Table.Briefing: Agrifood

Table.Special: EU-Kommission setzt GLÖZ 8-Ausnahme um + Vereinfachte Green-Claims-Richtlinie + Bio wächst zu langsam

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Hin und Her um die Aussetzung des GLÖZ-8-Standards hat die Europäische Kommission ein Machtwort gesprochen. Wie Agrifood.Table berichtete, hatte die vorgeschlagene Ausnahmeregelung am Freitag nicht die nötige Mehrheit der Mitgliedstaaten gefunden. Darüber hat sich die Kommission jetzt hinweggesetzt und die Lockerung im Alleingang in die Tat umgesetzt. Rückwirkend ab Januar 2024 können die EU-Länder es erlauben, GLÖZ 8 statt durch Brachen durch den Anbau von Leguminosen oder Zwischenfrüchten auf vier Prozent der Fläche zu erfüllen.

Die Maßnahme biete “den Landwirten Flexibilität“, betonte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Kritik kommt aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL). Es sei “überraschend“, dass Brüssel die Maßnahme ohne ausreichende Mehrheit durchgesetzt habe, sagte ein Sprecher zu Table.Media. Die Bundesregierung hat bis zum 29. Februar Zeit, zu entscheiden, ob und wie sie die Ausnahmeregelung umsetzen will. Festlegen wollte sich der BMEL-Sprecher hierzu noch nicht. Aus Ministeriumskreisen ist aber zu hören, dass das Haus die Frage mit der Debatte um die Ökoregelungen verknüpfen will.

Demnach komme es bei der möglichen Umsetzung der Ausnahme auch darauf an, wie “an anderer Stelle” Leistungen der Landwirte für die Artenvielfalt honoriert werden können – “etwa durch neue Ökoregelungen“. Konkret könnte es um eine zusätzliche Ökoregelung für Milchviehhalter und Grünlandbetriebe gehen, die von vielen Seiten gefordert wird. Hierzu will das BMEL nun in Gespräche mit den Ländern, der Branche und dem Bundesumweltministerium treten.

Doch nicht nur für die Land-, auch für die Ernährungswirtschaft gibt es interessante Entwicklungen in Brüssel. Am heutigen Mittwoch stimmen die zuständigen Ausschüsse im EU-Parlament über die Green-Claims-Richtlinie ab, mit der Aussagen wie “klimaneutral” oder “umweltfreundlich” auf Produkten reguliert werden sollen. Dabei könnte der ursprüngliche Entwurf der Kommission deutlich abgeschwächt werden. Näheres dazu lesen Sie in der Analyse von Kai Moll.

Ihre
Julia Dahm
Bild von Julia  Dahm

Analyse

Green Claims-Richtlinie: Ausschüsse vereinfachen Kommissionsentwurf

Der von der EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgelegte Entwurf der Green Claims-Richtlinie ist in den Beratungen der federführenden Ausschüsse des EU-Parlaments vereinfacht worden. Damit kommen die Parlamentarier der Industrie entgegen, die den Entwurf als überregulierend und kostspielig kritisiert hatte. Die bisher informelle Einigung soll am heutigen Mittwoch offiziell im EU-Umwelt- und im EU-Verbraucherschutz-Ausschuss verabschiedet werden. Mitte März soll das Plenum über den Bericht abstimmen.

Mit der Green Claims-Richtlinie will die EU-Kommission falsche oder nicht belegbare umweltbezogene Aussagen in der Produktwerbung verbieten. Allgemeine Werbeclaims und Umweltsiegel, die ein Produkt beispielsweise als “klimaneutral”, “grün”, “zu 100 Prozent recycelt” oder “biologisch abbaubar” bezeichnen, sollen künftig nur noch zulässig sein, wenn deren Umweltwirkung wissenschaftlich verifiziert ist.

Zertifizierung für Umweltsiegel geplant

Laut einem Kompromisspapier, das Table.Media vorliegt, wollen die Abgeordneten vor allem die Zertifizierung von Umweltaussagen vereinfachen. Bisher war vorgesehen, dass Unternehmen für jede umweltbezogene Aussage eine Zertifizierung durch eine externe akkreditierte Stelle durchlaufen müssen – auch dann, wenn das Unternehmen bereits über ein Umweltsiegel für seinen Umwelt-Claim verfügt.

