Table.Briefing: Agrifood

Table.Special: NABU kritisiert Waldgesetz + SUR steht vor dem Aus

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein wesentlicher Baustein des europäischen Green Deals, die Sustainable Use Regulation, ist in der ersten Lesung im Europaparlament gescheitert. Damit steht die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vor dem Aus. Auch den Antrag von Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne), die Verordnung erneut im federführenden Umweltausschuss (ENVI) zu beraten, wies das Plenum am Mittwoch zurück. Offiziell hat das Plenum keine Position gefunden und ist durch die Ablehnung einer weiteren Beratung im ENVI handlungsunfähig.

Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU-Pestizide-Verordnung vor den Europawahlen keine große Rolle mehr spielen wird. Zwar könnten sowohl die EU-Kommission als auch die EU-Mitgliedstaaten den Stein noch einmal ins Rollen bringen. Aber dafür müsste entweder die Brüsseler Behörde einen neuen Entwurf vorlegen oder sich der EU-Agrarrat pro Vorschlag der EU-Kommission positionieren. Keine der beiden Varianten ist zu erwarten. Insbesondere EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) dürfte vor den Europawahlen kaum Interesse daran haben, die in der Agrarbranche umstrittene Reduktion von Pestiziden, aus eigener Kraft erneut auf die Agenda zu setzen.

Zeitnah, kommentierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Carina Konrad, das Ergebnis: Es sei eine “wirkliche Erleichterung”, dass das Europäische Parlament die “Reißleine gezogen hat”. “Der gesamte Prozess und die Drohkulisse hat Landwirte überall in Europa unnötig verunsichert.” Dafür trage von der Leyen die “volle Verantwortung”, so Konrad weiter.

Darüber hinaus blieb es in der Bundesregierung am Mittwoch nach der Abstimmung unerwartet ruhig. Die Grünen haben das Ergebnis offenbar so nicht erwartet und darauf gehofft, dass das Parlament wenigstens einer abgeschwächten Version des Verordnungsentwurfs der Brüsseler Behörde zustimmen würde.

Umso erleichterter reagierte die Opposition. “Die überzogenen Forderungen der Grünen schaden unserer Landwirtschaft, sind unwissenschaftlich und ökopopulistischer Unsinn“, sagte CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Standpunkt

Beim Waldgesetz fehlt der Wumms

Von Sven Selbert
Sven Selbert

Wir verstehen Wälder heute als fragile Ökosysteme und Teil der Lebensgrundlagen, zu deren Schutz uns das Grundgesetz verpflichtet. Doch dem Wald geht es schlecht, die Schäden sind auf Rekordhöhe und große Teile der Waldgesellschaften geraten durch die rasanten klimatischen Veränderungen immer mehr unter Druck. Gleichzeitig drängen immer mehr Industriezweige zunehmend auf Holz als Ersatz für fossile Grundstoffe.

Angesichts solcher gigantischen Zielkonflikte erscheint das Bundeswaldgesetz (BWaldG) von 1975, das in weiten Teilen auf dem Konzept einer unbestimmten “Guten fachlichen Praxis” fußt, heillos aus der Zeit gefallen. Für die neuen Zauberformeln Walderhalt, Waldumbau und Management von Ökosystemleistungen fehlen die Rezepte.

Ökologisches Leistungsprinzip: Anforderungen plus Förderung

Hehre Rhetorik allein reicht im Jahr 2023 nicht mehr. In Anlehnung an Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik erarbeiteten wir als Bündnis aus Naturschutzverbänden daher einen Vorschlag für ein zeitgemäßes BWaldG. Gemäß unseres Instrumentenmixes würden Grundpflichten der Waldbewirtschaftung sehr konkret und bei Verstößen sanktionierbar. Der Staatswald wäre den Gemeinwohlleistungen besonders verpflichtet, und den Besitzern von Privat- und Kommunalwald würden über die Honorierung von Ökosystemleistungen zusätzliche nachhaltige Einkommensperspektiven geboten.

