Table.Briefing: Berlin

Berlin.Table-Spezial: Showdown im Bundestag

Berlin.Table-Spezial: Showdown im Bundestag

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir begrüßen Sie herzlich zu einer Spezialausgabe des Berlin.Table. An einem denkwürdigen Tag wollen wir Sie mit dem Wichtigsten versorgen. Schön, dass Sie bei uns sind.  

Talk of the Town: Streit, Abstimmung, kein Gesetz – Der Tag, an dem die politische Mitte nicht zusammenfand 

Namentliche Abstimmung: Zwölf CDU-Abgeordnete bleiben fern 

Table.Documents: Ergebnis der namentlichen Abstimmung + Entwurf für das Zustrombegrenzungsgesetz  

Must-Reads: Verunsicherte Partei + Selbstverschuldete Krise 


Talk of the Town

Union und AfD stimmen gegen eine Überweisung des Gesetzes in die Ausschüsse

Streit, Abstimmung, kein Gesetz: Der Tag, an dem die politische Mitte nicht zusammenfand  

Von Stefan Braun, Damir Fras, Franziska Klemenz und Maximilian Stascheit 

Trotz stundenlanger Gespräche und Bemühungen, im Streit um das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz doch noch irgendwie zusammenzukommen, haben Union, Grüne, FDP und SPD am Ende des Tages nur ein Ergebnis produziert; dass sie mit all diesen Versuchen kollektiv gescheitert sind. Auch wenn das von der Union eingebrachte und von der AfD und der FDP unterstützte Gesetz keine Mehrheit fand, stand nach Ende der Sitzung vor allem ein Resultat: die AfD kann noch einmal behaupten, dass die von der Union erklärte Brandmauer zu ihr noch ein bisschen brüchiger geworden ist.  

Der Tag war von zwei Entwicklungen geprägt. Erst gab es unterschiedliche Bemühungen, der AfD nicht noch einmal diese Bühne zu bieten. Von der FDP, von den Grünen, aber – wie Table.Briefings erfuhr – auch von Friedrich Merz. So hat der Kanzlerkandidat der SPD-Fraktionsspitze zweimal angeboten, das Gesetz noch einmal in den Innenausschuss zurückzuüberweisen, was die SPD um Rolf Mützenich grundsätzlich mitgemacht hätte. Allerdings, so ist zu hören, wollte Merz keine Verhandlungen anstoßen, sondern mit dem gleichen Gesetz im Februar nochmal ins Plenum. Das lehnte Mützenich ab. Und so bleibt von diesem Tag am Ende vor allem das Ergebnis hängen, dass sich Union und Rot-Grün in der Debatte unter lautem Getöse gegenseitig Lügenvorwürfe machten. Die politische Mitte fand nicht zusammen, sie lag am Ende noch weiter auseinander.   

Für Friedrich Merz ist das Scheitern des Gesetzes Niederlage und Chance zugleich. Es ist eine Niederlage, weil er keine Mehrheit fand – auch weil sich fast ein Dutzend Unionsabgeordnete der Abstimmung entzogen. Merz konnte so auch nicht beweisen, dass er einen Politikwechsel nicht nur verspricht, sondern auch umsetzt. Die Heftigkeit der Debatte und die anschließende Niederlage werden es ihm schwerer machen, nach dem 23. Februar einen Partner zu finden und mit dem die angestrebte “Asylwende” durchzusetzen. Die Führung der Union wollte mit den Anträgen vom Mittwoch und dem Gesetz von Freitag Handlungsfähigkeit beweisen; am Ende des Tages bleibt eher das Gegenteil hängen. Die einzige Chance, die er nun hat: Er kann und wird mit dem Finger auf die anderen zeigen.  

Nach der Abstimmung rief Merz seine Fraktion zum dritten Mal an diesem Tag zusammen. Zum einen bedankte er sich für die Unterstützung: “Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt.” Zum anderen aber wollte er unbedingt die Schuldigen für diesen Tag benennen. “Der Name des Scheiterns ist Rot und Grün”, sagte Merz vor den Abgeordneten. Die Union habe ihre Vorstellungen zur Abstimmung gestellt. “Wir versprechen den Menschen im Land, dass es in der Mitte des Parlaments eine Kurskorrektur geben wird.” Was Merz nur andeutete: dass auch in seiner Fraktion die Zahl derer gestiegen ist, die ihm nicht gefolgt sind. Und er ließ bewusst unerwähnt, dass vor allem die Grünen, namentlich Robert Habeck und Franziska Brantner, in den letzten 48 Stunden zahlreiche Versuche unternommen hatten, um ihn für einen anderen Weg zu gewinnen. Merz wollte nicht. Merz wollte sich durchsetzen.    

