“Er ist derjenige unter den sozialdemokratischen Bildungspolitikern, den ich mir tatsächlich in mancher Hinsicht zum Vorbild nehme.” Das sagte noch im November niemand anderes als Alexander Lorz (CDU), langjähriger hessischer Kultusminister, über Ties Rabe (SPD), Hamburgs langjährigen Schulsenator. Nachzuhören im Podcast “Lass uns über Politik reden”, in dem Rabe bei Lorz und dessen Mit-Moderatorin Anja Schöpe zu Gast war.
Etwa 55 Minuten kann man zwei prägenden Köpfen der deutschen Bildungspolitik zuhören – Rabe, dem Koordinator der A-Länder und Lorz, dem Koordinator der B-Länder in der Kultusministerkonferenz. Und darf sich nun, etwa zehn Wochen später, die Augen reiben. Denn beide verlassen ihre Ministerposten. Ein Paukenschlag.
Ties Rabe erklärte gestern im Hamburger Rathaus, sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzuziehen. Was das bedeutet, hat meine Kollegin Annette Kuhn aufgeschrieben. Und Alexander Lorz wird im neuen hessischen Kabinett Finanzminister. Mit Ksenija Bekeris (Hamburg) und Armin Schwarz (Hessen) stehen die Nachfolger bereit. Mehr dazu in diesem Briefing und – mit einem genaueren Blick meines Kollegen Maximilian Stascheit nach Hessen – in unserer Ausgabe am Mittwoch.
Er wird fehlen. In Hamburg, in der Kultusministerkonferenz, immer dort, wenn es um eine bessere Schulpolitik geht. Und die unterhaltsame, manchmal auch beharrliche Art, wie Hamburgs Schulsenator Ties Rabe Dinge erklärte, wird auch fehlen. Legendär, wie er im vergangenen Jahr den Lehrermangel analysierte: “Das Kernproblem entstand vor 30 Jahren in deutschen Ehebetten, nicht in der aktuellen Politik.”
Deutschlands dienstältester Kultusminister ist am Montag zurückgetreten. Nach 13 Jahren hat Ties Rabe mit sofortiger Wirkung sein Amt niedergelegt. Aus gesundheitlichen Gründen, erklärte der SPD-Politiker am Abend, als er im Hamburger Rathaus vor die Kameras trat. Er wirkte dabei wie immer, wenn er öffentlich sprach: besonnen, ruhig, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er versicherte, dass er nicht lebensgefährlich erkrankt sei, “aber im letzten Jahr haben sich doch die gesundheitlichen Probleme, die vor allem ältere Männer in Führungspositionen heimsuchen”, so verstärkt, dass er sich zum Rücktritt entschlossen habe.
Dass ihm dieser Schritt schwergefallen sein mag, lässt er sich nicht anmerken. Aber man kann es dennoch vermuten. Denn sein Statement fällt deutlich kürzer aus, als man es von ihm kennt. An diesem Montagabend doziert er nicht, was er immer gern gemacht hat.
Er blicke zurück auf 13 glückliche, spannende und bewegende Jahre als Schulsenator. Und er blickt stolz zurück. In seiner Ära sind Hamburgs Schulen vom Schmuddelkind zum Vorzeigeschüler geworden. Als Ties Rabe Schulsenator wurde, stand Hamburg beim IQB-Bildungstrend, der wichtigsten Schulvergleichsstudie in Deutschland, auf dem drittletzten Platz. Dahinter kamen nur noch die beiden anderen Stadtstaaten. Berlin und Bremen sind bis heute im Keller geblieben. Hamburg hingegen hat sich auf den drittbesten Platz vorgearbeitet.
“Von Hamburg lernen”, das wurde in der Ära Ties Rabe fast zu einem Motto. Rabe selbst drückt das schlichter aus: “Wir können heute auf einen Schulstandard blicken, der durchaus dazu beiträgt, dass wir in Hamburg bundesweit viel Anerkennung genießen.” Diese Anerkennung lässt ihm bei seiner Amtsniederlegung auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zuteil werden: “Es ist sein Verdienst, das Schulsystem in Hamburg vorangebracht und für viele zum Vorbild gemacht zu haben.”
