Table.Briefing: Agrifood

Zankapfel EU-Gentechnikrecht + Lebensmittelverband reagiert auf DANK-Faktencheck + FDP bremst Özdemirs Bio-Strategie

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den Reihen der EU-Agrarminister stoßen die Pläne der EU-Kommission zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts auf Kritik. Das zeigte ein Treffen des Rates am Montag in Brüssel. In einer schriftlichen Stellungnahme äußerte Kroatien Zweifel daran, eine Koexistenz von NGT-1-Pflanzen und Ökolandbau ermöglichen zu können. Das Verbot der Kategorie NGT-1 im Ökolandbau sei aber essenziell wichtig, um das Vertrauen der Käufer von Bioprodukten und die wirtschaftlichen Interessen des Sektors nicht zu gefährden.

Außerdem beharrt das Land auf einer Opt-out-Möglichkeit, sprich darauf, den Anbau solcher Pflanzen im eigenen Land verbieten zu dürfen – unabhängig vom EU-Recht. Diese Möglichkeit sieht der Vorschlag der EU-Kommission allerdings bislang nicht vor.

Als Begründung führt Kroatien an, im “Interesse der Öffentlichkeit” alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen zu wollen, um einem “angemessenen Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, der Umwelt und der biologischen Vielfalt” gerecht werden zu können. Entgegenkommend schlägt der Mitgliedstaat vor, die Opt-out-Möglichkeit auf sieben Jahre, ab Inkrafttreten der Novelle des EU-Gentechnikrechts, zu befristen.

Dem Vorschlag der Brüsseler Behörde, NGT-1 von der Kennzeichnung zu befreien, will Kroatien aus Sorge vor mangelnder Risikobewertung und Rückverfolgbarkeit und folglich “irreversiblen Auswirkungen für die Umwelt” nicht zustimmen.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Analyse

EU-Parlament vor wegweisenden Abstimmungen

Der europäische Green Deal ist ein Paket politischer Initiativen, mit dem die EU ihr Ziel erreichen und bis 2050 klimaneutral sein will. Einige Gesetzesvorschläge aus diesem Paket stehen in dieser Woche im Plenum des Europaparlaments in Straßburg zur Abstimmung:

Der Net Zero Industry Act (NZIA) ist die europäische Reaktion auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). Ziel des Gesetzesvorhabens ist, die Technologien für die Dekarbonisierung in Europa zu industrialisieren. 40 Prozent der Null-Emissions-Technologien sollen hier produziert werden und einen globalen Marktanteil von 25 Prozent an diesen Technologien erobern.

Am Dienstag stimmt das EU-Parlament über seine Position ab, sodass noch in diesem Monat die Trilog-Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten beginnen können. Überraschungen werden bei der Abstimmung im Parlament nicht erwartet, da die drei großen Fraktionen EVP, S&D und Renew im Industrieausschuss einen Deal ausgehandelt haben, der eine komfortable Mehrheit im Plenum bekommen dürfte.

Pestizide-Verordnung: Abstimmung am Mittwoch

Die Abstimmung am Mittwoch zur Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) – auch bekannt als Pestizide-Verordnung – ist dagegen noch lange nicht ausgemacht. Strittig ist zum einen, um wie viel Prozent die Mitgliedstaaten den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln absenken müssen und in welchem Zeitraum. Zum anderen geht es um die Frage, ob in Schutzgebieten ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln kommt. Die EVP versucht, Koalitionen mit Teilen von Renew und Sozialdemokraten zu schmieden, um die Position des Umweltausschusses (ENVI) in den beiden strittigen Fragen abzuändern.

ENVI ist für ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln in allen Natura-2000 und FFH-Schutzgebieten sowie in Parks, auf Spielplätzen und sonstigen Flächen, wo sich auch Kinder, Alte und Kranke aufhalten. Erlaubt wären nur noch biologische Pflanzenschutzmittel und solche Mittel, die auch im Ökolandbau eingesetzt werden dürfen. Die Mitgliedstaaten sollen allerdings über Ausnahmen in besonderen Fällen verfügen können.

Diese Position könnte einschneidende Folgen für die Landwirte gerade in Deutschland haben, da zahlreiche Schutzgebiete für die intensive Landwirtschaft genutzt und dort bislang Pestizide eingesetzt werden. Die EVP will deshalb die Natura-2000- und FFH-Vogelschutzgebiete von dem Verbot für chemische Pestizide ausnehmen.

ENVI will zudem den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren. Dagegen formiert sich ebenfalls Widerstand. Im Plenum dürfte zur Abstimmung gestellt werden, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2035, also fünf Jahre später, nicht um 50 Prozent zu reduzieren, sondern nur “mindestens um 35 Prozent” und bezogen auf den Zeitraum 2011 bis 2013. Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit haben, das individuelle Ziel zu erhöhen.

Verpackungen: Einigung nach Lobbyschlacht?

Ebenfalls am Mittwoch stimmt das Parlament über die Verpackungsverordnung ab, eines der Gesetzesverfahren mit obskuren Lobbykampagnen und überdramatisierenden Medienberichten. Die deutschen Bierkästen, die französischen Camembert-Holzschachteln und die kleinen Zuckertüten, die zum Heißgetränk in Cafés serviert werden – wegen der kleinteiligen Bestimmungen der Verordnung ranken sich Befürchtungen um allerlei Verbote. Der Höhepunkt der Lobbyaktionen war wohl erreicht, als vergangene Woche Schilder an den Türen der Abgeordnetenbüros in Brüssel angebracht wurden, die vor dem Untergang der Coffee-to-go-Becher warnten.

Ziel der Verordnung ist, unnötige Verpackungen zu verbieten oder zu minimieren, Einwegverpackungen zu verhindern und Mehrwegsysteme zu fördern. Jede Verpackung soll ab 2030 recycelbar sein. Vor der finalen Abstimmung müssen die Parlamentarier noch über an die hundert Änderungsanträge abstimmen. Es bleiben also noch viele offene Fragen, etwa zu Einwegprodukten in der Gastronomie oder zu Ausnahmen für bestimmte Produkte.

CO₂-Entnahmen und COP28-Resolution

Ebenfalls auf der Agenda des Novemberplenums ist die Abstimmung am Dienstag über die COP28-Resolution, die die Erwartungen des EU-Parlaments an die UN-Klimakonferenz in Dubai widerspiegelt. Auch der Zertifizierungsrahmen für CO₂-Entnahmen wird am Dienstag abgestimmt. Dabei geht es um die Frage, welche Formen der CO₂-Entnahmen als dauerhaft gelten und ob Unternehmen sich klimaneutral nennen dürfen, wenn ihre neutrale CO₂-Bilanz auf CO₂-Offsets beruht.

  • Green Deal
  • Klima & Umwelt
  • Pestizide-Verordnung

Monsun in Indien verdeckt gefährliche Veränderungen

Die Bilanz des indischen Sommermonsuns von Juni bis September, die am 19. Oktober offiziell endete, lautet nach Aussagen des Indischen Wetterdienstes IMD: Die Niederschläge waren “normal”. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Die Kategorien “normal”, “unter normal” oder “über normal” für Vorhersagen im Vergleich zu einem “langjährigen Durchschnitt” sind nicht mehr zweckmäßig, weil sie die Auswirkungen des Klimawandels und der Luftverschmutzung nicht berücksichtigen.

Der Klimawandel verändert die saisonalen Muster und treibt die Entwicklung über die Schwellenwerte hinaus. Mit der Erderwärmung sagen Modellrechnungen Sommerregen voraus, die stärker und unregelmäßiger werden. Extrem nasse Sommer können die Landwirtschaft, die Ernährungslage und die wirtschaftliche Situation von mehr als einer Milliarde Einwohnern beeinträchtigen.

Laut Daten des IMD lag die Niederschlagsmenge landesweit bei 94 Prozent des langjährigen Durchschnitts (LPA) von 30 bis 50 Jahren. Wegen der Bedeutung des Monsuns für die indische Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit wies das IMD darauf hin, dass die Niederschlagsmenge in der Monsun-Kernzone, die den größten Teil der landwirtschaftlichen Regengebiete des Landes umfasst, 101 Prozent der LPA erreichte. Ein Monsun gilt als “normal”, wenn die Niederschlagsmenge zwischen 94 und 106 Prozent der LPA liegt.

