am heutigen Mittwoch stimmt das Europaparlament über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation) ab. Aller Wahrscheinlichkeit nach, wird das Plenum dem Vorschlag des federführenden Umweltausschusses (ENVI) nicht zustimmen, ist aus Brüsseler Kreisen zu hören. Realistischer scheint es zu sein, dass sich konservative Kräfte im Plenum durchsetzen und der Vorschlag der EU-Kommission aufgeweicht wird.
Die EVP und Teile der Liberalen knüpfen ihre Zustimmung zur geplanten Verordnung der EU-Kommission nämlich an Lockerungen, die auch der Agrarausschuss des Europaparlaments vorschlägt. Beispielsweise sollen die EU-Mitgliedstaaten mehr Zeit bekommen, um den Einsatz von Pestiziden zu halbieren. Der bisher geplante Zeitraum soll um fünf Jahre auf das Jahr 2035 verlängert werden. Die EU-Mitgliedstaaten sollen ihre sensiblen Gebiete selbst definieren können und Natura-2000-Gebiete nicht grundsätzlich darunterfallen.
Der ENVI setzt sich für schärfere Regeln ein und ist in einigen Punkten strenger als der Vorschlag der EU-Kommission. Beispielsweise sieht der ENVI vor, “gefährliche” Pestizide bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren – bezogen auf die Periode 2013 bis 2017. Der Einsatz der anderen Pestizide soll um 50 Prozent eingeschränkt werden. Die Kommission hatte sich jeweils für eine Absenkung um 50 Prozent ausgesprochen – bezogen auf die Periode 2015 bis 2017.
Zudem fordert der ENVI ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln auf sensiblen Flächen. Darunter sollen unter anderem alle Schutzgebiete Natura-2000 fallen. Bei 18,6 Prozent der EU-Flächen handelt es sich um Schutzgebiete nach Natura-2000. Viele dieser Flächen werden landwirtschaftlich genutzt. Nach dem Vorschlag des federführenden ENVI sollen die Mitgliedstaaten aber Ausnahmen für Sonderkulturen in Natura-2000-Gebieten erlassen dürfen, beispielsweise im Moselweinbau.
Kaum ein Gesetzgebungsverfahren wird derzeit mit solcher Spannung beobachtet wie das europäische Sorgfaltspflichtengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD). Am heutigen Mittwoch findet der nächste politische Trilog statt, das hochrangige Treffen der Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission. Nach den Terminen im Juni, Juli und September ist es der vierte Trilog. Eine finale Einigung wird allerdings nicht erwartet, bei zu vielen Themen liegen die Positionen noch zu weit auseinander.
Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 den Entwurf für das entsprechende Gesetz vorgestellt. Dieser enthält umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten und verpflichtet große Unternehmen, Klimaübergangspläne zu erstellen. Als Vorbilder dienen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 in Kraft ist und das französische “loi de vigilance” aus dem Jahr 2017.
Beim heutigen Trilog könnten sich die Verhandler laut Informationen von Table.Media über den Anwendungsbereich einigen, der wohl dem Vorschlag der Kommission sehr nah bleiben würde. Nach dem Entwurf soll dieser Anwendungsbereich EU- und ausländische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich umfassen. Für Unternehmen in Risikosektoren (unter anderem der Textil-, Landwirtschafts- und Rohstoffsektor) soll die Richtlinie schon ab 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich gelten.
Dies bedeutet eine starke Ausweitung gegenüber dem deutschen und dem französischen Gesetz, die für Unternehmen ab 3.000 beziehungsweise 5.000 Angestellten gelten. In Deutschland werden ab 2024 Unternehmen ab 1.000 Angestellten unter das Gesetz fallen. Auf viele andere Mitgliedstaaten hat dies kaum Auswirkungen, da die dort ansässigen Unternehmen kleiner sind.
Nach Angaben einer Quelle im Parlament soll Artikel 25 aus dem Kommissionsentwurf, der eine Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung vorsieht, beim heutigen Trilog gestrichen werden. Darüber hinaus steht auch die Definition der Sorgfaltspflichten und den Annexen, sowie die Bestimmungen zu einer möglichen Vertragsbeendigung mit den Partnern im Falle negativer Auswirkungen (Artikel 7 und 8) auf der Agenda. Auch über die Definition der Wertschöpfungskette soll gesprochen werden; von Parlamentsseite wird hier jedoch keine Einigung erwartet.
