Table.Briefing: Bildung

+++Alert+++ Kinder- und Jugendbericht fordert weitreichende Bildungsreform

Liebe Leserin, lieber Leser,

was bedeutet Jungsein heute? Damit beschäftigt sich der heute veröffentlichte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Er erscheint einmal pro Legislaturperiode. Im Juni 2022 hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) 14 Sachverständige beauftragt, einen Überblick über die Lage der jungen Generation zu erstellen. Mein Kollege Maximilian Stascheit hat die zentralen Erkenntnisse des Berichts analysiert – natürlich mit Blick darauf, was diese für die Bildung bedeuten.

Noch besser als die Expertenkommission wissen aber wohl die Kinder und Jugendlichen, welche Ängste, Träume und alltäglichen Herausforderungen sie beschäftigen. Über drei Monate lief daher das Projekt “Nicht über uns ohne uns!“, bei dem junge Menschen die Arbeit der Kommission begleitet haben.

Das Ergebnis des Berichts: Die heutige junge Generation ist so vielfältig wie nie zuvor. Die eine richtige Antwort darauf, was Jungsein heute bedeutet, gibt es nicht. Angesichts der zahlreichen Krisen, mit denen junge Menschen aufwachsen, scheinen Orientierung und Sicherheit wichtiger zu werden. Und die Zuversicht? Sie ist zwar geschwächt, die meisten Kinder und Jugendliche haben sie aber nicht verloren.

Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre und hoffe, auch Sie verlieren Ihre Zuversicht nicht.

Ihre
Vera Kraft
Bild von Vera  Kraft

Analyse

Kinder- und Jugendbericht: Welche Vorschläge die Expertenkommission zur Reform des Bildungssystems macht

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat am Mittwoch den 17. Kinder- und Jugendbericht vorgestellt. Dieser wird im Auftrag der Bundesregierung alle vier Jahre erstellt. Nachdem die vergangenen Berichte jeweils einen spezifischen Schwerpunkt hatten, sollte in diesem Jahr ein allgemeiner und umfassender Blick auf die Lebenssituation der jungen Menschen in Deutschland geworfen werden. Das Ergebnis ist ein 602-seitiger Bericht (hier zum Download), der auf Interviews und Workshops mit jungen Menschen sowie vorhandenen Forschungsergebnissen basiert. Erarbeitet hat den Bericht eine 14-köpfige unabhängige Sachverständigenkommission, die sich überwiegend aus Erziehungswissenschaftlern zusammensetzt.

Psychische Belastungen durch gegenwärtiges Schulsystem

Dabei haben sie auch das Schulsystem als zentrales Element des Lebensumfelds junger Menschen in den Blick genommen und festgestellt, dass dieses Kinder und Jugendliche stark belastet. Der zunehmende Leistungsdruck und überladene Lehrpläne führten zu Stresssymptomen und psychischen Belastungen bei vielen Schülern. Insbesondere an weiterführenden Schulen spürten die Jugendlichen den Druck, sich in Prüfungen zu behaupten.

“Um den Lernstoff bewältigen zu können, verlieren junge Menschen häufig Erholungsphasen, was langfristig zu gesundheitlichen Problemen führen kann”, heißt es in dem Bericht. Die Belastungen stünden in krassem Widerspruch zu den Erwartungen der jungen Menschen an ein Bildungssystem, das ihre Entwicklungen und ihr Wohlbefinden fördern sollte.

Herausforderungen: Ungleichheit, Integration, Lehrermangel

Ein wiederkehrendes Thema in dem Bericht ist die soziale Ungleichheit. Der Bericht macht deutlich, dass Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligen Familien im Durchschnitt schlechtere Bildungschancen haben. Diese Ungleichheiten sind nicht neu, wurden durch die Corona-Pandemie jedoch erheblich verschärft. Speziell der fehlende Zugang zu digitalen Endgeräten und einer stabilen Internetverbindung hätte Schüler aus ärmeren Familien zurückgeworfen.

Als eine besondere Herausforderung nennen die Experten auch die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, vor allem von geflüchteten Kindern. Viele von ihnen hätten nach wie vor Schwierigkeiten, sich im deutschen Schulsystem zurechtzufinden. Sprachliche Barrieren und die Traumata, die viele geflüchtete Kinder erlebt hätten, würden oft nicht ausreichend berücksichtigt. Zugleich wird in dem Bericht betont, dass diese Kinder über eine hohe Motivation und Resilienz verfügten. Diese, so fordern die Sachverständigen, müsse besser gefördert werden.