Wenig Regen im August

Regional und zeitlich gibt es allerdings große Unterschiede: So betrugen die saisonalen Niederschläge in der nordöstlichen Region nur 82 Prozent der LPA; sieben Untergebiete im Nordosten, Osten und Süden, auf die 18 Prozent der Gesamtfläche entfallen, hatten mangelhafte Niederschlage. Was die Verteilung der Niederschläge über die Jahreszeit angeht, betrug die Niederschlagsmenge im Juni landesweit 91 Prozent des LPA, im Juli 113 Prozent, im August 64 Prozent und im September 113 Prozent.

Der IMD hatte 96 Prozent des LPA vorausgesagt, erreicht wurden 94 Prozent. Die Vorhersagen lagen (unter Berücksichtigung der Fehlermarge) also richtig. Sie berücksichtigten jedoch nicht die Verzögerungen und die Schwankungen in den vier Monaten der Saison und in den verschiedenen meteorologischen Abteilungen. Und auch nicht, dass der August, ein Schlüsselmonat für die Landwirtschaft, der trockenste seit über hundert Jahren war. Indien begann 1901 mit der Aufzeichnung der Niederschläge.

Bewertungen des Monsuns haben diese Schwankungen zutage gefördert. Wissenschaftler des IMD und anderer Institutionen haben darauf hingewiesen, wie sich der Monsun verändert.

Ihre Ergebnisse ähneln auf unheimliche Weise der Einschätzung des IMD für den Monsun im Jahr 2023.  Anhand von aufgezeichneten Daten über einen Zeitraum von 30 Jahren (1989 bis 2018) stellten die Wissenschaftler fest: Die Niederschläge des Südwestmonsuns in fünf Bundesstaaten – Uttar Pradesh, Bihar, Westbengalen, Meghalaya und Nagaland – “nehmen signifikant ab”. In westlichen (traditionell trockeneren) Regionen wie Saraushtra und Kutch in Gujarat und im Südwesten von Rajasthan wurde ein “signifikanter steigender Trend” bei der Häufigkeit von Tagen mit starken Regenfällen festgestellt. Die Bewertung war im Februar 2021 Gegenstand einer Anfrage im Parlament.

Studie warnt vor stärkerem Monsun

Eine Studie aus dem Jahr 2021, die von einem deutschen Forscherteam unter der Leitung von Anja Katzenberger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Ludwig-Maximilians-Universität in München durchgeführt wurde, besagt, dass die Sommermonsun-Regenfälle in Indien stärker und unregelmäßiger werden, wenn die globale Erwärmung ungebremst anhält. “Wir haben eindeutige Beweise für eine exponentielle Abhängigkeit gefunden: Für jedes Grad Celsius Erwärmung werden die Monsunregenfälle wahrscheinlich um etwa 5 Prozent zunehmen”, heißt es darin. Die Studie ergab, dass die globale Erwärmung die Monsunregenfälle in Indien sogar noch stärker erhöht, als bisher angenommen. “Sie dominiert die Dynamik des Monsuns im 21. Jahrhundert.”

Die Studie sagt für die Zukunft mehr extrem nasse Jahre voraus – mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für das Wohlergehen von mehr als einer Milliarde Menschen, die Wirtschaft, die Nahrungsmittelsysteme und die Landwirtschaft. Julia Pongratz, Mitautorin der deutschen Studie aus dem Jahr 2021, erklärt: “Pflanzen brauchen vor allem in der ersten Wachstumsperiode Wasser, aber zu viel Regen in den anderen Wachstumsstadien kann den Pflanzen schaden – auch dem Reis, von dem sich die Mehrheit der indischen Bevölkerung ernährt. Das macht die indische Wirtschaft und das Nahrungsmittelsystem sehr empfindlich gegenüber schwankenden Monsunmustern.”

Landwirtschaft gefährdet

Das Fehlen von detaillierten Informationen hat erhebliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Devinder Sharma, Analyst für Lebensmittelpolitik und Landwirtschaft, plädiert für eine Änderung der Art und Weise, wie das IMD seine Prognosen erstellt: “Das IMD sollte sich auf die Vorhersage der Niederschlagsvariabilität und -verteilung auf Bezirksebene konzentrieren. Erratische Niederschlagsmuster, wie sie während des Monsuns zu beobachten sind, haben die größten Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die wiederum sozioökonomische Folgen haben.”

Auf die Landwirtschaft und verwandte Bereiche entfallen 18 Prozent des indischen BIP, und mehr als 50 Prozent der indischen Bevölkerung sind in diesem Sektor beschäftigt. Schwankende Monsuntrends haben Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Wohlergehen der Bevölkerung.

Der Charakter des indischen Sommermonsuns ändert sich, auch wenn das Gesamtbild innerhalb der traditionellen Normen der Charakterisierung bleibt. “Der Monsun von 2023 ist ein Beweis dafür, dass unregelmäßige, unaufhörliche und längere trockene Tage die neuen Normen sind, die sich auf das Leben und den Lebensunterhalt auswirken, insbesondere in klimatisch abhängigen Sektoren wie der Landwirtschaft”, sagte Abinash Mohanty, Sektorleiter Klimawandel und Nachhaltigkeit, bei IPE-Global, einer internationalen Entwicklungsberatungsgruppe mit Sitz in Neu-Delhi.

Mohanty, der als Experte für den sechsten Sachstandsbericht des IPCC tätig war, betonte, dass die Art und Weise, in der Prognosen erstellt und verbreitet werden, überdacht werden müsse. Da 2023 ein El-Nino-Jahr sei, seien Niederschlagsereignisse geringer Intensität normal, aber “die Zunahme unaufhörlicher und unregelmäßiger Niederschlagsereignisse” sei abrupt, sagte er. “Während des Monsuns 2023 kam es zu einer Zunahme der erratischen Niederschläge um mehr als 30 Prozent, die meisten davon in landwirtschaftlich geprägten Gebieten.” Mohanty sagte, es sei zwingend erforderlich, Maßnahmen zur Klimaanpassung durch die Einführung naturbasierter Lösungen und durch die Durchführung übergreifender Risikobewertungen zur besseren Kartierung, Planung und Anpassung einzubeziehen.

Urmi Gosvami

  • Ernährungssicherheit
  • Klima & Umwelt

News

Werbeeinschränkungen: Lebensmittelverband reagiert auf Faktencheck

Der Streit um das Kinderlebensmittelwerbegesetz (KLWG) von Bundesernährungsminister Cem Özdemir geht in die nächste Runde. Nachdem die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) Lebensmittel- und Werbeverbänden in einem Faktencheck Falschaussagen im Zusammenhang mit dem KLWG vorgeworfen hatte, hat der Lebensmittelverband nun auf die Vorwürfe reagiert. Zum Verständnis: Der Faktencheck der DANK bezog sich auf einen Brief an Bundesernährungsminister Cem Özdemir, in dem mehr als 30 Branchenverbände der Werbe- und Lebensmittelindustrie ihre Ablehnung gegen das KLWG geäußert hatten. Parallel dazu hatten sie Anzeigen in Tageszeitungen geschaltet, in denen sie Werbebeschränkungen als “unwirksam” bezeichneten.

In seiner Reaktion auf den DANK-Faktencheck räumt der Lebensmittelverband ein, für seine Aussage, die Werbeeinschränkungen beträfen 70 Prozent aller Lebensmittel, die falsche Datengrundlage herangezogen zu haben. Gleichzeitig stellt der Lebensmittelverband aber die Aussagekraft der DANK-Daten infrage, wonach die Werbeeinschränkungen – basierend auf dem zweiten Entwurf des KLWG von Ende Juni – nur 40 bis 50 Prozent der verfügbaren Lebensmittel in Deutschland erfassten. In seiner Replik auf den DANK-Faktencheck verweist der Lebensmittelverband darauf, dass die Studie, auf die sich die DANK bezieht, das Peer-Review-Verfahren noch nicht durchlaufen habe und damit noch nicht unabhängig begutachtet worden sei.