Nun soll lediglich das vorhandene Umweltsiegel diesen Prozess durchlaufen, um den Vorgang zu beschleunigen, sagt Pernille Weiss, dänische EVP-Abgeordnete im Umweltausschuss. Zertifiziert wird das Siegel aber nur dann, wenn es gewisse wissenschaftliche Kriterien erfüllt. Diese sollen von der EU-Kommission noch definiert werden. Zusätzlich soll die Brüsseler Behörde ein vereinfachtes Zertifizierungsprozedere für die gebräuchlichsten Claims entwickeln.

Ein weiteres Entgegenkommen betrifft konkret kleine und mittlere Unternehmen (KMU):

  • Unternehmen mit einem Umsatz in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr oder mit zehn bis 50 Mitarbeitern sollen ein Jahr mehr Zeit erhalten, die neuen Vorgaben umzusetzen.
  • Für größere Unternehmen gelten weiter 30 Monate Umsetzungsfrist nach Inkrafttreten der Richtlinie.
  • Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten waren schon im Ursprungsentwurf der EU-Kommission von der Richtlinie ausgenommen.

Hohe Geldbußen bleiben bestehen

Ein weiterer Kritikpunkt der Wirtschaft wurde dagegen nicht ausgeräumt:

  • Wer gegen die Green Claims-Richtlinie verstößt, soll mit einer Geldbuße in Höhe von mindestens vier Prozent seines Jahresumsatzes belegt werden.

Dies war von der Deutschen Industrie- und Handelskammer als “unwägbares Risiko” bezeichnet worden, das Unternehmen davon abhalten könnte, Verbraucher über den umweltbezogenen Nutzen von Produkten zu informieren.

Weitgehend unverändert bleiben auch die Kommunikationspflichten der Unternehmen. Informationen über eine spezifische Umweltaussage sollen den Verbrauchern am Produkt selbst, in Form eines Web-Links, eines QR-Codes oder eines digitalen Produktpasses öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Informationen müssen mindestens folgende Angaben umfassen:

  • die Umweltleistung, die Gegenstand der Aussage ist,
  • die einschlägigen Unionsnormen oder gegebenenfalls die einschlägigen internationalen Normen,
  • die zugrunde liegenden Studien oder Berechnungen, die zur Bewertung, Messung und Überwachung der Umweltleistung verwendet werden.

DIHK kritisiert Entwurf der EU-Kommission

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission hatte viel Kritik aus der Wirtschaft hervorgerufen. So schrieb die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in einer Stellungnahme: “Eine Zertifizierung stellt insbesondere für KMUs ein Problem dar und wird sie gegebenenfalls auch benachteiligen, da sich nur große Unternehmen den Zeit- und Arbeitsaufwand sowie die hohen Kosten für eine Zertifizierung leisten können. Die EU-Kommission rechnet selbst mit ca. 54.000 Euro Kosten für die Zertifizierung eines einzelnen Green Claims.” Laut DIHK könnte sich die Richtlinie damit sogar kontraproduktiv auswirken. Unternehmen könnten wegen der hohen Kosten und des hohen Umsetzungsaufwands vor umweltbezogenen Werbeaussagen zurückscheuen, selbst wenn ihre Claims berechtigt seien.

“Ich glaube, wir haben mit den Änderungen einigen der Bedenken Rechnung getragen, die Zertifizierung sei zu teuer oder zu zeitaufwändig. Die Umsetzung sollte jetzt für alle Unternehmen machbar sein”, erklärt Pernille Weiss.

Der Bericht zur Green Claims-Richtlinie soll in der Woche vom 11. bis 14. März im Plenum des EU-Parlaments beraten werden. Für eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode ist es dann schon zu spät. Laut Informationen von Table.Media sollen die Trilogverhandlungen frühestens im Herbst beginnen. Beobachter rechnen damit, dass spätestens dann auch die hohen Geldbußen zur Disposition stehen.

