am heutigen Donnerstag lohnt der Blick auf die Parlamente: In Brüssel stimmen die Europaabgeordneten im Plenum darüber ab, ob das Haus über Lockerungen bei der GAP im Dringlichkeitsverfahren entscheiden soll. Die eigentliche inhaltliche Abstimmung soll dann am 23. April in Straßburg folgen, in der letzten Plenarwoche vor der Wahl. Dass die Abgeordneten dem verkürzten Verfahren mehrheitlich zustimmen werden, gilt als wahrscheinlich.
Doch es gibt auch Gegenstimmen. So haben die Koordinatoren der Fraktionen im Umweltausschuss dem Vernehmen nach eine rechtliche Prüfung dazu angefordert, ob das Schnellverfahren gerechtfertigt ist. Ob das den Prozess noch ausbremst, ist allerdings fraglich. Scharfe Kritik kommt auch von den Grünen. Das Verfahren “untergräbt unsere demokratischen Prozesse“, so Bas Eickhout, Vize-Fraktionsvorsitzender, am Dienstag im Plenum. Befürworter argumentieren: Weil die Lockerungen rückwirkend ab Januar 2024 gelten sollen, sei Eile geboten.
In Berlin dürfte es hoch hergehen, wenn der Bundestag über die Ernährungsstrategie debattiert. Die Strategie birgt viel politischen Sprengstoff, obwohl sie wenig Verbindliches enthält. Trotzdem sei sie ein entscheidender erster Schritt, meint die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Renate Künast im Interview mit meiner Kollegin Merle Heusmann.
Bundeskanzler Olaf Scholz trifft derweil Vertreter der ZKL. Womit das Gremium an den Kanzler herantreten will, weiß Henrike Schirmacher.
Einige feiern das, was das Bundeskabinett im Januar verabschiedet hat, als Erfolg. Andere nennen es ambitionslos. Wo stehen Sie in der Debatte um die Ernährungsstrategie?
Es ist ein Erfolg, dass sich das drittgrößte Industrieland der Welt eine Ernährungsstrategie gibt. Es ist immerhin der erste große Schritt anzuerkennen, dass Ernährung ein zentrales soziales und gesundheitliches Thema ist. Das ist auch die Botschaft in den Bereich Ernährungsindustrie, und es wird international wahrgenommen. Ich persönlich habe nicht erwartet, dass in der Konstellation von Grünen, SPD und FDP jetzt alles vom Kopf auf die Füße gestellt wird, aber es ist Teil eines Gesamtpakets, das auf einem guten Weg ist. Wenn ich die Ernährungsstrategie allein geschrieben hätte – das gilt auch für Cem Özdemir – würde sie anders aussehen. Aber jetzt ist doch wirklich klar: Alle Ressorts sind betroffen, es ist eine Querschnittsaufgabe. Das Thema Essen, Armut und der Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit kommt auf die Agenda. Ebenso der Breitensport und die ganzen gesundheitlichen und sozioökonomischen Fragen. Ich finde, das ist schon ein großer Schritt, der jetzt eine Systematik reinbringt.
Was hätten Sie denn noch in den Text aufgenommen, wenn Sie die Ernährungsstrategie selbst hätten schreiben können?
Natürlich hätte ich – aber das ist heute nicht der entscheidende Punkt – noch viel stärker zum Beispiel das Thema Rückstände in Lebensmitteln drin gehabt und an manchen Stellen mehr Verpflichtungen. Aber insgesamt muss man doch sagen, dass wir jetzt die Chance haben, das Thema Ernährung wirklich angemessen zu bearbeiten. Die Tür ist damit aufgestoßen, und man betritt einen neuen Saal. Es gibt zum Beispiel Debatten über die Kosten bei den Krankenkassen und wie man mit Geldern effizienter umgehen kann. Der erste Aspekt mit Blick auf einen effizienten Umgang mit Krankenkassengeldern ist aber das Thema Ernährung. Die Verbindung können wir jetzt schaffen. Ziel ist es, eine gute Ernährungsumgebung zu schaffen, die viel mehr Optionen für vollwertige gesundheitliche Kost anbietet und das zum einfachsten Weg macht. Der einfachste Weg soll nicht bleiben, hochverarbeitete und überzuckerte Lebensmittel zu essen. Es ist für mich ein inakzeptabler Zustand im Land, dass die einen möglichst viele billige Rohstoffe verarbeiten und das mit vielen Werbemitteln versehen und die anderen mit elf, zwölf Jahren schon Kinderdiabetes haben.
