Die Spannungen um die Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte in die Europäische Union spitzen sich zu. Beim Treffen der EU-Agrarminister am gestrigen Montag in Brüssel stellte der polnische Landwirtschaftsminister Robert Telus vor Journalisten die Teilnahme Polens an der gemeinsamen Koordinierungsplattform infrage. Bei einer Mitarbeit befürchtet er rechtliche Konsequenzen für sein Land. Die gemeinsame Koordinierungsplattform ist eine Zusammenkunft von EU-Ländern, die an der Grenze zur Ukraine liegen, mit Vertretern der Kommission und der Ukraine.
“Wenn wir auf dieser Plattform sind und die ukrainische Seite sagt, dass sie uns vor die WTO zitieren will, dann kann jede Aussage, die wir auf dieser Plattform machen, gegen uns verwendet werden”, sagte Telus. Kiew hat gegen Polen, die Slowakei und Ungarn wegen deren Importverbots für ukrainische Agrarprodukte Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereicht.
“Wir klagen vor der WTO gegen Polen, die Slowakei und Ungarn, weil die Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Das heißt, alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollten sich in der Handelspolitik koordinieren und einigen”, sagte Taras Vysotskyi, stellvertretender Minister im Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, zu Table.Media.
Polen, die Slowakei und Ungarn halten an Einfuhrbeschränkungen von ukrainischem Getreide fest, obwohl eine entsprechende EU-Regelung vergangenen Freitag ausgelaufen war. Er sei “ziemlich zuversichtlich”, dass die Klage Erfolg haben werde, da die Maßnahmen der drei Länder “gegen internationales Handelsrecht” verstoßen würden, sagte Vysotskyi.
Die Handelspolitik falle in die “ausschließlichen Zuständigkeiten” der Europäischen Kommission, betonte auch eine Kommissionssprecherin. Die Brüsseler Behörde werde daher die Maßnahmen der Ukraine sowie das Vorgehen Polens, der Slowakei und Ungarns bewerten. Derzeit gebe es keine “Kommentare” zu den Maßnahmen dieser drei Länder, fügte die Sprecherin hinzu. “Aber wir müssen betonen, dass unser Fokus jetzt darauf liegt, sicherzustellen, dass das System, das letzten Freitag angekündigt wurde, funktioniert.”
Taras Vysotskyi kündigte zudem an, dass er der Europäischen Kommission Maßnahmen “zur Kontrolle der Exporte” vorlegen werde, nannte aber keine Einzelheiten. Die Ukraine hat 30 Tage Zeit, um “alle rechtlichen Maßnahmen (einschließlich z. B. eines Systems von Exportlizenzen) […] einzuführen, um einen Anstieg der Getreidepreise zu verhindern”, so der Text, den die Brüsseler Exekutive am vergangenen Freitag veröffentlichte.
Die Beschwerde der Ukraine war ein vorherrschendes Thema während des Rates der EU-Agrarminister, wie Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vor Journalisten sagte. Er bezeichnete die Reaktion der Ukraine als “ziemlich überraschend” und betonte, dass die Ukraine ihre Exporte in die Europäische Union trotz des eingeführten Verbots steigern konnte.
Wojciechowski sprach die Möglichkeit an, neue Routen zu den baltischen Staaten zu eröffnen, die sich nach seinen Angaben offen für diese Idee zeigen. “Aber diese neuen Routen haben höhere Transportkosten zur Folge.” Dieser Punkt müsse noch geklärt werden.
Für die Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne), stellvertretende Vorsitzende der Ukraine-Delegation des Europäischen Parlaments, ist die Entscheidung der drei Länder ein “klarer Bruch” mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und ein “erheblicher Bruch” mit der “Solidarität” der EU. Da sich diese Mitgliedstaaten nicht an die GAP und die auf dem Vertrag basierenden EU-Kompetenzen halten, “sollte die EU meiner Meinung nach prüfen, ob es genügend Gründe gibt, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten“, sagte sie Table.Media.
“Positiv hervorzuheben ist, dass die Europäische Kommission erkannt hat, dass der Getreidehandel koordiniert werden muss”, sagte Norbert Lins, Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments, zu Table.Media. “Besser wäre es aber gewesen, das Ausfuhrgenehmigungssystem zu installieren und dann die Grenzen zu öffnen. Hier wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht.”
Im Mai hatte die Europäische Kommission beschlossen, die Importe von ukrainischem Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkernen in fünf osteuropäische EU-Mitgliedstaaten zu beschränken. Bis zum vergangenen Freitag war lediglich der Transit von vier landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumenkernen) durch Polen, Ungarn, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien gestattet. Diese hatten beklagt, dass die Importe ihren heimischen Markt destabilisieren und die Einkommen ihrer Landwirte schmälern würden.
Daher hatten sie schon ab Mitte April einseitig die Durchfuhr von ukrainischem Getreide durch ihr Hoheitsgebiet verboten. Angesichts dieser beispiellosen Situation hatte die Kommission die fünf Länder schließlich mit einer Sonderhilfe in Höhe von 100 Millionen Euro unterstützt, die durch ein auf diese fünf Mitgliedstaaten beschränktes Embargo ergänzt wurde. Die Einschränkungen hat die Brüsseler Behörde aber entgegen dem Willen von Polen, Ungarn und der Slowakei zum Wochenende auslaufen lassen.
Sofia hatte bereits am vergangenen Donnerstag angekündigt, alle Blockaden aufheben zu wollen, doch die übrigen Länder entschieden sich anders. Am Freitag, noch vor der Bekanntgabe der Entscheidung, hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán angekündigt, das Embargo fortzusetzen. Am Abend, nur wenige Minuten nach der Mitteilung der Kommission, zogen Polen und die Slowakei nach und forderten Brüssel damit offen heraus.
Sowohl in Polen als auch in der Slowakei finden in den kommenden Wochen Wahlen statt. In Polen ist die Wählerbasis der Regierungspartei PiS vor allem in den landwirtschaftlichen Regionen stark. Am Dienstag schrieb Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei X (vormals Twitter), dass “solange die PiS regiert, wir den polnischen ländlichen Raum vor jeder Bedrohung schützen werden. Wir werden – im Gegensatz zu unseren Vorgängern – nicht zögern, Brüssel zu sagen: STOP”.
