Table.Briefing: Agrifood

Table.Special: BMEL-Entwurf für fairen Milchmarkt kurz vor Ressortabstimmung

Liebe Leserin, lieber Leser,

Während die Bauernproteste in ganz Deutschland weitergehen, sucht Bundesagrarminister Cem Özdemir nach Argumenten, um die Gemüter zu beruhigen. Dabei betonte der Grünen-Politiker zuletzt: Ein faires Einkommen für Landwirte müsse am Markt, innerhalb der Lieferkette sichergestellt werden, um die Betriebe unabhängiger von staatlichen Hilfen wie der Agrardieselbeihilfe zu machen.

Konkret will Özdemirs Ministerium in Kürze neue Regeln für die Vertragsgestaltung auf dem Milchmarkt vorschlagen und so die Verhandlungsmacht der Erzeuger stärken. Doch in der Branche ist das Vorhaben umstritten. Am Montag hört der Agrarausschuss im Bundestag verschiedene Experten zum Thema an. Wer sich wie positioniert, und welche Punkte besonders strittig sind, lesen Sie vorab in unserer Analyse.

Ihre
Julia Dahm
Bild von Julia  Dahm

Analyse

Marktmacht der Milchbauern: Özdemirs Pläne spalten die Branche

Ein Verordnungsentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zur Gestaltung von Lieferbeziehungen im Milchmarkt steht Ministeriumskreisen zufolge unmittelbar vor der Ressortabstimmung. Ähnlich dem Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken soll dieser neue Vorstoß explizit die Verhandlungsmacht von Milchbauern gegenüber Händlern und Molkereien stärken. Für Montag hat der Agrarausschuss des Bundestages ein öffentliches Fachgespräch organisiert.

Anfang September 2023 hatte das BMEL angekündigt, einen entsprechenden Entwurf erarbeiten zu wollen. Die Bauernproteste gegen das Auslaufen der Agrardieselbeihilfe haben dem Vorhaben einen neuen Grad an Aktualität verliehen. Aus Sicht von Bundesagrarminister Cem Özdemir ist die Stärkung der Marktmacht von Erzeugern ein wichtiger Hebel, um Landwirten ein faires Einkommen zu sichern – unabhängig von Subventionen. Auf seine Pläne verwies der Grünen-Politiker zuletzt am Mittwoch bei einem Besuch einer Bauernkundgebung im baden-württembergischen Ellwangen.

Festschreiben von Preis und Liefermenge soll Pflicht werden

Die geplante Verordnung soll sich auf Artikel 148 der EU-Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) für landwirtschaftliche Erzeugnisse stützen. Dessen Umsetzung ist für die einzelnen EU-Mitgliedstaaten freiwillig. Damit würden Milcherzeuger und -abnehmer verpflichtet, vertraglich festzulegen, welche Menge Milch wann und zu welchem Preis abgenommen wird. Bislang verpflichten sich Erzeuger häufig, ihre gesamte Produktion an eine bestimmte Molkerei zu liefern, ohne im Vorfeld einen Erzeugerpreis dafür festzulegen. Dieser wird in flexibler Höhe – in Abhängigkeit vom Verkaufspreis, den die Molkerei am Markt erzielt – gezahlt.

Das gängige System zerstöre den Preismechanismus auf dem Milchmarkt, so die Kritik von Milchbauern. “Auf dem Rohmilchmarkt wird gar kein Preis gebildet. Das passiert erst nachgelagert”, sagt Philipp Groteloh, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Milch Board. Lieferanten erhielten lediglich das Restgeld. Ein Überangebot an Milch drücke die Preise weiter, denn die Menge sei die einzige Größe, die der Milchbauer mitbeeinflussen könne. Preis und Liefermenge vorab fix zu machen, würde den Milchpreis stabilisieren, meint Groteloh. Erzeuger erhielten mehr Planungssicherheit sowie die Möglichkeit, kostendeckende Preise auszuhandeln.

Thünen-Institut sieht keinen Handlungsbedarf

Aus Sicht des Milchindustrieverbands (MIV), der sowohl private als auch Genossenschaftsmolkereien vertritt, wäre eine Umsetzung des Artikels 148 dagegen ein unnötiger Eingriff des Staates in die Vertragsbeziehungen privater Marktteilnehmer. “Der Bürokratieaufwand wäre erheblich, Rechtsunsicherheit droht”, sagt MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser. Er verweist zudem auf eine Untersuchung des Thünen-Instituts von August 2023. Dieser zufolge lässt sich aus der aktuellen Situation “kein politischer Handlungsbedarf für das Eingreifen in die Preisbildung” ableiten. Trotz der “ungleichen Machtverteilung” zulasten der Erzeuger scheine die Preisbildung am Milchmarkt “nicht weniger effizient zu sein als bei vielen anderen Märkten”, resümiert das Institut.