Ein Gutachten im Auftrag der Linken im Bundestag ist vergangenes Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass einem erwachsenen Bürgergeld-Empfänger 5,73 Euro pro Tag für Essen und Getränke bleiben – zu wenig für eine gesunde Ernährung. Wie geht die Ernährungsstrategie solche Themen an?
Wir kaufen hochverarbeitete Lebensmittel, also Tiefkühlpizza oder Süßigkeiten, weil das billiger scheint. Ich denke aber, dass diese Rechnung nicht immer aufgeht, weil man davon nicht satt wird, den Zuckerspiegel rauf und runter schiebt und so den steten Bedarf hat, noch irgendwas nachzuschieben. Das ist am Ende nicht billiger, und es geht einem ja auch nicht besser damit. Da gibt es innerhalb der Ernährungsstrategie auch ein Forschungsprojekt, um das mal durchzurechnen. Aber es gibt nicht eine Maßnahme allein. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir insbesondere Kindern überhaupt eine andere Erfahrung in ihrem Alltag anbieten.
Wie kann das über die Ernährungsstrategie gelingen?
Zum Beispiel, indem wir anfangen – wie in der Ernährungsstrategie vorgesehen – die Gemeinschaftsverpflegung und die Außer-Haus-Verpflegung zu verändern. Ob das nun die Kantine beim Autohersteller ist, Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, Pflegeeinrichtungen – das alles sind Orte, die wir adressieren, wo längst Verbesserungen gewünscht und zum Teil betrieben werden. Die Ernährungsstrategie ist diesen Bereich mit Unterstützung, mit Vernetzungsstellen, mit einem Modellregionen-Wettbewerb angegangen. Manches können wir als Bund gar nicht selbst organisieren und sind darauf angewiesen, dass vor Ort Eltern ihre Unruhe auch ausdrücken, indem sie den Schulministern und Senatoren Feuer unterm Stuhl machen und fordern, dass sich in ihren Kindergärten und Schulen etwas verändert.
Wie können denn neben den Eltern, auch Länder und Kommunen befähigt werden, einen Veränderungsprozess anzustoßen? In deren Zuständigkeitsbereich fällt das Thema Gemeinschaftsverpflegung größtenteils.
Es stehen jeweils 30.000 Euro Beratungsgelder aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur Verfügung, wenn Kantinen umstellen wollen. Es gibt einzelne Bundesländer, die dabei schon relativ weit sind. Bremen war, glaube ich, das erste Bundesland, das das Kantinenessen auf Bio umgestellt hat. Aber Bio war hier gar nicht nur der Punkt der Schulen, sondern es ging ihnen auch darum, den Anteil an Gemüse und Obst zu erhöhen. Das ist natürlich eine Herausforderung, weil Köchinnen und Köche das wieder neu denken und die Menüs so planen müssen, dass es auch gegessen wird. Berlin hat die “Kantine Zukunft”, die ist dem Kopenhagener Modell des “House of Food” nachempfunden. Sie berät Mensen und Kantinen und entwickelt gemeinsam mit ihnen sogar neue Rezepte. Das gibt es jetzt auch in Brandenburg.
Soll hier also – von der Gemeinschaftsverpflegung ausgehend – ein größerer Prozess angestoßen werden?
Es gab vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung vor kurzem eine Studie, die zeigt, dass wir die Umstellung im Ernährungsbereich brauchen, also die Umstellung auf immer mehr Gemüse und Hülsenfrüchte. Das ist am Ende auch ein Beitrag, um mit Messer und Gabel Klimaschutzpolitik zu machen, und nutzt folglich uns allen. Wenn man auch nur annährend das 1,5 Grad einhalten will, wird sich auch unsere Ernährungsweise verändern müssen. Die Aufgabe ist es, das Interesse an gesunder und nachhaltiger Ernährung zu fördern und das Angebot entsprechend interessant weiterzuentwickeln.
Die Ernährungsstrategie enthält aber noch recht wenig Verbindliches, um das anzugehen. Warum eigentlich?