  • Europäische Kommission
  • Green Claims
  • Greenwashing
  • Lebensmittelindustrie
Translation missing.

Die Biobranche wächst – ist aber vom Ausbauziel der Ampel weit entfernt

Bio wächst wieder. Nach einem Rückgang im ersten Jahr des Ukraine-Kriegs um 3,5 Prozent legten die Umsätze mit Biolebensmitteln 2023 um fünf Prozent zu: auf insgesamt 16,1 Milliarden Euro. Dies meldete der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) am Dienstag auf der Biofach in Nürnberg. In Deutschland hat Bio seinen Marktanteil zum Vor-Corona-Jahr 2019 um 31 Prozent gesteigert; in der gesamten EU um 18 Prozent laut einer Auswertung des Fibl und der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. “Wir kommen raus aus der Krise”, sagte die BÖLW-Vorsitzende Tina Andres

Auch der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche ist gewachsen, von 11,2 Prozent auf 11,8 Prozent hierzulande und auf 10,4 Prozent in der EU. Tag für Tag kam in Deutschland damit im Schnitt eine Fläche von 307 Fußballfeldern hinzu. Jeder siebte Hof in Deutschland arbeitet heute nach der EU-Ökoverordnung, die den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden verbietet und eine artgerechte Tierhaltung vorschreibt. Zwei Drittel aller Bio-Flächen werden nach den noch strengeren Vorgaben deutscher Ökoverbände wie Bioland, Demeter oder Naturland bestellt. “Trotz eines anspruchsvollen Marktumfelds haben sich die Bio-Höfe gut behauptet”, heißt es in der BÖLW-Bilanz.

Weit entfernt vom Ausbauziel

“Anspruchsvoll” drückt das Problem vornehm aus. Der Krieg und die Inflation haben die Kundschaft verschreckt und belasten die Bauern enorm. So stiegen die Verkaufserlöse der Biolandwirte 2022 zwar um elf Prozent – doch die Gewinne nahmen nicht zu. 

So treu die Bio-Käufer auch sind: Der Ökolandbau ist weit entfernt vom Ausbauziel der Ampel von 30 Prozent in 2030. Ginge es in den kommenden sieben Jahren mit Bio so weiter wie in den letzten sieben, würde der Anteil bei kaum mehr als 16 Prozent landen. Und damit auch noch weit unter dem Green-Deal-Ziel der EU von 25 Prozent. 

Doch die Farm-to-Fork-Strategie ist aus Sicht des BÖLW sowieso gescheitert. Das Totalherbizid Glyphosat wurde verlängert, die Antibiotikavorgaben nicht wie geplant verschärft und die “Sustainable Use Regulation” (SUR), die eine Pestizidreduktion um 50 Prozent vorsah, zuletzt durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgegeben. Es ist, als habe Europa die Transformation der Landwirtschaft aufgegeben. Auch die Klimaschutzziele sind für den Agrarsektor derzeit: kein Thema.

Özdemir verspricht: “Kein Rollback”

Und trotzdem strahlt die “Weltleitmesse für Ökolebensmittel”, die Biofach in Nürnberg, wieder. Rund 2400 Aussteller aus 94 Ländern stellen ihre Produkte in neun Hallen aus, von gefriergetrocknetem Acai-Pulver aus Amazonien bis hin zur “Zanzibar Organic Bar”, deren Hersteller aus Polen kommt. 

Eröffnet wird die Biofach vom Bundeslandwirtschaftsminister. Er habe noch die Unkenrufe im Ohr, der Biotrend sei vorbei, sagt Cem Özdemir. “Das Gegenteil ist der Fall”, ruft er, “und das ist eine gute Nachricht, für die Unternehmen, für die Verbraucherinnen und Verbraucher und den Schutz unserer Ressourcen.” Mit ihm, verspricht Özdemir, werde es keinen Rollback geben. Er warne vor Erklärungen, das sei alles eine zu große Belastung für die Landwirtschaft: “Manche können sich nicht ausmalen, was für eine Belastung der Landwirtschaft droht, wenn wir jetzt nicht vorsorgen!”

