Table.Briefing: Agrifood

Table.Special: Glyphosat: Özdemir sucht Spielraum für Reduktion

Liebe Leserin, lieber Leser,

an den Erwartungen aus der Zivilgesellschaft, Glyphosat in Deutschland schnellstmöglich ein Ende zu bereiten, kann Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nach der Entscheidung der Brüsseler Behörde nur scheitern. Trotzdem hält er diese Fahne mit Verweis auf seine Vertragstreue am Donnerstagvormittag in der Bundespressekonferenz hoch. Ernstzunehmen ist das nicht. Denn seinen Handlungsmöglichkeiten sind bekanntlich Grenzen gesetzt.

Interessanter ist der Perspektivwechsel, den er im Laufe des Pressegesprächs vorschlägt. “Wenn man jetzt mal für eine Sekunde aus meiner Rolle herausschlüpft, als jemand, der eine Position hat zu Glyphosat, der sagt, Glyphosat gehört vom Markt. Ich sage das jetzt in Richtung der Befürworter von Glyphosat.” Und weiter: “Hätten die Befürworter früher gesagt, Glyphosat hat in privaten Händen nichts verloren. Glyphosat ausschließlich dort, in Steillagen, wo es – so wird zumindest gesagt -, keine Alternative gebe. Dann hätten wir heute vielleicht auch eine andere Diskussion. Das sollten auch mal die Befürworter von Glyphosat zum Anlass nehmen, dass die Kritik von der Umweltseite, einfach pauschal abzutun, auch ihrem Anliegen nicht nutzt.

Unterm Strich lässt sich das so interpretieren: Ihr seid selbst schuld, wenn jetzt über Verbote diskutiert wird. Nun haben die Ampelkoalitionäre aber noch einmal Gelegenheit, einen Kompromiss im Rahmen der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung auszuhandeln.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

News

EU-Kommission lässt Glyphosat für weitere zehn Jahre zu

Bundesagrarminister Cem Özdemir

Die Brüsseler Behörde reagierte am Donnerstag ohne zu zögern. Nachdem es im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten für eine erneute Zulassung des umstrittenen Herbizids gegeben hat, verkündete die EU-Kommission ihre Entscheidung, den Wirkstoff Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen. In Deutschland müssen Pflanzenschutzprodukte mit dem Wirkstoff Glyphosat nun analog zur Brüsseler Rechtsprechung erneut von den Behörden zugelassen werden. Bundesagrarminister Cem Özdemir sagte, er wolle nun genau prüfen, welche “nationalen Handlungsmöglichkeiten wir haben, um den Koalitionsvertrag so weit wie möglich umzusetzen.” Der Ressortchef bezieht sich auf den Passus, dass Glyphosat bis Ende 2023 vom deutschen Markt genommen werden soll.

Fakt ist aber: Entsprechend der Brüsseler Rechtsprechung muss sein Ressort die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ändern, damit Glyphosat in der Landwirtschaft weiterhin angewendet werden kann. Aktuell sieht die Verordnung ein Glyphosatverbot ab 2024 vor. Dieses unter der Großen Koalition verabschiedete Verbot ist nach der Brüsseler Entscheidung allerdings mit EU-Recht kaum vereinbar und daher anfechtbar. Im EU-Mitgliedstaat Luxemburg wurde ein Anwendungsverbot von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Frühjahr gekippt.

Özdemir muss sich mit SPD-geführten Ressorts einigen

Inwiefern die Anwendung von Glyphosat in Deutschland eingeschränkt wird, darüber muss sich das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) analog zu einer Vorgabe in der Verordnung jetzt mit vier weiteren Ministerien abstimmen. Dazu zählen das von den Grünen geführte BMWK und BMUV, sowie das von der SPD geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für Gesundheit.

Der SPD könnte hier eine vermittelnde Rolle zwischen Grünen und FDP zukommen, ist aus Regierungskreisen zu hören. SPD-Agrarpolitikerin Franziska Kersten bestätigte, dass eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln auf das “notwendige Minimum” gewünscht sei. Die Entscheidung der EU-Kommission verteidigte sie: “Bei Glyphosat handelt es sich um den weltweit am umfassendsten bewerteten Stoff.”

