wir begrüßen Sie herzlich zu einer Sonderausgabe des Berlin.Table. In der FDP sind Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zurückgetreten. Wir ordnen die Situation ein und geben Ihnen einen Überblick über die Kommentarlage anderer Medien.
D-Day-Affäre: Wie und warum die Liberalen jetzt ums Überleben kämpfen
Von Stefan Braun und Maximilian Stascheit
Nun wurde der Druck doch zu groß. Bijan Djir-Sarai ist vom Amt des FDP-Generalsekretärs zurücktreten. Und hat sogleich den Versuch unternommen, für die komplette FDP-Spitze die Verantwortung für das umstrittene Papier zu übernehmen. Allerdings nicht ohne den Zusatz, auch er habe bis zum Schluss nichts von der Existenz und dem Inhalt des Papiers gewusst. “Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte – weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung”, erklärte Djir-Sarai. Er übernehme die politische Verantwortung, “um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden”.
Ausschlaggebend für das Trudeln der FDP ist das D-Day-Papier aus der Parteizentrale, über das Table.Briefings am Donnerstagnachmittag zuerst berichtet hatte. Darin wurde detailliert aufgelistet, wie Choreografie und Ablauf für den “D-Day” aussehen sollte, an dem die FDP aus der Koalition aussteigen wollte. Nach der Veröffentlichung versuchte die Partei zunächst die Flucht nach vorn: Sie stellte das Dokument selbst auf ihre Website, zusammen mit einem Statement von Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann, der der Autor der Powerpoint-Präsentation sein soll.
In einer internen Mail an die Parteimitglieder übernahm er dafür die Verantwortung – und beteuerte zugleich, dass die Parteiführung nichts davon gewusst habe. “Es handelt sich hierbei um ein Arbeitspapier, dass wir auf Ebene der Mitarbeiter erstellt und auch nur in diesem Kreis diskutiert haben. Es war nie Gegenstand der Beratungen der Parteiführung.”
Es war wohl der letzte Versuch, Djir-Sarai zu schützen. Dieser hatte nach den ersten Berichten über Planungen zum gezielten Koalitionsbruch in einem Interview mit n-tv noch erklärt, der Begriff “D-Day” sei von der Partei nicht benutzt worden und entsprechende Berichte als “falsch” zurückgewiesen. Doch nach Veröffentlichung des detaillierten, achtseitigen Papiers am Donnerstag war diese Beschreibung der Lage nicht mehr zu halten. Zu sehr verfestigte sich mit dem Papier der Eindruck, die FDP-Führung habe die Wähler über ihre wahren Absichten getäuscht.
Hinzu kam, dass sich auch die eigenen Leute abwendeten. Franziska Brandmann, Vorsitzende der Jungen Liberalen, forderte am Freitagmorgen als erstes prominentes Parteimitglied öffentlich den Rücktritt Djir-Sarais: “Auch ich wurde getäuscht”, schrieb sie in einem Statement in den sozialen Medien. “Um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden”, habe sie den Generalsekretär zum Rücktritt aufgefordert. Er trage die “politische Verantwortung für die Inhalte und die Ausrichtung der Partei”. Auch Brandmann war durch die Veröffentlichung am Donnerstag in Bedrängnis geraten, da sie in einem Spiegel-Interview erklärt hatte, dass alle beteiligten Personen ihr versichert hätten, “dass sie von diesem Wort nichts gewusst und es auch nicht gesagt haben”.
Im Anschluss an Djir-Sarai trat dann auch Reymann zurück. “Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte”, erklärte er in einem schriftlichen Statement. Zu seinem Papier und eigenen Fehlern äußerte er sich nicht. Reymann hatte das Amt des Bundesgeschäftsführers erst im März dieses Jahres übernommen, nachdem sein Vorgänger Michael Zimmermann als Kommunikationschef ins Bundesbildungsministerium gewechselt war.
Reymann ist ein langjähriger Wegbegleiter Lindners. Er leitete zuvor bereits sein Büro als Fraktionsvorsitzender und anschließend die Planungsabteilung im Finanzministerium. Hinter vorgehaltener Hand hatten sich Fraktionsmitglieder schon seit mehreren Monaten besorgt geäußert, dass Mitarbeiter der Parteizentrale in Ministerien abgewandert seien und deren Kompetenz im Hans-Dietrich-Genscher-Haus nun für den Wahlkampf fehle.
Wer Djir-Sarai nachfolgt, war unmittelbar nach dessen Rücktritt noch offen. Es verdichten sich aber die Hinweise, dass Marco Buschmann das Amt und damit auch die Rolle des Chef-Wahlkämpfers übernehmen wird. Buschmann kennt die Parteizentrale und das auch noch aus schweren Zeiten. Als die FDP 2013 aus dem Parlament geflogen war, übernahm er nur wenige Monate später die Rolle des Bundesgeschäftsführers. Existenzkampf ist Buschmann also nicht fremd. Allerdings gibt es in der Bundestagsfraktion auch Stimmen, die ihn nicht für eine gute Lösung halten. Ein Abgeordneter sagte Table.Briefings am Freitag: “Es braucht ein neues Gesicht. Ein Ex-Minister wäre ein Fehler.”