Später wird der Minister die Kampagne vorstellen, mit der sein Ministerium für Öko als umwelt- und klimafreundliche Wirtschaftsform wirbt. Das wird aber nicht reichen für eine Agrarwende, die den Ansprüchen an eine nachhaltige Landwirtschaft gerecht wird. Für den angekündigten Umbau, der Bio aus der Nische holen und eine ökologischere Landwirtschaft von der Ausnahme zur Norm machen will. 

Bio-Verband stellt Forderungen

Mit 90 Milliarden Euro hat die Zukunftskommission Landwirtschaft die Schäden beziffert, die die konventionelle Landwirtschaft allein in Deutschland alljährlich verursacht – durch Wasserverunreinigung, Artensterben, Bodendegradation und Klimaschäden. 

Der Ökolandbau darf für sich beanspruchen, diese Schäden deutlich zu minimieren. Sogar der Einsatz von fossiler Energie ist laut einer Studie der TU München im Pflanzenbau pro Hektar um durchschnittlich 50 Prozent geringer – was vor allem daran liegt, dass im Ökolandbau kein fossil hergestellter Stickstoffdünger eingesetzt wird.

Was für eine Agrarwende geschehen muss, führen die BÖLW-Vertreter in Nürnberg aus: 

  • Die Bürokratie bei der Agrarförderung solle abgebaut werden. So müssen Bio-Höfe seit 2023 doppelt belegen, dass und wie sie ökologisch wirtschaften. 
  • Auch die mittelständische Bio-Ernährungswirtschaft, darunter Schlachter, Müller, Brauer, müssten von Bürokratie entlastet werden – und darüber hinaus gezielt gefördert. 
  • Der Umbau der Tierhaltung müsse forciert und durch eine Abgabe auf Fleisch finanziert werden.
  • Sowohl die Bio- als auch die Ernährungsstrategie des Bundeslandwirtschaftsministerium müssten mit deutlich höheren Budgets hinterlegt werden. 
  • Die von Özdemir zugesagten 30 Prozent der Agrarforschungsmittel für ökologische Forschung werden aus Sicht des BÖLW mit noch mehr Mitteln des Bundesforschungsministeriums für Gentechnikforschung konterkariert.

Großes Biofach-Thema: Gentechnik

Insbesondere die von Brüssel beabsichtigte Lockerung der Gentechnikregulierung bedroht aus Sicht seiner Anhänger den Ökolandbau. “Es scheint, als wolle man uns heimlich Gentechnik unterjubeln und die Wahlfreiheit des Verbrauchers schleifen”, sagt BÖLW-Vorsitzende Andres. Ohne Regelungen für die Koexistenz auf den Feldern von gentechnikfreiem Anbau mit gentechnisch veränderten Pflanzen und ohne eine Kennzeichnungspflicht für die Verbraucher seien gentechnikfreie Warenströme nicht mehr möglich. 

Dass Bio trotz all dieser Hemmnisse wieder wächst, hat vor allem damit zu tun, dass die Verbraucher Bio inzwischen im Discounter in genauso hoher Qualität kaufen können wie im Fachhandel. So konnten Kundinnen und Kunden Bio trotz der allgemeinen Lebensmittelteuerung treu bleiben, indem sie auf die Billigmärkte auswichen. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erreichte der Bio-Umsatz der Handelseigenmarken 2023 mit 56 Prozent einen neuen Rekord.

Für bewusste Verbraucher gebe es “noch Luft nach oben”, sagt Andres zum Schluss ihrer Präsentation in Nürnberg. Dies zeige der Vergleich mit Nachbarländern: Während die Pro-Kopf-Ausgaben für Bio in Deutschland bei 184 Euro im Jahr liegen, gibt jeder Österreicher 287 Euro aus und jede Dänin sogar 369 Euro. Ausgerechnet das Schweineexportland Dänemark hat mit zwölf Prozent den höchsten Bio-Anteil am Lebensmittelmarkt weltweit.