Auswirkungen für Werbewirtschaft: Lebensmittelverband räumt falsche Berechnungsgrundlage ein

Kontrovers diskutiert werden weiterhin auch die möglichen Schäden, die der Medien- und Werbewirtschaft durch Werbeeinschränkungen entstehen könnten. Die vom Branchenverband prognostizierten Einnahmeeinbußen von etwa drei Milliarden Euro würden auf falschen Berechnungsgrundlagen beruhen, hatte die DANK in ihrem Faktencheck moniert. Das räumt der Lebensmittelverband jetzt selbst ein. Das vom Markenverband in Auftrag gegebene Gutachten habe sich auf den ersten Entwurf des KLWG bezogen, heißt es in der Stellungnahme des Lebensmittelverbands. Im jüngsten Entwurf aus dem BMEL wurden die Einschränkungen, die das KLWG für Werbeschaffende vorsieht, deutlich abgeschwächt.

Bundesernährungsminister Özdemir hatte Ende Februar Schutzmaßnahmen für Kinder in der Lebensmittelwerbung vorgestellt. Innerhalb der Ampelkoalition ist das Thema umstritten, die FDP blockiert derzeit das parlamentarische Verfahren. Trotz Abschwächungen des Entwurfs ist keine Einigung in Sichtheu

  • KLWG

Bundesregierung vereinfacht Berichtspflicht

Lieferkettengesetz Protest in Deutschland im Dezember 2022

Das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium haben sich auf eine Vereinfachung der Berichtspflichten im Lieferkettengesetz geeinigt. Unternehmen erhielten jetzt mehr Zeit für ihre Berichte nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums der Nachrichtenagentur Reuters am Montag auf Anfrage. Die Berichte für 2023 und 2024 würden erst 2025 fällig und könnten dann als EU-Nachhaltigkeitsberichte vorgelegt werden. Dadurch würden Doppelungen vermieden, die Berichterstattung wird vereinfacht.

Hintergrund ist der Übergang von dem deutschen Gesetz zur dann europaweit geltenden EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD). Später ist zudem die europäische Richtlinie zu den Sorgfaltspflichten in der Lieferkette geplant, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Sie befindet sich noch im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Die CSDDD-Richtlinie enthält keine eigenen Berichtspflichten. Ist sie EU-weit in Kraft getreten, will die Bundesregierung prüfen, ob Änderungen am LkSG erforderlich sind.

Das seit Januar geltende Lieferkettengesetz ist umstritten. Die einen sehen es als Bürokratiemonster für Unternehmen, die anderen als wichtigen Beitrag, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen bei Zulieferern vorzubeugen. Wie schwierig die Handhabung von Verantwortlichkeiten bei Lieferketten über mehrere Länder ist, zeigt der Fall BMW. Die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR hatten berichtet, dass es bei der Kobalt-Mine in Marokko, die Rohstoffe für von BMW genutzte Batterien liefert, zu schweren Verstößen gegen Umwelt- und Arbeitsschutzregeln komme. Der Minenbetreiber Managem weist dies aber zurück. rtr

Özdemir präsentiert seine Bio-Strategie

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat vergangene Woche die Bio-Strategie vorgestellt, mit der die Regierung ihr Koalitionsziel von 30 Prozent Öko-Anbau-Anteil bis 2030 erreichen soll. Denn: Ökologischer Landbau würde verglichen mit konventionellem Anbau 800 Euro pro Hektar an Umweltfolgekosten einsparen sowie die Hälfte von CO₂ pro Hektar, so der Grüne. Ins Kabinett hat die Strategie es bislang allerdings nicht geschafft: Die FDP hatte bis zuletzt darauf bestanden, dass sich die Bio-Branche für neue genomische Züchtungstechniken öffnen solle. Das lehnt diese vehement ab. Bei der Vorstellung sagte Özdemir zu diesem Punkt: “Wir wollen die Leute nicht belehren.” Mit der Forderung nach der Zulassung von Gentechnik würde man “in einen funktionierenden Markt eingreifen”. 2020 habe die Bio-Branche 15,3 Milliarden Euro umgesetzt.

“Es sind nicht einmal im Ansatz die nötigen Haushaltsmittel dafür eingestellt”, kritisierte Peter Röhrig vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Insbesondere fehlten die finanziellen Mittel zur Steigerung des Anteils der Agrarforschung für Ökolandbau von derzeit 2 auf 30 Prozent. Röhrig: “Bis jetzt ist die Bio-Strategie nicht viel mehr als Papier.”

Seit dem 20. November bewirbt das BMEL die Vorteile des ökologischen Anbaus medial –  und zwar von “Flensburg bis Berchtesgaden, von Ost nach West”, so der zuständige Referatsleiter Karl Kempkens. Im Mittelpunkt dieser “Bio-Informationsoffensive”, die Teil der Strategie ist, soll der Beitrag zum Artenschutz stehen; weitere Aspekte: gute Tierhaltung, hohe Qualität und die Verlässlichkeit der Siegel. Tenor der Plakate und Spots: “Bio? Na Logo!”

Darüber hinaus setzt die Strategie auf die Gastronomie als Multiplikator; zur Auslobung von Bio-Anteilen hat das Ministerium eigens Label kreiert. Auch an die Esser von morgen ist gedacht: Ein “Organic Future Camp” soll anlässlich der nächsten Ökofeldtage 2025 auf Wassergut Canitz in Sachsen stattfinden – mit Vertretern unterschiedlicher Jugendorganisationen. Was die Steigerung der Forschung für Ökolandbau angeht, betonte Kempkens bei der Vorstellung, es gehe nicht nur um mehr Mittel für das Bundesprogramm Ökologischer Landbau, sondern auch um Programmförderungen etwa bei der Ackerbau- oder Eiweißstrategie, bei denen künftig Öko stets “mitgedacht” werde. ab

  • Bio
  • Biodiversität

Ab 2024 neues Label für Lebensmittel aus Deutschland

Ab Januar 2024 soll nach Angaben der Agrarbranche ein neues Label für Lebensmittel aus Deutschland in den Handel kommen. Mit dem Herkunftskennzeichen könnten Verbraucherinnen und Verbraucher Erzeugnisse der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft auf den ersten Blick im Lebensmitteleinzelhandel erkennen, teilte der Verein Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) vergangene Woche in Berlin nach Unterzeichnung einer Branchenvereinbarung mit. Das Label basiere auf freiwilliger Selbstverpflichtung aller teilnehmenden Lebensmittelhändler und -hersteller. Vorreiter im Lebensmittelhandel seien Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Kaufland, Lidl und Rewe Group.

Das einheitliche Herkunftskennzeichen “Gutes aus deutscher Landwirtschaft” stehe für Transparenz und biete Konsumenten beim Einkauf die gewünschte Orientierung und Sicherheit, sagte Josef Sanktjohanser, Vorstandschef des Vereins ZKHL. Die Branchenvereinbarung trete ab Januar 2024 in Kraft. Ab dann könnten Fleisch von Schwein, Rind und Geflügel, Obst, Gemüse, Kartoffeln sowie Eier und Milch gekennzeichnet werden. Voraussetzung sei die vollständige Produktion in Deutschland – vom Anbau beziehungsweise der Geburt, bei Geflügelfleisch auch die Elterntierhaltung, bis zur Verpackung.

«Das Herkunftskennzeichen Deutschland wird für die Wertschätzung unserer Lebensmittel durch die Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen», sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied den Angaben zufolge. Mittelfristig werde die Nutzung für weitere Produkte und Anwender wie Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung ermöglicht. dpa

  • Gemeinschaftsverpflegung
  • Lebensmittel

Presseschau

Cem Özdemir’s “Bio-Strategie 2030” in der Kritik faz
Bayer bastelt an Glyphosat Alternative faz
Italien verbietet als erstes Land die Produktion, den Import und die Vermarktung von Laborfleisch SZ
Israeli agriculture is in crisis. The country struggles to find workers for their fields nytimes
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht juristisch gegen ein Pflanzenschutzmittel und ein Insektizid vor agrarzeitung
Glyphosat: Bayer will Urteil zur Schadensersatzzahlung anfechten agrarzeitung
Interview: EU-Politiker Bernhuber sucht bei der EU-Pflanzenschutzverordnung Mehrheiten für “gravierende Änderungen” im Text top agrar
Bedeutung des Wachstumschancengesetzes für Landwirte top agrar
“Chancenprogramm Höfe” der Bundesregierung soll Landwirte beim Ausstieg aus der Tierhaltung unterstützen agrarheute
Hintergründe zum EU-Renaturierungsgesetz: die wichtigsten Antworten Zeit
Der Mensch im Zeitalter des Anthropozän: Evolutionäre Fallen und deren Lösungsansätze Tagesspiegel
Wie die Ausbreitung von Wüsten verhindert werden kann Tagesspiegel