Tatsächlich hat Polen bei der gestrigen Sitzung des Agrarrates das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur angesprochen und die Auswirkungen eines solchen Textes auf die Landwirte hervorgehoben. Und das, obwohl der Rat – ein außergewöhnlicher Vorgang in den interinstitutionellen Verhandlungen – einen ehrgeizigeren Text vorgelegt hat als jenen, den das Europäische Parlament verabschiedet hat.
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) treibt vielen Akteuren der Agrar- und Ernährungswirtschaft Sorgenfalten auf die Stirn. Das Regelwerk, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Zu diesen Maßnahmen zählen die Einrichtung eines Beschwerdewesens sowie Regelungen, die Lieferanten in die Pflicht nehmen.
Für den global tätigen Agrarhandels- und Energiekonzern Baywa AG mit Sitz in München gilt das LkSG seit Jahresbeginn. Das Unternehmen mit mehr als 24.000 Mitarbeitenden und Aktivitäten in rund 40 Ländern berichtet auf Anfrage, bereits im September 2021 eine eigene Unternehmenseinheit Corporate Social Compliance eingesetzt zu haben, die sich seitdem mit der Umsetzung des LkSG befasst. Die Baywa unterhält nach eigenen Angaben direkte Geschäftsbeziehungen zu rund 50.000 Lieferanten, und auf Beteiligungsebene zu weiteren rund 30.000 Zulieferern. Entsprechend sei die Umsetzung des LkSG “mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden”, bilanziert die Baywa.
Wirtschaftsverbände beklagen passend dazu neben mutmaßlich unkalkulierbaren Haftungsrisiken einen hohen bürokratischen Aufwand. Nun fürchten Unternehmensverbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass es noch schlimmer kommen könnte. Grund ist das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD). Im Juni hatte sich das Parlament auf eine Position zu der geplanten Direktive verständigt. Seitdem befindet sich das EU-Lieferkettengesetz in den Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten. Noch müssen sich die drei Verhandlungsparteien auf einen Kompromiss verständigen, was erfahrungsgemäß ein zähes und langanhaltendes Ringen ist. Doch die Vorschläge von Parlament und Kommission gehen bereits jetzt in einigen Punkten deutlich über die Regelungen im deutschen LkSG hinaus.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) in Berlin, Dachverband der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, beispielsweise beklagt, dass das EU-Lieferkettengesetz in seiner Betrachtung der Lieferkette den kompletten Lebenszyklus eines Produktes betrachtet. Das deutsche LkSG hingegen umfasst nur die Aktivitäten eines Unternehmens selbst sowie dessen mittelbarer und unmittelbarer Geschäftspartner.
Der Produktzyklus reicht laut dem Vorschlag des EU-Parlaments von der Produktentwicklung bis hin zu dessen Entsorgung – anders als Wirtschaftsverbände haben Umweltorganisationen wie Greenpeace am deutschen LkSG stets eine unzureichende Betrachtung der Lieferkette kritisiert und geplante Verschärfungen im EU-Lieferkettengesetz positiv gewertet. Die Baywa befürchtet indessen wachsende Bürokratie: “Das wird den Aufwand erheblich ausweiten, da viele Produkte unzählig viele Mitglieder in der Lieferkette haben. Vor allem, wenn sie aus vielen Komponenten bestehen, gemischt oder verarbeitet sind”, so der Münchner Konzern. Im internationalen Getreidehandelsgeschäft seien hochkomplexe Lieferketten-Strukturen üblich und entsprechend geforderte Sorgfaltspflichten über den gesamten Produktzyklus hinweg “kaum beherrschbar”.
Die Baywa gibt ein Beispiel: Beim Handel mit Getreide aus Südamerika bestehe die Lieferkette zunächst aus vielen Kleinbauern. Regionale Genossenschaften kaufen deren Erzeugnisse auf und verkaufen die Ware an überregionale Händler. Die überregionalen Händler vermarkten die Rohware an Exporteure, die das Getreide dann in die EU verschiffen. “Während des Transports ist es nicht unüblich, dass Kontrakte mehrmals gehandelt werden. Die Ware wechselt den Eigentümer also mehrfach”, erläutert der Münchner Konzern. Erst im europäischen Binnenmarkt kommen Unternehmen wie die Baywa ins Spiel. “Hier brauchen wir als Händler dringend nähere Informationen, wie eine Umsetzung im Alltag aussehen kann, um den Sorgfaltspflichten im Sinne der EU-Lieferkettenrichtlinie nachkommen zu können”, betont die Baywa.
Sorge bereitet dem DRV zudem der im EU-Lieferkettengesetz nach aktuellem Stand vorgesehene zivilrechtliche Haftungsanspruch, der im LkSG explizit nicht verankert ist. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Unternehmen für eigene Verstöße gegen das Gesetz zivilrechtlich haftbar gemacht werden können. Für Verstöße von Geschäftspartnern sollen Unternehmen zumindest dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn nach vernünftigem Ermessen erwartbar sei, dass diese gegen Bestimmungen des Umwelt- und Arbeitsschutzes oder gegen Menschenrechte verstoßen.
Trotz fehlendem zivilrechtlichen Haftungsanspruch drohen Unternehmen, die gegen das deutsche LkSG verstoßen, bereits hohe Bußgelder: Diese können 800.000 Euro erreichen oder bis zu 2 Prozent des globalen Jahresumsatzes, sofern ein Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im Jahr ausweist. Auch das EU-Parlament sieht in seinem im Juni verabschiedeten Vorschlag zum EU-Lieferkettengesetz neben einem zivilrechtlichen Haftungsanspruch empfindliche Strafen vor: Zu den Sanktionen gehören Maßnahmen wie die namentliche Anprangerung, die erzwungene Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt oder Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes.
“Die Unternehmen werden mit hohen administrativen und bürokratischen Pflichten belegt und tragen ein erhebliches Haftungsrisiko”, stellt der DRV fest. Zwar betont der Verband, dass dessen Mitgliedsunternehmen die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten entlang der Lieferkette unterstützen, fordert aber, dass “die Umsetzung noch praxisgerecht durchführbar sein und auch das individuelle Risikoprofil mittelständisch geprägter Unternehmen berücksichtigen” müsse.