Jede neue Strategie beginnt mit einem ersten Schritt. Zielstellungen bleiben auch mal allgemeiner, weil für sie die Kommunen oder die Länder zuständig sind. Der erste Punkt ist, diese Dinge aufzuschreiben, miteinander zu vereinbaren und das Signal zu geben: Wir sehen uns das an, überprüfen das und setzen es um. Im Gesundheitsbereich beispielsweise gibt es eine Selbstverwaltung. Das heißt, wir können das Instrument Sozialgesetzbuch identifizieren, aber die Regierung kann die Maßnahme nicht selbst vornehmen. Also muss man auf die Akteure erstmal zugehen und miteinander reden. Für mich ist das so: Eine Entwicklung kann nur anfangen, wenn einmal die Basis aufgeschrieben ist. Und die Ernährungsstrategie ist die Basis. Wir haben damit angefangen zu identifizieren, welche Handlungsbereiche und -notwendigkeiten es gibt. Es geht darum jetzt anzuerkennen, dass das Thema Ernährung auch eine Armuts-, ein Gesundheits- und eine Umweltfrage ist. Für mich ist diese Ernährungsstrategie ein ganz wichtiges strukturelles Element. Sie ist auch ein Zeichen Richtung Brüssel und anderer Mitgliedsstaaten, wie ernst das Thema von uns genommen wird.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat bereits kritisiert, dass in der Ernährungsstrategie keine Zuckersteuer vorgesehen ist. Wie sehen Sie das, braucht Deutschland eine Zuckersteuer?
Ich habe mit Interesse gesehen, dass der Bürgerrat Ernährung, also der erste Bürgerrat, den der Deutsche Bundestag in dieser Legislatur installiert hat, das Thema auch angesprochen hat. Er hat zwar eine Zuckersteuer als individuelle Steuer abgelehnt. Beim genauen Lesen fällt aber auf, dass der Bürgerrat unter der Forderung nach einem neuen Steuerkurs für Lebensmittel, auch eine Mehrwertsteuerreform angeregt hat, die vorsieht, die Mehrwertsteuer auf Zucker hochzusetzen und bei Gemüse runterzusetzen. Der Bürgerrat sieht das als ganzheitlichen Ansatz. Ich finde es spannend, dass die Bürgerinnen und Bürger gesagt haben, die Mehrwertsteuer hat einen strukturierenden Effekt und der ist zurzeit falsch. Ich kann das nur ausdrücklich unterstützen. Ich weiß aber, dass die Mehrwertsteuerdebatte zu den kompliziertesten Aufgaben des Deutschen Bundestages gehört. Da gibt es so viele Begehrlichkeiten. Also wenn Sie da eine Reform anpacken, haben Sie sämtliche Interessenvertretungen im Nacken, weil da jeder Wünsche hat.
Nun will erst einmal der Bundestag die Ernährungsstrategie diskutieren. Was erwarten Sie von der Debatte?
Im Englischen gibt es diesen Satz “Make the healthy way the easy way”. Ich finde, das bringt es auf den Punkt. Wenn du dich in deinem Alltag bewegst, muss es so sein, dass eine gesunde Ernährung am einfachsten ist. Ich erwarte, dass wir die notwendige Strukturdebatte führen. Es kann nicht sein, dass wir uns im Alltag wehren müssen gegen alles Überzuckerte und suchen müssen nach Gemüse. Ich hoffe auf Unterstützung quer durch den Bundestag und das gesagt wird, ja, das gehen wir als Problem an. Auf alle Fälle ist der eine Punkt gemacht: Die Strategie ist durchs Kabinett.
Wie geht es dann weiter nach der Debatte im Bundestag?
In diesem Strategieplan hat sich die Bundesregierung selbst jede Menge Hausaufgaben gegeben. Niemand sagt, dass man alles sofort umsetzen kann. Aber es ist doch schonmal ein Fortschritt, dass man sich einfach mal inspiriert durch wissenschaftliche Empfehlungen und auf den Weg macht, um etwas zu versuchen und besser zu machen. Dazu müssen wir auch auf die Länder und Kommunen zugehen und sagen: Macht was! Wir unterstützen das. Die Ernährungsstrategie ist für mich eng mit den Forderungen des Bürgerrats Ernährung verbunden. Da werden wir nach einigen anstehenden Ausschussberatungen schon ein Resümee ziehen und Maßnahmen in Angriff nehmen müssen. Eigentlich ist die vom Bürgerrat vorgeschlagene Altersgrenze für Energydrinks der erste Test, von dem ich meine, dass wir ihn angehen müssen.
Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) trifft sich am Donnerstagvormittag (11. April) mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Über folgende fünf Themenfelder plant das 30-köpfige Gremium mündlich an den Kanzler zu berichten: Finanzierung von Tierwohl, Entbürokratisierung, Steuererleichterungen, alternative Treibstoffe, Gemeinsame Agrarpolitik. Zu diesen Themen sind die ZKL-Mitglieder weitgehend geeint – anders als beispielsweise im Bereich Produktionsmittel, der den Umgang mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln umfasst.
In einem Entwurf, der Table.Briefings vorliegt, fordert die ZKL unter anderem Folgendes:
Zwar sind landwirtschaftliche und gartenbauliche Betriebe selten berichtspflichtig. Aber CSRD-Regelungen, die EU-Taxonomie-Verordnung, Lieferkettensorgfaltspflichten und die Umstellung auf ein Datennetz für die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Betriebe (FSDN) führen dazu, dass Abnehmer ihrer Ware über die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsweise informiert werden wollen.
Ziel sei, dass jede Information nur einmal eingegeben werden muss. Der Bund sollte die Länder für ein gemeinsames Vorgehen gewinnen, beispielsweise über Anreize, in dem dieser einen Teil der Kosten für die Entwicklung der Datenbanken übernimmt, empfiehlt die ZKL.
In Deutschland findet aufgrund des Waldgesetzes keine Abholzung von Wäldern mit Umwandlung in Ackerland statt, hält die ZKL fest. Dennoch Nachweise von “jedem einzelnen” Produzenten zu verlangen, bezeichnet die ZKL als “bürokratischen Irrsinn”. Das Gremium schlägt stattdessen vor, die Entwaldungsfreiheit über die Fernerkundung zu ermitteln. Anschließend sollten die zuständigen Behörden den Produzenten ein digitales Zertifikat für Entwaldungsfreiheit zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung soll sich für die Anerkennung dieses Vorgehens bei der EU-Kommission einsetzen. Produzenten aus dem Globalen Süden sollten jedoch Unterstützung erhalten, um den Standard “entwaldungsfreie Lieferketten” zu erreichen und entsprechend eine Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.
Als abschreckendes Beispiel für aufwendige Datendokumentation nennt die ZKL Bauantragsverfahren. Bei aktuell zu erstellenden Betriebs- und Umbaukonzepten im Deckzentrum müssten vom Antragsteller alle bereits den Genehmigungsbehörden vorliegenden Daten und Informationen erneut eingereicht werden. Deswegen fordert die ZKL:
Ein Nachteil der Mehrwertsteuererhöhung ist, dass sich qualitativ hochwertige Produkte aus höheren Haltungsstufen absolut gesehen stärker als Billigfleisch verteuern. Deswegen hatten sich Vertreter des Öko-Landbaus in der Vergangenheit immer gegen diese Form der Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung ausgesprochen. Nun haben diese eingelenkt. Aber nur unter folgender Prämisse: Dieser Nachteil müsse bei der Berechnung der Höhe der Tierwohlprämien ausgeglichen werden. Andernfalls würden ambitionierte Haltungsformen benachteiligt, was dem Ziel einer Tierwohlerhöhung zuwiderliefe, hält die ZKL fest.
Als Grund für die Einigung auf eine höhere Mehrwertsteuer nennt die ZKL einen deutlich geringeren administrativen Aufwand, als er durch die Einführung einer neuen Verbrauchssteuer, wie es das Bundeslandwirtschaftsministerium zurzeit plant, entstünde. Die Umsetzung wäre einfach, weil kein neues Politikinstrument geschaffen, sondern lediglich ein Steuersatz einer bestehenden Steuer angepasst werden muss.
Zwar hält die ZKL weiterhin an folgendem Grundsatz fest, der bereits im Abschlussbericht von Sommer 2021 steht:
Aber Dissens zwischen Vertretern von Umwelt- und Bauernverbänden herrscht trotzdem in einem Punkt, der die Umsetzung verzögern dürfte. Umweltschützer möchten einen größeren Teil der Flächenprämien am liebsten sofort zur Finanzierung zusätzlicher Öko-Regelungen verwenden. Bauernvertretern stößt das sauer auf.
