Annika Klose ist Abgeordnete für die SPD und ist Berichterstatterin für das Bürgergeld. Ottilie Klein ist Mitglied der Unionsfraktion und Generalsekretärin der CDU Berlin. Beide vertreten den Wahlkreis Berlin-Mitte.
„Berlin-Mitte“ gilt vielen als Chiffre für „abgehobene Elite“. Stimmt das Klischee?
Klose: Es gibt schon Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, die das Regierungsviertel nie verlassen. Ich versuche manchmal, ihnen die Stadt näherzubringen – manche haben mir jetzt auch im Wahlkampf geholfen. Mit seinen fast 400.000 Menschen ist der Bezirk jedenfalls sehr bunt. Hier gibt es nicht nur Topverdienerinnen und -verdiener, die schick Unter den Linden wohnen – sondern sehr viele mit normalem oder auch geringem Einkommen.
Klein: Mitte ist der vielleicht vielfältigste und internationalste Wahlkreis Deutschlands. Dazu gehört ja nicht nur der Stadtteil Mitte, von dem viele denken: Da leben doch nur Start-up-Gründer, Fashionistas und Leute aus dem Politikbetrieb. Mitte, das ist auch Wedding, Gesundbrunnen und Moabit. Der Bezirk ist größer als Bonn und Münster, das ist sozusagen eine Stadt in sich. Was ich nicht mehr hören kann, ist, wenn jemand Berlin als failed state bezeichnet. Das wird unserer Stadt nicht gerecht.
Aber Probleme gibt es doch?
Klein: Ja, das vom rot-rot-grünen Senat verursachte Wahlchaos von 2021 ist Sinnbild für ein Verwaltungs- und Politikversagen. Deswegen ist es wichtig, dass es jetzt die Wiederholung gibt, weil Vertrauen wiedergewonnen werden muss. Als neuer schwarz-roter Senat haben wir uns das Thema Verwaltungsreform vorgenommen. Auch jetzt ist schon vieles besser geworden und wir arbeiten weiter dran.
Welche Themen beschäftigen Berlin-Mitte noch?
Klein: Eines der größten sind sicherlich die sozialen Herausforderungen. Wir haben ein großes Problem mit Kinderarmut, auch Obdachlosigkeit. Wir haben gute soziale Angebote wie die Stadtmission und den Kältebus. Die Spielräume werden sich in Zeiten klammer Kassen deutlich einengen, da müssen wir uns auf die größten Herausforderungen fokussieren. In Mitte ist das eben vor allem das Soziale, wofür wir beide uns als Mitglieder des entsprechenden Bundestagsausschusses mit unterschiedlichen Ansätzen auch einsetzen.
Klose: Ich wohne im Wedding und da gibt es noch viele Kieze, in denen jedes zweite oder dritte Kind in Armut aufwächst. Das müsste nicht so sein. Häufig gäbe es Sozialleistungen, die die Familien beziehen könnten. Viele tun das aber nicht, zum Beispiel weil sie nichts davon wissen oder es ihnen zu bürokratisch. Berlin ist schon einer der Spitzenreiter, was soziale Infrastruktur wie gratis Kitas und Schulessen angeht. Es reicht aber noch nicht.
Als MdB erhalten Sie unter anderem gut 10.500 Euro monatlich und eine großzügige Altersversorgung. Viele Menschen empfinden das als zu viel, Sie auch?
Klein: Es ist ein Job, der einem viel abverlangt, insbesondere was Arbeitszeit und Einsatz angeht. Die Diät finde ich im Vergleich mit den Länderparlamenten in Ordnung.
Klose: Selbstverständlich ist das ein wirklich gutes Gehalt, von dem wir hier sprechen. Das muss aber meiner Meinung nach auch in Relation zu den 75 bis 80 Arbeitsstunden, die ich pro Woche arbeite, gesehen werden. Als Abgeordneter bekommt man für jedes Jahr, das man im Bundestag ist, einen Anspruch von ungefähr 250 Euro pro Monat. Das heißt, nach einer Legislaturperiode erhält man eine Versorgung von 1.000 Euro monatlich. Für diese Höhe müssen die Beschäftigten im Land extrem lange arbeiten. Ich wäre dafür, dass alle in die Rentenkasse einzahlen: Beamte, Selbstständige und MdB.