Unter Ties Rabe hat sich viel getan in der Hansestadt: Nirgendwo sonst ist die datengestützte Schulentwicklung so weit wie in Hamburg. Regelmäßige Lernstandserhebungen werden nicht nur genutzt, um Daten zu erheben, sondern auch, um mit ihnen zu arbeiten. Hamburg betreibt eine konsequente Sprachförderung von der Kita an. Wenn sich Defizite zeigen, werden die Kinder schon im Vorschulalter verpflichtend gefördert.
In der Theorie ist das auch anderswo so geregelt, nachgehalten wird es anderswo kaum. Und noch etwas: In Hamburgs Grundschulen gibt es flächendeckend ein “Leseband“, eine verbindliche zusätzliche Lesezeit, um die Lesekompetenzen zu verbessern. Anfangs wurde das als recht altmodisches Instrument belächelt. Nach den zuletzt verheerenden Ergebnissen beim IQB-Bildungstrend und der internationalen Iglu-Studie folgen nun immer mehr Länder diesem Beispiel.
Ziel von Ties Rabe sei es immer gewesen, allen Kindern Basiskompetenzen zu vermitteln. Das habe er nach vorne gestellt. “Ties Rabe hatte in bemerkenswerter Weise das Thema Bildungsgerechtigkeit im Blick“, sagte Martina Diedrich, Direktorin des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, im Gespräch mit Table.Media, die die Leidenschaft für datengestützte Schulentwicklung teilt. Der Turnaround, den Hamburg in den vergangenen Jahren vollzogen habe, gehe ganz wesentlich auf ihn zurück.
Das hat ihm auch parteiübergreifend viel Anerkennung gebracht. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien sagte Table.Media: “Ties Rabe hat als leidenschaftlicher Kämpfer für bessere Bildung viel für Hamburg und die Hamburger Schülerinnen und Schüler erreicht.” Sie habe ihn als “echten Hanseaten und später als vertrauensvollen Kollegen” kennengelernt. “Ich konnte mich stets auf ihn verlassen als Mitstreiter für eine evidenzbasierte, chancengerechtere Schulpolitik und eine schlagkräftigere Kultusministerkonferenz. Er wird uns fehlen.”
Auf dem Weg zu Hamburgs Schulerfolg hat sich Rabe, der selbst mal Lehrer war, auf Zahlen gestützt. Vergleichsarbeiten, Statistiken – das war sein tägliches Geschäft. Die Lehrerschaft in Hamburg war darüber nicht immer begeistert. Sie und die Elternschaft haben schon manchmal gestöhnt über seine Begeisterung für Vergleichsarbeiten. Aber davon hat sich Ties Rabe nicht abhalten lassen.
“Mich hat beeindruckt, wie konsequent Ties Rabe auf datengestützte Qualitätsentwicklung gesetzt hat”, sagt Petra Stanat, zuständig für den IQB-Bildungstrend zu Table.Media. “Und obwohl sich nicht gleich Ergebnisse zeigten, ist er drangeblieben – auch gegen Widerstände und anfängliche Skepsis.” Seine Arbeit mache deutlich, dass die Umsetzung von Strategien Zeit brauche und wie wichtig ein langer Atem ist. Denn es hat Jahre gedauert, bis Rabes Strategie erfolgreich war. Manch einer glaubte schon nicht mehr an den Erfolg – Ties Rabe schon.
Erstaunlich fand die Bildungswissenschaftlerin Stanat auch, dass Ties Rabe immer sehr gut vorbereitet war und daher kritische Fragen stellen konnte. “Wenn wir einen neuen Bericht zum IQB-Bildungstrend vorgelegt haben, hat er ihn von einem auf den anderen Tag durchgearbeitet. Sein Exemplar war voller Unterstreichungen und Randbemerkungen”, erinnert sich Petra Stanat. Dabei muss man wissen, dass diese Berichte mehrere hundert Seiten umfassen.
Rabes Rückzug ist für die Kultusministerkonferenz ein Paukenschlag. Um so mehr, weil nicht nur Rabe als Koordinator der A-Länder in Zukunft in der Runde der Kultusminister fehlt, sondern auch sein langjähriger Kollege von der B-Seite, Hessens Kultusminister Alexander Lorz. Er kündigte ebenfalls am Montag seinen Rückzug offiziell an. Lorz wird in der neuen hessischen Landesregierung Finanzminister.