Im Unterschied zum deutschen LkSG sieht das EU-Lieferkettengesetz laut den Vorschlägen von EU-Parlament und -Kommission zudem vor, dass Unternehmen Pläne vorlegen, die sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeit mit dem 1,5-Grad-Ziel im Klimaschutz in Einklang stehen. Auch werden nach jetzigem Diskussionsstand deutlich mehr Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft von den Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes direkt betroffen sein, als dies beim deutschen LkSG der Fall ist. Aktuell fallen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitende unter den Geltungsbereich des LkSG ; diese Schwelle sinkt ab 2024 auf 1.000 Mitarbeitende.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Das Parlament setzt die Schwelle direkt und für alle Industrien bei 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz an. Die Mitgliedstaaten sehen zeitliche Staffelungen vor, nach denen zunächst Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten die Direktive erfüllen müssen, und diese Schwelle erst fünf Jahre nach deren Einführung auf 250 Mitarbeitende sinkt.
Auch wenn die Positionen der Trilog-Partner in diesem Punkt gegenwärtig noch auseinanderliegen, ist für Dr. Julia Hörnig, Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW) in Hamburg, eines absehbar: Auch mehrere Agrarunternehmen, die bisher noch nicht nach dem LkSG verpflichtet waren, wären vom EU-Lieferkettengesetz betroffen. Schaut man sich den deutschen Agrarhandel als Beispiel an, gilt das LkSG aktuell für Schwergewichte wie die Baywa AG, die Agravis Raiffeisen AG in Hannover und die Team SE; ab dem Jahr 2024 kommen die Hauptgenossenschaften RWZ Köln, die Raiffeisen Waren Gruppe in Kassel und die ZG Raiffeisen-Gruppe in Karlsruhe hinzu, sowie auf der privaten Seite BAT Agrar. Nach den aktuellen Vorschlägen zum EU-Lieferkettengesetz wären auch Primärgenossenschaften wie die Raisa eG im niedersächsischen Stade und die GS-Agri-Gruppe im niedersächsischen Schneiderkrug betroffen.
Die Risiken, die sich nach dem deutschen LkSG für die Unternehmen der Agrarwirtschaft ergeben, beschreibt die Lieferkettenexpertin Hörnig wie folgt: “Für den Agrarsektor dürfte das Branchenrisiko hinsichtlich menschenrechtlicher Themen wie Zwangsarbeit, unzureichendem Arbeitsschutz, Zwangsumsiedlungen und gegebenenfalls Entzug der Lebensgrundlage durch beispielsweise Kontamination der Wasserwege bedeutend sein. Ein umweltbezogenes Risiko betrifft etwa persistente organische Schadstoffe. Darunter fallen auch Pestizide.” Nach dem EU-Lieferkettengesetz käme noch der Klimaschutz beziehungsweise die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels hinzu.
Bereits im deutschen Lieferkettengesetz ist laut Hörnig ein sogenannter “Trickle-Down-Effekt” verankert, das heißt, die Partner in der Lieferkette geben die Vorgaben hinsichtlich Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz entlang der Kette weiter. Sprich: Mittelbar sind viele Unternehmen der Wertschöpfungskette betroffen, auch wenn diese nicht selbst unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. In der Praxis bedeutet dies, dass Kunden ihre Lieferanten entsprechende Kodizes, den “Supplier Code of Conduct”, unterzeichnen lassen. “Zwar sieht das Gesetz vor, dass die Forderungen der Unternehmen an ihre Zulieferer angemessen sein sollen. Aber faktisch wächst der Druck auf die mittelbar Betroffenen in der Praxis”, stellt Hörnig fest.
Dazu passen die Beobachtungen des Bundesverbandes der Ernährungsindustrie (BVE): “Anfänglich sind einige verpflichtete Unternehmen hier auch mit Anforderungen an Lieferanten deutlich über das Ziel hinausgeschossen, weil sie nicht nur risikobasiert Informationen und Erklärungen von den Lieferanten eingefordert haben”, teilt der BVE mit. Der Verband zieht folgende Schlussfolgerung: “Für die Lieferanten heißt das, dass sie aktuell sehr genau die neuen Vertragsbedingungen mit ihren Kunden prüfen müssen, da eine Verlagerung von Verantwortung auf die Lieferanten unzulässig wäre.” Auch der DRV beobachtet, dass der Druck auf Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des LkSG fallen, durch vertragliche Regelungen steigt: Teilweise sei der Pflichtkatalog in den AGB der Abnehmer sehr weit gefasst, beobachtet der Verband.
Der Druck entlang der Kette dürfte eher steigen als abnehmen, wenn das EU-Lieferkettengesetz in der derzeitig diskutierten Form umgesetzt wird. So oder so wird die Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umgesetzt werden, was mit einer Anpassung des LkSG verbunden sein wird. “Für Agrarunternehmen ist es ratsam, den Verhandlungsprozess zu verfolgen und sich der Risiken der eigenen Lieferkette bewusst zu sein. Diese sind – und dies bleibt von der gesetzlichen Grundlage unabhängig – das Risiko von Zwangsarbeit, mangelndem Arbeitnehmerschutz und Umweltverschmutzung sowie gegebenenfalls Zwangsräumung“, unterstreicht Rechtsanwältin Hörnig.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat im Table.Media-Interview eine bessere EU-Förderung für die Umweltleistungen von Mooren und Wäldern gefordert. Eine solche dauerhafte Finanzierung müsse durch die EU-Agrarförderung der Gemeinsamen Agrarpolitik berücksichtigt werden. Bisher werde pro Hektar ausgezahlt, ohne Rücksicht auf trockene oder vernässte Böden, die zum Beispiel mehr CO₂ binden.
“Ein solches Umsteuern hat in der EU bereits begonnen, mit Blick auf die Stärkung von Natur- und Umweltschutz. Ich finde es richtig, öffentliches Geld für öffentliche Leistung auszugeben”, sagte Lemke.
Im Rahmen der Klimaanpassungswoche der Bundesregierung erläuterte die Grünen-Ministerin unter anderem, wie Maßnahmen für den Klimaschutz mit einer für Landwirte profitablen Agrarwirtschaft einhergehen sollen. Ein Landwirt, dessen trocken gelegte Moorfläche vernässt werden soll, könne beispielsweise aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz unterstützt werden. “Wir entwickeln dafür alternative Wirtschaftsmodelle, mit Schilfwirtschaft oder Wasserbüffeln.” Es brauche aber auch eine Neuausrichtung der EU-Agrarförderung.
Jahrhunderte lang sei gegen die Natur gewirtschaftet worden: “Moore wurden trockengelegt, Flüsse zu Wasserstraßen ausgebaut. Eine so lange Entwicklung, die ja auch viel Wohlstand geschaffen hat, ändert man nicht mit einer kurzen, schnellen Bremsung.” Für diejenigen, die mit den alten Modellen ihren Lebensunterhalt verdienen, brauche es deshalb “Überzeugungskraft und überzeugende Konzepte”.