Expertenkommission macht Reformvorschläge

Als Konsequenz aus den Ergebnissen schlägt die Expertenkommission weitreichende Reformen vor, um das Bildungssystem den Herausforderungen der modernen Gesellschaft anzupassen. Unter anderem fordert sie einen ganzheitlichen Bildungsansatz, der “über eine reine Wissensvermittlung hinausgeht und die persönliche Entwicklung, Gesundheitsfragen und gesellschaftliche Integration zur Grundlage hat”.

Schulen sollten Programme zur Stressbewältigung und zum Umgang mit psychischen Belastungen anbieten, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Lehrpläne müssten realistischer gestaltet und stärker an den individuellen Bedürfnissen der Schüler ausgerichtet werden. Die Befragungen junger Menschen hätten gezeigt, dass dazu auch die Berücksichtigung geschlechtlicher und sexueller Diversität gehören solle.

Verbesserungsbedarf bei IT-Ausstattung und Schulsozialarbeit

Eine weitere zentrale Forderung der Sachverständigen ist die flächendeckende Ausstattung der Schulen mit moderner IT-Infrastruktur. Dabei gehe es nicht nur um den kurzfristigen Umgang mit pandemiebedingten Ausfällen, sondern um eine nachhaltige Verankerung digitaler Bildungsformate, die den Schülern helfen, sich auf die zunehmend digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten.

Zudem hebt die Kommission die Potenziale multiprofessioneller Teams hervor. Eine besondere Rolle nehme die Schulsozialarbeit ein, um Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Die Experten fordern, diese Strukturen weiter auszubauen und die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule zu verbessern, um eine ganzheitlichere Unterstützung zu gewährleisten.

Allerdings kritisieren die Experten ihren “Profilverlust und die zu große Annäherung an schulisches Lernen”. Die Schulsozialarbeit ringe noch mit ihrem konkreten Auftrag im multiprofessionellen Gefüge. Die Sachverständigenkommission warnt daher davor, dass sie nicht zum “billigen Dienstleister” der Schule werden dürfe. Vielmehr gelte es, ein besseres Profil durch eigene pädagogische Konzepte zu entwickeln.

Eine zusammenfassende Kurzbroschüre des 17. Kinder- und Jugendberichts finden Sie hier.

  • Bildung
  • Jugendliche
  • Kinder
  • Lisa Paus
  • Studie

Bildung.Table Redaktion

BILDUNG.TABLE REDAKTION

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    was bedeutet Jungsein heute? Damit beschäftigt sich der heute veröffentlichte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Er erscheint einmal pro Legislaturperiode. Im Juni 2022 hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) 14 Sachverständige beauftragt, einen Überblick über die Lage der jungen Generation zu erstellen. Mein Kollege Maximilian Stascheit hat die zentralen Erkenntnisse des Berichts analysiert – natürlich mit Blick darauf, was diese für die Bildung bedeuten.

    Noch besser als die Expertenkommission wissen aber wohl die Kinder und Jugendlichen, welche Ängste, Träume und alltäglichen Herausforderungen sie beschäftigen. Über drei Monate lief daher das Projekt “Nicht über uns ohne uns!“, bei dem junge Menschen die Arbeit der Kommission begleitet haben.

    Das Ergebnis des Berichts: Die heutige junge Generation ist so vielfältig wie nie zuvor. Die eine richtige Antwort darauf, was Jungsein heute bedeutet, gibt es nicht. Angesichts der zahlreichen Krisen, mit denen junge Menschen aufwachsen, scheinen Orientierung und Sicherheit wichtiger zu werden. Und die Zuversicht? Sie ist zwar geschwächt, die meisten Kinder und Jugendliche haben sie aber nicht verloren.

    Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre und hoffe, auch Sie verlieren Ihre Zuversicht nicht.

    Ihre
    Vera Kraft
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    Kinder- und Jugendbericht: Welche Vorschläge die Expertenkommission zur Reform des Bildungssystems macht

    Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat am Mittwoch den 17. Kinder- und Jugendbericht vorgestellt. Dieser wird im Auftrag der Bundesregierung alle vier Jahre erstellt. Nachdem die vergangenen Berichte jeweils einen spezifischen Schwerpunkt hatten, sollte in diesem Jahr ein allgemeiner und umfassender Blick auf die Lebenssituation der jungen Menschen in Deutschland geworfen werden. Das Ergebnis ist ein 602-seitiger Bericht (hier zum Download), der auf Interviews und Workshops mit jungen Menschen sowie vorhandenen Forschungsergebnissen basiert. Erarbeitet hat den Bericht eine 14-köpfige unabhängige Sachverständigenkommission, die sich überwiegend aus Erziehungswissenschaftlern zusammensetzt.

