Table.Briefing: Berlin

Das Late-Night-Briefing für die Hauptstadt

Das Late-Night-Briefing für die Hauptstadt

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir begrüßen Sie zum Late-Night-Memo für die Hauptstadt. Diese Informationen bieten wir Ihnen heute Abend:

Talk of the Town: Die Grünen nach der Wahl – Große Angst vor den alten Reflexen 

Deutsche Ukraine-Politik: Botschafter Oleksii Makeiev ist enttäuscht 

Rohstoffabkommen USA-Ukraine: Kyjiw wahrt Augenhöhe mit Washington 

SPD: Klingbeil neuer Fraktionschef, aber einer mit Delle 

Handelskrieg droht: Trump kündigt 25 Prozent Zölle auf Autos aus der EU an

Unions-Anfrage zu Neutralität von Organisationen: SPD übt scharfe Kritik 

AfD: Welche neuen Fraktionsmitglieder für Unruhe sorgen könnten 

Wirtschaftskrise: Ist der Klimaschutz schuld? 

EU-Kommission: Weiter Dekarbonisierung statt fossiler Energieträger 

Bürgergeld: Mehr Verfahren wegen möglichem Leistungsmissbrauch 

Gutachten: Forschung und Innovation können aus der Krise helfen 

Table.Today Podcast: Cem Özdemir und Philipp Rottwilm 

Table.Documents: White Paper zur Zeitenwende + Wissenschaftliche Dienste zu Rohstoffen in der Ukraine + KAS zu Koalitionsverhandlungen  

Best of Table: Geopolitischer Machtpoker + Trumps Klimapolitik + Neue Serie zu Science Diplomacy 

Must-Reads: Ukraine-Gipfel ohne Merz + Vorschlag für Schuldenbremsen-Reform + Bezos macht Vorgaben für Washington Post 

Table.Picks: Das Ende der Kinder 

Nachttisch: “The Ezra Klein Show” – Podcast der New York Times


Talk of the Town

Die Grünen mit den sichersten Jobs aktuell: Felix Banaszak und Franziska Brantner

Die Grünen nach der Wahl: Große Angst vor den alten Reflexen  

Von Stefan Braun und Helene Bubrowski 

Von Thomas de Maizière stammt die Erkenntnis, dass es nach einer verlorenen Wahl Wochen dauert, bis man das Ergebnis nicht mehr für total ungerecht hält und die wahren Gründe für die Niederlage ausfindig machen kann. So gesehen ahnt man, wie sich die Grünen mit Robert Habeck gerade fühlen. Und man kann zu dem Ergebnis kommen, dass sie gar nicht so falsch liegen, wenn sie sich für die Analyse ihrer Pleite noch ein paar Wochen Zeit geben. Zumal sie dabei ein besonderes Rätsel lösen müssen: wie es passieren konnte, dass sie zum Start in den Wahlkampf gleichzeitig als zu pragmatisch und zu dogmatisch empfunden wurden. Die Antwort wird auf sich warten lassen.   

Denn die Hoffnung aufs Regieren – und sei es in einer Kenia-Koalition – war so stark, dass es dauern wird, bis die Grünen das Scheitern verdaut haben. Die Realität ist nicht besonders attraktiv; zwischen Linken und AfD müssen sie ihre Oppositionsrolle erst noch finden. Die einen verlangen eine Korrektur des pragmatischen Kurses, den sie für die Verluste an die Linkspartei verantwortlich machen. Die anderen wollen die Habeck’sche Idee einer gesellschaftlichen Bündnispolitik in eine konstruktiv-kritische Oppositionsarbeit überführen.  

Doch was harmlos klingt, birgt aus Sicht der Parteispitze eine große Gefahr: dass die alten Flügelkämpfe wieder aufbrechen. Im ungünstigsten Fall hieße es, dass die Linken und die Realos einfach mal aufschreiben, was sie immer schon für richtig gehalten haben, um dann die entsprechenden Belege im Verlauf des Wahlkampfs zu suchen. Die Sorge vor einer solchen Zerreißprobe ist groß; der Wille, das zu verhindern, ist es auch. Viel hängt an der Aufarbeitung des Wahlergebnisses. Für sie hat sich die Parteiführung bis Anfang/Mitte April Zeit gegeben. Dann soll ein erweiterter Länderrat final einordnen und bewerten. 2021 war das weitgehend ausgeblieben; dieses Mal darf das nach Überzeugung vieler nicht passieren. Im kommenden Jahr stehen heikle Landtagswahlen an, unter anderem im grünen Herzland Baden-Württemberg.  