Entscheidend sind wirksame Instrumente, um Walderhalt, Klima- und Artenschutz sowie Ressourcensicherheit flächig in die Umsetzung zu bringen. Doch an solchen fehlt es dem nun bekanntgewordenen Referentenentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) im Vergleich leider deutlich.

Gute fachliche Praxis 2.0

Denn statt klare Gebote nutzt der BMEL-Entwurf weiter großzügig rechtsunbestimmte Begriffe und damit die Logik der überholten “guten fachlichen Praxis”. Biotopbäume etwa sollen in “ausreichendem” Maße belassen, Waldränder “naturnah” gestaltet und Schutzgüter “angemessen” berücksichtigt werden. Was das konkret bedeutet, wird kein Richter je beurteilen. Zwar wird der “besonderen Gemeinwohlverpflichtung des Staatswaldes” ein Paragraf gewidmet, nur was die Pflichten betrifft, bleibt der enttäuschend inhaltsarm.

Ausnahmen werden zur Regel

Als weiteres Manko fallen ausufernde Ausnahmen auf. So würde etwa der Kahlschlag regulär verboten und trotzdem etwa zur “Vorbeugung” von Bränden, zum “Schutz” benachbarter Bestände, zur Verkehrssicherung oder nach “Waldschäden” fast unbeschränkt möglich.

Dass die Forstwirtschaft selbst innerhalb der europäischen Schutzgebietskulisse Natura-2000 unbotmäßig zügellos agierte, stellt der Europäische Gerichtshof im Urteil gegen Deutschland klar. Unverantwortlich also, dass der Entwurf keinerlei Anforderungen für die Bewirtschaftung geschützter Wälder enthält.

FDP zündelt am Waldgesetz

Eine schwache BMEL-Vorlage wäre womöglich heilbar, doch zu allem Überfluss ampelt es beim Waldgesetz bereits heftig. In der Frühkoordinierung wurde sofort öffentlich durchgestochen. Der kleine, aber einflussreiche Grundbesitzerverband Familienbetriebe Land und Forst rief auf zum Boykott des Gesetzentwurfs als angeblich eigentumsfeindlichem “Angriff” auf die Waldbewirtschaftung. Parallel streute der Abgeordnete Christoph Hoffmann (FDP) öffentliche Zweifel, ob die im Koalitionsvertrag vereinbarte “Novellierung des Bundeswaldgesetzes in dieser Legislaturperiode überhaupt nötig” sei. Und Finanzminister Christian Lindner (FDP) verhinderte schließlich per Leitungsvorbehalt den Beginn des Verfahrens. Auf einem zum Start der Ressort- und Länderbefassung terminierten Waldkongress der Grünen Fraktion stand Bundeswaldminister Cem Özdemir (Grüne) somit vorerst düpiert mit leeren Händen da.

Ob die Zukunft unserer Wälder zum Spielball des Koalitionszwistes verkommt, liegt nun auch an der SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor 13 Jahren versuchten sich die Sozialdemokraten in der Opposition vergeblich an – damals schon – überfälligen ökologischen Reformen am Bundeswaldgesetz. Doch heute sind sie Kanzlerpartei und die Novelle Beschlusslage. Die SPD wäre gut beraten, Ansehen aus dem Walderhalt zu schöpfen und klarzustellen, dass sie als gestaltende Kraft für Koalitionsdisziplin und Sacherfolge steht.

Waldbesitzer müssten Novelle aus Eigeninteresse stützen

Und die Waldbesitzer? Sollten ihre Interessen und Lage gut abwägen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem jüngsten Urteil nicht nur das Volumen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) um 60 Milliarden Euro geschrumpft, sondern auch klargemacht, dass ein Bundeshaushalt transparent und zweckspezifisch begründet sein muss. Die zunehmend klimagebeutelten Waldbesitzer fordern seit langem eine staatliche Förderung für Ökosystemleistungen als substanzielles zweites ökonomisches Standbein, neben dem aus Holz. Diese ist auch geplant; mit Mitteln des KTF. Ohne eine gesetzlich zwingende Grundlage, in Form eines neuen Bundeswaldgesetzes, könnte sich ihr Wunsch als flüchtig entpuppen und die aktuelle Chance im Nachhinein als einmalig.