KMK-Präsidentin und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, Christine Streichert-Clivot, sagte am Montag zu dem doppelten Abgang: “Für die KMK ist es ein herber Verlust, an einem Tag beide Koordinatoren von A- und B-Seite zu verlieren. Ties Rabe und Alexander Lorz haben über ein Jahrzehnt im Amt die Geschicke der KMK entscheidend mitgeprägt. Mit ihrer Arbeit als A- und B-Koordinatoren haben sie immer wieder gezeigt, mit welcher Leidenschaft sie Bildungspolitik gestalten. Hart in der Sache debattieren, aber immer wieder auch Kompromisse schließen können, immer orientiert am gemeinsamen, länderübergreifenden Handeln.”
Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig, die nun Deutschlands dienstälteste Bildungsministerin ist, zeigt sich da auf Anfrage von Table.Media optimistischer: “Ties Rabe wird uns und auch der Bildungspolitik insgesamt als sehr kluger Kollege fehlen. Hamburg steht in vielen Punkten sehr gut da. Das ist maßgeblich sein Verdienst und auch auf seine Tat- und Durchsetzungskraft zurückzuführen.” Dass Alexander Lorz und Ties Rabe gehen, sei sicher ein Einschnitt, aber kein kompletter Umbruch in der KMK. “Es gibt hier durchaus eine große Kontinuität.”
Die Leidenschaft für Bildungspolitik hat Ties Rabe bis zum Schluss seiner Amtszeit ausgemacht. Noch im August des Vorjahres konnte Table.Media Ties Rabe und Saskia Esken nach Norwegen und Finnland begleiten. Die Idee der Reise: tiefe Einblicke in die Bildungssysteme vor Ort zu erhalten, um daraus für Deutschland zu lernen. Egal ob in Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten oder im Austausch mit Ministerinnen und Abgeordneten: Rabe beeindruckte seine Gegenüber. Zum einen mit Faktenwissen – das Aufsagen von Kennzahlen zum deutschen und insbesondere hamburgischen Schulsystem wird wenigen so leichtfallen wie ihm.
Zum anderen mit unbändiger Neugier: Der Senator wollte es stets genau wissen. Von der Osloer Professorin für frühkindliche Bildung, wie Bildung im vorschulischen Bereich aussehen sollte. An einer Osloer Grundschule, wie genau die Sprachförderung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler aussieht. Vom Professor in Helsinki, welche Auswirkung die Digitalisierung auf den Lernerfolg der Schüler hat.
Zuhören war die eine Facette seines Auftretens, Dozieren die andere. Er hat sich dafür sogar ein eigenes Video-Format geschaffen: “Frag den Rabe”, in dem er regelmäßig Fakten zum Hamburger Schulsystem und zur Schulpolitik erklärte. In der 90. und damit letzten Videobotschaft ging es um die Wahl der weiterführenden Schule: “Die Schule um die Ecke muss die beste sein. Wir versuchen schon, dass die Schulen Kreativität entfalten und eigene Profile setzen. Aber wir setzen uns als Schulbehörde auch dafür ein, dass die Qualität aller Schulen auf dem besten Stand ist.” Klingt nach einem Allgemeinplatz. Aber nicht, wenn Ties Rabe das sagt. Mit Holger Schleper, Maximillian Stascheit
Ksenija Bekeris folgt auf Ties Rabe als Hamburgs neue Senatorin für Schule und Berufsbildung. In der Hansestadt ist die 45-Jährige keine Unbekannte. Schon seit 2011 ist sie Fraktionsvize und sozialpolitische Sprecherin der SPD, außerdem stellvertretende Landesvorsitzende ihrer Partei. Bekeris setzte sich bisher etwa für Inklusion und die Integration Geflüchteter ein. Als Bildungssenatorin könnte ihr das jetzt bei der Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher in Hamburger Schulen zugutekommen.