Der Rücktritt Djir-Sarais soll der Partei in ihrem politischen Überlebenskampf Luft verschaffen. Aber die Frage nach der Verantwortung des Parteichefs ist damit nicht beantwortet. Christian Lindner hatte die ersten Berichte von Zeit und SZ als irrelevant abgetan, sie jedoch nicht in derselben Schärfe wie Djir-Sarai dementiert. Lindner kann nur hoffen, dass der Wechsel beim Generalsekretär, der gleichzeitig auch der oberste Wahlkampf-Manager ist, auch für ihn ein Befreiungsschlag wird. In Umfragen hat der Koalitionsbruch bislang nicht auf das Konto der Liberalen eingezahlt. In der Partei war in den vergangenen Tagen allenfalls leichtes Grummeln über den Parteichef zu vernehmen, doch in der FDP wissen sie, dass sie keinen besseren Wahlkämpfer in ihren Reihen haben und sich bislang auch niemand ernsthaft als Nachfolger in Position gebracht hat.
“D-Day-Plan” aus der FDP-Parteizentrale
Brief an Parteimitglieder und Rücktrittserklärung von Carsten Reymann
Wirtschaftswoche: Falscher Umgang mit dem Skandal. Die FDP habe im Umgang mit dem “D-Day”-Papier “jeglichen bürgerlichen Anstand verloren”, kommentiert Benedikt Becker. Die Partei habe sich selbst der Lüge überführt, was die angebliche Nichtverwendung des Begriffs “D-Day” angeht. Das sei eine herbe Enttäuschung für alle, “die sich von den Liberalen noch so etwas wie Ernsthaftigkeit erhofft hatten”. Von Reue oder Bedauern über die Täuschung sei nichts zu hören. Deswegen sei “dieser FDP nicht mehr zu trauen”. (“Lügen geht gar nicht – dieser FDP ist nicht zu trauen”)
SZ: Kein Plan für einen Verbleib in der Ampel. “Auffällig ist auch, was die FDP nicht veröffentlicht hat”, analysieren Bastian Brinkmann, Georg Mascolo und Nicolas Richter. Ein Drehbuch etwa, wie die Liberalen in der Ampelkoalition hätten bleiben können, also wie sie einen Kompromiss mit SPD und Grünen hätten schmieden können. Detaillierte Planungen für eine Fortsetzung der Ampel seien bisher nicht bekannt geworden. “Das könnte daran liegen, dass es diese schlicht nicht gibt”, schreibt das Blatt. (“Die Freie Dementi Partei”)
Spiegel: Selbstverschuldete Krise. “Wer soll dieser Partei noch glauben?”, fragen Maria Fiedler und Florian Gathmann. Wer solle Christian Lindner und seinen Leuten noch abnehmen, dass sie etwas anderes wollten als das Scheitern der Koalition? Allen Dementis der FDP zum Trotz sei das Dokument ein detailliertes Drehbuch für das Ampel-Aus. Die Partei stecke nun selbstverschuldet in einer ihrer größten Krisen. (“Freie Demolierte Partei”)
Augsburger Allgemeine: Schäbiges Schauspiel. Die FDP und ihr Vorsitzender seien das Gegenteil von staatstragend, kommentiert Michael Stifter. Es bleibe der Eindruck von einer “unseriösen, selbstbezogenen Truppe, der es in erster Linie darum ging, sich selbst möglichst gut und andere möglichst schlecht aussehen zu lassen”. Das Schicksal des Landes habe in diesen Überlegungen hingegen keine Rolle gespielt. (“Das schäbige Schauspiel des Christian Lindner”)
RND: Selbstdemontage der FDP. “Was für ein Zynismus, was für eine Unehrlichkeit”, schreibt Daniela Vates. Es zeige sich, dass die Partei nicht mehr an ernsthaftes Regieren gedacht habe. Es sei mindestens in den letzten Monaten nur noch darum gegangen, “der FDP den elegantesten Abgang, die beste Show zu ermöglichen”. Die scheinbare Betroffenheit von Christian Lindner über seine Entlassung aus dem Kabinett sei vor allem dreist gewesen. (“Die FDP demontiert sich selbst”)
FAZ: Falscher Umgang mit dem Papier. In allen Parteien und Ministerien werde ein beträchtlicher Teil der Zeit mit Außendarstellung verbracht, schreibt Reinhard Müller: “Nur bei der FDP gilt das offenbar als Frevel (…) Als ob der Bruch einer Koalition, die schon lange brüchig war, ein Verbrechen wäre.” Erstaunlich sei weniger das Papier als der Umgang einiger FDP-Politiker mit ihm. “Man könnte auch einfach dazu stehen. Oder den Mund halten.” (“Jeder hat sein Narrativ”)
Das war’s für heute. Good night and good luck!
Heute haben Stefan Braun, Damir Fras, Malte Kreutzfeldt und Maximilian Stascheit mitgewirkt.
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