Ende April plant die ZKL sich erneut zu treffen. Zum einen, um final über die vorläufig geeinten Punkte abzustimmen und zum anderen, um sich bei strittigen Punkten, wie dem Umgang mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln, gemeinsam zu positionieren. has
am heutigen Donnerstag lohnt der Blick auf die Parlamente: In Brüssel stimmen die Europaabgeordneten im Plenum darüber ab, ob das Haus über Lockerungen bei der GAP im Dringlichkeitsverfahren entscheiden soll. Die eigentliche inhaltliche Abstimmung soll dann am 23. April in Straßburg folgen, in der letzten Plenarwoche vor der Wahl. Dass die Abgeordneten dem verkürzten Verfahren mehrheitlich zustimmen werden, gilt als wahrscheinlich.
Doch es gibt auch Gegenstimmen. So haben die Koordinatoren der Fraktionen im Umweltausschuss dem Vernehmen nach eine rechtliche Prüfung dazu angefordert, ob das Schnellverfahren gerechtfertigt ist. Ob das den Prozess noch ausbremst, ist allerdings fraglich. Scharfe Kritik kommt auch von den Grünen. Das Verfahren “untergräbt unsere demokratischen Prozesse“, so Bas Eickhout, Vize-Fraktionsvorsitzender, am Dienstag im Plenum. Befürworter argumentieren: Weil die Lockerungen rückwirkend ab Januar 2024 gelten sollen, sei Eile geboten.
In Berlin dürfte es hoch hergehen, wenn der Bundestag über die Ernährungsstrategie debattiert. Die Strategie birgt viel politischen Sprengstoff, obwohl sie wenig Verbindliches enthält. Trotzdem sei sie ein entscheidender erster Schritt, meint die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Renate Künast im Interview mit meiner Kollegin Merle Heusmann.
Bundeskanzler Olaf Scholz trifft derweil Vertreter der ZKL. Womit das Gremium an den Kanzler herantreten will, weiß Henrike Schirmacher.
Einige feiern das, was das Bundeskabinett im Januar verabschiedet hat, als Erfolg. Andere nennen es ambitionslos. Wo stehen Sie in der Debatte um die Ernährungsstrategie?
Es ist ein Erfolg, dass sich das drittgrößte Industrieland der Welt eine Ernährungsstrategie gibt. Es ist immerhin der erste große Schritt anzuerkennen, dass Ernährung ein zentrales soziales und gesundheitliches Thema ist. Das ist auch die Botschaft in den Bereich Ernährungsindustrie, und es wird international wahrgenommen. Ich persönlich habe nicht erwartet, dass in der Konstellation von Grünen, SPD und FDP jetzt alles vom Kopf auf die Füße gestellt wird, aber es ist Teil eines Gesamtpakets, das auf einem guten Weg ist. Wenn ich die Ernährungsstrategie allein geschrieben hätte – das gilt auch für Cem Özdemir – würde sie anders aussehen. Aber jetzt ist doch wirklich klar: Alle Ressorts sind betroffen, es ist eine Querschnittsaufgabe. Das Thema Essen, Armut und der Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit kommt auf die Agenda. Ebenso der Breitensport und die ganzen gesundheitlichen und sozioökonomischen Fragen. Ich finde, das ist schon ein großer Schritt, der jetzt eine Systematik reinbringt.
Was hätten Sie denn noch in den Text aufgenommen, wenn Sie die Ernährungsstrategie selbst hätten schreiben können?
Natürlich hätte ich – aber das ist heute nicht der entscheidende Punkt – noch viel stärker zum Beispiel das Thema Rückstände in Lebensmitteln drin gehabt und an manchen Stellen mehr Verpflichtungen. Aber insgesamt muss man doch sagen, dass wir jetzt die Chance haben, das Thema Ernährung wirklich angemessen zu bearbeiten. Die Tür ist damit aufgestoßen, und man betritt einen neuen Saal. Es gibt zum Beispiel Debatten über die Kosten bei den Krankenkassen und wie man mit Geldern effizienter umgehen kann. Der erste Aspekt mit Blick auf einen effizienten Umgang mit Krankenkassengeldern ist aber das Thema Ernährung. Die Verbindung können wir jetzt schaffen. Ziel ist es, eine gute Ernährungsumgebung zu schaffen, die viel mehr Optionen für vollwertige gesundheitliche Kost anbietet und das zum einfachsten Weg macht. Der einfachste Weg soll nicht bleiben, hochverarbeitete und überzuckerte Lebensmittel zu essen. Es ist für mich ein inakzeptabler Zustand im Land, dass die einen möglichst viele billige Rohstoffe verarbeiten und das mit vielen Werbemitteln versehen und die anderen mit elf, zwölf Jahren schon Kinderdiabetes haben.