    Psychische Belastungen durch gegenwärtiges Schulsystem

    Dabei haben sie auch das Schulsystem als zentrales Element des Lebensumfelds junger Menschen in den Blick genommen und festgestellt, dass dieses Kinder und Jugendliche stark belastet. Der zunehmende Leistungsdruck und überladene Lehrpläne führten zu Stresssymptomen und psychischen Belastungen bei vielen Schülern. Insbesondere an weiterführenden Schulen spürten die Jugendlichen den Druck, sich in Prüfungen zu behaupten.

    “Um den Lernstoff bewältigen zu können, verlieren junge Menschen häufig Erholungsphasen, was langfristig zu gesundheitlichen Problemen führen kann”, heißt es in dem Bericht. Die Belastungen stünden in krassem Widerspruch zu den Erwartungen der jungen Menschen an ein Bildungssystem, das ihre Entwicklungen und ihr Wohlbefinden fördern sollte.

    Herausforderungen: Ungleichheit, Integration, Lehrermangel

    Ein wiederkehrendes Thema in dem Bericht ist die soziale Ungleichheit. Der Bericht macht deutlich, dass Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligen Familien im Durchschnitt schlechtere Bildungschancen haben. Diese Ungleichheiten sind nicht neu, wurden durch die Corona-Pandemie jedoch erheblich verschärft. Speziell der fehlende Zugang zu digitalen Endgeräten und einer stabilen Internetverbindung hätte Schüler aus ärmeren Familien zurückgeworfen.

    Als eine besondere Herausforderung nennen die Experten auch die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, vor allem von geflüchteten Kindern. Viele von ihnen hätten nach wie vor Schwierigkeiten, sich im deutschen Schulsystem zurechtzufinden. Sprachliche Barrieren und die Traumata, die viele geflüchtete Kinder erlebt hätten, würden oft nicht ausreichend berücksichtigt. Zugleich wird in dem Bericht betont, dass diese Kinder über eine hohe Motivation und Resilienz verfügten. Diese, so fordern die Sachverständigen, müsse besser gefördert werden.

    Expertenkommission macht Reformvorschläge

    Als Konsequenz aus den Ergebnissen schlägt die Expertenkommission weitreichende Reformen vor, um das Bildungssystem den Herausforderungen der modernen Gesellschaft anzupassen. Unter anderem fordert sie einen ganzheitlichen Bildungsansatz, der “über eine reine Wissensvermittlung hinausgeht und die persönliche Entwicklung, Gesundheitsfragen und gesellschaftliche Integration zur Grundlage hat”.

    Schulen sollten Programme zur Stressbewältigung und zum Umgang mit psychischen Belastungen anbieten, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Lehrpläne müssten realistischer gestaltet und stärker an den individuellen Bedürfnissen der Schüler ausgerichtet werden. Die Befragungen junger Menschen hätten gezeigt, dass dazu auch die Berücksichtigung geschlechtlicher und sexueller Diversität gehören solle.

    Verbesserungsbedarf bei IT-Ausstattung und Schulsozialarbeit

    Eine weitere zentrale Forderung der Sachverständigen ist die flächendeckende Ausstattung der Schulen mit moderner IT-Infrastruktur. Dabei gehe es nicht nur um den kurzfristigen Umgang mit pandemiebedingten Ausfällen, sondern um eine nachhaltige Verankerung digitaler Bildungsformate, die den Schülern helfen, sich auf die zunehmend digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten.

    Zudem hebt die Kommission die Potenziale multiprofessioneller Teams hervor. Eine besondere Rolle nehme die Schulsozialarbeit ein, um Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Die Experten fordern, diese Strukturen weiter auszubauen und die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule zu verbessern, um eine ganzheitlichere Unterstützung zu gewährleisten.

    Allerdings kritisieren die Experten ihren “Profilverlust und die zu große Annäherung an schulisches Lernen”. Die Schulsozialarbeit ringe noch mit ihrem konkreten Auftrag im multiprofessionellen Gefüge. Die Sachverständigenkommission warnt daher davor, dass sie nicht zum “billigen Dienstleister” der Schule werden dürfe. Vielmehr gelte es, ein besseres Profil durch eigene pädagogische Konzepte zu entwickeln.

    Eine zusammenfassende Kurzbroschüre des 17. Kinder- und Jugendberichts finden Sie hier.

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