Mit Staatsrat Rainer Schulz hat Bekeris eine Gemeinsamkeit: Beide kennen die berufliche Bildung als Lehrer. Das hob Bekeris auch während der Pressekonferenz gestern Abend im Hamburger Rathaus hervor: “Ich bin sehr froh, dass die Berufsbildung in Hamburg Teil der Schulbehörde ist.” Denn eine der wichtigsten Aufgaben werde in den kommenden Jahren die Fachkräftegewinnung sein. Als Berufsschullehrerin wisse sie um die Herausforderungen im Alltag. Bekeris arbeitete bisher am Fröbelseminar, einer Fachschule für Sozialpädagogik, die Erzieher, sozialpädagogische Assistenten und Heilerziehungspfleger ausbildet. Schulz war einst Leiter einer Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg.
Nach dem Abitur im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen begann die gebürtige Hamburgerin zunächst ein Medizinstudium, studierte dann jedoch Soziologie in Hamburg und den USA mit einem Schwerpunkt auf Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Sie arbeitete sieben Jahre lang in der Sprachförderung in Kitas und war danach als Erzieherin tätig. 2014 begann Bekeris den Vorbereitungsdienst zur Berufsschullehrerin, den sie 2015 abschloss.
Auch vor diesen Hintergründen ist Bekeris präsent, wie wichtig die Übergänge im Bildungssystem sind. “Ich weiß, dass gute Bildungspolitik ein Schlüssel zur Chancengerechtigkeit ist”, erklärte Bekeris, die seit 2003 Mitglied der SPD ist. “Wir wollen niemanden verlieren. Deshalb sind mir die Übergänge so wichtig – von der Kita in die Grundschule, von der Grundschule in die weiterführenden Schulen und von dort dann ins Studium oder auch in die Ausbildung.”
Die SPD-Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland betonten, Bekeris sei “fachlich wie persönlich die richtige Besetzung” für den Bildungssenat. Neben ihrer politischen Erfahrung komme ihr zugute, dass sie wisse, “wie die Schulen ticken”. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Hamburger Senat, Dirk Kienscherf, erklärte, dass die Fraktion einstimmig die Kandidatur von Bekeris und damit den Vorschlag des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher unterstützt habe. Viel Zeit für eigene Akzente wird Bekeris allerdings zunächst nicht haben. Denn schon im kommenden Jahr wird in Hamburg neu gewählt. Anna Parrisius/Holger Schleper
“Er ist derjenige unter den sozialdemokratischen Bildungspolitikern, den ich mir tatsächlich in mancher Hinsicht zum Vorbild nehme.” Das sagte noch im November niemand anderes als Alexander Lorz (CDU), langjähriger hessischer Kultusminister, über Ties Rabe (SPD), Hamburgs langjährigen Schulsenator. Nachzuhören im Podcast “Lass uns über Politik reden”, in dem Rabe bei Lorz und dessen Mit-Moderatorin Anja Schöpe zu Gast war.
Etwa 55 Minuten kann man zwei prägenden Köpfen der deutschen Bildungspolitik zuhören – Rabe, dem Koordinator der A-Länder und Lorz, dem Koordinator der B-Länder in der Kultusministerkonferenz. Und darf sich nun, etwa zehn Wochen später, die Augen reiben. Denn beide verlassen ihre Ministerposten. Ein Paukenschlag.
Ties Rabe erklärte gestern im Hamburger Rathaus, sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzuziehen. Was das bedeutet, hat meine Kollegin Annette Kuhn aufgeschrieben. Und Alexander Lorz wird im neuen hessischen Kabinett Finanzminister. Mit Ksenija Bekeris (Hamburg) und Armin Schwarz (Hessen) stehen die Nachfolger bereit. Mehr dazu in diesem Briefing und – mit einem genaueren Blick meines Kollegen Maximilian Stascheit nach Hessen – in unserer Ausgabe am Mittwoch.
Er wird fehlen. In Hamburg, in der Kultusministerkonferenz, immer dort, wenn es um eine bessere Schulpolitik geht. Und die unterhaltsame, manchmal auch beharrliche Art, wie Hamburgs Schulsenator Ties Rabe Dinge erklärte, wird auch fehlen. Legendär, wie er im vergangenen Jahr den Lehrermangel analysierte: “Das Kernproblem entstand vor 30 Jahren in deutschen Ehebetten, nicht in der aktuellen Politik.”
