endlich scheinen Winter und Dauerregen vorbei zu sein. Nun gibt es auch keine Ausreden mehr, das Fahrrad im Keller und die Laufschuhe im Schrank zu lassen. Wie wichtig das ist, führen uns in schöner Regelmäßigkeit Studien vor Augen, die bescheinigen: Wir sitzen zu viel, bewegen uns zu wenig, und immer mehr Menschen sind übergewichtig.
Das gilt in zunehmendem Maße auch für Kinder und Jugendliche, wie die am heutigen Montag vorgestellte HBSC-Studie zeigt. Alle vier Jahre werden dafür 11- bis 15-jährige Schülerinnen und Schüler danach befragt, wie gesund und zufrieden sie sind, wie viel sie sich bewegen und ob sie Mobbing erleben.Vera Kraft war bei der Vorstellung der Studie dabei und hat die wichtigsten Ergebnisse herausgefiltert.
Ein Ergebnis ist besonders erschreckend: Nur etwa jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge bewegt sich eine Stunde am Tag. Das ist das von der WHO empfohlene Pensum. Gemeint ist damit nicht nur Sport, sondern auch der Fuß- oder Radweg zur Schule. Da kommt eine Stunde eigentlich schnell zusammen, wenn Mama oder Papa das Kind nicht im Auto vors Schultor fahren würde oder wenn sich Kinder am Nachmittag draußen zum Spielen verabreden.
Und die Tendenz zeigt nach unten. Im Jugendalter nimmt die Bewegungsarmut weiter zu. Was hilft? Das hat Holger Schleper einen Präventionsexperten gefragt. In der Liste der Vorschläge geht es auch um das Elterntaxi und wenig ansprechende Schulhöfe.
Ich wünsche Ihnen einen bewegungsreichen Abend!
Psychosomatische Beschwerden sind bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie sprunghaft angestiegen. Das ergab die am heutigen Montag veröffentlichte Studie “Health Behaviour in School-aged Children” (HBSC). Die HBSC-Studie gilt mit 51 beteiligten Ländern als weltweit größte Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit. Die repräsentativen Befragungen unter 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schülern werden alle vier Jahre durchgeführt. Seit dem Schuljahr 2009/10 enthält die Studie auch bundesweit repräsentative Ergebnisse für Deutschland.
Die diesjährige Umfrage zeigt, wie Schüler ihre subjektive Gesundheit einschätzen, wie viel Sport sie machen und ob sie Mobbing-Erfahrungen haben. Bei der Tagung, die Teil des Kongresses Armut und Gesundheit ist, präsentierten die beteiligten Forscherinnen und Forscher auch einige Empfehlungen für den schulischen Kontext.
Mehr als 40 Prozent aller 2022 befragten Schülerinnen und Schüler berichteten von verschiedenen psychosomatischen Leiden wie Nervosität, Einschlafproblemen oder Kopfschmerzen. Im Vergleich zu 2018 ist das ein Anstieg um knapp 15 Prozentpunkte. Mädchen und Genderdiverse berichteten dabei deutlich häufiger von solchen Beschwerden als Jungen. So waren es bei Mädchen 52 Prozent, bei Jugendlichen, die sich als non-binär identifizieren, 80 Prozent und bei Jungen 30 Prozent. Die Geschlechtsunterschiede verstärken sich mit zunehmendem Alter.
Eine zentrale Rolle beim psychischen Wohlbefinden spielt auch die Schule. “Jeder Dritte fühlt sich durch die Anforderungen in der Schule belastet”, sagt Franziska Reiß vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Trotz des kontinuierlichen Anstiegs von psychosomatischen Beschwerden seit 2010 befinden sich 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen sonst nach eigenen Einschätzungen in einem “guten Gesundheitszustand”. 87 Prozent zeigen eine hohe Lebenszufriedenheit. Zwar hat sich die Lebenszufriedenheit im Vergleich zu der Befragung von 2018 verschlechtert – sie ist aber immer noch höher als bei den Erhebungen von 2010 und 2014.