  • Agrarwende
  • Ernährungsstrategie
  • Glyphosat
  • Landwirtschaft
  • Ökologische Landwirtschaft
  • SUR
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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    im Hin und Her um die Aussetzung des GLÖZ-8-Standards hat die Europäische Kommission ein Machtwort gesprochen. Wie Agrifood.Table berichtete, hatte die vorgeschlagene Ausnahmeregelung am Freitag nicht die nötige Mehrheit der Mitgliedstaaten gefunden. Darüber hat sich die Kommission jetzt hinweggesetzt und die Lockerung im Alleingang in die Tat umgesetzt. Rückwirkend ab Januar 2024 können die EU-Länder es erlauben, GLÖZ 8 statt durch Brachen durch den Anbau von Leguminosen oder Zwischenfrüchten auf vier Prozent der Fläche zu erfüllen.

    Die Maßnahme biete “den Landwirten Flexibilität“, betonte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Kritik kommt aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL). Es sei “überraschend“, dass Brüssel die Maßnahme ohne ausreichende Mehrheit durchgesetzt habe, sagte ein Sprecher zu Table.Media. Die Bundesregierung hat bis zum 29. Februar Zeit, zu entscheiden, ob und wie sie die Ausnahmeregelung umsetzen will. Festlegen wollte sich der BMEL-Sprecher hierzu noch nicht. Aus Ministeriumskreisen ist aber zu hören, dass das Haus die Frage mit der Debatte um die Ökoregelungen verknüpfen will.

    Demnach komme es bei der möglichen Umsetzung der Ausnahme auch darauf an, wie “an anderer Stelle” Leistungen der Landwirte für die Artenvielfalt honoriert werden können – “etwa durch neue Ökoregelungen“. Konkret könnte es um eine zusätzliche Ökoregelung für Milchviehhalter und Grünlandbetriebe gehen, die von vielen Seiten gefordert wird. Hierzu will das BMEL nun in Gespräche mit den Ländern, der Branche und dem Bundesumweltministerium treten.

    Doch nicht nur für die Land-, auch für die Ernährungswirtschaft gibt es interessante Entwicklungen in Brüssel. Am heutigen Mittwoch stimmen die zuständigen Ausschüsse im EU-Parlament über die Green-Claims-Richtlinie ab, mit der Aussagen wie “klimaneutral” oder “umweltfreundlich” auf Produkten reguliert werden sollen. Dabei könnte der ursprüngliche Entwurf der Kommission deutlich abgeschwächt werden. Näheres dazu lesen Sie in der Analyse von Kai Moll.

    Ihre
    Julia Dahm
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    Analyse

    Green Claims-Richtlinie: Ausschüsse vereinfachen Kommissionsentwurf

    Der von der EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgelegte Entwurf der Green Claims-Richtlinie ist in den Beratungen der federführenden Ausschüsse des EU-Parlaments vereinfacht worden. Damit kommen die Parlamentarier der Industrie entgegen, die den Entwurf als überregulierend und kostspielig kritisiert hatte. Die bisher informelle Einigung soll am heutigen Mittwoch offiziell im EU-Umwelt- und im EU-Verbraucherschutz-Ausschuss verabschiedet werden. Mitte März soll das Plenum über den Bericht abstimmen.

    Mit der Green Claims-Richtlinie will die EU-Kommission falsche oder nicht belegbare umweltbezogene Aussagen in der Produktwerbung verbieten. Allgemeine Werbeclaims und Umweltsiegel, die ein Produkt beispielsweise als “klimaneutral”, “grün”, “zu 100 Prozent recycelt” oder “biologisch abbaubar” bezeichnen, sollen künftig nur noch zulässig sein, wenn deren Umweltwirkung wissenschaftlich verifiziert ist.

    Zertifizierung für Umweltsiegel geplant

    Laut einem Kompromisspapier, das Table.Media vorliegt, wollen die Abgeordneten vor allem die Zertifizierung von Umweltaussagen vereinfachen. Bisher war vorgesehen, dass Unternehmen für jede umweltbezogene Aussage eine Zertifizierung durch eine externe akkreditierte Stelle durchlaufen müssen – auch dann, wenn das Unternehmen bereits über ein Umweltsiegel für seinen Umwelt-Claim verfügt.