Für gleich eine ganze Reihe an Themen wird zunächst keine Lösung erwartet, einige davon werden vermutlich heute gar nicht angesprochen. Die spanische Ratspräsidentschaft will laut einem internen Kompromissvorschlag Lösungen finden, die “praxistauglich sind, Rechtssicherheit gewährleisten und keine übermäßigen Kosten für Unternehmen und Verwaltungen verursachen”.
Dazu gehört unter anderem die noch ungeklärte Frage, ob der Finanzsektor in den Anwendungsbereich einbezogen wird. Während das Parlament und die Kommission entsprechende Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute fordern, hält der Rat dagegen. Auf Druck von Frankreich hatten die Mitgliedstaaten bereits in ihrer Allgemeinen Ausrichtung eine Sonderrolle für den Finanzsektor beschlossen. Demnach sollte es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen werden, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht.
Die Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, aufgrund “des empfindlichen Gleichgewichts, das im Rat in dieser Frage erreicht wurde, und der Schwierigkeiten, einen Kompromiss mit dem Standpunkt des Parlaments zu finden”, den Finanzsektor zunächst komplett aus dem Anwendungsbereich auszuschließen und die Ausweitung auf diesen auf eine spätere Phase zu verschieben. Dafür soll dem Gesetzestext eine Überprüfungsklausel hinzugefügt werden; Rat, Parlament und Kommission sollen eine interinstitutionelle politische Erklärung vereinbaren.
Entgegen dem Standpunkt seiner Parlamentskolleginnen äußerte Axel Voss (EVP), Schattenberichterstatter für die CSDDD im EU-Parlament, im Gespräch mit Table.Media Verständnis für diese Ausnahme. “Man kann den generellen Ansatz des Lieferkettengesetzes nicht eins zu eins auf den Finanzsektor übertragen, das würde zu großer Unsicherheit führen. Deshalb bräuchte dieser Sektor eigentlich speziellere Vorschriften.”
Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum unterstützt die Einbeziehung des Sektors. Damit das private Finanzwesen den grünen Wandel in der Realwirtschaft wirksam unterstützen könne, sei eine sektorübergreifend einheitliche Regulierung entscheidend, sagte Frank Elderson, Mitglied des EZB-Direktoriums, vergangene Woche auf einer Konferenz. Den Finanzsektor in den Anwendungsbereich der CSDDD einzuschließen könne dazu beitragen, dass Banken und andere Finanzinstitute “systematisch Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungsfindung und ihr Risikomanagement integrieren”. Darüber hinaus entstünde so mehr Sicherheit in Bezug auf die Verpflichtungen und Prozessrisiken des Sektors.
In der Zivilgesellschaft stößt die Ratsposition auf scharfe Kritik: “Banken und Investoren haben einen Freifahrtschein, um von Menschenrechts- und Umweltschäden zu profitieren“, sagte Aurélie Skrobik, Referentin für Unternehmensverantwortung bei der Menschenrechtsorganisation Global Witness. “Der Missbrauch wird Teil des Geschäftsmodells der Banken bleiben, wenn die EU sich nicht auf ein starkes Gesetz einigt, das den Finanzsektor zwingt, sauberer zu werden.”
Auch die Definition von Umweltauswirkungen im Gesetzestext bleibt ein strittiges Thema. Während das Parlament eine Orientierung an konkreten Kategorien wie Klimaauswirkungen, Biodiversität oder Luft- und Wasserverschmutzung fordert, sind die Vorschläge von Kommission und Rat hier restriktiver: Unternehmen sollen Auswirkungen nur ermitteln und gegen sie vorgehen, wenn sie gegen internationale Abkommen verstoßen. Die Ratspräsidentschaft schlägt als Kompromiss die Aufnahme weiterer Abkommen vor.
Umwelt-NGOs befürchten, dass selbst ehrgeizige Sorgfaltspflichten aus ökologischer Sicht ihre Wirkung verfehlen, wenn Rat und Kommission sich durchsetzen und die Unternehmen nur begrenzt Umweltauswirkungen feststellen müssen. Denn die internationalen Umweltabkommen seien ein sehr fragmentierter Bereich des internationalen Rechts, erklärt Ceren Yildiz vom BUND. “Viele Fragen der Umweltzerstörung bleiben vollkommen unberührt. Es gibt zum Beispiel keinen globalen Pakt über den Schutz von Wäldern; das Plastikabkommen wird derzeit erst verhandelt.”