Brüsseler Vorgaben zur Einschränkung sind rechtlich unverbindlich

Eine zügige Einigung vor Jahresende ist nötig, um mit einer geänderten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung Rechtssicherheit für die Landwirtschaft zu schaffen. Nach außen hin gibt sich das BMEL auf Nachfrage von Table.Media zwar zurückhaltend und will sich sowohl zum weiteren Zeitplan und Verfahren nicht äußern. Aber hinter den Kulissen wird längst darüber diskutiert, wie man die rechtlich unverbindlichen Vorgaben aus Brüssel zur Einschränkung von Glyphosat rechtssicher für Deutschland einführen kann.

Die erneute Zulassung des umstrittenen Wirkstoffs hat die Brüsseler Behörde an folgende Einschränkungen geknüpft:

  • Es werden Höchstwerte für fünf toxikologisch relevante Verunreinigungen im Glyphosat nach Herstellung vorgeschlagen.
  • Die Mitgliedstaaten müssen einen besonderen Fokus auf unerwünschte Wirkungen der Beimischungen des Pflanzenschutzmittels legen.
  • Sie müssen klären, wie hoch die Belastung für Verbraucherinnen und Verbraucher durch Glyphosat-Rückstände sein könnte, die auch in Folgekulturen zu finden sein könnten.
  • Ein Augenmerk sollte außerdem auf den Schutz des Grundwassers und von kleinen pflanzenfressenden Säugetieren gelegt werden.
  • Der Schutz von Land- und Wasserpflanzen, die durch die sogenannte Sprühdrift bei der Ausbringung von Glyphosat mit diesem in Kontakt kommen könnten, soll gewährleistet sein.
  • Es sollen indirekte Effekte auf die Artenvielfalt durch Wechselwirkungen im Nahrungsnetz berücksichtigt und gegebenenfalls durch lokale Regulationen vermieden werden.
  • Die sogenannte Sikkation – die Behandlung unmittelbar vor der Ernte für eine schnellere Reife, die in Deutschland bereits nur noch in Ausnahmefällen erlaubt ist – soll gänzlich untersagt werden.
  • Des Weiteren soll ein mindestens fünf bis zehn Meter breiter, nicht besprühter Pufferstreifen am Feldrand gelassen werden.

Die Vorgaben der Brüsseler Behörde, ausgenommen das Sikkationsverbot, sind rechtlich unverbindlich. has

  • Agrarpolitik
  • Europäische Kommission
  • Franziska Kersten
  • Glyphosat

Agrifood.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    an den Erwartungen aus der Zivilgesellschaft, Glyphosat in Deutschland schnellstmöglich ein Ende zu bereiten, kann Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nach der Entscheidung der Brüsseler Behörde nur scheitern. Trotzdem hält er diese Fahne mit Verweis auf seine Vertragstreue am Donnerstagvormittag in der Bundespressekonferenz hoch. Ernstzunehmen ist das nicht. Denn seinen Handlungsmöglichkeiten sind bekanntlich Grenzen gesetzt.

    Interessanter ist der Perspektivwechsel, den er im Laufe des Pressegesprächs vorschlägt. “Wenn man jetzt mal für eine Sekunde aus meiner Rolle herausschlüpft, als jemand, der eine Position hat zu Glyphosat, der sagt, Glyphosat gehört vom Markt. Ich sage das jetzt in Richtung der Befürworter von Glyphosat.” Und weiter: “Hätten die Befürworter früher gesagt, Glyphosat hat in privaten Händen nichts verloren. Glyphosat ausschließlich dort, in Steillagen, wo es – so wird zumindest gesagt -, keine Alternative gebe. Dann hätten wir heute vielleicht auch eine andere Diskussion. Das sollten auch mal die Befürworter von Glyphosat zum Anlass nehmen, dass die Kritik von der Umweltseite, einfach pauschal abzutun, auch ihrem Anliegen nicht nutzt.

    Unterm Strich lässt sich das so interpretieren: Ihr seid selbst schuld, wenn jetzt über Verbote diskutiert wird. Nun haben die Ampelkoalitionäre aber noch einmal Gelegenheit, einen Kompromiss im Rahmen der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung auszuhandeln.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

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    EU-Kommission lässt Glyphosat für weitere zehn Jahre zu

    Bundesagrarminister Cem Özdemir

    Die Brüsseler Behörde reagierte am Donnerstag ohne zu zögern. Nachdem es im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten für eine erneute Zulassung des umstrittenen Herbizids gegeben hat, verkündete die EU-Kommission ihre Entscheidung, den Wirkstoff Glyphosat für weitere zehn Jahre zu genehmigen. In Deutschland müssen Pflanzenschutzprodukte mit dem Wirkstoff Glyphosat nun analog zur Brüsseler Rechtsprechung erneut von den Behörden zugelassen werden. Bundesagrarminister Cem Özdemir sagte, er wolle nun genau prüfen, welche “nationalen Handlungsmöglichkeiten wir haben, um den Koalitionsvertrag so weit wie möglich umzusetzen.” Der Ressortchef bezieht sich auf den Passus, dass Glyphosat bis Ende 2023 vom deutschen Markt genommen werden soll.