Lemkes Mahnung: “Wir werden verstehen müssen, dass kein Klimaschutz und kein Naturschutz deutlich mehr Verlierer erzeugen.” Nicht-Handeln könnte so teuer werden, “dass es den Staat überfordert, alle Folgen auszugleichen”. heu/bpo/luk
Als “weltweit erstes Unternehmen” will “The Cultivated B” (TCB) eine Zulassung für ein Produkt aus Laborfleisch in der Europäischen Union beantragen. Das gab das Heidelberger Unternehmen kürzlich bekannt. TCB sei offiziell in das Vorantragsverfahren der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für ein neues Wurstprodukt eingetreten. Neuartige Lebensmittel, auch Novel Foods genannt, müssen gemäß der europäischen Novel-Food-Verordnung einer gesundheitlichen Bewertung der EFSA unterzogen werden, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen.
Das zellbasierte Wurstprodukt, für das TCB eine Zulassung anstrebt, ähnelt nach Angaben des Unternehmens Brühwürsten, die in Hot Dogs verwendet werden. Dabei handle es sich um ein Hybridwurstprodukt mit einem hohen Anteil an kultiviertem Fleisch sowie veganen Zutaten. Es ist laut TCB in enger Zusammenarbeit mit dem Schwesterunternehmen “The Family Butchers” entwickelt worden.
Der nächste Schritt unterstreiche seine Mission, einen breiten Zugang zu kultiviertem Fleisch mit den höchsten Sicherheitsstandards zu ermöglichen, so das Unternehmen weiter. TCB ist eine Tochter der nordrhein-westfälischen InFamily Foods Holding, die 2020 aus dem Zusammenschluss der H. Kemper GmbH und der H. & E. Reinert Westfälische Privat-Fleischerei GmbH entstanden ist. AgE/np
Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU in der vergangenen Woche. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.
Auch zur Landwirtschaft hatte von der Leyen etwas zu sagen: Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen dazu in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.
Doch sie mahnte auch “mehr Dialog und weniger Polarisierung” an. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gingen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, lies sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.
Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table.Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen“.
Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), neuen Gentechnik, nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt. cst
Zwar adressierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer diesjährigen Rede zur Lage der Union (SOTEU) das Thema Ernährungssicherheit. Die zentrale Rolle unserer Ernährungsweise beim Kampf gegen die globale Klima- und Biodiversitätskrise klammerte sie jedoch aus. Auch im parallel veröffentlichten Letter of Intent für 2024 fehlt das Sustainable Food System Law (SFS). Eine erstaunliche Entwicklung für ein Gesetzesvorhaben, das als Flaggschiff des European Green Deal gedacht war.
Zur Historie: Im Mai 2020 veröffentlichte die Kommission mit der Farm-to-Fork Strategie ihren Fahrplan für ein nachhaltiges Ernährungs- und Landwirtschaftssystem. Kernstück war ein Rahmenwerk für ein nachhaltiges EU-Lebensmittelsystem. Neue Grundsätze und Ziele sollten künftig in eine nachhaltige Richtung lenken. Eine Reform der lange festgefahrenen EU-Agrarpolitik schien so möglich.
Was wir essen und wie wir Lebensmittel erzeugen, zerstört unsere eigenen Lebensgrundlagen. Lebensmittelerzeugung und Ernährung sind weltweit verantwortlich für 70 Prozent des Verlustes an biologischer Vielfalt, 80 Prozent der Entwaldung und 70 Prozent der globalen Wasserentnahme. Rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen zurück auf unsere Ernährung. Gleichzeitig ist die Lebensmittelerzeugung unmittelbar von den Auswirkungen der Klima- und Biodiversitätskrise betroffen. Es ist höchste Zeit für eine systematische Herangehensweise an unsere Konsummuster und ihre ökologischen Auswirkungen.
Anfang 2023 sickerte das Gerüst für die Ausgestaltung des SFS durch. Übergeordnete Ziele sollten für Kohärenz und Nachhaltigkeit der Gesetzgebungen im Sektor Ernährung und Landwirtschaft sorgen. Das hätte eine Überarbeitung zentraler Gesetzgebungen, wie beispielsweise der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bedeutet. Gleichzeitig sollten mittels festgelegter Mindestanforderungen nicht ausreichend nachhaltig operierende Betriebe und deren Produkte vom europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen werden. Kriterien in der Gemeinschaftsverpflegung und ein harmonisiertes EU-Label sollten die Nachfrage nach nachhaltig produzierten Lebensmitteln fördern.
Es folgte ein Aderlass im Gesetzesentwurf, zeitgleich zum populistischen Ton, der sich 2023 in Brüssel und Straßburg breit machte. Die EVP-Gruppe kritisierte nun die unter Leitung der eigenen Partei erstellten Kommissionsvorschläge. Mehr Naturschutz gefährde die Ernährungssicherheit, so das faktenferne Narrativ. Im Juni 2023 wurde bei einer Verbändeanhörung ein deutlich beschnittener SFS-Entwurf präsentiert – ohne Nachhaltigkeitsmindestanforderungen entlang der Lieferkette für Unternehmen. Dafür tauchte bei den sektorübergreifenden Zielen “Ernährungssicherheit” an erster Stelle auf.
Dass Ursula von der Leyen die zentrale Rolle unserer Ernährungsweise beim Kampf gegen die globale Klima- und Biodiversitätskrise nicht mehr anspricht, macht sie anschlussfähig an das politische Lager der EVP. Sie entscheidet sich für Wahlkampf statt gestaltender Politik. Fehlt das Sustainable Food System Law im Arbeitsprogramm für 2024, das die Kommission im Oktober vorstellt, setzt Ursula von der Leyen die Ernährungssouveränität künftiger Generationen aufs Spiel. Dabei sollte sie alles tun, damit ein starker Kommissionsvorschlag für das SFS kommt. Die Ernten der Zukunft sichern wir nur mit mehr Klima- und Biodiversitätsschutz vom Acker bis zum Teller.
Elisa Kollenda ist Referentin für nachhaltige Ernährung und den ökologischen Fußabdruck beim World Wide Fund For Nature (WWF). Im WWF-Blog schreibt sie außerdem über neue Food-Trends, politische Entwicklungen und praktische Tipps für den Alltag. Zuvor arbeitete sie als Politikberaterin bei der Deutschen Umwelthilfe und beim Institute for European Environmental Policy (IEEP).