Ein Gutachten im Auftrag der Linken im Bundestag ist vergangenes Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass einem erwachsenen Bürgergeld-Empfänger 5,73 Euro pro Tag für Essen und Getränke bleiben – zu wenig für eine gesunde Ernährung. Wie geht die Ernährungsstrategie solche Themen an?
Wir kaufen hochverarbeitete Lebensmittel, also Tiefkühlpizza oder Süßigkeiten, weil das billiger scheint. Ich denke aber, dass diese Rechnung nicht immer aufgeht, weil man davon nicht satt wird, den Zuckerspiegel rauf und runter schiebt und so den steten Bedarf hat, noch irgendwas nachzuschieben. Das ist am Ende nicht billiger, und es geht einem ja auch nicht besser damit. Da gibt es innerhalb der Ernährungsstrategie auch ein Forschungsprojekt, um das mal durchzurechnen. Aber es gibt nicht eine Maßnahme allein. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir insbesondere Kindern überhaupt eine andere Erfahrung in ihrem Alltag anbieten.
Wie kann das über die Ernährungsstrategie gelingen?
Zum Beispiel, indem wir anfangen – wie in der Ernährungsstrategie vorgesehen – die Gemeinschaftsverpflegung und die Außer-Haus-Verpflegung zu verändern. Ob das nun die Kantine beim Autohersteller ist, Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, Pflegeeinrichtungen – das alles sind Orte, die wir adressieren, wo längst Verbesserungen gewünscht und zum Teil betrieben werden. Die Ernährungsstrategie ist diesen Bereich mit Unterstützung, mit Vernetzungsstellen, mit einem Modellregionen-Wettbewerb angegangen. Manches können wir als Bund gar nicht selbst organisieren und sind darauf angewiesen, dass vor Ort Eltern ihre Unruhe auch ausdrücken, indem sie den Schulministern und Senatoren Feuer unterm Stuhl machen und fordern, dass sich in ihren Kindergärten und Schulen etwas verändert.
Wie können denn neben den Eltern, auch Länder und Kommunen befähigt werden, einen Veränderungsprozess anzustoßen? In deren Zuständigkeitsbereich fällt das Thema Gemeinschaftsverpflegung größtenteils.
Es stehen jeweils 30.000 Euro Beratungsgelder aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur Verfügung, wenn Kantinen umstellen wollen. Es gibt einzelne Bundesländer, die dabei schon relativ weit sind. Bremen war, glaube ich, das erste Bundesland, das das Kantinenessen auf Bio umgestellt hat. Aber Bio war hier gar nicht nur der Punkt der Schulen, sondern es ging ihnen auch darum, den Anteil an Gemüse und Obst zu erhöhen. Das ist natürlich eine Herausforderung, weil Köchinnen und Köche das wieder neu denken und die Menüs so planen müssen, dass es auch gegessen wird. Berlin hat die “Kantine Zukunft”, die ist dem Kopenhagener Modell des “House of Food” nachempfunden. Sie berät Mensen und Kantinen und entwickelt gemeinsam mit ihnen sogar neue Rezepte. Das gibt es jetzt auch in Brandenburg.
Soll hier also – von der Gemeinschaftsverpflegung ausgehend – ein größerer Prozess angestoßen werden?
Es gab vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung vor kurzem eine Studie, die zeigt, dass wir die Umstellung im Ernährungsbereich brauchen, also die Umstellung auf immer mehr Gemüse und Hülsenfrüchte. Das ist am Ende auch ein Beitrag, um mit Messer und Gabel Klimaschutzpolitik zu machen, und nutzt folglich uns allen. Wenn man auch nur annährend das 1,5 Grad einhalten will, wird sich auch unsere Ernährungsweise verändern müssen. Die Aufgabe ist es, das Interesse an gesunder und nachhaltiger Ernährung zu fördern und das Angebot entsprechend interessant weiterzuentwickeln.
Die Ernährungsstrategie enthält aber noch recht wenig Verbindliches, um das anzugehen. Warum eigentlich?