  • FFH-Richtlinie

Agrifood.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ein wesentlicher Baustein des europäischen Green Deals, die Sustainable Use Regulation, ist in der ersten Lesung im Europaparlament gescheitert. Damit steht die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vor dem Aus. Auch den Antrag von Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne), die Verordnung erneut im federführenden Umweltausschuss (ENVI) zu beraten, wies das Plenum am Mittwoch zurück. Offiziell hat das Plenum keine Position gefunden und ist durch die Ablehnung einer weiteren Beratung im ENVI handlungsunfähig.

    Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU-Pestizide-Verordnung vor den Europawahlen keine große Rolle mehr spielen wird. Zwar könnten sowohl die EU-Kommission als auch die EU-Mitgliedstaaten den Stein noch einmal ins Rollen bringen. Aber dafür müsste entweder die Brüsseler Behörde einen neuen Entwurf vorlegen oder sich der EU-Agrarrat pro Vorschlag der EU-Kommission positionieren. Keine der beiden Varianten ist zu erwarten. Insbesondere EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) dürfte vor den Europawahlen kaum Interesse daran haben, die in der Agrarbranche umstrittene Reduktion von Pestiziden, aus eigener Kraft erneut auf die Agenda zu setzen.

    Zeitnah, kommentierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Carina Konrad, das Ergebnis: Es sei eine “wirkliche Erleichterung”, dass das Europäische Parlament die “Reißleine gezogen hat”. “Der gesamte Prozess und die Drohkulisse hat Landwirte überall in Europa unnötig verunsichert.” Dafür trage von der Leyen die “volle Verantwortung”, so Konrad weiter.

    Darüber hinaus blieb es in der Bundesregierung am Mittwoch nach der Abstimmung unerwartet ruhig. Die Grünen haben das Ergebnis offenbar so nicht erwartet und darauf gehofft, dass das Parlament wenigstens einer abgeschwächten Version des Verordnungsentwurfs der Brüsseler Behörde zustimmen würde.

    Umso erleichterter reagierte die Opposition. “Die überzogenen Forderungen der Grünen schaden unserer Landwirtschaft, sind unwissenschaftlich und ökopopulistischer Unsinn“, sagte CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

    Standpunkt

    Beim Waldgesetz fehlt der Wumms

    Von Sven Selbert
    Sven Selbert

    Wir verstehen Wälder heute als fragile Ökosysteme und Teil der Lebensgrundlagen, zu deren Schutz uns das Grundgesetz verpflichtet. Doch dem Wald geht es schlecht, die Schäden sind auf Rekordhöhe und große Teile der Waldgesellschaften geraten durch die rasanten klimatischen Veränderungen immer mehr unter Druck. Gleichzeitig drängen immer mehr Industriezweige zunehmend auf Holz als Ersatz für fossile Grundstoffe.

    Angesichts solcher gigantischen Zielkonflikte erscheint das Bundeswaldgesetz (BWaldG) von 1975, das in weiten Teilen auf dem Konzept einer unbestimmten “Guten fachlichen Praxis” fußt, heillos aus der Zeit gefallen. Für die neuen Zauberformeln Walderhalt, Waldumbau und Management von Ökosystemleistungen fehlen die Rezepte.

    Ökologisches Leistungsprinzip: Anforderungen plus Förderung

    Hehre Rhetorik allein reicht im Jahr 2023 nicht mehr. In Anlehnung an Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik erarbeiteten wir als Bündnis aus Naturschutzverbänden daher einen Vorschlag für ein zeitgemäßes BWaldG. Gemäß unseres Instrumentenmixes würden Grundpflichten der Waldbewirtschaftung sehr konkret und bei Verstößen sanktionierbar. Der Staatswald wäre den Gemeinwohlleistungen besonders verpflichtet, und den Besitzern von Privat- und Kommunalwald würden über die Honorierung von Ökosystemleistungen zusätzliche nachhaltige Einkommensperspektiven geboten.

    Entscheidend sind wirksame Instrumente, um Walderhalt, Klima- und Artenschutz sowie Ressourcensicherheit flächig in die Umsetzung zu bringen. Doch an solchen fehlt es dem nun bekanntgewordenen Referentenentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) im Vergleich leider deutlich.