Die Spannungen um die Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte in die Europäische Union spitzen sich zu. Beim Treffen der EU-Agrarminister am gestrigen Montag in Brüssel stellte der polnische Landwirtschaftsminister Robert Telus vor Journalisten die Teilnahme Polens an der gemeinsamen Koordinierungsplattform infrage. Bei einer Mitarbeit befürchtet er rechtliche Konsequenzen für sein Land. Die gemeinsame Koordinierungsplattform ist eine Zusammenkunft von EU-Ländern, die an der Grenze zur Ukraine liegen, mit Vertretern der Kommission und der Ukraine.
“Wenn wir auf dieser Plattform sind und die ukrainische Seite sagt, dass sie uns vor die WTO zitieren will, dann kann jede Aussage, die wir auf dieser Plattform machen, gegen uns verwendet werden”, sagte Telus. Kiew hat gegen Polen, die Slowakei und Ungarn wegen deren Importverbots für ukrainische Agrarprodukte Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereicht.
“Wir klagen vor der WTO gegen Polen, die Slowakei und Ungarn, weil die Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Das heißt, alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollten sich in der Handelspolitik koordinieren und einigen”, sagte Taras Vysotskyi, stellvertretender Minister im Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, zu Table.Media.
Polen, die Slowakei und Ungarn halten an Einfuhrbeschränkungen von ukrainischem Getreide fest, obwohl eine entsprechende EU-Regelung vergangenen Freitag ausgelaufen war. Er sei “ziemlich zuversichtlich”, dass die Klage Erfolg haben werde, da die Maßnahmen der drei Länder “gegen internationales Handelsrecht” verstoßen würden, sagte Vysotskyi.
Die Handelspolitik falle in die “ausschließlichen Zuständigkeiten” der Europäischen Kommission, betonte auch eine Kommissionssprecherin. Die Brüsseler Behörde werde daher die Maßnahmen der Ukraine sowie das Vorgehen Polens, der Slowakei und Ungarns bewerten. Derzeit gebe es keine “Kommentare” zu den Maßnahmen dieser drei Länder, fügte die Sprecherin hinzu. “Aber wir müssen betonen, dass unser Fokus jetzt darauf liegt, sicherzustellen, dass das System, das letzten Freitag angekündigt wurde, funktioniert.”
Taras Vysotskyi kündigte zudem an, dass er der Europäischen Kommission Maßnahmen “zur Kontrolle der Exporte” vorlegen werde, nannte aber keine Einzelheiten. Die Ukraine hat 30 Tage Zeit, um “alle rechtlichen Maßnahmen (einschließlich z. B. eines Systems von Exportlizenzen) […] einzuführen, um einen Anstieg der Getreidepreise zu verhindern”, so der Text, den die Brüsseler Exekutive am vergangenen Freitag veröffentlichte.
Die Beschwerde der Ukraine war ein vorherrschendes Thema während des Rates der EU-Agrarminister, wie Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vor Journalisten sagte. Er bezeichnete die Reaktion der Ukraine als “ziemlich überraschend” und betonte, dass die Ukraine ihre Exporte in die Europäische Union trotz des eingeführten Verbots steigern konnte.
Wojciechowski sprach die Möglichkeit an, neue Routen zu den baltischen Staaten zu eröffnen, die sich nach seinen Angaben offen für diese Idee zeigen. “Aber diese neuen Routen haben höhere Transportkosten zur Folge.” Dieser Punkt müsse noch geklärt werden.
Für die Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne), stellvertretende Vorsitzende der Ukraine-Delegation des Europäischen Parlaments, ist die Entscheidung der drei Länder ein “klarer Bruch” mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und ein “erheblicher Bruch” mit der “Solidarität” der EU. Da sich diese Mitgliedstaaten nicht an die GAP und die auf dem Vertrag basierenden EU-Kompetenzen halten, “sollte die EU meiner Meinung nach prüfen, ob es genügend Gründe gibt, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten“, sagte sie Table.Media.
“Positiv hervorzuheben ist, dass die Europäische Kommission erkannt hat, dass der Getreidehandel koordiniert werden muss”, sagte Norbert Lins, Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments, zu Table.Media. “Besser wäre es aber gewesen, das Ausfuhrgenehmigungssystem zu installieren und dann die Grenzen zu öffnen. Hier wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht.”
Im Mai hatte die Europäische Kommission beschlossen, die Importe von ukrainischem Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkernen in fünf osteuropäische EU-Mitgliedstaaten zu beschränken. Bis zum vergangenen Freitag war lediglich der Transit von vier landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumenkernen) durch Polen, Ungarn, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien gestattet. Diese hatten beklagt, dass die Importe ihren heimischen Markt destabilisieren und die Einkommen ihrer Landwirte schmälern würden.
Daher hatten sie schon ab Mitte April einseitig die Durchfuhr von ukrainischem Getreide durch ihr Hoheitsgebiet verboten. Angesichts dieser beispiellosen Situation hatte die Kommission die fünf Länder schließlich mit einer Sonderhilfe in Höhe von 100 Millionen Euro unterstützt, die durch ein auf diese fünf Mitgliedstaaten beschränktes Embargo ergänzt wurde. Die Einschränkungen hat die Brüsseler Behörde aber entgegen dem Willen von Polen, Ungarn und der Slowakei zum Wochenende auslaufen lassen.
Sofia hatte bereits am vergangenen Donnerstag angekündigt, alle Blockaden aufheben zu wollen, doch die übrigen Länder entschieden sich anders. Am Freitag, noch vor der Bekanntgabe der Entscheidung, hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán angekündigt, das Embargo fortzusetzen. Am Abend, nur wenige Minuten nach der Mitteilung der Kommission, zogen Polen und die Slowakei nach und forderten Brüssel damit offen heraus.
Sowohl in Polen als auch in der Slowakei finden in den kommenden Wochen Wahlen statt. In Polen ist die Wählerbasis der Regierungspartei PiS vor allem in den landwirtschaftlichen Regionen stark. Am Dienstag schrieb Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei X (vormals Twitter), dass “solange die PiS regiert, wir den polnischen ländlichen Raum vor jeder Bedrohung schützen werden. Wir werden – im Gegensatz zu unseren Vorgängern – nicht zögern, Brüssel zu sagen: STOP”.