Termine

20.11. – 21.11.2023 / Brüssel
Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
Die Ministerinnen und Minister des EU-Agrarrates treffen sich am 20. und 21. November in Brüssel. Auf der Tagesordnung stehen u.a. die Festlegung von Fangbeschränkungen und Quoten im Atlantik, in der Nordsee, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer und die Verabschiedung der Schlussfolgerungen zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU (LTVRA). Außerdem diskutieren die Minister über den Stand des Vorschlags für eine neue EU-Gentechnikverordnung und der neuen EU-Waldstrategie für 2030.
Vorläufige Tagesordnung

21.11.2023 – 10.00 / online
Konferenz Agrarministerkonferenz
Sonder-Agrarministerkonferenz zum Thema “Anpassungen des GAP-Direktzahlungen-Gesetzes INFOS

21.11. – 22.11.2023 / Rheingoldhalle Mainz
Kongress Deutscher Fleisch Kongress 2023
Der Kongress bietet Fleischwirtschaft, Einzel- und Großhandel sowie dem Handwerk einen Überblick über die aktuellen nationalen und globalen Marktentwicklungen. Hier präsentieren Entscheider aus Industrie und Handel ihre Konzepte und Strategien. Branchenexperten:innen geben einen Überblick über die zukünftigen Trends. INFOS

21.11.- 22.11.2023 / Wunstorf
Tagung Wasser – wie managen wir diese knappe Ressource?
Wasser ist auch in Deutschland nicht mehr jederzeit und überall eine ausreichend verfügbare Ressource. Ein integrales Wassermanagement muss alle Ansprüche berücksichtigen. Die nachhaltige Bewirtschaftung des Landschaftswasserhaushalts wird an Bedeutung gewinnen, Wasserrückhaltung und Moorwiedervernässung sind drängende Themen. INFOS

23.11.2023 – 09:00- 12:15 Uhr / online
Tagung Postfossile Antriebe – Biokraftstoffe und Elektromobilität in der Landwirtschaft
Die Tagung nimmt alternative Antriebssysteme zu den etablierten Diesel-Verbrennungsmaschinen und deren Einsatz in der Praxis in den Blick. Dazu werden die entwickelte Technik sowie Erfahrungen von Fachreferenten vorgestellt. Forscher werden einen Ausblick auf zukünftige Systeme geben, die aktuell erprobt werden. Neben technischen Inhalten sind marktrelevante Themen wie die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen bedeutend für die Umsetzung klimaschonender Maßnahmen. INFOS & ANMELDUNG

23.11. – 24.11.2023 / Berlin
Tagung des BMEL Nachhaltige Energielösungen für Landwirtschaft und Gartenbau
Mit der Tagung möchten das BMEL und die Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE) als Projektträger gemeinsam mit Personen aus Praxis, Beratung sowie Wirtschaft und Forschung das Wissen und die Erfahrungen zu nachhaltigen Energielösungen bündeln und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen. INFOS & ANMELDUNG

24.11.2023 – 9:30 Uhr / Berlin
1038. Sitzung des Bundesrates Verordnung über Pflanzenvermehrungsmaterial
TOP 33a und b Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Pflanzenvermehrungsmaterial in der Union und über die Erzeugung und das Inverkehrbringen forstlichen Vermehrungsguts. INFOS

27.11.2023 – 10:00 – 11:00 Uhr / online
Vortrag Agrar-Drohnen in der Landwirtschaft
Online-Vortrag über Grundlagen zu Agrar-Drohnen sowie Einsatzmöglichkeiten und Rahmenbedingungen ANMELDUNG

04.12.2023 – 10:00 -14:00 Uhr, Berlin
BMEL Festveranstaltung zum Boden des Jahres 2024
Am 5. Dezember 2023 wird im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Berlin der “Boden des Jahres 2024” gekürt. Die Festveranstaltung findet im Rahmen des Internationalen Weltbodentags statt, der die Bedeutung des Bodens und seine Schutzwürdigkeit besonders hervorheben soll. INFOS

07.12.2023
Vortrag 2. Fendt-Nachhaltigkeitsforum: Landwirtschaft im Wetterstress
Im Rahmen des Forums werden Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Agrarbranche über das hochaktuelle Thema “Landwirtschaft im Wetterstress” diskutieren und innovative Lösungsansätze vorstellen. INFOS

11.12. – .12.12.2023 / Brüssel
Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
Die Ministerinnen und Minister des EU-Agrarrats treffen sich am 11. und 12. Dezember in Brüssel.
Vorläufige Tagesordnung

13.12.2023- 11.00- 13.00 Uhr Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
Öffentliche Anhörung Anhörung zur EU-Verpackungsverordnung
Antrag der Fraktion der CDU/CSU: “Auswirkungen der EU-Verpackungsverordnung beachten – Mit bürokratiearmen, kosteneffizienten und innovativen Regeln mehr Ressourceneffizienz erreichen” INFOS & ANMELDUNG

Heads

Frederic Goldkorn: Retter der krummen Gurke 

Frederic Goldkorn, Gründer der Initiative Querfeld

Fast ein Drittel des Obsts und Gemüses jeder Ernte wird weggeworfen, weil es nicht schön genug aussieht oder Handelsnormen nicht entspricht. Als Frederic Goldkorn das lernt, steckt er gerade in seinem BWL-Masterstudium in der Universität in Innsbruck. “Als ich herausgefunden habe, dass das ein echtes Problem ist und es noch keinen adäquaten Initiativen gab, die das angehen, habe ich gedacht: Dann starte ich es eben”, sagt Goldkorn. Gemeinsam mit drei Designern startet er 2014 seine Initiative Querfeld

Querfeld kauft Bauern Gemüse und Obst ab, das nicht den strengen Handelsregelungen entspricht: krumme Gurken, Karotten mit zwei Wurzeln oder knollige Tomaten. Die Querfeld-Kunden sind entweder Großküchen oder Privatkunden, die sich Kisten mit saisonalem Obst und Gemüse nach Hause liefern lassen. Zu seinen Kunden gehören, laut Goldkorn, rund 100 Großküchen und Kantinen, unter anderem die der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main oder der Frankfurter Börse. 

Transparenz in der Lieferkette

Langfristig will der Querfeld-Geschäftsführer die Lebensmittelversorgung für alle fair, nachhaltig und zugänglich gestalten. “Die wenigen führenden Unternehmen, die in Deutschland für 85 Prozent des Lebensmittelkonsums verantwortlich sind, nutzen ihre Marktmacht aus, zulasten der produzierenden Betriebe”, sagt Goldkorn. “An der Stelle wollen wir mehr Transparenz reinbringen: Wo kommen Lebensmittel her und wer verdient wie viel daran?” 

Rund 45 Höfe gehören derzeit zu den Lieferanten der Initiative, aber nicht alle liefern regelmäßig an Querfeld. Goldkorn kauft hauptsächlich Bio-Gemüse ein – weil es aussortiert ist, zu einem günstigeren Preis. “Unsere Bauern haben eine Preisvorstellung, die wir in den meisten Fällen auch erfüllen können”, sagt der Querfeld-Gründer. “Den Preis von A-Ware können wir aber leider nicht zahlen.” 

Auf den Teller statt in die Tonne

Die Kunden sind laut Goldkorn von den Lieferungen oder Kisteninhalten oft überrascht: “Unsere Kunden sind natürlich für das Thema sensibilisiert. Aber das häufigste Feedback ist mit Abstand: Ich hätte gedacht, das sieht krummer aus.” Auch er selbst ist nach rund neun Jahren Querfeld immer noch überrascht. “Wenn ich mir unsere Produkte anschaue, bin ich immer noch geschockt davon, was wir alles an Lebensmitteln zur Verfügung hätten.”  