Deutschlands dienstältester Kultusminister ist am Montag zurückgetreten. Nach 13 Jahren hat Ties Rabe mit sofortiger Wirkung sein Amt niedergelegt. Aus gesundheitlichen Gründen, erklärte der SPD-Politiker am Abend, als er im Hamburger Rathaus vor die Kameras trat. Er wirkte dabei wie immer, wenn er öffentlich sprach: besonnen, ruhig, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er versicherte, dass er nicht lebensgefährlich erkrankt sei, “aber im letzten Jahr haben sich doch die gesundheitlichen Probleme, die vor allem ältere Männer in Führungspositionen heimsuchen”, so verstärkt, dass er sich zum Rücktritt entschlossen habe.
Dass ihm dieser Schritt schwergefallen sein mag, lässt er sich nicht anmerken. Aber man kann es dennoch vermuten. Denn sein Statement fällt deutlich kürzer aus, als man es von ihm kennt. An diesem Montagabend doziert er nicht, was er immer gern gemacht hat.
Er blicke zurück auf 13 glückliche, spannende und bewegende Jahre als Schulsenator. Und er blickt stolz zurück. In seiner Ära sind Hamburgs Schulen vom Schmuddelkind zum Vorzeigeschüler geworden. Als Ties Rabe Schulsenator wurde, stand Hamburg beim IQB-Bildungstrend, der wichtigsten Schulvergleichsstudie in Deutschland, auf dem drittletzten Platz. Dahinter kamen nur noch die beiden anderen Stadtstaaten. Berlin und Bremen sind bis heute im Keller geblieben. Hamburg hingegen hat sich auf den drittbesten Platz vorgearbeitet.
“Von Hamburg lernen”, das wurde in der Ära Ties Rabe fast zu einem Motto. Rabe selbst drückt das schlichter aus: “Wir können heute auf einen Schulstandard blicken, der durchaus dazu beiträgt, dass wir in Hamburg bundesweit viel Anerkennung genießen.” Diese Anerkennung lässt ihm bei seiner Amtsniederlegung auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zuteil werden: “Es ist sein Verdienst, das Schulsystem in Hamburg vorangebracht und für viele zum Vorbild gemacht zu haben.”
Unter Ties Rabe hat sich viel getan in der Hansestadt: Nirgendwo sonst ist die datengestützte Schulentwicklung so weit wie in Hamburg. Regelmäßige Lernstandserhebungen werden nicht nur genutzt, um Daten zu erheben, sondern auch, um mit ihnen zu arbeiten. Hamburg betreibt eine konsequente Sprachförderung von der Kita an. Wenn sich Defizite zeigen, werden die Kinder schon im Vorschulalter verpflichtend gefördert.
In der Theorie ist das auch anderswo so geregelt, nachgehalten wird es anderswo kaum. Und noch etwas: In Hamburgs Grundschulen gibt es flächendeckend ein “Leseband“, eine verbindliche zusätzliche Lesezeit, um die Lesekompetenzen zu verbessern. Anfangs wurde das als recht altmodisches Instrument belächelt. Nach den zuletzt verheerenden Ergebnissen beim IQB-Bildungstrend und der internationalen Iglu-Studie folgen nun immer mehr Länder diesem Beispiel.
Ziel von Ties Rabe sei es immer gewesen, allen Kindern Basiskompetenzen zu vermitteln. Das habe er nach vorne gestellt. “Ties Rabe hatte in bemerkenswerter Weise das Thema Bildungsgerechtigkeit im Blick“, sagte Martina Diedrich, Direktorin des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, im Gespräch mit Table.Media, die die Leidenschaft für datengestützte Schulentwicklung teilt. Der Turnaround, den Hamburg in den vergangenen Jahren vollzogen habe, gehe ganz wesentlich auf ihn zurück.
Das hat ihm auch parteiübergreifend viel Anerkennung gebracht. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien sagte Table.Media: “Ties Rabe hat als leidenschaftlicher Kämpfer für bessere Bildung viel für Hamburg und die Hamburger Schülerinnen und Schüler erreicht.” Sie habe ihn als “echten Hanseaten und später als vertrauensvollen Kollegen” kennengelernt. “Ich konnte mich stets auf ihn verlassen als Mitstreiter für eine evidenzbasierte, chancengerechtere Schulpolitik und eine schlagkräftigere Kultusministerkonferenz. Er wird uns fehlen.”