Bei der Fähigkeit, mit Gesundheitsinformationen umzugehen, schneiden die Jugendlichen allerdings schlecht ab: Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler hat lediglich eine geringe Gesundheitskompetenz. Das hängt wiederum direkt mit dem eigenen Wohlbefinden zusammen. Denn Jugendliche mit geringer Gesundheitskompetenz leiden häufiger unter psychosomatische Beschwerden. Am häufigsten fehlt es Schülern an Hauptschulen an Gesundheitskompetenzen, wie die HBSC-Studie herausfand.
Differenziert man die Daten danach, aus welchem Elternhaus die Kinder und Jugendlichen kommen, ergeben sich ebenfalls drastische Unterschiede. So berichtete beispielsweise ein Viertel der Mädchen aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien eine niedrige Lebenszufriedenheit. Das ist doppelt so häufig wie bei Schülerinnen aus wohlhabenderen Familien. Sozioökonomisch benachteiligte Jungen haben sogar eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, unzufrieden zu sein, als ihre wohlhabenderen Altersgenossen.
Die sozialen Unterschiede wirken sich selbst darauf aus, wie viel Sport die Kinder und Jugendlichen machen. So zeigen die Ergebnisse, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Wohlstand weniger Sport treiben als Gleichaltrige aus wohlhabenderen Familien. Die größten Unterschiede zeigen sich in puncto Bewegung allerdings zwischen den Geschlechtern. Mädchen erreichen deutlich seltener als Jungen das von der WHO definierte Bewegungsziel von 60 Minuten pro Tag.
Mobbing in der Schule hat laut der aktuellen Studie nicht zugenommen. Im Vergleich zu 2009 und 2013 sind die Zahlen sogar zurückgegangen. Im Bereich Cybermobbing ist der Anteil der betroffenen Schüler im Vergleich zu 2017 allerdings gestiegen: von vier auf sieben Prozent. Besonders betroffen von Mobbingerfahrungen sind genderdiverse Schüler. Von ihnen berichtet fast jeder Dritte von Mobbingerfahrungen.
Als Problem identifiziert die Studie auch, dass das Thema Gesundheit in der Schule nicht strukturell verankert ist. Das ergibt sich aus einer zusätzlichen Schulleiterbefragung. “Um das Problem an der Wurzel anzupacken, braucht es schul- und bildungspolitische Maßnahmen”, sagt Matthias Richter, Leiter der HBSC-Studie Deutschland. Das umfasse einen gerechten Zugang zu Bildung, aber auch zusätzlich Bildungsangebote an Hauptschulen oder ein gesundes Schulessen.
“Gesundheit an Schulen spielt aktuell keine gesetzlich verbindliche Rolle“, sagt der Fuldaer Gesundheitswissenschaftler Kevin Dadaczynski. Solange aber die einzelnen Schulen dafür verantwortlich sind, Gesundheitsbildung in ihren Schulalltag zu implementieren, schneiden weiterhin die Schulen besser ab, die mehr Ressourcen zur Verfügung haben. Dadurch besteht die Gefahr, die soziale Ungleichheit weiter zu verstärken, sagt Dadaczynski. Eine gesetzliche Verankerung von Gesundheit, etwa im Schulgesetz, könnte dem entgegenwirken.
Herr Bucksch, welche Erklärung haben Sie dafür, dass sich die 11- bis 15-jährigen Mädchen deutlich weniger bewegen als die gleichaltrigen Jungen?
Der Unterschied, das würde ich schon sagen, gehört zu den eklatantesten Befunden. Dieser Unterschied zwischen Jungen und Mädchen war auch schon in der Studie von 2009/2010 da und ist über die Zeit bis heute nahezu unverändert geblieben. Grundsätzlich wird das Bewegungsverhalten von sehr vielen Faktoren beeinflusst. Speziell beim Geschlechterunterschied spielen neben den biologischen, körperlichen Veränderungen gesellschaftlich-kulturelle Faktoren sicher die größte Rolle.
