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Erscheinungsdatum: 24. August 2026

Richtungswechsel bei der Bund-Länder-Kommission Pflege: Denken Sie groß!

Elke Ronneberger

Bis Ende des Jahres soll eine Bund-Länder-Kommission Reformvorschläge für die Pflege vorlegen. Diakonie-Bundesvorständin Elke Ronneberger fordert, mehr Steuergeld in die Pflege zu investieren. Hier könne schon wenig Geld viel bewirken.

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform hat die Chance, ein großes gesellschaftliches Problem mit überschaubaren Mitteln anzugehen – und damit Millionen Menschen eine existenzielle Sorge zu nehmen. Die große Reform der Langzeitpflege steht endlich vor der Tür. Doch die Stimmung ist gedrückt: knappe Kassen in der Pflegeversicherung und bei den Kommunen, Personalmangel in der Pflege, immer mehr Pflegebedürftige. Viele erwarten, dass die Kommission in kurzer Zeit nur einen Plan vorlegen wird, der am Ende enttäuscht. Halt!

Bevor wir uns in Einzelprobleme verlieren, sollten wir uns die gesellschaftliche Bedeutung des Themas bewusst machen – und dabei vom Bundeshaushalt ausgehen. Jedes Jahr fließen über 120 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Rentenversicherung. Das ist gut begründbar und stellen wir nicht infrage. Aber wie viel fließt in die Pflegeversicherung? Kein einziger Euro. Die Rente ist allgegenwärtig, Pflege wird hingegen fast ausschließlich als finanzielles Problem verhandelt.

Wirkung statt Kleinrechnen

Es lohnt sich, die Wirkung eines Steuer-Euros in beiden Systemen zu betrachten. In der Rentenversicherung führt ein zusätzlicher Euro zu einer Auszahlung an alle Rentnerinnen und Rentner. In der Pflegeversicherung dagegen reicht ein Euro, um drei Versicherten die benötigte Leistung zur Verfügung zu stellen. Denn nur etwa ein Drittel der Menschen wird im Laufe des Lebens pflegebedürftig. Die übrigen benötigen die Leistung nicht – und verzichten gern darauf. In der Pflege wirkt der Steuer-Euro also wie ein Verstärker: Er nimmt nicht einer, sondern gleich drei Personen eine existenzielle Sorge.

Diese Sorge betrifft nicht nur die, die heute schon pflegebedürftig sind, sondern ebenso jene, die in zehn oder zwanzig Jahren in hohem Alter leben werden. Die Frage ist immer dieselbe: Wird sich jemand um mich kümmern? Kann ich selbstbestimmt leben?

Unsicherheit, die Politik nicht anspricht

Zur Rente gibt es klare politische Botschaften. Wenn es um Pflege geht, wird es kompliziert. Das Gespräch driftet schnell in Grundsatzdiskussionen ab: Bürgerversicherung oder private Vorsorge? Eigenverantwortung oder Prävention? Versicherungsfremde Leistungen? Zurück bleibt ein diffuses Unsicherheitsgefühl.

Auch private Vorsorge kann dieses Gefühl nicht nehmen. Erstens weiß niemand, wie hoch die eigenen Pflegekosten einmal sein werden. Zweitens hängt eine gute Versorgung nicht nur vom Geldbeutel ab, sondern von einer funktionierenden Infrastruktur – und die kann nur das Solidarsystem bereitstellen.

Altersvorsorge neu denken

Es reicht nicht, nur das Risiko der Pflegebedürftigkeit zu betrachten. Wer sehr alt wird, braucht ein Umfeld, das Teilhabe ermöglicht – auch ohne Pflegegrad. Dazu gehören Begegnungsorte, ein unterstützendes nachbarschaftliches Netz und Angebote, die Einsamkeit verhindern.

Hier kommen die Kommunen ins Spiel. Sie können präventive Hausbesuche organisieren, Nachbarschaftshilfe fördern, Treffpunkte schaffen. Die Aufgaben sind seit Jahrzehnten bekannt, der demografische Wandel macht sie dringlicher denn je. Doch vielerorts fehlt schlicht das Geld, um sie anzupacken.

Auch hier gilt: Ein Euro wirkt mehrfach. Nicht alle alten Menschen sind einsam oder gebrechlich. Viele bringen sich ein, beleben ihre Umgebung und stützen Jüngere mit Erfahrung und Gelassenheit.

Zeit für einen weiten Blick

Bevor sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe in den bekannten Problemen der Langzeitpflege verliert, sollte sie sich einen Handlungsrahmen setzen, der weit genug ist, um auf die Unsicherheit der Bevölkerung zu antworten. Pflegebedürftigkeit ist ein Lebensrisiko, für das der Einzelne nur begrenzt vorsorgen kann. Die kommunale Altenhilfe wiederum ist nichts, was man privat kaufen könnte. Beides sind klassische Aufgaben des Gemeinwesens.

Gerade weil in der Pflege und Altenhilfe jeder eingesetzte Euro eine besonders hohe Wirkung entfaltet, gibt es ein starkes Argument dafür, hier gezielt Steuermittel einzusetzen.

Mein Appell

Meine Empfehlung an die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, in der auch die Kommunen vertreten sind, lautet: Denken Sie groß. Mit begrenzten Mitteln lässt sich ein Problem lösen, das Millionen Menschen beunruhigt. Ein Problem weniger – das ist es, was wir in einer ohnehin problembeladenen Zeit dringend brauchen.

Elke Ronneberger ist Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.

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Letzte Aktualisierung: 24. August 2025

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