Auf dem Weg zu Hamburgs Schulerfolg hat sich Rabe, der selbst mal Lehrer war, auf Zahlen gestützt. Vergleichsarbeiten, Statistiken – das war sein tägliches Geschäft. Die Lehrerschaft in Hamburg war darüber nicht immer begeistert. Sie und die Elternschaft haben schon manchmal gestöhnt über seine Begeisterung für Vergleichsarbeiten. Aber davon hat sich Ties Rabe nicht abhalten lassen.
“Mich hat beeindruckt, wie konsequent Ties Rabe auf datengestützte Qualitätsentwicklung gesetzt hat”, sagt Petra Stanat, zuständig für den IQB-Bildungstrend zu Table.Media. “Und obwohl sich nicht gleich Ergebnisse zeigten, ist er drangeblieben – auch gegen Widerstände und anfängliche Skepsis.” Seine Arbeit mache deutlich, dass die Umsetzung von Strategien Zeit brauche und wie wichtig ein langer Atem ist. Denn es hat Jahre gedauert, bis Rabes Strategie erfolgreich war. Manch einer glaubte schon nicht mehr an den Erfolg – Ties Rabe schon.
Erstaunlich fand die Bildungswissenschaftlerin Stanat auch, dass Ties Rabe immer sehr gut vorbereitet war und daher kritische Fragen stellen konnte. “Wenn wir einen neuen Bericht zum IQB-Bildungstrend vorgelegt haben, hat er ihn von einem auf den anderen Tag durchgearbeitet. Sein Exemplar war voller Unterstreichungen und Randbemerkungen”, erinnert sich Petra Stanat. Dabei muss man wissen, dass diese Berichte mehrere hundert Seiten umfassen.
Rabes Rückzug ist für die Kultusministerkonferenz ein Paukenschlag. Um so mehr, weil nicht nur Rabe als Koordinator der A-Länder in Zukunft in der Runde der Kultusminister fehlt, sondern auch sein langjähriger Kollege von der B-Seite, Hessens Kultusminister Alexander Lorz. Er kündigte ebenfalls am Montag seinen Rückzug offiziell an. Lorz wird in der neuen hessischen Landesregierung Finanzminister.
KMK-Präsidentin und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, Christine Streichert-Clivot, sagte am Montag zu dem doppelten Abgang: “Für die KMK ist es ein herber Verlust, an einem Tag beide Koordinatoren von A- und B-Seite zu verlieren. Ties Rabe und Alexander Lorz haben über ein Jahrzehnt im Amt die Geschicke der KMK entscheidend mitgeprägt. Mit ihrer Arbeit als A- und B-Koordinatoren haben sie immer wieder gezeigt, mit welcher Leidenschaft sie Bildungspolitik gestalten. Hart in der Sache debattieren, aber immer wieder auch Kompromisse schließen können, immer orientiert am gemeinsamen, länderübergreifenden Handeln.”
Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig, die nun Deutschlands dienstälteste Bildungsministerin ist, zeigt sich da auf Anfrage von Table.Media optimistischer: “Ties Rabe wird uns und auch der Bildungspolitik insgesamt als sehr kluger Kollege fehlen. Hamburg steht in vielen Punkten sehr gut da. Das ist maßgeblich sein Verdienst und auch auf seine Tat- und Durchsetzungskraft zurückzuführen.” Dass Alexander Lorz und Ties Rabe gehen, sei sicher ein Einschnitt, aber kein kompletter Umbruch in der KMK. “Es gibt hier durchaus eine große Kontinuität.”
Die Leidenschaft für Bildungspolitik hat Ties Rabe bis zum Schluss seiner Amtszeit ausgemacht. Noch im August des Vorjahres konnte Table.Media Ties Rabe und Saskia Esken nach Norwegen und Finnland begleiten. Die Idee der Reise: tiefe Einblicke in die Bildungssysteme vor Ort zu erhalten, um daraus für Deutschland zu lernen. Egal ob in Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten oder im Austausch mit Ministerinnen und Abgeordneten: Rabe beeindruckte seine Gegenüber. Zum einen mit Faktenwissen – das Aufsagen von Kennzahlen zum deutschen und insbesondere hamburgischen Schulsystem wird wenigen so leichtfallen wie ihm.