Tatsächlich hat Polen bei der gestrigen Sitzung des Agrarrates das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur angesprochen und die Auswirkungen eines solchen Textes auf die Landwirte hervorgehoben. Und das, obwohl der Rat – ein außergewöhnlicher Vorgang in den interinstitutionellen Verhandlungen – einen ehrgeizigeren Text vorgelegt hat als jenen, den das Europäische Parlament verabschiedet hat.
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) treibt vielen Akteuren der Agrar- und Ernährungswirtschaft Sorgenfalten auf die Stirn. Das Regelwerk, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Zu diesen Maßnahmen zählen die Einrichtung eines Beschwerdewesens sowie Regelungen, die Lieferanten in die Pflicht nehmen.
Für den global tätigen Agrarhandels- und Energiekonzern Baywa AG mit Sitz in München gilt das LkSG seit Jahresbeginn. Das Unternehmen mit mehr als 24.000 Mitarbeitenden und Aktivitäten in rund 40 Ländern berichtet auf Anfrage, bereits im September 2021 eine eigene Unternehmenseinheit Corporate Social Compliance eingesetzt zu haben, die sich seitdem mit der Umsetzung des LkSG befasst. Die Baywa unterhält nach eigenen Angaben direkte Geschäftsbeziehungen zu rund 50.000 Lieferanten, und auf Beteiligungsebene zu weiteren rund 30.000 Zulieferern. Entsprechend sei die Umsetzung des LkSG “mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden”, bilanziert die Baywa.
Wirtschaftsverbände beklagen passend dazu neben mutmaßlich unkalkulierbaren Haftungsrisiken einen hohen bürokratischen Aufwand. Nun fürchten Unternehmensverbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass es noch schlimmer kommen könnte. Grund ist das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD). Im Juni hatte sich das Parlament auf eine Position zu der geplanten Direktive verständigt. Seitdem befindet sich das EU-Lieferkettengesetz in den Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten. Noch müssen sich die drei Verhandlungsparteien auf einen Kompromiss verständigen, was erfahrungsgemäß ein zähes und langanhaltendes Ringen ist. Doch die Vorschläge von Parlament und Kommission gehen bereits jetzt in einigen Punkten deutlich über die Regelungen im deutschen LkSG hinaus.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) in Berlin, Dachverband der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, beispielsweise beklagt, dass das EU-Lieferkettengesetz in seiner Betrachtung der Lieferkette den kompletten Lebenszyklus eines Produktes betrachtet. Das deutsche LkSG hingegen umfasst nur die Aktivitäten eines Unternehmens selbst sowie dessen mittelbarer und unmittelbarer Geschäftspartner.
Der Produktzyklus reicht laut dem Vorschlag des EU-Parlaments von der Produktentwicklung bis hin zu dessen Entsorgung – anders als Wirtschaftsverbände haben Umweltorganisationen wie Greenpeace am deutschen LkSG stets eine unzureichende Betrachtung der Lieferkette kritisiert und geplante Verschärfungen im EU-Lieferkettengesetz positiv gewertet. Die Baywa befürchtet indessen wachsende Bürokratie: “Das wird den Aufwand erheblich ausweiten, da viele Produkte unzählig viele Mitglieder in der Lieferkette haben. Vor allem, wenn sie aus vielen Komponenten bestehen, gemischt oder verarbeitet sind”, so der Münchner Konzern. Im internationalen Getreidehandelsgeschäft seien hochkomplexe Lieferketten-Strukturen üblich und entsprechend geforderte Sorgfaltspflichten über den gesamten Produktzyklus hinweg “kaum beherrschbar”.
Die Baywa gibt ein Beispiel: Beim Handel mit Getreide aus Südamerika bestehe die Lieferkette zunächst aus vielen Kleinbauern. Regionale Genossenschaften kaufen deren Erzeugnisse auf und verkaufen die Ware an überregionale Händler. Die überregionalen Händler vermarkten die Rohware an Exporteure, die das Getreide dann in die EU verschiffen. “Während des Transports ist es nicht unüblich, dass Kontrakte mehrmals gehandelt werden. Die Ware wechselt den Eigentümer also mehrfach”, erläutert der Münchner Konzern. Erst im europäischen Binnenmarkt kommen Unternehmen wie die Baywa ins Spiel. “Hier brauchen wir als Händler dringend nähere Informationen, wie eine Umsetzung im Alltag aussehen kann, um den Sorgfaltspflichten im Sinne der EU-Lieferkettenrichtlinie nachkommen zu können”, betont die Baywa.
Sorge bereitet dem DRV zudem der im EU-Lieferkettengesetz nach aktuellem Stand vorgesehene zivilrechtliche Haftungsanspruch, der im LkSG explizit nicht verankert ist. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Unternehmen für eigene Verstöße gegen das Gesetz zivilrechtlich haftbar gemacht werden können. Für Verstöße von Geschäftspartnern sollen Unternehmen zumindest dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn nach vernünftigem Ermessen erwartbar sei, dass diese gegen Bestimmungen des Umwelt- und Arbeitsschutzes oder gegen Menschenrechte verstoßen.
Trotz fehlendem zivilrechtlichen Haftungsanspruch drohen Unternehmen, die gegen das deutsche LkSG verstoßen, bereits hohe Bußgelder: Diese können 800.000 Euro erreichen oder bis zu 2 Prozent des globalen Jahresumsatzes, sofern ein Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im Jahr ausweist. Auch das EU-Parlament sieht in seinem im Juni verabschiedeten Vorschlag zum EU-Lieferkettengesetz neben einem zivilrechtlichen Haftungsanspruch empfindliche Strafen vor: Zu den Sanktionen gehören Maßnahmen wie die namentliche Anprangerung, die erzwungene Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt oder Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes.
“Die Unternehmen werden mit hohen administrativen und bürokratischen Pflichten belegt und tragen ein erhebliches Haftungsrisiko”, stellt der DRV fest. Zwar betont der Verband, dass dessen Mitgliedsunternehmen die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten entlang der Lieferkette unterstützen, fordert aber, dass “die Umsetzung noch praxisgerecht durchführbar sein und auch das individuelle Risikoprofil mittelständisch geprägter Unternehmen berücksichtigen” müsse.