    Nun soll lediglich das vorhandene Umweltsiegel diesen Prozess durchlaufen, um den Vorgang zu beschleunigen, sagt Pernille Weiss, dänische EVP-Abgeordnete im Umweltausschuss. Zertifiziert wird das Siegel aber nur dann, wenn es gewisse wissenschaftliche Kriterien erfüllt. Diese sollen von der EU-Kommission noch definiert werden. Zusätzlich soll die Brüsseler Behörde ein vereinfachtes Zertifizierungsprozedere für die gebräuchlichsten Claims entwickeln.

    Ein weiteres Entgegenkommen betrifft konkret kleine und mittlere Unternehmen (KMU):

    • Unternehmen mit einem Umsatz in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr oder mit zehn bis 50 Mitarbeitern sollen ein Jahr mehr Zeit erhalten, die neuen Vorgaben umzusetzen.
    • Für größere Unternehmen gelten weiter 30 Monate Umsetzungsfrist nach Inkrafttreten der Richtlinie.
    • Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten waren schon im Ursprungsentwurf der EU-Kommission von der Richtlinie ausgenommen.

    Hohe Geldbußen bleiben bestehen

    Ein weiterer Kritikpunkt der Wirtschaft wurde dagegen nicht ausgeräumt:

    • Wer gegen die Green Claims-Richtlinie verstößt, soll mit einer Geldbuße in Höhe von mindestens vier Prozent seines Jahresumsatzes belegt werden.

    Dies war von der Deutschen Industrie- und Handelskammer als “unwägbares Risiko” bezeichnet worden, das Unternehmen davon abhalten könnte, Verbraucher über den umweltbezogenen Nutzen von Produkten zu informieren.

    Weitgehend unverändert bleiben auch die Kommunikationspflichten der Unternehmen. Informationen über eine spezifische Umweltaussage sollen den Verbrauchern am Produkt selbst, in Form eines Web-Links, eines QR-Codes oder eines digitalen Produktpasses öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Informationen müssen mindestens folgende Angaben umfassen:

    • die Umweltleistung, die Gegenstand der Aussage ist,
    • die einschlägigen Unionsnormen oder gegebenenfalls die einschlägigen internationalen Normen,
    • die zugrunde liegenden Studien oder Berechnungen, die zur Bewertung, Messung und Überwachung der Umweltleistung verwendet werden.

    DIHK kritisiert Entwurf der EU-Kommission

    Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission hatte viel Kritik aus der Wirtschaft hervorgerufen. So schrieb die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in einer Stellungnahme: “Eine Zertifizierung stellt insbesondere für KMUs ein Problem dar und wird sie gegebenenfalls auch benachteiligen, da sich nur große Unternehmen den Zeit- und Arbeitsaufwand sowie die hohen Kosten für eine Zertifizierung leisten können. Die EU-Kommission rechnet selbst mit ca. 54.000 Euro Kosten für die Zertifizierung eines einzelnen Green Claims.” Laut DIHK könnte sich die Richtlinie damit sogar kontraproduktiv auswirken. Unternehmen könnten wegen der hohen Kosten und des hohen Umsetzungsaufwands vor umweltbezogenen Werbeaussagen zurückscheuen, selbst wenn ihre Claims berechtigt seien.

    “Ich glaube, wir haben mit den Änderungen einigen der Bedenken Rechnung getragen, die Zertifizierung sei zu teuer oder zu zeitaufwändig. Die Umsetzung sollte jetzt für alle Unternehmen machbar sein”, erklärt Pernille Weiss.

    Der Bericht zur Green Claims-Richtlinie soll in der Woche vom 11. bis 14. März im Plenum des EU-Parlaments beraten werden. Für eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode ist es dann schon zu spät. Laut Informationen von Table.Media sollen die Trilogverhandlungen frühestens im Herbst beginnen. Beobachter rechnen damit, dass spätestens dann auch die hohen Geldbußen zur Disposition stehen.