Seit seiner Gründung hat Querfeld nach eigenen Angaben derzeit 1,7 Millionen Kilogramm Gemüse und Obst gerettet. Dieses Jahr rechnet Goldkorn mit rund 500 Tonnen gehandeltem Gemüse und Obst – rund 88 Prozent davon wären laut ihm sonst aussortiert worden. Svenja Schlicht

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Agrifood.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    in den Reihen der EU-Agrarminister stoßen die Pläne der EU-Kommission zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts auf Kritik. Das zeigte ein Treffen des Rates am Montag in Brüssel. In einer schriftlichen Stellungnahme äußerte Kroatien Zweifel daran, eine Koexistenz von NGT-1-Pflanzen und Ökolandbau ermöglichen zu können. Das Verbot der Kategorie NGT-1 im Ökolandbau sei aber essenziell wichtig, um das Vertrauen der Käufer von Bioprodukten und die wirtschaftlichen Interessen des Sektors nicht zu gefährden.

    Außerdem beharrt das Land auf einer Opt-out-Möglichkeit, sprich darauf, den Anbau solcher Pflanzen im eigenen Land verbieten zu dürfen – unabhängig vom EU-Recht. Diese Möglichkeit sieht der Vorschlag der EU-Kommission allerdings bislang nicht vor.

    Als Begründung führt Kroatien an, im “Interesse der Öffentlichkeit” alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen zu wollen, um einem “angemessenen Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, der Umwelt und der biologischen Vielfalt” gerecht werden zu können. Entgegenkommend schlägt der Mitgliedstaat vor, die Opt-out-Möglichkeit auf sieben Jahre, ab Inkrafttreten der Novelle des EU-Gentechnikrechts, zu befristen.

    Dem Vorschlag der Brüsseler Behörde, NGT-1 von der Kennzeichnung zu befreien, will Kroatien aus Sorge vor mangelnder Risikobewertung und Rückverfolgbarkeit und folglich “irreversiblen Auswirkungen für die Umwelt” nicht zustimmen.

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    EU-Parlament vor wegweisenden Abstimmungen

    Der europäische Green Deal ist ein Paket politischer Initiativen, mit dem die EU ihr Ziel erreichen und bis 2050 klimaneutral sein will. Einige Gesetzesvorschläge aus diesem Paket stehen in dieser Woche im Plenum des Europaparlaments in Straßburg zur Abstimmung:

    Der Net Zero Industry Act (NZIA) ist die europäische Reaktion auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). Ziel des Gesetzesvorhabens ist, die Technologien für die Dekarbonisierung in Europa zu industrialisieren. 40 Prozent der Null-Emissions-Technologien sollen hier produziert werden und einen globalen Marktanteil von 25 Prozent an diesen Technologien erobern.

    Am Dienstag stimmt das EU-Parlament über seine Position ab, sodass noch in diesem Monat die Trilog-Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten beginnen können. Überraschungen werden bei der Abstimmung im Parlament nicht erwartet, da die drei großen Fraktionen EVP, S&D und Renew im Industrieausschuss einen Deal ausgehandelt haben, der eine komfortable Mehrheit im Plenum bekommen dürfte.

    Pestizide-Verordnung: Abstimmung am Mittwoch

    Die Abstimmung am Mittwoch zur Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) – auch bekannt als Pestizide-Verordnung – ist dagegen noch lange nicht ausgemacht. Strittig ist zum einen, um wie viel Prozent die Mitgliedstaaten den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln absenken müssen und in welchem Zeitraum. Zum anderen geht es um die Frage, ob in Schutzgebieten ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln kommt. Die EVP versucht, Koalitionen mit Teilen von Renew und Sozialdemokraten zu schmieden, um die Position des Umweltausschusses (ENVI) in den beiden strittigen Fragen abzuändern.

    ENVI ist für ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln in allen Natura-2000 und FFH-Schutzgebieten sowie in Parks, auf Spielplätzen und sonstigen Flächen, wo sich auch Kinder, Alte und Kranke aufhalten. Erlaubt wären nur noch biologische Pflanzenschutzmittel und solche Mittel, die auch im Ökolandbau eingesetzt werden dürfen. Die Mitgliedstaaten sollen allerdings über Ausnahmen in besonderen Fällen verfügen können.

    Diese Position könnte einschneidende Folgen für die Landwirte gerade in Deutschland haben, da zahlreiche Schutzgebiete für die intensive Landwirtschaft genutzt und dort bislang Pestizide eingesetzt werden. Die EVP will deshalb die Natura-2000- und FFH-Vogelschutzgebiete von dem Verbot für chemische Pestizide ausnehmen.

    ENVI will zudem den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren. Dagegen formiert sich ebenfalls Widerstand. Im Plenum dürfte zur Abstimmung gestellt werden, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2035, also fünf Jahre später, nicht um 50 Prozent zu reduzieren, sondern nur “mindestens um 35 Prozent” und bezogen auf den Zeitraum 2011 bis 2013. Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit haben, das individuelle Ziel zu erhöhen.

    Verpackungen: Einigung nach Lobbyschlacht?

    Ebenfalls am Mittwoch stimmt das Parlament über die Verpackungsverordnung ab, eines der Gesetzesverfahren mit obskuren Lobbykampagnen und überdramatisierenden Medienberichten. Die deutschen Bierkästen, die französischen Camembert-Holzschachteln und die kleinen Zuckertüten, die zum Heißgetränk in Cafés serviert werden – wegen der kleinteiligen Bestimmungen der Verordnung ranken sich Befürchtungen um allerlei Verbote. Der Höhepunkt der Lobbyaktionen war wohl erreicht, als vergangene Woche Schilder an den Türen der Abgeordnetenbüros in Brüssel angebracht wurden, die vor dem Untergang der Coffee-to-go-Becher warnten.

    Ziel der Verordnung ist, unnötige Verpackungen zu verbieten oder zu minimieren, Einwegverpackungen zu verhindern und Mehrwegsysteme zu fördern. Jede Verpackung soll ab 2030 recycelbar sein. Vor der finalen Abstimmung müssen die Parlamentarier noch über an die hundert Änderungsanträge abstimmen. Es bleiben also noch viele offene Fragen, etwa zu Einwegprodukten in der Gastronomie oder zu Ausnahmen für bestimmte Produkte.

    CO₂-Entnahmen und COP28-Resolution

    Ebenfalls auf der Agenda des Novemberplenums ist die Abstimmung am Dienstag über die COP28-Resolution, die die Erwartungen des EU-Parlaments an die UN-Klimakonferenz in Dubai widerspiegelt. Auch der Zertifizierungsrahmen für CO₂-Entnahmen wird am Dienstag abgestimmt. Dabei geht es um die Frage, welche Formen der CO₂-Entnahmen als dauerhaft gelten und ob Unternehmen sich klimaneutral nennen dürfen, wenn ihre neutrale CO₂-Bilanz auf CO₂-Offsets beruht.

    • Green Deal
    • Klima & Umwelt
    • Pestizide-Verordnung

    Monsun in Indien verdeckt gefährliche Veränderungen

    Die Bilanz des indischen Sommermonsuns von Juni bis September, die am 19. Oktober offiziell endete, lautet nach Aussagen des Indischen Wetterdienstes IMD: Die Niederschläge waren “normal”. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Die Kategorien “normal”, “unter normal” oder “über normal” für Vorhersagen im Vergleich zu einem “langjährigen Durchschnitt” sind nicht mehr zweckmäßig, weil sie die Auswirkungen des Klimawandels und der Luftverschmutzung nicht berücksichtigen.

    Der Klimawandel verändert die saisonalen Muster und treibt die Entwicklung über die Schwellenwerte hinaus. Mit der Erderwärmung sagen Modellrechnungen Sommerregen voraus, die stärker und unregelmäßiger werden. Extrem nasse Sommer können die Landwirtschaft, die Ernährungslage und die wirtschaftliche Situation von mehr als einer Milliarde Einwohnern beeinträchtigen.

    Laut Daten des IMD lag die Niederschlagsmenge landesweit bei 94 Prozent des langjährigen Durchschnitts (LPA) von 30 bis 50 Jahren. Wegen der Bedeutung des Monsuns für die indische Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit wies das IMD darauf hin, dass die Niederschlagsmenge in der Monsun-Kernzone, die den größten Teil der landwirtschaftlichen Regengebiete des Landes umfasst, 101 Prozent der LPA erreichte. Ein Monsun gilt als “normal”, wenn die Niederschlagsmenge zwischen 94 und 106 Prozent der LPA liegt.