Jede neue Strategie beginnt mit einem ersten Schritt. Zielstellungen bleiben auch mal allgemeiner, weil für sie die Kommunen oder die Länder zuständig sind. Der erste Punkt ist, diese Dinge aufzuschreiben, miteinander zu vereinbaren und das Signal zu geben: Wir sehen uns das an, überprüfen das und setzen es um. Im Gesundheitsbereich beispielsweise gibt es eine Selbstverwaltung. Das heißt, wir können das Instrument Sozialgesetzbuch identifizieren, aber die Regierung kann die Maßnahme nicht selbst vornehmen. Also muss man auf die Akteure erstmal zugehen und miteinander reden. Für mich ist das so: Eine Entwicklung kann nur anfangen, wenn einmal die Basis aufgeschrieben ist. Und die Ernährungsstrategie ist die Basis. Wir haben damit angefangen zu identifizieren, welche Handlungsbereiche und -notwendigkeiten es gibt. Es geht darum jetzt anzuerkennen, dass das Thema Ernährung auch eine Armuts-, ein Gesundheits- und eine Umweltfrage ist. Für mich ist diese Ernährungsstrategie ein ganz wichtiges strukturelles Element. Sie ist auch ein Zeichen Richtung Brüssel und anderer Mitgliedsstaaten, wie ernst das Thema von uns genommen wird.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat bereits kritisiert, dass in der Ernährungsstrategie keine Zuckersteuer vorgesehen ist. Wie sehen Sie das, braucht Deutschland eine Zuckersteuer?
Ich habe mit Interesse gesehen, dass der Bürgerrat Ernährung, also der erste Bürgerrat, den der Deutsche Bundestag in dieser Legislatur installiert hat, das Thema auch angesprochen hat. Er hat zwar eine Zuckersteuer als individuelle Steuer abgelehnt. Beim genauen Lesen fällt aber auf, dass der Bürgerrat unter der Forderung nach einem neuen Steuerkurs für Lebensmittel, auch eine Mehrwertsteuerreform angeregt hat, die vorsieht, die Mehrwertsteuer auf Zucker hochzusetzen und bei Gemüse runterzusetzen. Der Bürgerrat sieht das als ganzheitlichen Ansatz. Ich finde es spannend, dass die Bürgerinnen und Bürger gesagt haben, die Mehrwertsteuer hat einen strukturierenden Effekt und der ist zurzeit falsch. Ich kann das nur ausdrücklich unterstützen. Ich weiß aber, dass die Mehrwertsteuerdebatte zu den kompliziertesten Aufgaben des Deutschen Bundestages gehört. Da gibt es so viele Begehrlichkeiten. Also wenn Sie da eine Reform anpacken, haben Sie sämtliche Interessenvertretungen im Nacken, weil da jeder Wünsche hat.
Nun will erst einmal der Bundestag die Ernährungsstrategie diskutieren. Was erwarten Sie von der Debatte?
Im Englischen gibt es diesen Satz “Make the healthy way the easy way”. Ich finde, das bringt es auf den Punkt. Wenn du dich in deinem Alltag bewegst, muss es so sein, dass eine gesunde Ernährung am einfachsten ist. Ich erwarte, dass wir die notwendige Strukturdebatte führen. Es kann nicht sein, dass wir uns im Alltag wehren müssen gegen alles Überzuckerte und suchen müssen nach Gemüse. Ich hoffe auf Unterstützung quer durch den Bundestag und das gesagt wird, ja, das gehen wir als Problem an. Auf alle Fälle ist der eine Punkt gemacht: Die Strategie ist durchs Kabinett.
Wie geht es dann weiter nach der Debatte im Bundestag?
In diesem Strategieplan hat sich die Bundesregierung selbst jede Menge Hausaufgaben gegeben. Niemand sagt, dass man alles sofort umsetzen kann. Aber es ist doch schonmal ein Fortschritt, dass man sich einfach mal inspiriert durch wissenschaftliche Empfehlungen und auf den Weg macht, um etwas zu versuchen und besser zu machen. Dazu müssen wir auch auf die Länder und Kommunen zugehen und sagen: Macht was! Wir unterstützen das. Die Ernährungsstrategie ist für mich eng mit den Forderungen des Bürgerrats Ernährung verbunden. Da werden wir nach einigen anstehenden Ausschussberatungen schon ein Resümee ziehen und Maßnahmen in Angriff nehmen müssen. Eigentlich ist die vom Bürgerrat vorgeschlagene Altersgrenze für Energydrinks der erste Test, von dem ich meine, dass wir ihn angehen müssen.
Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) trifft sich am Donnerstagvormittag (11. April) mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Über folgende fünf Themenfelder plant das 30-köpfige Gremium mündlich an den Kanzler zu berichten: Finanzierung von Tierwohl, Entbürokratisierung, Steuererleichterungen, alternative Treibstoffe, Gemeinsame Agrarpolitik. Zu diesen Themen sind die ZKL-Mitglieder weitgehend geeint – anders als beispielsweise im Bereich Produktionsmittel, der den Umgang mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln umfasst.
In einem Entwurf, der Table.Briefings vorliegt, fordert die ZKL unter anderem Folgendes:
Zwar sind landwirtschaftliche und gartenbauliche Betriebe selten berichtspflichtig. Aber CSRD-Regelungen, die EU-Taxonomie-Verordnung, Lieferkettensorgfaltspflichten und die Umstellung auf ein Datennetz für die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Betriebe (FSDN) führen dazu, dass Abnehmer ihrer Ware über die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsweise informiert werden wollen.
Ziel sei, dass jede Information nur einmal eingegeben werden muss. Der Bund sollte die Länder für ein gemeinsames Vorgehen gewinnen, beispielsweise über Anreize, in dem dieser einen Teil der Kosten für die Entwicklung der Datenbanken übernimmt, empfiehlt die ZKL.
In Deutschland findet aufgrund des Waldgesetzes keine Abholzung von Wäldern mit Umwandlung in Ackerland statt, hält die ZKL fest. Dennoch Nachweise von “jedem einzelnen” Produzenten zu verlangen, bezeichnet die ZKL als “bürokratischen Irrsinn”. Das Gremium schlägt stattdessen vor, die Entwaldungsfreiheit über die Fernerkundung zu ermitteln. Anschließend sollten die zuständigen Behörden den Produzenten ein digitales Zertifikat für Entwaldungsfreiheit zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung soll sich für die Anerkennung dieses Vorgehens bei der EU-Kommission einsetzen. Produzenten aus dem Globalen Süden sollten jedoch Unterstützung erhalten, um den Standard “entwaldungsfreie Lieferketten” zu erreichen und entsprechend eine Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.
Als abschreckendes Beispiel für aufwendige Datendokumentation nennt die ZKL Bauantragsverfahren. Bei aktuell zu erstellenden Betriebs- und Umbaukonzepten im Deckzentrum müssten vom Antragsteller alle bereits den Genehmigungsbehörden vorliegenden Daten und Informationen erneut eingereicht werden. Deswegen fordert die ZKL:
Ein Nachteil der Mehrwertsteuererhöhung ist, dass sich qualitativ hochwertige Produkte aus höheren Haltungsstufen absolut gesehen stärker als Billigfleisch verteuern. Deswegen hatten sich Vertreter des Öko-Landbaus in der Vergangenheit immer gegen diese Form der Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung ausgesprochen. Nun haben diese eingelenkt. Aber nur unter folgender Prämisse: Dieser Nachteil müsse bei der Berechnung der Höhe der Tierwohlprämien ausgeglichen werden. Andernfalls würden ambitionierte Haltungsformen benachteiligt, was dem Ziel einer Tierwohlerhöhung zuwiderliefe, hält die ZKL fest.
Als Grund für die Einigung auf eine höhere Mehrwertsteuer nennt die ZKL einen deutlich geringeren administrativen Aufwand, als er durch die Einführung einer neuen Verbrauchssteuer, wie es das Bundeslandwirtschaftsministerium zurzeit plant, entstünde. Die Umsetzung wäre einfach, weil kein neues Politikinstrument geschaffen, sondern lediglich ein Steuersatz einer bestehenden Steuer angepasst werden muss.
Zwar hält die ZKL weiterhin an folgendem Grundsatz fest, der bereits im Abschlussbericht von Sommer 2021 steht:
Aber Dissens zwischen Vertretern von Umwelt- und Bauernverbänden herrscht trotzdem in einem Punkt, der die Umsetzung verzögern dürfte. Umweltschützer möchten einen größeren Teil der Flächenprämien am liebsten sofort zur Finanzierung zusätzlicher Öko-Regelungen verwenden. Bauernvertretern stößt das sauer auf.
Ende April plant die ZKL sich erneut zu treffen. Zum einen, um final über die vorläufig geeinten Punkte abzustimmen und zum anderen, um sich bei strittigen Punkten, wie dem Umgang mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln, gemeinsam zu positionieren. has