Was meinen Sie damit konkret?
Es hört sich etwas tradiert an, aber die gesellschaftlichen Vorstellungen, wie Jungen und wie Mädchen zu sein haben, sind nach wie vor da. Gerade bei den 11- bis 15-jährigen Mädchen ist es so, dass die körperlichen Veränderungen gravierender sind und sie dann ihren Körper häufiger nicht gern zeigen. Jungs dagegen inszenieren sich mit ihrem stärker werdenden Körper eher.
Gibt es weitere Erklärungen?
Ja, Mädchen wird weniger Bewegungsfreiraum zugestanden. Das belegen einige Studien. Die Eltern haben hier ein viel höheres Sicherheitsempfinden. Da heißt es häufiger: “Bei dem Weg fahre ich Dich lieber.” Das sind alles Bewegungszeiten, die verloren gehen. Auch Jungen werden zunehmend von Eltern zur Schule oder zum Sport gefahren, aber bei Mädchen ist es noch immer häufiger der Fall.
Die Studie zeigt ja auch, dass gerade bei Mädchen und Jungen aus sozioökonomisch schwächer gestellten Familien die Bewegungszeiten geringer sind. Woran liegt das?
Die Unterschiede mit dem familiären Wohlstand zeigen sich am stärksten, wenn es um sportliche Aktivitäten geht. Das könnte daran liegen, dass Angebote im Sportverein häufig mit Kosten verbunden sind. Ein anderer Erklärungsansatz könnte aber auch sein, dass Jugendlichen aus familiär besser gestellten Familien mehr positive Vorbilder in der Familie oder im sozialen Umfeld finden. Zudem ist die Gesundheitskompetenz von Jugendlichen aus sozial schwächer gestellten Familien geringer.
Wo stehen denn die deutschen Jugendlichen im internationalen Vergleich?
Deutschland bewegt sich maximal im Durchschnitt. Die zurückliegenden Erhebungswellen der HBSC-Studie zeigen, dass die Bewegungszeiten sogar eher unterdurchschnittlich sind.
Welche Verantwortung haben hier aus Ihrer Sicht die Schulen?
Man muss sicher auf allen Ebenen ansetzen. Ich tue mich schwer, allein den Schulen immer mehr aufzubürden. Natürlich wäre eine weitere Sportstunde gut. Aber die Bewegungszeit von täglich 60 Minuten kann ich ja in der Schule nicht gewährleisten. Was allerdings weitere Ansatzpunkte in der Schule sind: die Gestaltung von Schulhöfen. Sie sollten mehr Bewegungsanlässe bieten.
Was ist mit dem Schulweg?
Darin liegt viel Potenzial, um die Bewegungszeit zu erhöhen, etwa wenn die Schülerinnen und Schüler mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen. Schule kann hier insgesamt sicher eine Mitverantwortung haben, aber – wie gesagt – ein Ruf nach der einen zusätzlichen Stunde Sport würde zu kurz greifen. Für den Mehrwert, den ein “bewegter Schulweg” hat, gibt es ganz gute Studien. Die Kinder kommen frischer in die Schule und machen dann auch besser mit. Diesen Nutzen von körperlicher Aktivierung für die kognitive Aktivierung sollte stärker berücksichtigt werden.
Könnte der ab 2026 beginnende Ganztagsanspruch eine Chance für mehr Bewegung sein?