    Wenig Regen im August

    Regional und zeitlich gibt es allerdings große Unterschiede: So betrugen die saisonalen Niederschläge in der nordöstlichen Region nur 82 Prozent der LPA; sieben Untergebiete im Nordosten, Osten und Süden, auf die 18 Prozent der Gesamtfläche entfallen, hatten mangelhafte Niederschlage. Was die Verteilung der Niederschläge über die Jahreszeit angeht, betrug die Niederschlagsmenge im Juni landesweit 91 Prozent des LPA, im Juli 113 Prozent, im August 64 Prozent und im September 113 Prozent.

    Der IMD hatte 96 Prozent des LPA vorausgesagt, erreicht wurden 94 Prozent. Die Vorhersagen lagen (unter Berücksichtigung der Fehlermarge) also richtig. Sie berücksichtigten jedoch nicht die Verzögerungen und die Schwankungen in den vier Monaten der Saison und in den verschiedenen meteorologischen Abteilungen. Und auch nicht, dass der August, ein Schlüsselmonat für die Landwirtschaft, der trockenste seit über hundert Jahren war. Indien begann 1901 mit der Aufzeichnung der Niederschläge.

    Bewertungen des Monsuns haben diese Schwankungen zutage gefördert. Wissenschaftler des IMD und anderer Institutionen haben darauf hingewiesen, wie sich der Monsun verändert.

    Ihre Ergebnisse ähneln auf unheimliche Weise der Einschätzung des IMD für den Monsun im Jahr 2023.  Anhand von aufgezeichneten Daten über einen Zeitraum von 30 Jahren (1989 bis 2018) stellten die Wissenschaftler fest: Die Niederschläge des Südwestmonsuns in fünf Bundesstaaten – Uttar Pradesh, Bihar, Westbengalen, Meghalaya und Nagaland – “nehmen signifikant ab”. In westlichen (traditionell trockeneren) Regionen wie Saraushtra und Kutch in Gujarat und im Südwesten von Rajasthan wurde ein “signifikanter steigender Trend” bei der Häufigkeit von Tagen mit starken Regenfällen festgestellt. Die Bewertung war im Februar 2021 Gegenstand einer Anfrage im Parlament.

    Studie warnt vor stärkerem Monsun

    Eine Studie aus dem Jahr 2021, die von einem deutschen Forscherteam unter der Leitung von Anja Katzenberger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Ludwig-Maximilians-Universität in München durchgeführt wurde, besagt, dass die Sommermonsun-Regenfälle in Indien stärker und unregelmäßiger werden, wenn die globale Erwärmung ungebremst anhält. “Wir haben eindeutige Beweise für eine exponentielle Abhängigkeit gefunden: Für jedes Grad Celsius Erwärmung werden die Monsunregenfälle wahrscheinlich um etwa 5 Prozent zunehmen”, heißt es darin. Die Studie ergab, dass die globale Erwärmung die Monsunregenfälle in Indien sogar noch stärker erhöht, als bisher angenommen. “Sie dominiert die Dynamik des Monsuns im 21. Jahrhundert.”

    Die Studie sagt für die Zukunft mehr extrem nasse Jahre voraus – mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für das Wohlergehen von mehr als einer Milliarde Menschen, die Wirtschaft, die Nahrungsmittelsysteme und die Landwirtschaft. Julia Pongratz, Mitautorin der deutschen Studie aus dem Jahr 2021, erklärt: “Pflanzen brauchen vor allem in der ersten Wachstumsperiode Wasser, aber zu viel Regen in den anderen Wachstumsstadien kann den Pflanzen schaden – auch dem Reis, von dem sich die Mehrheit der indischen Bevölkerung ernährt. Das macht die indische Wirtschaft und das Nahrungsmittelsystem sehr empfindlich gegenüber schwankenden Monsunmustern.”

    Landwirtschaft gefährdet

    Das Fehlen von detaillierten Informationen hat erhebliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Devinder Sharma, Analyst für Lebensmittelpolitik und Landwirtschaft, plädiert für eine Änderung der Art und Weise, wie das IMD seine Prognosen erstellt: “Das IMD sollte sich auf die Vorhersage der Niederschlagsvariabilität und -verteilung auf Bezirksebene konzentrieren. Erratische Niederschlagsmuster, wie sie während des Monsuns zu beobachten sind, haben die größten Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die wiederum sozioökonomische Folgen haben.”

    Auf die Landwirtschaft und verwandte Bereiche entfallen 18 Prozent des indischen BIP, und mehr als 50 Prozent der indischen Bevölkerung sind in diesem Sektor beschäftigt. Schwankende Monsuntrends haben Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Wohlergehen der Bevölkerung.

    Der Charakter des indischen Sommermonsuns ändert sich, auch wenn das Gesamtbild innerhalb der traditionellen Normen der Charakterisierung bleibt. “Der Monsun von 2023 ist ein Beweis dafür, dass unregelmäßige, unaufhörliche und längere trockene Tage die neuen Normen sind, die sich auf das Leben und den Lebensunterhalt auswirken, insbesondere in klimatisch abhängigen Sektoren wie der Landwirtschaft”, sagte Abinash Mohanty, Sektorleiter Klimawandel und Nachhaltigkeit, bei IPE-Global, einer internationalen Entwicklungsberatungsgruppe mit Sitz in Neu-Delhi.

    Mohanty, der als Experte für den sechsten Sachstandsbericht des IPCC tätig war, betonte, dass die Art und Weise, in der Prognosen erstellt und verbreitet werden, überdacht werden müsse. Da 2023 ein El-Nino-Jahr sei, seien Niederschlagsereignisse geringer Intensität normal, aber “die Zunahme unaufhörlicher und unregelmäßiger Niederschlagsereignisse” sei abrupt, sagte er. “Während des Monsuns 2023 kam es zu einer Zunahme der erratischen Niederschläge um mehr als 30 Prozent, die meisten davon in landwirtschaftlich geprägten Gebieten.” Mohanty sagte, es sei zwingend erforderlich, Maßnahmen zur Klimaanpassung durch die Einführung naturbasierter Lösungen und durch die Durchführung übergreifender Risikobewertungen zur besseren Kartierung, Planung und Anpassung einzubeziehen.

    Urmi Gosvami

    • Ernährungssicherheit
    • Klima & Umwelt

    News

    Werbeeinschränkungen: Lebensmittelverband reagiert auf Faktencheck

    Der Streit um das Kinderlebensmittelwerbegesetz (KLWG) von Bundesernährungsminister Cem Özdemir geht in die nächste Runde. Nachdem die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) Lebensmittel- und Werbeverbänden in einem Faktencheck Falschaussagen im Zusammenhang mit dem KLWG vorgeworfen hatte, hat der Lebensmittelverband nun auf die Vorwürfe reagiert. Zum Verständnis: Der Faktencheck der DANK bezog sich auf einen Brief an Bundesernährungsminister Cem Özdemir, in dem mehr als 30 Branchenverbände der Werbe- und Lebensmittelindustrie ihre Ablehnung gegen das KLWG geäußert hatten. Parallel dazu hatten sie Anzeigen in Tageszeitungen geschaltet, in denen sie Werbebeschränkungen als “unwirksam” bezeichneten.

    In seiner Reaktion auf den DANK-Faktencheck räumt der Lebensmittelverband ein, für seine Aussage, die Werbeeinschränkungen beträfen 70 Prozent aller Lebensmittel, die falsche Datengrundlage herangezogen zu haben. Gleichzeitig stellt der Lebensmittelverband aber die Aussagekraft der DANK-Daten infrage, wonach die Werbeeinschränkungen – basierend auf dem zweiten Entwurf des KLWG von Ende Juni – nur 40 bis 50 Prozent der verfügbaren Lebensmittel in Deutschland erfassten. In seiner Replik auf den DANK-Faktencheck verweist der Lebensmittelverband darauf, dass die Studie, auf die sich die DANK bezieht, das Peer-Review-Verfahren noch nicht durchlaufen habe und damit noch nicht unabhängig begutachtet worden sei.

    Auswirkungen für Werbewirtschaft: Lebensmittelverband räumt falsche Berechnungsgrundlage ein

    Kontrovers diskutiert werden weiterhin auch die möglichen Schäden, die der Medien- und Werbewirtschaft durch Werbeeinschränkungen entstehen könnten. Die vom Branchenverband prognostizierten Einnahmeeinbußen von etwa drei Milliarden Euro würden auf falschen Berechnungsgrundlagen beruhen, hatte die DANK in ihrem Faktencheck moniert. Das räumt der Lebensmittelverband jetzt selbst ein. Das vom Markenverband in Auftrag gegebene Gutachten habe sich auf den ersten Entwurf des KLWG bezogen, heißt es in der Stellungnahme des Lebensmittelverbands. Im jüngsten Entwurf aus dem BMEL wurden die Einschränkungen, die das KLWG für Werbeschaffende vorsieht, deutlich abgeschwächt.