Als Vorbild für den Ansatz von Rat und Kommission diente das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das für den Nachweis von Umweltauswirkungen auf internationale Verträge wie das Stockholmer und das Baseler Übereinkommen verweist. Klimaauswirkungen werden gar nicht genannt. Im Rat hat sich die Bundesregierung zwar dafür eingesetzt, weitere Umweltübereinkommen in die Definition aufzunehmen und diese dadurch auszuweiten – allerdings lehnt sie die sogenannten Umweltkategorien, die das EU-Parlament vorschlägt, ab, und hat sich auch gegen eine Umsetzungspflicht für die Klimapläne der Unternehmen ausgesprochen.
Die spanische Ratspräsidentschaft bietet nun allerdings ein Entgegenkommen an und schlägt eine Mittelverpflichtung vor, mit genauen Vorgaben zum Inhalt der Klimapläne sowie einer Verknüpfung mit der Vergütung des Unternehmensvorstands. Dadurch soll ein stärkerer Anreiz für die Umsetzung des Plans geschaffen werden.
Das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium haben sich währenddessen auf eine Vereinfachung beim deutschen LkSG geeinigt: Unternehmen sollen laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr Zeit für ihre Berichte erhalten. Die Berichte für 2023 und 2024 würden erst 2025 fällig und könnten dann als EU-Nachhaltigkeitsberichte vorgelegt werden. Dadurch würden Doppelungen vermieden.
Hintergrund ist der Übergang von dem deutschen Gesetz zur dann europaweit geltenden EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD). Ist die europäische Richtlinie EU-weit in Kraft, will die Bundesregierung prüfen, ob Änderungen am LkSG erforderlich sind.
Das EU-Parlament hat mit 448 Stimmen dafür, 65 dagegen und 114 Enthaltungen den Bericht für einen EU-Zertifizierungsrahmen für technologischen und natürlichen CO₂-Abbau angenommen. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.
Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Direkte Emissionsreduktionen sollen gegenüber dem CO₂-Abbau Vorrang haben. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.
Kohlenstoffbindungen oder CO₂-Reduktionen im Zusammenhang mit der Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung, die der Atmosphäre für mindestens fünf Jahre CO₂ entziehen, gelten als Carbon Farming und somit nicht als permanent entfernte CO₂-Mengen. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird.
Die Mitgliedstaaten haben ihre Position ebenfalls bereits gefunden. Die Trilog-Verhandlungen sollen noch im November starten. luk
Vom Aufstand deutscher Bierbrauer über die Sorge eines Europaabgeordneten um Zuckertütchen bis hin zur Androhung einer neuen Französischen Revolution aus Angst um Käse – überall in Europa regt sich gerade Widerstand.
Der Grund: Die EU will Verpackungsabfälle reduzieren. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiten Kommission, Rat und Parlament an einer neuen Verordnung, die Mehrwegsysteme stärken und dafür sorgen soll, dass alle Verpackungen bis 2030 recycelbar sind. Etwa genauso lang dauert bereits der erbitterte Kampf von Industrie und Nostalgikern. Die beteiligten Europaabgeordneten sprachen von einer rekordverdächtigen Flut an Lobbyanfragen. Auch Medienberichterstattende erhielten ungewöhnlich viele Gesprächsanfragen und neue, vermeintlich bahnbrechende Studien der Einweglobby.
Bereits Ende Mai brach die Panik unter den deutschen Bierbrauern und Getränkeherstellern aus. Besorgte Verbandschefs warnten in der BILD: Es drohe die Vernichtung von “MILLIARDEN Bierflaschen”, sogar die Bierkästen müssten geschreddert werden. Die Verbände störten sich zum einen an der geplanten Deklarationspflicht, die eine dauerhaft angebrachte Kennzeichnung von Mehrwegverpackungen vorsieht. Denn auf deutschen Bierflaschen kleben seit jeher abwaschbare Etiketten. Zum anderen äußerten sie die Sorge, die geplante Begrenzung des Leerraumanteils (also der Luft in Transportverpackungen) würde auch die Bierkästen betreffen – und “den Transport und die Lagerung von Mehrwegflaschen künftig unmöglich machen”, hieß es in einem Brandbrief an die EU-Kommission.