Ja, klar. Gerade mit der Verzahnung mit Sportvereinen und Angeboten im Laufe eines Schultages. Aber es gilt immer der Hinweis: Wir brauchen diese 60 Minuten Bewegung täglich. Es muss einfach überall Bewegungsanlässe geben. Wir müssen auch im Alltag umdenken und es attraktiver machen, das Fahrrad zu nehmen oder zu Fuß zu gehen.
endlich scheinen Winter und Dauerregen vorbei zu sein. Nun gibt es auch keine Ausreden mehr, das Fahrrad im Keller und die Laufschuhe im Schrank zu lassen. Wie wichtig das ist, führen uns in schöner Regelmäßigkeit Studien vor Augen, die bescheinigen: Wir sitzen zu viel, bewegen uns zu wenig, und immer mehr Menschen sind übergewichtig.
Das gilt in zunehmendem Maße auch für Kinder und Jugendliche, wie die am heutigen Montag vorgestellte HBSC-Studie zeigt. Alle vier Jahre werden dafür 11- bis 15-jährige Schülerinnen und Schüler danach befragt, wie gesund und zufrieden sie sind, wie viel sie sich bewegen und ob sie Mobbing erleben.Vera Kraft war bei der Vorstellung der Studie dabei und hat die wichtigsten Ergebnisse herausgefiltert.
Ein Ergebnis ist besonders erschreckend: Nur etwa jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge bewegt sich eine Stunde am Tag. Das ist das von der WHO empfohlene Pensum. Gemeint ist damit nicht nur Sport, sondern auch der Fuß- oder Radweg zur Schule. Da kommt eine Stunde eigentlich schnell zusammen, wenn Mama oder Papa das Kind nicht im Auto vors Schultor fahren würde oder wenn sich Kinder am Nachmittag draußen zum Spielen verabreden.
Und die Tendenz zeigt nach unten. Im Jugendalter nimmt die Bewegungsarmut weiter zu. Was hilft? Das hat Holger Schleper einen Präventionsexperten gefragt. In der Liste der Vorschläge geht es auch um das Elterntaxi und wenig ansprechende Schulhöfe.
Ich wünsche Ihnen einen bewegungsreichen Abend!
Psychosomatische Beschwerden sind bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie sprunghaft angestiegen. Das ergab die am heutigen Montag veröffentlichte Studie “Health Behaviour in School-aged Children” (HBSC). Die HBSC-Studie gilt mit 51 beteiligten Ländern als weltweit größte Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit. Die repräsentativen Befragungen unter 11- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schülern werden alle vier Jahre durchgeführt. Seit dem Schuljahr 2009/10 enthält die Studie auch bundesweit repräsentative Ergebnisse für Deutschland.
Die diesjährige Umfrage zeigt, wie Schüler ihre subjektive Gesundheit einschätzen, wie viel Sport sie machen und ob sie Mobbing-Erfahrungen haben. Bei der Tagung, die Teil des Kongresses Armut und Gesundheit ist, präsentierten die beteiligten Forscherinnen und Forscher auch einige Empfehlungen für den schulischen Kontext.
Mehr als 40 Prozent aller 2022 befragten Schülerinnen und Schüler berichteten von verschiedenen psychosomatischen Leiden wie Nervosität, Einschlafproblemen oder Kopfschmerzen. Im Vergleich zu 2018 ist das ein Anstieg um knapp 15 Prozentpunkte. Mädchen und Genderdiverse berichteten dabei deutlich häufiger von solchen Beschwerden als Jungen. So waren es bei Mädchen 52 Prozent, bei Jugendlichen, die sich als non-binär identifizieren, 80 Prozent und bei Jungen 30 Prozent. Die Geschlechtsunterschiede verstärken sich mit zunehmendem Alter.
Eine zentrale Rolle beim psychischen Wohlbefinden spielt auch die Schule. “Jeder Dritte fühlt sich durch die Anforderungen in der Schule belastet”, sagt Franziska Reiß vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Trotz des kontinuierlichen Anstiegs von psychosomatischen Beschwerden seit 2010 befinden sich 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen sonst nach eigenen Einschätzungen in einem “guten Gesundheitszustand”. 87 Prozent zeigen eine hohe Lebenszufriedenheit. Zwar hat sich die Lebenszufriedenheit im Vergleich zu der Befragung von 2018 verschlechtert – sie ist aber immer noch höher als bei den Erhebungen von 2010 und 2014.