Im Unterschied zum deutschen LkSG sieht das EU-Lieferkettengesetz laut den Vorschlägen von EU-Parlament und -Kommission zudem vor, dass Unternehmen Pläne vorlegen, die sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeit mit dem 1,5-Grad-Ziel im Klimaschutz in Einklang stehen. Auch werden nach jetzigem Diskussionsstand deutlich mehr Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft von den Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes direkt betroffen sein, als dies beim deutschen LkSG der Fall ist. Aktuell fallen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitende unter den Geltungsbereich des LkSG ; diese Schwelle sinkt ab 2024 auf 1.000 Mitarbeitende.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Das Parlament setzt die Schwelle direkt und für alle Industrien bei 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz an. Die Mitgliedstaaten sehen zeitliche Staffelungen vor, nach denen zunächst Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten die Direktive erfüllen müssen, und diese Schwelle erst fünf Jahre nach deren Einführung auf 250 Mitarbeitende sinkt.
Auch wenn die Positionen der Trilog-Partner in diesem Punkt gegenwärtig noch auseinanderliegen, ist für Dr. Julia Hörnig, Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW) in Hamburg, eines absehbar: Auch mehrere Agrarunternehmen, die bisher noch nicht nach dem LkSG verpflichtet waren, wären vom EU-Lieferkettengesetz betroffen. Schaut man sich den deutschen Agrarhandel als Beispiel an, gilt das LkSG aktuell für Schwergewichte wie die Baywa AG, die Agravis Raiffeisen AG in Hannover und die Team SE; ab dem Jahr 2024 kommen die Hauptgenossenschaften RWZ Köln, die Raiffeisen Waren Gruppe in Kassel und die ZG Raiffeisen-Gruppe in Karlsruhe hinzu, sowie auf der privaten Seite BAT Agrar. Nach den aktuellen Vorschlägen zum EU-Lieferkettengesetz wären auch Primärgenossenschaften wie die Raisa eG im niedersächsischen Stade und die GS-Agri-Gruppe im niedersächsischen Schneiderkrug betroffen.
Die Risiken, die sich nach dem deutschen LkSG für die Unternehmen der Agrarwirtschaft ergeben, beschreibt die Lieferkettenexpertin Hörnig wie folgt: “Für den Agrarsektor dürfte das Branchenrisiko hinsichtlich menschenrechtlicher Themen wie Zwangsarbeit, unzureichendem Arbeitsschutz, Zwangsumsiedlungen und gegebenenfalls Entzug der Lebensgrundlage durch beispielsweise Kontamination der Wasserwege bedeutend sein. Ein umweltbezogenes Risiko betrifft etwa persistente organische Schadstoffe. Darunter fallen auch Pestizide.” Nach dem EU-Lieferkettengesetz käme noch der Klimaschutz beziehungsweise die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels hinzu.
Bereits im deutschen Lieferkettengesetz ist laut Hörnig ein sogenannter “Trickle-Down-Effekt” verankert, das heißt, die Partner in der Lieferkette geben die Vorgaben hinsichtlich Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz entlang der Kette weiter. Sprich: Mittelbar sind viele Unternehmen der Wertschöpfungskette betroffen, auch wenn diese nicht selbst unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. In der Praxis bedeutet dies, dass Kunden ihre Lieferanten entsprechende Kodizes, den “Supplier Code of Conduct”, unterzeichnen lassen. “Zwar sieht das Gesetz vor, dass die Forderungen der Unternehmen an ihre Zulieferer angemessen sein sollen. Aber faktisch wächst der Druck auf die mittelbar Betroffenen in der Praxis”, stellt Hörnig fest.
Dazu passen die Beobachtungen des Bundesverbandes der Ernährungsindustrie (BVE): “Anfänglich sind einige verpflichtete Unternehmen hier auch mit Anforderungen an Lieferanten deutlich über das Ziel hinausgeschossen, weil sie nicht nur risikobasiert Informationen und Erklärungen von den Lieferanten eingefordert haben”, teilt der BVE mit. Der Verband zieht folgende Schlussfolgerung: “Für die Lieferanten heißt das, dass sie aktuell sehr genau die neuen Vertragsbedingungen mit ihren Kunden prüfen müssen, da eine Verlagerung von Verantwortung auf die Lieferanten unzulässig wäre.” Auch der DRV beobachtet, dass der Druck auf Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des LkSG fallen, durch vertragliche Regelungen steigt: Teilweise sei der Pflichtkatalog in den AGB der Abnehmer sehr weit gefasst, beobachtet der Verband.
Der Druck entlang der Kette dürfte eher steigen als abnehmen, wenn das EU-Lieferkettengesetz in der derzeitig diskutierten Form umgesetzt wird. So oder so wird die Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umgesetzt werden, was mit einer Anpassung des LkSG verbunden sein wird. “Für Agrarunternehmen ist es ratsam, den Verhandlungsprozess zu verfolgen und sich der Risiken der eigenen Lieferkette bewusst zu sein. Diese sind – und dies bleibt von der gesetzlichen Grundlage unabhängig – das Risiko von Zwangsarbeit, mangelndem Arbeitnehmerschutz und Umweltverschmutzung sowie gegebenenfalls Zwangsräumung“, unterstreicht Rechtsanwältin Hörnig.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat im Table.Media-Interview eine bessere EU-Förderung für die Umweltleistungen von Mooren und Wäldern gefordert. Eine solche dauerhafte Finanzierung müsse durch die EU-Agrarförderung der Gemeinsamen Agrarpolitik berücksichtigt werden. Bisher werde pro Hektar ausgezahlt, ohne Rücksicht auf trockene oder vernässte Böden, die zum Beispiel mehr CO₂ binden.
“Ein solches Umsteuern hat in der EU bereits begonnen, mit Blick auf die Stärkung von Natur- und Umweltschutz. Ich finde es richtig, öffentliches Geld für öffentliche Leistung auszugeben”, sagte Lemke.
Im Rahmen der Klimaanpassungswoche der Bundesregierung erläuterte die Grünen-Ministerin unter anderem, wie Maßnahmen für den Klimaschutz mit einer für Landwirte profitablen Agrarwirtschaft einhergehen sollen. Ein Landwirt, dessen trocken gelegte Moorfläche vernässt werden soll, könne beispielsweise aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz unterstützt werden. “Wir entwickeln dafür alternative Wirtschaftsmodelle, mit Schilfwirtschaft oder Wasserbüffeln.” Es brauche aber auch eine Neuausrichtung der EU-Agrarförderung.
Jahrhunderte lang sei gegen die Natur gewirtschaftet worden: “Moore wurden trockengelegt, Flüsse zu Wasserstraßen ausgebaut. Eine so lange Entwicklung, die ja auch viel Wohlstand geschaffen hat, ändert man nicht mit einer kurzen, schnellen Bremsung.” Für diejenigen, die mit den alten Modellen ihren Lebensunterhalt verdienen, brauche es deshalb “Überzeugungskraft und überzeugende Konzepte”.