Wie vergiftet das Klima zwischen den möglichen Koalitionspartnern der Zukunft mittlerweile ist, zeigte sich im Ton der meisten Debattenbeiträge. Auch dem von Mützenich. Was am Mittwoch geschah, sei ein “Sündenfall gewesen, der Sie für immer begleiten wird”, rief der SPD-Fraktionschef dem Oppositionsführer zu. Sollte gar erstmals ein Gesetzentwurf mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen, dann werde “die Lebensader der Demokratie” zerschnitten. Mützenich forderte Merz auf, dieses “Tor zur Hölle” zu schließen. Nach den gescheiterten Bemühungen warf Mützenich Merz vor, dieser wolle nur zu seinen Bedingungen verhandeln. “Das geht nicht in einer Demokratie.” Allerdings wollte Mützenich nicht nur Zugeständnisse in der Sache, sondern von Merz nach dem Mittwoch auch eine Entschuldigung. Die wollte Merz nicht aussprechen. Die im Wahlkampf unter Druck stehenden Sozialdemokraten dürften nun noch stärker auf einen Anti-Merz-Wahlkampf und einen starken Mobilisierungseffekt hoffen.  

Die Debatte war zwischenzeitlich geprägt von gegenseitigen Vorwürfen, ehrliche Verhandlungen zu verweigern. Die Darstellungen, was wer wem angeboten oder verweigert hatte, gingen weit auseinander. “Dass Männer, wenn sie nicht mehr weiterwissen, mit Lügen um sich werfen, mit dem Wort Lüge um sich werfen, das bin ich ja schon gewohnt”, donnerte etwa Annalena Baerbock dem CDU-Mann Thorsten Frei entgegen.  

Die Grünen gehen nun mit einer Mischung aus Erleichterung und neuer Beklemmung aus dem Tag. Mit denkbar großer Nervosität war die Fraktion in die Debatte gestartet, denn bis in Spitzenkreise hinein war für viele klar: Sollte die Union zum zweiten Mal in dieser Woche ihr Ansinnen nur mithilfe von AfD-Stimmen durchsetzen, ließe sich eine schwarz-grüne Koalition unter Merz kaum mehr anstreben. Auch vorsichtigere Stimmen formulierten: Grundsätzlich ausschließen wolle man nichts, aber mit Merz sei es nun wirklich schwer vorstellbar. Eine Einigung abseits der großen Bühne wäre den Grünen lieber gewesen.  

Die FDP rang an diesem Tag mit ihrer Position. In einer digitalen Konferenz von Fraktion, Bundesvorstand und Landeschefs hatten mehrere Teilnehmer dafür plädiert, dem Gesetz nicht zuzustimmen – darunter namhafte Liberale wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Konstantin Kuhle und Franziska Brandmann. Wohl auch getrieben von diesem Rumoren, unternahm Fraktionschef Christian Dürr als Erster an diesem Tag den Versuch, das Gesetz in den Innenausschuss zu verweisen und nach einer Mehrheit zwischen den demokratischen Parteien zu suchen. Nach Gesprächen zwischen den Fraktionsspitzen in einer fast vierstündigen Sitzungsunterbrechung machte er jedoch die Rolle rückwärts und eröffnete mit einem kurzen Pressestatement das Ringen um die Deutungshoheit, das Rolf Mützenich zeitgleich im Plenum des Parlaments fortzusetzen begann.  