    Bundesernährungsminister Özdemir hatte Ende Februar Schutzmaßnahmen für Kinder in der Lebensmittelwerbung vorgestellt. Innerhalb der Ampelkoalition ist das Thema umstritten, die FDP blockiert derzeit das parlamentarische Verfahren. Trotz Abschwächungen des Entwurfs ist keine Einigung in Sichtheu

    • KLWG

    Bundesregierung vereinfacht Berichtspflicht

    Lieferkettengesetz Protest in Deutschland im Dezember 2022

    Das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium haben sich auf eine Vereinfachung der Berichtspflichten im Lieferkettengesetz geeinigt. Unternehmen erhielten jetzt mehr Zeit für ihre Berichte nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums der Nachrichtenagentur Reuters am Montag auf Anfrage. Die Berichte für 2023 und 2024 würden erst 2025 fällig und könnten dann als EU-Nachhaltigkeitsberichte vorgelegt werden. Dadurch würden Doppelungen vermieden, die Berichterstattung wird vereinfacht.

    Hintergrund ist der Übergang von dem deutschen Gesetz zur dann europaweit geltenden EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD). Später ist zudem die europäische Richtlinie zu den Sorgfaltspflichten in der Lieferkette geplant, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Sie befindet sich noch im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Die CSDDD-Richtlinie enthält keine eigenen Berichtspflichten. Ist sie EU-weit in Kraft getreten, will die Bundesregierung prüfen, ob Änderungen am LkSG erforderlich sind.

    Das seit Januar geltende Lieferkettengesetz ist umstritten. Die einen sehen es als Bürokratiemonster für Unternehmen, die anderen als wichtigen Beitrag, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen bei Zulieferern vorzubeugen. Wie schwierig die Handhabung von Verantwortlichkeiten bei Lieferketten über mehrere Länder ist, zeigt der Fall BMW. Die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR hatten berichtet, dass es bei der Kobalt-Mine in Marokko, die Rohstoffe für von BMW genutzte Batterien liefert, zu schweren Verstößen gegen Umwelt- und Arbeitsschutzregeln komme. Der Minenbetreiber Managem weist dies aber zurück. rtr

    Özdemir präsentiert seine Bio-Strategie

    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat vergangene Woche die Bio-Strategie vorgestellt, mit der die Regierung ihr Koalitionsziel von 30 Prozent Öko-Anbau-Anteil bis 2030 erreichen soll. Denn: Ökologischer Landbau würde verglichen mit konventionellem Anbau 800 Euro pro Hektar an Umweltfolgekosten einsparen sowie die Hälfte von CO₂ pro Hektar, so der Grüne. Ins Kabinett hat die Strategie es bislang allerdings nicht geschafft: Die FDP hatte bis zuletzt darauf bestanden, dass sich die Bio-Branche für neue genomische Züchtungstechniken öffnen solle. Das lehnt diese vehement ab. Bei der Vorstellung sagte Özdemir zu diesem Punkt: “Wir wollen die Leute nicht belehren.” Mit der Forderung nach der Zulassung von Gentechnik würde man “in einen funktionierenden Markt eingreifen”. 2020 habe die Bio-Branche 15,3 Milliarden Euro umgesetzt.

    “Es sind nicht einmal im Ansatz die nötigen Haushaltsmittel dafür eingestellt”, kritisierte Peter Röhrig vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Insbesondere fehlten die finanziellen Mittel zur Steigerung des Anteils der Agrarforschung für Ökolandbau von derzeit 2 auf 30 Prozent. Röhrig: “Bis jetzt ist die Bio-Strategie nicht viel mehr als Papier.”

    Seit dem 20. November bewirbt das BMEL die Vorteile des ökologischen Anbaus medial –  und zwar von “Flensburg bis Berchtesgaden, von Ost nach West”, so der zuständige Referatsleiter Karl Kempkens. Im Mittelpunkt dieser “Bio-Informationsoffensive”, die Teil der Strategie ist, soll der Beitrag zum Artenschutz stehen; weitere Aspekte: gute Tierhaltung, hohe Qualität und die Verlässlichkeit der Siegel. Tenor der Plakate und Spots: “Bio? Na Logo!”

    Darüber hinaus setzt die Strategie auf die Gastronomie als Multiplikator; zur Auslobung von Bio-Anteilen hat das Ministerium eigens Label kreiert. Auch an die Esser von morgen ist gedacht: Ein “Organic Future Camp” soll anlässlich der nächsten Ökofeldtage 2025 auf Wassergut Canitz in Sachsen stattfinden – mit Vertretern unterschiedlicher Jugendorganisationen. Was die Steigerung der Forschung für Ökolandbau angeht, betonte Kempkens bei der Vorstellung, es gehe nicht nur um mehr Mittel für das Bundesprogramm Ökologischer Landbau, sondern auch um Programmförderungen etwa bei der Ackerbau- oder Eiweißstrategie, bei denen künftig Öko stets “mitgedacht” werde. ab

    • Bio
    • Biodiversität

    Ab 2024 neues Label für Lebensmittel aus Deutschland

    Ab Januar 2024 soll nach Angaben der Agrarbranche ein neues Label für Lebensmittel aus Deutschland in den Handel kommen. Mit dem Herkunftskennzeichen könnten Verbraucherinnen und Verbraucher Erzeugnisse der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft auf den ersten Blick im Lebensmitteleinzelhandel erkennen, teilte der Verein Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) vergangene Woche in Berlin nach Unterzeichnung einer Branchenvereinbarung mit. Das Label basiere auf freiwilliger Selbstverpflichtung aller teilnehmenden Lebensmittelhändler und -hersteller. Vorreiter im Lebensmittelhandel seien Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Kaufland, Lidl und Rewe Group.

    Das einheitliche Herkunftskennzeichen “Gutes aus deutscher Landwirtschaft” stehe für Transparenz und biete Konsumenten beim Einkauf die gewünschte Orientierung und Sicherheit, sagte Josef Sanktjohanser, Vorstandschef des Vereins ZKHL. Die Branchenvereinbarung trete ab Januar 2024 in Kraft. Ab dann könnten Fleisch von Schwein, Rind und Geflügel, Obst, Gemüse, Kartoffeln sowie Eier und Milch gekennzeichnet werden. Voraussetzung sei die vollständige Produktion in Deutschland – vom Anbau beziehungsweise der Geburt, bei Geflügelfleisch auch die Elterntierhaltung, bis zur Verpackung.

    «Das Herkunftskennzeichen Deutschland wird für die Wertschätzung unserer Lebensmittel durch die Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen», sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied den Angaben zufolge. Mittelfristig werde die Nutzung für weitere Produkte und Anwender wie Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung ermöglicht. dpa

    • Gemeinschaftsverpflegung
    • Lebensmittel

    Presseschau

    Cem Özdemir’s “Bio-Strategie 2030” in der Kritik faz
    Bayer bastelt an Glyphosat Alternative faz
    Italien verbietet als erstes Land die Produktion, den Import und die Vermarktung von Laborfleisch SZ
    Israeli agriculture is in crisis. The country struggles to find workers for their fields nytimes
    Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht juristisch gegen ein Pflanzenschutzmittel und ein Insektizid vor agrarzeitung
    Glyphosat: Bayer will Urteil zur Schadensersatzzahlung anfechten agrarzeitung
    Interview: EU-Politiker Bernhuber sucht bei der EU-Pflanzenschutzverordnung Mehrheiten für “gravierende Änderungen” im Text top agrar
    Bedeutung des Wachstumschancengesetzes für Landwirte top agrar
    “Chancenprogramm Höfe” der Bundesregierung soll Landwirte beim Ausstieg aus der Tierhaltung unterstützen agrarheute
    Hintergründe zum EU-Renaturierungsgesetz: die wichtigsten Antworten Zeit
    Der Mensch im Zeitalter des Anthropozän: Evolutionäre Fallen und deren Lösungsansätze Tagesspiegel
    Wie die Ausbreitung von Wüsten verhindert werden kann Tagesspiegel