Die EU-Kommission konnte Brauer und Bierliebhaber schnell wieder beruhigen: Natürlich wolle man nicht das deutsche Pfandsystem zerstören, für die Kästen und Etiketten seien Ausnahmen vorgesehen.
Vergangene Woche drohten dann die Franzosen mit einer Neuauflage der Revolution: Auch die traditionelle Holzschachtel des Camembert wäre durch die neuen Regeln bedroht, denn sie sei nicht recyclingfähig und entsprechende Anpassungen wären sehr kostspielig. “Wenn man Europa vor den Wahlen zur Karikatur machen will, dann fängt man an, die Camembert-Hersteller mit ihren Holzverpackungen zu nerven”, spottete die französische Europaministerin Laurence Boone. Mehrere Änderungsanträge wurden daraufhin im Parlament gestellt.
Die deutsche Schattenberichterstatterin für das Gesetz, Delara Burkhardt (SPD), gab im Hintergrundgespräch Entwarnung: Alle Produkte mit geschützten Ursprungs- und geschützten geographischen Angaben würden durch einen Delegierten Rechtsakt der Kommission ausgenommen.
Nur der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) hat noch keine Klarheit: Werden tatsächlich auch die kleinen Einwegverpackungen für Zucker, Salz und Pfeffer verboten, die zu Kaffee und Speisen in der Gastronomie gereicht werden? Liese posierte aus Protest für ein Foto mit Zuckertüten im EU-Parlament und reichte einen Änderungsantrag ein, der mindestens die Begrenzung des Verbotes auf Plastikverpackungen bewirken soll. Über diesen und rund hundert weitere Anträge stimmt das Parlament am heutigen Mittwoch ab. Leonie Düngefeld
am heutigen Mittwoch stimmt das Europaparlament über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation) ab. Aller Wahrscheinlichkeit nach, wird das Plenum dem Vorschlag des federführenden Umweltausschusses (ENVI) nicht zustimmen, ist aus Brüsseler Kreisen zu hören. Realistischer scheint es zu sein, dass sich konservative Kräfte im Plenum durchsetzen und der Vorschlag der EU-Kommission aufgeweicht wird.
Die EVP und Teile der Liberalen knüpfen ihre Zustimmung zur geplanten Verordnung der EU-Kommission nämlich an Lockerungen, die auch der Agrarausschuss des Europaparlaments vorschlägt. Beispielsweise sollen die EU-Mitgliedstaaten mehr Zeit bekommen, um den Einsatz von Pestiziden zu halbieren. Der bisher geplante Zeitraum soll um fünf Jahre auf das Jahr 2035 verlängert werden. Die EU-Mitgliedstaaten sollen ihre sensiblen Gebiete selbst definieren können und Natura-2000-Gebiete nicht grundsätzlich darunterfallen.
Der ENVI setzt sich für schärfere Regeln ein und ist in einigen Punkten strenger als der Vorschlag der EU-Kommission. Beispielsweise sieht der ENVI vor, “gefährliche” Pestizide bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren – bezogen auf die Periode 2013 bis 2017. Der Einsatz der anderen Pestizide soll um 50 Prozent eingeschränkt werden. Die Kommission hatte sich jeweils für eine Absenkung um 50 Prozent ausgesprochen – bezogen auf die Periode 2015 bis 2017.
Zudem fordert der ENVI ein Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln auf sensiblen Flächen. Darunter sollen unter anderem alle Schutzgebiete Natura-2000 fallen. Bei 18,6 Prozent der EU-Flächen handelt es sich um Schutzgebiete nach Natura-2000. Viele dieser Flächen werden landwirtschaftlich genutzt. Nach dem Vorschlag des federführenden ENVI sollen die Mitgliedstaaten aber Ausnahmen für Sonderkulturen in Natura-2000-Gebieten erlassen dürfen, beispielsweise im Moselweinbau.
Kaum ein Gesetzgebungsverfahren wird derzeit mit solcher Spannung beobachtet wie das europäische Sorgfaltspflichtengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD). Am heutigen Mittwoch findet der nächste politische Trilog statt, das hochrangige Treffen der Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission. Nach den Terminen im Juni, Juli und September ist es der vierte Trilog. Eine finale Einigung wird allerdings nicht erwartet, bei zu vielen Themen liegen die Positionen noch zu weit auseinander.
Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 den Entwurf für das entsprechende Gesetz vorgestellt. Dieser enthält umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten und verpflichtet große Unternehmen, Klimaübergangspläne zu erstellen. Als Vorbilder dienen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 in Kraft ist und das französische “loi de vigilance” aus dem Jahr 2017.
Beim heutigen Trilog könnten sich die Verhandler laut Informationen von Table.Media über den Anwendungsbereich einigen, der wohl dem Vorschlag der Kommission sehr nah bleiben würde. Nach dem Entwurf soll dieser Anwendungsbereich EU- und ausländische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich umfassen. Für Unternehmen in Risikosektoren (unter anderem der Textil-, Landwirtschafts- und Rohstoffsektor) soll die Richtlinie schon ab 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich gelten.
Dies bedeutet eine starke Ausweitung gegenüber dem deutschen und dem französischen Gesetz, die für Unternehmen ab 3.000 beziehungsweise 5.000 Angestellten gelten. In Deutschland werden ab 2024 Unternehmen ab 1.000 Angestellten unter das Gesetz fallen. Auf viele andere Mitgliedstaaten hat dies kaum Auswirkungen, da die dort ansässigen Unternehmen kleiner sind.
Nach Angaben einer Quelle im Parlament soll Artikel 25 aus dem Kommissionsentwurf, der eine Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung vorsieht, beim heutigen Trilog gestrichen werden. Darüber hinaus steht auch die Definition der Sorgfaltspflichten und den Annexen, sowie die Bestimmungen zu einer möglichen Vertragsbeendigung mit den Partnern im Falle negativer Auswirkungen (Artikel 7 und 8) auf der Agenda. Auch über die Definition der Wertschöpfungskette soll gesprochen werden; von Parlamentsseite wird hier jedoch keine Einigung erwartet.
Für gleich eine ganze Reihe an Themen wird zunächst keine Lösung erwartet, einige davon werden vermutlich heute gar nicht angesprochen. Die spanische Ratspräsidentschaft will laut einem internen Kompromissvorschlag Lösungen finden, die “praxistauglich sind, Rechtssicherheit gewährleisten und keine übermäßigen Kosten für Unternehmen und Verwaltungen verursachen”.
Dazu gehört unter anderem die noch ungeklärte Frage, ob der Finanzsektor in den Anwendungsbereich einbezogen wird. Während das Parlament und die Kommission entsprechende Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute fordern, hält der Rat dagegen. Auf Druck von Frankreich hatten die Mitgliedstaaten bereits in ihrer Allgemeinen Ausrichtung eine Sonderrolle für den Finanzsektor beschlossen. Demnach sollte es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen werden, ob Finanzdienstleistungen unter das Gesetz fallen oder nicht.
Die Ratspräsidentschaft schlägt nun vor, aufgrund “des empfindlichen Gleichgewichts, das im Rat in dieser Frage erreicht wurde, und der Schwierigkeiten, einen Kompromiss mit dem Standpunkt des Parlaments zu finden”, den Finanzsektor zunächst komplett aus dem Anwendungsbereich auszuschließen und die Ausweitung auf diesen auf eine spätere Phase zu verschieben. Dafür soll dem Gesetzestext eine Überprüfungsklausel hinzugefügt werden; Rat, Parlament und Kommission sollen eine interinstitutionelle politische Erklärung vereinbaren.
Entgegen dem Standpunkt seiner Parlamentskolleginnen äußerte Axel Voss (EVP), Schattenberichterstatter für die CSDDD im EU-Parlament, im Gespräch mit Table.Media Verständnis für diese Ausnahme. “Man kann den generellen Ansatz des Lieferkettengesetzes nicht eins zu eins auf den Finanzsektor übertragen, das würde zu großer Unsicherheit führen. Deshalb bräuchte dieser Sektor eigentlich speziellere Vorschriften.”
Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum unterstützt die Einbeziehung des Sektors. Damit das private Finanzwesen den grünen Wandel in der Realwirtschaft wirksam unterstützen könne, sei eine sektorübergreifend einheitliche Regulierung entscheidend, sagte Frank Elderson, Mitglied des EZB-Direktoriums, vergangene Woche auf einer Konferenz. Den Finanzsektor in den Anwendungsbereich der CSDDD einzuschließen könne dazu beitragen, dass Banken und andere Finanzinstitute “systematisch Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Entscheidungsfindung und ihr Risikomanagement integrieren”. Darüber hinaus entstünde so mehr Sicherheit in Bezug auf die Verpflichtungen und Prozessrisiken des Sektors.
