Analyse
Erscheinungsdatum: 25. Januar 2024

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Unabhängig, eigenwillig und an der Basis beliebt

Einst hatte Christian Lindner Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Hoffnungsträgerin für die FDP von Düsseldorf nach Berlin geholt. Nun dürfte er froh sein, dass sie bald in Brüssel ist.

Es gibt Politikerinnen und Politiker, die ein Leben lang das Gleiche machen. Und es gibt welche, die sich stetig weiter entwickeln. Man könnte auch sagen: sich immer wieder neu erfinden. Zu dieser Kategorie zählt Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Als FDP-Kommunalpolitikerin gestartet, stürmte sie in schwersten Zeiten nach Berlin, um der Partei beim Wiederaufbau zu helfen. Dann musste sie erleben, wie im Kalkül des Parteivorsitzenden Christian Lindner plötzlich andere Liberale wichtiger wurden. Doch statt sich dem zu ergeben, rückte sie ins Parlament und warf sich in die Außenpolitik. Mit dem Ergebnis, dass sie mittlerweile neben Lindner zu den prominentesten Liberalen überhaupt gehört. Und das dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass sie am Sonntag offiziell zur Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl gewählt wird.

Knapp vier Jahre ist es her, da wurde Strack-Zimmermann von Nicola Beer verdrängt. Aus dem Amt der stellvertretenden Bundesvorsitzenden und damit dem Parteipräsidium. Beer, damals noch Generalsekretärin, sollte für die Partei die Spitzenkandidatur für die Europawahl übernehmen und zusätzlich Lindners Stellvertreterin werden. Auf dem Posten, den seit 2013 Strack-Zimmermann innehatte.

Sie hätte das Amt weiter für sich beanspruchen und in eine Kampfkandidatur ziehen können. Doch Strack-Zimmermann verzichtete. „Alle, die mich kennen, wissen, dass ich keinem Kampf und keiner Kampfabstimmung aus dem Weg gehe, sofern ich der Überzeugung bin, dass dabei auch die Freien Demokraten einen Nutzen haben“, schrieb Strack-Zimmermann in einem Brief an Lindner und den damaligen NRW-Landesvorsitzenden Joachim Stamp. Sie verzichte „aus Rücksicht auf die Partei“, fügte aber an: „Meine Entscheidung ist definitiv nicht der Beginn eines Rückzugs.“ Für Lindner war das zunächst bequem und klang zugleich doch auch wie eine Drohung.

Zumal er selbst sie sechs Jahre zuvor aus der Düsseldorfer Kommunalpolitik in die Bundespolitik geholt hatte. Als Teil des Teams, das die Partei nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag wieder neu aufbauen sollte. Sie werde „nicht nur ein neues Gesicht in der Führung der Partei sein, sondern auch die kommunale Verankerung der Partei weiter stärken“, versprach Lindner damals den Delegierten.

Der frisch gewählte Parteichef ahnte damals wohl nicht, dass Strack-Zimmermanns Interesse sich nicht ewig auf die Kommunen beschränken sollte. 2017 kandidierte sie hinter Lindner auf Platz zwei der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl und holte mit 19,7 Prozent das deutschlandweit beste Zweitstimmenergebnis für die FDP. In der neuen formierten Bundestagsfraktion wurde sie Sprecherin für Kommunalpolitik – und für Verteidigung.

Letzteres war das Amt, durch das sie auch über die Parteigrenzen hinaus an Profil gewann. Als Oppositionspolitikerin hatte sie leichtes Spiel, sich an der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen abzuarbeiten. Strack-Zimmermann war mit pointierten Kommentaren stets zur Stelle, was zunehmend auch die Talkshowredaktionen des Landes erkannten.

Für die Parteiführung aber wurde Strack-Zimmermann ungemütlich, weil sie sich nicht von anderen steuern lassen mochte. Sie hat ihren eigenen Kopf, ihren eigenen gesunden Menschenverstand, und das bekam nicht nur die Regierung, sondern im Zweifel auch die eigene Parteiführung zu spüren. Nicht, indem sie diese offen kritisierte, wohl aber, indem sie wenig empfänglich war für Vorschläge, wie sie dieses oder jenes sehen oder bewerten sollte. Sie behielt ihren eigenen Kopf. Ein Grundverständnis, an dem sich bis heute nichts geändert hat.

Und als es dann für Beer und Lindner opportun erschien, Strack-Zimmermanns Posten für Beer zu reservieren, hatte Strack-Zimmermann die neue Lage klug erkannt. Ihrer öffentlichen Präsenz schadete das nicht. Als Verteidigungspolitikerin war sie weiter gefragt, zumal die Armee und die deutsche Sicherheitspolitik mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zusätzlich in den Fokus rückten.

Als ihre Partei 2021 in die Ampel-Regierung eintrat, konnten sich viele Strack-Zimmermann als Verteidigungsministerin vorstellen. Doch die FDP hatte andere Ambitionen, gab sich in den Koalitionsverhandlungen keine Mühe, das Ressort für sich zu gewinnen. Immerhin durfte sie im Bundestag den Vorsitz des Verteidigungsausschusses übernehmen. Für Strack-Zimmermann ein ideales Amt: Auf der einen Seite verleiht die Position ihr Gewicht. Auf der anderen Seite kann sie stets das Mitspracherecht des Parlaments in wichtigen Regierungsfragen beanspruchen – und damit stets auch ein bisschen opponieren. Sie tat dies zur Genüge, als die Regierung in der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine zögerte.

Der Ruf nach Strack-Zimmermann wurde erneut laut, als Christine Lambrecht nach einem überaus glücklosen Jahr im Amt zurücktrat. Eine Kabinettsumbildung kam jedoch weder für Lindner noch für Kanzler Olaf Scholz infrage, das Ressort blieb weiterhin in den Händen der SPD. Die FDP-Politikerin gab dennoch später in einem Spiegel-Interview zu Protokoll: „Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich ja gesagt.“

Dem Vernehmen nach wurde sie auch nicht gefragt, als es um die Spitzenkandidatur für die Europawahl ging. Sie selbst, so sagt es die 65-Jährige, habe den Wunsch an Lindner herangetragen. Zumindest fürs Erste sieht es aus wie eine Win-Win-Situation für beide: Die Ampel-Regierung verliert einen Störfaktor, von dem man auch im Kanzleramt zunehmend genervt war. Zugleich dürfte auch Strack-Zimmermann froh sein, dass ihr Büro künftig 650 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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