Sahra Wagenknecht wird ihre neue linkskonservative Partei wohl sehr auf ihre Person zuschneiden – ist dieses Vorgehen klug?
Ob die neue Partei das Etikett „linkskonservativ“, „linksautoritär“, „populistisch“ oder irgendein anderes wie „rechtssozialdemokratisch" oder „national-sozialstaatlich“ ausfüllt, wird sich erst noch erweisen, wenn sie gegründet ist, ein Programm beschlossen hat und es in der Tagespolitik mit Leben füllt. Aber es ist natürlich naheliegend, von den politischen Positionen Wagenknechts auf diejenigen der kommenden Partei zu schließen. Denn mit der Parteigründung wird versucht, die Bekanntheit und öffentliche Wirkung der politischen Publizistin Sahra Wagenknecht in zählbare politische Münze, in Wählerstimmen und Parlamentssitze zu verwandeln. Für die Bundesrepublik ist das in dieser Dimension ein neues Phänomen. Man kannte die Gründung von Parteien um eine Person herum bisher eher zum Beispiel aus Frankreich (Mélenchon) oder Italien (Grillo, Fünf-Sterne-Bewegung). Auch altehrwürdige Parteien wie die ÖVP in Österreich haben ja schon mal als »Liste Kurz« firmiert.
Wovon wird ihr Erfolg abhängen?
Im Grunde erleben wir, dass für eine Person des öffentlichen Lebens eine Partei gegründet wird. Die ersten Erfolge und die Etablierung einer neuen Partei hängen davon ab, dass die Person die Politik und das öffentliche Auftreten der Partei tatsächlich prägt, dass ihre innerparteiliche Autorität nicht beschädigt wird und wie auf wechselnde Stimmungen und Problemwahrnehmungen in der Wahlbevölkerung reagiert wird. Die Orientierung an Personen war und ist für Wahlentscheidungen immer wichtig. Denn es sind Personen und ihre Wortwahl, die Affekte ansprechen und mobilisieren, nicht Konzepte. Wie weit das trägt, wird sich zeigen, wenn die neue Partei klären muss, ob sie nur eine Stimme sein will, die gewählt wird, um „den Anderen“ mal ordentlich die Meinung zu sagen, oder ob sie tatsächlich etwas verändern und gestalten will. Spätestens dann braucht es mehr als die eine prägende Person – auch das zeigen die Beispiele anderer europäischer Länder.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, wo das so ähnlich probiert wurde, war das „Team Todenhöfer“ – das ist gescheitert. Sollte das für Wagenknecht eine Mahnung sein?
Es scheint doch eher so zu sein, dass Wagenknecht vom »Team Todenhöfer« bereits gelernt hat. Sie handelt anders. Todenhöfer hat seine öffentliche Wirkung nicht über Jahre hinweg durch ein Agieren als publikumswirksames Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion gegen die Mehrheitsposition seiner Partei aufgebaut. Er hat nicht ein vergleichbares mediales Interesse bedienen können: Wie lange lässt sich die Partei von Todenhöfer vorführen? Gibt es neue Indizien, die darauf hindeuten, dass es wirklich zu einer Parteigründung kommt? All diese mediale Resonanz fehlte Todenhöfer, aber Wagenknecht hat sie aufgebaut und bedient.
Wie weit kann sie das tragen?
Die Gefahr des Scheiterns liegt im Moment tatsächlich eher darin, dass das öffentliche Interesse mit der Gründung in sich zusammenbrechen könnte und damit auch die mediale Wirkung. Aber auch da gibt es ja bereits ein neues Narrativ, dem die Berichterstattung folgen kann und wird: Die Erwartung nämlich, dass eine Wagenknecht-Partei allen demokratischen Parteien die Arbeit abnehmen könne, den Aufstieg der AfD zu stoppen. Auch solche Erwartungen gab es an das „Team Todenhöfer“ nicht, es hatte, im Gegensatz zur Sahra-Wagenknecht-Partei, keinen medialen Resonanzraum bzw. Erwartungskorridor.
Was vermuten Sie – wie wird sich die politische Landschaft verändern?