In der Zivilgesellschaft stößt die Ratsposition auf scharfe Kritik: “Banken und Investoren haben einen Freifahrtschein, um von Menschenrechts- und Umweltschäden zu profitieren“, sagte Aurélie Skrobik, Referentin für Unternehmensverantwortung bei der Menschenrechtsorganisation Global Witness. “Der Missbrauch wird Teil des Geschäftsmodells der Banken bleiben, wenn die EU sich nicht auf ein starkes Gesetz einigt, das den Finanzsektor zwingt, sauberer zu werden.”
Auch die Definition von Umweltauswirkungen im Gesetzestext bleibt ein strittiges Thema. Während das Parlament eine Orientierung an konkreten Kategorien wie Klimaauswirkungen, Biodiversität oder Luft- und Wasserverschmutzung fordert, sind die Vorschläge von Kommission und Rat hier restriktiver: Unternehmen sollen Auswirkungen nur ermitteln und gegen sie vorgehen, wenn sie gegen internationale Abkommen verstoßen. Die Ratspräsidentschaft schlägt als Kompromiss die Aufnahme weiterer Abkommen vor.
Umwelt-NGOs befürchten, dass selbst ehrgeizige Sorgfaltspflichten aus ökologischer Sicht ihre Wirkung verfehlen, wenn Rat und Kommission sich durchsetzen und die Unternehmen nur begrenzt Umweltauswirkungen feststellen müssen. Denn die internationalen Umweltabkommen seien ein sehr fragmentierter Bereich des internationalen Rechts, erklärt Ceren Yildiz vom BUND. “Viele Fragen der Umweltzerstörung bleiben vollkommen unberührt. Es gibt zum Beispiel keinen globalen Pakt über den Schutz von Wäldern; das Plastikabkommen wird derzeit erst verhandelt.”
Als Vorbild für den Ansatz von Rat und Kommission diente das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das für den Nachweis von Umweltauswirkungen auf internationale Verträge wie das Stockholmer und das Baseler Übereinkommen verweist. Klimaauswirkungen werden gar nicht genannt. Im Rat hat sich die Bundesregierung zwar dafür eingesetzt, weitere Umweltübereinkommen in die Definition aufzunehmen und diese dadurch auszuweiten – allerdings lehnt sie die sogenannten Umweltkategorien, die das EU-Parlament vorschlägt, ab, und hat sich auch gegen eine Umsetzungspflicht für die Klimapläne der Unternehmen ausgesprochen.
Die spanische Ratspräsidentschaft bietet nun allerdings ein Entgegenkommen an und schlägt eine Mittelverpflichtung vor, mit genauen Vorgaben zum Inhalt der Klimapläne sowie einer Verknüpfung mit der Vergütung des Unternehmensvorstands. Dadurch soll ein stärkerer Anreiz für die Umsetzung des Plans geschaffen werden.
Das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium haben sich währenddessen auf eine Vereinfachung beim deutschen LkSG geeinigt: Unternehmen sollen laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr Zeit für ihre Berichte erhalten. Die Berichte für 2023 und 2024 würden erst 2025 fällig und könnten dann als EU-Nachhaltigkeitsberichte vorgelegt werden. Dadurch würden Doppelungen vermieden.
Hintergrund ist der Übergang von dem deutschen Gesetz zur dann europaweit geltenden EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD). Ist die europäische Richtlinie EU-weit in Kraft, will die Bundesregierung prüfen, ob Änderungen am LkSG erforderlich sind.
Das EU-Parlament hat mit 448 Stimmen dafür, 65 dagegen und 114 Enthaltungen den Bericht für einen EU-Zertifizierungsrahmen für technologischen und natürlichen CO₂-Abbau angenommen. Der Gesetzesrahmen soll CO₂-Entnahmen zum Erreichen der Klimaziele fördern, Vertrauen bei der Industrie erhöhen und Greenwashing verhindern.
Während die EU-Kommission in ihrem Vorschlag noch allgemein von “Carbon Removals” sprach, will das Parlament eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Möglichkeiten der CO₂-Entnahmen. Direkte Emissionsreduktionen sollen gegenüber dem CO₂-Abbau Vorrang haben. Nur die dauerhafte geologische Speicherung von atmosphärischem oder biogenem CO₂ für mehrere Jahrhunderte (CCS) oder dauerhaft gebundene Kohlenstoffmineralisierung sollten als permanente CO₂-Entnahme betrachtet werden.