Absolute Einigkeit herrscht flügelübergreifend derzeit nur an einer Stelle: Klima- und Umweltschutz müssen Schwerpunkte bleiben. Absehbar ist für die Grünen, dass die Union (und sehr wahrscheinlich auch die SPD) bei diesen Themen ambitionslos bleiben. Das auf kurze Sicht größte Problem ist ein anderes. Es gibt nicht mehr viele wichtige Posten zu vergeben. Um vorerst für Ruhe zu sorgen, hat die Bundestagsfraktion ihren geschäftsführenden Fraktionsvorstand erstmal bestätigt. Doch Britta Haßelmann und Katharina Dröge sind nur bis zur Bildung einer neuen Regierung gewählt. Danach steht eine weitere Abstimmung an. Wer dann was werden soll – darüber reden die Grünen dieser Tage intern viel. Und auch hier gibt es mehrere Denkschulen. Für die einen sollen es jene werden, die am meisten strahlen. Denn die Aufmerksamkeit, die die Grünen noch bekommen, werde gering sein. Die anderen blicken eher nach innen und plädieren dafür, die zu versorgen, die sich in harter Regierungszeit verdient gemacht haben.  

Das Problem daran: Auch hier droht die alte Flügellogik wieder alle Entscheidungen zu überlagern. Als wahrscheinlich gilt, dass Annalena Baerbock nach dem Fraktionsvorsitz greifen wird. Einige Grüne sind sogar verwundert, dass sie das noch nicht sofort getan hat. Aber wie hätte sie? Noch ist sie in ihrer Funktion als Außenministerin gebunden. Dröge hat gute Chancen, den linken Teil der Doppelspitze zu bilden. Offen ist die Zukunft von Haßelmann, sollte Baerbock tatsächlich antreten. Nicht gänzlich unwahrscheinlich ist in diesem Fall, dass die Bielefelderin als Bundestagsvizepräsidentin kandidiert – und in einen offenen Wettbewerb mit Katrin Göring-Eckardt gerät, der sie einst als PGF treu gedient hat. KGE hat prompt in der Thüringer Allgemeinen unter Verweis auf ihre ostdeutsche Herkunft schon mal ihren erneuten Anspruch untermauert. Denkbar ist auch, dass Haßelmann in ihre frühere Rolle als Erste PGF zurückkehrt, dann aber bräuchte man einen adäquaten Job für die Amtsinhaberin Irene Mihalic.  

Ein anderes Rätsel hat sich fürs Erste gelöst: Habeck erklärte am Nachmittag via Instagram, dass er sein Bundestagsmandat annehmen wird. Er bleibt den Grünen also im Parlament erhalten – und bedankte sich bei den Unterstützern einer Unterschriftenkampagne, in der er zum Bleiben aufgefordert wird. Am Abend näherte sich die Zahl der Petenten der 400.000-Marke. Einen wird das erstmal besonders freuen: Cem Özdemir. Der Noch-Bundeslandwirtschaftsminister, der 2026 in Stuttgart MP werden will, möchte Habeck unbedingt in seinem eigenen Wahlkampf in Baden-Württemberg einsetzen. “Er ist ein toller Typ. Ich mag ihn als Mensch”, sagte Özdemir Table.Briefings. Als Bundesvorsitzender habe Habeck “eine ganz wichtige Rolle dabei gespielt, die Grünen zu öffnen. Davon haben wir einen Teil verloren.” Daran müsse die Partei nun wieder anknüpfen. Özdemirs Forderung im Table.Today Podcast: “Wir sind gut beraten, dass Habeck eine wichtige Rolle spielt.” Angesichts der vielen Neueintritte sei dies enorm wichtig. “Er ist ein Sympathieträger. Viele der neuen Mitglieder sind wegen ihm eingetreten.” Zur Kritik an Habecks Wahlkampf sagte der Bald-Wahlkämpfer: “Es ist sehr gut, dass Robert Habeck bei all dem Druck auf einen Kurs der Vernunft gesetzt hat.”