Bei der Fähigkeit, mit Gesundheitsinformationen umzugehen, schneiden die Jugendlichen allerdings schlecht ab: Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler hat lediglich eine geringe Gesundheitskompetenz. Das hängt wiederum direkt mit dem eigenen Wohlbefinden zusammen. Denn Jugendliche mit geringer Gesundheitskompetenz leiden häufiger unter psychosomatische Beschwerden. Am häufigsten fehlt es Schülern an Hauptschulen an Gesundheitskompetenzen, wie die HBSC-Studie herausfand.
Differenziert man die Daten danach, aus welchem Elternhaus die Kinder und Jugendlichen kommen, ergeben sich ebenfalls drastische Unterschiede. So berichtete beispielsweise ein Viertel der Mädchen aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien eine niedrige Lebenszufriedenheit. Das ist doppelt so häufig wie bei Schülerinnen aus wohlhabenderen Familien. Sozioökonomisch benachteiligte Jungen haben sogar eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, unzufrieden zu sein, als ihre wohlhabenderen Altersgenossen.
Die sozialen Unterschiede wirken sich selbst darauf aus, wie viel Sport die Kinder und Jugendlichen machen. So zeigen die Ergebnisse, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Wohlstand weniger Sport treiben als Gleichaltrige aus wohlhabenderen Familien. Die größten Unterschiede zeigen sich in puncto Bewegung allerdings zwischen den Geschlechtern. Mädchen erreichen deutlich seltener als Jungen das von der WHO definierte Bewegungsziel von 60 Minuten pro Tag.
Mobbing in der Schule hat laut der aktuellen Studie nicht zugenommen. Im Vergleich zu 2009 und 2013 sind die Zahlen sogar zurückgegangen. Im Bereich Cybermobbing ist der Anteil der betroffenen Schüler im Vergleich zu 2017 allerdings gestiegen: von vier auf sieben Prozent. Besonders betroffen von Mobbingerfahrungen sind genderdiverse Schüler. Von ihnen berichtet fast jeder Dritte von Mobbingerfahrungen.
Als Problem identifiziert die Studie auch, dass das Thema Gesundheit in der Schule nicht strukturell verankert ist. Das ergibt sich aus einer zusätzlichen Schulleiterbefragung. “Um das Problem an der Wurzel anzupacken, braucht es schul- und bildungspolitische Maßnahmen”, sagt Matthias Richter, Leiter der HBSC-Studie Deutschland. Das umfasse einen gerechten Zugang zu Bildung, aber auch zusätzlich Bildungsangebote an Hauptschulen oder ein gesundes Schulessen.
“Gesundheit an Schulen spielt aktuell keine gesetzlich verbindliche Rolle“, sagt der Fuldaer Gesundheitswissenschaftler Kevin Dadaczynski. Solange aber die einzelnen Schulen dafür verantwortlich sind, Gesundheitsbildung in ihren Schulalltag zu implementieren, schneiden weiterhin die Schulen besser ab, die mehr Ressourcen zur Verfügung haben. Dadurch besteht die Gefahr, die soziale Ungleichheit weiter zu verstärken, sagt Dadaczynski. Eine gesetzliche Verankerung von Gesundheit, etwa im Schulgesetz, könnte dem entgegenwirken.
Herr Bucksch, welche Erklärung haben Sie dafür, dass sich die 11- bis 15-jährigen Mädchen deutlich weniger bewegen als die gleichaltrigen Jungen?
Der Unterschied, das würde ich schon sagen, gehört zu den eklatantesten Befunden. Dieser Unterschied zwischen Jungen und Mädchen war auch schon in der Studie von 2009/2010 da und ist über die Zeit bis heute nahezu unverändert geblieben. Grundsätzlich wird das Bewegungsverhalten von sehr vielen Faktoren beeinflusst. Speziell beim Geschlechterunterschied spielen neben den biologischen, körperlichen Veränderungen gesellschaftlich-kulturelle Faktoren sicher die größte Rolle.