Kohlenstoffbindungen oder CO₂-Reduktionen im Zusammenhang mit der Umstellung der Landbewirtschaftung oder Tierfütterung, die der Atmosphäre für mindestens fünf Jahre CO₂ entziehen, gelten als Carbon Farming und somit nicht als permanent entfernte CO₂-Mengen. CO₂-Speicherung in Produkten (CCU), beispielsweise in Holz oder Baumaterialien, soll nur zertifiziert werden, wenn das CO₂ mindestens fünf Jahrzehnte lang gespeichert wird.
Die Mitgliedstaaten haben ihre Position ebenfalls bereits gefunden. Die Trilog-Verhandlungen sollen noch im November starten. luk
Vom Aufstand deutscher Bierbrauer über die Sorge eines Europaabgeordneten um Zuckertütchen bis hin zur Androhung einer neuen Französischen Revolution aus Angst um Käse – überall in Europa regt sich gerade Widerstand.
Der Grund: Die EU will Verpackungsabfälle reduzieren. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiten Kommission, Rat und Parlament an einer neuen Verordnung, die Mehrwegsysteme stärken und dafür sorgen soll, dass alle Verpackungen bis 2030 recycelbar sind. Etwa genauso lang dauert bereits der erbitterte Kampf von Industrie und Nostalgikern. Die beteiligten Europaabgeordneten sprachen von einer rekordverdächtigen Flut an Lobbyanfragen. Auch Medienberichterstattende erhielten ungewöhnlich viele Gesprächsanfragen und neue, vermeintlich bahnbrechende Studien der Einweglobby.
Bereits Ende Mai brach die Panik unter den deutschen Bierbrauern und Getränkeherstellern aus. Besorgte Verbandschefs warnten in der BILD: Es drohe die Vernichtung von “MILLIARDEN Bierflaschen”, sogar die Bierkästen müssten geschreddert werden. Die Verbände störten sich zum einen an der geplanten Deklarationspflicht, die eine dauerhaft angebrachte Kennzeichnung von Mehrwegverpackungen vorsieht. Denn auf deutschen Bierflaschen kleben seit jeher abwaschbare Etiketten. Zum anderen äußerten sie die Sorge, die geplante Begrenzung des Leerraumanteils (also der Luft in Transportverpackungen) würde auch die Bierkästen betreffen – und “den Transport und die Lagerung von Mehrwegflaschen künftig unmöglich machen”, hieß es in einem Brandbrief an die EU-Kommission.
Die EU-Kommission konnte Brauer und Bierliebhaber schnell wieder beruhigen: Natürlich wolle man nicht das deutsche Pfandsystem zerstören, für die Kästen und Etiketten seien Ausnahmen vorgesehen.
Vergangene Woche drohten dann die Franzosen mit einer Neuauflage der Revolution: Auch die traditionelle Holzschachtel des Camembert wäre durch die neuen Regeln bedroht, denn sie sei nicht recyclingfähig und entsprechende Anpassungen wären sehr kostspielig. “Wenn man Europa vor den Wahlen zur Karikatur machen will, dann fängt man an, die Camembert-Hersteller mit ihren Holzverpackungen zu nerven”, spottete die französische Europaministerin Laurence Boone. Mehrere Änderungsanträge wurden daraufhin im Parlament gestellt.
Die deutsche Schattenberichterstatterin für das Gesetz, Delara Burkhardt (SPD), gab im Hintergrundgespräch Entwarnung: Alle Produkte mit geschützten Ursprungs- und geschützten geographischen Angaben würden durch einen Delegierten Rechtsakt der Kommission ausgenommen.
Nur der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) hat noch keine Klarheit: Werden tatsächlich auch die kleinen Einwegverpackungen für Zucker, Salz und Pfeffer verboten, die zu Kaffee und Speisen in der Gastronomie gereicht werden? Liese posierte aus Protest für ein Foto mit Zuckertüten im EU-Parlament und reichte einen Änderungsantrag ein, der mindestens die Begrenzung des Verbotes auf Plastikverpackungen bewirken soll. Über diesen und rund hundert weitere Anträge stimmt das Parlament am heutigen Mittwoch ab. Leonie Düngefeld