Zum anderen mit unbändiger Neugier: Der Senator wollte es stets genau wissen. Von der Osloer Professorin für frühkindliche Bildung, wie Bildung im vorschulischen Bereich aussehen sollte. An einer Osloer Grundschule, wie genau die Sprachförderung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler aussieht. Vom Professor in Helsinki, welche Auswirkung die Digitalisierung auf den Lernerfolg der Schüler hat.
Zuhören war die eine Facette seines Auftretens, Dozieren die andere. Er hat sich dafür sogar ein eigenes Video-Format geschaffen: “Frag den Rabe”, in dem er regelmäßig Fakten zum Hamburger Schulsystem und zur Schulpolitik erklärte. In der 90. und damit letzten Videobotschaft ging es um die Wahl der weiterführenden Schule: “Die Schule um die Ecke muss die beste sein. Wir versuchen schon, dass die Schulen Kreativität entfalten und eigene Profile setzen. Aber wir setzen uns als Schulbehörde auch dafür ein, dass die Qualität aller Schulen auf dem besten Stand ist.” Klingt nach einem Allgemeinplatz. Aber nicht, wenn Ties Rabe das sagt. Mit Holger Schleper, Maximillian Stascheit
Ksenija Bekeris folgt auf Ties Rabe als Hamburgs neue Senatorin für Schule und Berufsbildung. In der Hansestadt ist die 45-Jährige keine Unbekannte. Schon seit 2011 ist sie Fraktionsvize und sozialpolitische Sprecherin der SPD, außerdem stellvertretende Landesvorsitzende ihrer Partei. Bekeris setzte sich bisher etwa für Inklusion und die Integration Geflüchteter ein. Als Bildungssenatorin könnte ihr das jetzt bei der Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher in Hamburger Schulen zugutekommen.
Mit Staatsrat Rainer Schulz hat Bekeris eine Gemeinsamkeit: Beide kennen die berufliche Bildung als Lehrer. Das hob Bekeris auch während der Pressekonferenz gestern Abend im Hamburger Rathaus hervor: “Ich bin sehr froh, dass die Berufsbildung in Hamburg Teil der Schulbehörde ist.” Denn eine der wichtigsten Aufgaben werde in den kommenden Jahren die Fachkräftegewinnung sein. Als Berufsschullehrerin wisse sie um die Herausforderungen im Alltag. Bekeris arbeitete bisher am Fröbelseminar, einer Fachschule für Sozialpädagogik, die Erzieher, sozialpädagogische Assistenten und Heilerziehungspfleger ausbildet. Schulz war einst Leiter einer Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg.
Nach dem Abitur im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen begann die gebürtige Hamburgerin zunächst ein Medizinstudium, studierte dann jedoch Soziologie in Hamburg und den USA mit einem Schwerpunkt auf Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Sie arbeitete sieben Jahre lang in der Sprachförderung in Kitas und war danach als Erzieherin tätig. 2014 begann Bekeris den Vorbereitungsdienst zur Berufsschullehrerin, den sie 2015 abschloss.
Auch vor diesen Hintergründen ist Bekeris präsent, wie wichtig die Übergänge im Bildungssystem sind. “Ich weiß, dass gute Bildungspolitik ein Schlüssel zur Chancengerechtigkeit ist”, erklärte Bekeris, die seit 2003 Mitglied der SPD ist. “Wir wollen niemanden verlieren. Deshalb sind mir die Übergänge so wichtig – von der Kita in die Grundschule, von der Grundschule in die weiterführenden Schulen und von dort dann ins Studium oder auch in die Ausbildung.”
Die SPD-Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland betonten, Bekeris sei “fachlich wie persönlich die richtige Besetzung” für den Bildungssenat. Neben ihrer politischen Erfahrung komme ihr zugute, dass sie wisse, “wie die Schulen ticken”. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Hamburger Senat, Dirk Kienscherf, erklärte, dass die Fraktion einstimmig die Kandidatur von Bekeris und damit den Vorschlag des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher unterstützt habe. Viel Zeit für eigene Akzente wird Bekeris allerdings zunächst nicht haben. Denn schon im kommenden Jahr wird in Hamburg neu gewählt. Anna Parrisius/Holger Schleper