Was meinen Sie damit konkret?
Es hört sich etwas tradiert an, aber die gesellschaftlichen Vorstellungen, wie Jungen und wie Mädchen zu sein haben, sind nach wie vor da. Gerade bei den 11- bis 15-jährigen Mädchen ist es so, dass die körperlichen Veränderungen gravierender sind und sie dann ihren Körper häufiger nicht gern zeigen. Jungs dagegen inszenieren sich mit ihrem stärker werdenden Körper eher.
Gibt es weitere Erklärungen?
Ja, Mädchen wird weniger Bewegungsfreiraum zugestanden. Das belegen einige Studien. Die Eltern haben hier ein viel höheres Sicherheitsempfinden. Da heißt es häufiger: “Bei dem Weg fahre ich Dich lieber.” Das sind alles Bewegungszeiten, die verloren gehen. Auch Jungen werden zunehmend von Eltern zur Schule oder zum Sport gefahren, aber bei Mädchen ist es noch immer häufiger der Fall.
Die Studie zeigt ja auch, dass gerade bei Mädchen und Jungen aus sozioökonomisch schwächer gestellten Familien die Bewegungszeiten geringer sind. Woran liegt das?
Die Unterschiede mit dem familiären Wohlstand zeigen sich am stärksten, wenn es um sportliche Aktivitäten geht. Das könnte daran liegen, dass Angebote im Sportverein häufig mit Kosten verbunden sind. Ein anderer Erklärungsansatz könnte aber auch sein, dass Jugendlichen aus familiär besser gestellten Familien mehr positive Vorbilder in der Familie oder im sozialen Umfeld finden. Zudem ist die Gesundheitskompetenz von Jugendlichen aus sozial schwächer gestellten Familien geringer.
Wo stehen denn die deutschen Jugendlichen im internationalen Vergleich?
Deutschland bewegt sich maximal im Durchschnitt. Die zurückliegenden Erhebungswellen der HBSC-Studie zeigen, dass die Bewegungszeiten sogar eher unterdurchschnittlich sind.
Welche Verantwortung haben hier aus Ihrer Sicht die Schulen?
Man muss sicher auf allen Ebenen ansetzen. Ich tue mich schwer, allein den Schulen immer mehr aufzubürden. Natürlich wäre eine weitere Sportstunde gut. Aber die Bewegungszeit von täglich 60 Minuten kann ich ja in der Schule nicht gewährleisten. Was allerdings weitere Ansatzpunkte in der Schule sind: die Gestaltung von Schulhöfen. Sie sollten mehr Bewegungsanlässe bieten.
Was ist mit dem Schulweg?
Darin liegt viel Potenzial, um die Bewegungszeit zu erhöhen, etwa wenn die Schülerinnen und Schüler mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen. Schule kann hier insgesamt sicher eine Mitverantwortung haben, aber – wie gesagt – ein Ruf nach der einen zusätzlichen Stunde Sport würde zu kurz greifen. Für den Mehrwert, den ein “bewegter Schulweg” hat, gibt es ganz gute Studien. Die Kinder kommen frischer in die Schule und machen dann auch besser mit. Diesen Nutzen von körperlicher Aktivierung für die kognitive Aktivierung sollte stärker berücksichtigt werden.
Könnte der ab 2026 beginnende Ganztagsanspruch eine Chance für mehr Bewegung sein?
Ja, klar. Gerade mit der Verzahnung mit Sportvereinen und Angeboten im Laufe eines Schultages. Aber es gilt immer der Hinweis: Wir brauchen diese 60 Minuten Bewegung täglich. Es muss einfach überall Bewegungsanlässe geben. Wir müssen auch im Alltag umdenken und es attraktiver machen, das Fahrrad zu nehmen oder zu Fuß zu gehen.