    • Europäische Kommission
    • Green Claims
    • Greenwashing
    • Lebensmittelindustrie
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    Die Biobranche wächst – ist aber vom Ausbauziel der Ampel weit entfernt

    Bio wächst wieder. Nach einem Rückgang im ersten Jahr des Ukraine-Kriegs um 3,5 Prozent legten die Umsätze mit Biolebensmitteln 2023 um fünf Prozent zu: auf insgesamt 16,1 Milliarden Euro. Dies meldete der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) am Dienstag auf der Biofach in Nürnberg. In Deutschland hat Bio seinen Marktanteil zum Vor-Corona-Jahr 2019 um 31 Prozent gesteigert; in der gesamten EU um 18 Prozent laut einer Auswertung des Fibl und der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. “Wir kommen raus aus der Krise”, sagte die BÖLW-Vorsitzende Tina Andres

    Auch der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche ist gewachsen, von 11,2 Prozent auf 11,8 Prozent hierzulande und auf 10,4 Prozent in der EU. Tag für Tag kam in Deutschland damit im Schnitt eine Fläche von 307 Fußballfeldern hinzu. Jeder siebte Hof in Deutschland arbeitet heute nach der EU-Ökoverordnung, die den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden verbietet und eine artgerechte Tierhaltung vorschreibt. Zwei Drittel aller Bio-Flächen werden nach den noch strengeren Vorgaben deutscher Ökoverbände wie Bioland, Demeter oder Naturland bestellt. “Trotz eines anspruchsvollen Marktumfelds haben sich die Bio-Höfe gut behauptet”, heißt es in der BÖLW-Bilanz.

    Weit entfernt vom Ausbauziel

    “Anspruchsvoll” drückt das Problem vornehm aus. Der Krieg und die Inflation haben die Kundschaft verschreckt und belasten die Bauern enorm. So stiegen die Verkaufserlöse der Biolandwirte 2022 zwar um elf Prozent – doch die Gewinne nahmen nicht zu. 

    So treu die Bio-Käufer auch sind: Der Ökolandbau ist weit entfernt vom Ausbauziel der Ampel von 30 Prozent in 2030. Ginge es in den kommenden sieben Jahren mit Bio so weiter wie in den letzten sieben, würde der Anteil bei kaum mehr als 16 Prozent landen. Und damit auch noch weit unter dem Green-Deal-Ziel der EU von 25 Prozent. 

    Doch die Farm-to-Fork-Strategie ist aus Sicht des BÖLW sowieso gescheitert. Das Totalherbizid Glyphosat wurde verlängert, die Antibiotikavorgaben nicht wie geplant verschärft und die “Sustainable Use Regulation” (SUR), die eine Pestizidreduktion um 50 Prozent vorsah, zuletzt durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgegeben. Es ist, als habe Europa die Transformation der Landwirtschaft aufgegeben. Auch die Klimaschutzziele sind für den Agrarsektor derzeit: kein Thema.

    Özdemir verspricht: “Kein Rollback”

    Und trotzdem strahlt die “Weltleitmesse für Ökolebensmittel”, die Biofach in Nürnberg, wieder. Rund 2400 Aussteller aus 94 Ländern stellen ihre Produkte in neun Hallen aus, von gefriergetrocknetem Acai-Pulver aus Amazonien bis hin zur “Zanzibar Organic Bar”, deren Hersteller aus Polen kommt. 

    Eröffnet wird die Biofach vom Bundeslandwirtschaftsminister. Er habe noch die Unkenrufe im Ohr, der Biotrend sei vorbei, sagt Cem Özdemir. “Das Gegenteil ist der Fall”, ruft er, “und das ist eine gute Nachricht, für die Unternehmen, für die Verbraucherinnen und Verbraucher und den Schutz unserer Ressourcen.” Mit ihm, verspricht Özdemir, werde es keinen Rollback geben. Er warne vor Erklärungen, das sei alles eine zu große Belastung für die Landwirtschaft: “Manche können sich nicht ausmalen, was für eine Belastung der Landwirtschaft droht, wenn wir jetzt nicht vorsorgen!”