Der SPD und insbesondere den Grünen habe die Bereitschaft gefehlt, sich inhaltlich mit dem Gesetz zu befassen und eine fraktionsübergreifende Lösung zu finden, die Zuwanderung zu begrenzen, so die Sichtweise der Liberalen. Auch das von Dürr unterbreitete Angebot, sowohl die von Rot-Grün vorgeschlagene GEAS-Reform als auch das Zustrombegrenzungsgesetz zu verabschieden, sei nicht mehrheitsfähig gewesen. Die FDP stimmte daher schlussendlich mit Union, AfD und BSW gegen den ursprünglich selbst gemachten Vorschlag zur Verweisung. Dennoch konnten Dürr, Hauptredner Wolfgang Kubicki und Christian Lindner ihre eigenen Leute nicht vollends vom Kurs überzeugen, das Gesetz mit Union und AfD zu verabschieden: 23 Fraktionsmitglieder – und damit jeder Vierte – stimmten nicht für das Gesetz. Marco Buschmann, Lindners Generalsekretär und Wahlkampfchef, blieb krankheitsbedingt der Abstimmung fern. 


Namentliche Abstimmung: Zwölf CDU-Abgeordnete bleiben fern. Einer von ihnen sei so krank gewesen, dass er nicht teilnehmen konnte, sagte Friedrich Merz nach der Abstimmung. Helge Braun, Monika Grütters, Thomas Heilmann, Roderich Kiesewetter, Yvonne Magwas, Martin Plum, Antje Tillmann, Astrid Timmermann-Fechter, Marco Wanderwitz, Sabine Weiss, Annette Widmann-Mauz und Elisabeth Winkelmeier-Becker fehlten, wie aus der Abstimmungsliste hervorgeht. Merz sagte, er respektiere das, und hob zugleich hervor, dass der Gesetzentwurf auch bei vollständiger Teilnahme und Zustimmung seiner Fraktion keine Mehrheit bekommen hätte, weil auch die FDP den Entwurf nicht geschlossen unterstützte.  

16 FDP-Mitglieder nahmen an der Abstimmung nicht teil, fünf enthielten sich, zwei stimmten mit Nein. Die Gegenstimmen kamen – wie zuvor angekündigt – von Anikó Glogowski-Merten und Ulrich Lechte. Enthaltungen: Jens Beeck, Nils Gründer, Carina Konrad, Kristine Lütke und Matthias Seestern-Pauly. Johannes Vogel nahm nicht teil. Der fraktionslose Verkehrs- und Justizminister Volker Wissing stimmte wie alle anwesenden Mitglieder von SPD und Grünen mit Nein. Ebenso Stefan Seidler vom SSW. Die AfD stimmte geschlossen (bei einer Nicht-Teilnahme) für das Gesetz. Die sieben anwesenden BSW-Mitglieder stimmten mit Ja, die Linke geschlossen mit Nein. Sven Siebert 


Table.Documents

Ergebnis der namentlichen Abstimmung 

Entwurf für das Zustrombegrenzungsgesetz 


Must-Reads

Spiegel: Verunsicherte Partei. Die Wortmeldung von Angela Merkel so kurz vor der Wahl sei nur möglich gewesen, weil die CDU “in Aufruhr” ist und “um die richtige Sprache ringt”, so ein Autorenteam. Ein Mitglied sagt: Wenn Friedrich Merz die Wahl gewinne, werde das Beispiel in der Partei Schule machen. (“Alleingelassen mit der Frage: Was haben wir da getan?”

Stern: Selbstverschuldete Krise. Erfahrene Mitglieder hätten die Parteispitze gewarnt, schreiben Veit Medick und Julius Betschka: “Die Brandmauerdebatte mitten in der Woche des Holocaustgedenkens ist das schlimmstmögliche Symbol.”  Die Rekonstruktion des Geschehenen ergebe das Bild eines Vorsitzenden, “der zerstören könnte, was er (…) mühsam aufgebaut hat: die Einigkeit der letzten großen Volkspartei”. (“‘Und dann platzte ihm die Hutschnur’”

Das war’s für heute. Good Luck!

Heute haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Damir Fras, Franziska Klemenz, Horand Knaup, Sven Siebert und Maximilian Stascheit mitgewirkt.

Der Berlin.Table ist das Late-Night-Briefing für die Table.Media-Community. Wenn Ihnen der Berlin.Table gefällt, empfehlen Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich kostenlos anmelden.


Berlin.Table Redaktion

BERLIN.TABLE REDAKTION.

Licenses:
  • von picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden