Liebe Leserin, lieber Leser,
am Freitag stimmen die EU-Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) über den Vorschlag der EU-Kommission für eine erneute Zulassung des umstrittenen Herbizids Glyphosat für weitere zehn Jahre ab. Schon am heutigen Donnerstag soll es im Ausschuss eine Vorabstimmung geben, sodass weitere Verhandlungen auf den Weg gebracht werden können.
Wahrscheinlich ist allerdings, dass es keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Vorschlag der Brüsseler Behörde geben wird. Folglich müsste die EU-Kommission in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss, dem sogenannten Appeal Committee, abstimmen lassen. Scheitert der Vorschlag der EU-Kommission auch dort an einer Mehrheit dafür oder dagegen, kann die Kommission über eine erneute Zulassung ohne die Zustimmung des SCoPAFF verfügen.
Kurz vor der Abstimmung im SCoPAFF lohnt sich deshalb ein Blick nach Paris und Berlin. Die Ampelkoalition hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, “Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen”. Das Bundeslandwirtschaftsministerium bekräftigte am Mittwoch noch einmal, “Deutschland wird einer Verlängerung der Genehmigung von Glyphosat nicht zustimmen”. Ob die Bundesregierung überhaupt Stellung bezieht, ist offen, weil sich die FDP öffentlich für eine erneute Zulassung des Wirkstoffs ausspricht. Gibt es keine Einigung innerhalb der Ampel, müsste sich Deutschland enthalten.
Auch in Frankreich deutet vieles auf eine Enthaltung hin. Zwar gilt der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau als “glyphosatfreundlich”. Aber innenpolitisch ist die französische Regierung unter Druck geraten: In dieser Woche wurde bekannt, dass eine französische Familie, deren Sohn mit einer Missbildung zur Welt kam, finanziell vom Fonds d’indemnisation des victimes de pesticides (FIVP) entschädigt wird.
Aktuell gilt als wahrscheinlich, dass Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande und Bulgarien dem aktuellen Vorschlag der Kommission nicht zustimmen oder sich enthalten. Sollte auch Frankreich sich der Stimme enthalten, wird es keine qualifizierte Mehrheit für den Kommissionsvorschlag geben.
News
Foodwatch setzt Supermärkte unter Druck
Die Verbraucherschützer fordern Supermarktketten in Deutschland und weiteren EU-Mitgliedstaaten dazu auf, ihr Sortiment an Brot und anderen Getreideprodukten auf eine “pestizidfreie Produktion” umzustellen. Rückenwind erhofft sich die Organisation durch einen am Dienstag veröffentlichten Foodwatch-Bericht und eine Online-Petition. Nach eigenen Angaben haben sie für ihren Bericht Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) analysiert. Ergebnis: Rund ein Drittel der Getreideprodukte in Europa seien mit Rückständen von Pflanzenschutzmitteln “belastet”. Die gesetzlich festgesetzten Höchstgehalte, also die maximal zulässige Wirkstoffkonzentration, bis zu der eine Gesundheitsgefährdung unwahrscheinlich ist, wurden allerdings in weniger als 1 Prozent der Lebensmittel-Proben überschritten.
Dennoch schlussfolgert die NGO: Die “schiere Zahl verschiedener Pestizide (Pestizid-Cocktail)” in den Produkten berge ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher. Anders wird das vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eingeordnet: “Enthielten Proben mehrere Wirkstoffe in annähernd gleichen Konzentrationen, führt die gemeinsame Bewertung dieser Stoffe in der Regel zu keinem grundlegend anderen Ergebnis als die Einzelstoffbewertung“, teilt das BfR hierzu mit.
NGO wirft LEH Doppelbödigkeit vor
Ein kluger Schachzug von Foodwatch, den Hebel für die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln beim marktmächtigen Lebensmitteleinzelhandel anzusetzen, anstatt die Landwirtschaft an den Pranger zu stellen. Durch den Verkauf von Getreideprodukten, die ohne Pflanzenschutzmittel (PSM) erzeugt wurden, könne der PSM-Einsatz in Deutschland “auf einen Schlag” halbiert werden, so die Verbraucherschützer. Auf Weizen und Gerste entfielen 45 Prozent des PSM-Einsatzes in Deutschland und mehr als 60 Prozent der bundesweit gespritzten Fläche. Rewe, Aldi & Co. wirft Foodwatch Doppelbödigkeit vor. Einerseits propagierten diese in ihren Marketingkampagnen Umweltschutz, verschwiegen andererseits aber den Einsatz von “gefährlichen” Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat bei der Herstellung von Brot, Haferflocken und anderen Getreideprodukten – “mit gravierenden Folgen für die Artenvielfalt”.
Schweizer Supermarktkette Migros erhält Lob
Supermarktketten hätten das Problem der bedrohten Artenvielfalt zwar erkannt und entsprechende Programme für eine nachhaltige Obst- und Gemüseproduktion gestartet. “Lidl-Lebensräume” etwa soll “Menschen für die bedrohte Artenvielfalt sensibilisieren und einen Beitrag für den Schutz der Wildbiene und anderer Nützlinge leisten”. Rewe kooperiere mit Umweltorganisationen und drucke das “Pro Planet”-Label mit dem Zusatz “Mehr Artenvielfalt” auf Produkte, deren Herstellung “den Erhalt der Artenvielfalt” fördere.
Kein einziges Handelsunternehmen habe jedoch eine Biodiversitätsstrategie, die die Getreideproduktion einschließt, kritisiert Foodwatch. Aldi, Edeka, die niederländische Supermarktkette Albert Heijn und der französische Lebensmitteleinzelhändler Carrefour werden aufgefordert, bis 2025 nur noch “pestizidfrei” hergestellte Getreideprodukte zu verkaufen. Lob bekommt der Schweizer Einzelhändler Migros, der sich den Verbraucherschützern zufolge bereits für eine Getreideproduktion ohne PSM einsetze. has
- Biodiversität
- Lebensmittel
- LEH
Agrifood.Table Redaktion
Liebe Leserin, lieber Leser,
am Freitag stimmen die EU-Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) über den Vorschlag der EU-Kommission für eine erneute Zulassung des umstrittenen Herbizids Glyphosat für weitere zehn Jahre ab. Schon am heutigen Donnerstag soll es im Ausschuss eine Vorabstimmung geben, sodass weitere Verhandlungen auf den Weg gebracht werden können.
Wahrscheinlich ist allerdings, dass es keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Vorschlag der Brüsseler Behörde geben wird. Folglich müsste die EU-Kommission in den kommenden Wochen im Berufungsausschuss, dem sogenannten Appeal Committee, abstimmen lassen. Scheitert der Vorschlag der EU-Kommission auch dort an einer Mehrheit dafür oder dagegen, kann die Kommission über eine erneute Zulassung ohne die Zustimmung des SCoPAFF verfügen.
Kurz vor der Abstimmung im SCoPAFF lohnt sich deshalb ein Blick nach Paris und Berlin. Die Ampelkoalition hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, “Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen”. Das Bundeslandwirtschaftsministerium bekräftigte am Mittwoch noch einmal, “Deutschland wird einer Verlängerung der Genehmigung von Glyphosat nicht zustimmen”. Ob die Bundesregierung überhaupt Stellung bezieht, ist offen, weil sich die FDP öffentlich für eine erneute Zulassung des Wirkstoffs ausspricht. Gibt es keine Einigung innerhalb der Ampel, müsste sich Deutschland enthalten.
Auch in Frankreich deutet vieles auf eine Enthaltung hin. Zwar gilt der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau als “glyphosatfreundlich”. Aber innenpolitisch ist die französische Regierung unter Druck geraten: In dieser Woche wurde bekannt, dass eine französische Familie, deren Sohn mit einer Missbildung zur Welt kam, finanziell vom Fonds d’indemnisation des victimes de pesticides (FIVP) entschädigt wird.
Aktuell gilt als wahrscheinlich, dass Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande und Bulgarien dem aktuellen Vorschlag der Kommission nicht zustimmen oder sich enthalten. Sollte auch Frankreich sich der Stimme enthalten, wird es keine qualifizierte Mehrheit für den Kommissionsvorschlag geben.
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Foodwatch setzt Supermärkte unter Druck
Die Verbraucherschützer fordern Supermarktketten in Deutschland und weiteren EU-Mitgliedstaaten dazu auf, ihr Sortiment an Brot und anderen Getreideprodukten auf eine “pestizidfreie Produktion” umzustellen. Rückenwind erhofft sich die Organisation durch einen am Dienstag veröffentlichten Foodwatch-Bericht und eine Online-Petition. Nach eigenen Angaben haben sie für ihren Bericht Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) analysiert. Ergebnis: Rund ein Drittel der Getreideprodukte in Europa seien mit Rückständen von Pflanzenschutzmitteln “belastet”. Die gesetzlich festgesetzten Höchstgehalte, also die maximal zulässige Wirkstoffkonzentration, bis zu der eine Gesundheitsgefährdung unwahrscheinlich ist, wurden allerdings in weniger als 1 Prozent der Lebensmittel-Proben überschritten.
Dennoch schlussfolgert die NGO: Die “schiere Zahl verschiedener Pestizide (Pestizid-Cocktail)” in den Produkten berge ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher. Anders wird das vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eingeordnet: “Enthielten Proben mehrere Wirkstoffe in annähernd gleichen Konzentrationen, führt die gemeinsame Bewertung dieser Stoffe in der Regel zu keinem grundlegend anderen Ergebnis als die Einzelstoffbewertung“, teilt das BfR hierzu mit.
NGO wirft LEH Doppelbödigkeit vor
Ein kluger Schachzug von Foodwatch, den Hebel für die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln beim marktmächtigen Lebensmitteleinzelhandel anzusetzen, anstatt die Landwirtschaft an den Pranger zu stellen. Durch den Verkauf von Getreideprodukten, die ohne Pflanzenschutzmittel (PSM) erzeugt wurden, könne der PSM-Einsatz in Deutschland “auf einen Schlag” halbiert werden, so die Verbraucherschützer. Auf Weizen und Gerste entfielen 45 Prozent des PSM-Einsatzes in Deutschland und mehr als 60 Prozent der bundesweit gespritzten Fläche. Rewe, Aldi & Co. wirft Foodwatch Doppelbödigkeit vor. Einerseits propagierten diese in ihren Marketingkampagnen Umweltschutz, verschwiegen andererseits aber den Einsatz von “gefährlichen” Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat bei der Herstellung von Brot, Haferflocken und anderen Getreideprodukten – “mit gravierenden Folgen für die Artenvielfalt”.
Schweizer Supermarktkette Migros erhält Lob
Supermarktketten hätten das Problem der bedrohten Artenvielfalt zwar erkannt und entsprechende Programme für eine nachhaltige Obst- und Gemüseproduktion gestartet. “Lidl-Lebensräume” etwa soll “Menschen für die bedrohte Artenvielfalt sensibilisieren und einen Beitrag für den Schutz der Wildbiene und anderer Nützlinge leisten”. Rewe kooperiere mit Umweltorganisationen und drucke das “Pro Planet”-Label mit dem Zusatz “Mehr Artenvielfalt” auf Produkte, deren Herstellung “den Erhalt der Artenvielfalt” fördere.
Kein einziges Handelsunternehmen habe jedoch eine Biodiversitätsstrategie, die die Getreideproduktion einschließt, kritisiert Foodwatch. Aldi, Edeka, die niederländische Supermarktkette Albert Heijn und der französische Lebensmitteleinzelhändler Carrefour werden aufgefordert, bis 2025 nur noch “pestizidfrei” hergestellte Getreideprodukte zu verkaufen. Lob bekommt der Schweizer Einzelhändler Migros, der sich den Verbraucherschützern zufolge bereits für eine Getreideproduktion ohne PSM einsetze. has
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