Lemkes Mahnung: “Wir werden verstehen müssen, dass kein Klimaschutz und kein Naturschutz deutlich mehr Verlierer erzeugen.” Nicht-Handeln könnte so teuer werden, “dass es den Staat überfordert, alle Folgen auszugleichen”. heu/bpo/luk
Als “weltweit erstes Unternehmen” will “The Cultivated B” (TCB) eine Zulassung für ein Produkt aus Laborfleisch in der Europäischen Union beantragen. Das gab das Heidelberger Unternehmen kürzlich bekannt. TCB sei offiziell in das Vorantragsverfahren der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für ein neues Wurstprodukt eingetreten. Neuartige Lebensmittel, auch Novel Foods genannt, müssen gemäß der europäischen Novel-Food-Verordnung einer gesundheitlichen Bewertung der EFSA unterzogen werden, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen.
Das zellbasierte Wurstprodukt, für das TCB eine Zulassung anstrebt, ähnelt nach Angaben des Unternehmens Brühwürsten, die in Hot Dogs verwendet werden. Dabei handle es sich um ein Hybridwurstprodukt mit einem hohen Anteil an kultiviertem Fleisch sowie veganen Zutaten. Es ist laut TCB in enger Zusammenarbeit mit dem Schwesterunternehmen “The Family Butchers” entwickelt worden.
Der nächste Schritt unterstreiche seine Mission, einen breiten Zugang zu kultiviertem Fleisch mit den höchsten Sicherheitsstandards zu ermöglichen, so das Unternehmen weiter. TCB ist eine Tochter der nordrhein-westfälischen InFamily Foods Holding, die 2020 aus dem Zusammenschluss der H. Kemper GmbH und der H. & E. Reinert Westfälische Privat-Fleischerei GmbH entstanden ist. AgE/np
Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU in der vergangenen Woche. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.
Auch zur Landwirtschaft hatte von der Leyen etwas zu sagen: Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen dazu in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.
Doch sie mahnte auch “mehr Dialog und weniger Polarisierung” an. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gingen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, lies sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.
Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table.Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen“.
Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), neuen Gentechnik, nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt. cst
Zwar adressierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer diesjährigen Rede zur Lage der Union (SOTEU) das Thema Ernährungssicherheit. Die zentrale Rolle unserer Ernährungsweise beim Kampf gegen die globale Klima- und Biodiversitätskrise klammerte sie jedoch aus. Auch im parallel veröffentlichten Letter of Intent für 2024 fehlt das Sustainable Food System Law (SFS). Eine erstaunliche Entwicklung für ein Gesetzesvorhaben, das als Flaggschiff des European Green Deal gedacht war.
Zur Historie: Im Mai 2020 veröffentlichte die Kommission mit der Farm-to-Fork Strategie ihren Fahrplan für ein nachhaltiges Ernährungs- und Landwirtschaftssystem. Kernstück war ein Rahmenwerk für ein nachhaltiges EU-Lebensmittelsystem. Neue Grundsätze und Ziele sollten künftig in eine nachhaltige Richtung lenken. Eine Reform der lange festgefahrenen EU-Agrarpolitik schien so möglich.
Was wir essen und wie wir Lebensmittel erzeugen, zerstört unsere eigenen Lebensgrundlagen. Lebensmittelerzeugung und Ernährung sind weltweit verantwortlich für 70 Prozent des Verlustes an biologischer Vielfalt, 80 Prozent der Entwaldung und 70 Prozent der globalen Wasserentnahme. Rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen zurück auf unsere Ernährung. Gleichzeitig ist die Lebensmittelerzeugung unmittelbar von den Auswirkungen der Klima- und Biodiversitätskrise betroffen. Es ist höchste Zeit für eine systematische Herangehensweise an unsere Konsummuster und ihre ökologischen Auswirkungen.
Anfang 2023 sickerte das Gerüst für die Ausgestaltung des SFS durch. Übergeordnete Ziele sollten für Kohärenz und Nachhaltigkeit der Gesetzgebungen im Sektor Ernährung und Landwirtschaft sorgen. Das hätte eine Überarbeitung zentraler Gesetzgebungen, wie beispielsweise der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bedeutet. Gleichzeitig sollten mittels festgelegter Mindestanforderungen nicht ausreichend nachhaltig operierende Betriebe und deren Produkte vom europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen werden. Kriterien in der Gemeinschaftsverpflegung und ein harmonisiertes EU-Label sollten die Nachfrage nach nachhaltig produzierten Lebensmitteln fördern.
Es folgte ein Aderlass im Gesetzesentwurf, zeitgleich zum populistischen Ton, der sich 2023 in Brüssel und Straßburg breit machte. Die EVP-Gruppe kritisierte nun die unter Leitung der eigenen Partei erstellten Kommissionsvorschläge. Mehr Naturschutz gefährde die Ernährungssicherheit, so das faktenferne Narrativ. Im Juni 2023 wurde bei einer Verbändeanhörung ein deutlich beschnittener SFS-Entwurf präsentiert – ohne Nachhaltigkeitsmindestanforderungen entlang der Lieferkette für Unternehmen. Dafür tauchte bei den sektorübergreifenden Zielen “Ernährungssicherheit” an erster Stelle auf.
Dass Ursula von der Leyen die zentrale Rolle unserer Ernährungsweise beim Kampf gegen die globale Klima- und Biodiversitätskrise nicht mehr anspricht, macht sie anschlussfähig an das politische Lager der EVP. Sie entscheidet sich für Wahlkampf statt gestaltender Politik. Fehlt das Sustainable Food System Law im Arbeitsprogramm für 2024, das die Kommission im Oktober vorstellt, setzt Ursula von der Leyen die Ernährungssouveränität künftiger Generationen aufs Spiel. Dabei sollte sie alles tun, damit ein starker Kommissionsvorschlag für das SFS kommt. Die Ernten der Zukunft sichern wir nur mit mehr Klima- und Biodiversitätsschutz vom Acker bis zum Teller.
Elisa Kollenda ist Referentin für nachhaltige Ernährung und den ökologischen Fußabdruck beim World Wide Fund For Nature (WWF). Im WWF-Blog schreibt sie außerdem über neue Food-Trends, politische Entwicklungen und praktische Tipps für den Alltag. Zuvor arbeitete sie als Politikberaterin bei der Deutschen Umwelthilfe und beim Institute for European Environmental Policy (IEEP).