Und Sie, Frau Klein?
Klein: Das müsste ich mir im Detail noch mal genauer anschauen. Privilegiert ist das System sicherlich, wir haben während der Zeit im Bundestag ja aber auch keine andere gesetzliche oder betriebliche Versorgungskasse, in die wir einzahlen. Was die Einheitsversicherung angeht: Die Belastung für den Staat wird nicht geringer, weil die Ansprüche ja so oder so entstehen.
Für Kritik sorgen immer wieder auch die Nebenverdienste der Abgeordneten und der Umgang mit Parteispenden. Würden Sie die Regelungen verschärfen?
Klein: Ich finde die aktuellen Transparenzregeln in Ordnung. Man hat die Pflicht, die Tätigkeit anzugeben, und das ist auch richtig so. Der Bürger kann dann sein Urteil fällen. Ich kann verstehen, wenn es zum Beispiel Kollegen gibt, die einen Betrieb haben, für vier Jahre in die Politik gehen und den dann nebenher weiterführen. Denn am Ende des Tages ist es ein Job auf Zeit. Da kann man nicht verlangen, dass man alles aufgibt.
Klose: Ich finde schon, dass es Reformbedarf gäbe, ohne die Antwort parat zu haben, wie das aussehen könnte. Aber wenn ich sehe, dass manche nebenher in einem sechsstelligen Bereich verdienen, frage ich mich schon, ob das Mandat ihr Hauptaugenmerk ist. Und es gibt einige Abgeordnete, die dann auch noch bei der Hälfte der Abstimmungen fehlen. Das finde ich fragwürdig.
In den sozialen Netzwerken versuchen sich die Parteien an mehr Bürgernähe. Gelingt das?
Klose: Man hat nicht viel Zeit, um die Menschen abzuholen und zu überzeugen. Da funktionierten Zuspitzung und Verkürzung besonders gut, weswegen populistische Parteien da sehr erfolgreich sind. Die SPD ist noch nicht so präsent, wie ich mir das wünschen würde. Man darf aber auch nicht in Klamauk verfallen. Wenn ein Post cringe ist, also zum Fremdschämen, dann gewinnt man damit auch keinen.
Frau Klein, wie oft ist die CDU cringe und warum ist die AfD online noch immer vorne?
Klein: Wir achten darauf, seriös zu sein und die politischen Inhalte so rüberzubringen, dass sie auch interessant sind. Als Partei haben wir uns online enorm weiterentwickelt, können aber natürlich immer besser werden. Die AfD suggeriert, dass es einfache Antworten auf komplexe Problemlagen gibt. Als demokratische Parteien können wir das nicht. Da braucht es dann ein paar Sätze mehr, die die Menschen aber auch zu schätzen wissen.
Manche fordern, auf Populismus mit Populismus zu antworten.
Klose: Je nach Thema machen das alle Parteien mal. Aber es sollte nicht grundsätzlich unser Stilmittel sein, weil Populismus immer darauf fußt, Leute gegeneinander auszuspielen. Und das hilft unserer Demokratie am Ende nicht weiter.
Die Wiederholungswahl wird komplex. Je nach Konstellation könnten Sie Ihr Mandat verlieren, warum ist das System so kompliziert?
Klein: Das Wahlsystem ist nicht einfach zu verstehen, ja. Aber es ist auch insgesamt kompliziert: So eine Teilwiederholungswahl gab es bisher noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Es wird in Bezirken gewählt, aus denen Leute weggezogen sind und in denen Leute wählen dürfen, die beim letzten Mal noch nicht 18 waren. Das alles bringt eine gewisse Verzerrung mit sich. Gleichzeitig ist es wichtig, dass nachgewählt wird. Demokratie muss funktionieren.
Klose: Man sollte sich hinterher das Thema Wahlprüfung noch mal anschauen. So eine Wiederholung erst nach zweieinhalb Jahren zu machen, ist schon schwer zu erklären. Ein Problem war: Im Gesetz ist gar nicht genau definiert, was ein Wahlfehler ist. Wenn das Ganze näher an der ursprünglichen Wahl gewesen wäre, hätte sich es von der Stimmung mehr mit den damaligen Umständen gedeckt. Jetzt haben wir eine völlig andere Situation.