitationen und der Austausch mit Schulaufsichten anderer Bundesländer sind geplant. “Die Schulaufsicht hat eine Schlüsselfunktion im Schulsystem, nicht nur bei der Personalplanung, bei Beratung und Aufsicht, sondern gerade auch bei der Schulentwicklung”, erklärte Ministerin Stefanie Hubig (SPD). Man wolle die Referenten in ihrer Beratungsrolle stärken.
Das Programm läuft bis 2026 und hat ein Volumen von rund 500.000 Euro, teilte das Ministerium Table.Briefings mit. Die Qualifizierung knüpft an die Erfahrungen aus dem Programm “S4 – Schule stärken, starke Schule” an. In ihm unterstützte Rheinland-Pfalz seit 2020 insgesamt 53 Schulen in herausfordernden sozialen Lagen. Dabei stand die Stärkung und Qualifizierung von Schulleiterinnen und Schulleitern im Mittelpunkt. Die Grundlage bildete das Programm “impakt schulleitung” der Wübben Stiftung Bildung.
Eingebunden in “S4” waren auch das Pädagogische Landesinstitut und die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), zentrale Verwaltungsbehörde in Rheinland-Pfalz. Die Schulabteilung der ADD ist nach eigenen Angaben zuständig für knapp 1.600 Schulen und betreut mehr als 41.000 Lehrkräfte.
Mit dem Abschluss des Programms “S4” konkretisiert Rheinland-Pfalz nun auch die weitere Umsetzung des Startchancen-Programms. Vonseiten des Bildungsministeriums hieß es: “Alle S4-Schulen werden auch Startchancen-Schulen werden und können ihren begonnenen Entwicklungsprozess so weitergehen.” hsc
Das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern hängt stark davon ab, in welchem Maß sie mit dissozialem Verhalten und Gewalt in Berührung kommen. Jungen machen im Schnitt mehr dieser negativen Erfahrungen als Mädchen. Und es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen der Lesekompetenz und Erfahrungen mit dissozialem Verhalten. Das zeigt eine Sonderauswertung der Iglu-Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund, die am Dienstag vorgestellt wurde (Kurzbericht der Studie zum Download).
Demnach zeigten Kinder, die häufiger dissoziales Verhalten erleben, eine geringere Lesekompetenz. Und negative soziale Erfahrungen in der Schule könnten auch ein negatives Lernverhalten nach sich ziehen, sagt Justine Stang-Rabrig, die an der Studie mitgewirkt hat, bei der Präsentation der Ergebnisse.
Insgesamt machen Schüler in Deutschland etwas häufiger Erfahrungen mit dissozialem Verhalten als in anderen EU-Ländern. Die Zahlen liegen aber nah am EU-Schnitt. Die meisten Kinder würden Schule allerdings als einen positiven Ort erleben, sagt Institutsleiterin Nele McEvany mit Verweis auf die Studienergebnisse.
Der Appell der Forschenden ist trotzdem: Schule müsse einen stärkeren Fokus auf die Relevanz von Wohlbefinden im Schulkontext legen, um eine bessere Lernatmosphäre und eine höhere Lernbereitschaft zu fördern. Dafür sollten Lehrkräfte und auch Eltern für die Thematik sensibilisiert werden. Und wichtig sei auch, präventiv zu arbeiten und nicht darauf zu warten, bis sich Betroffene melden. Die Forschenden raten daher, auch die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen zu stärken. Davor hätten Schulleitungen allerdings oft Angst, weil sie dem Image der Schule nicht schaden wollen, meint McEvany. Philine Elster
Am Gymnasium Plochingen in Baden-Württemberg testen Schülerinnen und Schüler seit dieser Woche einen Gleitzeitunterricht. An zwei Tagen in der Woche können die Kinder erst zur dritten Stunde erscheinen. Immer wieder wird der für den Biorhythmus von Kindern und Jugendlichen zu frühe Schulbeginn diskutiert. Die Idee eines Gleitzeitunterrichts ist nicht neu. Ein Gymnasium in Alsdorf in Nordrhein-Westfalen führte beispielsweise ein solches Konzept schon vor mehreren Jahren ein. In Plochingen möchte man nun den verkürzten Pflicht-Unterricht für individuelles Lernen nutzen.
Das Projekt entstand auf Wunsch der Schüler und läuft für sechs Wochen. Dabei wird jeweils eine der zwei Doppelstunden Deutsch und Englisch pro Woche zur Gleitzeit. In den Präsenzstunden werden Aufgaben vergeben, die die Kinder dann selbstständig, entweder daheim oder während des Gleitzeitunterrichts, bearbeiten können. Länger in der Schule müssen die Schüler aber nicht bleiben.
Damit leistungsschwache Kinder nicht abgehängt werden, sei denkbar, diese Kinder zur Präsenz zu verpflichten, sagt der verantwortliche Lehrer Till Richter zu Table.Briefings. Dieser Vorschlag kam wohl sogar seitens der Schüler. Richter sieht darin eine Chance, die Kinder stärker individuell zu unterstützen.
