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Berlin.Table
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Spezial
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#524
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14. März 2025
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Talk of the Town
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Jetzt kann Merz hoffen, dass die Mehrheit steht
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Ringen um Milliardenpakete: Union, SPD und Grüne finden zusammen
von
Okan Bellikli, Stefan Braun, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt, Sven Siebert und Maximilian Stascheit
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Es hat geächzt, gekracht und geschmerzt – aber nach einer sehr langen Nachtsitzung der Spitzen von Union, SPD und Grünen ist es gelungen, eine Einigung zu erzielen. Trotz des heftigen Hickups am Donnerstag im Bundestag haben es Friedrich Merz und Lars Klingbeil geschafft, die für sie politisch existenzielle Kooperation mit bis zuletzt widerspenstigen, auf Änderungen beharrenden Grünen zu erreichen. Damit scheint der Weg frei zu sein für die nötige Zweidrittelmehrheit, um die geplanten drei Grundgesetzänderungen am Dienstag durchs Parlament zu bringen. Für Merz ist das eine entscheidende Wegmarke. Und es war sehr viel mehr Arbeit, als er wohl gedacht hat. So flexibel der CDU-Vorsitzende und Kanzler in spe sich selbst in der Sache fühlte, so sehr lief er wieder Gefahr, alle Ziele durch eigenes Unvermögen im Umgang mit Verhandlungspartnern zu torpedieren. Der Ärger, den er durch mangelnde Zugewandtheit bei den Grünen ausgelöst hatte, schien um ein Haar alles in Gefahr zu bringen. Spätestens am späten Donnerstagabend, als weitere Gespräche mit den Grünen in einer Sackgasse festhingen, muss ihm klar geworden sein, dass es jetzt wirklich ernst wird. In den frühen Morgenstunden des Freitags hat es dann eine Verständigung gegeben. Noch ohne finalen Handschlag; wohl aber mit dem beiderseitigen Gefühl, dass man in dieser historischen Situation doch gemeinsame Sache machen werde. Ein endgültiges und gegenseitiges Go gaben sich Merz, Klingbeil, Haßelmann und Co. unmittelbar vor den Sondersitzungen ihrer Fraktionen, die für 13 Uhr einberufen wurden. Hintergrund war, dass Merz und Klingbeil ihre Abgeordneten auf keinen Fall ohne Begründungen und Erörterungen ins Wochenende verabschieden wollten. Der Grund ist einfach: Die Grünen haben ihnen noch etwas abgerungen, was Erklärungsbedarf ausgelöst hat: Die Einigung im Detail: - Die Gesamtsumme für das Sondervermögen bleibt bei 500 Milliarden, es gilt aber für 12 statt wie ursprünglich geplant für zehn Jahre. Es handelt sich also um rund 41,6 Milliarden Euro pro Jahr, davon entfallen 33 Milliarden auf den Bund.
- Dem Gesetzestext für das Infrastruktur-Sondervermögen wird das entscheidende Kriterium “Zusätzlichkeit” hinzugefügt. Laufende Staatsaufgaben und konsumtive Ausgaben dürfen somit nicht daraus finanziert werden. Als Grenze gilt eine Investitionsquote von 10 Prozent des Bundeshaushaltes. Details muss das BMF klären. Dazu wurde ein Prüfauftrag erteilt.
- Außerdem fließen aus dem Sondervermögen statt der von Merz am Donnerstag zugesagten 50 Milliarden nun 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds. Für Merz war das “der härteste Brocken”.
- Bei der Ausnahme der Schuldenbremse für Verteidigung bleibt es bei der Grenze von einem Prozent des BIP.
- Bereits am Donnerstag hatte Merz zugesagt, dass der Sicherheitsbegriff erweitert wird, also auch die Finanzierung von Zivil- und Bevölkerungsschutz, Geheimdiensten, IT-Sicherheit sowie die “Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten” unter die Ausnahme fallen werden. Nach Zustimmung des Bundesrates zur Grundgesetzänderung soll, außerdem die lange umstrittene Finanzhilfe für die Ukraine in Höhe von drei Milliarden Euro freigegeben werden.
- Schließlich wurde bestätigt, dass die Flexibilitätsklausel im Grundgesetz künftig auch für die Länder gelten soll. Also 0,35 Prozent des BIP. Was aktuell ca. 16 Milliarden Euro für alle Länder ausmacht.
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Müde und erschöpft: Merz am Mittag vor der Fraktion
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Für Merz und die Union ist das ein Zwischenerfolg, wenn auch ein schwer verdaulicher. Seit dem Wahltag sind CDU und CSU im politischen Dauerbeschuss, weil sie Dinge tun, die sie beide noch vor wenigen Monaten strikt abgelehnt hätten. Das Ergebnis der Gespräche mit den Grünen und die bisherigen Resultate der Verhandlungen mit den Sozialdemokraten sind ein einziges Zeugnis der Veränderungen – in der Welt, aber auch in der Zusammensetzung des Bundestags. Merz muss Dinge tun, die selbst für eine Angela Merkel eine heikle Kost gewesen wären. Was ihm bei alledem helfen kann: dass in der EU die allermeisten aufatmen werden – und dass alle anderen auf der Welt, die wie Wladimir Putin auf weitere Hängepartien und Schwächungen hofften, ein entschlossenes Deutschland erleben.