    Termine

    20.11. – 21.11.2023 / Brüssel
    Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
    Die Ministerinnen und Minister des EU-Agrarrates treffen sich am 20. und 21. November in Brüssel. Auf der Tagesordnung stehen u.a. die Festlegung von Fangbeschränkungen und Quoten im Atlantik, in der Nordsee, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer und die Verabschiedung der Schlussfolgerungen zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU (LTVRA). Außerdem diskutieren die Minister über den Stand des Vorschlags für eine neue EU-Gentechnikverordnung und der neuen EU-Waldstrategie für 2030.
    Vorläufige Tagesordnung

    21.11.2023 – 10.00 / online
    Konferenz Agrarministerkonferenz
    Sonder-Agrarministerkonferenz zum Thema “Anpassungen des GAP-Direktzahlungen-Gesetzes INFOS

    21.11. – 22.11.2023 / Rheingoldhalle Mainz
    Kongress Deutscher Fleisch Kongress 2023
    Der Kongress bietet Fleischwirtschaft, Einzel- und Großhandel sowie dem Handwerk einen Überblick über die aktuellen nationalen und globalen Marktentwicklungen. Hier präsentieren Entscheider aus Industrie und Handel ihre Konzepte und Strategien. Branchenexperten:innen geben einen Überblick über die zukünftigen Trends. INFOS

    21.11.- 22.11.2023 / Wunstorf
    Tagung Wasser – wie managen wir diese knappe Ressource?
    Wasser ist auch in Deutschland nicht mehr jederzeit und überall eine ausreichend verfügbare Ressource. Ein integrales Wassermanagement muss alle Ansprüche berücksichtigen. Die nachhaltige Bewirtschaftung des Landschaftswasserhaushalts wird an Bedeutung gewinnen, Wasserrückhaltung und Moorwiedervernässung sind drängende Themen. INFOS

    23.11.2023 – 09:00- 12:15 Uhr / online
    Tagung Postfossile Antriebe – Biokraftstoffe und Elektromobilität in der Landwirtschaft
    Die Tagung nimmt alternative Antriebssysteme zu den etablierten Diesel-Verbrennungsmaschinen und deren Einsatz in der Praxis in den Blick. Dazu werden die entwickelte Technik sowie Erfahrungen von Fachreferenten vorgestellt. Forscher werden einen Ausblick auf zukünftige Systeme geben, die aktuell erprobt werden. Neben technischen Inhalten sind marktrelevante Themen wie die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen bedeutend für die Umsetzung klimaschonender Maßnahmen. INFOS & ANMELDUNG

    23.11. – 24.11.2023 / Berlin
    Tagung des BMEL Nachhaltige Energielösungen für Landwirtschaft und Gartenbau
    Mit der Tagung möchten das BMEL und die Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE) als Projektträger gemeinsam mit Personen aus Praxis, Beratung sowie Wirtschaft und Forschung das Wissen und die Erfahrungen zu nachhaltigen Energielösungen bündeln und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen. INFOS & ANMELDUNG

    24.11.2023 – 9:30 Uhr / Berlin
    1038. Sitzung des Bundesrates Verordnung über Pflanzenvermehrungsmaterial
    TOP 33a und b Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Pflanzenvermehrungsmaterial in der Union und über die Erzeugung und das Inverkehrbringen forstlichen Vermehrungsguts. INFOS

    27.11.2023 – 10:00 – 11:00 Uhr / online
    Vortrag Agrar-Drohnen in der Landwirtschaft
    Online-Vortrag über Grundlagen zu Agrar-Drohnen sowie Einsatzmöglichkeiten und Rahmenbedingungen ANMELDUNG

    04.12.2023 – 10:00 -14:00 Uhr, Berlin
    BMEL Festveranstaltung zum Boden des Jahres 2024
    Am 5. Dezember 2023 wird im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Berlin der “Boden des Jahres 2024” gekürt. Die Festveranstaltung findet im Rahmen des Internationalen Weltbodentags statt, der die Bedeutung des Bodens und seine Schutzwürdigkeit besonders hervorheben soll. INFOS

    07.12.2023
    Vortrag 2. Fendt-Nachhaltigkeitsforum: Landwirtschaft im Wetterstress
    Im Rahmen des Forums werden Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Agrarbranche über das hochaktuelle Thema “Landwirtschaft im Wetterstress” diskutieren und innovative Lösungsansätze vorstellen. INFOS

    11.12. – .12.12.2023 / Brüssel
    Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
    Die Ministerinnen und Minister des EU-Agrarrats treffen sich am 11. und 12. Dezember in Brüssel.
    Vorläufige Tagesordnung

    13.12.2023- 11.00- 13.00 Uhr Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
    Öffentliche Anhörung Anhörung zur EU-Verpackungsverordnung
    Antrag der Fraktion der CDU/CSU: “Auswirkungen der EU-Verpackungsverordnung beachten – Mit bürokratiearmen, kosteneffizienten und innovativen Regeln mehr Ressourceneffizienz erreichen” INFOS & ANMELDUNG

    Heads

    Frederic Goldkorn: Retter der krummen Gurke 

    Frederic Goldkorn, Gründer der Initiative Querfeld

    Fast ein Drittel des Obsts und Gemüses jeder Ernte wird weggeworfen, weil es nicht schön genug aussieht oder Handelsnormen nicht entspricht. Als Frederic Goldkorn das lernt, steckt er gerade in seinem BWL-Masterstudium in der Universität in Innsbruck. “Als ich herausgefunden habe, dass das ein echtes Problem ist und es noch keinen adäquaten Initiativen gab, die das angehen, habe ich gedacht: Dann starte ich es eben”, sagt Goldkorn. Gemeinsam mit drei Designern startet er 2014 seine Initiative Querfeld

    Querfeld kauft Bauern Gemüse und Obst ab, das nicht den strengen Handelsregelungen entspricht: krumme Gurken, Karotten mit zwei Wurzeln oder knollige Tomaten. Die Querfeld-Kunden sind entweder Großküchen oder Privatkunden, die sich Kisten mit saisonalem Obst und Gemüse nach Hause liefern lassen. Zu seinen Kunden gehören, laut Goldkorn, rund 100 Großküchen und Kantinen, unter anderem die der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main oder der Frankfurter Börse. 

    Transparenz in der Lieferkette

    Langfristig will der Querfeld-Geschäftsführer die Lebensmittelversorgung für alle fair, nachhaltig und zugänglich gestalten. “Die wenigen führenden Unternehmen, die in Deutschland für 85 Prozent des Lebensmittelkonsums verantwortlich sind, nutzen ihre Marktmacht aus, zulasten der produzierenden Betriebe”, sagt Goldkorn. “An der Stelle wollen wir mehr Transparenz reinbringen: Wo kommen Lebensmittel her und wer verdient wie viel daran?” 

    Rund 45 Höfe gehören derzeit zu den Lieferanten der Initiative, aber nicht alle liefern regelmäßig an Querfeld. Goldkorn kauft hauptsächlich Bio-Gemüse ein – weil es aussortiert ist, zu einem günstigeren Preis. “Unsere Bauern haben eine Preisvorstellung, die wir in den meisten Fällen auch erfüllen können”, sagt der Querfeld-Gründer. “Den Preis von A-Ware können wir aber leider nicht zahlen.” 

    Auf den Teller statt in die Tonne

    Die Kunden sind laut Goldkorn von den Lieferungen oder Kisteninhalten oft überrascht: “Unsere Kunden sind natürlich für das Thema sensibilisiert. Aber das häufigste Feedback ist mit Abstand: Ich hätte gedacht, das sieht krummer aus.” Auch er selbst ist nach rund neun Jahren Querfeld immer noch überrascht. “Wenn ich mir unsere Produkte anschaue, bin ich immer noch geschockt davon, was wir alles an Lebensmitteln zur Verfügung hätten.”  

    Seit seiner Gründung hat Querfeld nach eigenen Angaben derzeit 1,7 Millionen Kilogramm Gemüse und Obst gerettet. Dieses Jahr rechnet Goldkorn mit rund 500 Tonnen gehandeltem Gemüse und Obst – rund 88 Prozent davon wären laut ihm sonst aussortiert worden. Svenja Schlicht

    • Bio
    • Lebensmittel

    Agrifood.Table Redaktion

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