    Fakt ist aber: Entsprechend der Brüsseler Rechtsprechung muss sein Ressort die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ändern, damit Glyphosat in der Landwirtschaft weiterhin angewendet werden kann. Aktuell sieht die Verordnung ein Glyphosatverbot ab 2024 vor. Dieses unter der Großen Koalition verabschiedete Verbot ist nach der Brüsseler Entscheidung allerdings mit EU-Recht kaum vereinbar und daher anfechtbar. Im EU-Mitgliedstaat Luxemburg wurde ein Anwendungsverbot von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Frühjahr gekippt.

    Özdemir muss sich mit SPD-geführten Ressorts einigen

    Inwiefern die Anwendung von Glyphosat in Deutschland eingeschränkt wird, darüber muss sich das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) analog zu einer Vorgabe in der Verordnung jetzt mit vier weiteren Ministerien abstimmen. Dazu zählen das von den Grünen geführte BMWK und BMUV, sowie das von der SPD geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für Gesundheit.

    Der SPD könnte hier eine vermittelnde Rolle zwischen Grünen und FDP zukommen, ist aus Regierungskreisen zu hören. SPD-Agrarpolitikerin Franziska Kersten bestätigte, dass eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln auf das “notwendige Minimum” gewünscht sei. Die Entscheidung der EU-Kommission verteidigte sie: “Bei Glyphosat handelt es sich um den weltweit am umfassendsten bewerteten Stoff.”

    Brüsseler Vorgaben zur Einschränkung sind rechtlich unverbindlich

    Eine zügige Einigung vor Jahresende ist nötig, um mit einer geänderten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung Rechtssicherheit für die Landwirtschaft zu schaffen. Nach außen hin gibt sich das BMEL auf Nachfrage von Table.Media zwar zurückhaltend und will sich sowohl zum weiteren Zeitplan und Verfahren nicht äußern. Aber hinter den Kulissen wird längst darüber diskutiert, wie man die rechtlich unverbindlichen Vorgaben aus Brüssel zur Einschränkung von Glyphosat rechtssicher für Deutschland einführen kann.

    Die erneute Zulassung des umstrittenen Wirkstoffs hat die Brüsseler Behörde an folgende Einschränkungen geknüpft:

    • Es werden Höchstwerte für fünf toxikologisch relevante Verunreinigungen im Glyphosat nach Herstellung vorgeschlagen.
    • Die Mitgliedstaaten müssen einen besonderen Fokus auf unerwünschte Wirkungen der Beimischungen des Pflanzenschutzmittels legen.
    • Sie müssen klären, wie hoch die Belastung für Verbraucherinnen und Verbraucher durch Glyphosat-Rückstände sein könnte, die auch in Folgekulturen zu finden sein könnten.
    • Ein Augenmerk sollte außerdem auf den Schutz des Grundwassers und von kleinen pflanzenfressenden Säugetieren gelegt werden.
    • Der Schutz von Land- und Wasserpflanzen, die durch die sogenannte Sprühdrift bei der Ausbringung von Glyphosat mit diesem in Kontakt kommen könnten, soll gewährleistet sein.
    • Es sollen indirekte Effekte auf die Artenvielfalt durch Wechselwirkungen im Nahrungsnetz berücksichtigt und gegebenenfalls durch lokale Regulationen vermieden werden.
    • Die sogenannte Sikkation – die Behandlung unmittelbar vor der Ernte für eine schnellere Reife, die in Deutschland bereits nur noch in Ausnahmefällen erlaubt ist – soll gänzlich untersagt werden.
    • Des Weiteren soll ein mindestens fünf bis zehn Meter breiter, nicht besprühter Pufferstreifen am Feldrand gelassen werden.

    Die Vorgaben der Brüsseler Behörde, ausgenommen das Sikkationsverbot, sind rechtlich unverbindlich. has

    • Agrarpolitik
    • Europäische Kommission
    • Franziska Kersten
    • Glyphosat

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