News

Oleksii Makeiev

Deutsche Ukraine-Politik: Botschafter Oleksii Makeiev ist enttäuscht. Der ukrainische Botschafter möchte, dass der Begriff Zeitenwende künftig nicht mehr im Zusammenhang mit der deutschen Ukraine-Politik verwendet wird. “Dafür haben wir keine Zeit”, schreibt Oleksii Makeiev in einem exklusiven Gastbeitrag für Table.Briefings. Anlass ist der dritte Jahrestag der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz am 27. Februar 2022 im Bundestag.  

Aus Makeievs Sicht war die Rede lediglich eine Diagnose, die entsprechende Therapie sei dagegen ausgeblieben. Der Botschafter fordert deswegen konkrete Schritte von der künftigen Bundesregierung. Dazu zählt er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Auch will Makeiev, dass die Nato seinem Land eine Einladung zum Beitritt ausspricht.  

Der Beitrag des Botschafters bildet den Abschluss einer Standpunkt-Serie des Security.Table zur Zeitenwende. Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft haben darin analysiert, was seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in verschiedenen sicherheitspolitischen Bereichen, vom Bevölkerungsschutz bis zum Cyberraum, tatsächlich geschehen ist – und was die neue Regierung noch tun muss. Alle Beiträge können Sie hier als White Paper kostenlos herunterladen. Viktor Funk, Wilhelmine Preußen


Rohstoffabkommen USA-Ukraine: Kyjiw wahrt Augenhöhe mit Washington. Noch sind die Bedingungen nicht bis zum letzten Buchstaben ausdefiniert, doch der öffentlich gewordene Vertragsentwurf eines USA-Ukraine-Deals über einen Investitions- und Wiederaufbaufonds in der Ukraine lässt die Regierung von Wolodymyr Selenskyj gut dastehen. Es klingt jetzt nach einer gleichberechtigten Partnerschaft. Keine Rede ist mehr von den Forderungen von Donald Trump, die Ukraine solle ihre Rohstoffvorkommen als Gegenleistung für geleistete Hilfe zur Verfügung stellen. Die Ukraine gehört zu den rohstoffreichsten Ländern in Europa. 

Wesentliche Punkte des Papiers sind: 

  • der Fonds soll der Reinvestition von Gewinnen aus gemeinsamen Projekten in der Ukraine dienen; 
  • er schließt Russland und andere feindliche Staaten aus wirtschaftlichen Projekten aus; 
  • die USA wollen langfristig in die Ukraine investieren;   
  • es gibt keine Sicherheitsgarantien seitens der USA, aber die USA unterstützen die Ukraine “in ihren Bemühungen, Sicherheitsgarantien für einen dauerhaften Frieden zu erhalten”. Selenskyj will jedoch in direkten Gesprächen mit Trump auf Sicherheitsgarantien dringen. 

Selenskyj soll den Vertrag bei seinem für den 28. Februar geplanten Besuch in Washington unterzeichnen. Kurz vor Bekanntwerden des Vertragsentwurfs war aus Berliner Regierungskreisen zu hören, dass ein Rohstoffdeal indirekt auch eine Art US-Sicherheitsgarantie für die Ukraine darstelle. Sollte das bedeuten, dass US-Firmen in der Ukraine aktiv würden, wäre die US-Regierung selbst daran interessiert, dass sie in einer sicheren Umgebung ohne russische Angriffe tätig sein können, so die Argumentation. 

Vor- und Nachteile des Deals: Es sei problematisch, “wenn die USA sich Rohstoffe in der Ukraine sichern, aber selbst nichts zur Sicherheit des Landes beitragen wollen und diese Aufgabe den Europäern überlassen”, sagte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, Table.Briefings. Andererseits stehe fest: “Die von Russland verursachten Kriegsschäden in der Ukraine sind so gewaltig, dass der Wiederaufbau ebenso gewaltiger Anstrengungen aller Partner der Ukraine in Europa und Amerika bedarf.” Das werde auch europäischen Firmen vielfältige Betätigungsmöglichkeiten eröffnen, so Schmid. Damir Fras, Viktor Funk, Wilhelmine Preußen

Translation missing.