Alle Parteien werden sich schon bei den Europa-Wahlen zur neuen Partei ins Verhältnis setzen müssen. Die neue Partei wird, wie die AfD, entlang der Linie des Polarisierungmodells einfaches Volk, wirkliches Leben, große Mehrheit versus abgehobene Eliten, globale Konzerne, heimatlose Superreiche agieren. Sie wird die Grünen als Hauptfeind ausmachen – Wagenknecht nennt sie seit längerem die gefährlichste Partei im Bundestag. Die neue Partei wird vor allem Affektpolitik betreiben müssen, um bei den nächsten Wahlen erfolgreich zu sein. Also gegen die vermeintliche Zerstörung der »deutschen Industrie« als Basis für einen funktionierende nationalen Sozialstaat und für eine Verlangsamung des Ausstiegs aus der fossilistisch geprägten Produktions- und Lebensweise.
Sie wird also vor allem eine Konkurrenz zur AfD?
Im Grunde lebt die Wagenknecht-Partei von der Annahme, dass die sogenannten normalen und einfachen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nur aus Notwehr eine Rechtsaußen-, in Teilen faschistische Partei wählen würden, also nicht nationalistischen oder rassistischen Einstellungen folgten. Um diese These zu belegen, müssten vor allem Stimmen von der AfD und von Nichtwählern gewonnen werden. Nichtwähler zu mobilisieren, fällt erwartungsgemäß schwer und ist eine unsichere Bank für Wahlstrategien. Also wird es darum gehen, welche Brücken die Partei bisherigen AfD-Wählern baut, in der Migrationspolitik, im Verhältnis zu Russland, den USA, der Nato, in der Klima- und Wirtschaftspolitik, im Verhältnis zur EU.
Was ist die größte Gefahr der neuen Partei für die jetzige Linkspartei?
Für Die Linke liegt die größte Gefahr in der Annahme, mit der Trennung von Sahra Wagenknecht seien die Probleme der Partei gelöst, die Annahme also, es handele sich um eine »Befreiung«. Das ist mitnichten der Fall. Die Auseinandersetzungen mit Wagenknecht waren ja auch nur Ausdruck davon, dass die Frage nicht ausreichend beantwortet ist, was linke Politik auszeichnet: mit der Rückkehr des Staates nach den Finanz- und Wirtschaftskrisen ab 2007/2008, mit der Migrationskrise und der stärker ins Bewusstsein tretenden Klimakatastrophe, mit dem Erstarken des Nationalismus beziehungsweise dem Revival der Nationalstaaten als Schutzräume gegen eine Ordnung der Welt als globaler Markt.
Wie sollte die Partei damit umgehen?
In der Linkspartei ist eine Mehrheit der Auffassung, dass die Wagenknecht-Position diese Antwort nicht ist, aber es gibt eben auch keine von einer breiten Mehrheit getragene programmatische und strategische Antwort mit längerfristiger Perspektive. Denn dann hätte man sicherlich die Trennung aktiv vollzogen. Die größte Gefahr für die Partei besteht darin, jetzt die vorhandenen Unterschiede zu verstärken und eben keine innerparteiliche Diskussionskultur zu entwickeln, die davon ausgeht, dass jede Strömung einen Teil der Antwort bereithalten könnte, ohne dabei in neuen Formelkompromissen zu enden. Das wird, nach den Jahren innerparteilicher Verhärtungen, Unterstellungen und „Schubladisierungen“ von Personen und Positionen nicht gerade einfach.
Wie schmerzhaft wird der Verlust der Fraktionsstärke Die Linke treffen?
Auf den ersten Blick fällt natürlich eine öffentliche Wahrnehmung weg, die die Fraktion durch Reden, Anträge und Anfragen im Bundestag erzielen konnte. Auf den zweiten Blick gilt aber auch: Die öffentliche Wahrnehmung von Zerstrittenheit, von Unklarheit darüber, wer für die Partei spricht, ging in erster Linie von der Fraktion aus. Die wenigen und relativen Erfolge bei Wahlen in letzter Zeit, in Berlin, in Bremen oder bei Bürgermeisterwahlen verdankten sich nicht einem Rückenwind aus der Fraktion, sondern einer klaren Abgrenzung von der Bundespartei als „Berliner Linke“ oder „Bremer Linke“ und dem Vertrauen in die politische Integrität der regional bekannten Personen. Und da der Status der Fraktion nur durch drei Direktmandate erreicht wurde und von Anfang an prekär war, sollte man auch annehmen, dass in der Parteizentrale Vorbereitungen für diesen Fall getroffen worden sind.