Evaluiert wird das Projekt mit drei Umfragen in der Klasse, durchgeführt von den Kindern selbst. Für die beiden beteiligten Lehrkräfte sei vor allem relevant, ob sie gut mit ihren Lerninhalten durchkommen. Mit Klassenarbeiten über den Stoff aus dem Gleitzeitunterricht soll eine Entwicklung der Noten festgehalten werden. Ob das Projekt anschließend weitergeführt oder gar auf andere Klassen ausgeweitet wird, müsse dann entschieden werden. Grundsätzlich zeigte sich die Schulleitung offen dafür. Gabriel Berg
Eigentlich müsste Anja Reinalter schon gut genug ausgelastet sein. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen ist nicht nur Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, sondern auch Parlamentarische Geschäftsführerin. Als solche gehört sie dem Fraktionsvorstand an und kümmert sich um organisatorische Angelegenheiten.
Doch im März kam für sie ein weiteres Amt hinzu: Mit dem Ausscheiden von Nina Stahr aus dem Bundestag musste auch das Amt der bildungs- und forschungspolitischen Sprecherin neu vergeben werden. Denn für Stahr rückte zwar Franziska Krumwiede-Steiner ins Parlament nach; dass sie jedoch als Neuling direkt das Sprecherinnenamt übernimmt, galt als ausgeschlossen.
Die Entscheidung für Anja Reinalter überraschte dennoch: Als Favorit galt eigentlich Stahrs Stellvertreterin Laura Kraft, die sich vor allem als Expertin für Hochschulthemen wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz einen Namen gemacht hatte. Warum die Entscheidung letztendlich auf Reinalter fiel, wollte aus der Grünen-Fraktion niemand kommentieren.
Reinalter ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags, zog über die Landesliste Baden-Württemberg ins Parlament ein. “Ich war schon immer ein politischer Mensch”, erzählt sie im Gespräch mit Table.Briefings. Sie war Klassen- und Schülersprecherin, Elternvertreterin, Vorsitzende des Landesfrauenrats – die Liste ihrer bisherigen Ehrenämter ist lang. Dem Stadtrat in ihrer Heimatstadt Laupheim und dem Kreistag Biberach gehört sie auch als Bundestagsabgeordnete noch an. 2011 erhielt sie für ihr Engagement als Kommunalpolitikerin den Helene-Weber-Preis.
Auch der berufliche Werdegang der studierten Erziehungswissenschaftlerin ist vielfältig: Zunächst arbeitete sie als Pflegerin für Menschen mit Behinderung und als Referentin in der Erwachsenenbildung. Anschließend wurde sie Berufsschullehrerin für angehende Erzieherinnen und Erzieher und Pflegefachkräfte. 2020 wurde sie schließlich Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit an der Hochschule Kempten.
Aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit habe sie viel für den Job als Politikerin mitgenommen: “Kommunikation und der Umgang mit Menschen spielen als Lehrerin und Professorin eine entscheidende Rolle”, erzählt sie. “Auch für meine Aufgabe als Parlamentarische Geschäftsführerin muss ich wissen: Wie geht man mit einer Gruppe um? Wie fördert man Teamgeist?” Außerdem kenne sie viele unterschiedliche Lebensentwürfe.
In der Fraktion kümmert sich Reinalter vor allem um die berufliche Bildung – das soll sich auch durch ihr Amt als Sprecherin nicht ändern. “Ich stehe für die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung“, erklärt sie. Dabei sehe sie noch viel Aufholbedarf: “Es ist zum Beispiel normal, dass es Studentenwohnheime gibt, aber es gibt kaum Azubi-Wohnheime. Und wenn es im ÖPNV ein Studi-Ticket gibt, sollte es auch ein Azubi-Ticket geben.”
Mit ihrer Vorgängerin Nina Stahr, die fraktionsübergreifend hohe Anerkennung genoss, verbinde sie vieles: “Sie ist auch Mutter von drei Kindern und total gut organisiert”, so Reinalter. Sie setze daher auf ein konstruktives Miteinander innerhalb der Koalition: “Für mich ist es wichtig, gute Kompromisse zu finden. Das ist für mich der Kern der Demokratie.” Maximilian Stascheit
Research.Table: TU Dresden schmiedet Bündnis für Demokratie. Im September wird in Sachsen gewählt. Derzeit liegt in Umfragen die AfD vorne. Ein Bündnis aus Dresdner Wissenschafts- und Kultureinrichtungen – das alleine 20.000 Forschende umfassen soll – plant nun für Mai eine Demonstration für die Demokratie. Parteipolitisch will man sich nicht einmischen. Mehr
Research.Table: Besserstellungsverbot: Forschungseinrichtungen drängen auf gesetzliche Regelung. Das Ringen der Industrieforschungseinrichtungen um die Gleichstellung mit Bund-Länder-finanzierten Forschungseinrichtungen hält an. Damit sie marktübliche Gehälter zahlen können, bedarf es entweder einer Regelung im Haushaltsgesetz oder einer Änderung des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes. Mehr