    Später wird der Minister die Kampagne vorstellen, mit der sein Ministerium für Öko als umwelt- und klimafreundliche Wirtschaftsform wirbt. Das wird aber nicht reichen für eine Agrarwende, die den Ansprüchen an eine nachhaltige Landwirtschaft gerecht wird. Für den angekündigten Umbau, der Bio aus der Nische holen und eine ökologischere Landwirtschaft von der Ausnahme zur Norm machen will. 

    Bio-Verband stellt Forderungen

    Mit 90 Milliarden Euro hat die Zukunftskommission Landwirtschaft die Schäden beziffert, die die konventionelle Landwirtschaft allein in Deutschland alljährlich verursacht – durch Wasserverunreinigung, Artensterben, Bodendegradation und Klimaschäden. 

    Der Ökolandbau darf für sich beanspruchen, diese Schäden deutlich zu minimieren. Sogar der Einsatz von fossiler Energie ist laut einer Studie der TU München im Pflanzenbau pro Hektar um durchschnittlich 50 Prozent geringer – was vor allem daran liegt, dass im Ökolandbau kein fossil hergestellter Stickstoffdünger eingesetzt wird.

    Was für eine Agrarwende geschehen muss, führen die BÖLW-Vertreter in Nürnberg aus: 

    • Die Bürokratie bei der Agrarförderung solle abgebaut werden. So müssen Bio-Höfe seit 2023 doppelt belegen, dass und wie sie ökologisch wirtschaften. 
    • Auch die mittelständische Bio-Ernährungswirtschaft, darunter Schlachter, Müller, Brauer, müssten von Bürokratie entlastet werden – und darüber hinaus gezielt gefördert. 
    • Der Umbau der Tierhaltung müsse forciert und durch eine Abgabe auf Fleisch finanziert werden.
    • Sowohl die Bio- als auch die Ernährungsstrategie des Bundeslandwirtschaftsministerium müssten mit deutlich höheren Budgets hinterlegt werden. 
    • Die von Özdemir zugesagten 30 Prozent der Agrarforschungsmittel für ökologische Forschung werden aus Sicht des BÖLW mit noch mehr Mitteln des Bundesforschungsministeriums für Gentechnikforschung konterkariert.

    Großes Biofach-Thema: Gentechnik

    Insbesondere die von Brüssel beabsichtigte Lockerung der Gentechnikregulierung bedroht aus Sicht seiner Anhänger den Ökolandbau. “Es scheint, als wolle man uns heimlich Gentechnik unterjubeln und die Wahlfreiheit des Verbrauchers schleifen”, sagt BÖLW-Vorsitzende Andres. Ohne Regelungen für die Koexistenz auf den Feldern von gentechnikfreiem Anbau mit gentechnisch veränderten Pflanzen und ohne eine Kennzeichnungspflicht für die Verbraucher seien gentechnikfreie Warenströme nicht mehr möglich. 

    Dass Bio trotz all dieser Hemmnisse wieder wächst, hat vor allem damit zu tun, dass die Verbraucher Bio inzwischen im Discounter in genauso hoher Qualität kaufen können wie im Fachhandel. So konnten Kundinnen und Kunden Bio trotz der allgemeinen Lebensmittelteuerung treu bleiben, indem sie auf die Billigmärkte auswichen. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erreichte der Bio-Umsatz der Handelseigenmarken 2023 mit 56 Prozent einen neuen Rekord.

    Für bewusste Verbraucher gebe es “noch Luft nach oben”, sagt Andres zum Schluss ihrer Präsentation in Nürnberg. Dies zeige der Vergleich mit Nachbarländern: Während die Pro-Kopf-Ausgaben für Bio in Deutschland bei 184 Euro im Jahr liegen, gibt jeder Österreicher 287 Euro aus und jede Dänin sogar 369 Euro. Ausgerechnet das Schweineexportland Dänemark hat mit zwölf Prozent den höchsten Bio-Anteil am Lebensmittelmarkt weltweit.

    • Agrarwende
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    • Glyphosat
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