SPD: Klingbeil neuer Fraktionschef, aber einer mit Delle. 85,6 Prozent nach der offiziellen Zählung – ein Vorzeigeergebnis ist es nicht, das sich Parteichef Lars Klingbeil bei der Wahl zum Fraktionschef in der SPD-Bundestagsfraktion abgeholt hat. Er erhielt 95 Ja- und 13 Neinstimmen, drei Enthaltungen und zwei ungültige Stimmzettel. Sieben Abgeordnete, die gefehlt haben, sind nicht Teil der Ergebnis-Rechnung. Zum Vergleich: Die Vorgänger Rolf Mützenich, Andrea Nahles und Thomas Oppermann, Frank-Walter Steinmeier und Peter Struck hatten jeweils über 90 Prozent Zustimmung erhalten. In seiner Rede hatte Klingbeil angekündigt, die Fraktion als “ein Kraftzentrum” in der politischen Auseinandersetzung erhalten zu wollen, die SPD müsse wieder eine “Partei der Arbeit” werden, “ein handlungsfähiger Staat” müsse in der Themenliste hohe Priorität haben. Vor der Wahl hatte der ostfriesische SPD-Erststimmenkönig Johann Saathoff noch einmal eindringlich für den Kandidaten geworben.  

Klingbeil sprach von einem “ehrlichen Ergebnis”. Keine Aussage machte er zu seinen weiteren Ambitionen. Offen ist, ob er im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen Fraktionschef bleibt oder doch in die Regierung eintritt. Dann müsste ein neuer Fraktionsführer oder eine neue Fraktionsführerin gefunden werden. Der Fraktionsvorsitz nur als taktische Zwischenlösung? Das würde vermutlich neue Debatten in der Partei provozieren. In den Landesverbänden wird mit Argwohn verfolgt, welche Konsequenzen die Parteiführung aus dem miserablen Wahlergebnis zieht. Schon Klingbeils Ankündigung vom Wahlabend, neben dem Parteivorsitz auch zum Posten des Fraktionsvorsitzenden zu greifen, hatte Kritik ausgelöst: Von einer “Art Selbstermächtigung oder gar Bonapartismus” sprach der frühere Generalsekretär Matthias Machnig.  

An diesem Donnerstag wird die Parteiführung ihr Team für die Sondierung benennen. Mitglied des Sondierungsteams wird auch die Co-Vorsitzende Saskia Esken sein, wie sie den Tagesspiegel wissen ließ. In einer Auflistung von Table.Briefings von möglichen SPD-Akteuren in den Sondierungsgesprächen hatte sie gefehlt. In der mehrstündigen Sitzung wird es aber auch um einen möglichen vorgezogenen Parteitag, die Aufarbeitung des Wahlergebnisses und die ersten Schritte für den angekündigten Programmprozess gehen. Horand Knaup


Handelskrieg droht: Trump kündigt 25 Prozent Zoll auf Autos aus der EU an. “Wir werden das sehr bald ankündigen”, sagte Donald Trump Medienberichten zufolge. Es werde sich allgemein um Zölle in Höhe von 25 Prozent handeln, “und das wird auf Autos und all diese Dinge zutreffen”, so Trump am Mittwoch. Die EU sei geschaffen worden, “um die Vereinigten Staaten zu verarschen”, sagte Trump laut Financial Times. Die EU-Kommission hatte zuletzt beteuert, dass sie entschlossen und schnell auf US-Zölle reagieren werde. Zu Redaktionsschluss gab es noch keine Stellungnahme der Brüsseler Behörde. Zu Beginn der Woche hatte Emmanuel Macron den US-Präsidenten besucht. Offenbar hatte die französische Intervention aber keine mäßigende Wirkung auf Trump. Markus Grabitz


Unions-Anfrage zu Neutralität von Organisationen: SPD übt scharfe Kritik. Eine Parlamentsanfrage der Union zur politischen Neutralität von Nichtregierungsorganisationen löst scharfe Kritik aus und könnte die Gespräche über eine Koalitionsbildung mit der SPD belasten. Hintergrund sind Proteste gegen die CDU, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden. Die Proteste seien “eine gezielte parteipolitische Einflussnahme” unmittelbar vor der Bundestagswahl gewesen, was nicht mehr vom Gemeinnützigkeitsrecht gedeckt sei, so die Antragsteller.  

Der neue SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil kritisierte die Anfrage als “Foulspiel”. Er könne sich nicht vorstellen, bei möglichen Koalitionsgesprächen mit CDU und CSU morgens in Arbeitsgruppen zusammenzusitzen und nachmittags solche Anfragen der Union zu erleben. Die Anfrage stelle Organisationen an den Pranger, die die Demokratie schützten. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nannte die Anfrage ungeheuerlich: “Es sieht alles danach aus, dass Teile der Zivilgesellschaft hier eingeschüchtert werden sollen.”  