Im Kern urteilt die Studie, dass sich die Milchpreise in den vergangenen Jahren gut entwickelt hätten. Hinzukomme, dass einige Marktteilnehmer freiwillig Vereinbarungen abgeschlossen hätten, die den Anforderungen des Artikels 148 entsprechen. Das erkennt auch die Bundesregierung in einer kürzlichen Antwort auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion an, verweist aber auf eine weiterhin hohe Volatilität der Milchpreise und weiteren Handlungsbedarf bei der Ausgestaltung der Lieferbeziehungen.

Rolle der Genossenschaften umstritten

Umstritten ist auch, was die geplante Verordnung für die Genossenschaften bedeuten würde, die auf dem deutschen Milchmarkt eine große Rolle spielen und laut Daten verschiedener Branchenverbände mehr als zwei Drittel der produzierten Rohmilch vertreiben. Aus rechtlicher Sicht scheint die Lage klar: Artikel 148 sieht vor, dass Genossenschaften dann von den Bestimmungen zur Vertragsgestaltung befreit sind, wenn ihre Lieferordnungen oder Satzungen bereits Regelungen mit ähnlicher Wirkung enthalten. Auseinander gehen die Meinungen aber darüber, inwiefern die bestehenden Satzungen der meisten genossenschaftlichen Molkereien dies in der Praxis erfüllen.

Die Genossenschaften sind überzeugt, dass sie die Lieferbeziehungen bereits im Interesse ihrer Lieferanten geregelt haben. Wenn dem so wäre, “müssten Bauern in Genossenschaften jetzt schon gute Preise durchsetzen können – können sie aber nicht”, hält Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) dagegen. Sie fordert deshalb eine explizite Einbeziehung von Genossenschaften in die Vertragspflicht. Und auch Groteloh vom Milch Board plädiert für strenge Vorgaben auch für Genossenschaften: “Wenn die Genossenschaften ausgenommen werden, hat die Umsetzung des Paragrafen 148 keinen Sinn.”

  • Cem Özdemir
  • Landwirtschaftsministerium
Translation missing.

Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Während die Bauernproteste in ganz Deutschland weitergehen, sucht Bundesagrarminister Cem Özdemir nach Argumenten, um die Gemüter zu beruhigen. Dabei betonte der Grünen-Politiker zuletzt: Ein faires Einkommen für Landwirte müsse am Markt, innerhalb der Lieferkette sichergestellt werden, um die Betriebe unabhängiger von staatlichen Hilfen wie der Agrardieselbeihilfe zu machen.

    Konkret will Özdemirs Ministerium in Kürze neue Regeln für die Vertragsgestaltung auf dem Milchmarkt vorschlagen und so die Verhandlungsmacht der Erzeuger stärken. Doch in der Branche ist das Vorhaben umstritten. Am Montag hört der Agrarausschuss im Bundestag verschiedene Experten zum Thema an. Wer sich wie positioniert, und welche Punkte besonders strittig sind, lesen Sie vorab in unserer Analyse.

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    Julia Dahm
    Bild von Julia  Dahm

    Analyse

    Marktmacht der Milchbauern: Özdemirs Pläne spalten die Branche

    Ein Verordnungsentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zur Gestaltung von Lieferbeziehungen im Milchmarkt steht Ministeriumskreisen zufolge unmittelbar vor der Ressortabstimmung. Ähnlich dem Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken soll dieser neue Vorstoß explizit die Verhandlungsmacht von Milchbauern gegenüber Händlern und Molkereien stärken. Für Montag hat der Agrarausschuss des Bundestages ein öffentliches Fachgespräch organisiert.

    Anfang September 2023 hatte das BMEL angekündigt, einen entsprechenden Entwurf erarbeiten zu wollen. Die Bauernproteste gegen das Auslaufen der Agrardieselbeihilfe haben dem Vorhaben einen neuen Grad an Aktualität verliehen. Aus Sicht von Bundesagrarminister Cem Özdemir ist die Stärkung der Marktmacht von Erzeugern ein wichtiger Hebel, um Landwirten ein faires Einkommen zu sichern – unabhängig von Subventionen. Auf seine Pläne verwies der Grünen-Politiker zuletzt am Mittwoch bei einem Besuch einer Bauernkundgebung im baden-württembergischen Ellwangen.