    Gute fachliche Praxis 2.0

    Denn statt klare Gebote nutzt der BMEL-Entwurf weiter großzügig rechtsunbestimmte Begriffe und damit die Logik der überholten “guten fachlichen Praxis”. Biotopbäume etwa sollen in “ausreichendem” Maße belassen, Waldränder “naturnah” gestaltet und Schutzgüter “angemessen” berücksichtigt werden. Was das konkret bedeutet, wird kein Richter je beurteilen. Zwar wird der “besonderen Gemeinwohlverpflichtung des Staatswaldes” ein Paragraf gewidmet, nur was die Pflichten betrifft, bleibt der enttäuschend inhaltsarm.

    Ausnahmen werden zur Regel

    Als weiteres Manko fallen ausufernde Ausnahmen auf. So würde etwa der Kahlschlag regulär verboten und trotzdem etwa zur “Vorbeugung” von Bränden, zum “Schutz” benachbarter Bestände, zur Verkehrssicherung oder nach “Waldschäden” fast unbeschränkt möglich.

    Dass die Forstwirtschaft selbst innerhalb der europäischen Schutzgebietskulisse Natura-2000 unbotmäßig zügellos agierte, stellt der Europäische Gerichtshof im Urteil gegen Deutschland klar. Unverantwortlich also, dass der Entwurf keinerlei Anforderungen für die Bewirtschaftung geschützter Wälder enthält.

    FDP zündelt am Waldgesetz

    Eine schwache BMEL-Vorlage wäre womöglich heilbar, doch zu allem Überfluss ampelt es beim Waldgesetz bereits heftig. In der Frühkoordinierung wurde sofort öffentlich durchgestochen. Der kleine, aber einflussreiche Grundbesitzerverband Familienbetriebe Land und Forst rief auf zum Boykott des Gesetzentwurfs als angeblich eigentumsfeindlichem “Angriff” auf die Waldbewirtschaftung. Parallel streute der Abgeordnete Christoph Hoffmann (FDP) öffentliche Zweifel, ob die im Koalitionsvertrag vereinbarte “Novellierung des Bundeswaldgesetzes in dieser Legislaturperiode überhaupt nötig” sei. Und Finanzminister Christian Lindner (FDP) verhinderte schließlich per Leitungsvorbehalt den Beginn des Verfahrens. Auf einem zum Start der Ressort- und Länderbefassung terminierten Waldkongress der Grünen Fraktion stand Bundeswaldminister Cem Özdemir (Grüne) somit vorerst düpiert mit leeren Händen da.

    Ob die Zukunft unserer Wälder zum Spielball des Koalitionszwistes verkommt, liegt nun auch an der SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor 13 Jahren versuchten sich die Sozialdemokraten in der Opposition vergeblich an – damals schon – überfälligen ökologischen Reformen am Bundeswaldgesetz. Doch heute sind sie Kanzlerpartei und die Novelle Beschlusslage. Die SPD wäre gut beraten, Ansehen aus dem Walderhalt zu schöpfen und klarzustellen, dass sie als gestaltende Kraft für Koalitionsdisziplin und Sacherfolge steht.

    Waldbesitzer müssten Novelle aus Eigeninteresse stützen

    Und die Waldbesitzer? Sollten ihre Interessen und Lage gut abwägen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem jüngsten Urteil nicht nur das Volumen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) um 60 Milliarden Euro geschrumpft, sondern auch klargemacht, dass ein Bundeshaushalt transparent und zweckspezifisch begründet sein muss. Die zunehmend klimagebeutelten Waldbesitzer fordern seit langem eine staatliche Förderung für Ökosystemleistungen als substanzielles zweites ökonomisches Standbein, neben dem aus Holz. Diese ist auch geplant; mit Mitteln des KTF. Ohne eine gesetzlich zwingende Grundlage, in Form eines neuen Bundeswaldgesetzes, könnte sich ihr Wunsch als flüchtig entpuppen und die aktuelle Chance im Nachhinein als einmalig.

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