Die CDU stellt 551 einzelne Fragen zur Arbeit von Organisationen wie “Omas gegen Rechts”, Agora Energiewende, Deutsche Umwelthilfe und anderen. Nach der Rechtslage dürfen gemeinnützige Organisationen politische Standpunkte vertreten – aber in Grenzen. Unzulässig sind direkte Einflussnahmen auf politische Entscheidungen oder gezielte Meinungsbildung. Ein Naturschutzverein kann etwa für Klimaschutzmaßnahmen werben, solange dies seinem Hauptziel – dem Umweltschutz – dient. Frühere Urteile zeigen, wie problematisch politisches Handeln für Vereine und Verbände sein kann. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verlor 2019 die Gemeinnützigkeit laut Bundesfinanzhof, weil es sich “zu allgemeinpolitisch” betätigt habe. Greenpeace dagegen durfte 2021 seine Gemeinnützigkeit behalten, da es sich auf den Umweltschutz als klaren gemeinnützigen Zweck berufen konnte. Damir Fras


AfD: Welche neuen Fraktionsmitglieder für Unruhe sorgen könnten. Neben den prominentesten Querschlägern der neuen Bundestagsfraktion, Maximilian Krah und Matthias Helferich, bergen noch weitere der nun 152 Fraktionsmitglieder gesteigertes Störenfried-Potenzial. Radikale Positionen sind dabei kein Problem für die Spitze, sie gehören zur Identität der Fraktion. Aber Aufmüpfigkeit nach oben, öffentliche Machtkämpfe und zu heftige Grenzüberschreitungen werden nicht gerne gesehen. Im Wahlkreis Elbe-Elster-Oberspreewald-Lausitz etwa konnte sich die politisch bereits tot geglaubte frühere Brandenburg-Vorsitzende Birgit Bessin durchsetzen. Sie ist eine enge Vertraute des vorherigen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz, der wegen seiner verschwiegenen Mitgliedschaft in der verbotenen neonazistischen “Heimattreuen Deutschen Jugend” aus der AfD ausgeschlossen wurde. Eine Personalie, die viele in der AfD mit Argwohn zur Kenntnis nehmen.

Auch andere erfolgreiche Direktkandidaten sehen manche AfD-Leute ungern in ihrer Fraktion. Die scharfe Weidel-Kritikerin Christina Baum hatte man nach ihrer gescheiterten Landeslisten-Kandidatur in Baden-Württemberg für besiegt erklärt. Sie wechselte die Himmelsrichtung, zog für den Harz direkt ein und gehört nun der Landesgruppe Sachsen-Anhalt an. Baum galt lange als Höcke-Vertraute. Höcke-Leute stellen künftig fast die halbe Landesgruppe Thüringen: Sein bisheriger Co-Sprecher Stefan Möller, der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Torben Braga, und der mit Höcke besonders eng verbundene Robert Teske. Welche Strömungen und Machtverhältnisse sich aus der neuen AfD-Fraktion ablesen lassen, lesen Sie in der Analyse. Franziska Klemenz


Wirtschaftskrise: Ist der Klimaschutz schuld? Die anhaltende Flaute in Deutschland geht laut Experten nicht in erster Linie auf die Klimapolitik zurück. Die CO2-Preise seien zwar eine zusätzliche Belastung, aber im internationalen Wettbewerb nicht entscheidend. Die hohen Energiepreise seien ein Problem, gehen aber nicht auf die Energiewende, sondern den russischen Angriffskrieg zurück. Die Dekarbonisierung der Industrie führe zu einem Strukturwandel, doch Deutschland ist bei grünen Zukunftstechnologien gut aufgestellt. Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft befindet sich indes seit zwei Jahren in einer Phase der Wirtschaftsschwäche. Friedrich Merz hatte der Ampel-Regierung im Wahlkampf vorgeworfen, “CO2-Reduktion durch Rezession zu erreichen”. Welche Rolle klimawandel-bedingte Bürokratie bei der Wachstumsschwäche spielt und warum der BDI die grüne Transformation als “historische Wachstumschance” sieht, lesen Sie bei Climate.Table. Nico Beckert