    Festschreiben von Preis und Liefermenge soll Pflicht werden

    Die geplante Verordnung soll sich auf Artikel 148 der EU-Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) für landwirtschaftliche Erzeugnisse stützen. Dessen Umsetzung ist für die einzelnen EU-Mitgliedstaaten freiwillig. Damit würden Milcherzeuger und -abnehmer verpflichtet, vertraglich festzulegen, welche Menge Milch wann und zu welchem Preis abgenommen wird. Bislang verpflichten sich Erzeuger häufig, ihre gesamte Produktion an eine bestimmte Molkerei zu liefern, ohne im Vorfeld einen Erzeugerpreis dafür festzulegen. Dieser wird in flexibler Höhe – in Abhängigkeit vom Verkaufspreis, den die Molkerei am Markt erzielt – gezahlt.

    Das gängige System zerstöre den Preismechanismus auf dem Milchmarkt, so die Kritik von Milchbauern. “Auf dem Rohmilchmarkt wird gar kein Preis gebildet. Das passiert erst nachgelagert”, sagt Philipp Groteloh, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Milch Board. Lieferanten erhielten lediglich das Restgeld. Ein Überangebot an Milch drücke die Preise weiter, denn die Menge sei die einzige Größe, die der Milchbauer mitbeeinflussen könne. Preis und Liefermenge vorab fix zu machen, würde den Milchpreis stabilisieren, meint Groteloh. Erzeuger erhielten mehr Planungssicherheit sowie die Möglichkeit, kostendeckende Preise auszuhandeln.

    Thünen-Institut sieht keinen Handlungsbedarf

    Aus Sicht des Milchindustrieverbands (MIV), der sowohl private als auch Genossenschaftsmolkereien vertritt, wäre eine Umsetzung des Artikels 148 dagegen ein unnötiger Eingriff des Staates in die Vertragsbeziehungen privater Marktteilnehmer. “Der Bürokratieaufwand wäre erheblich, Rechtsunsicherheit droht”, sagt MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser. Er verweist zudem auf eine Untersuchung des Thünen-Instituts von August 2023. Dieser zufolge lässt sich aus der aktuellen Situation “kein politischer Handlungsbedarf für das Eingreifen in die Preisbildung” ableiten. Trotz der “ungleichen Machtverteilung” zulasten der Erzeuger scheine die Preisbildung am Milchmarkt “nicht weniger effizient zu sein als bei vielen anderen Märkten”, resümiert das Institut.

    Im Kern urteilt die Studie, dass sich die Milchpreise in den vergangenen Jahren gut entwickelt hätten. Hinzukomme, dass einige Marktteilnehmer freiwillig Vereinbarungen abgeschlossen hätten, die den Anforderungen des Artikels 148 entsprechen. Das erkennt auch die Bundesregierung in einer kürzlichen Antwort auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion an, verweist aber auf eine weiterhin hohe Volatilität der Milchpreise und weiteren Handlungsbedarf bei der Ausgestaltung der Lieferbeziehungen.

    Rolle der Genossenschaften umstritten

    Umstritten ist auch, was die geplante Verordnung für die Genossenschaften bedeuten würde, die auf dem deutschen Milchmarkt eine große Rolle spielen und laut Daten verschiedener Branchenverbände mehr als zwei Drittel der produzierten Rohmilch vertreiben. Aus rechtlicher Sicht scheint die Lage klar: Artikel 148 sieht vor, dass Genossenschaften dann von den Bestimmungen zur Vertragsgestaltung befreit sind, wenn ihre Lieferordnungen oder Satzungen bereits Regelungen mit ähnlicher Wirkung enthalten. Auseinander gehen die Meinungen aber darüber, inwiefern die bestehenden Satzungen der meisten genossenschaftlichen Molkereien dies in der Praxis erfüllen.

    Die Genossenschaften sind überzeugt, dass sie die Lieferbeziehungen bereits im Interesse ihrer Lieferanten geregelt haben. Wenn dem so wäre, “müssten Bauern in Genossenschaften jetzt schon gute Preise durchsetzen können – können sie aber nicht”, hält Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) dagegen. Sie fordert deshalb eine explizite Einbeziehung von Genossenschaften in die Vertragspflicht. Und auch Groteloh vom Milch Board plädiert für strenge Vorgaben auch für Genossenschaften: “Wenn die Genossenschaften ausgenommen werden, hat die Umsetzung des Paragrafen 148 keinen Sinn.”

    • Cem Özdemir
    • Landwirtschaftsministerium
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    Agrifood.Table Redaktion

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