Mancher in der Union spricht schon vom Nixon- oder Begin-Moment für Merz. Nach dem Motto: Nur Richard Nixon konnte nach China fahren, nur Menachem Begin konnte mit Ägypten Frieden schließen – und nur Merz kann seiner Union jetzt erklären, dass diese Beschlüsse und die damit verbundenen Kurswechsel angesichts der Weltläufe absolut notwendig geworden sind. Ob Merz dazu in der Lage ist, muss sich aber noch zeigen. Und das liegt nicht nur an der Frage, ob er sozial die Fähigkeiten dazu hat, in schwierigsten Zeiten ausreichend viele Leute einzubinden. Ebenso wichtig wird sein, ob es der Union gelingt, im Koalitionsvertrag Dinge zu erreichen, die sein Wahlversprechen vom Politikwechsel ausreichend dokumentieren. Immerhin: Am Freitagmittag hat die Fraktion dem Ergebnis einstimmig zugestimmt.
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Nennt sich Brückenbauer: Lars Klingbeil
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Auch für Klingbeil, den starken Mann auf SPD-Seite, ist die Einigung ein vorläufiger Etappensieg. Das Sondierungspapier hat seine Genossinnen und Genossen noch nicht überzeugt. Dass etwa der Klimaschutz fehlte, dafür aber mehrere Milliarden für die Mütterrente, die Wiedereinführung des Dieselprivilegs eingeplant waren – der Ärger darüber hatte auch das Willy-Brandt-Haus erreicht. Nun hat Klingbeil auch nach innen gezeigt, dass er an Lösungen mitschmieden kann. Entsprechend erleichtert gibt er sich in der Fraktion: “Unsere Aufgabe war es, Brücken zu bauen. Das ist uns gelungen.” Klingbeil hat aber auch deutlich gemacht, dass die SPD in den Koalitionsverhandlungen auch über die Verbesserung der Einnahmeseite im Haushalt noch reden wird. Der SPD-Parteichef braucht Erfolge auf dem Weg zur Koalition – das Mitgliedervotum und der Parteitag im Juni, auf dem er sich mutmaßlich im Amt bestätigen lassen will, sind keine Selbstläufer.
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Lange gezögert, jetzt einiges erkämpft: das Führungsquartett der Grünen
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Die Grünen haben sich lange geziert, am Ende mit den Änderungen aber ziemlich viel erreicht. Und sie könnten, wenn sie es dieses Mal schaffen, einen Erfolg auch wirklich als Erfolg verkaufen. Das Mehr für die Länder und Kommunen, dazu die Berücksichtigung des Klimaschutzes und des KTF – all das hätte es ohne sie nicht gegeben. Natürlich wird der Erfolg flüchtig sein. Trotzdem haben sie in einem für sie sehr großen Kraftakt am Ende ein gigantisches Programm mitgetragen, das sie nicht exakt so, aber doch mit großen Ähnlichkeiten selbst gerne gemacht hätten.
Ungewollt haben sie damit eine Richtung für sich selbst vorgegeben, die auch in die nächste Legislatur hineinreichen dürfte. Emotional hätte ein erheblicher Teil der Fraktion auch ein blankes Nein mitgetragen. Jetzt lautet ihre Botschaft: Wir kämpfen, aber wir stellen nicht auf stur. Für die längerfristige Ausrichtung der noch immer von einem schmerzhaften Wahlergebnis gepeinigten Partei könnte das ein wichtiger Fingerzeig sein. Jedenfalls dann, wenn sie für diese äußerst schwierige Entscheidung nicht nur Kritik, sondern auch Anerkennung erfahren sollten.
Der Haushaltsausschuss wird nun am Sonntag wieder zusammenkommen. Grundlage wird dann ein Änderungsantrag von Union, SPD und Grünen sein, in dem die Verhandlungsergebnisse zusammengefasst werden. Der Ausschuss dürfte dann sehr wahrscheinlich auch eine Empfehlung für die finale Abstimmung am kommenden Dienstag abgeben. Diese wird in namentlicher Abstimmung stattfinden; eine Zustimmung klingt nach der Einigung vom Freitag als ziemlich sicher. Entschieden freilich ist alles erst, wenn ausgezählt ist. Und das gilt auch für die danach anstehende Abstimmung im Bundesrat. Er wird am 21. März sein Votum abgeben. Noch ist auch da nichts in trockenen Tüchern. Auch wenn sowohl Vertreter der Linken (aus Bremen) als auch der Freien Wähler (aus Bayern) begonnen haben, für ein Ja in der Länderkammer zu kämpfen.
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Table.Documents
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An diesem Spezial haben mitgewirkt:
Okan Bellikli, Stefan Braun, Michael Bröcker, Damir Fras, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt, Carli Bess Kutschera, Sven Siebert und Maximilian Stascheit
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Berlin.Table Redaktion
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