EU-Kommission: Weiter Dekarbonisierung statt fossiler Energieträger. “Made in Europe” erhält sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Beschaffung künftig den klaren Vorzug. Mit sauberen Produkten aus der EU will Brüssel den Plänen von Donald Trump zur Rückkehr zu fossilen Energieträgern eine Dekarbonisierungsagenda entgegensetzen. Die EU soll ein attraktiver Innovations- und Produktionsstandort bleiben und damit auch wieder mehr Investitionen anlocken, so das klare Signal des heute vorgestellten Clean Industrial Deal. 100 Milliarden Euro will die Kommission dafür in die Hand nehmen, allerdings müssen die Mitgliedstaaten den größten Teil stemmen. Wie sich die Summe zusammensetzt und wie die Ausgaben der EU für Energie um 45 Milliarden Euro sinken können, dies aber hauptsächlich politisches Marketing ist, lesen Sie im Europe.TableManuel Berkel, Lukas Knigge


Bürgergeld: Mehr Verfahren wegen möglichem Leistungsmissbrauch. 2024 haben Jobcenter knapp 130.000 Straf- und Bußgeldverfahren wegen des Verdachts auf Leistungsmissbrauch eingeleitet. Das geht aus der Jahresbilanz der Bundesagentur für Arbeit hervor. 2023 waren es gut vier Prozent weniger. Wegen einer unbekannten Dunkelziffer seien aber keine verlässlichen Aussagen “über den tatsächlichen Umfang des Leistungsmissbrauchs und die dadurch entstehenden Vermögensschäden möglich”, heißt es. Schwerwiegender Missbrauch komme jedoch nur selten vor. Wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit leiteten Jobcenter fast 37.000 Fälle an die Zollverwaltung weiter, etwas weniger als im Vorjahr. Insgesamt verhängten Behörden Geldstrafen in Höhe von rund 8,4 Millionen Euro und Haftstrafen von rund 308 Jahren mit Bewährung und rund 98 Jahren ohne Bewährung. Die Zahlen beziehen sich nur auf die 300 von der BA mitverantworteten Jobcenter, daneben gibt es noch 104 in rein kommunaler Trägerschaft. Okan Bellikli


Gutachten: Forschung und Innovation können aus der Krise helfen. Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) pocht auf eine “neue, beherzte und ausgewogene F&I-Politik”, denn damit lasse sich neue Wachstumsdynamik entfachen. Das geht aus dem Jahresgutachten 2025 hervor, das am Mittwoch an Olaf Scholz übergeben wurde. Überraschend positiv fällt die Bewertung der Ampel aus. Die neue Bundesregierung könne im Prinzip die Ampel-Agenda fortführen, sagt EFI-Vorsitzender Uwe Cantner Table.Briefings. “Mein Rat ist, so viel wie (politisch) möglich ist, zu übernehmen – aber cleverer und schneller in der Umsetzung zu sein.” Bei der Übergabe des Gutachtens im Kanzleramt bat er Scholz, das Gutachten “nach eingehendem Selbststudium ihrem Nachfolger mitten auf den Schreibtisch” zu legen. Details lesen Sie im Research.TableAnne Brüning, Markus Weisskopf 


Table.Today Podcast

Etwas mehr als ein Jahr hat Cem Özdemir Zeit für seinen Wahlkampf in Baden-Württemberg, denn im Frühjahr 2026 möchte er dort gerne Ministerpräsident werden. Michael Bröcker hat mit ihm darüber gesprochen, ob das enttäuschende Ergebnis der Bundestagswahl vielleicht sogar etwas Rückenwind im Wahlkampf bringt und ob er Robert Habeck auf der bundespolitischen Bühne vermissen würde. Das Gespräch hören Sie  ab 6 Uhr hier.


Table.Documents

White Paper von Table.Briefings: Die Zukunft der Zeitenwende. Wo stehen wir heute? Wo müssen wir hin?

Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags: Rohstoffe in der Ukraine 

Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung: Koalitionsverhandlungen im Beziehungsgeflecht von Fraktion und Partei 

Abkommen zwischen der Ukraine und den USA für einen Wiederaufbaufonds 

Jahresbilanz 2024 der Bundesagentur für Arbeit zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch im SGB II


Best of Table

China.Table: Vermittlung von Wissen über China. Das dürfe nicht erst an Universitäten geschehen, schreibt Sandra Schulze vom Bildungsnetzwerk China, in ihrem Standpunkt. Was geschehen müsste, um die China-Kompetenz auszubauen, lesen Sie hier.  

China.Table: Geopolitischer Machtpoker. Will Donald Trump den russischen Machthaber Wladimir Putin aus der Umarmung von Xi Jinping lösen und eine neue Weltordnung formen? Warum in China die Sorge vor einem “umgekehrten Nixon” wächst, lesen Sie hier

Climate.Table: Trump verunsichert und zerstört US-Klimapolitik. Drohen, Gelder streichen, Beamte entlassen: Die neue US-Regierung zerlegt die über Jahrzehnte aufgebauten Institutionen und Forschungsprogramme der Umwelt- und Klimapolitik des Landes. Der Schaden für Wissenschaft, Verwaltung und Politik ist kaum abzusehen. Details dazu lesen Sie hier

Research.Table: Serie zu Science Diplomacy. In unserer neuen Serie geht es um Wissenschaftsdiplomatie in Zeiten technologischer Disruption, geopolitischer Krisen und nationalistischer Tendenzen. Zum Auftakt erklärt Politikwissenschaftler Jan Lüdert, welche Aufgaben auf Deutschland zukommen. Seinen Standpunkt lesen Sie hier.

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Must-Reads

Tagesspiegel: Merz darf nicht zum Ukraine-Gipfel. Friedrich Merz darf Olaf Scholz nicht zum EU-Sondergipfel zur Ukraine-Politik am 6. März begleiten. “Es gibt kein Regierungspraktikum, es gibt auch kein an die Hand nehmen”, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Vergleiche mit einer gemeinsamen Reise von Angela Merkel und Scholz zum G20-Gipfel 2021 wies er zurück, da Scholz als Finanzminister daran teilgenommen habe. (“Scholz sieht ,kein Regierungspraktikum’ für Nachfolger Merz”

SZ: Kein Fatalismus in Kiew. Bei seinem Besuch in Kiew habe er trotz der Spannungen zwischen der Ukraine und den USA “keine Spur von Fatalismus” erlebt, berichtet Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Ukraine-Stabs im BMVg. Er sei beeindruckt gewesen, wie gelassen die Ukrainer “auf die täglich neuen Aussagen aus Washington reagieren.” Europa und Kanada lieferten schon jetzt 60 Prozent der militärischen Unterstützung, die USA nur 40 Prozent. (“,Wenn es den Willen dazu gibt'”

Taz: Vorschlag für Schuldenbremsen-Reform. Die Denkfabrik Dezernat Zukunft (DZ) hat ein Konzept für eine flexible Schuldenbremse entwickelt, das vom Staat gezahlte Zinsen und das Wachstum durch kreditfinanzierte Investitionen berücksichtigt. So sollen die “realen wirtschaftlichen Bedingungen” abgebildet werden. Die Neuverschuldung würde weiter begrenzt, die 0,35-Prozent-Regel jedoch abgeschafft. (“Ideen für neue Schuldenregel”

T-Online: 49 Abschiebungen nach Pakistan. Deutschland hat am Dienstag 43 Menschen nach Pakistan abgeschoben, darunter 19 Straftäter. Nach Angaben des BAMF befanden sich Ende Januar 2025 3.895 ausreisepflichtige pakistanische Staatsbürger in Deutschland, 3.232 von ihnen wurden geduldet. (“Deutschland schiebt über 40 Pakistaner ab”

NYT: Bezos macht Vorgaben für Meinungsseiten. Die Artikel auf den Meinungsseiten der Washington Post sollen künftig nur noch “persönliche Freiheiten und freie Märkte” unterstützen und verteidigen, kündigte Eigentümer Jeff Bezos in einem Schreiben an die Mitarbeiter an. Gegensätzliche Standpunkte solle es nicht mehr geben. Der bisherige Ressortleiter David Shipley verlässt das Blatt. (“Washington Post Opinion Editor Exits as Bezos Steers Pages in New Direction”)

Table.Picks

The New Yorker: Das Ende der Kinder. Lange galt die Versorgung einer explosionsartig wachsenden Weltbevölkerung als Menschheitsaufgabe. Diese Zeiten sind vorüber. Die Geburtenrate sinke weltweit, schreibt Gideon Lewis-Kraus im Magazin The New Yorker. Er geht der Frage nach, was es für unsere Gesellschaften bedeutet, wenn wir keine Kinder mehr bekommen – und etwa niemand mehr einwandert, den wir für den Erhalt unseres Wohlstandes brauchen. Sein Befund ist besorgniserregend. Antje Sirleschtov

Schlagzeilen von morgen

SZ: USA und Ukraine einig über Rohstoff-Deal 

FAZ: Selenskyj: Ukraine und Amerika über Rohstoffabkommen einig 

Tagesspiegel: Fragenkatalog zu Organisationen: Vereine werfen Union Einschüchterungsversuch vor  

Handelsblatt: Sondervermögen für EU-Verteidigung 

Sächsische Zeitung: Drei Viertel aller Krankenhäuser in Sachsen schreiben rote Zahlen

Meistgelesenes von heute

Zeit Online: Offener Brief fordert Verbleib von Robert Habeck in der Politik 

Spiegel: 21 Mitarbeiter aus Elon Musks Spartruppe kündigen aus Protest  

Taz: Rechter Kulturkampf der Merz-Lauchs 

Handelsblatt: Lufthansa bekommt plötzlich zu viele neue Flugzeuge  

NZZ: Inder werden neu mit Militärmaschinen aus den USA ausgeschafft. Das kratzt auch am Selbstbild  

Interview von morgen

Deutschlandfunk 

6:50 Uhr: Ben Bradshaw, ehemaliger Labour-Minister: Premier Keir Starmer zu Besuch bei Donald Trump 

7:15 Uhr: Alexander Schweitzer, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz (SPD): SPD vor Sondierungen 

8:10 Uhr: Sven Giegold, MdB (Grüne): Klimafreundlich aus der Wirtschaftskrise? 

Das Erste   

7:35 Uhr: Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Union und NGOs 

8:10 Uhr: Alexander Schweitzer, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz (SPD): SPD vor Sondierungen  

rbb24-Inforadio 

7:25 Uhr: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdEP (FDP): EU, Nato und die deutsche Außenpolitik 

9:05 Uhr: Michael Müller, MdB (SPD): SPD in Berlin und auf Bundesebene

Time.Table

Antisemitismus: Vorstellung des Lageberichts des American Jewish Committee Berlin zu Antisemitismus an deutschen Hochschulen

Sicherheitspolitik: Junge Sicherheitskonferenz Europas 2025 vom 27.-28. Februar. Urania Berlin. Weitere Informationen 

Panel: Rethinking the divide – The legacy and future of East-West German identity.  
Hertie School, 17:30 Uhr. Mit Dirk Oschmann, Merle Spellerberg und Michaela Kreyenfeld. Anmeldung 

Digitale Governance: Felix Kartte und Daniela Stockmann sprechen über praktische Ansätze zur Bekämpfung von Desinformation. Hertie School, 18 Uhr. Weitere Informationen

Geburtstage von morgen

Stefan Müller, Ministerialdirektor im BMBF (FDP), 48

Nachttisch

Unser Tipp führt Sie heute in die Welt der digitalen Medien. Podcaster Ezra Klein diskutiert mit dem Ex-CIA-Analysten Martin Gurri. Der ist heute Trump-Wähler und kam bereits 2016 in seinem Buch The Revolt of the Public zu dem Schluss, dass die digitalen Medien eine Dynamik hervorbringen, die grundsätzlich instabil sei. Das entfesselte Dagegen-Sein sei ein sehr mobilisierendes Gefühl. “Man glaubt im Grunde, dass Zerstörung eine Form des Fortschritts ist.” Derzeit würden wir von “digitalen Soziopathen” beherrscht. Gurri bezieht das auch auf Donald Trump, hält es aber zugleich für möglich, dass ausgerechnet der US-Präsident und künstliche Intelligenz den Menschen mehr Macht geben könnten als die alte analoge Welt. Sven Siebert 

The Ezra Klein Show: A Theory of Media That Explains 15 Years of Politics | New York Times


Das war’s für heute. Good night and good luck!

Heute haben Nico Beckert, Okan Bellikli, Manuel Berkel, Stefan Braun, Michael Bröcker, Anne Brüning, Helene Bubrowski, Damir Fras, Viktor Funk, Markus Grabitz, Franziska Klemenz, Horand Knaup, Lukas Knigge, Carli Bess Kutschera, Wilhelmine Preußen, Sven Siebert, Antje Sirleschtov, Maximilian Stascheit und Markus Weisskopf mitgewirkt.

Der Berlin.Table ist das Late-Night-Memo für die Table.Media-Community. Wenn Ihnen der Berlin.Table gefällt, empfehlen Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Late-Night-Memo kostenlos anmelden.


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